E. T. A. Hoffmann
Die Serapions-Brüder
E. T. A. Hoffmann

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Wie Meister Martin sein Handwerk über alle andere erhob

Der Hochheimer perlte in den schmucken geschliffenen Trinkgläsern und erschloß den drei Alten Zunge und Herz. Zumal wußte der alte Spangenberg, bei hohen Jahren noch von frischem Lebensmut durchdrungen, manchen lustigen Schwank aus froher Jugendzeit aufzutischen, so daß Meister Martins Bauch weidlich wackelte und er vor ausgelassenem Lachen sich ein Mal über das andere die Tränen aus den Augen wischen mußte. Auch Herr Paumgartner vergaß mehr als sonst den ratsherrlichen Ernst und tat sich gütlich mit dem edlen Getränk und dem lustigen Gespräch. Als nun aber Rosa wieder eintrat, den saubern Handkorb unter dem Arm, aus dem sie Tischzeug langte, blendend weiß, wie frischgefallener Schnee; als sie mit häuslicher Geschäftigkeit hin und her trippelnd den Tisch deckte und ihn mit allerlei würzreichen Speisen besetzte, als sie mit holdem Lächeln die Herren einlud, nun auch nicht zu verschmähen, was in der Eil bereitet worden, da schwieg Gespräch und Gelächter. Beide, Paumgartner und Spangenberg wandten die leuchtenden Blicke nicht ab von der lieblichen Jungfrau und selbst Meister Martin schaute zurückgelehnt in den Sessel, die Hände zusammengefaltet, ihrem wirtlichen Treiben zu mit behaglichem Lächeln. Rosa wollte sich entfernen, da sprang aber der alte Spangenberg rasch auf wie ein Jüngling, faßte das Mädchen bei beiden Schultern und rief, indem die hellen Tränen ihm aus den Augen rannen, ein Mal über das andere: »O du frommes holdes Engelskind – du herziges liebes Mägdlein« – dann küßte er sie zwei- – dreimal auf die Stirne und kehrte wie in tiefem Sinnen auf seinen Platz zurück. Paumgartner brachte Rosas Gesundheit aus. – »Ja«, fing Spangenberg an, als Rosa hinausgegangen, »ja Meister Martin, der Himmel hat Euch in Eurer Tochter ein Kleinod beschert, das Ihr gar nicht hoch genug schätzen könnet. Sie bringt Euch noch zu hohen Ehren, wer, sei es aus welchem Stande es wolle, möchte nicht Euer Eidam werden.« »Seht Ihr wohl«, fiel Paumgartner ein, »seht Ihr wohl Meister Martin, daß der edle Herr von Spangenberg ganz so denkt wie ich? – Ich sehe schon meine liebe Rosa als Patrizierbraut mit dem reichen Perlenschmuck in den schönen blonden Haaren.« »Liebe Herren«, fing Meister Martin ganz verdrießlich an, »liebe Herren, wie möget ihr denn nur immer von einer Sache reden, an die ich zur Zeit noch gar nicht denke. Meine Rosa hat nun das achtzehnte Jahr erreicht und solch ein blutjunges Ding darf noch nicht ausschauen nach dem Bräutigam. Wie es sich künftig fügen mag, überlasse ich ganz dem Willen des Herrn, aber so viel ist gewiß daß weder ein Patrizier, noch ein anderer, meiner Tochter Hand berühren wird, als der Küper, der sich mir als den tüchtigsten, geschicktesten Meister bewährt hat. Vorausgesetzt, daß ihn meine Tochter mag, denn zwingen werde ich mein liebes Kind zu nichts in der Welt, am wenigsten zu einer Heirat, die ihr nicht ansteht.« Spangenberg und Paumgartner schauten sich an, voll Erstaunen über diesen seltsamen Ausspruch des Meisters. Endlich nach einigem Räuspern fing Spangenberg an: »Also aus Euerm Stande heraus soll Eure Tochter nicht freien?« »Gott soll sie dafür bewahren«, erwiderte Martin. »Aber«, fuhr Spangenberg fort, »wenn nun ein junger, tüchtiger Meister aus einem edlen Handwerk, vielleicht ein Goldschmied, oder gar ein junger wackrer Künstler, um Eure Rosa freite und ihr ganz ausnehmend gefiele vor allen andern jungen Gesellen, wie dann?