E. T. A. Hoffmann
Die Serapions-Brüder
E. T. A. Hoffmann

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Meister Martin der Küfner und seine Gesellen

Wohl mag dir auch, geliebter Leser! das Herz aufgehen in ahnungsvoller Wehmut, wenn du über eine Stätte wandelst, wo die herrlichen Denkmäler altdeutscher Kunst, wie beredte Zeugen, den Glanz, den frommen Fleiß, die Wahrhaftigkeit einer schönen vergangenen Zeit verkünden. Ist es nicht so als trätest du in ein verlassenes Haus? – Noch liegt aufgeschlagen auf dem Tische das fromme Buch, in dem der Hausvater gelesen, noch ist das reiche bunte Gewebe aufgehängt, das die Hausfrau gefertigt; allerlei köstliche Gaben des Kunstfleißes, an Ehrentagen beschert, stehen umher in saubern Schränken. Es ist, als werde nun gleich einer von den Hausgenossen eintreten und mit treuherziger Gastlichkeit dich empfangen. Aber vergebens wartest du auf die, welche das ewig rollende Rad der Zeit fortriß, du magst dich denn überlassen dem süßen Traum, der dir die alten Meister zuführt, die zu dir reden fromm und kräftig, daß es dir recht durch Mark und Bein dringt. Und nun verstehst du erst den tiefen Sinn ihrer Werke, denn du lebst in ihrer Zeit und hast die Zeit begriffen, welche Meister und Werk erzeugen konnte. Doch ach! geschieht es nicht, daß die holde Traumgestalt eben als du sie zu umfangen gedachtest, mit liebenden Armen, auf lichten Morgenwolken scheu entflieht vor dem polternden Treiben des Tages und du, brennende Tränen im Auge, dem immer mehr verbleichenden Schimmer nachschauest? – So erwachst du auch plötzlich hart berührt von dem um dich wogenden Leben, aus dem schönen Traum und nichts bleibt dir zurück, als die tiefe Sehnsucht, welche mit süßen Schauern deine Brust durchbebt.

Solche Empfindungen erfüllten den, der für dich, geliebter Leser! diese Blätter schreibt, jedesmal, wenn ihn sein Weg durch die weltberühmte Stadt Nürnberg führte. Bald vor dem wundervollen Bau des Brunnens am Markte verweilend, bald das Grabmal in St. Sebald, das Sakramenthäuslein in St. Laurenz, bald auf der Burg, auf dem Rathause Albrecht Dürers tiefsinnige Meisterwerke betrachtend, gab er sich ganz hin der süßen Träumerei die ihn mitten in alle Herrlichkeit der alten Reichsstadt versetzte. Er gedachte jener treuherzigen Verse des Paters Rosenblüth:

O Nürnberg, du edler Fleck,
Deiner Ehren Bolz steckt am Zweck,
Den hat die Weisheit daran geschossen,
Die Wahrheit ist in dir entsprossen.

Manches Bild des tüchtigen Bürgerlebens zu jener Zeit, wo Kunst und Handwerk sich in wackerm Treiben die Hände boten, stieg hell empor und prägte sich ein dem Gemüt mit besonderer Lust und Heiterkeit. Laß es dir nun gefallen, geliebter Leser! daß eins dieser Bilder vor dir aufgestellt werde. Vielleicht magst du es mit Behaglichkeit, ja wohl mit gemütlichem Lächeln anschauen, vielleicht wirst du selbst heimisch in Meister Martins Hause und verweilst gern bei seinen Kufen und Kannen. Nun! – dann geschähe ja das wirklich, was der Schreiber dieser Blätter so recht aus Grund des Herzens wünscht.

