Nataly von Eschstruth
Gänseliesel
Nataly von Eschstruth

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Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Was ist das Leben ohne Liebesglanz?
Ich werf' es hin, da sein Gehalt verschwunden!
Schiller.        

Frisches, lachendes Maiengrün knospete rings an Bäumen und Hecken. Die Vögel jubelten in der blauen Luft, die Menschen sperrten Fenster und Herzen auf und ließen die goldenen Sonnenstrahlen ein, welche eine farbenglänzende und luftige Brücke zwischen Himmel und Erde bauten und der weiten Welt verkündeten: »Der Mai ist gekommen! Der Winter ist aus!« Auch durch die hohen Spiegelscheiben des Lehrbachschen Hauses flutete es wie Licht und Frühlingslust.

Kisten standen auf dem Hausflur aufgetürmt, verpackte Möbel und Reisekoffer. Zwischendurch schritten Fräulein von Sacken und Josephine und wiesen die Dienerschaft an, welche mit regem Eifer in den – zumeist schon ausgeräumten Zimmern – hantirten. Das Haus war von der Herzogin Marie Christiane angekauft worden, um zur Winterwohnung für die hohe Frau ausgebaut zu werden, da der Pavillon sich bei 215 den stets zunehmenden rheumatischen Leiden derselben als zu kalt und feucht erwiesen hatte. Morgen sollte nun das Haus geräumt werden und der Umzug des kranken Ministers von Statten gehen, da die Besserung desselben sehr bedeutende Fortschritte gemacht hatte, auch Bewußtsein und Sprache langsam wiederkehrten. Man sprach sehr viel darüber.

Gewisses wußte Niemand, aber das Gerücht ging, daß Herr von Hattenheim das Gut Lehrbach ebenfalls unter der Hand, und ohne daß Jemand etwas davon geahnt hatte, an eine sehr reiche Ausländerin verkauft habe, mit dem Vorbehalt, daß Seine Excellenz Zeitlebens eine Wohnung in dem linken Schloßflügel innebehalten könne. Das war allem Anscheine nach gestattet, denn wie man hörte, sollte in den nächsten Tagen die Uebersiedelung nach Lehrbach stattfinden.

Man zerriß sich die Mäuler über das »Gänseliesel«, welches sich so vollkommen als zu dem Hause Lehrbach gehörig gerirte und sogar dem alten Minister zu Liebe die Residenz ebenfalls verlassen wollte. Man nahm sich auch vor, dem kleinen Landfräulein merklich zu verstehen zu geben, daß sie hier überflüssig geworden sei. Prinzessin Sylvie sollte sogar ganz öffentlich geäußert haben: »Die gute Freundin eines Schwindel-Monsieur paßt nicht zu uns; die wird feste geschnitten, Kinder!« Dadurch war das Signal zu allgemeiner Demonstration gegen Fräulein von Wetter gegeben. Nur Prinz Detlef war dickköpfig und nahm die Partei der 216 jungen Dame, ritt ihr sogar Fensterparaden und erklärte, daß er und seine Farbenbrüder schon dafür sorgen würden, daß die reizende kleine Josephine eine Rolle auf den Bällen spielen solle!

Darüber gab es hitzige Debatten.

Leider wurde aber keiner Partei Gelegenheit gegeben, Fräulein von Wetter die Gesinnungen zu beweisen. Denn das Gänseliesel spielte das Prävenire und besuchte seit der Erkrankung der alten Excellenz keine Gesellschaften mehr, und die Bälle hörten ja so wie so durch die Fastenzeit schon von selber auf.

Nur bei Gelegenheit des Wohlthätigkeitsbazars, auf welchem Josephine mit Fräulein von Sacken Spitzen und Stickereien verkauft hatte, war es sehr auffällig gewesen, wie ostensibel die meisten Herrschaften der Hofgesellschaft mit weggewandtem Kopf an der jungen Dame vorübergingen und weder von ihr noch von ihren Verkaufswaaren Notiz nahmen, bis schließlich Prinz Detlef kam und wie mit Zauberschlag das Bild veränderte.

Der einzige Einkauf, welchen er machte, bestand aus Josephinens Stickereien. »Wie blödsinnig benimmt er sich!« knirschte Sylvie, als sie sah, in welchen Quantitäten ihr Bruder dem Gänseliesel abkaufte.

