E. T. A. Hoffmann
Die Serapions-Brüder
E. T. A. Hoffmann

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Die Fermate

Hummels heitres lebenskräftiges Bild, die Gesellschaft in einer italienischen Lokanda, ist bekannt worden durch die Berliner Kunstausstellung im Herbst 1814, auf der es sich befand, Aug und Gemüt gar vieler erlustigend. – Eine üppig verwachsene Laube – ein mit Wein und Früchten besetzter Tisch – an demselben zwei italienische Frauen einander gegenübersitzend – die eine singt, die andere spielt Chitarra – zwischen beiden hinterwärts stehend ein Abbate, der den Musikdirektor macht. Mit aufgehobener Battuta paßt er auf den Moment, wenn Signora die Kadenz, in der sie mit himmelwärts gerichtetem Blick begriffen, endigen wird im langen Trillo, dann schlägt er nieder und die Chitarristin greift keck den Dominanten-Akkord. – Der Abbate ist voll Bewunderung – voll seligen Genusses – und dabei ängstlich gespannt. – Nicht um der Welt willen möchte er den richtigen Niederschlag verpassen. Kaum wagt er zu atmen. Jedem Bienchen, jedem Mücklein möchte er Maul und Flügel verbinden, damit nichts sumse. Um so mehr ist ihm der geschäftige Wirt fatal, der den bestellten Wein gerade jetzt im wichtigsten höchsten Moment herbeiträgt. – Aussicht in einen Laubgang, den glänzende Streiflichter durchbrechen. – Dort hält ein Reiter, aus der Lokanda wird ihm ein frischer Trunk aufs Pferd gereicht. –

Vor diesem Bilde standen die beiden Freunde Eduard und Theodor. »Je mehr ich«, sprach Eduard, »diese zwar etwas ältliche aber wahrhaft virtuosisch begeisterte Sängerin in ihren bunten Kleidern anschaue, je mehr ich mich an dem ernsten echt römischen Profil, an dem schönen Körperbau der Chitarrspielerin ergötze, je mehr mich der höchst vortreffliche Abbate belustigt, desto freier und stärker tritt mir das Ganze ins wirkliche rege Leben. – Es ist offenbar karikiert im höhern Sinn, aber voll Heiterkeit und Anmut! – Ich möchte nur gleich hineinsteigen in die Laube, und eine von den allerliebsten Korbflaschen öffnen, die mich dort vom Tische herab anlächeln. – Wahrhaftig, mir ist es, als spüre ich schon etwas von dem süßen Duft des edlen Weins. – Nein, diese Anregung darf nicht verhauchen in der kalten nüchternen Luft, die uns hier umweht. – Dem herrlichen Bilde, der Kunst, dem heitern Italia, wo hoch die Lebenslust aufglüht, zu Ehren, laß uns hingehen und eine Flasche italienischen Weins ausstechen.« –

Theodor hatte, während Eduard dies in abgebrochenen Sätzen sprach, schweigend und tief in sich gekehrt dagestanden. »Ja, das laß uns tun!« fuhr er jetzt auf, wie aus einem Traum erwachend, aber kaum loskommen konnte er von dem Bilde, und als er, dem Freunde mechanisch folgend, sich schon an der Tür befand, warf er noch sehnsüchtige Blicke zurück, nach den Sängerinnen und nach dem Abbate. Eduards Vorschlag ließ sich leicht ausführen. Sie gingen quer über die Straße, und bald stand in dem blauen Stübchen bei Sala Tarone eine Korbflasche, ganz denen in der Weinlaube ähnlich, vor ihnen. »Es scheint mir aber«, sprach Eduard, nachdem schon einige Gläser geleert waren, und Theodor noch immer still und in sich gekehrt blieb, »es scheint mir aber, als habe dich das Bild auf ganz besondere und gar nicht so lustige Weise angeregt, als mich?« »Ich kann versichern«, erwiderte Theodor, »daß auch ich alles Heitere und Anmutige des lebendigen Bildes in vollem Maße genossen, aber ganz wunderbar ist es doch, daß das Bild getreu eine Szene aus meinem Leben mit völliger Porträtähnlichkeit der handelnden Personen darstellt. Du wirst mir aber zugestehen, daß auch heitere Erinnerungen dann den Geist gar seltsam zu erschüttern vermögen, wenn sie auf solche ganz unerwartete ungewöhnliche Weise plötzlich wie durch einen Zauberschlag geweckt, hervorspringen. Dies ist jetzt mein Fall.« »Aus deinem Leben«, fiel Eduard ganz verwundert ein, »eine Szene aus deinem Leben soll das Bild darstellen? Für gut getroffene Porträts habe ich die Sängerinnen und den Abbate gleich gehalten, aber daß sie dir im Leben vorgekommen sein sollten? Nun so erzähle nur gleich wie das alles zusammenhängt, wir bleiben allein, niemand kommt um diese Zeit her.« »Ich möchte das wohl tun«, sprach Theodor, »aber leider muß ich sehr weit ausholen – von meiner Jugendzeit her.« »Erzähle nur getrost«, erwiderte Eduard, »ich weiß so noch nicht viel von deinen Jugendjahren. Dauert es lange, so folgt nichts Schlimmeres daraus, als daß wir eine Flasche mehr ausstechen, als wir uns vorgenommen; das nimmt aber kein Mensch übel, weder wir, noch Herr Tarone.«

