E. T. A. Hoffmann
Die Serapions-Brüder
E. T. A. Hoffmann

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»Da« – nahm Lothar das Wort als Ottmar geendet hatte – »da unser Freund ehrlich und unbefangen genug gewesen ist, gleich von Haus aus die Schwächen seines Produkts das ›Novelle‹ zu nennen, ihm beliebt hat, einzugestehen, so entwaffnet freilich dieser Anspruch an unsere Gutmütigkeit unsere Kritik, die wohlgerüstet ihm gegenüberstand. Er streckt die offne Brust der Partisane entgegen und eben darum dürfen wir, ein großmütiger Feind, nicht zustoßen, sondern müssen seiner schonen.«

»Nicht«, sprach Cyprian, »nicht allein das, sondern wir können, um ihn aufzurichten in seinem Schmerz, sogar mit Fug ihm einiges wiewohl spärliches Lob zuteil werden lassen. Ich für mein Teil finde manches ergötzlich und serapiontisch, wie z. B. Capuzzis eingebildeter Beinbruch mit seinen Folgen, Capuzzis verhängnisvolle Serenate –«

»Die«, unterbrach Vinzenz den Freund, »vorzüglich deshalb einen echt spanischen oder auch italienischen Beischmack hat, weil sie sich mit gewaltigen Prügeln endet. Gehörige Prügel dürfen aber in keiner Novelle der Art fehlen und ich nehme dieselben gar sehr in Schutz als ein besonderes kräftiges Reizmittel, das die geistreichsten Dichter stets in Anspruch nahmen. Im Boccaccio geht es selten ohne Prügel ab; wo fallen aber mehr Schläge, Stöße, Püffe als in dem Roman aller Romane, im Don Quixote, so daß Cervantes es selbst für nötig fand, sich bei dem Leser deshalb zu entschuldigen! Aber jetzt mögen gebildete Damen, für die geistiger Tee, den sie genießen können, mit leiblichem ohne allen Nachteil für ihre Ruhe bereitet wird in Masse, derlei nicht mehr, und eine ehrliche Haut von beliebtem Dichter, will er sich erhalten in Tees und Taschenbüchern, darf höchstens mit Mühe ein paar Nasenstüber oder ein Ohrfeiglein einschwärzen. Wo dergleichen vorkommt, das ist dann gleich eine sogenannte komische Geschichte. – Aber was Tee – was gebildete Damen! – Sieh in mir, o mein Ottmar, deinen gewappneten Beschützer und prügle erklecklich in allen Novellen, die du noch etwa zu schreiben entschlossen, und der Prügel halber rühme ich dich!«

»Und ich«, fuhr Theodor fort, »und ich des anmutigen Trios halber, das Capuzzi, der Pyramiden-Doktor und die etwas greuliche kastratische Mißgeburt bilden, sowie auch deshalb, weil die verwunderliche Art, wie Salvator Rosa, der nie als Held des Stücks, sondern nur als Vermittler eingreift, sehr mit dem Charakter übereinstimmt, wie er geschildert wird und wie er auch aus seinen Werken spricht.«

»Ottmar«, sagte Sylvester, »hat sich mehr an das Abenteuerliche gehalten, das in Salvators Charakter lag, und weniger die ernste finstre Seite herausgekehrt. Mir fällt bei dieser Gelegenheit das berühmte Sonett ein, in dem Salvator seinen Namen (Salvator) allegorisierend den tiefen Unmut ausspricht über seine Feinde und Verfolger, welche behaupteten, daß er in seinen Gedichten, denen man mit Recht Schroffheit und Mangel an innerem Zusammenhang vorwirft, Werke älterer Meister geplündert. Es heißt ungefähr:

Wohl darum nur, weil Heiland man mich nannte
    Hör: ›Kreuzigt ihn!‹ das wilde Volk ich toben?
    Doch recht! – der Brut aus Haß und Neid gewoben,
    Verzoll mit Schmerz ich Ruhm, den sie nie kannte.

