E. T. A. Hoffmann
Die Serapions-Brüder
E. T. A. Hoffmann

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Beschluß

Die Gräfin Mathilde hatte sich indessen nach dem Garten der Wartburg begeben und Wolfframb von Eschinbach war ihr dahin nachgefolgt.

Als er sie nun fand, wie sie unter schönen blühenden Bäumen auf einer blumigen Rasenbank saß, die Hände auf dem Schoß gefaltet, das schöne Haupt in Schwermut niedergesenkt zur Erde, da warf er sich der holden Frau zu Füßen, keines Wortes mächtig. Mathilde umfing voll sehnsüchtigen Verlangens den Geliebten. Beide vergossen heiße Tränen vor süßer Wehmut, vor Liebesschmerz. »Ach Wolfframb«, sprach Mathilde endlich, »ach Wolfframb, welch ein böser Traum hat mich berückt, wie habe ich mich, ein unbedachtsames verblendetes Kind, hingegeben dem Bösen, der mir nachstellte? Wie habe ich mich gegen dich vergangen! Wirst du mir denn verzeihen können!«

Wolfframb schloß Mathilden in seine Arme und drückte zum erstenmal brennende Küsse auf den süßen Rosenmund der holdseligsten Frau. Er versicherte, wie sie fortwährend in seinem Herzen gelebt, wie er der bösen Macht zum Trotz ihr treu geblieben, wie nur sie allein, die Dame seiner Gedanken, ihn zu dem Liede begeistert, vor dem der Böse gewichen. »O«, sprach Mathilde, »o mein Geliebter, laß es dir nur sagen, auf welche wunderbare Weise du mich errettet hast aus den bösen Schlingen, die mir gelegt. In einer Nacht, nur kurze Zeit ist darüber verstrichen, umfingen mich seltsame, grauenvolle Bilder. Selbst wußt ich nicht, war es Lust oder Qual, was meine Brust so gewaltsam zusammenpreßte, daß ich kaum zu atmen vermochte. Von unwiderstehlichem Drange getrieben, fing ich an, ein Lied aufzuschreiben, ganz nach der Art meines unheimlichen Meisters, aber da betäubte ein wunderliches halb wohllautendes, halb widrigklingendes Getön meine Sinne und es war, als habe ich statt des Liedes die schauerliche Formel aufgeschrieben, deren Bann die finstre Macht gehorchen müsse. Eine wilde entsetzliche Gestalt stieg auf, umfaßte mich mit glühenden Armen und wollte mich hinabreißen in den schwarzen Abgrund. Doch plötzlich leuchtete ein Lied durch die Finsternis, dessen Töne funkelten wie milder Sternenschimmer. Die finstre Gestalt hatte ohnmächtig von mir ablassen müssen, jetzt streckte sie aufs neue grimmig die glühenden Arme nach mir aus, aber nicht mich, nur das Lied, das ich gedichtet, konnte sie erfassen und damit stürzte sie sich kreischend in den Abgrund. Dein Lied war es, das Lied, das du heute sangst, das Lied, vor dem der Böse weichen mußte, war es, was mich rettete. Nun bin ich ganz dein, meine Lieder sind nur die treue Liebe zu dir, deren überschwengliche Seligkeit keine Worte zu verkünden vermögen!« – Aufs neue sanken sich die Liebenden in die Arme und konnten nicht aufhören von der überstandnen Qual, von dem süßen Augenblick des Wiederfindens zu reden.

Mathilde hatte aber in derselben Nacht, in welcher Wolfframb den Nasias völlig überwand, im Traum das Lied deutlich gehört und verstanden, welches Wolfframb damals in der höchsten Begeisterung der innigsten frömmsten Liebe sang, und dann auf der Wartburg im Kampf seinen Gegner besiegend wiederholte.

Wolfframb von Eschinbach saß zur späten Abendzeit einsam, auf neue Lieder sinnend, in seinem Gemach. Da trat sein Hauswirt Gottschalk zu ihm hinein und rief freudig: »O mein edler, würdiger Herr, wie habt Ihr mit Eurer hohen Kunst doch den Bösen besiegt. Verlöscht von selbst sind die häßlichen Worte in Eurem Gemach. Tausend Dank sei Euch gezollt. – Aber hier trage ich etwas für Euch bei mir, das in meinem Hause abgegeben worden zur weiteren Förderung.« Damit überreichte Gottschalk ihm einen zusammengefalteten, mit Wachs wohlversiegelten Brief.

