Nataly von Eschstruth
Gänseliesel
Nataly von Eschstruth

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Sechzehntes Kapitel.

»Merken Sie sich! Ein Freund bin ich! Keinem Andern trau'n!
Auf mich nur bau'n! Was auch geschah, ich bin da!«
Genée.            

Prinzessin Sylvie hielt Wort. Es wurde eine musikalische Soirée im Palais arrangirt, welche großartiger denn je zu werden schien. Die Einladungen waren wenigstens zahlreich ergangen und hatten die Damen in großer Toilette, die Herren in Gala befohlen. Man reimte sich die Veranstaltung dieses Festes mit der Ankunft des Erbprinzen Karl Theodor zusammen, welche Tags zuvor definitiv in Aussicht stand. Wie man hörte, sollte das Arrangement des Abends ein ganz eigenartiges werden, von der Prinzessin selber bestimmt. Hochdieselbe hatte nur Dilettanten aus der höchsten Aristokratie zugezogen, um durch deren musikalische Leistungen ihrem eigenen Vortrag das unvermeidliche Relief zu geben; nur die verschiedenen Zwischenpausen sollte die Hofkapelle in dem angrenzenden Wintergarten mit 78 melodiösen Potpourris, einer von Sylvie besonders bevorzugten Kompositionsgattung, ausfüllen.

Der kleine Saal neben dem Wintergarten war bestimmt, das Podium zu tragen, auf welchem Ihre Hoheit zum ersten Male vor größerem, wenn auch sehr exclusivem Kreise singen wollte.

Die Glaswand, welch den Koncertraum von dem Palmenhaus trennte, war zurückgeschoben und gewährte nun den freien Durchblick auf das üppige Grün, welches, sich zu malerischsten Gruppen türmend, den Prospekt des Saales bildete.

Gräfin Aosta hatte gemeint, das Kind müsse doch einen Namen haben, und das Schöne sei leicht mit dem Nützlichen zu verbinden; man solle doch ein Entrée fordern und den Ertrag für die verunglückten Bergleute des Stephanschachtes bestimmen!

Das hatte Sylvie nur ein mokantes Lächeln abgelockt. »Wir wollen doch dem Pavillon nicht ins Handwerk pfuschen!« sagte sie, die Achseln zuckend, »und den Siegern der Wette nicht den Triumph schmälern! Ich singe zu Ehren meiner Freunde, für die Bergleute strenge ich nicht meine Kehle, sondern meinen Geldbeutel an. Gehen Sie doch nächsten Sonntag nach der Predigt mit dem Klingelbeutel herum, liebe Aosta, und sammeln Sie für den Stephanschacht, dann kommen Sie noch vier Wochen früher in den Himmel, als wir, und der Beichtvater aus dem Pavillon macht Brüderschaft mit Ihnen!«

Susanna lachte mit.

Dann schrieb Fräulein von Dienheim an die 79 Teilnehmer des Wettrittes und bat im Namen ihrer erlauchtigsten Gebieterin um Angabe der betreffenden Lieblingslieder. Da kam mancherlei Geschmack zu Tage, welcher die Prinzessin höchlichst erstaunte. Hattenheim schrieb förmlich humoristisch an Ilse zurück, daß er sein einziges Lieblingslied – er sei in dieser Beziehung einseitig wie der alte Dessauer – »Ich hatt' einen Kameraden« doch unmöglich Ihrer Hoheit zum Vortrag zumuten könne, und darum verzichte er auf die Gnade einer eigenen Wahl, mit der Versicherung, daß ihm jegliches Lied aus dem Munde einer Prinzessin Sylvie gleich lieb und unvergeßlich sein würde!«

»Der Dicke ist ein netter Kerl!« hatte Sylvie gesagt, da Fräulein von Dienheim diesen Brief vortrug. – –

Die Gasflammen kochten leise summend an dem mächtigen Kronleuchter, welcher wie eine funkelnde Brillantkrone über dem Podium schwebte.

Lautlose Stille herrschte in dem Saale, kaum daß eine Armspange klirrte, daß der leicht geschwungene Fächer in den Händen der Herzogin Mutter in den Atlasfalten knisterte; vor dem Koncertflügel saß Gräfin Ange Lattdorf und akkompagnirte Leon d'Ouchy, Marquis de la Bruyère, welcher mit einem stürmischen Czardas die Reihe der musikalischen Vorträge eröffnete.