 
Wie Herr Martin zum Kerzenmeister erwählt wurde und sich dafür bedankte

Am ersten Mai des Jahres eintausendfünfhundertundachtzig hielt die ehrsame Zunft der Böttcher, Küper oder Küfner in der freien Reichsstadt Nürnberg, alter Sitte und Gewohnheit gemäß, ihre feierliche Gewerksversammlung. Kurze Zeit vorher war einer der Vorsteher oder sogenannten Kerzenmeister zu Grabe getragen worden, deshalb mußte ein neuer gewählt werden. Die Wahl fiel auf den Meister Martin. In der Tat mochte es beinahe keiner ihm gleichtun an festem und zierlichen Bau der Fässer, keiner verstand sich so wie er, auf die Weinwirtschaft im Keller, weshalb er denn die vornehmsten Herren unter seinen Kunden hatte und in dem blühendsten Wohlstande, ja wohl in vollem Reichtum lebte. Deshalb sprach, als Meister Martin gewählt worden, der würdige Ratsherr Jacobus Paumgartner, der der Zunft als Handwerksherr vorstand: »Ihr habt sehr wohl getan, meine Freunde! den Meister Martin zu euerm Vorsteher zu erkiesen, denn in bessern Händen kann sich gar nicht das Amt befinden. Meister Martin ist hochgeachtet von allen, die ihn kennen, ob seiner großen Geschicklichkeit und seiner tiefen Erfahrnis in der Kunst den edlen Wein zu hegen und zu pflegen. Sein wackrer Fleiß, sein frommes Leben, trotz alles Reichtums, den er erworben, mag euch allen zum Vorbilde dienen. So seid denn, mein lieber Meister Martin, viel tausendmal begrüßt, als unser würdiger Vorsteher!« Mit diesen Worten stand Paumgartner von seinem Sitze auf und trat einige Schritte vor mit offnen Armen, erwartend, daß Meister Martin ihm entgegenkommen werde. Dieser stemmte denn auch alsbald beide Arme auf die Stuhllehnen und erhob sich langsam und schwerfällig, wie es sein wohlgenährter Körper nur zulassen wollte. Dann schritt er ebenso langsam hinein in Paumgartners herzliche Umarmung, die er kaum erwiderte. »Nun«, sprach Paumgartner darob etwas befremdet, »nun Meister Martin, ist's Euch etwa nicht recht, daß wir Euch zu unserm Kerzenmeister erwählet?« – Meister Martin warf, wie es seine Gewohnheit war, den Kopf in den Nacken, fingerte mit beiden Händen auf dem dicken Bauche und schaute mit weit aufgerissenen Augen, die Unterlippe vorgekniffen, in der Versammlung umher. Dann fing er zu Paumgartner gewendet also an: »Ei, mein lieber würdiger Herr, wie sollt es mir denn nicht recht sein, daß ich empfange was mir gebührt. Wer verschmäht es den Lohn zu nehmen für wackere Arbeit, wer weiset den bösen Schuldner von der Schwelle, der endlich kömmt, das Geld zu zahlen, das er seit langer Zeit geborgt. Ei, ihr lieben Männer« (so wandte sich Martin zu den Meistern, die ringsumher saßen) »ei, ihr lieben Männer, ist's euch denn nun endlich eingefallen, daß ichich der Vorsteher unserer ehrbaren Zunft sein muß? – Was verlangt ihr vom Vorsteher? – Soll er der Geschickteste sein im Handwerk? Geht hin und schaut mein zweifudriges Faß ohne Feuer getrieben, mein wackres Meisterstück an, und dann sagt, ob sich einer von euch rühmen darf, was Stärke und Zierlichkeit der Arbeit betrifft, Ähnliches geliefert zu haben. Wollt ihr, daß der Vorsteher Geld und Gut besitze? Kommt in mein Haus, da will ich meine Kisten und Kasten aufschließen und ihr sollt euch erfreuen an dem Glanz des funkelnden Goldes und Silbers. Soll der Vorsteher geehrt sein von Großen und Niedern? – Fragt doch nur unsere ehrsamen Herren des Rats, fragt Fürsten und Herren, rings um unsere gute Stadt Nürnberg her, fragt den hochwürdigen Bischof von Bamberg, fragt was die alle von dem Meister Martin halten. Nun! – ich denke, ihr sollt nichts Arges vernehmen!« – Dabei klopfte sich Herr Martin recht behaglich auf den dicken Bauch, schmunzelte mit halbgeschlossenen Augen und fuhr dann, da alles schwieg und nur hin und wieder ein bedenkliches Räuspern laut wurde, also fort: »Aber ich merk es, ich weiß es wohl, daß ich mich nun noch schönstens bedanken soll dafür, daß der Herr endlich bei der Wahl eure Köpfe erleuchtet hat. – Nun! – wenn ich den Lohn empfange für die Arbeit, wenn der Schuldner mir das geborgte Geld bezahlt, da schreib ich wohl unter die Rechnung, unter den Schein: zu Dank bezahlt, Thomas Martin, Küpermeister allhier! – So seid denn alle von Herzen bedankt dafür, daß ihr mir, indem ihr mich zu euerm Vorsteher und Kerzenherrn wählet, eine alte Schuld abtruget. Übrigens verspreche ich euch, daß ich mein Amt mit aller Treue und Frömmigkeit verwalten werde. Der Zunft, jedem von euch, stehe ich, wenn es not tut, bei, mit Rat und Tat, wie ich es nur vermag mit allen meinen Kräften. Mir soll es recht anliegen, unser berühmtes Gewerk in vollen Ehren und Würden, wie es jetzt besteht, zu erhalten. Ich lade Euch, mein würdiger Handwerksherr, euch alle, ihr lieben Freunde und Meister, zu einem frohen Mahle auf künftigen Sonntag ein. Da laßt uns frohen Muts bei einem tüchtigen Glase Hochheimer, Johannisberger, oder was ihr sonst an edlen Weinen aus meinem reichen Keller trinken möget, überlegen, was jetzt fordersamst zu tun ist für unser aller Bestes! – Seid nochmals alle herzlichst eingeladen.«