Wolfframb von Eschinbach schlug den Brief auseinander. Er war von Heinrich von Ofterdingen und lautete also:

»Ich begrüße dich, mein herzlicher Wolfframb! wie einer, der von der bösen Krankheit genesen ist, die ihm den schmerzlichsten Tod drohte. Es ist mir viel Seltsames begegnet, doch – laß mich schweigen über die Unbill einer Zeit, die hinter mir liegt wie ein dunkles, undurchdringliches Geheimnis. Du wirst noch der Worte gedenken, die du sprachst, als ich mich voll törichten Übermuts der innern Kraft rühmte, die mich über dich, über alle Meister erhöbe. Du sagtest damals, vielleicht würde ich mich plötzlich an dem Rande eines tiefen bodenlosen Abgrunds befinden, preisgegeben den Wirbeln des Schwindels und dem Absturz nahe; dann würdest du festen Mutes hinter mir stehen, und mich festhalten mit starken Armen. Wolfframb! es ist geschehen, was deine ahnende Seele damals weissagte. An dem Rande des Abgrundes stand ich und du hieltst mich fest, als schon verderbliche Schwindel mich betäubten. Dein schöner Sieg ist es, der, indem er deinen Gegner vernichtete, mich dem frohen Leben wiedergab. Ja mein Wolfframb! vor deinem Liede sanken die mächtigen Schleier, die mich umhüllten, und ich schaute wieder zum heitern Himmel empor. Muß ich dich denn deshalb nicht doppelt lieben? – Du hast den Klingsohr als hohen Meister erkannt. Er ist es; aber wehe dem, der nicht begabt mit der eigentümlichen Kraft, die ihm eigen, es wagt ihm gleich entgegenzustreben dem finstern Reich, das er sich erschlossen. – Ich habe dem Meister entsagt, nicht mehr schwanke ich trostlos umher an den Ufern des Höllenflusses, ich bin wiedergegeben der süßen Heimat. – Mathilde! – Nein es war wohl nicht die herrliche Frau, es war ein unheimlicher Spuk, der mich erfüllte mit trügerischen Bildern eitler irdischer Lust! – Vergiß, was ich im Wahnsinn tat. Grüße die Meister und sage ihnen, wie es jetzt mit mir steht. Lebe wohl, mein innig geliebter Wolfframb. Vielleicht wirst du bald von mir hören!«

Einige Zeit war verstrichen, da kam die Nachricht nach der Wartburg, daß Heinrich von Ofterdingen sich am Hofe des Herzogs von Österreich, Leopolds des Siebenten befinde, und viele herrliche Lieder singe. Bald darauf erhielt der Landgrat Hermann eine saubere Abschrift derselben nebst den dabeigesetzten Singweisen. Alle Meister freuten sich herzinniglich, da sie überzeugt wurden, daß Heinrich von Ofterdingen allem Falschen entsagt und trotz aller Versuchung des Bösen doch sein reines frommes Sängergemüt bewahrt hatte.

So war es Wolfframbs von Eschinbach hohe, dem reinsten Gemüt entströmende Kunst des Gesanges, die im glorreichen Siege über den Feind die Geliebte rettete und den Freund vom böslichen Verderben.

 

Die Freunde urteilten über Cyprians Erzählung auf verschiedene Weise. Theodor verwarf sie ganz und gar. Er behauptete, Cyprian habe ihm das schöne Bild von dem im tiefsten Gemüt begeisterten Heinrich von Ofterdingen, wie es ihm aus dem Novalis aufgegangen, durchaus verdorben. Der herrliche Jüngling erscheine, so wie er ihn dargestellt, unstet, wild, im Innersten zerrissen, ja beinahe ruchlos. Vorzüglich aber tadelte Theodor, daß die Sänger vor lauter Anstalten zum Gesange gar nicht zum Singen kämen. Ottmar pflichtete ihm zwar bei, meinte indessen, daß wenigstens die Vision im Vorbericht serapiontisch zu nennen. Cyprian möge sich nur hüten irgendeine alte Chronik aufzuschlagen, da solche Leserei ihn, wie Figura zeige, sehr leicht in ein fremdes Gebiet verlocke, in dem er, ein nicht heimischer Fremdling und mit keinem sonderlichen Ortsinn begabt, in allen nur möglichen Irrwegen umherschwanke, ohne jemals den richtigen Steg und Weg finden zu können.