« »Zeigt mir«, erwiderte Martin, indem er den Kopf in den Nacken warf, »zeigt mir lieber junger Gesell, würde ich sprechen, das schöne zweifudrige Faß, welches Ihr als Meisterstück gebaut habt, und wenn er das nicht könnte, würd ich freundlich die Tür öffnen und ihn höflichst bitten, doch sich anderswo zu versuchen.« »Wenn aber«, sprach Spangenberg weiter, »wenn aber der junge Gesell spräche, solch einen kleinen Bau kann ich Euch nicht zeigen, aber kommt mit mir auf den Markt, schaut jenes stattliche Haus, das die schlanken Gipfel kühn emporstreckt in die hohen Lüfte – das ist mein Meisterbau.« – »Ach lieber Herr«, unterbrach Meister Martin ungeduldig Spangenbergs Rede, »ach lieber Herr, was gebt Ihr Euch denn für Mühe, mich eines andern zu überzeugen. Aus meinem Handwerk soll nun einmal mein Eidam sein, denn mein Handwerk halt ich für das herrlichste, was es auf der Welt geben kann. Glaubt Ihr denn, daß es genug ist die Bände aufzutreiben auf die Dauben, damit das Faß zusammenhalte? Ei, ist es nicht schon herrlich und schön, daß unser Handwerk den Verstand voraussetzt, wie man die schöne Himmelsgabe, den edlen Wein, hegen und pflegen muß, damit er gedeihe und mit aller Kraft und Süßigkeit, wie ein wahrer glühender Lebensgeist uns durchdringe? Aber dann der Bau der Fässer selbst. Müssen wir, soll der Bau gelingen, nicht erst alles fein abzirkeln und abmessen? Wir müssen Rechenmeister und Meßkünstler sein, denn wie möchten wir sonst Proportion und Gehalt der Gefäße einsehen. Ei Herr, mir lacht das Herz im Leibe, wenn ich solch ein tüchtig Faß auf den Endstuhl bringe, nachdem die Stäbe mit dem Klöbeisen und dem Lenkbeil tüchtig bereitet, wenn dann die Gesellen die Schlägel schwingen und klipp, klapp – klipp, klapp es niederfällt auf die Treiber, hei! das ist lustige Musik. Da steht nun das wohlgeratene Gebäude und wohl mag ich ein wenig stolz umschauen, wenn ich den Reißer zur Hand nehme und mein Handwerkszeichen, gekannt und geehrt von allen wackern Weinmeistern, in des Fasses Boden einreiße. – Ihr spracht von Baumeistern lieber Herr! ei nun, solch ein stattliches Haus ist wohl ein herrliches Werk, aber wär ich ein Baumeister, ginge ich vor meinem Werke vorüber und oben vom Erker schaute irgendein unsaubrer Geist, ein nichtsnutziger schuftiger Geselle, der das Haus erworben, auf mich herab, ich würde mich schämen ins Innerste hinein, mir würde vor lauter Ärger und Verdruß die Lust ankommen, mein eignes Werk zu zerstören. Doch so etwas kann mir nicht geschehen mit meinen Gebäuden. Da drinnen wohnt ein für allemal nur der sauberste Geist auf Erden, der edle Wein. – Gott lobe mir mein Handwerk.« »Eure Lobrede«, sprach Spangenberg, »war recht tüchtig und wacker gemeint. Es macht Euch Ehre, wenn Ihr Euer Handwerk recht hoch haltet, aber werdet nur nicht ungeduldig, wenn ich Euch noch nicht loslassen kann. Wenn nun doch wirklich ein Patrizier käme und um Eure Tochter anhielte? – Wenn das Leben einem so recht auf den Hals tritt, da gestaltet sich denn wohl manches ganz anders, als wie man es geglaubt.« – »Ach«, rief Meister Martin ziemlich heftig, »ach ,wie könnt ich denn anders tun, als mich höflich neigen und sprechen: ›Lieber Herr! wäret Ihr ein tüchtiger Küper, aber so –‹« »Hört weiter«, fiel ihm Spangenberg in die Rede, »wenn aber nun gar an einem schönen Tage ein schmucker Junker auf stolzem Pferde, mit glänzendem Gefolge, in prächtigen Kleidern angetan, vor Euerm Hause hielte, und begehrte Eure Rosa zur Hausfrau?