E. T. A. Hoffmann
Die Serapions-Brüder
E. T. A. Hoffmann

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Vierter Band

Siebenter Abschnitt

Der trübe Spätherbst war längst eingebrochen, als Theodor in seinem Zimmer beim knisternden Kaminfeuer der würdigen Serapions-Brüder harrte, die sich dann zur gewöhnlichen Stunde nach und nach einfanden.

»Welch abscheuliches Wetter«, sprach der zuletzt eintretende Cyprian, »trotz meines Mantels bin ich beinahe ganz durchnäßt und nicht viel fehlte, so hätte ein tüchtiger Windstoß mir den Hut entführt.«

»Und das«, nahm Ottmar das Wort, »und das wird lange so währen, denn unser Meteorolog, der, wie ihr wißt, in meiner Straße wohnt, hat einen hellen freundlichen Spätherbst verkündigt.«

»Recht«, sprach Vinzenz, »ganz recht hast du mein Freund Ottmar. Wenn unser vortreffliche Prophet seine Nachbaren damit tröstet, daß der Winter durchaus nicht strenge Kälte bringen, sondern ganz südlicher Natur sein würde, so läuft jeder erschrocken hin und kauft so viel Holz als er nur beherbergen kann. So ist aber der meteorologische Seher ein weiser hochbegabter Mann, auf den man sich verlassen darf, wenn man nur jedesmal das Gegenteil von dem voraussetzt was er verkündigt.«

»Mich«, sprach Sylvester, »mich machen diese Herbststürme, diese Herbstregen immer ganz unmutig, matt und krank und dir, Freund Theodor, glaube ich, geht es ebenso?« »Allerdings«, erwiderte Theodor. »Diese Witterung –«

»Herrliches«, schrie Lothar dazwischen, »herrliches geistreiches Beginnen unseres Serapion-Klubs! Vom Wetter sprechen wir wie die alten Muhmen am Kaffeetisch!«

»Ich weiß nicht«, nahm Ottmar das Wort, »warum wir nicht vom Wetter sprechen sollen? Du kannst das nur tadeln, weil solcher Anfang des Gesprächs als ein verjährter Schlendrian erscheint, den das Bedürfnis zu sprechen bei sterilem Geist, beim gänzlichen Mangel an Stoff herbeigeführt hat. Ich meine aber, daß ein kurzes Gespräch über Wind und Wetter auf recht gemütliche Weise vorangeschickt werden darf, um alles nur mögliche einzuleiten und daß eben die Allgemeinheit solcher Einleitung von ihrer Natürlichkeit zeugt.« »Überhaupt«, sprach Theodor, »möcht es wohl ziemlich gleichgültig sein auf welche Weise sich ein Gespräch anspinnt. Gewiß ist es aber, daß die Begierde recht geistreich zu beginnen, schon im voraus alle Freiheit tötet, die die Seele jedes Gesprächs zu nennen. – Ich kenne einen jungen Mann – ich glaube, ihr kennt ihn alle – dem es gar nicht an jenem leicht beweglichen Geist fehlt, der zum Sprechen, so recht zum Konversieren nötig. Den quält in der Gesellschaft, vorzüglich sind Frauen zugegen, jene Begierde gleich mit dem ersten Wort funkelnd hineinzublitzen dermaßen, daß er unruhig umherläuft, von innerer Qual gefoltert die seltsamsten Gesichter schneidet, die Lippen bewegt und – keine Silbe herausbringt!«

