E. T. A. Hoffmann
Die Serapions-Brüder
E. T. A. Hoffmann

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Dritter Band

Fünfter Abschnitt

Aufs neue hatte das Leben in seiner stets wechselnden Gestaltung die Freunde auseinandergeworfen. Sylvester war zurückgegangen aufs Land, Ottmar in Geschäften verreiset, Cyprian desgleichen, Vinzenz zwar am Orte, aber wieder einmal nach seiner gewöhnlichen Weise im Gewühl verschwunden und nicht aufzufinden. Nur Lothar pflegte den kranken Theodor, den ein lange bekämpftes Übel doch zuletzt auf das Lager gebracht, das er nun so bald nicht wieder verlassen durfte.

Mehrere Monate waren vergangen, da kehrte Ottmar, der eigentlich durch seine schnelle unerwartete Abreise die Zerstörung des Klubs begonnen, zurück und fand, statt wie er gehofft, die Serapions-Brüderschaft in vollem Flor anzutreffen, einen kaum genesenen Freund, der die Spuren harter Krankheit noch im bleichen Antlitz trug und den die Brüder verlassen, bis auf einen, der ihm mit allen Ergießungen einer mürrischen Laune gar hart zusetzte.

Lothar befand sich nämlich wieder in der seltsamen Seelenstimmung, in der er überzeugt war, das ganze Leben werde schal und ungenießbar durch die ewigen moralischen Foppereien des feindlichen Dämons, den die Natur dem Menschen, den sie behandle wie ein unmündiges Kind, zur Seite gestellt als pedantischen Hofmeister, und der nun wie dieser die süßen Makronen versetze mit bittrer Arzenei, damit der Junker einen Ekel davor empfinde, nicht mehr davon genieße und so den guten Magen konserviere.

»Was für eine heillose Idee«, so rief Lothar, als Ottmar ihn bei Theodor traf, im höchsten Unmut aus, »was für eine heillose Idee war es, uns, jede Kluft, die die Zeit geschaffen, schnell überspringend, so nahe wieder aneinander, ineinander, möcht ich sagen, zu rücken. Dem Cyprian verdanken wir den Grundstein des heiligen Serapion, auf den wir ein Gebäude stützten, das für das Leben gebaut schien und zusammenstürzte in wenig Monden. Man soll sein Herz an nichts hängen, sein Gemüt nicht hingeben dem Eindruck fremder Erregung, und ich war ein Narr, daß ich es tat. Denn gestehen muß ich euch, daß die Art, wie wir an unsern Serapions-Abenden zusammenkamen, mein ganzes Innres, mein ganzes Wesen so in Anspruch genommen hatte, daß, als die würdigen Brüder sich so plötzlich zerstreut in alle Welt, mir wirklich das Leben ohne unsere Brüderschaft ebenso erschien wie dem melancholischen Prinzen Hamlet, nämlich ekel, schal und oberflächlich!«

»Da«, nahm Ottmar lachend das Wort, »da kein Geist aus dem Grabe gestiegen ist und dich in mitternächtlicher Weile zur Rache gemahnt hat, da du keine Geliebte ins Kloster schicken, keinen meuchelmörderischen König mit einem vergifteten Rapier niederstoßen darfst, so magst du auch die Melancholie des Prinzen Hamlet aufgeben und bedenken, daß es der gröbste Egoismus sein würde, jedem Bunde, den in Herz und Gemüt gleichgestimmte Seelen schließen, deshalb zu entsagen, weil der Sturm des Lebens ihn zerstören kann. Der Mensch darf nicht bei jeder leisesten unsanften Berührung die Fühlhörner einziehen, wie ein schüchternes überempfindliches Käferlein. Und gilt dir die Erinnerung an in froher herrlicher Gemütlichkeit verlebte Stunden denn für gar nichts? Stets auf meiner ganzen Reise habe ich an euch gedacht. An den Abenden des Serapions-Klubs, den ich in vollem Flor glaubte, habe ich mich unter euch versetzt, allerlei buntes Ergötzliches vernommen und euch auch wohl mit manchem erfreut, was mir gerade der Geist gegeben. – Doch was schwatze ich! – was schwatze ich! – Ist denn wohl in Lothars Seele nur das mindeste von dem, was der augenblickliche Unmut aus ihm spricht? – Sagt er nicht selbst, daß nur unsere Trennung ihn verstimmt hat?«