Es fragen dem Pilatus treu Verwandte,
    Ob mir der Lieder Lorbeer sei erhoben?
    Und manches Petrus' Treu seh ich zerstoben,
    Judasse nahn sich mir, der Höll Gesandte.

Es schwört der Juden treulos finstre Rotte,
    Daß aus dem Heiligtum geraubt ich hätte,
    Den Glanz, die Herrlichkeit dem mächtgern Gotte.

Doch anders reiht sich Glied an Glied der Kette.
    Die Schächer sie, nicht Heiland ich zum Spotte,
    Was Pindus mir, ist ihnen Schädelstätte!«

»Ich erinnere mich«, sprach Lothar, »dieses Sonetts in der Ursprache sehr wohl, und finde, daß unser Sylvester das Rauhe, das Harte des Originals nicht übel wiedergegeben hat. – Doch um noch einmal auf Ottmars sogenannte Novelle zurückzukommen, so halte ich meinesteils es für den größten Übelstand, daß Ottmar statt einer in allen Teilen zum Ganzen sich rundenden Erzählung, nur vielmehr eine Reihe Bilder geliefert hat, die indessen manchmal ergötzlich genug sind.«

»Muß ich«, rief Ottmar, »muß ich dir denn nicht recht geben, mein Lothar? Aber gestehen werdet ihr mir alle, daß ein gar geschickter Segler dazu gehört, um die Klippe zu umschiffen, an der ich gescheitert.«

»Gefährlicher«, sagte Sylvester, »möchte diese Klippe wohl noch dramatischen Dichtern sein. Nichts ist wenigstens für mich verdrießlicher, als z. B. statt eines Lustspiels in dem alles, was geschieht fest an den Faden gereiht sein, der sich durch das Ganze zieht, in dem alles als unbedingt zum Gebilde des Ganzen notwendig erscheinen soll, nur eine Reihe willkürlicher Begebenheiten oder gar einzelner Situationen zu schauen. Und auch zu dieser leichtsinnigen Behandlung des Lustspiels, hat der rüstigste Theaterschreiber der letztvergangenen Zeit das Signal gegeben. Enthalten z. B. die Pagenstreiche denn mehr als eine Reihe possenhafter Einfälle, die nach Willkür zusammengewürfelt scheinen? – In älterer Zeit, der man überhaupt, rücksichts der dramatischen Kunst, wohl den tiefern Ernst nicht wird absprechen können, mühte sich jeder Lustspieldichter um einen tüchtigen Plan, aus dem sich dann das Komische, Drollige oder auch nur Possenhafte von selbst ergab, weil dies unerläßlich schien. Bei Jünger, der nur oft gar zu flach erscheint, war dies gewiß der Fall, und auch dem nur zu prosaischen Bretzner fehlte es gar nicht an Talent, das Lustige aus dem dazu geschickt erfundenen Plane hervorströmen zu lassen. Auch haben seine Charaktere oft wahre, der regen Wirklichkeit entnommene Lebenskraft, wie z. B. der Eheprokurator. Nur möchten uns seine gescheut parlierenden Damen jetzt völlig ungenießbar sein. Darum schätze ich ihn dennoch sehr.«

»Mit mir«, nahm Theodor das Wort, »hat er es durch seine Opern ganz und gar verdorben, die als Muster gelten können, wie Opern nicht gedichtet werden müssen.«

