E. T. A. Hoffmann
Die Serapions-Brüder
E. T. A. Hoffmann

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»Sie wissen nun, lieber Herr!« sprach der Jüngling sanft und leise, »wie es mit meinem guten alten Vater beschaffen ist. Ein rauhes Schicksal hat alle seine Lebensblüten abgestreift, und schon seit mehreren Jahren ist er der Kunst abgestorben, für die er sonst lebte. Er sitzt ganze Tage hindurch vor der aufgespannten grundierten Leinwand, den starren Blick darauf geheftet; das nennt er malen, und in welchen exaltierten Zustand ihn dann die Beschreibung eines solchen Gemäldes versetzt, das haben Sie eben erfahren. Nächstdem verfolgt ihn noch ein unglückseliger Gedanke, der mir ein trübes zerrissenes Leben bereitet, ich trage das aber als ein Verhängnis, welches, in dem Schwunge in dem es ihn ergriffen, auch mich fortreißt. Wollen Sie sich von diesem seltsamen Auftritt erholen, so folgen Sie mir in das Nebenzimmer, wo Sie mehrere Gemälde aus meines Vaters früherer fruchtbarer Zeit finden.« – Wie erstaunte Traugott, als er eine Reihe Bilder fand, die von den berühmtesten niederländischen Meistern gemalt zu sein schienen. Mehrenteils Szenen aus dem Leben, z. B. eine Gesellschaft, die von der Jagd zurückkehrt, die sich mit Gesang und Spiel ergötzt, u. a. dergl. darstellend, atmeten sie doch einen tiefen Sinn, und vorzüglich war der Ausdruck der Köpfe von ganz besonderer ergreifender Lebenskraft. Schon wollte Traugott ins Vorzimmer zurückkehren, als er dicht an der Tür ein Bild wahrnahm, vor dem er wie festgezaubert stehenblieb. Es war eine wunderliebliche Jungfrau in altteutscher Tracht, aber ganz das Gesicht des Jünglings, nur voller und höher gefärbt, auch schien die Gestalt größer. Die Schauer namenlosen Entzückens durchbebten Traugott bei dem Anblick des herrlichen Weibes. An Kraft und Lebensfülle war das Bild den Van Dyckschen völlig gleich. Die dunklen Augen blickten voll Sehnsucht auf Traugott herab, die süßen Lippen schienen halb geöffnet liebliche Worte zu flüstern! – »Mein Gott! – mein Gott!« seufzte Traugott aus tiefster Brust: »wo! – wo ist sie zu finden?« – »Gehen wir«, sprach der Jüngling. Da rief Traugott wie von wahnsinniger Lust ergriffen: »Ach sie ist es ja, die Geliebte meiner Seele, die ich so lange im Herzen trug, die ich nur in Ahnungen erkannte! – wo – wo ist sie!« – Dem jungen Berklinger stürzten die Tränen aus den Augen, er schien, wie von jähem Schmerz krampfhaft durchzuckt, sich mit Mühe zusammenzuraffen. »Kommen Sie«, sagte er endlich mit festem Ton, »das Porträt stellt meine unglückliche Schwester Felizitas vor. Sie ist hin auf immer! – Sie werden sie niemals schauen!« – Beinahe bewußtlos ließ sich Traugott in das andere Zimmer zurückführen. Der Alte lag noch im Schlaf, aber plötzlich fuhr er auf, blickte Traugott mit zornfunkelnden Augen an und rief: »Was wollen Sie? – Was wollen Sie, mein Herr?« – Da trat der Jüngling vor, und erinnerte ihn daran, daß er soeben dem Traugott ja sein neues Bild gezeigt habe. Berklinger schien sich nun auf alles zu besinnen, er wurde sichtlich weich und sprach mit gedämpfter Stimme: »Verzeihen Sie, lieber Herr! einem alten Mann solche Vergeßlichkeit.« – »Euer neues Bild, Meister Berklinger«, nahm Traugott nun das Wort, »ist ganz wunderherrlich, und habe ich dergleichen noch niemals geschaut, indessen braucht es wohl vieles Studierens und vieler Arbeit ehe man dahin gelangt so zu malen. Ich spüre großen unwiderstehlichen Trieb zur Kunst in mir, und bitte Euch gar dringend, mein lieber alter Meister! mich zu Eurem fleißigen Schüler anzunehmen.« Der Alte wurde ganz freundlich und heiter, er umarmte Traugott und versprach sein treuer Lehrer zu sein. So geschah es denn, daß Traugott tagtäglich zu dem alten Maler ging und in der Kunst gar große Fortschritte machte. Sein Geschäft war ihm nun ganz zuwider, er wurde so nachlässig, daß Herr Elias Roos laut sich beklagte, und am Ende es gern sah, daß Traugott unter dem Vorwande einer schleichenden Kränklichkeit sich von dem Comptoir ganz losmachte, weshalb denn auch, zu nicht geringem Ärger Christinens, die Hochzeit auf unbestimmte Zeit ausgesetzt wurde. »Ihr Herr Traugott«, sprach ein Handelsfreund zu Herrn Elias Roos, »scheint an einem innern Verdruß zu laborieren, vielleicht ein alter Herzenssaldo, den er gern löschen möchte vor neuer Heirat. Er sieht ganz blaß und verwirrt aus.« – »Ach warum nicht gar«, erwiderte Herr Elias. »Sollte ihm«, fuhr er nach einer Weile fort, »die schelmische Christina einen Spuk gemacht haben? Der Buchhalter, das ist ein verliebter Esel, der küßt und drückt ihr immer die Hände. Traugott ist ganz des Teufels verliebt in mein Mägdlein, das weiß ich. – Sollte vielleicht einige Eifersucht? – Nun ich will ihm auf den Zahn fühlen, dem jungen Herrn!«