Auf den Sesseln direkt vor dem haute pas hatten die höchsten Herrschaften Platz genommen, Herzog Franz Eginhard zur Seite seiner Mutter; der 80 Erbprinz Karl Theodor, ein ernst dreinschauender Herr mit dunklem Vollbart und durchdringendem Blick, in der Uniform seines Garde-Dragonerregiments, zur Linken derselben neben Prinzeß Sylvie. Dann folgte Prinz Detlef, neben ihm die Oberhofceremonienmeisterin, welcher sich je nach Rang und Etiquette die Damen des Hofes anschlossen.

Die jungen Frauen und Mädchen saßen erst in den letzten Stuhlreihen hinter den Gesandtinnen, Excellenzen und höheren Chargen, während im Hintergrund, bis weit zu dem Wintergarten hinein, die alten und jungen Herren in buntem Gemisch gedrängt standen. Auf einem Seitenpolster neben dem Podium saßen isolirt die mitwirkenden Herrschaften, vornan Ilse, Josephine, Lehrbach, Hattenheim und der Sohn des Landstallmeisters, als die Sieger der Wette auf markirtem Ehrenplatz.

Baron d'Ouchy leistete Außerordentliches, und Gräfin Ange begleitete ihn meisterlich, es war ein Zauberregen von Glut und Funken, welchen die Geige des jungen Diplomaten über die lauschenden Häupter seines Auditoriums sprühte, und Josephinens Blick hing wie gebannt an diesem blassen Gesicht, dessen dämonisches Auge tiefliegender und leidenschaftlicher denn je unter den dunklen Brauen loderte.

»Sehr interessant! Sieht ganz süperbe heute Abend aus!« flüsterte die Aosta in das Ohr ihrer Nachbarin, »der Baron ist ein geborener Künstler, man muß sich unwillkürlich an Paganinis geheimnißvollen Zauber über die Weiberherzen erinnern!«

81 Herzogin Mutter gab das Zeichen zu einem lebhaften Applaus, d'Ouchys ritterliche Verneigung wußte Komtesse Ange in den Vordergrund zu stellen.

Detlef musterte sie mit zwinkernden Augen. Die kalte Schönheit glühte wie eine Rose, ihre Hand schien auf dem Arm des Diplomaten zu beben, er erhaschte den Blick, mit welchem sie zu ihm emporsah, als er sie zu ihrem Platze führte.

Dann trat Gräfin Aosta an dem Arm Lehrbachs zu dem Flügel und brillirte mit Chopin. Fraisefarbener Atlas mit Goldborten knisterte in langer Schleppe über das Podium, ein kleiner Kolibri aus Edelsteinen wiegte sich funkelnd in dunkelen Löckchen ihrer hohen Frisur; sonst war sie etwas stark gepudert. Auch sie erntete reichen Beifall, Prinz Detlef rief sogar sehr laut und vernehmlich »Bravo!« Da zuckte ihr Blick wie ein sengender Strahl zu ihm hinüber.

Nach ihr verneigte sich Herr von Brocksdorff vor den Herrschaften und sang mit vielem Herzklopfen »Schau ich mich um in diesem edlen Kreise« und ein neues Lied von Alfred Sormann: »Rosen«, welches mit besonderem Beifall aufgenommen wurde.

»Zeigen Sie mir mal den Wisch her!« rief ihm Sylvie eifrig zu, »den einen Uebergang haben Sie vor lauter Angst falsch gesungen, aber sonst haben Sie dem genialen Sormann Ehre gemacht!« Und sie durchblätterte während des nächstfolgenden Trios von Geige, Cello und Clavier das Musikstück voll lebhaften Interesses.

82 Dann erhob sich die Prinzessin, nahm den Arm ihres Bruders und betrat, auf der anderen Seite von Graf Lehrbach geleitet, das Podium. Sie war sehr unbefangen, benahm sich ganz wie sonst und lachte und sprach noch laut zu dem Publikum.