« »Hei, hei«, rief Meister Martin noch heftiger als vorher, »hei, hei, wie würd ich hastig, wie ich nur könnte, rennen und die Haustür versperren mit Schlössern und Riegeln – wie würd ich rufen und schreien: ›Reitet weiter! reitet weiter, gestrenger Herr Junker, solche Rosen wie die meinige blühen nicht für Euch, ei mein Weinkeller, meine Goldbatzen mögen Euch anstehen, das Mägdlein nehmt Ihr in den Kauf – aber reitet weiter! reitet weiter!‹« – Der alte Spangenberg erhob sich blutrot im ganzen Gesicht, er stemmte beide Hände auf den Tisch und schaute vor sich nieder. »Nun«, fing er nach einer Weile an, »nun noch die letzte Frage Meister Martin. Wenn der Junker vor Euerm Hause mein eigner Sohn wäre, wenn ich selbst mit ihm vor Euerm Hause hielte, würdet Ihr da auch die Tür verschließen, würdet Ihr da auch glauben, wir wären nur gekommen Eures Weinkellers, Eurer Goldbatzen wegen?« »Mitnichten«, erwiderte Meister Martin, »mitnichten mein lieber gnädiger Herr, ich würde Euch freundlich die Tür öffnen, alles in meinem Hause sollte zu Euerm und Euers Herrn Sohns Befehl sein, aber was meine Rosa betrifft, da würde ich sprechen: ›Möchte es doch der Himmel gefügt haben, daß Euer wackrer Herr Junker ein tüchtiger Küper hätte werden können, keiner auf Erden sollte mir dann solch ein willkommner Eidam sein, als er, aber jetzt!‹ – Doch lieber würdiger Herr, warum neckt und quält Ihr mich denn mit solchen wunderlichen Fragen. – Seht nur, wie unser lustiges Gespräch ganz und gar ein Ende genommen, wie die Gläser gefüllt stehenbleiben. Lassen wir doch den Eidam und Rosas Hochzeit ganz beiseite, ich bringe Euch die Gesundheit Euers Junkers zu, der, wie ich höre, ein schmuckes Herr sein soll.« Meister Martin ergriff sein Trinkglas, Paumgartner folgte seinem Beispiel, indem er rief: »Alles verfängliche Gespräch soll ein Ende haben und Euer wackrer Junker hoch leben!« – Spangenberg stieß an und sprach dann mit erzwungenem Lächeln. »Ihr könnet denken, daß ich im Scherze zu Euch sprach, denn nur frecher Liebeswahnsinn könnte wohl meinen Sohn, der unter den edelsten Geschlechtern seine Hausfrau erkiesen darf, dazu treiben, Rang und Geburt nicht achtend, um Eure Tochter zu freien. Aber etwas freundlicher hättet Ihr mir doch antworten können.« »Ach, lieber Herr«, erwiderte Meister Martin, »auch im Scherz konnt ich nicht anders reden, als wie ich es tun würde, wenn solch wunderliches Zeug, wie Ihr es fabeltet, wirklich geschähe. Laßt mir übrigens meinen Stolz, denn Ihr selbst müßt mir doch bezeugen, daß ich der tüchtigste Küper bin, auf weit und breit, daß ich mich auf den Wein verstehe, daß ich an unseres in Gott ruhenden Kaisers Maximilian tüchtige Weinordnung fest und getreulich halte, daß ich alle Gottlosigkeit als ein frommer Mann verschmähe, daß ich in mein zweifudriges Faß niemals mehr verdampfe als ein Lötlein lautern Schwefels, welches not tut zur Erhaltung, das alles, ihr lieben würdigen Herrn, werdet ihr wohl genüglich kosten an meinem Wein.« – Spangenberg versuchte, indem er wieder seinen Platz einnahm, ein heitres Gesicht anzunehmen, und Paumgartner brachte andere Dinge aufs Tapet. Aber wie es geschieht, daß die einmal verstimmten Saiten eines Instruments sich immer wieder verziehn und der Meister sich vergebens müht, die wohltönenden Akkorde, wie sie erst erklangen, aufs neue hervorzurufen, so wollte auch unter den drei Alten nun keine Rede, kein Wort mehr zusammenpassen. Spangenberg rief nach seinen Knechten und verließ ganz mißmutig Meister Martins Haus, in das er fröhlich und guter Dinge getreten.