So sorglich er aber auch fühlte, konnte er doch nichts erfühlen, und sprach zum Handelsfreunde: »Das ist ein absonderlicher Homo der Traugott, aber man muß ihn gehen lassen nach seiner Weise. Hätte er nicht funfzigtausend Taler in meiner Handlung, ich wüßte was ich täte, da er gar nichts mehr tut.«

 

Traugott hätte nun in der Kunst ein wahres helles Sonnenleben geführt, wenn die glühende Liebe zur schönen Felizitas, die er oft in wunderbaren Träumen sah, ihm nicht die Brust zerrissen hätte. Das Bild war verschwunden. Der Alte hatte es fortgebracht, und Traugott durfte, ohne ihn schwer zu erzürnen, nicht darnach fragen. Übrigens war der alte Berklinger immer zutraulicher geworden, und litt es, daß Traugott, statt des Honorars für den Unterricht, seinen ärmlichen Haushalt auf mannigfache Weise verbesserte. Durch den jungen Berklinger erfuhr Traugott, daß der Alte bei dem Verkauf eines kleinen Kabinetts merklich hintergangen worden, und daß jenes Papier, welches Traugott auswechselte, der Rest der erhaltenen Kaufsumme und ihres baren Vermögens gewesen sei. Nur selten durfte übrigens Traugott mit dem Jüngling vertraut sprechen, der Alte hütete ihn auf ganz besondere Weise, und verwies es ihm gleich recht hart, wenn er frei und heiter sich mit dem Freunde unterhalten wollte. Traugott empfand dies um so schmerzlicher, als er den Jüngling seiner auffallenden Ähnlichkeit mit Felizitas halber aus voller Seele liebte. Ja, oft war es ihm in der Nähe des Jünglings, als stehe lichthell das geliebte Bild neben ihm, als fühle er den süßen Liebeshauch, und er hätte dann den Jüngling, als sei er die geliebte Felizitas selbst, an sein glühendes Herz drücken mögen.

Der Winter war vergangen, der schöne Frühling glänzte und blühte schon in Wald und Flur. Herr Elias Roos riet dem Traugott eine Brunnen- oder Molkenkur an. Christinchen freute sich wiederum auf die Hochzeit, ungeachtet Traugott sich wenig blicken ließ, und noch weniger an das Verhältnis mit ihr dachte.

Eine durchaus nötige Abrechnung hatte einmal den Traugott den ganzen Tag über im Comptoir festgehalten, er mußte seine Malstunden versäumen, und erst in später Abenddämmerung schlich er nach Berklingers entlegener Wohnung. Im Vorzimmer fand er niemand, aus dem Nebengemach ertönten Lautenklänge. Nie hatte er hier noch das Instrument gehört. – Er horchte – wie leise Seufzer schlich ein abgebrochener Gesang durch die Akkorde hin. Er drückte die Tür auf – Himmel! den Rücken ihm zugewendet saß eine weibliche Gestalt, altteutsch gekleidet mit hohem Spitzenkragen, ganz der auf dem Gemälde gleich! – Auf das Geräusch, das Traugott unwillkürlich beim Hereintreten gemacht, erhob sich die Gestalt, legte die Laute auf den Tisch und wandte sich um. Sie war es, sie selbst! – »Felizitas!« schrie Traugott auf voll Entzücken, niederstürzen wollte er vor dem geliebten Himmelsbilde, da fühlte er sich von hinten gewaltig gepackt beim Kragen und mit Riesenkraft herausgeschleppt. »Verruchter! – Bösewicht ohnegleichen!« schrie der alte Berklinger, indem er ihn fortstieß, »das war deine Liebe zur Kunst? – Morden willst du mich!« Und damit riß er ihn zur Tür heraus. Ein Messer blitzte in seiner Hand; Traugott floh die Treppe herab; betäubt, ja halb wahnsinnig vor Lust und Schrecken lief Traugott in seine Wohnung zurück.