Die Gesichter der ehrsamen Meister, die sich bei Martins stolzer Rede merklich verfinstert hatten, heiterten sich nun auf, und dem dumpfen Schweigen folgte ein fröhliches Geplapper, worin vieles von Herrn Martins hohen Verdiensten und seinem auserlesenen Keller vorkam. Alle versprachen am Sonntag zu erscheinen und reichten dem neuerwählten Kerzenmeister die Hände, der sie treuherzig schüttelte und auch wohl diesen, jenen Meister ein klein wenig an seinen Bauch drückte, als wollt er ihn umarmen. Man schied fröhlich und guter Dinge.

 
Was sich darauf weiter in Meister Martins Hause begab

Es traf sich, daß der Ratsherr Jacobus Paumgartner, um zu seiner Behausung zu gelangen, bei Meister Martins Hause vorübergehen mußte. Als beide, Paumgartner und Martin, nun vor der Türe dieses Hauses standen und Paumgartner weiter fortschreiten wollte, zog Meister Martin sein Mützlein vom Kopf und sich ehrfurchtsvoll so tief neigend, als er es nur vermochte, sprach er zu dem Ratsherrn: »O wenn Ihr es doch nicht verschmähen wolltet, in mein schlechtes Haus auf ein Stündchen einzutreten, mein lieber würdiger Herr! – Laßt es Euch gefallen, daß ich mich an Euern weisen Reden ergötze und erbaue.« »Ei lieber Meister Martin«, erwiderte Paumgartner lächelnd, »gern mag ich bei Euch verweilen, aber warum nennt Ihr Euer Haus ein schlechtes? ich weiß es ja, daß an Schmuck und köstlicher Gerätschaft es keiner der reichsten Bürger Euch zuvortut? habt Ihr nicht erst vor kurzer Zeit den schönen Bau vollendet, der Euer Haus zur Zierde unserer berühmten Reichsstadt macht, und von der inneren Einrichtung mag ich gar nicht reden, denn deren dürft sich ja kein Patrizier schämen.«

Der alte Paumgartner hatte recht, denn sowie man die hell gebohnte, mit reichem Messingwerk verzierte Tür geöffnet hatte, war der geräumige Flur mit sauber ausgelegten Fußboden, mit schönen Bildern an den Wänden, mit kunstvoll gearbeiteten Schränken und Stühlen beinahe anzusehen wie ein Prunksaal. Da folgte denn auch jeder gern der Weisung, die alter Sitte gemäß ein Täfelchen, das gleich neben der Türe hing, in den Versen gab:

Wer tretten wil die Stiegen hinein
Dem sollen die Schue fein sauber seyn
Oder vorhero streiffen ab,
Daß man nit drüber zu klagen hab.
Ein Verständiger weiß das vorhin,
Wie er sich halten soll darinn.

Der Tag war heiß, die Luft in den Stuben, jetzt, da die Abenddämmerung einbrach, schwül und dunstig, deshalb führte Meister Martin seinen edlen Gast in die geräumige kühle Prangkuchen. So hieß zu jener Zeit der Platz in den Häusern der reichen Bürger, der zwar wie eine Küche eingerichtet, aber nicht zum Gebrauch, sondern nur zur Schau mit allerlei köstlichen Gerätschaften des Hausbedarfs ausgeschmückt war. Kaum eingetreten, rief Meister Martin mit lauter Stimme: »Rosa – Rosa!« – alsbald öffnete sich denn auch die Tür und Rosa, Meister Martins einzige Tochter, kam hineingegangen. –