Cyprian schnitt ein verdrießliches Gesicht, sprang heftig auf, trat vor den Kamin und war im Begriff sein zusammengerolltes Manuskript in das lodernde Feuer zu werfen.

Da erhob sich Lothar, schritt rasch auf den verstimmten Freund los, drehte ihn bei den Schultern herum, laut auflachend, und sprach dann einen feierlichen Ton annehmend: »Widerstehe, o mein Cyprianus! tapfer dem bösen Dichterhochmuts-Teufel, der dich eben zupft und dir allerlei häßliche Dinge in die Ohren raunt. – Ich will dich anreden mit der Beschwörungsformel des wackern Junkers Tobias von Rülp. ›Komm, komm! Tuck Tuck! – Mann! es streitet gegen alle Ehrbarkeit mit dem Teufel Knicker zu spielen. Fort mit dem garstigen Schornsteinfeger!‹ – Ha! Dein Gesicht heitert sich auf – Du lächelst? – Siehst du nun wohl, wie ich Macht habe über den Bösen? – Aber nun will ich heilenden Balsam träufeln auf die Wunden, die dir der Freunde scharfe Reden geschlagen. – Nennt Ottmar den Vorbericht serapiontisch, so möchte ich dasselbe von der Erscheinung Klingsohrs und des feurigen Teufels Nasias behaupten. Auch dünkt mir der kleine wimmernde automatische Sekretär kein zu verwerfender Schnörkel. Tadelt Theodor die Art wie du den Heinrich von Ofterdingen dargestellt, so fandest du wenigstens zu deinem Bilde die Vorzeichnung im Wagenseil. Meinte er aber, daß die Sänger vor lauter Anstalten zum Gesange nicht zum Singen kommen, so weiß ich in der Tat nicht recht, was er damit sagen will. Er weiß es vielleicht selbst nicht. Ich will nämlich nicht hoffen, daß er von dir verlangt, du hättest einige Verslein als die von den Sängern gesungenen Lieder einschieben sollen. Eben daß du das nicht tatest, sondern es der Fantasie des Lesers überließest sich die Gesänge selbst zu dichten, gereicht dir zum großen Lob. – Verslein in einer Erzählung wollen mir nämlich deshalb nicht behagen, weil sie in der Regel matt und lahm dazwischen hinken und das Ganze nur fremdartig unterbrechen. Der Dichter, die Schwäche des Stoffs an irgendeiner Stelle lebhaft fühlend, greift in der Angst nach den metrischen Krücken. Hilft er sich aber damit auch wirklich weiter, so ist solch ein Schreiten im gleichförmig wackelnden Klippklapp doch niemals der starke frische Schritt des Gesunden. Es ist aber wohl überhaupt eine eigne Mystifikation unserer Neueren, daß sie ihr Heil lediglich in dem äußern metrischen Bau suchen, nicht bedenkend, daß nur der wahrhaft poetische Stoff dem metrischen Fittich den Schwung gibt. Der somnambule Rausch, den wohlklingende Verse ohne weitern sonderlichen Inhalt zu bewirken imstande sind, gleicht dem, in den man wohl verfallen mag, bei dem Klappern einer Mühle oder sonst! – Es schläft sich herrlich dabei! – Dies alles im Vorbeigehen gesagt für unsern musikalischen Freund Theodor, den oft der Wohlklang leerer Verse besticht und den oft selbst ein sonettischer Wahnsinn befällt, in dem er ganz verwunderliche automatische Ungeheuerchen schafft. – Nun zurück zu dir o mein Cyprianus! – Brüste dich nicht mit deinem Kampf der Sänger, denn auch mir will das Ding nicht recht gefallen, aber gerade den Feuertod verdient es nicht! – Folge den Gesetzen des Landes, die die Mißgeburt verschonen, welche einen menschlichen Kopf hat. Und nun meine ich sogar, daß dein Kind nicht allein keine Mißgeburt zu nennen, sondern noch dazu nächst dem menschlichen Kopf auch nicht übel geformt ist, nur etwas schwächlich in den Gliederchen!«