 
Die Weissagung der alten Großmutter

Meister Martin war über das unmutige Scheiden seines alten wackern Kundmanns ein wenig betreten, und sprach zu Paumgartner, der eben das letzte Glas ausgetrunken hatte, und nun auch scheiden wollte: »Ich weiß doch nun aber gar nicht, was der alte Herr wollte mit seinen Reden und wie er darüber am Ende noch verdrüßlich werden konnte.« »Lieber Meister Martin«, begann Paumgartner, »Ihr seid ein tüchtiger frommer Mann, und wohl mag der was halten darauf, was er mit Gottes Hülfe wacker treibt und was ihm Reichtum und Ehre gebracht hat. Nur darf dies nicht ausarten in prahlerischen Stolz, das streitet gegen allen christlichen Sinn. Schon in der Gewerksversammlung heute war es nicht recht von Euch, daß Ihr Euch selbst über alle übrige Meister setztet: möget Ihr doch wirklich mehr verstehen von Eurer Kunst als die anderen, aber daß Ihr das geradezu ihnen an den Hals werfet, das kann ja nur Ärger und Mißmut erregen. Und nun vollends heute abend! – So verblendet konntet Ihr doch wohl nicht sein, in Spangenbergs Reden etwas anders zu suchen als die scherzhafte Prüfung, wie weit Ihr es wohl treiben würdet mit Euerm starrsinnigen Stolz. Schwer mußte es ja den würdigen Herrn verletzen, als Ihr in der Bewerbung jedes Junkers um Eure Tochter nur niedrige Habsucht finden wolltet. Und noch wäre alles gut gegangen, wenn Ihr eingelenkt hättet, als Spangenberg von seinem Sohne zu reden begann. Wie, wenn Ihr spracht: ›Ja Mein lieber würdiger Herr, wenn Ihr selbst kämt als Brautwerber mit Euerm Sohne, ja auf solche hohe Ehre wär ich nimmer gefaßt, da würd ich wanken in meinen festesten Entschlüssen.‹ Ja! wenn Ihr so spracht, was wäre dann davon anders die Folge gewesen, als daß der alte Spangenberg die vorige Unbill ganz vergessend, heiter gelächelt und guter Dinge geworden wie vorher.« »Scheltet mich nur«, sprach Meister Martin, »scheltet mich nur wacker aus, ich hab es wohl verdient, aber als der Alte solch abgeschmacktes Zeug redete, es schnürte mir die Kehle zu, ich konnte nicht anders antworten.« – »Und dann«, fuhr Paumgartner fort, »und dann der tolle Vorsatz selbst, Eure Tochter durchaus nur einem Küper geben zu wollen. Dem Himmel, spracht Ihr, soll Eurer Tochter Schicksal anheimgestellt sein und doch greift Ihr mit irdischer Blödsinnigkeit dem Ratschluß der ewigen Macht vor, indem Ihr eigensinnig vorher festsetzt, aus welchem kleinen Kreise Ihr den Eidam nehmen wollt. Das kann Euch und Eure Rosa ins Verderben stürzen. Laßt ab Meister Martin, laßt ab von solcher unchristlicher kindischer Torheit, laßt die ewige Macht gebieten, die in Eurer Tochter frommes Herz schon den richtigen Ausspruch legen wird.« »Ach mein würdiger Herr«, sprach Meister Martin ganz kleinmütig, »nun erst sehe ich ein, wie übel ich daran tat, nicht gleich alles herauszusagen. Ihr meint, nur die Hochschätzung meines Handwerks habe mich zu dem unabänderlichen Entschluß gebracht, Rosa nur an einen Küpermeister zu verheiraten, es ist dem aber nicht so, noch ein anderer, gar wunderbarer geheimnisvoller Grund dazu ist vorhanden. – Ich kann Euch nicht fortlassen ohne daß Ihr alles erfahren habt, Ihr sollt nicht über Nacht auf mich grollen. Setzt Euch, ich bitte gar herzlich darum, verweilt noch einige Augenblicke. Seht, hier steht noch eine Flasche des ältesten Weins, den der mißmutige Junker verschmäht hat, laßt es Euch noch bei mir gefallen.