Da wimmelte es plötzlich von Saxo-Borussen um den Tisch des Fräulein von Wetter. Unglaubliche Preise wurden bezahlt, und in wenigen Minuten waren sämmtliche Verkaufsartikel der jungen Dame 217 vergriffen. Wie eine Siegestrophäe schlangen sich die Herren die Spitzen oder gestickten Streifen neben den Farben ihrer Verbindung um die Brust. Prinz Detlef trug sogar sehr ostensibel drei Chenilleglocken aus dem Fichu des Gänseliesels, für welche er am Schluß eine ganz horrende Summe geboten hatte, als Orden in dem Knopfloch.

Das war ein unglaublicher Aerger für die meisten Anwesenden und verursachte der Gräfin Aosta für längere Zeit Migräne. Die kostbare Toilette aber, welche sie sich in den Farben der Saxo-Borussia hatte anfertigen lassen, blieb vorläufig als »zur Disposition gesetzt« in dem Schranke hängen.

Herr von Reuenstein hatte einen verzweifelt schweren Stand und wußte beim besten Willen nicht, wie er sich gleichmäßig in die beiden feindlichen Lager teilen sollte. Als er mit Prinzessin Sylvie an dem Gänseliesel vorüberging, schnitt er sie natürlich; und als er sah, daß Prinz Detlef bei ihr kaufte, lief er sehr hastig und viel beschäftigt an ihrem Tische vorüber und rief ihr zu: »Bitte, mein gnädiges Fräulein, reserviren Sie mir ein zolllanges Stückchen Spitze zu zehn Mark!«

Das richtete er aber so ein, daß nur der Prinz die Bestellung hörte und ihm gnädig zunickte; die feindliche Partei bemerkte diesen Zwischenfall gar nicht und erhielt ihm ihre Huld und Gnade ebenfalls.

Baron d'Ouchy hatte von vornherein an dem Tisch des Fräulein von Wetter Posto gefaßt; es war das erste Mal, daß ihn Josephine nach seinem 218 Urlaub wieder sah, und unwillkürlich zuckte sie bei seinem Anblick zusammen. Sie fand ihn verändert, er sah sehr elend und abgespannt aus, auch war sein Blick noch unruhiger und flackernder denn sonst und konnte dem ihren anfänglich nicht ganz so frei begegnen wie früher.

Er erkundigte sich nach dem Befinden des Ministers und schien aufrichtigen Anteil an dem Schicksal des alten Mannes zu nehmen; das war wohl selbstverständlich.

»Wer hätte das gedacht!« sagte er mit düsterem Kopfschütteln.

Dann brachte er einen Veilchenstrauß, welchen er bei Ange gekauft hatte, und überreichte ihn Josephine mit einem sehr beredten Blick.

»Trifft man Sie denn nirgends mehr?« fragte er leise, als Fräulein von Sacken sich einen Augenblick abwandte. »Vergebens hoffte ich bei jedem Fest Ihnen zu begegnen, ich habe Ihnen viel zu sagen, Fräulein von Wetter!«

Josephine sah ihm fest in das Auge. »Ich sehe nur noch die Menschen, welche den Mut haben, in dem Lehrbach'schen Hause aus- und einzugehen.«

»Würden Sie mich daselbst empfangen? Ich versichere Ihnen, daß ich noch ganz andere Proben von Courage ablegen würde und es mit schwierigeren Hindernissen aufnähme, wenn mir dieselben den Weg zu Ihnen versperrten. Man sagte mir jedoch, daß keinerlei Visiten bei dem Minister angenommen werden und daß mein Weg ein vergeblicher sein würde.«

219 Josephine senkte das Haupt. »Vorläufig müssen wir allerdings auf die größte Ruhe im ganzen Hause sehen.«

»Ich fragte soeben Komtesse Ange, ob wir nicht wieder einmal musiciren wollten. Sie lehnte es für die nächste Zeit wegen ihrer nervösen Kopfschmerzen ab. Ich habe also keine Aussicht, Sie bald wiederzusehn?«

Es lag etwas Verzehrendes, Fieberisches in seinem Blick.

»Demnach nicht!«

»Wie ist es so schwer, sich gedulden zu müssen, wenn man sich am Ziele glaubte!« murmelte er düster. »Vergessen Sie nicht, Fräulein Josephine, daß ich mit Schmerzen auf eine Nachricht von Ihnen warte, welche mir einen Besuch im Hause des Ministers gestattet!«

»Ich werde Sie benachrichtigen.« Josephine sah ihn dankbar an. Sie glaubte nicht anders, als daß d'Ouchy über die unselige Affaire mit ihr sprechen wollte.

Indem trat Prinz Detlef mit heiterstem Gruß zu ihr heran.