»Halt ein, Unglücklicher«, rief Cyprian mit komischem Pathos, »reiße nicht mit mörderischer Hand Wunden auf, die kaum verharscht sind. – Er spricht«, fuhr er dann lächelnd fort, »er spricht von mir, das müßt ihr ja bemerken, und bedenkt nicht, daß vor wenigen Wochen, als ich jener Begierde, die ich als lächerlich anerkennen will, widerstehen und ein Gespräch in recht gewöhnlicher Art anknüpfen wollte, ich dafür büßte mit gänzlicher Vernichtung! – Ich will es euch lieber nur gleich selbst erzählen wie es sich begab, damit es nicht Ottmar tut und allerlei feine Anmerkungen beifügt. – Bei dem Tee, den wir, Ottmar und ich besuchten, war die gewisse hübsche geistreiche Frau zugegen, von der ihr behauptet, sie interessiere mich manchmal mehr als gut und dienlich. – Es zog mich zu ihr hin und gestehen will ich's, ich war um das erste Wort verlegen so wie sie boshaft genug mir mit freundlich fragendem Blick stumm in die Augen zu schauen. ›Der Mondwechsel hat uns in der Tat recht angenehme Witterung gebracht.‹ So fuhr es mir heraus, da erwiderte die Dame sehr mild: ›Sie schreiben wohl dieses Jahr den Kalender?‹«

Die Freunde lachten sehr.

»Dagegen«, fuhr Ottmar fort, »kenne ich einen andern jungen Mann und ihr kennt ihn alle, der, vorzüglich bei Frauen, niemals um das erste Wort verlegen ist. Ja es will mich bedünken daß, was die Unterhaltung mit Frauen betrifft, er sich ganz im stillen ein lebenskluges System gebaut hat, das ihn so leicht nicht im Stiche läßt. So pflegt er z. B. die Schönste, die es kaum wagt etwas Zuckerbrot in den Tee einzustippen, die höchstens der Nachbarin ins Ohr flüstert: ›Es ist recht heiß, meine Liebe‹, worauf diese ebenso leise ins Ohr erwidert: ›Recht heiß, meine Gute!‹, deren Rede nicht hinausgehen will über ein süßes ›Ja ja!‹ und ›Nein, nein‹, künstlich zu erschrecken und dadurch ihr Inneres plötzlich zu revolutionieren, so daß sie nicht mehr dieselbe scheint. ›Mein Gott, Sie sehn so blaß!‹ fährt er neulich auf ein hübsches kirchhofstilles Fräulein los, die eben den Silberfaden einhäkelt zum künstlichen Gestrick eines Beutels. Das Fräulein läßt vor Schreck das Gestrick auf den Schoß fallen, gesteht, daß sie heute ein wenig gefiebert, Fieber – ja Fieber, darauf versteht sich eben mein Freund; er weiß geistreich und anziehend davon zu sprechen, frägt sorglich nach allen Erscheinungen, ratet, warnt und siehe ein ganz anmutiges munteres Gespräch spinnt sich fort.«

»Ich danke dir«, rief Theodor, »daß du mein Talent gehörig beobachtest und würdigst.« Die Freunde lachten aufs neue.

»Es hat«, nahm jetzt Sylvester das Wort, »es hat mit der gesellschaftlichen Unterhaltung wohl eine ganz eigne Bewandtnis. Die Franzosen werfen uns vor, daß eine gewisse Schwerfälligkeit des Charakters uns niemals den Takt, den Ton, der dazu nötig, treffen lasse und sie mögen einigermaßen darin recht haben. Gestehen muß ich indessen, daß mich die gerühmte Lebendigkeit der französischen Zirkel betäubt und unmutig macht und daß ich ihre Bonmots, ihre Calembours, die sich machen lassen auf den Kauf, auch nicht einmal für solchen gesellschaftlichen Witz halten kann, aus dem wahres frisches Leben der Unterhaltung sprüht. Überhaupt ist mir der eigentlich echt französische Witz im höchsten Grade fatal.«

»Diese Meinung«, sprach Cyprian, »kommt recht tief aus deinem stillen freundlichen Gemüt, mein herzenslieber Sylvester. Du hast aber noch vergessen, daß außer den größtenteils höchst nüchternen Bonmots der Gesellschaftswitz der Franzosen auf eine gegenseitige Verhöhnung basiert ist, die wir mit dem Worte ›Aufziehen‹ bezeichnen und die, leicht die Grenzen der Zartheit überschreitend, unserer Unterhaltung sehr bald alles wahrhaft Erfreuliche rauben würde. Dafür haben die Franzosen auch nicht den mindesten Sinn für den Witz, dessen Grundlage der echte Humor ist und es ist kaum zu begreifen wie ihnen manchmal die Spitze irgendeines gar nicht etwa tiefen, sondern oberflächlich drolligen Geschichtleins entgeht.«