« Paumgartner erstaunte über Meister Martins zutrauliches Eindringen, das sonst gar nicht in seiner Natur lag, es war als laste dem Mann etwas gar schwer auf dem Herzen, das er los sein wollte. Als nun Paumgartner sich gesetzt und ein Glas Wein getrunken hatte, fing Meister Martin auf folgende Weise an: »Ihr wißt, mein lieber würdiger Herr, daß meine brave Hausfrau bald nachdem Rosa geboren, an den Folgen des schweren Kindbettes starb. Damals lebte meine uralte Großmutter noch, wenn stocktaub und blind, kaum der Sprache fähig, gelähmt an allen Gliedern, im Bette liegen Tag und Nacht, anders leben genannt zu werden verdient. Meine Rosa war getauft worden und die Amme saß mit dem Kinde in der Stube, wo die Großmutter lag. Mir war es so traurig und wenn ich das schöne Kind anblickte, so wunderbar freudig und wehmütig zu Sinn, ich war so tief bewegt, daß ich zu jeder Arbeit mich untauglich fühlte und still, in mich gekehrt, neben dem Bett der alten Großmutter stand, die ich glücklich pries, da ihr schon jetzt aller irdische Schmerz entnommen. Und als ich ihr nun so ins bleiche Antlitz schaue, da fängt sie mit einemmal an seltsam zu lächeln, es ist, als glätteten sich die verschrumpften Züge aus, als färbten sich die blassen Wangen. – Sie richtet sich empor, sie streckt, wie plötzlich beseelt von wunderbarer Kraft die gelähmten Arme aus, wie sie es sonst nicht vermochte, sie ruft vernehmlich mit leiser lieblicher Stimme: ›Rosa – meine liebe Rosa!‹ – Die Amme steht auf und bringt ihr das Kind, das sie in den Armen auf und nieder wiegt. Aber nun, mein würdiger Herr, nun denkt Euch mein Erstaunen, ja meinen Schreck, als die Alte mit heller kräftiger Stimme ein Lied in der hohen fröhlichen Lobeweis Herrn Hans Berchlers, Gastgebers zum Geist in Straßburg zu singen beginnt, das also lautet:

›Mägdlein zart mit roten Wangen,
Rosa, hör das Gebot,
Magst dich wahren vor Not und Bangen.
Halt im Herzen nur Gott,
Treib keinen Spott,
Heg kein töricht Verlangen.
Ein glänzend Häuslein wird er bringen,
Würzige Fluten treiben drin,
Blanke Englein gar lustig singen,
Mit frommen Sinn
Horch treuster Minn
Ha! lieblichem Liebesklingen.
Das Häuslein mit güldnem Prangen,
Der hat's ins Haus getrag'n,
Den wirst du süß umfangen,
Darfst nicht den Vater frag'n,
Ist dein Bräutgam minniglich.
Ins Haus das Häuslein bringt allwegen
Reichtum, Glück, Heil und Hort,
Jungfräulein! – Augen klar!
Öhrlein auf vor treuem Wort,
Magst wohl hinfort,
Blühen in Gottes Segen!‹

Und als sie dies Lied ausgesungen hat, legt sie das Kind leise und behutsam auf das Deckbette nieder, und die welke zitternde Hand auf seine Stirn gelegt, lispelt sie unverständliche Worte, aber das ganz verklärte Antlitz der Alten zeigt wohl, daß sie Gebete spricht. Nun sinkt sie nieder mit dem Kopfe auf die Bettkissen und in dem Augenblick als die Amme das Kind fortträgt, seufzte sie tief auf. Sie ist gestorben!« – »Das ist«, sprach Paumgartner, als Meister Martin schwieg, »das ist eine wunderbare Geschichte, aber doch sehe ich gar nicht ein, wie das weissagende Lied der alten Großmutter mit Euerm starrsinnigen Vorsatz, Rosa nur einem Küpermeister geben zu wollen zusammenhängen kann.« »Ach«, erwiderte Meister Martin, »was kann denn klarer sein, als daß die Alte in dem letzten Augenblick ihres Lebens von dem Herrn ganz besonders erleuchtet, mit weissagender Stimme verkündete, wie es mit Rosa, sollte sie glücklich sein, sich fügen müsse. Der Bräutigam der mit dem blanken Häuslein Reichtum, Glück, Heil und Hort ins Haus bringt: wer kann das anders sein, als der tüchtige Küper, der bei mir sein Meisterstück, sein blankes Häuslein gefertigt hat? In welchem andern Häuslein treiben würzige Fluten als in dem Weinfaß? Und wenn der Wein arbeitet, dann rauscht und summt es wohl auch und plätschert, das sind die lieben Englein, die in den Fluten auf und ab fahren und lustige Liedlein singen. Ja, ja! – keinen andern Bräutigam hat die alte Großmutter gemeint als den Küpermeister, und dabei soll es denn auch bleiben.