Seit der Zeit fand sie oft zarte, vielsagende Blumensträuße in Villa Carolina vor, welche ein kurzer Gruß d'Ouchys begleitete; sie nahm dieselben für ein sehr liebenswürdiges Zeichen seiner Teilnahme.

Ange war auffallend bleich und ernst, nach und nach kam jedoch eine freudige Ruhe über sie. Sie 220 atmete oftmals wie erleichtert auf und stand zuweilen stundenlang am Fenster, um auf Reimar zu warten.

Als er ihr mitteilte, daß er gleich Günther seinen Abschied eingereicht habe, war es ihm vorgekommen, als ginge ein Zittern durch ihre schlanke Gestalt, als sei ein Zusammenschrecken daran schuld gewesen, daß die kleine Porzellanfigur, welche sie gerade von dem Sims genommen hatte, um sie abzustäuben, aus ihrer Hand glitt und auf dem Parquet in Scherben schlug. Er hatte dann die Splitter so geschäftig aufgelesen, daß er ihre Antwort gar nicht recht gehört hatte, aber es war ihm, als hätte sie gesagt: »Wie einsam wird es werden, wenn Alle gehn.«

Darauf hin hatte er sie daran erinnert, daß sie ja für die Sommermonate als Gast nach Groß-Stauffen und Lehrbach geladen sei. Das solle eine herrliche Zeit geben, der Landaufenthalt würde ihr gewiß ebenso behagen wie ihm, und er sei höchlichst gespannt, seine verehrte Cousine auch einmal ohne Glacéhandschuhe und ohne den steifen Zwang einer Residenz kennen zu lernen!

»Wirst Du denn auch in Lehrbach sein?« hatte Komtesse Lattdorf mit flüchtigem Rot auf den Wangen gefragt.

»Ich habe Fräulein Josephine versprochen, im Juli auf vierzehn Tage oder drei Wochen zu kommen, um den Neubau, welcher bereits vom alten Grafen Lehrbach begonnen ist, etwas zu controliren.«

221 »Und in Zukunft wirst Du dauernd auf Deinem elterlichen Gut leben?«

Reimar nickte. »Die Pacht von Hattenheim und Laubsdorf läuft nächstes Jahr ab. Ich werde alsdann versuchen, meine Scholle selber zu bewirthschaften, und glaube wohl, liebe Ange, daß ich die Einsamkeit mehr empfinden werde als Du, die so viel Zerstreuung und Anregung in der großen Welt findet. Bei mir ist es sehr still und einsam, ich werde ganz allein auf meinem grauen Strandschloß sitzen und meine einzige Freude werden die Briefe meiner fernen Freunde sein. Aber besser so, als inmitten dieses bunten Lebens wie ein Einsiedler umhergehn. Ich bin ein wunderlicher Gesell und gehöre nicht unter die Menschen und werde auch nicht von ihnen vermißt werden – –«

»Doch, Reimar! Ich werde Dich täglich und schmerzlich vermissen!« Ange reichte ihm die kleine Hand herzlich entgegen, »und werde es erst recht durch den Verlust empfinden, welch ein lieber und treuer Freund Du mir gewesen!«

»Ein rechtschaffener Freund, Ange, ein rechtschaffener!« stotterte er mit dunkler Glut auf der Stirn, und unwillkürlich huschte sein Blick nach dem Schreibtisch der Komtesse. Das Tagebuch lag jedoch nicht mehr da, er hatte es überhaupt nach jenem Ballabend nicht wieder gesehn. – – –

Er wußte ja nun auch, gegen welchen Mann seine Cousine bei ihm Schutz suchte, wer mit giftigen Melodieen ihre Seele zu umstricken drohte, wessen 222 Liebe nicht Recht, Gesetz und Macht kennt! Und er richtete sich unwillkürlich empor zu seiner vollen, stattlichen Höhe, dehnte die nervigen Arme und warf das Haupt in den Nacken. »Nur getrost, liebe Ange, hier steht Einer, welcher Dich rechtschaffen gegen jeden Zampa schützen wird!«

Von Baron d'Ouchy fing er dann auch an zu sprechen und teilte seiner Cousine mit, daß er leider keinerlei Resultat bei seinen Nachforschungen erzielt habe.