»Daß ich nun endlich«, fing Theodor an, »alles andere beiseite geworfen und mich der edlen Musica ganz und gar ergeben, darüber wundere sich niemand, denn schon als Knabe mochte ich ja kaum was anderes treiben, und klimperte Tag und Nacht auf meines Onkels altem, knarrenden, schwirrenden Flügel. Es war an dem kleinen Orte recht schlecht bestellt um die Musik, niemanden gab es, der mich hätte unterrichten können, als einen alten eigensinnigen Organisten, der war aber ein toter Rechenmeister und quälte mich sehr mit finstern übelklingenden Tokkaten und Fugen. Ohne mich dadurch abschrecken zu lassen, hielt ich treulich aus. Manchmal schalt der Alte gar ärgerlich, aber er durfte nur wieder einmal einen wackern Satz in seiner starken Manier spielen, und versöhnt war ich mit ihm und der Kunst. Ganz wunderbar wurde mir dann oft zumute, mancher Satz vorzüglich von dem alten Sebastian Bach glich beinahe einer geisterhaften greulichen Erzählung und mich erfaßten die Schauer, denen man sich so gern hingibt in der fantastischen Jugendzeit. Ein ganzes Eden erschloß sich mir aber, wenn, wie es im Winter zu geschehen pflegte, der Stadtpfeifer mit seinen Gesellen, unterstützt von ein paar schwächlichen Dilettanten, ein Konzert gab und ich in der Symphonie die Pauken schlug, welches mir vergönnt wurde wegen meines richtigen Takts. Wie lächerlich und toll diese Konzerte oft waren, habe ich erst später eingesehen. Gewöhnlich spielte mein Lehrer zwei Flügelkonzerte von Wolf oder Emanuel Bach, ein Kunstpfeifergesell quälte sich mit Stamitz, und der Akziseeinnehmer blies auf der Flöte gewaltig und übernahm sich im Atem so, daß er beide Lichter am Pult ausblies, die immer wieder angezündet werden mußten. An Gesang war nicht zu denken, das tadelte mein Onkel, ein großer Freund und Verehrer der Tonkunst, sehr. Er gedachte noch mit Entzücken der älteren Zeit, als die vier Kantoren der vier Kirchen des Orts sich verbanden zur Aufführung von Lottchen am Hofe, im Konzertsaal. Vorzüglich pflegte er die Toleranz zu rühmen, womit die Sänger sich zum Kunstwerk vereinigt, da außer der katholischen und evangelischen noch die reformierte Gemeinde sich in zwei Zungen, der deutschen und französischen, spaltete; der französische Kantor ließ sich das Lottchen nicht nehmen, und trug, wie der Onkel versicherte, brillbewaffnet die Partie mit dem anmutigsten Falsett vor, der jemals aus einer menschlichen Kehle herauspfiff. Nun verzehrte aber bei uns (am Orte, mein ich) eine fünfundfunfzigjährige Demoiselle, namens Meibel, die karge Pension, welche sie als jubilierte Hofsängerin aus der Residenz erhielt, und mein Onkel meinte richtig, die Meibel könne für das Geld noch wirklich was weniges jubilieren im Konzerte. Sie tat vornehm, und ließ sich lange bitten, doch gab sie endlich nach, und so kam es im Konzerte auch zu Bravourarien. Es war eine wunderliche Person, diese Demoiselle Meibel. Ich habe die kleine hagere Gestalt noch lebhaft in Gedanken. Sehr feierlich und ernst pflegte sie mit ihrer Partie in der Hand in einem buntstoffnen Kleide vorzutreten, und mit einer sanften Beugung des Oberleibes die Versammlung zu begrüßen. Sie trug einen ganz sonderbaren Kopfputz, an dessen Vorderseite ein Strauß von italienischen Porzellanblumen befestigt war, der, indem sie sang, seltsam zitterte und nickte. Wenn sie geendigt und die Gesellschaft nicht wenig applaudiert hatte, gab sie ihre Partie mit stolzem Blick meinem Lehrer, dem es vergönnt war in die kleine Porzellandose zu greifen, die einen Mops vorstellte und die sie hervorgezogen, um daraus mit vieler Behaglichkeit Tabak zu nehmen. Sie hatte eine garstige quäkende Stimme, machte allerlei skurrile Schnörkel und Koloraturen und du kannst denken, wie dies, verbunden mit dem lächerlichen Eindruck ihrer äußeren Erscheinung auf mich wirken mußte. Mein Onkel ergoß sich in Lobeserhebungen, ich konnte das nicht begreifen und gab mich um so eher meinem Organisten hin, der, überhaupt ein Verächter des Gesanges, in seiner hypochondrischen boshaften Laune die alte possierliche Demoiselle gar ergötzlich zu parodieren wußte.

Je lebhafter ich jene Verachtung des Gesanges mit meinem Lehrer teilte, desto höher schlug er mein musikalisches Genie an. Mit dem größesten Eifer unterrichtete er mich im Kontrapunkt und bald setzte ich die künstlichsten Fugen und Tokkaten. Eben solch ein künstliches Stück von meiner Arbeit spielte ich einst an meinem Geburtstage, (neunzehn Jahr war ich alt worden) dem Onkel vor, als der Kellner aus unserm vornehmsten Gasthause ins Zimmer trat, zwei ausländische eben gekommene Damen ankündigend. Noch ehe der Onkel den großgeblümten Schlafrock abwerfen und sich ankleiden konnte, traten die Gemeldeten schon hinein. – Du weißt, wie jede fremde Erscheinung auf den in kleinstädtischer Beengtheit Erzogenen elektrisch wirkt; – zumal diese, welche so unerwartet in mein Leben trat, war ganz dazu geeignet mich wie ein Zauberschlag zu treffen. Denke dir zwei schlanke hochgewachsene Italienerinnen, nach der letzten Mode fantastisch bunt gekleidet, recht virtuosisch keck und doch gar anmutig auf meinen Onkel zuschreitend und auf ihn hineinredend mit starker aber wohltönender Stimme. – Was sprechen sie denn für eine sonderbare Sprache? – nur zuweilen klingt es beinahe wie deutsch! – Der Onkel versteht kein Wort – verlegen zurücktretend – ganz verstummt zeigt er nach dem Sofa. Sie nehmen Platz – sie reden untereinander, das tönt wie lauter Musik. – Endlich verständigen sie sich dem Onkel, es sind reisende Sängerinnen, sie wollen Konzert geben am Orte und wenden sich an ihn, der solche musikalische Operationen einzuleiten vermag.

