E. T. A. Hoffmann
Die Serapions-Brüder
E. T. A. Hoffmann

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Es war in der Tat ein wunderlich Schauspiel, den alten Dogen Marino Falieri zu sehen mit seiner blutjungen Gattin. Er, zwar stark und robust genug, aber mit greisem Bart, tausend Runzeln im braunroten Gesicht, mit mühsam zurückgebogenem Nacken, pathetisch daherschreitend; sie, die Anmut selbst, fromme Engelsmilde im himmlisch schönen Antlitz, unwiderstehlichen Zauber im sehnsüchtigen Blick, Hoheit und Würde auf der offnen lilienweißen von dunklen Locken umschalteten Stirne, süßes Lächeln auf Wang und Lippen – das Köpfchen geneigt in holder Demut, den schlanken Leib leicht tragend – daherschwebend – ein herrliches Frauenbild, heimatlich in anderer höherer Welt. – Nun, ihr kennt wohl solche Engelsgestalten, wie sie die alten Maler zu erfassen und darzustellen wußten. – So war Annunziata. Konnt es denn fehlen, daß jeder, der sie sah, in Erstaunen und Entzücken geriet, daß jeder feurige Jüngling von der Signorie aufloderte in hellen Flammen und den Alten mit spöttischen Blicken messend, im Herzen schwur, der Mars dieses Vulkans zu werden, koste es was es wolle? Annunziata sah sich bald von Anbetern umringt, deren schmeichlerische verführerische Reden sie still und freundlich aufnahm, ohne sich was Besonderes dabei zu denken. Ihr engelreines Gemüt hatte das Verhältnis zu dem alten fürstlichen Gemahl nicht anders begriffen, als daß sie ihn wie ihren hohen Herrn verehren und ihm anhängen müsse mit der unbedingten Treue einer unterwürfigen Magd! Er war freundlich, ja zärtlich gegen sie, er drückte sie an seine eiskalte Brust, er nannte sie sein Liebchen, er beschenkte sie mit allen Kostbarkeiten, die es nur gab; was hatte sie sonst noch für Wünsche, für Rechte an ihn? Auf diese Weise konnte der Gedanke, daß es möglich sei, dem Alten untreu zu werden, sich in keiner Art in ihr gestalten, alles was außer dem engen Kreise jenes beschränkten Verhältnisses lag, war ein fremdes Gebiet, dessen verbotene Grenze im dunklen Nebel lag – ungesehen – ungeahnet von dem frommen Kinde. So kam es, daß alle Bewerbungen fruchtlos blieben. Keiner von allen war aber so heftig in wildem Liebesfeuer entbrannt für die schöne Dogaressa, als Michaele Steno. Seiner Jugend unerachtet, bekleidete er die wichtige einflußreiche Stelle eines Rats der Vierzig. Darauf, so wie auf seine äußere Schönheit bauend, war er seines Sieges gewiß. Er fürchtete den alten Marino Falieri nicht, und in der Tat, dieser schien, sowie er verheiratet, ganz abzulassen von seinem jähen aufbrausenden Zorn, von seiner rohen unbezähmbaren Wildheit. An der Seite der schönen Annunziata saß er in den reichsten buntesten Kleidern aufgeschniegelt und geputzt da, schmunzelnd und lächelnd und mit süßem Blick aus den grauen Augen, denen manchmal ein Tränchen enttriefte die andern herausfordernd, ob sich solcher Gemahlin einer rühmen könne. Statt des herrischen rauhen Tons, in dem er sonst zu sprechen pflegte, lispelte er, die Lippen kaum bewegend, nannte jeden seinen Allerliebsten und bewilligte die widersinnigsten Gesuche. Wer hätte in diesem weichlichen verliebten Alten den Falieri erkennen sollen, der in Treviso in toller Hitze am Fronleichnamsfeste dem Bischof ins Gesicht schlug, der den tapfern Morbassan besiegte. Diese zunehmende Schwäche