Der Kapellmeister, ein schlanker, recht distinguirt aussehender Herr, Komponist vieler bereits volkstümlich gewordener Lieder, überreichte ihr mit tiefer Verneigung das Notenblatt und nahm alsbald vor dem Instrumente Platz, um die sehr bleichen Hände spielbereit auf die Tasten zu legen.

Sylvie wandte sich nach dem Wandpolster und winkte Baron d'Ouchy mit dem weißen Blatte zu: »Ihr Tribut wird zuerst abgezahlt, d'Ouchy, weil Sie entschieden den besten Geschmack von der ganzen Cohorte da haben!«

Der Attaché verneigte sich geschmeichelt, die Umsitzenden kicherten, und Ilse versetzte ihrem Nachbar Lehrbach einen ungenirten Stoß mit dem Ellenbogen. »Spiritus, merkst Du was?« Dann gab Ihre Hoheit dem Kapellmeister ein Zeichen und sang.

»Meine Ruh' ist hin, mein Herz ist schwer«, das Spinnlied Gretchens, hatte sich Baron d'Ouchy erbeten.

Hinreißend schön sang es die Prinzessin; man hätte es nie für möglich gehalten, daß diese harte, burschikose Stimme so zauberisch in Weichheit schmelzen, daß ein so tiefes, von Glück und Leidenschaft durchzittertes Empfinden sie beseelen könne.

83 Und wundersam, als ob sich mit jedem Ton und Klang ein fremder Bann von dem ganzen Wesen der Sängerin löste, so wandelte sich auch die schroffe Eckigkeit ihrer Erscheinung in einen Schimmer von Anmut, welche einen außerordentlichen Eindruck auf die Zuhörer ausübte.

Der Lichtglanz umfloß ihre hohe Gestalt und weckte gelbe Funken auf den Goldbändern, welche sich, von Brillantagraffen gehalten, nach griechischer Art durch ihr Haar schlangen, und eine ebenso kostbare wie geschmackvolle Toilette aus weißem Sammet mit goldgestickten Amarillisblüten ließ ihre hohe Trägerin fast schön erscheinen.

Graf Lehrbach hatte Sylvie schon öfters singen hören und war jedesmal frappirt gewesen von der liebreizenden Wandlung, welche die Zauberin Musik an ihr vollbrachte; aber so anmutig wie heute hatte er die Amazone doch noch nicht zuvor gesehen.

Er sah sie nachdenklich an, er bewunderte sie, aber dennoch war sein Blick, der ihre glänzende Gestalt überflog, ein ungemein kühler.

»Recht raffinirt!« dachte er, »der Erbprinz Karl Theodor sitzt ihr gegenüber und winkt mit einem Krönchen, das merkt man.« Dann huschte sein Blick zu Josephine, welche auf seiner anderen Seite neben Hattenheim saß; ihr weißer Arm fiel ihm auf, wohl des Kontrastes mit der Prinzessin wegen, welche sich heute noch recht kräftig gepudert hatte, aber die »Jugend« leuchtete dennoch eigensinnig durch das dickste eau de lis.

84 Es lag ein reizender Ausdruck in dem Gesichtchen des ganz entzückt lauschenden Gänseliesels, auch Prinz Detlef schaute öfters zu ihr hinüber, und Hattenheim saß so stolz und behaglich neben ihr und sah die Leute so herausfordernd an, als wolle er sagen: »Mein ist sie! und der Graf Günther von Lehrbach war ein Narr, daß er sie sich wegschnappen ließ!«

Dieser warf trotzig den Kopf zurück. »Noch ist nicht aller Tage Abend!« dachte er und hatte absolut kein Interesse dafür, daß Prinzessin Sylvie ihr Lied beendet, daß eine feierlich respektvolle Ruhe herrschte und nur Erbprinz Karl Theodor sich erhob, an das Podium trat und der erlauchten Sängerin ausdrucksvoll die Hand küßte, er schrak erst aus seinen Gedanken empor, als die Stimme Ihrer Hoheit laut und rauh wie immer seinen Namen rief: »Lehrbach! . . Jetzt kommt die Programm-Nummer, welche Sie in bescheidenster Weise ausgesucht haben. ›Der moderne Graf mit dem altmodischen Geschmack‹ wollen wir sie nennen!« Und Sylvie wechselte mit Ilse einen schnellen Blick und entfaltete ihr Notenblatt.