Wie sie miteinander sprachen, hatte ich ihre Vornamen herausgehorcht und es war mir, als könne ich, da zuvor mich die Doppelerscheinung verwirrt, jetzt besser und deutlicher jede einzeln erfassen. Lauretta, anscheinend die ältere, mit strahlenden Augen umherblitzend, sprach mit überwallender Lebhaftigkeit und heftiger Gestikulation auf den ganz verlegenen Onkel hinein. Nicht eben zu groß, war sie üppig gebaut und mein Auge verlor sich in manchen mir noch fremden Reizen. Teresina, größer, schlanker, länglichen ernsten Gesichts, sprach nur wenig, indessen verständlicher dazwischen. Dann und wann lächelte sie ganz seltsam, es war beinahe als ergötze sie sehr der gute Onkel, der sich in seinen seidenen Schlafrock wie in ein Gehäuse einzog, und vergebens suchte ein verräterisches gelbes Band zu verstecken, womit die Nachtjacke zugebunden und das immer wieder ellenlang aus dem Busen hervorwedelte. Endlich standen sie auf, der Onkel versprach für den dritten Tag das Konzert anzuordnen und wurde samt mir, den er als einen jungen Virtuosen vorgestellt, höflichst auf Nachmittag zur Ciocolata von den Schwestern eingeladen. Wir stiegen ganz feierlich und schwer die Treppen hinan, es war uns beiden ganz seltsam zumute, als sollten wir irgendein Abenteuer bestehen, dem wir nicht gewachsen. Nachdem der Onkel gehörig dazu vorbereitet, über die Kunst viel Schönes gesprochen, welches niemand verstand, weder er noch wir andern, nachdem ich mit der brühheißen Schokolade mir zweimal die Zunge versengt, aber ein Scävola an stoischem Gleichmut, gelächelt hatte zum wütenden Schmerz, sagte Lauretta, sie wolle uns etwas vorsingen. Teresina nahm die Chitarra, stimmte und griff einige volle Akkorde. Nie hatte ich das Instrument gehört, ganz wunderbar erfaßte mich tief im Innersten der dumpfe geheimnisvolle Klang, in dem die Saiten erbebten. Ganz leise fing Lauretta den Ton an, den sie aushielt bis zum Fortissimo und dann schnell losbrach in eine kecke krause Figur durch anderthalb Oktaven. Noch weiß ich die Worte des Anfangs: ›Sento l'amica speme.‹ – Mir schnürte es die Brust zusammen, nie hatte ich das geahnet. Aber so wie Lauretta immer kühner und freier des Gesanges Schwingen regte, wie immer feuriger funkelnd der Töne Strahlen mich umfingen, da ward meine innere Musik, so lange tot und starr, entzündet und schlug empor in mächtigen herrlichen Flammen. Ach! – ich hatte ja zum erstenmal in meinem Leben Musik gehört. – Nun sangen beide Schwestern jene ernste tief gehaltene Duetten vom Abbate Steffani. Teresinas volltönender himmlisch reiner Alt drang mir durch die Seele. Nicht zurückhalten konnte ich meine innere Bewegung, mir stürzten die Tränen aus den Augen. Der Onkel räusperte sich, mir mißfällige Blicke zuwerfend, das half nichts, ich war wirklich ganz außer mir. Den Sängerinnen schien das zu gefallen, sie erkundigten sich nach meinen musikalischen Studien, ich schämte mich meines musikalischen Treibens und mit der Dreistigkeit, die die Begeisterung mir gegeben, erklärte ich geradezu heraus: erst heute hätte ich Musik gehört! ›Il bon fanciullo‹, lispelte Lauretta recht süß und lieblich. Als ich nach Hause gekommen, befiel mich eine Art von Wut, ich ergriff alle Tokkaten und Fugen, die ich zusammengedrechselt, ja sogar fünfundvierzig Variationen über ein kanonisches Thema, die der Organist komponiert und mir verehrt in sauberer Abschrift, warf alles ins Feuer und lachte recht hämisch als der doppelte Kontrapunkt so dampfte und knisterte. Nun setzte ich mich ans Instrument und versuchte erst die Töne der Chitarra nachzuahmen, dann, die Melodien der Schwestern nachzuspielen, ja endlich nachzusingen. ›Man quäcke nicht so schrecklich und lege sich fein aufs Ohr‹, rief um Mitternacht endlich der Onkel, löschte mir beide Lichter aus und kehrte in sein Schlafzimmer zurück, aus dem er hervorgetreten. Ich mußte gehorchen. Der Traum brachte mir das Geheimnis des Gesanges – so glaubte ich – denn ich sang vortrefflich ›sento l'amica speme‹. – Den andern Morgen hatte der Onkel alles was nur geigen und pfeifen konnte zur Probe bestellt. Stolz wollte er zeigen, wie herrlich unsere Musik beschaffen, es lief indessen höchst unglücklich ab. Lauretta legte eine große Szene auf, aber gleich im Rezitativ tobten sie alle durcheinander, keiner hatte eine Idee vom Akkompagnieren. Lauretta schrie – wütete – weinte vor Zorn und Ungeduld. Der Organist saß am Flügel, über den fiel sie her mit den bittersten Vorwürfen. Er stand auf und ging in stummer Verstocktheit zur Türe hinaus. Der Stadtpfeifer, dem Lauretta ein: ›Asino maledetto‹, an den Kopf geworfen, hatte die Violine unter den Arm genommen und den Hut trotzig auf den Kopf geworfen. Er bewegte sich ebenfalls nach der Türe, die Gesellen, Bogen in die Saiten gesteckt, Mundstücke abgeschraubt, folgten. Bloß die Dilettanten schauten umher mit weinerlichen Blicken und der Akziseinnehmer rief tragisch: ›O Gott wie alteriert mich das!‹ – Alle meine Schüchternheit hatte mich verlassen, ich warf mich dem Stadtpfeifer in den Weg, ich bat, ich flehte, ich versprach ihm in der Angst sechs neue Menuetts mit doppeltem Trio für den Stadtball. – Es gelang mir ihn zu besänftigen. Er kehrte zurück zum Pulte, die Gesellen traten heran, bald war das Orchester hergestellt, nur der Organist fehlte. Langsam wandelte er über den Markt, kein Winken, kein Zurufen lenkte seine Schritte zurück. Teresina hatte alles mit verbissenem Lachen angesehen, Lauretta, so zornig sie erst gewesen, so heiter war sie jetzt. Sie lobte über Gebühr meine Bemühungen, sie fragte mich, ob ich den Flügel spiele und ehe ich mir's versah, saß ich an des Organisten Stelle vor der Partitur. Noch nie hatte ich den Gesang begleitet oder gar ein Orchester dirigiert. Teresina setzte sich mir zur Seite an den Flügel und gab mir jedes Tempo an, ich bekam ein aufmunterndes Bravo nach dem andern von Lauretta, das Orchester fügte sich, es ging immer besser. In der zweiten Probe wurde alles klar und die Wirkung des Gesanges der Schwestern im Konzerte war unbeschreiblich. Es sollten in der Residenz bei der Rückkunft des Fürsten viele Feierlichkeiten stattfinden, die Schwestern waren hinüberberufen um auf dem Theater und im Konzert zu singen; bis zur Zeit, wenn ihre Gegenwart notwendig, hatten sie sich entschlossen in unserm Städtchen zu verweilen und so kam es denn, daß sie noch ein paar Konzerte gaben. Die Bewunderung des Publikums ging über in eine Art Wahnsinn. Nur die alte Meibel nahm bedächtig eine Prise aus dem Porzellan-Mops und meinte: solch impertinentes Geschrei sei kein Gesang, man müsse hübsch duse singen. Mein Organist ließ sich gar nicht mehr sehen und ich vermißte ihn auch nicht. Ich war der glückseligste Mensch auf Erden! – Den ganzen Tag saß ich bei den Schwestern, akkompagnierte und schrieb die Stimmen aus den Partituren zum Gebrauch in der Residenz. Lauretta war mein Ideal, alle bösen Launen, die entsetzlich aufbrausende Heftigkeit – die virtuosische Quälerei am Flügel – alles ertrug ich mit Geduld! – Sie, nur sie hatte mir ja die wahre Musik erschlossen. Ich fing an, das Italienische zu studieren und mich in Kanzonetten zu versuchen. Wie schwebte ich im höchsten Himmel, wenn Lauretta meine Komposition sang und sie gar lobte! Oft war es mir, als habe ich das gar nicht gedacht und gesetzt, sondern in Laurettas Gesange strahle erst der Gedanke hervor. An Teresina konnte ich mich nicht recht gewöhnen, sie sang nur selten, schien nicht viel auf mein ganzes Treiben zu geben und zuweilen war es mir sogar, als lache sie mich hinterrücks aus. Endlich kam die Zeit der Abreise heran. Nun erst fühlte ich, was mir Lauretta geworden und die Unmöglichkeit mich von ihr zu trennen. Oft, wenn sie recht smorfiosa gewesen, liebkoste sie mich, wiewohl auf ganz unverfängliche Weise, aber mein Blut kochte auf und nur die seltsame Kälte, die sie mir entgegenzusetzen wußte, hielt mich ab, hell auflodernd in toller Liebeswut sie in meine Arme zu fassen. – Ich hatte einen leidlichen Tenor, den ich zwar nie geübt, der sich aber jetzt schnell ausbildete. Häufig sang ich mit Lauretta jene zärtliche italienische Duettini, deren Zahl unendlich ist. Eben ein solches Duett sangen wir, die Abreise war nahe – ›senza di te ben mio, vivere non poss'io‹ – Wer vermochte das zu ertragen! – Ich stürzte zu Laurettas Füßen – ich war in Verzweiflung! Sie hob mich auf, ›aber mein Freund! dürfen wir uns denn trennen?‹ – Ich horchte voll Erstaunen hoch auf. Sie schlug mir vor, mit ihr und Teresina nach der Residenz zu gehen, denn aus dem Städtchen heraus müßte ich doch einmal, wenn ich mich der Musik ganz widmen wolle. Denke dir einen, der in den schwärzesten bodenlosen Abgrund stürzt, er verzweifelt am Leben, aber in dem Augenblick, wo er den Schlag, der ihn zerschmettert, zu empfinden glaubt, sitzt er in einer herrlichen hellen Rosenlaube und hundert bunte Lichterchen umhüpfen ihn und rufen: ›Liebster bis dato leben Sie noch!‹ – So war mir jetzt zumute. Mit nach der Residenz! das stand fest in meiner Seele! – Nicht ermüden will ich dich damit, wie ich es anfing dem Onkel zu beweisen, daß ich nun durchaus nach der ohnehin nicht sehr entfernten Residenz müßte. Er gab endlich nach, versprach sogar mitzureisen. Welch ein Strich durch die Rechnung! – Meine Absicht mit den Sängerinnen zu reisen, durfte ich ja nicht laut werden lassen. Ein tüchtiger Katarrh, der den Onkel befiel, rettete mich. Mit der Post fuhr ich von dannen, aber nur bis auf die nächste Station, wo ich blieb um meine Göttin zu erwarten. Ein wohlgespickter Beutel setzte mich in den Stand alles gehörig vorzubereiten. Recht romantisch wollte ich die Damen wie ein beschützender Paladin zu Pferde begleiten; ich wußte mir einen nicht besonders schönen, aber nach der Versicherung des Verkäufers geduldigen Gaul zu verschaffen und ritt zur bestimmten Zeit den Sängerinnen entgegen. Bald kam der kleine zweisitzige Wagen langsam heran. Den Hintersitz hatten die Schwestern eingenommen, auf dem kleinen Rücksitz saß ihr Kammermädchen, die kleine dicke Gianna, eine braune Neapolitanerin. Außerdem war noch der Wagen mit allerlei Kisten, Schachteln und Körben, von denen reisende Damen sich nie trennen, vollgepackt. Von Giannas Schoße bellten mir zwei kleine Möpse entgegen, als ich froh die Erwarteten begrüßte. Alles ging glücklich vonstatten, wir waren schon auf der letzten Station, da hatte mein Pferd den besondern Einfall nach der Heimat zurückkehren zu wollen. Das Bewußtsein, in dergleichen Fällen nicht mit sonderlichem Erfolg Strenge brauchen zu können, riet mir alle nur mögliche sanfte Mittel zu versuchen, aber der starrsinnige Gaul blieb ungerührt bei meinem freundlichen Zureden. Ich wollte vorwärts, er rückwärts, alles was ich mit Mühe über ihn erhielt, war, daß, statt rückwärts auszureißen, er sich nur im Kreise drehte. Teresina bog sich zum Wagen heraus und lachte sehr, während Lauretta beide Hände vor dem Gesicht, laut aufschrie, als sei ich in größter Lebensgefahr. Das gab mir den Mut der Verzweiflung, ich drückte beide Sporn dem Gaul in die Rippen, lag aber auch in demselben Augenblick unsanft hinabgeschleudert auf dem Boden. Das Pferd blieb ruhig stehen, und schaute mich mit lang vorgerecktem Halse ordentlich verhöhnend an. Ich vermochte nicht aufzustehen, der Kutscher eilte mir zu helfen, Lauretta war herausgesprungen und weinte und schrie, Teresina lachte unaufhörlich. Ich hatte mir den Fuß verstaucht und konnte nicht wieder aufs Pferd. Wie sollte ich fort? Das Pferd wurde an den Wagen gebunden, in den ich hineinkriechen mußte. Denke dir zwei ziemlich robuste Frauenzimmer, eine dicke Magd, zwei Möpse, ein Dutzend Kisten, Schachteln und Körbe und nun noch mich dazu in einen kleinen zweisitzigen Wagen zusammengepackt – denke dir Laurettas Jammern über den unbequemen Sitz – das Heulen der Möpse – das Geschnatter der Neapolitanerin – Teresinas Schmollen – meinen unsäglichen Schmerz am Fuße, und du wirst das Anmutige meiner Lage ganz empfinden. Teresina konnte es, wie sie sagte, nicht länger aushalten. Man hielt, mit einem Satz war sie aus dem Wagen heraus. Sie band mein Pferd los, setzte sich quer über den Sattel und trabte und kurbettierte vor uns her. Gestehen mußte ich, daß sie sich gar herrlich ausnahm. Die ihr in Gang und Stellung eigene Hoheit und Grazie zeigte sich noch mehr auf dem Pferde. Sie ließ sich die Chitarra hinausreichen und, die Zügel um den Arm geschlungen, sang sie stolze spanische Romanzen, volle Akkorde dazu greifend. Ihr helles seidenes Kleid flatterte, im schimmernden Faltenwurf spielend, und wie in den Tönen kosende Luftgeister, nickten und wehten die weißen Federn auf ihrem Hute. Die ganze Erscheinung war hochromantisch, ich konnte kein Auge von Teresina wenden, unerachtet Lauretta sie eine fantastische Närrin schalt, der die Keckheit übel bekommen würde. Es ging aber glücklich, das Pferd hatte allen Starrsinn verloren oder es war ihm die Sängerin lieber als der Paladin, kurz – erst vor den Toren der Residenz, kroch Teresina wieder ins Wagengehäuse hinein.