feuerte den Michaele Steno an zu den rasendsten Unternehmungen. Annunziata verstand nicht, was Michaele, sie unaufhörlich mit Blicken und Worten verfolgend, von ihr eigentlich wollte, sie blieb in steter milder Ruhe und Freundlichkeit und das eben, das Trostlose was in diesem unbefangenen stets gleichen Wesen lag, brachte ihn zur Verzweiflung. Er sann auf verruchte Mittel. Es gelang ihm einen Liebeshandel mit Annunziatas vertrautestem Kammermädchen anzuspinnen, die ihm endlich nächtliche Besuche verstattete. So glaubte er den Weg gebahnt zu Annunziatas unentweihtem Gemach, aber die ewige Macht des Himmels wollte, daß solche trügerische Tücke zurückfallen mußte auf das Haupt des boshaften Urhebers. – Es begab sich, daß eines Nachts der Doge, der eben die böse Nachricht von der Schlacht, die Nicolo Pisani bei Portelongo gegen den Doria verloren, erhalten, schlaflos in tiefer Kümmernis und Sorge die Gänge des herzoglichen Palastes durchstrich. Da gewahrte er einen Schatten, der wie aus Annunziatas Gemächern schlüpfend nach den Treppen schlich. Schnell eilte er darauf los, es war Michaele Steno, der von seinem Liebchen kam. Ein entsetzlicher Gedanke durchfuhr den Falieri; mit dem Schrei: »Annunziata!« rannte er ein auf den Steno mit gezogenem Stilett. Aber Steno, kräftiger und gewandter als der Alte, unterlief ihn, warf ihn mit einem tüchtigen Faustschlage zu Boden und stürzte laut auflachend: »Annunziata, Annunziata!« die Treppe herab. Der Alte raffte sich auf, und schlich, brennende Qualen der Hölle im Herzen, nach Annunziatas Gemächern. Alles ruhig – still wie im Grabe. – Er klopfte an, ein fremdes Kammermädchen, nicht die, welche sonst gewohnt neben Annunziatas Gemach zu schlafen, öffnete ihm die Türe. »Was befiehlt mein fürstlicher Gemahl um diese späte ungewohnte Zeit?« – so sprach Annunziata, die unterdessen ein leichtes Nachtgewand umgeworfen und herausgetreten, mit ruhigem engelsmüdem Ton. Der Alte starrte sie an, dann hob er beide Hände hoch in die Höhe und rief: »Nein es ist nicht möglich, es ist nicht möglich!« »Was ist nicht möglich, mein fürstlicher Herr!« fragte die über den feierlichen dumpfen Ton des Alten ganz bestürzte Annunziata. Aber Falieri, ohne zu antworten, wandte sich an das Kammermädchen: »Warum schläfst du, warum schläft Luigia nicht hier wie gewöhnlich?« »Ach«, erwiderte die Kleine, »Luigia wollte durchaus mit mir tauschen diese Nacht, die schläft im Vordergemach dicht neben der Treppe.« »Dicht neben der Treppe?« rief Falieri voller Freude und eilte mit raschen Schritten nach dem Vordergemach. Luigia öffnete auf starkes Klopfen, und als sie nun das zornrote Antlitz, die funkensprühenden Augen des fürstlichen Herrn erblickte, fiel sie nieder auf die nackten Knie und bekannte ihre Schmach, über die auch ein Paar zierliche Männerhandschuhe, die auf dem Polsterstuhle lagen, und deren Ambrageruch den stutzerhaften Eigentümer verriet, gar keinen Zweifel ließen. Ganz ergrimmt über Stenos unerhörte Frechheit schrieb der Doge ihm andern Morgens: Bei Strafe der Verbannung aus der Stadt habe er den herzoglichen Palast, jede Nähe des Dogen und der Dogaressa zu vermeiden. Michaele Steno war toll vor Wut über das Mißlingen des wohlangelegten Plans, über die Schmach der Verbannung aus der Nähe seines Abgotts. Als er nun aus der Ferne sehen mußte, wie die Dogaressa mild und