»Vergiß nicht«, sprach Ottmar, »daß eben eine solche Spitze oft ganz unübersetzbar ist.«

»Oder«, fuhr Vinzenz fort, »ungeschickt übersetzt wird. – Nun mir fällt dabei ein gar lustiges Ding ein, das sich vor wenigen Tagen zutrug und das ich euch auftischen will, wenn ihr zu hören geneigt seid.«

»Erzähle, erzähle, teurer Anekdotist, ergötzlicher Fabulant!« So riefen die Freunde.

»Ein junger Mensch«, erzählte Vinzenz, »den die Natur mit einer tüchtigen kräftigen Baßstimme begabt und der zum Theater gegangen, sollte gleich das erstemal als Sarastro auftreten. Im Begriff in den Wagen zu steigen, überfiel ihn aber eine solche fürchterliche Angst, daß er zitterte und bebte, ja daß er als er herausgefahren werden sollte, ganz in sich zusammensank und alle Ermahnungen des Direktors doch sich zu ermutigen und wenigstens aufrecht im Wagen zu stehen, blieben vergebens. Da begab es sich daß das eine Rad des Wagens den weit überhängenden Mantel Sarastros faßte und den Ehrwürdigen, je weiter es vorwärts ging, desto mehr rücklings überzog, wogegen er sich im Wagen festfußend sträubte, so daß er in der Mitte des Theaters dastand mit vorwärts gedrängtem Unterteil und rückwärts gedrängtem Oberteil des Körpers. Und alle Welt war entzückt über den königlichen Anstand des unerfahrnen Jünglings, und hocherfreut schloß der Direktor mit ihm einen günstigen Kontrakt. Dies einfache Anekdötlein wurde neulich in einer Gesellschaft erzählt, der eine Französin beiwohnte, die keines deutschen Wortes mächtig. Als nun beim Schluß alles lachte, so verlangte die Französin zu wissen, worüber man lache; und unser ehrliche D., der, spricht er französisch, mit dem echtesten Akzent, mit der treuesten Nachbildung von Ton und Gebärde den Franzosen herrlich spielt, dem aber jeden Augenblick Worte fehlen, übernahm es den Dolmetscher zu machen. Als er nun auf das Rad kam, das den Mantel Sarastros gefaßt und diesen zur majestätischen Stellung genötigt, sprach er: ›le rat‹ statt ›la roue‹. Das Gesicht der Französin verfinsterte sich, die Augenbraunen zogen sich zusammen und in ihren Blicken las man das Entsetzen, das ihr die Erzählung verursachte, wozu noch freilich beitrug, daß unser gute D. alle Register des tragikomischen Muskelpiels auf seinem Gesicht angezogen hatte. Als wir beim Schluß alle noch stärker über das seltsame Mißverständnis, das zu heben sich jeder wohl hütete, lachten, lispelte die Französin: ›Ah! – les barbares!‹ – Für Barbaren mußte die Gute uns wohl halten, wenn wir es so überaus belachenswert fanden, daß ein abscheuliches ratzenhaftes Untier den armen Jüngling, in dem verhängnisvollsten Augenblick des beginnenden Theaterlebens seinen Mantel erfassend, halb zu Tode geängstigt.«

»Wir wollen«, sprach, als die Freunde sich satt gelacht, Vinzenz weiter, »wir wollen aber nun die französische Konversation mit all ihren Bonmots, Calembours und sonstigen Bestandteilen und Ingredienzien ruhen lassen und gestehen, daß es wohl hohe Lust zu nennen, wenn unter geistreichen von echtem Humor beseelten Deutschen das Gespräch wie ein nie erlöschendes Feuerwerk aufstrahlt in tausend knisternden Leuchtkugeln, Schwärmern und Raketen.«