Günther hatte sich erhoben, um sich lächelnd, stumm zu verneigen, dann wandte er sich hastig zu Josephine: »Mag das Lied auch altmodisch sein, ich liebe es unendlich und weiß, daß es für zwei Menschen zum Schicksal geworden ist!«

Ihr Auge schlug fragend zu ihm auf. In demselben Augenblick klang es neckisch, silberhell und 85 unendlich ansprechend durch die Einfachheit des Vortrages von Sylviens Lippen: »Sah ein Knab' ein Röslein stehn, Röslein auf der Haiden!«

Josephine zuckte zusammen, das Blut wich aus ihren Wangen, regungslos starrte sie in die dunkeln Augen, welche sich in schnellem, brennendem Blick in die ihren tauchten. »Sah ein Knab' ein Röslein stehn!« Ja, da lag wieder die sonnige Groß-Stauffener Wiese vor ihr! Da ruhte sie wieder mit wohligem Behagen in dem Heuduft und sah das vierblätterige Kleeblatt in dem vergilbten Gedichtbüchlein liegen und hörte leisen Hufschlag in dem tiefen Sand des Fahrweges – »lief er schnell es nah zu sehn, sah's mit tausend Freuden!« – Ja! da war der wilde Knab' mit den dunkeln Zauberaugen gekommen, tausend wonnige Freuden mit ihm, tausend glückselige Worte, lauter Sonnenschein ohne Wolken und Schatten, ein kurzes, ein namenloses Glück erster Liebe! Und dann? – Dann brach der wilde Knab' das Haideröslein und trat es unter die Füße! In Dunst und Nebel versinkt das lachende Sommerglück der Stauffener Einsamkeit, ein schwüler, blendender Ballsaal steigt vor ihrem geistigen Auge empor, voll schriller Geigenklänge und bitterer Todesqual – »half ihm doch kein Weh und Ach! mußt' es eben leiden« – ja, das war das Ende vom Lied, das war das Schicksal des morgenschönen Rösleins, grausam zerpflückt und bei Seite geworfen, sterbend unter den Füßen des wilden Knaben, der auf leuchtender 86 Siegesbahn dahin stürmt, einem schwindelnd hohen Ziel entgegen!

»Röslein – Röslein – Röslein rot, Röslein auf der Haiden!« . . . .

O wie das ins Herz schnitt! . . . .

Josephine blickte nicht empor, ihre Hände lagen starr und regungslos in dem Schooß, der Lichtschein fiel über sie hin und glitzerte in den weißen Schmelzperlen, mit welchen ihr duftiges Spitzenkleid besäet war. Da sah es aus, als sei ein Thränenregen über die liebliche Mädchenblüte getaut.

Günther wurde von Ilse hastig flüsternd mit Beschlag belegt, Hattenheim aber blickte mit forschendem, fast durchdringendem Blick auf seine bleiche Nachbarin nieder.

»Das war ein Klang ans alter Zeit!« sagte er leise. »Hatten Sie ihn vergessen, Fräulein Josephine?«

Sie blickte ihn an, es war ein herzzerreißendes Lächeln, welches um ihre Lippen spielte. »Vergessen?« – und sie schüttelte das Köpfchen, als wollte sie sagen: »Wie schlecht kennst Du doch ein Mädchenherz!« Dann atmete sie auf. »Es liegt so viel zwischen der Zeit der Haiderosen und dem Jetzt, ein stürmischer Herbst, ein grausamer Winter voll Kälte, Eis, Todesweh – und doch erinnert man sich so gern an Vergangenes und hat die Erinnerung doppelt lieb, wenn sie das Einzige ist, was uns geblieben.«

Hattenheim nickte mit trübem Lächeln vor sich hin, dann sah er die junge Dame plötzlich schnell 87 an und sagte hastig: »Ich möchte nachher gern einmal recht offen mit Ihnen sprechen, erlauben Sie es mir?«

Fräulein von Wetter neigte nur bejahend das Haupt, Prinzeß Sylvie sang ein drittes Lied.