Sieh mich jetzt in Konzerten und Opern, sieh mich in aller möglichen Musik schwelgen – sieh mich als fleißigen Correpetitore am Flügel, Arien, Duetten, und was weiß ich sonst einstudieren. Du merkst es dem ganz veränderten Wesen an, daß ein wunderbarer Geist mich durchdringt. Alle kleinstädtische Scheu ist abgeworfen, wie ein Maestro sitze ich am Flügel vor der Partitur, die Szenen meiner Donna dirigierend. – Mein ganzer Sinn – meine Gedanken sind süße Melodie. – Ich schreibe unbekümmert um kontrapunktische Künste, allerlei Kanzonetten und Arien, die Lauretta singt, wiewohl nur im Zimmer. – Warum will sie nie etwas von mir im Konzert singen? – Ich begreife es nicht! – Aber Teresina erscheint mir zuweilen auf stolzem Roß mit der Lyra, wie die Kunst selbst in kühner Romantik – unwillkürlich schreib ich manch hohes ernstes Lied! – Es ist wahr, Lauretta spielt mit den Tönen wie eine launische Feenkönigin. Was darf sie wagen, das ihr nicht glücke? Teresina bringt keine Roulade heraus – ein simpler Vorschlag, ein Mordent höchstens, aber ihr langgehaltener Ton leuchtet durch finstern Nachtgrund und wunderbare Geister werden wach und schauen mit ernsten Augen tief hinein in die Brust. – Ich weiß nicht, wie ich so lange dafür verschlossen sein konnte. –