Der Onkel des jungen Diplomaten sei thatsächlich in der Bretagne gestorben, wenngleich derselbe in solch bescheidenen Verhältnissen gelebt habe, daß eine große Hinterlassenschaft kaum glaublich sei. Dennoch sei es ja sehr oft die Marotte eingefleischter Geizhälse, daß sie darben und hungern, um ihren Mammon desto höher und goldener aufspeichern zu können. –

Ange hörte den Bericht mit niedergeschlagenen Augen. »Ich muß gestehen, daß mein Glauben an irgend welche Aufklärung in dieser unglücklichen Angelegenheit bedenklich erschüttert ist. Wenn d'Ouchy seine Hände dabei im Spiel hat, so halte ich ihn nach all den jetzigen Erfahrungen für viel zu raffinirt, um sich nicht nach allen Seiten hin gedeckt zu haben. Sehr begierig bin ich, ob er sich Josephine thatsächlich erklären wird; sein Benehmen läßt kaum noch einen Zweifel zu.« – – – – – –

So war der Mai gekommen, und der Tag stand vor der Thür, an welchem Seine Excellenz der Graf 223 Lehrbach sein Haus räumen mußte, um für alle Zeiten von der Bühne der großen Welt abzutreten, auf welcher er lange Jahre eine so einflußreiche und hervorragende Rolle gespielt hatte.

Aus den Augen, aus dem Sinn! Man hatte sich an die geschlossenen Fensterläden des Ministerhotels gewöhnt, man fragte nicht mehr viel danach, ob hinter ihnen ein bleiches Angesicht in todtähnlichem Schlafe lag. Seit man die schlanke Gestalt nicht mehr an der Seite Franz Eginhards sah, seit das weiße Haupt mit den grauen, durchdringenden Augen nicht mehr über das Wohl und Wehe eines ganzen Landes wachte, gedachte man seiner nicht mehr und ließ das Geschehene wie ein Nebelbild in dem Meer der Vergessenheit zerrinnen. In kaum acht Wochen! Man lebt schneller in einer Residenz als im stillen Idyll eines Groß-Stauffen.

In dem Salon neben dem Krankenzimmer klangen gedämpfte Stimmen.

Josephine war Baron d'Ouchy entgegengetreten, welcher ihr sehr unerwartet gemeldet wurde.

Er stand neben einem Sessel. Die Hand, welche sich auf die Lehne stützte, zitterte.

Die grünseidenen Vorhänge waren geschlossen und warfen einen fast lividen Schein über das schmale, farblose Gesicht des Diplomaten. Tiefliegender denn je brannten die düsteren Augen unter den Brauen, und in herbem Trotz preßten sich die Lippen noch schmaler denn sonst zusammen.

224 »Sie wollen abreisen, mein gnädiges Fräulein?« fragte er kurz.

Josephine reichte ihm herzlich die Hand und nickte unbefangen. »Wir müssen die Wohnung hier räumen, weil bereits in nächster Woche die baulichen Veränderungen vorgenommen werden sollen!«

»Und Sie wären gegangen, ohne Ihr Versprechen zu erfüllen, mir vorher noch einen Besuch im Lehrbachschen Hause zu gestatten?«

D'Ouchys Lippen bebten.

»Da Sie für heute Abend eine Einladung zu Lattdorfs erhalten haben, glaube ich, mein Wort damit eingelöst zu haben!«

Josephine setzte sich ermüdet auf die Chaiselongue nieder, und lud d'Ouchy mit einer höflichen Geste ein, ebenfalls Platz zu nehmen.

»Sie wissen, mein gnädiges Fräulein, daß es in Gesellschaft unmöglich ist, sich in privater Angelegenheit auszusprechen, und es ist der hauptsächliche Zweck meines Besuches, Sie allein zu sehen. Ich hätte Sie nicht für so grausam gehalten, mich so lange Zeit in quälender Ungewißheit harren zu lassen, denn ich darf nach unserer Unterredung in dem Wintergarten wohl annehmen, daß Ihnen der Grund meines Besuches nicht unbekannt ist?«

Eine jähe Angst überkam das junge Mädchen, warum wollte er sie noch mit Erinnerungen quälen? Sie lenkte ab.

»In dem Wintergarten sprachen wir über Drachen und Ungeheuer und das moderne Gespenst, 225 welches Gold heißt«, lachte sie etwas gezwungen heiter, »und erinnere ich mich sehr wohl, daß Sie den Kampf mit dem Schicksal aufnehmen wollten, um die Berge zu stürzen, welche es Ihnen in den Weg türmt. Dieser Weg zum Glück war Ihrer Ansicht nach mit Gold gepflastert, und wenn ich nun etwas Geschick zum Kombiniren habe, so nehme ich an, das der Grund Ihres heutigen Besuches der ist, mir von dem Triumphe zu erzählen, welchen Sie über den Drachen ›Gold‹ gefeiert haben. Denn soviel ich gehört habe, sind Sie als reicher Mann aus der Bretagne zurückgekommen.«

D'Ouchys Blick hing wie gebannt an ihrem lachenden Gesichtchen. Reizender denn jemals däuchte ihm Fräulein von Wetter in dem schlichten schwarzen Kleid, von welchem sich die kleinen Hände so weiß und edelgeformt, wie aus Marmor gemeißelt, abhoben.