»Wohl zu merken«, nahm Theodor das Wort, »wohl zu merken ist aber, daß eine solche Lust nur dann stattfinden kann, wenn die Freunde nicht allein geistreich und humoristisch sind, sondern auch das Talent haben, nicht allein zu sprechen, sondern auch zu hören. Dies Talent bildet das Hauptprinzip jeder Unterhaltung.«

»Ganz gewiß«, fuhr Lothar fort, »die Wortführer töten jede Unterhaltung. Ganz auf niedriger Stufe stehen aber jene Witzbolde, die mit Anekdoten, allerlei schalen Redensarten vollgestopft von Gesellschaft zu Gesellschaft laufen und den unberufenen Pagliasso machen. Ich kannte einen Mann, der als geistreich und witzig geltend und dabei ein gewaltiger Vielsprecher überall eingeladen wurde, mit dem Anspruch, die Gesellschaft zu belustigen, so daß, schon wenn er eintrat, jeder ihm ins Gesicht blickend, wartete, was für ein Witzwort er von sich geben würde. Der Arme war genötigt sich abzuquälen, um nur, gleichviel auf welche Weise, seinen Beruf zu erfüllen und so konnte es nicht fehlen, daß er bald matt und stumpf wurde, und man ihn beiseite warf wie ein verbrauchtes Möbel. Jetzt schleicht er trübe und unmutig umher und kommt mir vor wie jener Stutzer in Rabeners Traum von abgeschiedenen Seelen, der sosehr er im Leben geglänzt, nun im jenseits traurig und wertlos dasteht, weil er die goldne mit Spaniol gefüllte Dose, einen integrierenden Teil seines innern Selbst, bei der schnellen unvermuteten Abfahrt stehenlassen.«

»Es gibt«, sprach Ottmar, »es gibt ferner gar wunderliche Leute, die, wenigstens wenn sie Gäste bewirten, das Wort führen nicht aus Arroganz, sondern in seltsam falscher Gutmütigkeit von der Angst getrieben, daß man sich nicht unterhalten werde; die beständig fragen, ob man auch vergnügt sei u. s. und die eben deshalb jede Heiterkeit, jede Lust im Aufkeimen töten.«