»Rührt«, sprach Vinzenz, »rührt bloß davon her, weil der Wohlselige, wie Sylvester sehr richtig bemerkt hat, etwelche Poesie nicht sonderlich verspüren ließ, und in dem romantischen Gebiet der Oper nicht Steg und Weg zu finden wußte. Weil ihr aber nun so über das Lustspiel sprecht, so könnte ich mit Nutzen beibringen, daß ihr die Zeit verderbt mit Räsonieren über ein Nonens und euch zurufen, wie Romeo dem Merkutio: ›Still, o still, ihr guten Leut! – ihr sprecht von einem Nichts!‹ – Ich vermeine nämlich, daß wir allzumal gar kein eigentliches wahrhaftes deutsches Lustspiel repräsentieren sehen, aus dem einfachen Grunde, weil die verjährten nicht mehr verdaut werden können, der Schwäche unserer Magen halber, und neue nicht mehr geschrieben werden. Woher letzteres kommt, das werde ich ganz kürzlich in einer Abhandlung von höchstens vierzig Bogen dartun, euch aber vor der Hand mit einem Wortspiel abfertigen. Es fehlt, sage ich nämlich, uns am Lustspiel hauptsächlich deshalb, weil es uns an der Lust fehlt, die mit sich selbst spielt, und an dem Sinn dafür.«

»Dixi«, rief Sylvester lachend, »dixi und der Name: Vinzenz darunter, und gestempelt und gesiegelt! – Ich denke aber eben daran, daß in die unterste Klasse dramatischer oder vielmehr zur Darstellung auf der Bühne bestimmter Erzeugnisse, wohl die sogenannten Schubladen-Stückchen gehören möchten, in denen irgendein gewandter Pfiffikus einen ehrsamen Oheim – Theaterdirektor u. s. w. durch mancherlei zum Teil alberne Verkleidungen neckt und foppt. Und doch war vor gar nicht langer Zeit derlei nüchternes mageres Zeug beinahe das tägliche Brot jeder Bühne. Jetzt scheint es damit ein wenig nachzulassen.«

»Aufhören«, nahm Theodor das Wort, »aufhören wird es nie, solange es eitle Schauspieler gibt, denen ja in der Welt nichts gelegener sein kann, als an einem und demselben Abend, Gestalt und Farbe auf das verschiedenartigste wechselnd, sich als chamäleontische Wunder anstaunen zu lassen. Recht in das Innerste hinein habe ich jedesmal über die sich apotheosierende Selbstgenügsamkeit lachen müssen, mit der nach überstandener Seelenwanderung dann der letzten Puppe das Ich des Schauspielers als schöner Schmetterling entfliegt. Gewöhnlich ist es ein netter, geschniegelter Nachtfalter, schwarz gekleidet, in seidenen Strümpfen, den Dreieck unterm Arm, der es von dem Augenblick an nur mit dem in Erstaunen gesetzten Publikum zu tun hat, und sich nicht mehr um den kümmert, der ihm Frondienste geleistet. Kann, wie in Wilhelm Meisters Lehrjahren zu lesen, ein bestimmtes Fach einen Schauspieler dazu verbinden, alle diejenigen Rollen zu übernehmen, in denen es Prügel oder irgendeine andere Mißhandlung gibt, so könnte und müßte auch jede Bühne ein, jenem Alten im Meister ähnliches Subjekt besitzen, das jenes Frondienst ein für allemal zu verrichten, und die nötigen Theaterdirektoren u. s. w. zu spielen hätte. Zu tun gäb's immer, denn wenigstens jeder gastierende Schauspieler hat gewiß solch ein Stück in der Tasche als Eingangspaß und Kreditbrief.«