Die Kapelle im Wintergarten füllte die erste größere Pause durch »Die Reise um die Welt« und »Tannhäuserphantasien« aus. Nie hatten die schlanken Palmen ein reizvolleres Bild beschattet, als das des elegantes Getriebes, welches an diesem Abend in buntem Wechsel an ihnen vorüber wogte.

Am Arm ihrer ritterlichen Kavaliere promenirten die älteren und jüngeren Damen inmitten der blühenden Pracht dieses gigantischen Treibhauses; hier standen in kleiner Gruppe ein paar Eleven der Diplomatie in eifrigem Gespräch, die Orden prunkten auf der Brust, die Köpfe neigten, hoben und drehten sich in derselben auffallend gemessenen, fast möchte man sagen, vorsichtigen Weise, welche auch die Gesten zeigten, die hier und da den Worten des Sprechers erst die eigentliche Bedeutung gaben. Etwas zur Seite kokettirte eine junge Hauptmannsfrau, von welcher Graf Lehrbach behauptete, man könne sechs Tassen Thee auf ihrer Unterlippe präsentiren, mit dem Vorgesetzten ihres Mannes, einem sehr eitlen Brigadier, dessen größter Fehler es war, jede Schmeichelei aus schönem Munde dem betreffenden Gatten in wohlwollendster Weise in die Conduite zu schreiben, und wieder etwas seitwärts hatten sich zwei alte Generalinnen eine außerordentliche 88 Neuigkeit anzuvertrauen. »Skandal! Wirklich Skandal!« leuchteten die funkelnden Aeuglein im fetten Gesicht, und den Händen, welche so harmlos den Fächer schwangen, sah es kein Mensch an, daß sie erbarmungslos den Stab über einen lieben Nächsten brachen.

Prinz Detlef plauderte bereits längere Zeit mit einer jungen Dame, deren silberdurchwirkte Schleppe in Kollision mit seinen eiligen Füßen gekommen war. »Sie sehen sich mal wieder mit so unheimlich scharfen Augen um, meine Gnädigste!« rief er, »als inspicirten Sie das Schlachtfeld eines neuen Romans! Stimmt's?« Die Blondine nickte lachend: »Es giebt viele Opfer, Hoheit!«

»Famos! Donnerwetter noch Eins – komme ich auch darin vor?«

»Wie dürfte ich das riskiren, Hoheit!«

»Machen Sie keinen Summs! Riskiren Sie feste darauf los! Schildern Sie mich mal so ganz, wie ich bin! Ich versichere Sie, mit solch einem netten Kerl machen Sie Furore!«

Tu l'as voulu, George Dandain!

Gegenüber hatten sich ein paar Referendare und Lieutenants einen versteckten Laubenplatz erobert, um der Genüsse, welche weiß gepuderte Lakaien ununterbrochen servirten, froh zu werden, und an ihnen vorüber, schnell und duftig wie glitzernde Feengestalten, schwebten zwei junge Damen, um die Köpfchen in glückseligstem, geheimnißvollstem Kichern zusammenzustecken. Wenige Minuten später hatte 89 der Wintergarten sich kaleidoskopartig geschüttelt und zeigte auf denselben Stellen völlig veränderte Bilder. Das lachte, schwatzte und eilte auf zierlichen Atlasschuhchen ruhelos dahin!

Auf zwei Sesseln, welche vis-à-vis dem plätschernden Springbrunnen gegen die blühende Coulisse einer Orangen- und Mandelbaumwand zurückgeschoben waren, saßen Josephine und Hattenheim in ernstem Gespräch. Das Antlitz der jungen Dame war geneigt, so tief, daß die zarten Gänseblümchen, welche in flachem Kranz in den blonden Haarwellen lagen, ihre einzelnen roten Knospen bis fast in die Stirnlöckchen herab zittern ließen. Sie bewegte den Fächer mechanisch in den Händen und atmete schwer, jedoch der Husarenoffizier an ihrer Seite, mit dem roten, ehrlichen Gesicht und den gutmütigen Augen, sprach eifrig und mit gedämpfter Stimme auf sie ein.