»Diese Methode«, sagte Theodor, »diese Methode zu langweilen, ist die sicherste und ich habe sie einmal von meinem alten humoristischen Onkel, den ihr, glaub ich aus meinen Gesprächen schon kennt, mit dem glänzendsten Erfolg anwenden gesehn. – Es hatte sich nämlich ein alter Schulfreund eingefunden, der, ganz unausstehlich in allem was er sprach, in seinem ganzen Benehmen, den Onkel jeden Morgen besuchte, ihn in seinen Geschäften störte, auf das ärgste langweilte, und dann ungebeten sich mit zu Tische setzte. Der Onkel war mürrisch, verdrießlich, in sich gekehrt, gab dem Überlästigen nur zu deutlich zu verstehen, daß seine Besuche ihm eben nicht erfreulich wären, aber alles wollte nichts helfen. Ich meinte endlich, als der Alte einmal nach seiner Art kräftig genug auf den Schulfreund schimpfte, er solle dem Unverschämten geradehin die Türe weisen. ›Das geht nicht, Vetterchen‹, erwiderte der Alte, freundlich schmunzelnd, ›er ist einmal mein Schulfreund, aber es gibt noch ein anderes Mittel ihn loszuwerden, das will ich anwenden, das wird helfen!‹ Nicht wenig verwundert war ich, als am andern Morgen mein Alter den Schulfreund mit offnen Armen empfing, als er alles beiseite warf und nun unablässig auf ihn hineinsprach, wie es ihn freue den treuen Bruder zu sehen und sich der alten Zeit zu erinnern. Alle Geschichten aus der Jugendzeit, die der Schulfreund bis zum höchsten Überdruß ewig und ewig zu wiederholen pflegte, gingen nun über des Onkels Lippen wie ein unaufhaltsamer Strom, so daß der Schulfreund alles Mühens unerachtet zu keiner Silbe kommen konnte. Und dazwischen fragte der Onkel beständig: ›Aber du bist heute nicht vergnügt? – Du bist so einsilbig? – Sei doch heiter, laß uns heute recht schwelgen in Rückerinnerungen!‹ Aber sowie der Schulfreund nur den Mund öffnen wollte, schnitt ihm der Onkel das Wort ab mit einer neuen endlosen Geschichte. Endlich wurde ihm das Ding zu arg, er wollte fort, da lud ihn aber der Onkel so dringend zu Tische daß er, nicht fähig der Verlockung guter Schüsseln und noch bessern Weins zu widerstehen, wirklich blieb. Kaum hatte der Schulfreund aber ein paar Löffel Suppe genossen, als der Onkel ganz ergrimmt rief: ›Was zum Teufel ist das für eine verdammte Wassersuppe? – Iß nicht Bruder, ich bitte dich, iß nicht, es kommt was Besseres – Johann, die Teller weg!‹ – Und wie ein Blitz war dem Schulfreund der Teller vor der Nase weg verschwunden! – So ging es aber bei allen Gerichten, die mitunter lecker genug waren, um den Appetit auf das stärkste zu reizen, bis das Bessere was noch kommen sollte, in Chesterkäse bestand, gegen den so wie gegen Käse überhaupt der Schulfreund einen Abscheu hegte. Vor lauter anscheinender Sorge den Schulfreund recht üppig zu bewirten, hatte dieser nicht zwei Bissen verschlucken dürfen, und ebenso war es mit dem Wein. Kaum hatte der Schulfreund das erste Glas an die Lippen gebracht, als der Onkel rief: ›Bruder, du ziehst ein saures Gesicht? – Du hast recht, der Wein taugt nichts – Johann eine höhere Sorte!‹ – Und eine Sorte nach der andern kam – französische Weine – Rheinweine und immer hieß es: ›Bruder, der Wein schmeckt dir nicht‹ etc., bis bei dem Chesterkäse der Schulfreund ungeduldig aufsprang. Da sprach der Onkel im gutmütigsten Ton: ›Bruder, du bist heute gar nicht vergnügt, gar nicht wie sonst? – Nun! – weil wir einmal so fröhlich beieinander sind, so laß uns eine Flasche alten Sorgenbrechers ausstechen!‹ – Der Schulfreund plumpte in den Sessel nieder. Der hundertjährige Rheinwein perlte herrlich und klar in den beiden Gläsern, die der Onkel einschenkte. ›Teufel!‹ sprach der Onkel aber, nun ein Glas gegen das Licht haltend, ›Teufel! der Wein ist mir trübe geworden, nein Bruder, den kann ich dir nicht vorsetzen‹, und schlürfte mit sichtlichem Wohlgefallen beide Gläser hinunter. – Der Schulfreund fuhr in die Höhe, plumpte aber aufs neue in den Sessel nieder, als der Onkel rief: ›Johann! Tokaier!‹ – Der Tokaier kam, der Onkel schenkte ein und reichte dem Schulfreunde das Glas hin, indem er sprach: ›Nun alter Junge, wirst du wohl endlich einmal vergnügt werden, wenn du den Nektar eingeschlürft!‹ – Kaum setzte aber der Schulfreund das Glas an die Lippen, als der Onkel schrie: ›Donner! – da ist eine große Kreuzspinne in der Flasche gewesen!‹ – Da schleuderte der Schulfreund in voller Wut das Glas gegen die Wand, daß es in tausend Scherben zersplitterte, rannte wie besessen von dannen und kam niemals wieder« – –

