Nataly von Eschstruth
Gänseliesel
Nataly von Eschstruth

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Sechstes Kapitel.

»Man begeht öfters aus Schwachheit als
    aus Vorsatz einen Verrat.«
La Rochefoucauld.            
»Er trat das arme Veilchen« –
Goethe.            

Die Räumlichkeiten des Offiziercasinos zu H. waren berühmt durch ihre Eleganz. Die Decke des in altdeutschem Stil erbauten Speisesaals stützte sich auf schlanke Säulen, an den Gewölbgurten und Zwickeln durch broncirte, reich komponirte und beziehungsvolle Stuckaturen geziert. Durch breite, geschnitzte Leisten in gleichmäßige Felder eingeteilt, an den wenigen freien Streifen von Gobelins überhangen, trugen die Wände als köstlichsten Schmuck die Fresken eines wohlbekannten Meisters, welcher vor langer Zeit beim H.'er Husarenregiment gestanden und aus alter Anhänglichkeit dies Denkmal erbaut hatte. Symbolische Gestalten, Ruhm und Lust des Krieges, Verkörperungen heldenhafter Herrschertugenden prangten auf goldenem Hintergrunde, umgeben von ornamentalen Malereien in lichten und schattirten blaugrünen Farbentönen. 139 Unterhalb dieser Gemälde liefen broncirte Lorbeergewinde, von barock geformten Schilden gehalten, um welche sich strahlenartig ein Kranz der erlesensten und seltensten Waffen reihte. Die Nordwand des hallenartigen Saales nahm das meisterlich gearbeitete Buffet ein, gleißend unter der Pracht der silbernen und goldenen Pokale, Teller und Kannen, welche, mit dem betreffenden Wappen und Namenszuge geschmückt, die Abschiedsgeschenke scheidender Kameraden repräsentirten. Inmitten prangte das landbekannte Souvenir eines Premierlieutenants, welcher das Gold in unerschöpflichen Bergwerken grub, und es darum mit verschwenderischen Händen auch über die Schuldscheine seiner Kameraden streute. – Es war ein gewaltiger Ständer von reich marquetirtem Ebenholz, welcher auf dem Mittelaufsatz eine künstlerisch gearbeitete Goldkanne mit dem Reliefbild des Landesfürsten, darum her aber fünfundzwanzig gleiche Trinkbecher mit den eingravirten Daten und Namen der Gedenk- und Ehrentage des Regiments trug.

Der Ausstattung des Büffets entsprach die übrige Einrichtung, die hochgeschnitzten Tafelstühle, die antike, unendlich wertvolle Uhr, und die den Teppich ersetzenden sibirischen Wolfsfelle. Zu beiden Seiten schlossen sich die Rauch- und Spielsalons dem Eßsaale an, in behaglichster Eleganz, mit weichen Sammetpolstern, schleppenden Portièren, Schaukelstühlen und knisterndem Kaminfeuer den jungen Offizieren eine eigene Häuslichkeit ersetzend. 140 In diesen Räumen wurden die großen Feste abgehalten, bei welchen das reiche Regiment die Aristokratie der Stadt und des Landes, ja selbst die höchsten Herrschaften bei sich sah, um mit unübertrefflicher Opulenz den Wirt zu spielen.

Der Novembersturm beugte die kahlen Baumwipfel des herzoglichen Parkes und trieb die ersten Schneesternchen gegen die hohen Spiegelscheiben des Casinos; eine feine Eiskruste knirschte unter der Sohle, und mit leise raschelndem Laut wirbelten die steifgefrorenen Kastanien- und Ahornblätter über Pflaster und Promenadenweg, um sich an den Beeteinfassungen zu Füßen der schwarz gefrorenen Astern- und Georginenbüsche wie traurige, kleine Hügel zu stauen. Kalt und frostig ragten die weißen Steinbilder aus den Bosquets, und droben über der grünlich schillernden Kuppel des Palais teilten dunkle Rabenflügel die Schneeluft; der Winter hatte über Nacht seinen Einzug gehalten.

Auf der breiten Steintreppe des Offizierkasinos klirrten ein paar Sporen, rasselte ein Säbel unter den eiligen Schritten seines Herrn. Den Paletotkragen unter dem Kinn geschlossen, beide Hände in den Taschen, trat ein Premierlieutenant hastig über die Schwelle, schritt quer durch den teppichbelegten Korridor nach dem kleinen Büffetzimmer und trat, ohne abzulegen, ein.