»Allerdings, Fräulein Josephine, das wollte ich Ihnen sagen. Nehmen Sie nicht Anteil daran, daß mir plötzlich die goldenen Thore zum Glück aufgethan sind?«

»Von Herzen gratulire ich Ihnen dazu, und ich wundere mich, daß Sie vor kurzer Zeit noch so hoffnungslos in die Zukunft blickten! Warum haben Sie den alten reichen Erbonkel so ganz verheimlicht? Das Bewußtsein seiner Existenz hätte Sie doch mit der größten Zuversicht erfüllen müssen.«

226 Es lag plötzlich etwas gewaltsam Starres in den Zügen des jungen Diplomaten. Er neigte sich näher und dämpfte seine Stimme.

»Gestatten Sie mir, mich Ihnen rückhaltlos anzuvertrauen, Fräulein Josephine! Was nie einer anderen Menschenseele gegenüber verlauten soll, und was ich als mein tiefstes Geheimniß erachte, will ich Ihnen als das größte Zeichen meiner zuversichtlichen Ergebenheit mitteilen.«

Josephine zuckte empor und starrte atemlos in sein Auge. D'Ouchy aber fuhr flüsternd fort: »Jener Onkel in der Bretagne war kein Erbonkel, von welchem ich mir goldene Schätze erhoffen durfte; ich wußte, daß ich nur ein ganz kleines, unbedeutendes Kapital von ihm zu erwarten hatte. Dennoch war ich entschlossen, diese kleine Summe zum Schicksal meines Lebens zu machen. Glückseliges Leben oder schnellen Tod sollte sie mir bringen. Ich wollte sie in die Wagschaale werfen und mein Alles auf eine einzige Nummer setzen. Noch vor Jahresfrist würde mir ein solches Beginnen als Wahnsinn erschienen sein, denn damals kannte ich kein Ziel, welches eines solchen Hazardspiels wert gewesen wäre. Wie aber das Schicksal eines Menschen oft von einem Augenblick besiegelt wird, so entschied sich auch mein Loos durch einen einzigen Blick in ein blaues Mädchenauge, welches meine ganze Seele, mein ganzes Herz zu eigen nahm. Wie ein wildes Fieber faßte mich die Leidenschaft, ich war entschlossen, Alles für meine Liebe zu 227 wagen, mir Sieg oder Untergang zu bereiten in dem tollkühnen Streben nach ihrem Besitz. Ich spielte in der Lotterie, und ich verlor, ich sah keinen Weg mehr, welcher mich zum Ziel führen konnte. Ich stand im Begriff, mir eine Kugel durch den Kopf zu jagen. Da kam die Nachricht von dem Ableben meines Onkels. Noch einmal klammerte sich meine Hoffnung voll glühenden Aufflackerns an einen Strohhalm. Ich reiste nach der Bretagne und nahm die erbärmliche kleine Summe in Empfang. Sie sollte der letzte Wurf sein, welchen ich nach dem Glücksring wagte. Ich reiste nach Monte Carlo. Entweder wollte ich als reicher Mann, oder niemals wieder hierher zurückkehren. Ich setzte meine Summe, und ich gewann! Nie hat ein Mensch mit rasenderem Glück gespielt als ich, der Verzweifelnde, welcher Blut und Leben auf die Karte der Coeur-Dame setzte. Ich bin als reicher Mann hierher zurückgekehrt, die Liebe hat mich nicht verlassen.«

D'Ouchy machte tiefaufatmend eine Pause, ein verzehrendes Feuer glühte in seinem Blick, näher neigte er sich und faßte Josephinens Hand mit zitternder Leidenschaft.