« »Ihr erklärt«, sprach Paumgartner, »Ihr erklärt, lieber Meister Martin, die Worte der alten Großmutter nun einmal nach Eurer Weise. Mir will Eure Deutung gar nicht recht zu Sinn und ich bleibe dabei, daß Ihr alles der Fügung des Himmels und dem Herzen Eurer Tochter, in dem gewiß der richtige Ausspruch verborgen liegt, lediglich überlassen sollt.« »Und ich«, fiel Martin ungeduldig ein, »ich bleibe dabei, daß mein Eidam nun ein für allemal kein anderer sein soll, als ein tüchtiger Küper.« Paumgartner wäre beinahe zornig geworden über Martins Eigensinn, doch hielt er an sich, und stand auf vom Sitze, indem er sprach: »Es ist spät geworden Meister Martin, laßt uns jetzt aufhören mit Trinken und Reden, beides scheint uns nicht mehr dienlich zu sein.« – Als sie nun hinaustreten auf den Flur, stand ein junges Weib da mit fünf Knaben, von denen der älteste kaum acht, der jüngste kaum ein halbes Jahr alt sein mochte. Das Weib jammerte und schluchzte. Rosa eilte den Eintretenden entgegen und sprach: »Ach Gott im Himmel, Valentin ist nun doch gestorben, dort steht sein Weib mit den Kindern.« »Was? – Valentin gestorben?« rief Meister Martin ganz bestürzt – »ei über das Unglück – über das Unglück! – Denkt Euch«, wandte er sich dann zu Paumgartner, »denkt Euch, mein würdiger Herr! Valentin war der geschickteste Geselle, den ich in der Arbeit hatte, und dabei fleißig und fromm. Vor einiger Zeit verwundete er sich bei dem Bau eines großen Fasses gefährlich mit dem Lenkbeil, die Wunde wurde schlimmer und schlimmer, er verfiel in ein heftiges Fieber und hat nun gar sterben müssen in seinen blühendsten Jahren.« Darauf schritt Meister Martin zu auf das trostlose Weib, die in Tränen gebadet, klagte, daß sie nun wohl verderben werde, in Not und Elend. »Was«, sprach Martin, »was denkt Ihr denn von mir, in meiner Arbeit brachte sich Euer Mann die gefährliche Wunde bei, und ich sollte Euch verlassen in Eurer Not? – Nein ihr alle gehört fortan zu meinem Hause. Morgen, oder wenn Ihr wollt, begraben wir Euern armen Mann, und dann zieht Ihr mit Euern Knaben auf meinen Meierhof vor dem Frauentor, wo ich meine schöne offne Werkstatt habe und täglich mit meinen Gesellen arbeite. Da könnt Ihr dann meiner Hauswirtschaft vorstehen, und Eure tüchtigen Knaben will ich erziehen, als wären es meine eigenen Söhne. Und daß Ihr's nur wißt, Euern alten Vater nehme ich auch in mein Haus. Das war sonst ein tüchtiger Küpergeselle, als er noch Kraft in den Armen hatte. Nun! – wenn er auch nicht mehr Schlägel, Kimmkeule oder Bandhake regieren, oder auf der Fügbank arbeiten kann, so ist er doch wohl noch des Degsels mächtig, oder schabt mir mit dem Krummesser die Bände aus. Genug, er soll mit euch zusammen in meinem Hause aufgenommen sein.« Hätte Meister Martin das Weib nicht erfaßt, sie wäre ihm vor Schmerz und tiefer Rührung beinahe entseelt zu Füßen gesunken. Die ältesten Jungen hingen sich an sein Wams, und die beiden jüngsten, die Rosa auf den Arm genommen, streckten die Händchen nach ihm aus, als hätten sie alles verstanden. Der alte Paumgartner sprach lächelnd, indem ihm die hellen Tränen in den Augen standen: »Meister Martin, man kann Euch nicht gram werden«; und begab sich dann nach seiner Behausung.


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