»Sie wissen, daß Lehrbach mich seinen Freund nennt, und daß ich ihm mit dem Recht zu dieser Vertraulichkeit auch gleicherzeit das heilige Gelöbniß gegeben habe, ihm in jeder Lage des Lebens ein Freund zu sein! Ich habe eine hohe Meinung von der echten Freundschaft und habe sie zu dem Inbegriff meines Lebens gemacht, woran sollte ich sonst mein Herz hängen? Der Liebe bin ich stets ein Stiefkind gewesen!« Er schüttelte wehmütig lächelnd den Kopf, als Josephine mit schneller Bewegung das Haupt hob, um ihn hastig zu unterbrechen, dann fuhr er mit erhobener Stimme fort:

»Was ich aber einmal bin, das bin ich ganz, 90 und Keiner, der auf mich vertraut, soll jemals von mir verlassen sein, dazu ist der Reimar Hattenheim eine zu gewissenhafte Haut! Daß es nun meine heilige Pflicht ist, über Günthers Glück zu wachen, das sehen Sie doch wohl ein, Fräulein Josephine, und wenn ich Sie bitte, mich dabei zu unterstützen, so werden Sie es mir nicht abschlagen?«

Sie sah ihn mit feuchtem Blick an. »Bedarf das noch der Frage?« Dann senkte sie abermals die dunkeln Wimpern. »Warum müssen Sie das Glück Ihres Freundes schützen, ist es gefährdet?« fuhr sie leise fort.

Hattenheim sah nachdenklich zu Boden. »Erinnern Sie sich vielleicht noch eines kurzen Gespräches, welches wir im Lehrbacher Park führten? Es hatte das ›Glückskind‹ Lehrbach zum Thema. Ich sprach Ihnen schon damals die Befürchtung aus, daß der dauernde und allzugrelle Sonnenschein das Herz meines Freundes austrocknen würde zu einer Wüste von Ueberdruß, Seichtheit und Haltlosigkeit. Günther ist im Glücke groß geworden, er ist ein herzensguter Mensch mit vielen kleinen Fehlern, welche ihm über den Kopf zu wachsen drohen, er ist ein edles Gemüt, aber er ist kein Charakter! Die Glut eines unbewölkten Himmels läßt auch die Menschenpflanze üppig und farbig emporschießen, aber nur der Thränenregen und der Sturm des Schicksals läßt sie stark und fest werden, nötigt sie, ihre Wurzeln tiefer zu schlagen und sich aus eigener Kraft über dem Staube zu behaupten. 91 Günther aber ist ein Schilfrohr, welches jeder Windzug der Laune gefällig hin und her wirft, es muß ihn der Ernst des Lebens mit einem Ungewitter von Kummer und Herzeleid schütteln, um ihn aus seiner glücklichen Apathie emporzureißen! Wie soll ein Boden gute Früchte tragen, wenn ihm Tau und Regen fehlt? Erst wenn dem Glückskind das Herz wehe thut und blutet, merkt es, daß es eines besitzt, erst wenn es weinen gelernt hat, wird es einen klaren Blick bekommen, es gehören bitter salzige Tropfen dazu, um die rosigen Nebel, welche die Menschen so kurzsichtig machen, aus den Augen zu waschen! Und nun verzeihen Sie mir eine Frage, welche vielleicht sehr indiscret klingt, aber von Herzen treu und redlich gemeint ist! Ihre Güte und Liebenswürdigkeit und all die tausend Beweise Ihres Vertrauens, welche mir auch Ihnen gegenüber die Stellung eines Freundes eingeräumt haben, geben mir eine gewisse Berechtigung dazu!«

Reimar strich tief aufatmend die blonden Haare aus seiner Stirn zurück, es kostete ihn allem Anscheine nach viele Ueberwindung zu reden, er war ja für gewöhnlich so ungewandt mit der Zunge, und nun wagte er sich plötzlich an diplomatische Kunststücke!

Dunkle Glut brannte auf seinem Antlitz. Josephine aber blickte ihm voll in das Auge, ihre Stimme bebte vor Milde und Rührung. »Das weiß Gott, daß Sie mir ein Freund sind, Herr von Hattenheim! Wer wohl mehr denn Sie?! 92 Sprechen Sie ganz aufrichtig zu mir, ich will gern einer jeden Frage Antwort geben!« Er neigte sich tiefer.

»Graf Günther hat Ihnen in Groß-Stauffen sehr gehuldigt, er war Ihnen nicht gleichgültig?«

»Nein!« klang es fest und ruhig von ihren Lippen.