»Mir fällt«, sprach Lothar, »dabei ein gar absonderlicher Mann ein, den ich in einer kleinen süddeutschen Stadt, bei einer Schauspielertruppe fand, und in dem mir ganz und gar jener vortreffliche Pedant aus dem Wilhelm Meister auflebte. So unausstehlich er jetzt auf dem Theater war, wenn er seine kleinen Rollen in heilloser Monotonie herbetete, so sagte man doch, er sei sonst in jüngeren Jahren ein sehr guter Schauspieler gewesen, und habe z. B. jene schlauen spitzbübischen Gastwirte, wie sie in alter Zeit beinahe in jedem Lustspiel vorkamen, und über deren gänzliches Verschwinden von der Bühne schon der Wirt in Tiecks verkehrter Welt klagt, und sich mehr auf den Hofrat gelegt zu haben wünscht, ganz vortrefflich gespielt. Jetzt schien er mit dem Schicksal, das ihn freilich hart verfolgt hatte, gänzlich abgeschlossen zu haben, und in gänzlicher Apathie auf nichts in der Welt, am wenigstens aber auf sich selbst einigen Wert zu legen. Nichts durchdrang die Kruste, die der Anwurf der gemeinsten Erbärmlichkeit um sein besseres Ich gebildet, und er gefiel sich darin wohl. Und doch strahlte aus seinen tiefliegenden, geistreichen Augen, oft der Funke eines höheren Geistes und schnell zuckte dann der Ausdruck einer bittern Ironie über sein Gesicht hin, so daß das übertrieben unterwürfige Wesen, das er gegen alle, vorzüglich aber gegen seinen Direktor, einen jungen geckhaft eiteln Mann annahm, nur schalkische Verhöhnung schien. Sonntags pflegte er in einem reinlichen wohlgebürsteten Anzuge, dessen abenteuerliche Farbe und noch abenteuerlicherer Zuschnitt den Schauspieler aus verjährter Zeit verkündete, am untersten Ende der Wirtstafel des ersten Gasthofes in der Stadt zu sitzen, und ohne ein einziges Wort zu sprechen es sich wohlschmecken zu lassen, wiewohl er, vorzüglich was den Wein betraf, sehr mäßig war, und beinahe nur zur Hälfte die Flasche leerte, die man ihm hingestellt. Bei jedem Glase, das er sich einschenkte bückte er sich demütig gegen den Wirt, der ihm sonntags einen Freitisch gab, da er die Kinder im Schreiben und Rechnen unterrichtete. Es begab sich, daß ich an einem Sonntage die Wirtstafel besetzt, und nur noch einen Platz leer fand neben dem Alten. Flugs setzte ich mich hin, hoffend daß es mir gelingen werde, den bessern Geist, der in dem Mann verschlossen sein mußte, heraufzutagen. Es war schwer, beinahe unmöglich, dem Alten beizukommen, glaubte man ihn zu fassen, so duckte er schnell unter, und verkroch sich in lauter Demut und Unterwürfigkeit. Endlich, nachdem ich ihm mit großer Mühe ein paar Gläser kräftigen Weins eingenötigt, schien er etwas aufzutauen, und sprach mit sichtlicher Rührung von der alten guten Theaterzeit, die nun verschwunden sei und nie wiederkehre. Die Tafel wurde aufgehoben, ein paar Freunde fanden sich zu mir, der Schauspieler wollte fort. Ich hielt ihn fest, unerachtet er auf das wehmütigste protestierte: ein armer abgelebter Schauspieler sei keine Gesellschaft für solche würdige Herren, es schicke sich ja gar nicht für ihn zu bleiben, er gehöre ja gar nicht hieher, und könne nur geduldet werden des bißchen Essens halber u. s. w. Nicht sowohl meiner Überredungskraft, als der unwiderstehlichen Verlockung einer Tasse Kaffee, und einer Pfeife des feinsten Knasters, den ich bei mir führte, durfte ich es wohl zuschreiben, daß er blieb. Er sprach mit Lebhaftigkeit und Geist von der alten Theaterzeit, er hatte noch Eckhof gesehen, mit Schrödern gespielt – genug es offenbarte sich, daß seine ihn vernichtende Verstimmung wohl daher rührte, daß jene Zeit die abgeschlossene Welt war, in der er frei atmete, frei sich bewegte, und daß aus ihr herausgeworfen er durchaus keinen festen Standpunkt zu fassen vermochte. Wie sehr überraschte uns aber der Mann, als er endlich, ganz heiter und treuherzig geworden, mit einer Kraft des Ausdrucks, die das Innerste durchdrang, die Rede des Geistes aus dem Hamlet nach der Schröderschen Bearbeitung (die Schlegelsche Übersetzung kannte er gar nicht) hersagte. Bewundern mußten wir ihn aber auf das höchste, als er mehrere Stellen aus der Rolle des Oldenholm (den Namen Polonius wollte er nicht gelten lassen) auf eine Weise sprach, daß wir den kindisch gewordenen Höfling, dem es sonst gewiß nicht an Lebensweisheit fehlte, und der noch sichtliche Spuren davon blicken läßt, ganz vor Augen hatten, welches manchmal bei der wirklichen Erscheinung auf der Bühne nicht der Fall ist. – Das alles war aber nur das Vorspiel einer Szene, wie ich sie niemals sah, und die mir unvergeßlich bleiben wird! – Hier komme ich nun erst eigentlich darauf was mich jetzt bei unserm Gespräch an meinen alten Schauspieler erinnerte, und verzeihen möget ihr mir's, meine würdigen Serapions-Brüder, wenn