Das den Schwestern bewilligte Benefiz-Konzert war herangekommen, Lauretta sang mit mir eine lange Szene von Anfossi. Ich saß wie gewöhnlich am Flügel. Die letzte Fermate trat ein. Lauretta bot alle ihre Kunst auf, Nachtigalltöne wirbelten auf und ab – aushaltende Noten – dann bunte krause Rouladen, ein ganzes Solfeggio! In der Tat schien mir das Ding diesmal beinahe zu lang, ich fühlte einen leisen Hauch; Teresina stand hinter mir. In demselben Augenblick holte Lauretta aus, zum anschwellenden Harmonika-Triller, mit ihm wollte sie in das a tempo hinein. Der Satan regierte mich, nieder schlug ich mit beiden Händen den Akkord, das Orchester folgte, geschehen war es um Laurettas Triller, um den höchsten Moment der alles in Staunen setzen sollte. Lauretta, mit wütenden Blicken mich durchbohrend, riß die Partie zusammen, warf sie mir an den Kopf, daß die Stücke um mich her flogen und rannte wie rasend durch das Orchester in das Nebengemach. Sowie das Tutti geschlossen, eilte ich nach. Sie weinte, sie tobte. ›Mir aus den Augen Frevler‹, schrie sie mir entgegen – ›Teufel, der hämisch mich um alles gebracht – um meinen Ruhm, um meine Ehre – ach um meinen Trillo – Mir aus den Augen verruchter Sohn der Hölle!‹ – Sie fuhr auf mich los, ich entsprang durch die Türe. Während des Konzerts, das eben jemand vortrug, gelang es endlich Teresinen und dem Kapellmeister die Wütende so weit zu besänftigen, daß sie wieder vorzutreten sich entschloß; ich durfte aber nicht mehr an den Flügel. Im letzten Duett das die Schwestern sangen, brachte Lauretta noch wirklich den anschwellenden Harmonikatriller an, wurde über die Maßen beklatscht und geriet in die beste Stimmung. Ich konnte indessen die üble Behandlung, die ich in Gegenwart so vieler fremder Personen von Lauretta erduldet, nicht verwinden, und war fest entschlossen den andern Morgen nach meiner Vaterstadt zurückzureisen. Eben packte ich meine Sachen zusammen als Teresina in mein Stübchen trat. Mein Beginnen gewahrend rief sie voll Erstaunen: ›Du willst uns verlassen?‹ ich erklärte, daß, nachdem ich solche Schmach von Lauretta erduldet, ich länger in ihrer Gesellschaft nicht bleiben könne. ›Also die tolle Aufführung einer Närrin‹, sprach Teresina, ›die sie schon herzlich bereut, treibt dich fort? Kannst du denn aber besser leben in deiner Kunst als bei uns? Nur auf dich kommt es ja an, durch dein Betragen Lauretta von ähnlichem Beginnen abzuhalten. Du bist zu nachgiebig, zu süß, zu sanft. Überhaupt schlägst du Laurettas Kunst zu hoch an. Sie hat keine üble Stimme und viel Umfang, das ist wahr, aber alle diese sonderbaren wirblichten Schnörkel, die ungemessenen Läufe, diese ewigen Triller, was sind sie anders, als blendende Kunststückchen, die so bewundert werden, wie die waghalsigen Sprünge des Seiltänzers? Kann denn so etwas tief in uns eindringen und das Herz rühren? Den Harmonika-Triller, den du verdorben, kann ich nun gar nicht leiden, es wird mir ängstlich und weh dabei. Und dann dies Hoch-hinauf-Klettern in die Region der drei Striche, ist das nicht ein erzwungenes Übersteigen der natürlichen Stimme, die doch nur allein wahrhaft rührend bleibt? Ich lobe mir die Mittel- und die tiefen Töne. Ein in das Herz dringender Laut, ein wahrhaftes Portamento di voce geht mir über alles. Keine unnütze Verzierung, ein fest und stark gehaltener Ton – ein bestimmter Ausdruck, der Seele und Gemüt erfaßt, das ist der wahre Gesang und so singe ich. Magst du Lauretta nicht mehr leiden, so denke an Teresina, die dich so gern hat, weil du nach deiner eigentlichen Art und Weise eben mein Maestro und Compositore werden wirst. – Nimm mir's nicht übel! Alle deine zierlichen Kanzonetten und Arien sind gar nichts wert gegen das einzige.‹ – Teresina sang mit ihrer sonoren vollen Stimme einen einfachen kirchenmäßigen Kanzone, den ich vor wenigen Tagen gesetzt. Nie hatte ich geahnt, daß das so klingen könnte. Die Töne drangen mit wunderbarer Gewalt in mich hinein, die Tränen standen mir in den Augen vor Lust und Entzücken, ich ergriff Teresinas Hand, ich drückte sie tausendmal an den Mund, ich schwur, mich niemals von ihr zu trennen. – Lauretta sah mein Verhältnis mit Teresina mit neidischem verbissenen Ärger an, indessen sie bedurfte meiner, denn trotz ihrer Kunst war sie nicht imstande, Neues ohne Hülfe einzustudieren, sie las schlecht und war auch nicht taktfest. Teresina las alles vom Blatt, und daneben war ihr Taktgefühl ohnegleichen. Nie ließ Lauretta ihren Eigensinn und ihre Heftigkeit mehr aus als beim Akkompagnieren. Nie war ihr die Begleitung recht – sie behandelte das als ein notwendiges Übel – man sollte den Flügel gar nicht hören, immer pianissimo – immer nachgeben und nachgeben – jeder Takt anders, so wie es in ihrem Kopfe sich nun gerade gestaltet hatte im Moment. Jetzt setzte ich mich ihr mit festem Sinn entgegen, ich bekämpfte ihre Unarten, ich bewies ihr, daß ohne Energie keine Begleitung denkbar sei, daß Tragen des Gesanges sich merklich unterscheide von taktloser Zerflossenheit. Teresina unterstützte mich treulich. Ich komponierte nur Kirchensachen und gab alle Soli der tiefen Stimme. Auch Teresina hofmeisterte mich nicht wenig, ich ließ es mir gefallen, denn sie hatte mehr Kenntnis und (so glaubte ich) mehr Sinn für deutschen Ernst als Lauretta.