»Die Ironie deines alten Onkels in Ehren«, sprach Sylvester, »aber mich will bedünken, daß doch etwas konsequente Bosheit dazu gehört, sich einen Überlästigen auf diese Art vom Halse zu schaffen. Ich hätte dein langweiligen Schulfreunde lieber geradehin die Türe gewiesen, wiewohl ich zugestehen will, daß es gerade in deines Onkels humoristischem Charakter lag, statt des vielleicht ärgerlichen Auftritts, den es gegeben, sich eine skurrile Theaterszene zu bereiten. Denn dafür erkläre ich den ominösen Mittag, wie du ihn geschildert. Lebhaft kann ich mir den alten Parasit denken, wie er die Qualen des Tantalus duldet, wie der Onkel immer neue Hoffnungen zu erregen und in demselben Augenblick zu vernichten weiß, wie endlich ihn die Verzweiflung ergreift –«

»Du kannst«, erwiderte Theodor, »im nächsten Lustspiel Gebrauch machen von dieser artigen Szene.«

»Die«, fuhr Vinzenz fort, »mich übrigens lebhaft an jenes herrliche Mahl in Katzenbergers Badereise und an den armen Gevatter Einnehmer erinnert, der an den Bissen, die über die Trompetenmuskel glitten, beinahe ersticken mußte. Wiewohl diese Szene unserm Sylvester für ein neues Lustspiel eben nicht dienlich sein dürfte.«

»Den vortrefflichen Katzenberger, den nur seiner robusten Zynik halber die Frauen nicht mögen«, sprach Theodor, »habe ich übrigens persönlich gekannt. Er war ein Intimus meines alten Onkels und ich kann künftig manches Ergötzliche von ihm beibringen.« – Cyprian hatte in tiefen Gedanken gesessen und schien kaum gehört zu haben, was Theodor und die übrigen gesprochen – Theodor munterte die Freunde auf, von dem warmen Punsch zu genießen, den er bereitet, weil dies Getränk das beste Gegengift gegen den bösen Einfluß der Witterung sei.

»Allerdings«, sprach nun Cyprian, wie plötzlich aus dem Traum erwachend, »allerdings ist auch dieses der Keim des Wahnsinns, wo nicht schon Wahnsinn selbst.« – Die Freunde schauten sich bedenklich an.

»Ha«, fuhr Cyprian fort, indem er von seinem Sitz aufstand und lächelnd rund umherblickte, »ha ich merke, daß ich den Schlußsatz laut werden ließ von dem, was ich still im Innern dachte. – Nachdem ich dieses Glas Punsch geleert und Theodors geheimnisvolle Kunst dies Getränk nach seinen mystischen Verhältnissen der Stärke, Süße und Säure zu bereiten gehörig gelobt, will ich nur beibringen, daß einiger Wahnsinn, einige Narrheit so tief in der menschlichen Natur bedingt ist, daß man diese gar nicht besser erkennen kann als durch sorgfältiges Studium der Wahnsinnigen und Narren, die wir gar nicht in den Tollhäusern aufsuchen dürfen, sondern die uns täglich in den Weg laufen, ja am besten durch das Studium unseres eigenen Ichs, in dem jener Niederschlag aus dem chemischen Prozeß des Lebens genugsam vorhanden.«

»Sage«, rief Lothar verdrießlich, »sage, wie kamst du schon wieder auf Wahnsinn und Wahnsinnige?«