freundlich, ihr Wesen war nun einmal so – mit andern Jünglingen von der Signorie sprach, so gab ihm der Neid, die Wut der Leidenschaft den bösen Gedanken ein, daß die Dogaressa wohl nur deshalb ihn verschmäht haben möge, weil andere ihm mit besserem Glück zuvorgekommen, und er unterstand sich davon laut und öffentlich zu sprechen. Sei es nun, daß der alte Falieri Kunde erhielt von solchen unverschämten Reden, oder daß das Bild jener Nacht ihm erschien wie ein warnender Wink des Schicksals, oder daß ihm selbst bei aller Ruhe und Behaglichkeit, bei vollem Vertrauen auf die Frömmigkeit seines Weibes doch die Gefahr des unnatürlichen Mißverhältnisses mit der Gattin, hell vor Augen kam, kurz, er wurde grämlich und mürrisch, alle tausend Eifersuchtsteufel zwickten ihn wund, er sperrte Annunziata ein in die innern Gemächer des herzoglichen Palastes und kein Mensch bekam sie mehr zu sehen. Bodoeri nahm sich seiner Großnichte an und schalt den alten Falieri wacker aus, der aber von der Änderung seines Betragens gar nichts wissen wollte. Dies geschah alles kurz vor dem Giovedi grasso. Es ist Sitte, daß bei den Volksfesten, die an diesem Tage auf dem Marcusplatz stattfinden, die Dogaressa unter dem Thronhimmel, der auf einer dem kleinen Platz gegenüberstehenden Galerie angebracht ist, neben dem Dogen Platz nimmt. Bodoeri erinnerte ihn daran und meinte, daß es sehr abgeschmackt sein und er ganz gewiß von Volk und Signorie ob seiner verkehrten Eifersucht weidlich ausgelacht werden würde, wenn er aller Sitte und Gewohnheit entgegen Annunziata von dieser Ehre ausschlösse. »Glaubst du«, erwiderte der alte Falieri, dessen Ehrgeiz auf einmal angeregt wurde, »glaubst du, daß ich, ein alter blödsinniger Tor, mich denn scheue mein kostbarstes Kleinod zu zeigen aus Furcht vor diebischen Händen, denen ich nicht den Raub wehren könnte mit meinem guten Schwerte? – Nein Alter, du irrst, morgenden Tages wandle ich mit Annunziata in feierlich glänzendem Zuge über den Marcusplatz, damit das Volk seine Dogaressa sehe, und am Giovedi grasso empfängt sie den Blumenstrauß von dem kühnen Segler, der sich aus den Lüften zu ihr herabschwingt.« Der Doge dachte, indem er diese Worte sprach, an eine uralte Gewohnheit. Am Giovedi grasso fährt nämlich irgendein kühner Mensch aus dem Volke an Seilen, die aus dem Meere steigen und an der Spitze des Marcusturms befestigt sind, in einer Maschine, die einem kleinen Schiffchen gleicht, herauf, und schießt dann von der Spitze des Turms pfeilschnell herab bis zu dem Platz, wo Doge und Dogaressa sitzen, der er den Blumenstrauß, den sonst der Doge, ist er allein, erhält, überreicht. – Andern Tages tat der Doge, wie er verheißen. Annunziata mußte die prächtigsten Kleider anlegen, und von der Signorie umringt, von Edelknaben und Trabanten begleitet, wandelte Falieri über den vom Volk überströmten Marcusplatz. Man stieß und drängte sich halb tot, um die schöne Dogaressa zu sehen, und wem es gelang sie zu erblicken, der glaubte, er habe ins Paradies geschaut und das schönste Engelsbild sei ihm strahlend und herrlich aufgegangen. – Wie die Venezianer nun sind, mitten unter den tollsten Ausbrüchen wahnsinniger Verzückung, hörte man hie und da allerlei spöttische Redensarten und Reime, die derb genug, auf den alten Falieri mit der jungen Frau losfuhren. Falieri schien aber davon nichts zu