Wir durchzogen das südliche Deutschland. In einer kleinen Stadt trafen wir auf einen italienischen Tenor, der von Mailand nach Berlin wollte. Meine Damen waren entzückt über den Landsmann; er trennte sich nicht von ihnen, vorzüglich hielt er sich an Teresina, und zu meinem nicht geringen Ärger spielte ich eine ziemlich untergeordnete Rolle. Einst wollte ich mit einer Partitur unter dem Arm gerade ins Zimmer treten, als ich drinnen ein lebhaftes Gespräch zwischen meinen Damen und dem Tenor vernahm. Mein Name wurde genannt – ich stutzte, ich horchte. Das Italienische verstand ich jetzt so gut, daß mir kein Wort entging. Lauretta erzählte eben den tragischen Vorfall im Konzert, wie ich ihr durch unzeitiges Niederschlagen den Triller abgeschnitten. ›Asino tedesco‹, rief der Tenor – es war mir zumute als müßte ich hinein, und den luftigen Theaterhelden zum Fenster hinauswerfen – ich hielt an mich. Lauretta sprach weiter, daß sie mich gleich fortjagen wollen, indessen sei sie durch mein flehentliches Bitten bewogen worden, mich noch ferner um sich zu dulden aus Mitleid, da ich bei ihr den Gesang studieren wollen. Teresina bestätigte dies zu meinem nicht geringen Erstaunen. ›Es ist ein gutes Kind‹, fügte sie hinzu, ›jetzt ist er in mich verliebt, und setzt alles für den Alt. Einiges Talent ist in ihm, aber er muß sich aus dem Steifen und Ungelenken herausarbeiten, das den Deutschen eigen. Ich hoffe mir aus ihm einen Compositore zu bilden, der mir, da wenig für den Alt geschrieben wird, einige tüchtige Sachen setzt, nachher lasse ich ihn laufen. Er ist mit seinem Liebeln und Schmachten sehr langweilig, auch quält er mich zu sehr mit seinen leidigen Kompositionen die zur Zeit ganz erbärmlich sind.‹ ›Wenigstens bin ich ihn jetzt los‹, fiel Lauretta ein, ›was hat mich der Mensch verfolgt mit seinen Arien und Duetten, weißt du wohl noch Teresina?‹ – Nun fing Lauretta ein Duett an, das ich komponiert, und das sie sonst hoch gerühmt hatte. Teresina nahm die zweite Stimme auf und beide parodierten in Stimme und Vortrag mich auf das grausamste. Der Tenor lachte, daß es im Zimmer schallte, ein Eisstrom goß sich durch meine Glieder – mein Entschluß war gefaßt unwiderruflich. Leise schlich ich mich fort von der Tür in mein Zimmer zurück, dessen Fenster in die Seitenstraße gingen. Gegenüber war die Post gelegen, eben fuhr der Bamberger Postwagen vor, der gepackt werden sollte. Die Passagiere standen schon vor dem Torwege, doch hatte ich noch eine Stunde Zeit. Schnell raffte ich meine Sachen zusammen, bezahlte großmütig die ganze Rechnung im Gasthofe und eilte nach der Post. Als ich durch die breite Straße fuhr, sah ich meine Damen, die mit dem Tenor noch am Fenster standen, und sich auf den Schall des Posthorns herausbückten. Ich drückte mich zurück in den Hintergrund und dachte recht mit Lust an die tötende Wirkung des gallbittern Billetts, das ich für sie im Gasthofe zurückgelassen hatte.« –

Mit vieler Behaglichkeit schlürfte Theodor die Neige des glühenden Eleatiko aus, die ihm Eduard eingeschenkt. »Der Teresina«, sprach dieser, indem er eine neue Flasche öffnete und geschickt den oben schwimmenden Öltropfen wegschüttete, »der Teresina hätte ich solche Falschheit und Tücke nicht zugetraut. Das anmutige Bild, wie sie zu Pferde, das in zierlichen Kurbetten dahertanzt, spanische Romanzen singt, kommt mir nicht aus den Gedanken.« »Das war ihr Kulminationspunkt«, fiel Theodor ein. »Noch erinnere ich mich des seltsamen Eindrucks, den die Szene auf mich machte. Ich vergaß meine Schmerzen; Teresina kam mir in der Tat wie ein höheres Wesen vor. Daß solche Momente tief ins Leben greifen und urplötzlich manches eine Form gewinnt, die die Zeit nicht verdüstert, ist nur zu wahr. Ist mir jemals eine kecke Romanze gelungen, so trat gewiß in dem Augenblick des Schaffens Teresinas Bild recht klar und farbicht aus meinem Innern hervor.«