Schlaflos wälzte er sich auf seinem Lager. »Felizitas! – Felizitas!« rief er einmal übers andere von Schmerz und Liebesqual zerrissen. »Du bist da – du bist da, und ich soll dich nicht schauen, dich nicht in meine Arme schließen? – Du liebst mich, ach, ich weiß es ja! – In dem Schmerz, der so tötend meine Brust durchbohrt, fühle ich es, daß du mich liebst.« Hell schien die Frühlingssonne in Traugotts Zimmer, da raffte er sich auf und beschloß, es koste was es wolle, das Geheimnis in Berklingers Wohnung zu erforschen. Schnell eilte er hin zum Alten, aber wie ward ihm, als er sah, daß alle Fenster in Berklingers Wohnung geöffnet und Mägde beschäftigt waren die Zimmer zu reinigen. Ihm ahnte was geschehen. Berklinger hatte noch am späten Abend mit seinem Sohn das Haus verlassen und war fortgezogen, niemand wußte wohin. Ein mit zwei Pferden bespannter Wagen hatte die Kiste mit Gemälden und die beiden kleinen Koffer, welche das ganze ärmliche Besitztum Berklingers in sich schlossen, abgeholt. Er selbst war mit seinem Sohn eine halbe Stunde nachher fortgegangen. Alle Nachforschungen, wo sie geblieben, waren vergebens, kein Lohnkutscher hatte an Personen, wie Traugott sie beschrieb, Pferde und Wagen vermietet, selbst an den Toren konnte er nichts Bestimmtes erfahren; kurz Berklinger war verschwunden, als sei er auf dem Mantel des Mephistopheles davongeflogen. Ganz in Verzweiflung rannte Traugott in sein Haus zurück. »Sie ist fort – sie ist fort, die Geliebte meiner Seele – alles, alles verloren!« So schrie er bei Herrn Elias Roos, der sich gerade auf dem Hausflur befand, vorbei nach seinem Zimmer stürzend. »Herr Gott des Himmels und der Erden«, rief Herr Elias, indem er an seiner Perücke rückte und zupfte – »Christina! – Christina!« – schrie er dann, daß es weit im Hause schallte. »Christina – abscheuliche Person, mißratene Tochter!« Die Comptoirdiener stürzten heraus mit erschrockenen Gesichtern, der Buchhalter fragte bestürzt: »Aber Herr Roos!« Der schrie indessen immerfort: »Christina! – Christina!« – Mamsell Christina trat zur Haustür hinein und fragte, nachdem sie ihren breiten Strohhut etwas gelüpft hatte, lächelnd, warum denn der Herr Vater so ungemein brülle? »Solches unnützes Weglaufen verbitte ich mir«, fuhr Herr Elias auf sie los: »der Schwiegersohn ist ein melancholischer Mensch und in der Eifersucht türkisch gesinnt. Man bleibe fein zu Hause, sonst geschieht noch ein Unglück. Da sitzt nun der Associé drinnen und heult und greint über die vagabondierende Braut.« Christina sah verwundert den Buchhalter an, der zeigte aber mit bedeutendem Blick ins Comptoir hinein nach dem Glasschrank, wo Herr Roos das Zimtwasser aufzubewahren pflegte. »Man gehe hinein und tröste den Bräutigam«, sagte er davonschreitend. Christina begab sich auf ihr Zimmer, um sich nur ein wenig umzukleiden, die Wäsche herauszugeben, mit der Köchin das Nötige wegen des Sonntagbratens zu verabreden und sich nebenher einige Stadtneuigkeiten erzählen zu lassen, dann wollte sie gleich sehen, was dem Bräutigam denn eigentlich fehle.

Du weißt, lieber Leser! daß wir alle in Traugotts Lage unsere bestimmten Stadien durchmachen müssen, wir können nicht anders. – Auf die Verzweifelung folgt ein dumpfes betäubtes Hinbrüten, in dem die Krisis eintritt, und dann geht es über zu milderem Schmerz, in dem die Natur ihre Heilmittel wirkungsvoll anzubringen weiß.