bemerken, sondern schritt, von aller Eifersucht dasmal verlassen, obgleich er überall Blicke des brennendsten Verlangens auf die schöne Gattin gerichtet sah, schmunzelnd und lächelnd mit dem ganzen Gesicht, so pathetisch als möglich an Annunziatas Seite daher. Vor dem Hauptportal des Palastes hatten die Trabanten das Volk mit Mühe auseinandergetrieben, so daß, als der Doge mit seiner Gemahlin hineinschritt, nur hin und wieder einzelne kleine Haufen besser gekleideter Bürger standen, denen man selbst den Eintritt in den innern Hof des Palastes nicht wohl verwehren konnte. Da geschah es, daß in dem Augenblicke, als die Dogaressa in den Hof trat, ein junger Mensch, der nebst wenigen andern Leuten am Säulengange stand, mit dem lauten Schrei: »O du Gott des Himmels!« entseelt auf das harte Marmorpflaster niederschlug. Alles lief herbei und umringte den Toten, so daß die Dogaressa ihn nicht erblicken konnte, aber sowie der Jüngling niederstürzte, durchfuhr plötzlich ein glühender Dolchstich ihre Brust, sie erbleichte, sie wankte, nur die Riechfläschchen der herbeieilenden Frauen retteten sie von tiefer Ohnmacht. Der alte Falieri, voller Schreck und Bestürzung über den Unfall, wünschte den jungen Menschen mitsamt seinem Schlagfluß zu allen Teufeln und trug, so sauer es ihm auch wurde, seine Annunziata, die das Köpfchen mit geschlossenen Augen über die Brust hing, wie eine kranke Taube, die Treppe hinauf in die inneren Gemächer. –

Unterdessen hatte sich dem Volke, das immer mehr im innern Hofe des Palastes zusammengelaufen, ein wunderlich seltsames Schauspiel eröffnet. Man wollte den jungen Menschen, den man unbedingt für tot hielt, aufheben und forttragen, da hinkte mit lautem Jammergeschrei ein altes häßliches zerlumptes Bettelweib heran, machte sich, die spitzen Ellenbogen in Seiten und Rücken bohrend, im dicksten Haufen Platz und rief, als sie endlich bei dem entseelten Jünglinge stand: »Laßt ihn liegen – Narren! – tolles Volk! – er ist ja nicht tot.« Nun kauerte sie nieder, nahm den Kopf des Jünglings auf den Schoß und nannte, seine Stirn sanft streichend und reibend, ihn bei den süßesten Namen. Betrachtete man nun das abscheuliche Fratzengesicht der Alten, wie es herabhing über des Jünglings bildschönem Antlitz, dessen milde Züge im bleichen Tode erstarrt lagen, während auf dem Gesicht der Alten ein widriges Muskelspiel herumhüpfte – betrachtete man, wie die schmutzigen Lumpen hin und her flatterten über die reichen Kleider, die der Jüngling trug – wie die dürren braungelben Arme – die Knochenhände auf der Stirne, auf der offenen Brust des Jünglings zitterten – in der Tat, man mochte sich innern Grauens nicht erwehren. War es denn nicht anzusehen als sei es des Todes grinsende Gestalt selbst, in deren Armen der Jüngling lag? So kam es denn auch, daß die umstehenden Leute, einer nach dem andern still fortschlichen und nur wenige übrigblieben, die den Jüngling, als er mit einem tiefen Seufzer die Augen aufschlug, faßten und auf der Alten Geheiß nach dem großen Kanal trugen, wo eine Gondel beide, die Alte und den Jüngling aufnahm und fortschaffte bis nach dem Hause, das die Alte als die Wohnung des Jünglings bezeichnet hatte. Bedarf es denn noch gesagt zu werden, daß der Jüngling Antonio, die Alte aber das Bettelweib von der Franziskanertreppe war, das durchaus seine Amme sein wollte?