die Einleitung etwas zu lang ausfiel. – Mein Mann mußte nun eben auch jene erbärmliche Hülfsrollen übernehmen, von denen ihr spracht und so sollte er auch einige Tage darauf den Schauspieldirektor in den Proberollen spielen, die sich der Theaterdirektor selbst, der darin zu glänzen glaubte, nach seiner Art und Weise zugerichtet hatte. Sei es nun, daß jener Nachmittag seinen innern bessern Sinn aufgeregt hatte oder daß er vielleicht selbigen Tages, wie es nachher verlauten wollte, seiner Gewohnheit ganz entgegen seine Geisteskraft gestählt hatte durch Wein, genug, schon bei seinem ersten Auftreten erschien er ein ganz anderer, als der er sonst gewesen. Seine Augen funkelten und die hohle schwankende Stimme des abgelebten Hypochonders war umgewandelt in einen hellen tönenden Baß wie ihn joviale Leute älteren Schlags z. B. reiche Onkel, die die poetische Gerechtigkeit handhabend die Narrheit züchtigen und die Tugend belohnen, zu sprechen pflegen. Der Eingang ließ sonst nichts Besonders ahnen. Doch wie erstaunte das Publikum, als sich, nachdem die erste Verkleidungsszene vorüber, der seltsame Mensch mit sarkastischem Lächeln zu ihm wandte und ungefähr also sprach: ›Sollte ein hochverehrtes Publikum nicht ebensogut wie ich auf den ersten Blick unsern guten (er nannte den Namen des Direktors) erkannt haben? – Ist es möglich, die Kraft der Täuschung auf einen so und wieder anders zugeschnittenen Rock, auf eine mehr oder minder zerzauste Perücke zu basieren und dadurch ein dürftiges Talent, dem kein tüchtiger Geist Nahrung spendet, mühsam aufpäppeln zu wollen, wie ein von der nährenden Mutter verlassenes Kind? – Der junge Mensch, der auf solch ungeschickte Weise sich mir als ein vielseitiger Künstler, als ein chamäleontisches Genie darstellen will, hätte nun gleich nicht so übermäßig mit den Händen fechten, nicht bei jeder Rede wie ein Taschenmesser zusammenfallen, das R nicht so schnurren sollen, und ich glaube, ein hochverehrtes Publikum sowohl als ich, hätte unsern kleinen Direktor nicht stracks erkannt, wie es nun so geschehen ist, daß es zum Erbarmen! – Doch da das Stück noch eine halbe Stunde spielen muß, so will ich mich noch diese Zeit hindurch so stellen, als merkte ich nichts, unerachtet mir das Ding herzlich langweilig ist und zuwider!‹ – Genug! – nach jedem neuen Auftritt des Direktors ironierte der Alte sein Spiel auf die ergötzlichste Weise und man kann denken, daß dies unter dem schallenden Gelächter des Publikums geschah. Sehr lustig war es auch, daß der, mit dem beständigen Umkleiden beschäftigte Direktor, bis zur letzten Szene nichts von dem Streich merkte, der ihm auf dem Theater gespielt wurde. Es mochte sein, daß der Alte mit dem Theaterschneider sich im bösen Komplott befand, denn so viel war gewiß, daß die Garderobe des unglückseligen Direktors in die größte Unordnung geraten, so daß die Zwischenszenen, die der Alte ausfüllen mußte, viel länger dauerten als gewöhnlich, und er Zeit genug hatte, eine Fülle des bittersten Spotts über den armen Direktor ausströmen zu lassen, ja sogar ihm manches mit einer schalkischen Wahrheit nachzusprechen und nachzuspielen, die das Publikum außer sich selbst setzte. Das ganze Stück war auf den Kopf gestellt, so daß die lückenbüßerischen Zwischenszenen zur Hauptsache wurden. – Herrlich war es auch wohl, daß der Alte zuweilen dem Publikum schon vorhersagte, wie nun der Direktor erscheinen würde, Miene und Stellung nachahmend, und daß dieser das schallende Gelächter das ihn empfing, und das der treffenden Schilderung galt, die der Alte gegeben, zu seiner großen Zufriedenheit, lediglich seiner gelungenen Maske zuschrieb. – Zuletzt mußte denn nun wohl das Beginnen des Alten dem Direktor klar werden, und man kann denken, daß er auf ihn losfuhr wie ein gehetzter Eber, so daß der Alte sich kaum vor Mißhandlungen retten konnte, und die Bühne nicht mehr betreten durfte. Dagegen hatte den Alten aber das Publikum so liebgewonnen und nahm seine Partie so lebhaft, daß der Direktor noch dazu seit jenem Abend mit dem Fluch des Lächerlichen belastet, es geraten fand, sein kleines Theater zu schließen und weiterzuziehen. Mehrere ehrsame Bürger, an ihrer Spitze stand jener Gastwirt, traten aber zusammen, und verschafften dem Alten ein artiges Auskommen, so daß er der Theaterhudelei auf immer entsagend ein ruhiges sorgenfreies Leben am Orte führen konnte. Doch wunderlich, ja unergründlich ist das Gemüt eines Schauspielers. Nicht ein Jahr war vergangen als der Alte plötzlich vom Orte verschwand, niemand wußte wohin! – Nach einiger Zeit wollte man ihn bei irgendeiner erbärmlichen herumziehenden Schauspielertruppe gesehen haben, ganz in demselben nichtswürdigen Verhältnis, dem er kaum entgangen.«