»Erzürne«, erwiderte Cyprian, »erzürne dich nicht, lieber Lothar. Wir sprachen über das Talent des gesellschaftlichen Gesprächs und da dachte ich an zwei sich einander entgegengesetzte Charaktere, die so häufig jede gesellschaftliche Unterhaltung töten. – Es gibt nämlich Personen, die von der Idee, von der Vorstellung, die sie erfaßt, sich durchaus nicht wieder trennen können, die stundenlang, ohne Rücksicht wie sich das Gespräch gewandt hat, immer dasselbe und wieder dasselbe wiederholen. Alles Mühen sie mit dem Strom des Gesprächs fortzureißen, bleibt umsonst, glaubt man endlich ihre Teilnahme an dem, was der fortschreitende Austausch der Ideen schafft, gewonnen zu haben, so kommen sie plötzlich, ehe man sich's versieht, um an den Bürgermeister in jenem Lustspiel zu erinnern, auf besagten Hammel zurück, und verdämmen so jenen schönen rauschenden Strom. Ihnen entgegengesetzt sind solche, die in der nächsten Sekunde vergessen, was sie in der vorigen gesprochen, welche fragen und ohne die Antwort abzuwarten, das davon Heterogenste vorbringen, denen bei jedem Anlaß alles, mithin eigentlich nichts einfällt, das in die Form des Gesprächs taugt, die in wenigen Worten einen bunten Plunderkram von Ideen zusammenwerfen, aus dem sich nichts, das nur einigermaßen deutlich, herausfinden läßt. Auch diese töten jede gemütliche Unterhaltung und bringen zur Verzweiflung, wenn jene die ärgste Langeweile, ja wahrhaften Überdruß erregen. Aber sagt, liegt in solchen Leuten nicht der Keim dort des fixen Wahns, hier der Narrheit, deren Charakter eben das ist, was die psychologischen Ärzte Ideenflucht nennen?«

»Wohl«, nahm Theodor das Wort, »wohl möcht ich noch manches sagen von der in der Tat geheimnisvollen Kunst in Gesellschaft gut zu erzählen, die von Ort, Zeit, individuellen Verhältnissen abhängig, sich schwer in feste Prinzipe einfugen lassen würde, mich dünkt aber es möchte uns zu weit führen, und so der eigentlichen Tendenz des würdigen Serapions-Klubs entgegen sein.«

»Ganz gewiß«, sprach Lothar, »wir wollen uns dabei beruhigen, daß wir weder von dem Wahnsinn noch von der Narrheit, deren unser Freund Cyprianus erwähnt hat, behaftet, daß wir vielmehr untereinander höchst vortreffliche Gesellschafter sind, die nicht allein zu sprechen, sondern auch zu hören verstehen. Ja noch mehr! – jeder von uns hört sogar ordentlich zu, wenn der andere vorlieset, und das will viel heißen. Freund Ottmar sagte mir vor einigen Tagen, daß er eine Novelle aufgeschrieben, in welcher der berühmte dichterische Maler Salvator Rosa die Hauptrolle spiele. Mag er uns diese Novelle jetzt vorlesen.«

»Nicht ohne Furcht«, sprach Ottmar, indem er ein Manuskript aus der Tasche zog, »nicht ohne Furcht bin ich, daß ihr meine Novelle nicht serapiontisch finden werdet. Ich hatte im Sinn, jene gemächliche aber anmutige Breite nachzuahmen, die in den Novellen der alten Italiener, vorzüglich des Boccaccio, herrscht und über dieses Mühen bin ich, wie ich nur lieber gleich selbst gestehen will, weitschweifig geworden. Auch werdet ihr mir mit Recht vorwerfen, daß ich den eigentlichen Novellenton nur hin und wieder, vielleicht gar nur in den Überschriften der Kapitel getroffen. Bei diesen freien Selbstgeständnissen eines edlen Gemüts werdet ihr gewiß nicht zu strenge mit mir verfahren, sondern euch an das halten, was euch doch etwa ergötzlich und lebendig vorkommen möchte.«

»Was für Vorreden«, rief Lothar, »was für eine unnütze Captatio benevolentiae! Lies nur deine Novelle, mein guter Freund Ottmar, und gelingt es dir uns recht lebendig anzuregen, daß wir deinen Salvator Rosa recht wahrhaft vor uns erschauen, so wollen wir dich als einen würdigen Serapions-Bruder anerkennen, und das übrige mürrischen, tadelsüchtigen Kunstrichtern überlassen. Nicht wahr, meine vortrefflichen Serapions-Brüder?«

Die Freunde stimmten Lothar bei und Ottmar begann:


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