Als Antonio ganz aus seiner Betäubung erwacht war und die Alte an seinem Lager erblickte, die ihm soeben einige stärkende Tropfen eingeflößt hatte, so sprach er, lange den düstern schwermütigen Blick starr auf sie gerichtet, mit dumpfem mühsam gehaltenen Ton: »Du bist bei mir, Margaretha! – das ist gut! wo hätt ich denn sonst eine treuere Pflegerin als dich! – Ach, verzeih mir nur, Mutter, daß ich, blödsinniger ohnmächtiger Knabe! nur einen Augenblick daran zweifeln konnte, was du mir entdecktest. Ja du bist die Margaretha, die mich nährte, die mich hegte und pflegte, ich wußte es ja schon immer, aber der böse Geist verwirrte mir die Gedanken. – Ich habe sie gesehen – sie ist es – sie ist es. – Hab ich dir nicht gesagt, daß irgendein dunkler Zauber in mir ruhe, der mein Selbst unwiderstehlich beherrsche? Aus der Dunkelheit blitzstrahlend ist er hervorgetreten, um mich in namenlosem Entzücken zu verderben! – Ich weiß jetzt alles – alles! – War nicht Bertuccio Nenolo mein Pflegevater, der mich erzog auf einem Landhause bei Treviso?« – »Ach ja«, erwiderte die Alte, »wohl war es Bertuccio Nenolo, der große Seeheld, den das Meer verschlang, als er mit dem Lorbeerkranz sein Haupt zu schmücken gedachte.« – »Unterbrich mich nicht«, sprach Antonio weiter, »höre mich geduldig an. – Es ging mir gut bei dem Bertuccio Nenolo. Ich trug hübsche Kleider – immer war der Tisch gedeckt, wenn mich hungerte, ich durfte, hatte ich meine drei Gebete ordentlich hergesagt, herumschwärmen nach Gefallen in Wald und Flur. Dicht beim Landhause befand sich ein dunkles kühles Pinienwäldchen voll Duft und Gesang. Da streckte ich müde vom Springen und Laufen an einem Abend, als schon die Sonne zu sinken begann, mich hin unter einen großen Baum und starrte hinauf in den blauen Himmel. Mag es sein, daß der würzige Geruch der blühenden Kräuter, in denen ich lag, mich betäubte, genug meine Augen schlossen sich unwillkürlich und ich versank in träumerisches Hinbrüten, aus dem mich ein Rauschen, gleich als fiele ein Schlag dicht neben mir in das Gras, erweckte. Ich fuhr auf in die Höhe; ein Engelskind mit himmlischem Antlitz stand neben mir, schaute in holder Anmut lächelnd auf mich herab und sprach mit süßer Stimme: ›Ei mein lieber Knabe, wie schliefst du so schön, so ruhig, und doch war dir der Tod so nahe, der böse Tod.‹ Dicht neben meiner Brust erblickte ich eine kleine schwarze Schlange mit geborstenem Haupt, das Kind hatte das giftige Tier mit dem Zweige eines Nußbaums erschlagen, in dem Augenblick, als es zu meinem Verderben sich heranringeln wollte. Da erbebte ich in süßem Schauer – ich wußte ja, daß oftmals Engel herabsteigen aus dem hohen Himmel um sichtbarlich den Menschen zu retten vor dem bedrohlichen Angriff irgendeines bösen Feindes – ich sank nieder auf die Knie, ich erhob die gefalteten Hände. ›Ach du bist ja ein Engel des Lichts, den der Herr sandte mich zu retten vom Tode.‹ So rief ich, das holde Wesen streckte aber beide Arme nach mir aus und lispelte, indem höheres Rot auf seinen Wangen leuchtete: ›Ach du lieber Knabe, ich bin ja kein Engel, ein Mädchen, ein Kind wie du!‹ Da vergingen die Schauer in namenloses Entzücken, das mich mit sanfter Glut durchströmte – ich stand auf – wir schlossen uns in die Arme – wir drückten Lipp auf Lippe – sprachlos – weinend – schluchzend vor süßem unnennbaren Weh! Nun rief eine silberhelle Stimme durch den Wald: ›Annunziata – Annunziata –‹ ›Ich muß nun fort, du herzlieber Knabe, die Mutter ruft‹, so lispelte das Mädchen, ein unsäglicher Schmerz durchfuhr meine Brust. – ›Ach ich liebe dich so sehr‹, schluchzte ich, heiße Tränen, die das Mädchen vergoß, fielen brennend auf meine Wangen. ›Ich bin dir so herzensgut, du lieber Knabe‹, rief das Mädchen, indem sie den letzten Kuß mir auf meine Lippen drückte. – ›Annunziata!