»Theodors Krankheit«, fiel Lothar dem Ottmar ins Wort, »die ihn dem Grabe nahe brachte, war eben auch nicht dazu geeignet, mich in eine fröhliche Stimmung zu versetzen.«

»Nun«, sprach Ottmar, »Theodor ist genesen, und was den Serapions-Klub betrifft, so weiß ich gar nicht, warum er nicht für schön und vollständig geachtet werden sollte, wenn drei würdige Brüder sich versammeln und so die Brüderschaft aufrechterhalten?«

»Ottmar«, sprach Theodor, »hat vollkommen recht, es ist ganz unumgänglich notwendig, daß wir nächstens uns versammeln auf serapiontische Weise. Was gilt's, dem wackern Keim, den wir bilden, entkeimt wieder ein lebensfrischer Baum mit Blüten und Früchten. Ich meine, der Zugvogel Cyprian kehrt wieder heim, dem Sylvester wird es draußen bange und er sehnt sich, wenn die Nachtigallen schweigen, nach anderer Musik, und Vinzenz taucht auch wohl wieder auf aus den Wogen und gackert sein Liedchen!«

»Tut«, sprach Lothar etwas sanfter als zuvor, »tut was ihr wollt, nur verlangt nicht, daß ich etwas damit zu schaffen haben soll. Dabei will ich aber sein, wenn ihr euch serapiontisch versammelt, und ich schlage vor, daß, da Freund Theodor so viel als möglich in der freien Luft sein soll, dies im Freien geschehe.«

Die Freunde bestimmten den letzten Mai, der in wenigen Tagen einfiel, als die Zeit, einen schönen beinahe gar nicht besuchten Gastgarten aber, als den Ort ihrer nächsten serapiontischen Zusammenkunft.

 

Ein Gewitter hatte, schnell vorüberziehend und Baum und Gebüsch nur mit einigen schweren Tropfen Himmelsbalsams besprengend, die drückende Schwüle des Tages abgekühlt. Im herrlichsten Glanz stand der schöne Garten, den der liebliche Wohlgeruch des Laubes, der Blumen durchströmte und fröhlich zwitschernd und trillerierend rauschten die bunten Vögel durch die Büsche und badeten sich in den benetzten Zweigen.

»Wie«, rief Theodor, nachdem er mit den Freunden in dem Schatten dickbelaubter Linden Platz genommen, »wie fühle ich mich so durch und durch erquickt, jede Spur des leisesten Übelbefindens ist verschwunden, es ist als sei mir ein doppeltes Leben aufgegangen, das in reger Wechselwirkung sich selbst erst recht faßt und empfindet. In der Tat man muß so krank gewesen sein als ich, um dieses Gefühls fähig zu werden, das Geist und Gemüt stärkend die eigentliche Lebensarzenei scheint, welche die ewige Macht, der waltende Weltgeist uns selbst unmittelbar spendet. – Aus meiner eigenen Brust weht der belebende Hauch der Natur, es ist mir, als schwämme ich, aller Last entnommen, in dem herrlichen Himmelsblau, das über uns sich wölbt!« – »Diese Begeisterung«, nahm Ottmar das Wort, »zeigt, daß du vollkommen genesen bist, mein lieber teurer Freund, und Dank der ewigen Macht, die dich mit einem Organism ausstattete, stark genug, dergleichen Krankheit, wie sie dich überfiel, zu überstehen. Schon daß du überhaupt genesen, ist zu verwundern, noch mehr aber, daß dies so schnell geschah.«