In diesem Stadium des wehmütigen wohltuenden Schmerzes saß nun Traugott nach einigen Tagen auf dem Karlsberge, und sah wieder in die Meereswellen, in die grauen Nebelwolken, die über Hela lagen. Aber nicht wie damals wollte er seiner künftigen Tage Schicksal erspähen; verschwunden war alles, was er gehofft, was er geahnt. »Ach«, sprach er: »bittre, bittre Täuschung war mein Beruf zur Kunst; Felizitas war das Trugbild das mich verlockte zu glauben an dem, das nirgends lebte als in der wahnwitzigen Fantasie eines Fieberkranken. – Es ist aus! – ich gebe mich! – zurück in den Kerker! – es sei beschlossen!« – Traugott arbeitete wieder im Comptoir, und der Hochzeittag mit Christina wurde aufs neue angesetzt. Tages vorher stand Traugott im Artushof und schaute nicht ohne innere herzzerschneidende Wehmut die verhängnisvollen Gestalten des alten Bürgermeisters und seines Pagen an, als ihm der Mäkler, an den Berklinger damals das Papier verkaufen wollte, ins Auge fiel. Ohne sich zu besinnen, beinahe unwillkürlich, schritt er auf ihn zu, fragend: »Kannten Sie wohl den wunderlichen Alten mit schwarzem krausem Bart, der vor einiger Zeit hier mit einem schönen Jüngling zu erscheinen pflegte?« – »Wie wollte ich nicht«, antwortete der Mäkler, »das war der alte verrückte Maler Gottfried Berklinger.« – »Wissen Sie denn nicht«, fragte Traugott weiter, »wo er geblieben ist, wo er sich jetzt aufhält?« – »Wie wollte ich nicht«, erwiderte der Mäkler; »der sitzt mit seiner Tochter schon seit geraumer Zeit ruhig in Sorrent.« – »Mit seiner Tochter Felizitas?« rief Traugott so heftig und laut, daß alle sich nach ihm umdrehten. »Nun ja«, fuhr der Mäkler ruhig fort, »das war ja eben der hübsche Jüngling, der dem Alten beständig folgte. Halb Danzig wußte, daß das ein Mädchen war, ungeachtet der alte verrückte Herr glaubte, kein Mensch würde das vermuten können. Es war ihm prophezeit worden, daß, sowie seine Tochter einen Liebesbund schlösse, er eines schmählichen Todes sterben müsse, darum wollte er, daß niemand etwas von ihr wissen solle, und brachte sie als Sohn in Kurs.« – Erstarrt blieb Traugott stehen, dann rannte er durch die Straßen – fort durch das Tor ins Freie, ins Gebüsch hinein, laut klagend: »Ich Unglückseliger! – Sie war es, sie war es selbst, neben ihr habe ich gesessen tausendmal – ihren Atem eingehaucht, ihre zarten Hände gedrückt – in ihr holdes Auge geschaut – ihre süßen Worte gehört! – und nun ist sie verloren! – Nein! – nicht verloren. Ihr nach in das Land der Kunst – ich erkenne den Wink des Schicksals! – Fort – fort nach Sorrent!« – Er lief zurück nach Hause. Herr Elias Roos kam ihm in den Wurf, den packte er und riß ihn fort ins Zimmer. »Ich werde Christinen nimmermehr heiraten«, schrie er, »sie sieht der Voluptas ähnlich und der Luxuries, und hat Haare wie die Ira auf dem Bilde im Artushof. – O Felizitas, Felizitas! – holde Geliebte – wie streckst du so sehnend die Arme nach mir aus! – ich komme! – ich komme! – Und daß Sie es nur wissen, Elias«, fuhr er fort, indem er den bleichen Kaufherrn aufs neue packte, »niemals sehen Sie mich wieder in Ihrem verdammten Comptoir. Was scheren mich Ihre vermaledeiten Hauptbücher und Strazzen, ich bin ein Maler, und zwar ein tüchtiger, Berklinger ist mein Meister, mein Vater, mein alles, und Sie sind nichts, gar nichts!« – Und damit schüttelte er den Elias; der schrie aber über alle Maßen: »Helft! helft! – herbei ihr Leute – helft! der Schwiegersohn ist toll geworden – der Associé wütet – helft! helft!« – Alles aus dem Comptoir lief herbei; Traugott hatte den Elias losgelassen und war erschöpft auf den Stuhl gesunken. Alle drängten sich um ihn her, als er aber plötzlich aufsprang und mit wildem Blicke rief: »Was wollt ihr?« – da fuhren sie in einer Reihe, Herrn Elias in der Mitte, zur Tür hinaus. Bald darauf raschelte es draußen wie von seidenen Gewändern, und eine Stimme fragte: »Sind Sie wirklich verrückt geworden, lieber Herr Traugott, oder spaßen Sie nur?« Es war Christina. »Keineswegen bin ich toll geworden, lieber Engel«, erwiderte Traugott, »aber ebensowenig spaße ich. Begeben Sie sich nur zur Ruhe, Teure, mit der morgenden Hochzeit ist es nichts, heiraten werde ich Sie nun und nimmermehr!« – »Es ist auch gar nicht vonnöten«, sagte Christina sehr ruhig, »Sie gefallen mir so nicht sonderlich seit einiger Zeit, und gewisse Leute werden es ganz anders zu schätzen wissen, wenn sie mich, die hübsche reiche Mamsell Christina Roos, heimführen können als Braut! – Adieu!« Damit rauschte sie fort. »Sie meint den Buchhalter«, dachte Traugott. Ruhiger geworden, begab er sich zu Herrn Elias, und setzte es ihm bündig auseinander, daß mit ihm nun einmal weder als Schwiegersohn, noch als Associé etwas anzufangen sei. Herr Elias fügte sich in alles und versicherte herzlich froh im Comptoir einmal übers andere, daß er Gott danke den aberwitzigen Traugott los zu sein, als dieser schon weit – weit von Danzig entfernt war.