‹ rief es aufs neue, und das Mädchen verschwand im Gebüsch! – Sieh, Margaretha, das war der Augenblick, in dem der mächtige Liebesfunke in meine Seele fiel, der ewig stets neue Flammen entzündend in mir fortglühen wird! – Wenige Tage nachher wurde ich hinausgestoßen aus dem Hause. Vater Blaunas sagte mir, als ich es nicht lassen konnte, von dem Engelskinde zu reden, das mir erschienen und dessen süße Stimme ich zu vernehmen glaubte in dem Rauschen der Bäume, in dem Gelispel der Quellen, in dem ahnungsvollen Sausen des Meers – ja da sagte mir Vater Blaunas, das Mädchen könne niemand anders gewesen sein, als Nenolos Tochter Annunziata, die mit ihrer Mutter Franzeska nach dem Landhause gekommen, andern Tages aber wieder abgereiset sei. – O Mutter – Margaretha. – Hilf Himmel! – Diese Annunziata – es ist die Dogaressa!« – Damit hüllte sich vor unsäglichem Schmerz weinend und schluchzend Antonio in die Kissen ein. »Mein lieber Tonino!« sprach die Alte, »ermanne dich, widerstehe doch nur tapfer dem törichten Schmerz. Ei wer mag denn gleich verzweifeln in Liebesnot, ei wem anders blüht denn das goldene Blümchen Hoffnung als dem Verliebten! Am Abend weiß man nicht, was der Morgen bringt, was man im Traum geschaut, kommt lebendig dahergegangen. Das Schloß, das in den Wolken schwamm, steht mit einemmal blank und herrlich auf der Erde. – Sieh Tonino, du gibst nichts auf meine Reden, aber mein kleiner Finger sagt es mir und wohl noch jemand anders, daß auf dem Meer dir die leuchtende Liebesflagge mit frohem Schwingen entgegenweht – Geduld mein Söhnlein Tonino – Geduld!« – So versuchte es die Alte den armen Antonio zu trösten, denn in der Tat ihre Worte klangen wie liebliche Musik. Er ließ sie gar nicht mehr von sich. Das Bettelweib auf der Franziskanertreppe war verschwunden und statt ihrer sah man die Haushälterin des Herrn Antonio in anständigen Matronenkleidern auf San Marco herumhinken und die Bedürfnisse der Tafel einkaufen.

Der Giovedi grasso war gekommen. Glänzendere Feste als jemals sollten ihn feiern. Mitten auf dem kleinen Platz von San Marco wurde ein hohes Gerüst errichtet für ein besonderes nie gesehenes Kunstfeuer, das ein Grieche, der sich auf solch Geheimnis verstand, abbrennen wollte. Am Abend bestieg der alte Falieri mit seiner schönen Gemahlin, sich spiegelnd in dem Glanze seiner Herrlichkeit, seines Glücks und mit verklärten Blicken alles um sich her auffordernd zum Staunen, zur Bewunderung, die Galerie. Im Begriff, sich auf dem Thron niederzulassen, wurde er aber den Michaele Steno gewahr, der auf derselben Galerie und zwar so Platz genommen hatte, daß er die Dogaressa beständig im Auge behielt und von ihr notwendig bemerkt werden mußte. Ganz entbrannt von wildem Zorn, von toller Eifersucht schrie Falieri mit starker, gebieterischer Stimme, man solle augenblicklich den Steno von der Galerie entfernen. Michaele Steno erhob den Arm gegen den Falieri, in dem Augenblick traten die Trabanten hinzu und nötigten ihn, der vor Wut mit den Zähnen knirschte und in den abscheulichsten Verwünschungen Rache drohte, die Galerie zu verlassen. –