»Was mich betrifft«, sprach Lothar, »so verwundere ich mich über Theodors schnelle Herstellung ganz und gar nicht, da ich auch nicht einen Augenblick daran gezweifelt. Du kannst es mir glauben, Ottmar, so erbärmlich es auch mit Theodors physischem Zustande aussehen mochte, psychisch ist er niemals recht krank gewesen und solange der Geist sich aufrecht erhält – nun es war eigentlich zum Totärgern, daß der kranke Theodor sich immer in viel besserer Stimmung befand, als ich kerngesunder Mensch, und daß er oft, war nur der Schmerz vorüber, sich in tollen Späßen erlustigte, wie er denn auch die seltene geistige Kraft besaß, sich manchmal seiner Fieberfantasien zu erinnern. – Viel zu sprechen, das hatte ihm der Arzt verboten; wollt ich ihm aber dieses, jenes erzählen in ruhigen Stunden, so winkte er mir Stillschweigen zu, meinte auch wohl, ich solle ihn seinen Gedanken überlassen, er arbeite an einer großen Komposition oder sonst.«

»Ja«, rief Theodor lachend, »ja mit Lothars Erzählen, da hatte es eine ganz besondere Bewandtnis! – Daß Lothar gleich, nachdem die Serapions-Brüder sich zerstreut hatten, von dem Dämon der bösen Laune gepackt wurde, weißt du, unmöglich kannst du aber erraten, welchen besonderen Gedanken er in dieser Zeit des Unmuts faßte? – Eines Tages trat er an mein Bett (ich lag schon darnieder) und sprach: ›Die schönsten reichsten Fundgruben für Erzählungen, Märchen, Novellen, Dramen, sind alte Chroniken. Cyprian hat das längst gesagt, und er hat recht.‹ – Gleich den andern Tag bemerkte ich, unerachtet mir die Krankheit hart zusetzte, doch sehr gut, daß Lothar dasaß, in einen alten Folianten vertieft. Genug, er lief jeden Tag nach der öffentlichen Bibliothek, und schleppte alle Chroniken zusammen, deren er nur habhaft werden konnte. Mochte das nun sein, aber seine ganze Fantasie wurde erfüllt von den seltsamen tollen Mären jener verjährten Bücher, und ich bekam, mühte er sich mir in ruhigeren Stunden aufheiternde Dinge zu erzählen, von nichts anderm zu hören, als von Krieg und Pestilenz, von Mißgeburten, Stürmen, Kometen, Feuer und Wassersnot, Hexen-Autodafés, Zaubereien, Wundern, vorzüglich aber von den mannigfachen Taten des Gottseibeiuns! der bekanntlich in allen alten Chroniken eine starke bedeutende Rolle spielt, so daß man gar nicht begreifen kann, warum er sich jetzt so still verhält, hat er vielleicht nicht ein anderes Kostüm angelegt, das ihn zur Zeit unkenntlich macht. Nun sage mir, Ottmar, sind solche Gespräche wohl für einen Kranken meiner Art geeignet?«

»Ihr möget«, nahm Lothar das Wort, »ihr möget mich nicht ungehört verdammen. Wahr ist es und keck zu behaupten, daß in alten Chroniken viel Herrliches steckt für schreiblustige Novellisten, aber ihr wißt es, niemals hab ich mich darum sonderlich bekümmert und am wenigsten um Teufeleien nebst ihrem Anhang, ohne die eine kurze Zeit hindurch kein Novellist fertig werden konnte. Nun geriet ich aber mit Cyprian den Abend vorher, ehe er uns verließ, in großen Streit darüber, daß er es eben zu viel mit dem Teufel und seiner Familie zu tun habe, und gestand ihm offenherzig, daß ich seine Erzählung, der Kampf der Sänger, die ich damals, als er sie uns vorlas, mit allerlei Scheingründen schützte, für ein durchaus verfehltes Machwerk halte. Da fuhr er aber auf mich los, machte den wahrhaftigen Advocatum diaboli und erzählte mir so viel aus alten Chroniken und andern verschollenen Büchern, daß ich ganz wirr wurde im Kopf. Als nun Theodor erkrankte, als mich gerechter bittrer Unmut ergriff, da kam mir, selbst weiß ich nicht wie es geschah, Cyprians Kampf der Sänger wieder in den Sinn, ja der Teufel selbst erschien mir in schlafloser Nacht, und indem mir entsetzlich vor dem bösen Kerl graute, konnt ich ihm doch als stets bereitem Aide de Camp hülfsbedürftiger Novellisten meine Achtung nicht versagen. Ich beschloß euch allen zum Tort im Grauenhaften und Entsetzlichen unsern Cyprianus noch zu überbieten.«