Cyprian schob das Manuskript in die Tasche und sprach dann lächelnd: »Aber Freunde! kennt ihr denn nicht meine Art und Weise? Wißt ihr denn nicht, daß, wenn ich mich über etwanigen Tadel meiner Schöpfungen was weniges erbose, dies nur darum geschieht, weil ich ihre Schwäche und die Richtigkeit des Tadels recht lebhaft im Innern fühle! – Doch aber nun kein Wort mehr von meiner Erzählung.«

Die Freunde kamen im Gespräch bald auf den mystischen Vinzenz und seinen Wunderglauben zurück. Cyprian meinte, dieser Glauben müsse in jedem wahrhaft poetischen Gemüt wohnen, und eben deshalb habe auch Jean Paul über den Magnetismus solche hochherrliche Worte ausgesprochen, daß eine ganze Welt voll hämischer Zweifel dagegen nicht aufkomme. Nur in der Poesie liege die tiefere Erkenntnis alles Seins. Die poetischen Gemüter wären die Lieblinge der Natur und töricht sei es zu glauben, daß sie zürnen solle, wenn diese Lieblinge darnach trachteten das Geheimnis zu erraten, das sie mit ihren Schleiern bedecke, aber nur wie eine gute Mutter, die das köstliche Geschenk den Kindern verhüllt, damit sie sich desto mehr freuen sollen, wenn, ist ihnen die Enthüllung gelungen, die herrliche Gabe hervorfunkelt. »Doch nun«, fuhr Cyprian fort, »vorzüglich dir Ottmar zu Gefallen, ganz praktisch gesprochen: wem, der die Geschichte des Menschengeschlechts mit tieferm Blick durchspäht, kann es entgehen, daß, sowie eine Krankheit gleich einem verheerenden Ungeheuer hervortritt, die Natur selbst auch die Waffen herbeischafft es zu bekämpfen, zu besiegen. Und kaum ist dies besiegt als ein anderes Untier neues Verderben bereitet und auch wieder neue Waffen werden erfunden und so bewährt sich der ewige Kampf der den Lebensprozeß, den Organismus der ganzen Welt bedingt. – Wie wenn in dieser alles vergeistigenden Zeit, in dieser Zeit, da die innige Verwandtschaft, der geheimnisvolle Verkehr des physischen und psychischen Prinzips klarer, bedeutender hervortritt, da jede Krankheit des Körpers sich ausspricht im psychischen Organismus, wie wenn da der Magnetismus die im Geist geschaffene Waffe wäre die uns die Natur selbst darreicht, das im Geist wohnende Übel zu bekämpfen?«

»Halt halt«, rief Ottmar, »wo geraten wir hin! – Schon viel zu viel schwatzten wir zuvor von einer Materie die für uns doch ein fremdes Gebiet bleibt, in dem wir nur einige durch Farbe und Aroma verlockende Früchtlein pflücken zum poetischen Verbrauch, oder woraus wir höchstens ein hübsches Bäumchen verpflanzen dürfen in unsern kleinen poetischen Garten. Wie freute ich mich, daß Cyprians Erzählung das ermüdende Gespräch unterbrach, und nun laufen wir Gefahr tiefer hinein zu fallen als vorher. – Von was anderm! – Doch still! – erst geb ich euch einen kleinen Pezzo von unseres Freundes mystischen Bemühungen der euch munden wird. – Die Sache ist kürzlich diese. – Vor geraumer Zeit war ich in einen kleinen Abendzirkel geladen, den unser Freund mit einigen Bekannten gebildet. Geschäfte hielten mich auf, es war sehr spät geworden als ich hinging. Desto mehr wunderte ich mich, daß, als ich vor die Stubentüre trat, drinnen auch nicht das kleinste Geräusch, nicht der leiseste Laut zu vernehmen war. Sollte denn noch niemand sich eingefunden haben? So dacht ich und drückte leise die Türe auf. Da sitzt mein Freund mir gegenüber mit den andern um einen kleinen Tisch herum. Und alle steif und starr wie Bildsäulen schauen totenbleich, im tiefsten Schweigen herauf in die Höhe. – Die Lichter stehen auf einem entfernten Tisch. Man bemerkt mich gar nicht. Voll Erstaunen trete ich näher. Da gewahre ich einen goldnen funkelnden Ring, der sich in den Lüften hin und her schwingt und dann sich im Kreise zu bewegen beginnt. Da murmelt dieser – jener: ›Wunderbar – in der Tat – unerklärlich – seltsam‹ etc. Nun kann ich mich nicht länger halten, ich rufe laut: ›Aber um des Himmels willen, was habt ihr vor!‹