Unterdessen hatte sich Antonio, den der Anblick seiner geliebten Annunziata ganz außer sich selbst gebracht, durch das Volk fortgedrängt und schritt, tausend Qualen im zerrissenen Herzen, einsam in dunkler Nacht am Gestade des Meers hin und her. Er gedachte, ob es nicht besser sei, in den eiskalten Wellen die brennende Glut zu löschen, als langsam totgefoltert zu werden von trostlosem Schmerz. Viel hätte nicht gefehlt, er wäre hineingesprungen in das Meer, schon stand er auf der letzten Stufe, die hinabführt, als eine Stimme aus einer kleinen Barke hinaufrief: »Ei, schönen guten Abend, Herr Antonio!« Im Widerschein der Erleuchtung des Platzes erkannte Antonio den lustigen Pietro, einen seiner vormaligen Kameraden, welcher in der Barke stand, Federn, Rauschgold auf der blanken Mütze, die neue gestreifte Jacke bunt bebändert, einen großen schönen Strauß duftiger Blumen in der Hand. »Guten Abend, Pietro«, rief Antonio zurück, »welch hohe Herrschaft willst du denn heute noch fahren, daß du dich so schön geputzt hast?« »Ei«, erwiderte Pietro, indem er hoch aufsprang, daß die Barke schwankte, »ei Herr Antonio, heute verdiene ich meine drei Zechinen, ich mache ja die Fahrt hinauf nach dem Marcusturm und dann hinab, und überreiche diesen Strauß der schönen Dogaressa.« »Ist denn«, fragte Antonio, »ist denn das nicht ein halsbrechendes Wagestück, Kamerad Pietro!« »Nun«, erwiderte dieser, »den Hals kann man wohl ein wenig brechen, und dann zumal heute geht's mitten durch, durch das Kunstfeuer. Der Grieche sagt zwar, es sei alles so eingerichtet, daß kein Haar einem angehen solle vom Feuer, aber –« Pietro schüttelte sich. Antonio war zu ihm hinabgestiegen in die Barke und wurde nun erst gewahr, daß Pietro dicht vor der Maschine an dem Seil stand, das aus dem Meere stieg. Andere Seile mittels deren die Maschine angezogen wurde, verloren sich in die Nacht. »Höre Pietro«, fing Antonio nach einigem Stillschweigen an, »höre Kamerad Pietro, wenn du heute zehn Zechinen verdienen könntest, ohne dein Leben in Gefahr zu setzen, würde dir das nicht lieber sein?« »Ei freilich«, lachte Pietro aus vollem Halse. »Nun«, fuhr Antonio fort, »so nimm diese zehn Zechinen, wechsle mit mir die Kleider und überlasse mir deine Stelle. Statt deiner will ich hinauffahren. Tu es mein guter Kamerad Pietro!« Pietro schüttelte bedächtig den Kopf, und sprach das Gold in der Hand wiegend: »Ihr seid sehr gütig, Herr Antonio, mich armen Teufel noch immer Euern Kameraden zu nennen – und freigebig dazu! – Ums Geld ist's mir freilich zu tun, aber der schönen Dogaressa den Strauß selbst in die Hand zu geben, ihr süßes Stimmchen zu hören – ei das ist's doch eigentlich, warum man sein Leben aufs Spiel setzt – Nun – weil Ihr's seid, Herr Antonio, mag's darum sein.« Beide warfen schnell die Kleider ab, kaum war Antonio mit dem Ankleiden fertig, als Pietro rief: »Schnell hinein in die Maschine, das Zeichen ist schon gegeben.« In dem Augenblick leuchtete das Meer auf im flammenden Widerschein von tausend lodernden Blitzen und die Luft, das Gestade erdröhnte von brausenden wirbelnden Donnern. Mitten durch die knisternden zischenden Flammen des Kunstfeuers fuhr mit des Sturmwindes Schnelle Antonio auf in die Lüfte – unversehrt sank er nieder zur Galerie, schwebte er vor der Dogaressa. – Sie war aufgestanden und vorgetreten, er fühlte ihren Atem an seinen Wangen spielen – er reichte ihr den Strauß; aber in der unsäglichsten Himmelswonne des Augenblicks faßte ihn wie mit glühenden Armen der brennende Schmerz hoffnungsloser Liebe. – Sinnlos – rasend vor Verlangen – Entzücken – Qual, ergriff er die Hand der Dogaressa – drückte er glühende Küsse darauf – rief er mit dem schneidenden Ton des trostlosen Jammers: »Annunziata!« – Da riß ihn die Maschine, wie das blinde Organ des Schicksals selbst, fort von der Geliebten, hinab ins Meer, wo er ganz betäubt, ganz erschöpft in Pietros Arme sank, der seiner in der Barke wartete.