Eine tiefe Enttäuschung hatte sich während seiner Worte auf ihrem Antlitz gemalt, mit großen, glanzlosen Augen starrte sie ihn an, d'Ouchy aber fuhr in fieberischer Erregung fort:

»Und wissen Sie auch Josephine, wer also zum Inbegriff meines Lebens geworden ist? Wer es 228 mir mit dem Sonnenblicke blauer Augen angethan hat, daß plötzlich all mein Sein und Denken einem Sturmwind glich? Diese süßen, lachenden Lippen sind es gewesen, welche mich mit wahnsinnigem Durst nach ihrem Kuß erfüllt haben, deren verheißungsvolle Worte mich berauschten und in den Kampf auf Tod und Leben trieben, welche meines Daseins Schicksalsspruch geflüstert haben an jenem Abend, da Sie mir versprachen, kurze Zeit in Treu und Glauben noch ausharren zu wollen. Das Ziel ist erreicht, Josephine, ich habe mich ohne Grauen vor Nacht und Verderben in die Tiefe des Lebensmeeres gestürzt, um Dich, Du weiße Perle, dem Schicksal abzuringen. Und nun, da ich den Sieg gewonnen, verlang' ich auch den Preis, den Du mir verheißen, Dich, Josephine, Dich und Deine Liebe!«

Mit einem leisen Aufschrei war Fräulein von Wetter vor ihm zurückgewichen. War d'Ouchy wahnsinnig geworden? Das heiße Zigeunerblut kochte hinter seinen Schläfen und färbte sein Antlitz mit dunkler Glut; wild entfesselt brannte das Feuer der Leidenschaft in den düstern Augen und ließ sie schaudernd in den Abgrund einer zügellosen Menschenseele blicken. »Doch wenn er liebt, nimm Dich in Acht!« gellte es vor ihren Ohren, wie ein Nebel zerriß es vor ihren Augen.

Hoch und stolz richtete sie sich empor.

»Sie erlauben sich mir gegenüber eine Sprache, Baron d'Ouchy, deren Sinn ich nicht verstehe, und 229 deren beleidigende Art ich mir verbitte. Welch ein Recht haben Sie, und welch eine Veranlassung habe ich Ihnen zu dem wahnsinnigen Glauben gegeben, daß ich Sie liebe?«

Wie erstarrt stand ihr der junge Mann gegenüber, fahl wie die Gipsreliefs über seinem Haupte ward sein Antlitz. »Josephine!« schrie er auf, wie Einer, der die Todeswunde in der Brust fühlt.

Einen Augenblick herrschte tiefe Stille, dann trat Leon d'Ouchy wankend einen Schritt näher. »Warum haben Sie ein so grausames Spiel mit mir getrieben?« fragte er mit zitternden Lippen.

Josephine sah ihn entsetzt mit weit geöffneten Augen an. »Ein Spiel mit Ihnen? . . Mein Gott – Sie sprechen in Rätseln, Baron d'Ouchy, es scheint hier ein peinlicher Irrtum zu walten!«

Er biß die Zähne zusammen, preßte die Hände gegen die Brust. »Haben Sie mir nicht in dem Wintergarten versichert, daß Sie nicht mit Hattenheim verlobt seien, daß Sie in Treue noch kurze Zeit ausharren wollten, bis es sich entschieden habe, ob das Glück nicht auch uns sein lächelnd Antlitz zeige? War das nicht mehr als eine Versicherung, daß meine Liebe erwidert sei?« D'Ouchy stützte sich schwer auf die Sessellehne, ein fast irres, drohendes Feuer sprühte aus seinem Blick.

Josephine schlug die Hände vor das Angesicht. »Diese Frage war für Sie gethan? Allmächtiger Gott, wie konnte ich so mit Blindheit geschlagen sein?«

230 »Für mich gethan? . . . . . . Für wen sollte ich sonst eine Frage an Sie richten, welche über das Lebensglück zweier Menschen entscheidet?«

Wie Schluchzen klang es durch die Stimme des jungen Mädchens. »Ich hielt Sie für seinen Freund, ich hatte keinen andern Gedanken als ihn und war der Meinung, daß Sie längst das Geheimniß meines Herzens erraten hätten!« Wie ein Sterbender starrte d'Ouchy zu ihr herab, momentan war es, als ringe er keuchend nach Worten, dann gellte plötzlich ein wahnwitziges Lachen auf. Seine schlanke Gestalt brach auf den Sessel nieder, wie zischend rang es sich von seinen Lippen: »Ein Anderer! Also Alles für einen Anderen! Und das war Deine große Verheißung, Glück, das war der Lohn, um welchen die Hölle ihren Sieg gefeiert! Ein Anderer, ein Anderer, der mir die Narrenkappe über die Ohren zog!«