»Doch«, sprach Eduard, »laß uns auch die kunstreiche Lauretta nicht vergessen, und gleich, allen Groll beiseite gesetzt, auf das Wohl beider Schwestern anstoßen.« – Es geschah! – »Ach«, sprach Theodor: »wie wehen doch aus diesem Wein die holden Düfte Italiens mich an – wie glüht mir doch frisches Leben durch Nerven und Adern! – Ach warum mußte ich doch das herrliche Land so schnell wieder verlassen!« »Aber«, fiel Eduard ein: »noch fand ich in allem was du erzähltest keinen Zusammenhang mit dem himmlischen Bilde und so, glaube ich, hast du noch mehr von den Schwestern zu sagen. Wohl merke ich, daß die Damen auf dem Bilde keine anderen sind als eben Lauretta und Teresina selbst.« »So ist es in der Tat«, erwiderte Theodor: »und meine sehnsüchtigen Stoßseufzer nach dem herrlichen Lande leiten sehr gut das ein, was ich noch zu erzählen habe. Kurz vorher, als ich vor zwei Jahren Rom verlassen wollte, machte ich zu Pferde einen kleinen Abstecher. Vor einer Lokanda stand ein recht freundliches Mädchen und es fiel mir ein, wie behaglich es sein müsse, mir von dem niedlichen Kinde einen Trunk edlen Weins reichen zu lassen. Ich hielt vor der Haustüre in dem von glühenden Streiflichtern durchglänzten Laubgange. Mir schallten aus der Ferne Gesang und Chitarratöne entgegen – Ich horchte hoch auf, denn die beiden weiblichen Stimmen wirkten ganz sonderbar auf mich, seltsam gingen dunkle Erinnerungen in mir auf, die sich nicht gestalten wollten. Ich stieg vom Pferde und näherte mich langsam und auf jeden Ton lauschend der Weinlaube, aus der die Musik zu ertönen schien. Die zweite Stimme hatte geschwiegen. Die erste sang allein eine Kanzonetta. Je näher ich kam, desto mehr verlor sich das Bekannte, das mich erst so angeregt hatte. Die Sängerin war in einer bunten krausen Fermate begriffen. Das wirbelte auf und ab – auf und ab – endlich hielt sie einen langen Ton – aber nun brach eine weibliche Stimme plötzlich in tolles Zanken aus – Verwünschungen, Flüche, Schimpfreden! – Ein Mann protestiert, ein anderer lacht. – Eine zweite weibliche Stimme mischt sich in den Streit. Immer toller und toller braust der Zank mit aller italienischen Rabbia! – Endlich stehe ich dicht vor der Laube – ein Abbate stürzt heraus und rennt mich beinahe über den Haufen – er sieht sich nach mir um, ich erkenne meinen guten Signor Ludovico, meinen musikalischen Neuigkeitsträger aus Rom! – ›Was um des Himmels willen‹, rufe ich – ›Ah Signor Maestro! – Signor Maestro‹, schreit er: ›retten Sie mich – schützen Sie mich vor dieser Wütenden – vor diesem Krokodil – diesem Tiger – dieser Hyäne – diesem Teufel von Mädchen. – Es ist wahr – es ist wahr – ich gab den Takt zu Anfossis Kanzonetta, und schlug zu unrechter Zeit mitten in der Fermate nieder – ich schnitt ihr den Trillo ab – aber warum sah ich ihr in die Augen, der satanischen Göttin! – Hole der Teufel alle Fermaten – alle Fermaten!‹ – In ganz besonderer Bewegung trat ich mit dem Abbate rasch in die Weinlaube und erkannte auf den ersten Blick die Schwestern, Lauretta und Teresina. Noch schrie und tobte Lauretta, noch sprach Teresina heftig in sie hinein – der Wirt, die nackten Arme übereinandergeschlagen, schaute lachend zu, während ein Mädchen den Tisch mit neuen Flaschen besetzte. Sowie mich die Sängerinnen erblickten stürzten sie über mich her. ›Ah Signor Teodoro!‹ und überhäuften mich mit Liebkosungen. Aller Streit war vergessen. ›Seht hier‹, sprach Lauretta zum Abbate: ›seht hier einen Compositore graziös wie ein Italiener, stark wie ein Deutscher!‹ – Beide Schwestern, sich mit Heftigkeit ins Wort fallend, erzählten nun von den glücklichen Tagen unsers Beisammenseins, von meinen tiefen musikalischen Kenntnissen schon als Jüngling – von unsern Übungen – von der Vortrefflichkeit meiner Kompositionen – nie hätten sie etwas anderes singen mögen, als was ich gesetzt – Teresina verkündigte mir endlich, daß sie von einem Impresario zum nächsten Karneval als erste tragische Sängerin engagiert worden, sie wolle aber erklären, daß sie nur unter der Bedingung singen werde, wenn mir wenigstens die Komposition einer tragischen Oper übertragen würde. – Das Ernste Tragische sei doch nun einmal mein Fach u. s. w. Lauretta meinte dagegen: Schade sei es, wenn ich nicht meinem Hange zum Zierlichen, Anmutigen, kurz zur Opera buffa nachgeben wollte. Für diese sei sie als erste Sängerin engagiert, und daß niemand anders als ich die Oper, in der sie zu singen hätte, komponieren solle, verstehe sich von selbst. Du kannst denken mit welchen besonderen Gefühlen ich zwischen beiden stand. Übrigens siehst du, daß die Gesellschaft zu der ich trat, eben diejenige ist, welche Hummel malte und zwar in dem Moment, als der Abbate eben im Begriff ist in Laurettas Fermate hineinzuschlagen.« »Aber dachten sie denn«, sprach Eduard: »gar nicht an dein Scheiden, an das gallbittre Billet?« »Auch nicht mit einem Worte«, erwiderte Theodor, »und ich ebensowenig, denn längst war aller Groll aus meiner Seele gewichen und mein Abenteuer mit den Schwestern mir spaßhaft geworden. Das einzige was ich mir erlaubte, war, dem Abbate zu erzählen, wie vor mehreren Jahren mir auch in einer Anfossischen Arie ein ganz gleicher Unfall begegnet, wie heute ihm. Ich drängte mein ganzes Beisammensein mit den Schwestern in die tragikomische Szene hinein, und ließ kräftige Seitenhiebe austeilend die Schwestern das Übergewicht fühlen, das die an mancher Lebens- und Kunsterfahrung reichen Jahre mir über sie gegeben hatten. ›Und gut war es doch‹, schloß ich, ›daß ich hineinschlug in die Fermate, denn das Ding war angelegt auf ewige Zeiten und ich glaube, ließ ich die Sängerin gewähren, so säß ich noch am Flügel.‹ ›Doch! Signor‹, erwiderte der Abbate: ›welcher Maestro darf sich anmaßen der Primadonna Gesetze zu geben, und dann war Ihr Vergehen viel größer als das meinige, im Konzertsaal, und hier in der Laube – eigentlich war ich nur Maestro in der Idee, niemand durfte was darauf geben – und hätte mich dieser himmlischen Augen süßer Feuerblick nicht betört, so wär ich nicht ein Esel gewesen.‹ Des Abbate letzte Worte waren heilbringend, denn Lauretta, deren Augen während der Abbate sprach, wieder zornig zu funkeln anfingen, wurde dadurch ganz besänftigt.

Wir blieben den Abend über beisammen. Vierzehn Jahre, so lange war es her als ich mich von den Schwestern trennte, ändern viel. Lauretta hatte ziemlich gealtert, indessen war sie noch jetzt nicht ohne Reiz. Teresina hatte sich besser erhalten und ihr schöner Wuchs nicht verloren. Beide gingen ziemlich bunt gekleidet, und ihr ganzer Anstand war wie sonst, also vierzehn Jahre jünger als sie selbst. Teresina sang auf meine Bitte einige der ernsten Lieder, die mich sonst tief ergriffen hatten, aber es war mir als hätten sie anders in meinem Innern widergeklungen und so war auch aus Laurettas Gesang, hatte ihre Stimme auch weder an Stärke und Höhe zu merklich verloren, ganz von dem verschieden, der als der ihrige in meinem Innern lebte. Schon dieses Aufdringen der Vergleichung einer innern Idee mit der nicht eben erfreulichen Wirklichkeit, mußte mich noch mehr verstimmen, als es das Betragen der Schwestern gegen mich, ihre erheuchelte Ekstase, ihre unzarte Bewunderung, die doch sich wie gnädige Protektion gestaltete, schon vorher getan hatte. – Der drollige Abbate, der mit aller nur erdenklichen Süßigkeit den Amoroso von beiden Schwestern machte, der gute Wein reichlich genossen, gaben mir endlich meinen Humor wieder, so daß der Abend recht froh in heller Gemütlichkeit verging. Auf das eifrigste luden mich die Schwestern zu sich ein, um gleich mit ihnen das Nötige über die Partien zu verabreden, die ich für sie setzen sollte. – Ich verließ Rom ohne sie weiter aufzusuchen.« –