»Und er ist es auch jetzt noch nicht?«

Ihre Hände verschlangen sich krampfhaft, farblos wie die weißen Spitzen ihres Kleides sah sie zu ihm auf.

»Auch jetzt noch nicht. Mein Herz ist wunderlich, es kann selbst im Winter nicht vergessen, daß es einmal Sommer gewesen!«

Er nickte leise, unendlich wehmütig vor sich hin.

»Die Zeit rollt schnell, bald wird die Erde wieder blühende Rosen tragen und einen neuen Sommer grüßen, auch Sie müssen nur durch Eis und Schnee dem kommenden Lenz entgegen gehn, Fräulein Josephine! Graf Günther hatte Sie bei Ihrem ersten Wiedersehn gekränkt, der Wind der Eitelkeit, des Hochmuts wehte das schwanke Rohr haltlos von Ihnen zurück. Zürnen Sie ihm noch über diese kleine Schwäche, welche ja leider recht häßlich, aber doch recht menschlich ist?«

Sie schüttelte lächelnd das Köpfchen. »Zürnen? Nein! Nur unvernünftige Kinder klagen, wenn sie sich am Dorn der Rose stechen, ich bin merkwürdig alt und verständig hier geworden; und da ich der herben Meisterin Erfahrung in der Schule des 93 Lebens mein schmerzliches Lehrgeld bezahlt habe, gab sie mir zum Trost die Resignation ins Herz, welche ein Schicksal geduldig und ohne Groll erträgt!«

Wieder legte er die Hand momentan über die Augen, die Musikklänge brausten wild auf, und die Orangenblüten dufteten betäubend stark; dann sah er sie mit klaren Augen an und fuhr fort:

»Mein Freund versucht sein Unrecht auf alle Weise an Ihnen gut zu machen, er nähert sich Ihnen ostensibel, er sagt Ihnen wieder die alten, schönen Worte aus Groß-Stauffen?«

Liebliche Röte färbte ihr Antlitz, aber sie begegnete dennoch seinem Blick.

»Er thut's, wenn auch nicht so gradaus wie früher!«

»Und Sie?«

Ein fast bitteres Lächeln zuckte um ihre Lippen. »Ich? Ich glaube den schönen Worten nicht mehr.«

»Dann thun Sie meinem Freunde bitter Unrecht, Fräulein Josephine!« Hattenheim richtete sich energisch empor, als läge plötzlich eine gewaltsame Festigkeit in seinem Wesen, etwa wie ein banges Kind, welches, seine eigene Schwäche fürchtend, die Augen zudrückt und blindlings auf das Ziel losstürmt.

»Unrecht?« Josephine blickte ihn überrascht an. »Verlangen Sie, daß ich nach den Erfahrungen, die ich an Graf Lehrbach gemacht habe, noch einem solchen leeren Klang vertrauen soll? Wohin verwehten die Worte des Sommers? Wohin beugt der 94 Wind das schwanke Rohr morgen am Tag?« Und das junge Mädchen schüttelte gequält das Haupt. »Das ist vorbei, Herr von Hattenheim.«

»Die Zeit und die Menschen ändern sich! Ich komme jetzt auf mein Thema von vorhin zurück. Kann Lehrbach jemals zu einem Mann, zu einem trefflichen Charakter erzogen werden, so ist es einzig durch die Macht des Kummers. Und dieser Kummer und dies segensreiche Herzeleid haben bereits ganz leise und heimlich ihre Hand auf seine Schulter gelegt! Graf Günther liebt Sie, Fräulein Josephine, und diesmal nicht nur mit Worten!«

Ein leiser, zitternder Laut rang sich von ihren Lippen, dann starrte sie regungslos in sein Auge, die Hände im Schoß gefaltet, wie im Traum. »Er liebt mich . . . .«