Möchtest du, vielgeliebter Leser! in diesem Augenblick doch recht lebhaft dich der Meisterwerke unseres großen Albrecht Dürers erinnern. Möchten dir doch die herrlichen Jungfrauengestalten voll hoher Anmut, voll süßer Milde und Frömmigkeit, wie sie dort zu finden, recht lebendig aufgehen. Denk an den edlen zarten Wuchs, an die schön gewölbte, lilienweiße Stirn, an das Inkarnat, das wie Rosenhauch die Wangen überfliegt, an die feinen kirschrot brennenden Lippen, an das in frommer Sehnsucht hinschauende Auge von dunkler Wimper halb verhängt wie Mondesstrahl von düsterm Laube – denk an das seidne Haar in zierlichen Flechten kunstreich aufgenestelt – denk an alle Himmelsschönheit jener Jungfrauen und du schauest die holde Rosa. Wie vermochte auch sonst der Erzähler dieser Geschichte dir das liebe Himmelskind zu schildern? – Doch sei es erlaubt hier noch eines wackern jungen Künstlers zu gedenken, in dessen Brust ein leuchtender Strahl aus jener schönen alten Zeit gedrungen. Es ist der deutsche Maler Cornelius in Rom gemeint. – »Bin weder Fräulein noch schöne« – So wie in Cornelius' Zeichnungen zu Goethes gewaltigem Faust Margarethe anzuschauen ist, als sie diese Worte spricht, so mochte auch wohl Rosa anzusehen sein, wenn sie in frommer züchtiger Scheu übermütigen Bewerbungen auszuweichen sich gedrungen fühlte.

Rosa verneigte sich in kindlicher Demut vor Paumgartner, ergriff seine Hand und drückte sie an ihre Lippen. Die blassen Wangen des alten Herrn färbten sich hochrot und wie der Abendschein im Versinken noch einmal aufflackernd das schwarze Laub plötzlich vergoldet, so blitzte das Feuer längst vergangener Jugend auf in seinen Augen. »Ei«, rief er mit heller Stimme, »ei mein lieber Meister Martin, Ihr seid ein wohlhabender, ein reicher Mann, aber die schönste Himmelsgabe, die Euch der Herr beschert hat, ist doch Eure holde Tochter Rosa. Geht uns alten Herren, wie wir alle im Rat sitzen, das Herz auf und können wir nicht die blöden Augen wegwenden, wenn wir das liebe Kind schauen, wer mag's denn den jungen Leuten verargen, daß sie versteinert und erstarrt stehenbleiben, wenn sie auf der Straße Eurer Tochter begegnen, daß sie in der Kirche Eure Tochter sehen, aber nicht den geistlichen Herrn, daß sie auf der Allerwiese, oder wo es sonst ein Fest gibt, zum Verdruß aller Mägdlein, nur hinter Eurer Tochter her sind mit Seufzern, Liebesblicken und honigsüßen Reden. – Nun Meister Martin! Ihr möget Euch Euren Eidam wählen unter unsern jungen Patriziern, oder wo Ihr sonst wollet.«

Meister Martins Gesicht verzog sich in finstre Falten, er gebot der Tochter edlen alten Wein herzubringen und sprach, als sie über und über glühend im Gesicht, den Blick zu Boden gesenkt, fortgegangen, zu dem alten Paumgartner: »Ei, mein lieber Herr, es ist zwar in der Wahrheit, daß mein Kind geschmückt ist mit ausnehmender Schönheit und daß auch hierin mich der Himmel reich gemacht hat, aber wie mögt Ihr denn davon sprechen in des Mägdleins Gegenwart, und mit dem Eidam Patrizier ist es nun ganz und gar nichts.« »Schweigt«, erwiderte Paumgartner lachend, »schweigt Meister Martin, wovon das Herz voll ist, davon geht der Mund über! – glaubt Ihr denn nicht, daß mir auch das träge Blut im alten Herzen zu hüpfen beginnt, wenn ich Rosa sehe, und wenn ich dann treuherzig heraussage, was sie ja selbst recht gut wissen muß, daraus wird kein Arges entstehen.«

Rosa brachte den Wein und zwei stattliche Trinkgläser herbei. Martin rückte dagegen den schweren, mit wunderlichem Schnitzwerk verzierten Tisch in die Mitte. Kaum hatten die alten Herren indessen Platz genommen, kaum hatte Meister Martin die Gläser vollgeschenkt, als sich ein Pferdegetrappel vor dem Hause vernehmen ließ. Es war, als hielte ein Reuter an, dessen Stimme im Flur laut wurde: Rosa eilte hinab und kam bald mit der Nachricht zurück, der alte Junker Heinrich von Spangenberg sei da und wünsche bei dem Meister Martin einzusprechen. »Nun«, rief Martin, »so ist das heute ein schöner glücklicher Abend, da mein wackerer ältester Kundmann bei mir einkehrt. Gewiß neue Bestellungen, gewiß soll ich neu auflagern.« – Und damit eilte er, so schnell als es gehen wollte, dem willkommnen Gast entgegen.


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