»Du«, rief Ottmar lachend, »du Lothar wolltest grauenhaft sein und entsetzlich? – Du, dessen grelle skurrile Fantasie nur den Jokusstab zu schwingen vermag?«

»Ja«, erwiderte Lothar, »so hatt ich es im Sinn, und der erste Schritt, den ich dazu tat, war, daß ich den alten Chroniken nachstöberte, die Cyprian als wahre Schatzkästlein der Teufelei gepriesen. Aber, ich will euch's nur gestehen, daß mir unter der Hand alles ganz anders wurde, als ich es gewollt, gedacht.« »Das kann«, rief Theodor lebhaft, »das kann ich bezeugen. O es ist herrlich wie der Teufel, wie der greulichste Hexenprozeß sich gefügt hat der Laune des Schöpfers von Nußknacker und Mausekönig! – Vernimm, o mein Ottmar, wie ich zu einem kleinen Teufelsprobestücklein unseres wackern Lothar gekommen! – Lothar hatte mich eines Tages eben verlassen, als ich, der ich schon ziemlich bei Kräften in der Stube auf und ab zu wandeln vermochte, auf seinem Schreibtisch das in der Tat sehr merkwürdige Buch: Hafftitii Microchronicon berolinense, und gerade das Blatt aufgeschlagen fand, auf dem unter andern steht:

In diesem Jahr wandelte auch der Deuvel öffentlich auf den Straßen von Berlin, folgte den Leichenbegängnissen und gebärdete sich traurig etc.

Du wirst glauben, mein Ottmar, daß mich diese kurze erbauliche Nachricht sehr erfreute, noch mehr aber zogen mich einige von Lothars Hand beschriebene Blätter an, die daneben lagen, und in denen Lothar, wie ich mich bei schneller Durchsicht überzeugte, jene seltsame Laune des Teufels oder Deuvels mit einer greulichen Mißgeburt und einem noch greulicheren Hexenprozeß in die angenehmste artigste Verbindung gesetzt hat. Hier sind diese Blätter, ich habe sie mitgebracht, dir, mein Ottmar, zur Ergötzlichkeit.«

Theodor zog ein paar Blätter aus der Seitentasche und reichte sie Ottmarn hin.

»Was«, rief Lothar heftig, »was, die Nachricht aus dem Leben eines bekannten Mannes, die ich längst vernichtet glaubte als mißlungenes Produkt einer schillernden Laune, die hast du mir maliziöser Weise entwendet und aufbewahrt, um mich in Mißkredit zu setzen bei verständigen Leuten von Bildung und Geschmack? – Her damit! – her mit dem unseligen Geschreibsel, damit ich es in hunderttausend kleine Stückchen zerreiße und preisgebe dem Spiel der Winde!«

»Mitnichten«, sprach Theodor, »vielmehr sollst du mir, den du in böser Krankheit hinlänglich gequält mit dem Teufelsspuk deiner Chroniken, zu einiger Genugtuung, deine Nachricht unserm Ottmar vorlesen, indem ich dagegen diesem aufgebe, nichts anders darin zu suchen und zu finden als einen tollen Schwank.«

»Kann ich dir«, sprach Lothar, indem ein seltsames Lächeln auf seinem Gesicht vibrierte, »kann ich dir denn etwas abschlagen, o mein Theodor? Du willst, daß ich mich vor diesem ungemein ernsten und sittsamen Mann was weniges blamiere. – Wohlan, es geschehe also!«

Lothar nahm die Blätter und las.


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