»Mit«, nahm Ottmar das Wort, »mit geringer angefügter Nutzanwendung gehört dieses Anekdoton von dem Alten in den Moralkodex für Schauspieler und für die, die es werden wollen.«

– Cyprian war indessen schweigend aufgestanden, und hatte sich, nachdem er einigemal im Zimmer auf und ab geschritten, hinter die herabgelassenen Gardinen ins Fenster gestellt. In dem Augenblick als Ottmar schwieg stürmte es heulend und tobend hinein, die Lichter drohten zu verlöschen, Theodors ganzer Schreibtisch wurde lebendig, hundert Papierchen rauschten auf und trieben im Zimmer umher und die Saiten des offenstehenden Fortepianos ächzten laut auf.

»Hei – hei!« rief Theodor, als er seine literarischen Notizen, und wer weiß was sonst noch Geschriebenes, dem tobenden Herbststurm preisgegeben sah, »hei hei, Cyprianus, was machst du!« – Und alle Freunde mühten sich, die Lichter zu retten, und sich selbst vor dem hereintosenden Schneegestöber. –

»Es ist wahr«, sprach Cyprian, indem er das geöffnete Fenster wieder zuwarf, »es ist wahr, das Wetter leidet es nicht, daß man hinausschaue wie es damit steht.« »Sage«, nahm Sylvester das Wort, indem er den ganz zerstreuten Cyprian bei beiden Händen faßte und ihn nötigte den verlassenen Platz wieder einzunehmen, »sage mir nur Cyprian, wo du weiltest, in welche fremde Region du dich verirrt hattest, denn ferne gar ferne von uns hatte dich dein unsteter Geist doch wieder fortgetragen.«