Unterdessen war auf der Galerie des Doge alles in Aufruhr und Verwirrung geraten. An den Sitz des Doge hatte man ein kleines Zettelchen angeheftet gefunden, auf welchem in gemeiner venezianischer Mundart die Worte standen:

Il Dose Falier della bella muier.
I altri la gode é lui la mantien.
 
Zwar ist der Doge Falier
Der schönen Dame Eheherr
Doch hält er nur und hat sie nie,
Und andre, die gewinnen sie.

Der alte Falieri fuhr auf in glühendem Zorn und schwur, daß den, der den boshaften Frevel begangen, die härteste Strafe treffen solle. Indem er seine Blicke umherwarf, fiel ihm auf dem Platze unter der Galerie Michaele Steno ins Auge, der in vollem Kerzenschimmer dastand und sogleich befahl er den Trabanten, ihn festzunehmen, als den Urheber jenes Frevels. Alles schrie auf über den Befehl des Doge, der, indem er sich ganz seinem überwallenden Zorn überließ, beide, Signorie und Volk beleidigte, die Rechte der ersteren kränkend, dem letztern die Freude des Festes verderbend. Die Signorie verließ ihre Plätze und nur den alten Marino Bodoeri sah man, wie er sich unter das Volk mischte, voller Eifer von der schweren Beleidigung sprach, die dem Haupte des Staats widerfahren und allen Haß auf den Michaele Steno zu leiten suchte. Falieri hatte sich nicht geirrt, denn in der Tat war Michaele Steno, als er fortgewiesen wurde von der Galerie des Herzogs, nach Hause gelaufen, hatte jene hämische Worte geschrieben, in dem Augenblicke als aller Augen auf das Kunstfeuer gerichtet waren, das Zettelchen an den Stuhl des Doge angeheftet und dann sich unbemerkt wieder entfernt. Recht tückisch gedachte er den empfindlichen Streich zu führen, der beide, Doge und Dogaressa, recht tief, recht ans Leben dringend verwunden sollte. Michaele Steno gestand ganz freimütig die Tat und schob alle Schuld auf den Doge, der ihn zuerst empfindlich gekränkt habe. Die Signorie war längst unzufrieden mit einem Haupt, das, statt die gerechten Erwartungen des Staats zu erfüllen, täglich bewies, wie der kriegerische zornige Mut in dem erkalteten Herzen des abgelebten Greises nur dem Kunstfeuer gleicht, das aus der Rakete ganz gewaltig emporknistert, aber sogleich in schwarzen toten Flocken wirkungslos dahinschwindet. Hiezu kam, daß das Bündnis mit der jungen schönen Frau (längst wußte man, daß er es vor kurzer Zeit als Doge geschlossen), seine Eifersucht, den alten Falieri nicht mehr als Kriegsheld sondern als vecchio Pantalone erscheinen ließ und so mußte es geschehen, daß die Signorie gärendes Gift im Innern nährend, mehr geneigt war, dem Michaele Steno recht zu geben, als dem bitter gekränkten Oberhaupt. Von dem Rate der Zehen wurde die Sache verwiesen an die Quarantie, von der Michaele sonst einer der Häupter war. Michaele Steno habe schon genug gelitten, und eine monatliche Verbannung sei genugsame Rüge des Vergehens, so fiel der Rechtsspruch aus, der den alten Falieri aufs neue und stärker erbitterte gegen eine Signorie, die statt das Haupt zu schützen, ihm widerfahrne Kränkungen nur als Vergehen der leichtesten Art zu bestrafen sich unterstand. –


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