Das Leben ging dem Traugott auf in neuem herrlichen Glanze, als er sich endlich in dem ersehnten Lande befand. In Rom nahmen ihn die deutschen Künstler auf in den Kreis ihrer Studien, und so geschah es, daß er dort länger verweilte, als es die Sehnsucht, Felizitas wiederzufinden, von der er bis jetzt rastlos fortgetrieben wurde, zuzulassen schien. Aber milder war diese Sehnsucht geworden, sie gestaltete sich im Innern, wie ein wonnevoller Traum, dessen duftiger Schimmer sein ganzes Leben umfloß, so daß er all sein Tun und Treiben, das Üben seiner Kunst dem höhern überirdischen Reiche seliger Ahnungen zugewandt glaubte. Jede weibliche Gestalt, die er mit wackrer Kunstfertigkeit zu schaffen wußte, hatte die Züge der holden Felizitas. Den jungen Malern fiel das wunderliebliche Gesicht, dessen Original sie vergebens in Rom suchten, nicht wenig auf, sie bestürmten Traugott mit tausend Fragen wo er denn die Holde geschaut. Traugott trug indessen Scheu, seine seltsame Geschichte von Danzig her zu erzählen, bis endlich einmal nach mehreren Monaten ein alter Freund aus Königsberg, namens Matuszewski, der in Rom sich auch der Malerei ganz ergeben hatte, freudig versicherte – er habe das Mädchen, das Traugott in all seinen Bildern abkonterfeie, in Rom erblickt. Man kann sich Traugotts Entzücken denken; länger verhehlte er nicht, was ihn so mächtig zur Kunst, so unwiderstehlich nach Italien getrieben, und man fand Traugotts Abenteuer in Danzig so seltsam und anziehend, daß alle versprachen eifrig der verlorenen Geliebten nachzuforschen. Matuszewskis Bemühungen waren die glücklichsten, er hatte bald des Mädchens Wohnung ausgeforscht und noch überdies erfahren, daß sie wirklich die Tochter eines alten armen Malers sei, der eben jetzt die Wände in der Kirche Trinità del Monte anstreiche. Das traf nun alles richtig zu. Traugott eilte sogleich mit Matuszewski nach jener Kirche, und glaubte wirklich in dem Maler, der auf einem sehr hohen Gerüste stand, den alten Berklinger zu erkennen. Von dort eilten die Freunde, ohne von dem Alten bemerkt zu sein, nach seiner Wohnung. »Sie ist es«, rief Traugott, als er des Malers Tochter erblickte, die, mit weiblicher Arbeit beschäftigt, auf dem Balkon stand. »Felizitas! – meine Felizitas!« so laut aufjauchzend stürzte Traugott ins Zimmer. Das Mädchen blickte ihn ganz erschrocken an. – Sie hatte die Züge der Felizitas, sie war es aber nicht. Wie mit tausend Dolchen durchbohrte die bittre Täuschung des armen Traugotts wunde Brust. – Matuszewski erklärte in wenig Worten dem Mädchen alles. Sie war in holder Verschämtheit mit hochroten Wangen und niedergeschlagenen Augen gar wunderlieblich anzuschauen, und Traugott, der sich schnell erst wieder entfernen wollte, blieb, als er nur noch einen schmerzhaften Blick auf das anmutige Kind geworfen, wie von sanften Banden festgehalten, stehen. Der Freund wußte der hübschen Dorina allerlei Angenehmes zu sagen und so die Spannung zu mildern, in die der wunderliche Auftritt sie versetzt hatte. Dorina zog »ihrer Augen dunklen Fransenvorhang« auf und schaute die Fremden mit süßem Lächeln an, indem sie sprach: der Vater werde bald von der Arbeit kommen, und sich freuen deutsche Künstler, die er sehr hochachte, bei sich zu finden. Traugott mußte gestehen, daß außer Felizitas kein Mädchen so ihn im Innersten aufgeregt hatte als Dorina. Sie war in der Tat beinahe Felizitas selbst, nur schienen ihm die Züge stärker, bestimmter, sowie das Haar dunkler. Es war dasselbe Bild von Raffael und von Rubens gemalt. – Nicht lange dauerte es, so trat der Alte ein und Traugott sah nun wohl, daß die Höhe des Gerüstes in der Kirche, auf dem der Alte stand, ihn sehr getäuscht hatte. Statt des kräftigen Berklinger war dieser alte Maler ein kleinlicher, magerer, furchtsamer, von Armut gedrückter Mann. Ein trügerischer Schlagschatten hatte in der Kirche seinem glatten Kinn Berklingers schwarzen krausen Bart gegeben. Im Kunstgespräch entwickelte der Alte gar tiefe praktische Kenntnisse, und Traugott beschloß eine Bekanntschaft fortzusetzen, die im ersten Moment so schmerzlich, nun immer wohltuender wurde. Dorina, die Anmut, die kindliche Unbefangenheit selbst, ließ deutlich ihre Neigung zu dem jungen deutschen Maler merken. Traugott erwiderte das herzlich. Er gewöhnte sich so an das holde funfzehnjährige Mädchen, daß er bald ganze Tage bei der kleinen Familie zubrachte, seine Werkstätte in die geräumige Stube, die neben ihrer Wohnung leer stand, verlegte, und endlich sich zu ihrem Hausgenossen machte. So verbesserte er auf zarte Weise ihre ärmliche Lage durch seinen Wohlstand, und der Alte konnte nicht anders denken, als Traugott werde Dorina heiraten, welches er ihm denn unverhohlen äußerte. Traugott erschrak nicht wenig, denn nun erst dachte er deutlich daran, was aus dem Zweck seiner Reise geworden. Felizitas stand ihm wieder lebhaft vor Augen, und doch war es ihm, als könne er Dorina nicht lassen. – Auf wunderbare Weise konnte er sich den Besitz der entschwundenen Geliebten als Frau nicht wohl denken. Felizitas stellte sich ihm dar als ein geistig Bild, das er nie verlieren, nie gewinnen könne. Ewiges geistiges Inwohnen der Geliebten – niemals physisches Haben und Besitzen. – Aber Dorina kam ihm oft in Gedanken als sein liebes Weib, süße Schauer durchbebten ihn, eine sanfte Glut durchströmte seine Adern, und doch dünkte es ihm Verrat an seiner ersten Liebe, wenn er sich mit neuen unauflöslichen Banden fesseln ließe. – So kämpften in Traugotts Innerm die widersprechendsten Gefühle, er konnte sich nicht entscheiden, er wich dem Alten aus. Der glaubte aber, Traugott wolle ihn um sein liebes Kind betrügen. Dazu kam, daß er von Traugotts Heirat schon als von etwas Bestimmtem gesprochen, und daß er nur in dieser Meinung das vertrauliche Verhältnis Dorinas mit Traugott, das sonst das Mädchen in übeln Ruf bringen mußte, geduldet hatte. Das Blut des Italieners wallte auf in ihm, und er erklärte dem Traugott eines Tages bestimmt, daß er entweder Dorina heiraten, oder ihn verlassen müsse, da er auch nicht eine Stunde länger den vertraulichen Umgang dulden werde. Traugott wurde von dem schneidendsten Ärger und Verdruß ergriffen. Der Alte kam ihm vor wie ein gemeiner Kuppler, sein eignes Tun und Treiben erschien ihm verächtlich, daß er jemals von Felizitas gelassen, sündhaft und abscheulich. – Der Abschied von Dorina zerriß ihm das Herz, aber er wand sich gewaltsam los aus den süßen Banden. Er eilte fort nach Neapel, nach Sorrent. –