Obwohl es noch in den Mittagsstunden war, brannte doch schon die Gaskrone in dem dämmerigen Zimmer und warf ihr gedämpftes Licht auf das 141 frostgerötete Antlitz des Eintretenden. Starke, streng geschnittene Züge wurden beleuchtet, von kurzem, wohlgepflegtem Vollbart umrahmt und markirt durch lebhafte, kluge Augensterne, welche tief unter schwarzgewölbten Brauen lagen.

»Ha famos, Clodwig! Edler Freiherr von und zu! Du kehrst zur rechten Stunde als Strohmann bei uns ein!« schallte es ihm im lärmenden Durcheinander von einem kleinen Nebentisch, an welchem ein Civilist und zwei Husaren Whist spielten, entgegen. »Schnell mal 'rein in den Norddeutschen Bund und mitgespielt!« Und die weißen, ringgeschmückten Hände boten sich ihm dar.

»Heute nicht, Kinder; habe auf Wort keine Zeit!« rief der also begrüßte Regimentsadjutant und schüttelte mit suchendem Umblick den wohlfrisirten Kopf, »suche Lehrbach bereits seit einer halben Stunde, erst im Reithaus, wo er eigentlich noch sein sollte, dann in seiner Wohnung, wo er allerdings nur hie und da an Buß- und Bettagen mal zu finden ist, na, und schließlich hier; frühstückt er vielleicht? Schnell mal 'ran mit ihm, gibt ja eine Neuigkeit, Jungens!«

»Neuigkeit? Alle Donnerwetter! Lehrbach! Fortunatus!« Und wie elektrisirt sprang das Kleeblatt empor, um im Verein mit etlichen anderen, am Büffet verhandelnden Herren einen farbigen Knäuel um den Ankömmling zu bilden. »Natürlich ist er hier, frühstückt mit einem Gast, einem D.'er Ulanen drüben in der Messe! Da ist ja sein besseres 142 Ich, der Weg zu seinem Herzen! Heda, Hattenheim, wo hältst Du den Herrlichsten von Allen versteckt?«

Zwischen den dunkelgrünen Portièrenfalten tauchte Reimars robuste Gestalt auf, er stand mit seinem gutmütigen Lächeln da, eine Cigarrette zwischen den Zähnen, und wies mit lakonischem »Fasan mit Sauerkraut!« mit dem Daumen rückwärts über die Schulter.

»Hat Besuch, nicht wahr?« fragte der Adjutant, den Paletot aufreißend und abwerfend; »en passant bis zum Schnellzug? Na, das ist mir ganz Wurst und für den Herrn vielleicht ein gütiges Schicksal, mit einem goldenen Hals aus der Familie Grand Crémant Impérial gebürtig, Bekanntschaft zu machen. En avant messieurs, bilden Sie meiner Mitteilung die angemessene Staffage!« Und im Sturmschritt, lachend und neugierig debattirend, durchmaßen die Herren die beiden angrenzenden Zimmer und traten in die Messe.

Graf Lehrbach saß an der geschmackvoll dekorirten Tafel, an deren unterem Ende ein Déjeuner für ihn und seinen Gast servirt war. Drei andere Kameraden, welche ebenfalls in freundschaftlichen Beziehungen zu dem Ulan standen, hatten sich mittelst einer Flasche Portwein dem Frühstück angeschlossen.

Gleich dem Herbststurm, welcher ungeduldig an den Fenstern rüttelte, wirbelte die heitere Schaar der jungen Offiziere, vom Freiherrn Clodwig geführt, in die ruhige Unterhaltung des kleinen Kreises, 143 um mit einem Schlage das Bild an dem Frühstückstisch völlig zu verändern.

Laute Reden und Gegenreden flogen, Lehrbach hatte sich momentan erhoben und stützte die Hand, welche noch die feine Damastserviette hielt, auf die geschnitzte Lehne seines Stuhles.

»Ein Telegramm, Clodwig?« rief er mit leichtem Befremden; »doch kein Unglück bei den Jagden?«

»I, wo wird denn Einer vergessen, daß Selbstmord tödtlich ist!« lachte der Adjutant, und ein ganz junger, hellblonder Referendar stellte sich neugierig auf die Fußspitzen und versuchte, über des Sprechers Schulter hinweg die Adresse des Telegrammes zu buchstabiren. Clodwig aber schob schnell ein Zeitungsblatt davor. »Eins nach dem anderen!« und legte dann gerührt die Hand auf Günthers Schulter. »Lehrbach, großer, unsterblicher Mann, Deine tollen Streiche werden Dich noch berühmt machen, wie weiland den großen Sportshelden Münchhausen, da er's mit der Windmühle aufnahm; das erste Kapitel steht bereits fett gedruckt hier in den Sportsblättern, Hut ab davor!«

Und in humorvoller Feierlichkeit hob er die Zeitung mit dem rot markirten Artikel gegen die Versammelten.