Da fahren sie alle in die Höhe, aber Freund Vinzenz ruft mit seiner gellenden Stimme: ›Abtrünniger! – obskurer Nikodemus, der wie ein Nachtwandler hineinschleicht und die herrlichsten Experimente unterbricht! – Wisse daß sich eben eine Erfahrung, die Ungläubige ohne weiteres in die Kategorie der fabelhaften Wunder stellten, auf das herrlichste bewährt hat. Es kam darauf an, bloß durch den fest fixierten Willen die Pendulschwingungen eines Ringes zu bestimmen. – Ich unternahm es meinen Willen zu fixieren und dachte fest die kreisförmige Schwingung. Lange, lange blieb der an einem seidnen Faden an der Decke befestigte Ring ruhig, doch endlich bewegte er sich in scharfer Diagonale nach mir her und begann eben den Kreis als du uns unterbrachst.‹ ›Wie‹, sprach ich, ›wie wär es aber, lieber Vinzenz, wenn nicht dein fester Wille, sondern der Luftzug, der hineinströmte, als ich die Türe öffnete, den halsstarrig still hängenden Ring zur Schwingung vermocht?‹ – ›O Prosaiker, Prosaiker‹, rief Vinzenz; aber alle lachten!«

»Ei«, sprach Theodor, »die Pendulschwingungen des Ringes haben mich einmal halb wahnsinnig gemacht. So viel ist nämlich gewiß und jeder kann es versuchen, daß die Schwingungen eines goldnen einfachen Ringes, den man an einem feinen Faden über die flache Hand hält, sich ganz entschieden nach dem innern Willen bestimmen. Nicht beschreiben kann ich aber, wie tief, wie spukhaft diese Erfahrung auf mich wirkte. Unermüdlich ließ ich den Ring nach meinem Willen in den verschiedensten Richtungen sich schwingen. Zuletzt ging ich ganz fantastischer Weise so weit, daß ich mir ein förmliches Orakel schuf. Ich dachte nämlich im Innern: Wird dies oder jenes geschehen, so soll der Ring die Diagonale vom kleinen Finger zum Daumen beschreiben, geschieht es nicht, aber die Fläche der Hand quer durchschneiden u. s. w.«

»Allerliebst«, rief Lothar, »du statuiertest also in deinem eignen Innern ein höheres geistiges Prinzip das auf mystische Weise von dir beschworen sich dir kundtun sollte. Da hast du den wahren spiritum familiarem, den Sokratischen Genius. – Nun gibt es nur noch einen ganz kleinen Schritt bis zu den wirklichen Gespenster- und Spukgeschichten, die sehr bequem in der Einwirkung eines fremden psychischen Prinzips ihren Grund finden können.«

»Und«, nahm Cyprian das Wort, »und diesen Schritt tue ich wirklich, indem ich euch auf der Stelle den wackersten Spuk auftische den es jemals gegeben. – Die Geschichte hat das Eigentümliche, daß sie von glaubhaften Personen verbürgt ist, und daß ich ihr allein die aufgeregte, oder wenn ihr wollt, verstörte Stimmung zuschreiben muß, die Lothar vorhin an mir bemerken wollte.«

Cyprian stand auf und ging, wie er zu tun pflegte, wenn irgend etwas so sein ganzes inneres Gemüt erfüllte, daß er die Worte ordnen mußten um es auszusprechen, im Zimmer einigemal auf und ab.

Die Freunde lächelten sich schweigend an. Man las in ihren Blicken: Was werden wir nur wieder Abenteuerliches hören! –

Cyprian setzte sich und begann:


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