Ein Jahr verging in den strengsten Nachforschungen nach Berklinger und Felizitas, aber alles blieb vergebens, niemand wußte etwas von ihnen. Eine leise Vermutung, die sich nur auf eine Sage gründete, daß ein alter deutscher Maler sich vor mehreren Jahren in Sorrent blicken lassen, war alles, was er erhaschen konnte. Wie auf einem wogenden Meer hin und her getrieben, blieb Traugott endlich in Neapel, und so wie er wieder die Kunst fleißiger trieb, ging auch die Sehnsucht nach Felizitas linder und milder in seiner Brust auf. Aber kein holdes Mädchen, war sie nur in Gestalt, Gang und Haltung Dorinen im mindesten ähnlich, sah er ohne auf das schmerzlichste den Verlust des süßen lieben Kindes zu fühlen. Beim Malen dachte er niemals an Dorina, wohl aber an Felizitas, die blieb sein stetes Ideal. – Endlich erhielt er Briefe aus der Vaterstadt. Herr Elias Roos hatte, wie der Geschäftsträger meldete, das Zeitliche gesegnet, und Traugotts Gegenwart war nötig, um sich mit dem Buchhalter, der Mamsell Christina geheiratet und die Handlung übernommen hatte, auseinanderzusetzen. Auf dem nächsten Wege eilte Traugott nach Danzig zurück. – Da stand er wieder im Artushof an der Granitsäule dem Bürgermeister und Pagen gegenüber, er gedachte des wunderbaren Abenteuers, das so schmerzlich in sein Leben gegriffen, und von tiefer hoffnungsloser Wehmut befangen starrte er den Jüngling an, der ihn wie mit lebendigen Blicken zu begrüßen und mit holder süßer Stimme zu lispeln schien: »So konntest du doch von mir nicht lassen!« –