»Lange hat der Sieg geschwankt,« fuhr Reimar hastig fort und sah auf den goldglitzernden Sand zu seinen Füßen nieder, »erst war es Eitelkeit, welche ihren Triumph über die Zierde der Salons feiern wollte; dann war es Eigensinn, welcher aus den Privilegien siegreicher Schönheit einen Sieg machen will, Eifersucht auf mich, der es wagte, seinen Weg zu kreuzen, und jetzt endlich ist es die heiße, leidenschaftliche Liebe geworden, welche zwar noch trotzig gegen sich selber kämpft, aber dennoch die einzige ist, welche jemals einen Sieg in seinem Herzen gefeiert. Das Feuer, mit welchem er spielen wollte, hat ihn selber gefaßt und lodert nun wie ein klärendes Opferfeuer durch seine Seele. Diese 95 Flamme nun zu schützen und sie so zu entfachen, daß sie Heil und Segen bringt, das ist unser Beider heilige Pflicht, Fräulein Josephine, denn läutert diese Liebe nicht sein Herz, so wird Graf Günther nie und nimmermehr ein Anderer. Noch aber liebt er Sie nicht so, wie er Sie lieben soll, wie es eine Bedingung für Ihr beiderseitiges Glück ist, denn noch ist es Leidenschaft, die schnell und hitzig aufglüht, noch ist es immer ein Kampf mit Trotz und Eitelkeit! Das Herzeleid hat ihn erst mit sanfter Hand berührt, es soll ihn aber in den Sturm führen, der das haltlose Pflänzlein entweder knickt, oder als markigen Stamm bewährt, noch darf ihm kein Sieg werden, Fräulein Josephine, noch nicht, und wenn Sie Graf Günther wirklich und wahrhaft lieben, so verbergen Sie es vor ihm, zu Ihrem und zu seinem Heil! Sie haben sein Herz in der Hand, läutern Sie es, wandeln Sie es zu echtem Gold! Was auch seine Augen und Worte Ihnen sagen mögen, lassen Sie sich nicht von ihnen erweichen. Bedenken Sie, daß Ihre Kälte und Gleichgültigkeit die gewaltigste Waffe ist, welche Sie besitzen! Günther ist eifersüchtig auf mich, nähren Sie diese Einbildung, thun Sie Alles, um ihn in dem Wahn zu bestärken, daß Sie für ihn verloren sind, und seien Sie versichert, daß dies der einzige Weg ist, unsern Freund so zu gestalten, wie wir ihn uns beide wünschen. Ich werde über ihn wachen, ich werde Ihnen mit Rat und That zur Seite stehen und Ihnen sagen, wenn das Maß voll ist. Bewahren Sie Eis und Schnee noch kurze 96 Zeit, und Sie werden sich einen Sommer voll Glück und Segen damit verdienen!«

Josephine wußte kaum den Inhalt seiner Worte zu fassen, es brauste und wirbelte durch ihren Sinn wie die entfesselten Frühlingsboten, die mit silbernen Schwingen über Wald und Feld stürmen, die kahlen Wipfel schütteln und den Schnee von der keimenden Saat fegen, um der weiten Gotteswelt in donnerndem Jubel zu versichern, daß der Mai gekommen, daß der Winter vorbei sei!

Sie hatte die Hände unwillkürlich gegen die Schläfe gepreßt, schüttelte leise das Köpfchen und wiederholte in Gedanken – »er liebt mich!« Die Fontaine sprühte ein paar helle Wassertropfen über den Bassinrand, und auf dem Sandweg klang das weiche Rauschen einer Frauenschleppe, Ange und Baron d'Ouchy kamen an ihnen vorüber. Da schrak Josephine empor. »Ich danke Ihnen für Ihre treuen Worte, Herr von Hattenheim!« sagte sie schnell und aufgeregt, »ich werde sie beherzigen und befolgen. Lassen Sie uns bei Gelegenheit noch einmal auf dieses Thema zurückkommen!«

Dann wandte sie sich zu Komtesse Lattdorf, welche neben sie getreten war und ihr mit einem seltsam forschenden Ausdruck in das Auge sah.

»Wir suchten Euch!« lächelte sie, »das Koncert beginnt von Neuem, und zwar so glanzvoll, daß wir es absolut nicht versäumen dürfen; Herr von Reuenstein spielt Zither!«

97 »Allright! Und Frau von Tessin singt Schnadahüpfle dazu!« klang Graf Lehrbachs Stimme hinter ihr. Er ging mit Prinzessin Sylvie im Sturmschritt dem Saale zu, wandte noch einmal das Haupt und nickte übermütig zurück. 98


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