»Und doch«, sprach Eduard: »hast du ihnen das Erwachen deines innern Gesanges zu verdanken.« »Allerdings«, erwiderte Theodor: »und eine Menge guter Melodien dazu, aber eben deshalb hätte ich sie nie wiedersehen sollen. Jeder Komponist erinnert sich wohl eines mächtigen Eindrucks, den die Zeit nicht vernichtet. Der im Ton lebende Geist sprach und das war das Schöpfungswort, welches urplötzlich den ihm verwandten im Innern ruhenden Geist weckte; mächtig strahlte er hervor und konnte nie mehr untergehen. Gewiß ist es, daß, so angeregt, alle Melodien die aus dem Innern hervorgehen, uns nur der Sängerin zu gehören scheinen, die den ersten Funken in uns warf. Wir hören sie und schreiben es nur auf, was sie gesungen. Es ist aber das Erbteil von uns Schwachen, daß wir, an der Erdscholle klebend, so gern das Überirdische hinabziehen wollen in die irdische ärmliche Beengtheit. So wird die Sängerin unsere Geliebte – wohl gar unsere Frau! – Der Zauber ist vernichtet und die innere Melodie, sonst Herrliches verkündend, wird zur Klage über eine zerbrochene Suppenschüssel oder einen Tintenfleck in neuer Wäsche. – Glücklich ist der Komponist zu preisen, der niemals mehr im irdischen Leben die wiederschaut, die mit geheimnisvoller Kraft seine innere Musik zu entzünden wußte. Mag der Jüngling sich heftig bewegen in Liebesqual und Verzweiflung, wenn die holde Zauberin von ihm geschieden, ihre Gestalt wird ein himmelherrlicher Ton und der lebt fort in ewiger Jugendfülle und Schönheit und aus ihm werden die Melodien geboren, die nur sie und wieder sie sind. Was ist sie denn nun aber anders als das höchste Ideal, das aus dem Innern heraus sich in der äußern fremden Gestalt spiegelte.«

»Sonderbar aber ziemlich plausibel«, sagte Eduard, als die Freunde Arm in Arm aus dem Taronischen Laden hinausschritten ins Freie.

 

Die Freunde stimmten darin überein, daß wenn auch Theodors Erzählung nicht im eigentlichsten Sinn wie er einmal angenommen, serapiontisch zu nennen, da er Bild und Gestalten die er beschrieben, wohl auch mit leiblichen Augen geschaut, ihr doch eine gewisse frohe und freie Gemütlichkeit nicht abzusprechen und sie daher des Serapion-Klubs nicht ganz unwürdig zu nennen sei. »Du hast«, sprach Ottmar, »du hast mein lieber Freund Theodor! mir durch deine Erzählung deine Bestrebungen in der herrlichen Kunst der Musik recht vor Augen gebracht. Ein jeder von uns trachtete dich hin zu verlocken in ein anderes Gebiet. Während Lothar nur Instrumentalsachen von dir hören wollte, bestand ich auf komische Opern und während Cyprian in, wie er jetzt eingestehen wird, gänzlich form- und regellosen Gedichten die du komponieren solltest, dir das Unerhörte zutraute, gefielst du dich nur in ernster Kirchenmusik. So wie die Sachen nun einmal stehen, möchte doch wohl die ernste tragische Oper die höchste Stufe sein die zu ersteigen der Komponist streben muß, und es ist mir unbegreiflich, daß du nicht schon längst ein solches Werk unternommen und etwas Tüchtiges geleistet hast.«

»Wer anders«, erwiderte Theodor, »wer anders ist denn schuld an meiner Säumnis als du Ottmar ebenso wie Cyprian und Lothar? Hat sich wohl einer von euch entschließen können mir eine Oper zu schreiben alles Bittens, Flehens, Andringens unerachtet?«

»Wunderlicher Mensch«, sprach Cyprian, »hab ich nicht genug mit dir über Operntexte gesprochen, verwarfst du nicht die sublimsten Ideen als gänzlich unausführbar? – Verlangtest du nicht zuletzt sonderbarerweise, daß ich förmlich Musik studieren solle um deine Bedürfnisse verstehen und sie befriedigen zu können? – Da mußte mir ja wohl alle Lust zur Poesie der Art vergehen, als du, von dem ich das nimmermehr geglaubt, zeigtest, daß du ebensogut wie alle handwerksmäßige Komponisten, Kapellmeister und Musikdirektoren an der hergebrachten Form klebst und davon auf keine Weise abweichen willst.«

»Was aber«, nahm Lothar das Wort »was aber gar nicht zu erklären ist. – Sagt, warum in aller Welt schreibt sich Theodor, der des Wortes, des poetischen Ausdrucks mächtig ist, nicht selbst eine Oper? – Warum mutet er uns zu daß wir Musiker werden sollen und unser dichterisches Talent verschwenden nur um ein Ding zu schaffen, dem er erst Leben und Regung gibt? Kennt er nicht am besten sein Bedürfnis? – Liegt es nicht bloß an der Imbezillität der mehrsten Komponisten, an ihrer einseitigen Ausbildung, daß sie anderer Hülfe bedürfen zu ihrem Werk? – Ist denn nicht vollkommene Einheit des Textes aus der Musik nur denkbar wenn Dichter und Komponist eine und dieselbe Person ist?«

»Das klingt«, sprach Theodor, »das klingt alles ganz erstaunlich plausibel und ist doch so ganz und gar nicht wahr. Es ist, wie ich behaupte unmöglich, daß irgendeiner allein ein Werk schaffe gleich vortrefflich in Wort und Ton.«

»Das«, fuhr Lothar fort, »das lieber Theodor, bildest du dir nur ein, entweder wegen unbilliger Mutlosigkeit oder wegen – angeborner Faulheit. Der Gedanke, dich erst durch die Verse durcharbeiten zu müssen um zu den Tönen zu gelangen, ist dir so fatal, daß du dich gar nicht darauf einlassen magst, unerachtet ich doch glaube daß dem begeisterten Dichter und Komponisten Ton und Wort in einem Moment zuströmt.«

»Ganz gewiß«, riefen Cyprian und Ottmar.

»Ihr treibt mich in die Enge«, sprach Theodor, »erlaubt, daß ich statt aller Widerlegung euch ein Gespräch zweier Freunde über die Bedingnisse der Oper vorlese, das ich vor mehreren Jahren aufschrieb. – Die verhängnisvolle Zeit, die wir erlebt war damals im Beginnen. Ich glaubte meine Existenz in der Kunst gefährdet, ja vernichtet, und mich überfiel eine Mutlosigkeit, die auch wohl in körperlichem Kränkeln ihren Grund haben mochte. – Ich schuf mir damals einen serapiontischen Freund der statt des Kiels das Schwert ergriffen. Er richtete mich auf in meinem Schmerz, er stieß mich hinein in das bunteste Gewühl der großen Ereignisse und Taten jener glorreichen Zeit.«

Ohne weiteres begann Theodor:


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