»Herzeigen! herzeigen! Clodwig, schon' die Balken!!« jubelte es im Kreise, und Aller Hände hoben sich stürmisch nach dem Blatt. »Vorlesen! Hört! hört!« Schon aber hatte es Hattenheim mit hastigem Griff an sich gerissen, warf einen schnellen 144 Blick darauf und reichte es dann mit strahlendem Lächeln dem Freunde entgegen. »Weiß Gott, Dein Distanceritt, Günther!«

Wieder ein allgemeines, jubelndes Durcheinander, während dessen der junge Graf den Artikel überflog; das Blatt vibrirte zwischen seinen schlanken Fingern, leichte Röte stieg ihm in die Schläfen, und seine Lippen öffneten sich tief atmend, als gälte es einen köstlichen Trunk zu schlürfen.

»Von welchem Ritt sprechen die Herren?« wandte sich der Ulan an Clodwig, und dieser lächelte sein verbindlichstes Lächeln und ließ sich dem Frager gegenüber auf einen Stuhl nieder.

»Hat Ihnen der Graf noch nicht davon gesprochen? Ich sage es ja! Bereits in Druckerschwärze getaucht, und dennoch bescheiden wie ein Veilchen das im Verborgenen blüht! Famose Geschichte mal wieder, so echt Lehrbach'sch, seit zehn Tagen der mündliche Leitartikel von Residenz und Umgegend. Kennen Sie vielleicht par renommée das kleine Jagdschloß ›Einsiedelei‹ in der Gegend, fünfviertel Stunden von hier entfernt? Lehrbach machte mit einem jungen Gutsbesitzer der Nachbarschaft, Herrn von Dähnwitz, die Wette, diesen Weg in der unglaublichen Zeit von zehn Minuten – sage zehn Minuten, verehrtester Herr Kam'rad – zu reiten. Die Sache wird durchgeschlagen, und unser Wagehals reitet los. Zwischen hier und dem Dorfe Kentlin jedoch kreuzt die Eisenbahn die Chaussee. Lehrbach jagt an, sieht beide Querbäume geschlossen und den Zug bereits 145 in der Entfernung von knapp hundert Metern heranbrausen. Wartete er den endlosen Güterzug ab, war seine Wette rettungslos verloren. Also, die Sporen gegeben, in einem Sprung über den ersten Schlagbaum, funkensprühend über die Schienen, den zweiten Sprung über die zweite Barrière, und wie der wilde Jäger auf feurigem Rosse saust er an dem entsetzten Bahnwärter vorüber, um in thatsächlich zehn Minuten sein Ziel zu erreichen! Wie gefällt Ihnen unser Tollkopf, Herr Kamerad? Ich sagte nur, der Mann muß unglaublichen Hunger gehabt haben, denn, denken Sie sich, er hatte um nichts Höheres gewettet, als ein gutes Frühstück!«

»A la bonne heure!« nickte der Ulan, mit gerechtem Stolz Lehrbach auf den Rücken klopfend, »das hast Du brav gemacht, mein Junge, aber ein Sakramentskerl bist und bleibst Du doch, und wenn ich Dein Vater wäre, dann würde ich mal in Civil mit Dir sprechen!«

»Aber weiter, meine Herren, weiter! Das dicke Ende kommt ja noch!« rief Clodwig mit erhobenem Organ durch das Stimmengewirr. »Bitte um silentium für die Depesche!«

»Aha, richtig, die Depesche! Losschießen, kleiner Majoratsherr, wir fiebern!«

»Hier, Lehrbach, lesen Sie selber.« Der Adjutant reichte dem jungen Offizier das Telegramm und wandte sich an die umstehenden Herren. »Die Depesche war an mich adressirt, messieurs, und ist mir ein Beweis gewesen, mit was für einem 146 Glückspilz wir es hier zu thun haben! Sich auf den besagten Distanceritt-Artikel in den Sportsblättern beziehend, bittet mich ein Mitglied des Berliner Rennklubs per Draht um Auskunft über Roß und Reiter, um Namen und eventuelle Verkaufsabsichten des Letzteren, und selbstverständlich das pédigree und den Preis des braven Renners – na, Güntherchen, was sagen wir denn nun?« Und Clodwig wandte sich, seine Mitteilung unterbrechend, nach dem Grafen, welcher soeben mit hochrotem Kopf die Depesche sinken ließ, stemmte die Arme in die Seiten und schnalzte mit der Zunge.