»Nicht«, erwiderte Cyprian, »nicht so fern von euch befand ich mich, als du wohl denken magst, und gewiß ist es, daß eben euer Gespräch mir das Tor öffnete zur Abfahrt. – Eben da ihr so viel von dem Lustspiel sprachst, und Vinzenz den richtigen Erfahrungssatz aufstellte, daß uns die Lust abhanden gekommen, die mit sich selbst spielt, so fiel mir ein, daß sich dagegen in neuerer und neuster Zeit doch in der Tragödie manches wackre Talent erhoben. Mit diesem Gedanken faßte mich aber die Erinnerung an einen Dichter, der mit wahrhafter hochstrebender Genialität begann, aber plötzlich, wie von einem verderblichen Strudel ergriffen unterging, so daß sein Name kaum mehr genannt wird.« »Da«, sprach Ottmar, »stößest du gerade an gegen Lothars Prinzip, welcher zu behaupten pflegt, daß das wahrhafte Genie niemals untergehe.«

»Und«, fuhr Cyprian fort, »und Lothar hat recht, wenn er meint, daß der wildeste Sturm des Lebens nicht vermag, die Flamme zu verlöschen die wahrhaft aus dem Innersten emporgelodert, daß die bittersten Widerwärtigkeiten, die bedrängtesten Verhältnisse vergebens ankämpfen, gegen die innere Göttermacht des Geistes, daß der Bogen sich nur spannt, um desto kräftiger loszuschnellen. Wie aber, wenn in dem ersten tiefsten Keim der Embryo des giftigen Wurms lag, der entwickelt mitgeboren mit der schönen Blüte an ihrem Leben nagt, so daß sie ihren Tod in sich selber trägt, und es keines Sturms bedarf sie zu vernichten?«

»So fehlte«, rief Lothar, »es deinem Genius an dem ersten Bedingnis, das dem Tragödiendichter, der frei und kräftig ins Leben treten will, unerläßlich ist. Ich meine nämlich, daß solch eines Dichters Gemüt unbedingt vollkommen gesund, frei von jedem Kränkeln sein müsse, wie es wohl psychische Schwächlichkeit oder um mit dir zu reden, auch wohl irgendein mitgebornes Gift erzeugen mag. Wer konnte und kann sich solcher Gesundheit des Gemüts wohl mehr rühmen, als unser Altvater Goethe? – Mit solcher ungeschwächten Kraft, mit solcher innern Reinheit wurden Helden erzeugt wie Götz von Berlichingen – Egmont! – Und will man unserm Schiller vielleicht jene Heroenkraft nicht in dem Grade einräumen, so ist es wieder der reine Sonnenglanz des innigsten Gemüts, der seine Helden umstrahlt, in dem wir uns wohltätig erwärmt, ebenso kräftig und stark fühlen als es der Schöpfer im Innersten sein mußte. Doch vergessen muß man ja nicht den Räuber Moor, den Ludwig Tieck mit vollem Recht, das titanenartige Geschöpf einer jungen und kühnen Imagination nennt. – Wir kommen indessen ganz von deinem Tragödiendichter ab, Cyprianus, und ich wollte du rücktest nun ohne weiteres damit heraus wen du meinst, unerachtet ich es zu ahnen glaube.«

»Beinahe«, sprach Cyprian, »wäre ich, wie ich es heute schon einmal getan, aufs neue hineingefahren in euer Gespräch mit absonderlichen Worten, die ihr nicht zu deuten wußtet, da ihr die Bilder meines wachen Traums nicht geschaut. – Aber ich rufe nun dennoch: Nein! seit Shakespeares Zeiten ging solch ein Wesen nicht über die Bühne, wie dieser übermenschliche fürchterlich grauenhafte Greis! – Und damit ihr nicht einen Augenblick länger in Zweifel bleibt, so füge ich gleich hinzu, daß kein Dichter der neueren Zeit sich einer solch hochtragischen gewaltigen Schöpfung erfreuen kann als der Dichter der Söhne des Tales.«


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