»Seh ich denn recht? sind Ew. Edlen wirklich wieder da und frisch und gesund, gänzlich geheilt von der bösen Melancholie?« – So quäkte eine Stimme neben Traugott, es war der bekannte Mäkler. »Ich habe sie nicht gefunden«, sprach Traugott unwillkürlich. »Wen denn? wen haben Ew. Edlen nicht gefunden?« fragte der Mäkler. »Den Maler Godofredus Berklinger und seine Tochter Felizitas«, erwiderte Traugott, »ich habe sie in ganz Italien gesucht, in Sorrent wußte kein Mensch etwas von ihnen.« Da sah ihn der Mäkler an mit starren Blicken und stammelte:« Wo haben Ew. Edlen den Maler und die Felizitas gesucht? – in Italien? in Neapel? in Sorrent?« – »Nun ja doch, freilich!« rief Traugott voll Ärger. Da schlug aber der Mäkler einmal übers andere die Hände zusammen und schrie immer dazwischen: »Ei du meine Güte! ei du meine Güte! aber Herr Traugott, Herr Traugott!« – »Nun was ist denn da viel sich darüber zu verwundern«, sagte dieser; »gebärden Sie sich nur nicht so närrisch. Um der Geliebten willen reiset man wohl nach Sorrent. Ja, ja! ich liebte die Felizitas und zog ihr nach.« Aber der Mäkler hüpfte auf einem Beine und schrie immerfort: »Ei du meine Güte! ei du meine Güte!« bis ihn Traugott festhielt und mit ernstem Blicke fragte: »Nun so sagen Sie doch nur um des Himmels willen, was Sie so seltsam finden?« »Aber Herr Traugott«, fing endlich der Mäkler an, »wissen Sie denn nicht, daß der Herr Aloysius Brandstetter, unser verehrter Ratsherr und Gildeältester, sein kleines Landhaus dicht am Fuß des Karlsberges, im Tannenwäldchen, nach Conrads Hammer hin, Sorrent genannt hat? Der kaufte dem Berklinger seine Bilder ab und nahm ihn nebst Tochter ins Haus, das heißt, nach Sorrent hinaus. Da haben sie gewohnt Jahre lang, und Sie hätten, verehrter Herr Traugott, standen Sie nur mit ihren beiden lieben Füßen mitten auf dem Karlsberge, in den Garten hineinschauen und die Mamsell Felizitas in wunderlichen altdeutschen Weiberkleidern, wie auf jenen Bildern dort, herumwandeln sehn können, brauchten gar nicht nach Italien zu reisen. Nachher ist der Alte – doch das ist eine traurige Geschichte!« – »Erzählen Sie«, sprach Traugott dumpf. »Ja!« fuhr der Mäkler fort, »der junge Brandstetter kam von England zurück, sah die Mamsell Felizitas, und verliebte sich in dieselbe. Er überraschte die Mamsell im Garten, fiel romanhafterweise vor ihr auf beide Kniee, und schwur, daß er sie heiraten und aus der tyrannischen Sklaverei ihres Vaters befreien wolle. Der Alte stand, ohne daß es die jungen Leute bemerkt hatten, dicht hinter ihnen, und in dem Augenblick als Felizitas sprach: ›Ich will die Ihrige sein‹, fiel er mit einem dumpfen Schrei nieder und war mausetot. Er soll sehr häßlich ausgesehen haben – ganz blau und blutig, weil ihm, man weiß nicht wie, eine Pulsader gesprungen war. Den jungen Herrn Brandstetter konnte die Mamsell Felizitas nachher gar nicht mehr leiden, und heiratete endlich den Hof- und Kriminalrat Mathesius in Marienwerder. Ew. Edlen können die Frau Kriminalrätin besuchen aus alter Anhänglichkeit. Marienwerder ist doch nicht so weit als das wahrhafte italienische Sorrent. Die liebe Frau soll sich wohl befinden und diverse Kinder in Kurs gesetzt haben.« – Stumm und starr eilte Traugott von dannen. Dieser Ausgang seines Abenteuers erfüllte ihn mit Grauen und Entsetzen. »Nein, sie ist es nicht«, rief er, »sie ist es nicht – nicht Felizitas, das Himmelsbild, das in meiner Brust ein unendlich Sehnen entzündet, dem ich nachzog in ferne Lande, es vor mir und immer vor mir erblickend, wie meinen in süßer Hoffnung funkelnden flammenden Glückstern! – Felizitas! – Kriminalrätin Mathesius – ha, ha, ha! – Kriminalrätin Mathesius!« – Traugott, von wildem Jammer erfaßt, lachte laut auf und lief wie sonst durchs Olivaer Tor, durch Langfuhr bis auf den Karlsberg. Er schaute hinein in Sorrent, die Tränen stürzten ihm aus den Augen. »Ach«, rief er, »wie tief, wie unheilbar tief verletzt dein bittrer Hohn, du ewig waltende Macht, des armen Menschen weiche Brust! Aber nein, nein! was klagt das Kind über heillosen Schmerz, das in die Flamme greift, statt sich zu laben an Licht und Wärme. – Das Geschick erfaßte mich sichtbarlich, aber mein getrübter Blick erkannte nicht das höhere Wesen, und vermessen wähnte ich das, was vom alten Meister geschaffen, wunderbar zum Leben erwacht auf mich zutrat, sei meinesgleichen, und ich könne es herabziehen in die klägliche Existenz des irdischen Augenblicks. Nein, nein, Felizitas, nie habe ich dich verloren, du bleibst mein immerdar, denn du selbst bist ja die schaffende Kunst, die in mir lebt. Nun – nun erst habe ich dich erkannt. Was hast du, was habe ich mit der Kriminalrätin Mathesius zu schaffen! – Ich meine gar nichts!« – »Ich wüßte auch nicht was Sie, verehrter Herr Traugott, mit der zu schaffen haben sollten«, fiel hier eine Stimme ein. – Traugott erwachte aus einem Traum. Er befand sich, ohne zu wissen auf welche Weise, wieder im Artushofe an die Granitsäule gelehnt. Der, welcher jene Worte gesprochen, war Christinens Eheherr. Er überreichte dem Traugott einen eben aus Rom angelangten Brief. Matuszewski schrieb:

»Dorina ist hübscher und anmutiger als je, nur bleich vor Sehnsucht nach Dir, geliebter Freund! Sie erwartet Dich stündlich, denn fest steht es in ihrer Seele, daß Du sie nimmer lassen könntest. Sie liebt Dich gar inniglich. Wann sehen wir Dich wieder?«

»Sehr lieb ist es mir«, sprach Traugott, nachdem er dies gelesen, zu Christinens Eheherrn, »daß wir heute abgeschlossen haben, denn morgen reise ich nach Rom, wo mich eine geliebte Braut sehnlichst erwartet.«

 

Die Freunde rühmten, als Cyprian geendigt, den heitern gemütlichen Ton, der in dem Ganzen herrsche. Theodor meinte nur daß die Mädchen und Frauen wohl manches auszusetzen finden möchten. Nicht allein die blonde Christine mit ihrem glänzenden Küchengeschirr, sondern auch die Mystifikation des Helden, die Kriminalrätin Mathesius, das ganze Schlußstück in dem eine tiefe Ironie liege, würde ihnen höchlich mißfallen. »Willst du«, rief Lothar, »überall den Maßstab darnach, was den Weibern gefällt, anlegen, so mußt du alle Ironie, aus der sich der tiefste ergötzlichste Humor erzeugt, ganz verbannen; denn dafür haben sie, wenigstens in der Regel ganz und gar keinen Sinn.« »Welches«, erwiderte Theodor, »mir auch sehr wohl gefällt. Du wirst mir eingestehen, daß der Humor, der sich in unserer eigentümlichsten Natur aus den seltsamsten Kontrasten bildet, der weiblichen Natur ganz widerstrebt. Wir fühlen das nur zu lebhaft, sollten wir uns auch niemals ganz klare Rechenschaft darüber geben können. Denn sage mir, magst du auch einige Zeit Gefallen finden an dem Gespräch einer humoristischen Frau, würdest du sie dir als Geliebte oder Gattin wünschen?« – »Gewiß nicht«, sprach Lothar, »wiewohl sich über dies weitschichtige Thema, inwiefern der Humor den Weibern anstehe oder nicht, noch gar vieles sagen ließe und ich mir deshalb hiemit ausdrücklich vorbehalte, bei guter Gelegenheit zu meinen würdigen Serapions-Brüdern so tief und weise darüber zu sprechen, als noch jemals irgendein rüstiger Psycholog darüber gesprochen haben mag. Übrigens frage ich dich, o Theodor! ob es denn unumgänglich vonnöten, sich jede vorzügliche Dame mit der man sich in ein vernünftiges Gespräch eingelassen, als seine Geliebte oder Gattin zu denken?« »Ich meine«, erwiderte Theodor, »daß jede Annäherung an ein weibliches Wesen nur dann zu interessieren vermag, wenn man vor dem Gedanken, wenn es die Geliebte oder Gattin wäre, wenigstens nicht erschrickt, und daß, je mehr dieser Gedanke behaglichen Raum findet im Innern, um desto höher jenes Interesse steigt.«

»Das ist«, rief Ottmar lachend, »das ist eine von Theodors gewagtesten Behauptungen, die ich schon lange kenne. Er hat stets darnach gehandelt, und schon mancher Vortrefflichen auf grobe Weise den Rücken gedreht, weil er auch auf ein paar Stunden sich nicht in sie zu verlieben vermochte. Als tanzender Student pflegte er ernsthaft zu versichern, jedem Mädchen mit dem er sich herumschwenke, reiche er sein Herz dar, wenigstens auf die Zeit der Angloise oder Quadrille, und suche in den zierlichsten Pas das auszudrücken wovon sein Mund schweigen müsse, seufze auch sehr so wie es nur der Atem verstatte.«

»Erlaubt«, rief Theodor, »daß ich dies unserapiontische Gespräch unterbreche. Es wird spät, und das Herz würde es mir abdrücken, wenn ich euch nicht noch heute eine Erzählung vorlesen sollte die ich gestern endigte. – Mir gab der Geist ein, ein sehr bekanntes und schon bearbeitetes Thema von einem Bergmann zu Falun auszuführen des breiteren, und ihr sollt entscheiden, ob ich wohlgetan der Hingebung zu folgen oder nicht. – Der trübe Ton, den mein Gemälde erhalten mußte, wird vielleicht nicht gut abstechen gegen Cyprians heitres Bild. Verzeiht das und gönnt mir ein geneigtes Ohr!«

Theodor las:


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