In Lehrbachs Augen flimmerte es, seine Oberlippe zuckte nervös, aber die Stimme klang ebenso wie sonst, und die leichte Handbewegung, welche die Herren ersuchte, Platz zu nehmen, hatte beinahe etwas Nachlässiges.

»Was wir nun sagen, Barönchen? Das ist mir vorläufig noch unklar; doch hoffe ich auf den guten Rat meiner Freunde hier und bitte mal vor allen Dingen, mit mir auf das erste Debüt meines ›Merkurs‹ anzustoßen!« Und der junge Offizier schob die Depesche in die Brusttasche seiner Uniform und wandte sich mit schnellem Schritt zu der servirenden Ordonnanz, um einen halblauten Befehl zu geben.

Die Stühle wurden hörbar geschurrt und herzugerückt, Sporen klirrten und lachende Stimmen sprachen durcheinander.

»Sag' ich's nicht? Grand Crémant Impérial!« 147 rief Clodwig, noch hinter seinem Stuhl stehend, »wie schade, daß ich keine Zeit habe, der Flasche auf den Boden zu schauen, aber der königliche Dienst und die Casinofrühstücks stehen auf gespanntem Fuße! Ich möchte gern, dem Wunsch des kauflustigen Herrn nach, die Anfrage umgehend beantworten, bester Graf, und bitte Sie daher, mich gütigst zu informiren. Meiner Ansicht nach verkaufen Sie unter allen Umständen, denn, entre nous soit dit, messieurs, der ›Merkur‹ hat zwar viel Ausdauer und sieht auch wenn er den Rücken glücklich hergegeben hat, ganz leidlich aus, aber damit sind wir auch am Ende seiner Vorzüge, Dienstpferd wird er mein Lebtag nicht!«

»Ja, ja, ist eine Kanaille, schrammt!« schrie ein Secondelieutenant, blaß, dick und aufgeschwemmt, als hätte er vierzehn Tage im Wasser gelegen, quer über den Tisch; »will damals an den Manövervormittag denken, wo ich mir fast den Hals gebrochen habe auf der verdammten Mähre; wo nur in der ganzen Gegend ein Graben oder ein Gartenzaun zu haben war, der Merkur witterte ihn aus, und heisa, haste nich' gesehen, drüber weg!«

»Das habe ich Ihnen ja vorher gesagt, Hassel! Hat eben Temperament, drei Stunden schlanken Trab im Sandboden. Prosit! Ihr geretteter Hals soll leben!«

»Willst Du ihn denn als Renntier in den Stall stellen?« warf Hattenheim schmunzelnd ein.

»Unsinn, Sie haben ja ›Fancy fair‹ und ›Golden dream‹! Wiegt drei Merkurs auf!«

148 »Erstens das, und zweitens ist der Braune zu massiv für die Bahn,« sagte Günther und wiegte den Kopf, »auch zu unverlässig, müßte immer selber in den Sattel, und das ist auf die Dauer lästig, höchstens Parforce-Jagden.«

»Die lohnen gerade die Ration! Machen Sie keine Schnacken, Lehrbach; schießen Sie los mit dem Sterngucker!«

»Und einen aristokratischen Preis gemacht,« ereiferte sich Hassel. »Sie haben's ja jetzt an der Hand, und diesen reichen Berliner Rittern gegenüber muß man das Maul voll nehmen.«

»Sagen wir Viertausend Mark, und dann adieu Madrid!«

»Was da, Viertausend! So viel hat er uns ja selber fast gekostet!« lachte Hattenheim verschmitzt; »immer gentlemanlike, meine Herren! Ein Gaul, der aus dem H.'er Husarenregiment kommt, kostet seine Fünftausend, und wenn er auf allen vier Beinen lahm ist!«

»Bravo! bravo! . . Der Dicke hat recht, lassen Sie fünftausend telegraphiren!«

»Ablassen ist auch leichter als ausschlagen!« nickte Clodwig.