Dann sprang er plötzlich wieder auf und umklammerte die Hand Josephinens mit fast schmerzendem Druck. »Und dennoch kein Anderer! Denn Ihr Erröthen, Ihr schüchtern gesenkter Blick, der Ausdruck Ihrer Züge, da Sie vor mir der Gretchenblume süßes Orakel befragten, all die tausend kleinen Liebenswürdigkeiten, mit welchen Sie mich auszeichneten, die galten keinem Anderen, die galten mir! Und darum, Josephine, erbarm' Dich meiner Verzweiflung und meines verlorenen Lebens, laß mir den süßen Glauben an Deine Liebe, ohne welche ich nicht mehr bestehen kann! Hab' Mitleid mit dem 231 Manne, auf welchem der Fluch einer ungebändigten Zigeunerwildheit lastet, dessen Leben nur eine einzige rotglühende, betäubend und berauschend duftende Liebesrose trägt, an welcher seine Seele verblutet, wenn ihr Kelch erbarmungslos geknickt wird! Was ein Mensch um seiner Liebe willen wagen und opfern kann, habe ich gethan! Zum Inbegriff meines Lebens habe ich sie gemacht und werde zum Bettler, wenn ich sie verlieren soll! Josephine, laß mich nicht – so nahe dem Ziele – noch zu Grunde gehen! Und wenn Du mich getäuscht hast, so laß es jetzt sein, da Du mich glauben machen willst, daß ein Anderer die Saat geerntet, welche ich mit der Ruhe meines Gewissens, mit dem höchsten Einsatz, welchen ein Mann wagen kann, gesäet habe!«

Es lag ein unaussprechlicher Ausdruck in dem farblosen Antlitz, welches zu Josephine emporstarrte wie das eines Schuldigen, welcher seines Richterspruches harrt. D'Ouchy war an ihrer schlanken Gestalt herniedergeglitten, wie ein Verzweifelnder rang er zu ihren Füßen.

Ein namenloses Weh erfaßte das Herz des jungen Mädchens, die zitternde kleine Hand legte sich auf sein Haupt.

»Möge Gott mir vergeben, was ich unbewußt an Ihnen gesündigt habe, Leon«, sagte sie weich, mit versagender Stimme, »und möge er Ihnen den Frieden wiederschenken, welchen ich Ihnen ahnungslos geraubt habe. Auf den Knieen will ich ihn darum bitten, zu unser Beider Heil! Meine 232 aufrichtigste Teilnahme an Ihrem Mißgeschick, mein treuestes Hoffen für Ihre glückliche Zukunft weihe ich Ihnen von ganzem Herzen, mehr kann ich Ihnen nicht geben, Baron d'Ouchy. Denn die Liebe, welche Sie verlangen, gehört einem Andern, von dem ersten Augenblick, welcher mich den Begriff Liebe verstehen lehrte, bis zu dem letzten Augenblicke und zu dem letzten Schlage, welchen mein Herz thut!«

Baron d'Ouchy hatte sich emporgerichtet, mit gläsernem Blick starrte er ihr in das Auge. Wild, außer sich vor fiebernder Leidenschaft riß er sie an sich. »Wehe Dir und mir, wenn dies Wahrheit ist!« keuchte er. »Du weißt nicht, Weib, was ich für Dich gethan habe! Gib mir meine Seele zurück, welche ich verpfändete, zahle mir mit Küssen meinen Judasgroschen aus,« und er neigte sich, um, gegen ihre verzweifelte Abwehr ringend, seine Lippen auf ihr lockiges Haar zu pressen – –

Dann schrak er plötzlich zusammen, ließ die Arme schlaff herniedersinken und wandte das Haupt lauschend zur Nebenthür.

»Leon d'Ouchy!« rief es ihn mit leiser, klagender Stimme.

Ein Zittern lief durch seine Glieder, wie von unsichtbarer Hand widerstandslos hingerissen, wankte er dieser Stimme nach gegen die Thüre des Nebenzimmers. »Das war der Minister,« murmelte er, »das war Lehrbach« – und mit unsicheren Schritten, gleich einem Mondsüchtigen, bebend vor Grauen und dennoch wie gebannt näherte er sich Schritt um Schritt dem Krankenlager.

233 Starr, regungslos lag der alte Mann, seine weit geöffneten Augen brannten aus ihren tiefen Höhlen dem Nahenden entgegen. »Leon d'Ouchy,« flüsterte er mit fieberischer Anstrengung, »ich hörte Ihre Stimme! . . . Ich erkannte Sie . . . ich wartete schon lange auf Sie! . . . O, warum verließen Sie mich, mein einziger Freund, und überantworteten mich der Bosheit Anderer!« Er schwieg erschöpft, dann ging ein nervöses Zucken über sein gespenstisch bleiches Antlitz, zitternd streckte sich die abgezehrte Hand dem jungen Diplomaten entgegen. »D'Ouchy!« fuhr er mit flackerndem Blick fort, während die Ungeduld und die Bemühung, seiner lallenden Zunge Herr zu werden, ihm zarte Röte in die Wangen trieb. »Wissen Sie es schon, was man mir angethan hat? Oh, hier mein Elend, welches Sie mit Augen sehen, ist das Schlimmste nicht, was mich heimgesucht hat! Meine Ehre ist krank, d'Ouchy; mein Name gebrandmarkt! Gott im Himmel weiß, daß ich schuldlos bin! . . . D'Ouchy . . .« große Thränen rannen über die hageren Wangen des Kranken, voll flehender Angst umklammerte er die Hand des jungen Attachés, welcher auf den Stuhl neben dem Bett zusammengesunken war und bei dem Anblick seines vormaligen Chefs die Rechte in qualvollem Aufstöhnen vor das Antlitz geschlagen hatte. »Nicht ich allein bin in den Staub getreten, mein armes Kind, mein Günther, vernichtet, für sein ganzes Leben unglücklich . . . und durch mich, durch mich, d'Ouchy, der nur für sein Glück leben 234 wollte! . . . Warum nahm mich Gott nicht früher von der Welt, warum erst Schande über mein ganzes Haus bringen! . . . Jetzt läßt mich der Jammer nicht sterben, oh, und ich bin müde, so todesmüde! . . . Sie sind ein kluger Mann, Leon, Sie haben mich lieb . . . ich weiß es . . . war ja auch zu Ihnen wie ein Vater, habe es treu und ehrlich gemeint, hätte alle Kräfte auch für Ihr Glück eingesetzt, und nun . . . nun erbarmen Sie sich meines Elends . . . helfen Sie mir und meinem Kinde . . . forschen Sie nach! . . . Finden Sie den Thäter! Und geben Sie mir meinen Namen, meinen ehrlichen Namen wieder!« . . .

Wie ein Schmerzensschrei klang es von den Lippen des Greises, die Stimme erstickte, nur die Augen hafteten in thränenglänzender Qual auf dem Antlitz des Diplomaten.

Fräulein von Sacken und Hattenheim waren eingetreten. D'Ouchy erhob sich und stützte sich wie ein Schwerkranker auf die Sessellehne, er zwang sich zur Ruhe, obwohl seine Zähne wie im Schüttelfrost aufeinander schlugen. Er hielt die kalte leblose Hand des Ministers noch umschlossen, er neigte sich tief zu dem silberweißen Haupt hernieder. »Ich werde thun, was in meiner Kraft steht, Excellenz«, sagte er mit heiserer Stimme, »ich will mich aufopfern in der Pflicht, Ihnen die Ehre und die Achtung der Welt zurückzugeben, verlassen Sie sich darauf. Wenn ich aber den Thäter ermittelt habe,« er neigte sich noch tiefer und flüsterte fast 235 nur in das Ohr des Kranken, »dann versprechen Sie mir, dem Unglücklichen in Ihrem Herzen die schwere Schuld zu vergeben; vielleicht hat ihn die Vergeltung schon furchtbarer heimgesucht, als es jemals die härteste Strafe eines irdischen Gerichts vermag!«

»Gott segne Sie, d'Ouchy, ich verspreche es!« Langsam senkten sich die Lider über die starren Augen, ein tiefes Aufseufzen seliger Erleichterung hob die kranke Brust, d'Ouchy aber neigte sich, drückte schnell die Lippen auf die Hand des geächteten Mannes und schritt alsdann mit mühsam erzwungener Festigkeit durch das Zimmer der Thür zu.

Hattenheim trat ihm entgegen und bot ihm die Hand dar. Er schrak fast zurück vor den verstörten Zügen des jungen Mannes, welcher sich kurz vor ihm und Fräulein von Sacken verneigte und hinter der Thür verschwand.

»Armer d'Ouchy!« sagte die Hofdame. »Der Anblick des Kranken hat ihn unsagbar ergriffen, man hätte sich vor seinem Aussehen entsetzen können. Wie eine wandelnde Leiche wankte er an mir vorüber.«

Hattenheim atmete schwer. »Armer d'Ouchy!« wiederholte er wie in tiefen Gedanken.

Fräulein von Wetter wurde von dem Kammerdiener für die nächsten Stunden entschuldigt. Sie sei von heftigen Kopfschmerzen befallen und für kurze Zeit nach Villa Carolina zurückgefahren. 236


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