Lehrbach zog lachend sein Portefeuille. »Bei mir sind ein für alle Mal feste Preise, Barönchen, und wenn mir mein unbekannter Verehrer fünftausend Mark für den Gaul gibt, so hat er ihn; ergo, setzen wir die Rückantwort auf! Vorher aber, bitte, meine Herren, auf Ihr allseitiges Wohl!«

149 »Roß und Reiter! Vivat! . . Roß und Reiter!« jubelte es im Kreise, die schäumenden Gläser trafen sich in leisem melodischem Anklingen, wurden empor gehoben an die frischen Lippen und treulich bis zur Nagelprobe geleert.

Dann öffnete Lehrbach seine Brieftasche und riß hastig ein Blatt aus dem Notizblock; etliche lose Papierstreifen flatterten auf die Tafel nieder, Bleistiftskizzen, von der Hand des Grafen entworfen.

»Ah, pardon, gestrenger Meister, dürfen unsere profanen Augen bewundern?« fragte Clodwig und nahm das Papier empor. »Gänseliesel? chapeau bas, das ist ein reizendes Gesicht! Und im Monat Juni zu Groß-Stauffen entworfen! Hören Sie 'mal, Sie Ritter sonder Furcht und Tadel!« – Clodwig kniff das eine Auge zu und blinzelte den schönen Mann von der Seite an: »Das ist wohl so eine kleine Eroberung pour passer le temps

Lehrbach lachte hell auf. »Gänseliesel! Weiß Gott, da haben Sie ja das Gänseliesel in der Hand! Nur hübsch angesehen, scharf angesehen, mon ami! Diese junge Dame gehört nicht zu meinen kleinen, sondern im Gegenteil zu meinen größten Eroberungen, welche ich je im Leben gemacht habe; für wen halten Sie die Gänse hütende ländliche Schönheit?«

»Günther!« Hattenheims Gestalt richtete sich zu voller Höhe empor; ein ernster, fast finsterer Blick flammte zu dem Freund hinüber und haftete vorwurfsvoll auf dem lachenden Antlitz des jungen Mannes.

150 »Hu, beiß' nicht, Dicker!« schüttelte Lehrbach übermütig die dunklen Haarwellen aus der Stirne, »wir sind ja hier entre nous, und die Herren können sich doch bei Gott mit demselben Recht über etwas Außergewöhnliches amüsiren, wie wir.«

»Das will ich meinen! Farbe bekennen, Graf! Sie machen uns neugierig!« lärmte es an dem Tisch.

»Günther, ich bitte Dich!«

Der junge Mann machte eine Bewegung, wie ein eigensinniges Kind, und schürzte ironisch die Lippe. »Du brauchst Dir bei Gott keine Skrupel zu machen, mon ami, die diversen Schinkenbrode und Gläser Buttermilch haben wir ja genugsam in unentgeltlichen leçons de danse bezahlt und haben außerdem absolut keine Verpflichtungen, unsere Sommermemoiren einem lachlustigen Publikum vorzuenthalten!« Günther warf sich, mit einem Blick in das zornesrot gefärbte Antlitz Hattenheims, laut auflachend in den Sessel zurück. »Ich bitte Dich um Gotteswillen, süßer Dicker, platz' Dir keine Ader auf der Stirn und nimm es nicht für ungut, wenn ich lache, aber, parbleu, wenn Du wütend bist, siehst Du frappant wie eine gelbe Eierflammeri mit Himbeersauce aus!«

Hattenheim biß sich auf die Lippe: »Ich weiß, daß man mit Dir nicht rechnen darf, wie mit anderen Menschen, welche auch ohne Handschlag und Wort Diskretion zu wahren im Stande sind; auf alle Fälle wünsche ich mich einer solchen Rücksichtslosigkeit nicht schuldig zu machen!«

151 Günther zuckte mit jähem Aufblick die Achseln. »Du bist ein Pedant, Hattenheim, und liebst es zuweilen, Diskretion etwas zu outriren; n'importe, die Welt hat eben verschiedene Kostgänger, und wären wir Beide nicht so grundverschieden, würden wir nicht so gute Freunde sein, darum sollen die Extreme leben!« Er leerte schnell sein Glas und fuhr lustig fort: »Also das Gänseliesel, meine Herren! Bitte dringend die Skizze zu retourniren; dieselbe ist bestimmt, um das Wohlgefallen der Allerhöchsten Augen zu buhlen!«

»Hier, Meister Lehrbach; aber nur gegen die genauen détails dieser allerliebsten Bekanntschaft!« Clodwig hielt die Zeichnung, welche, eifrig besichtigt, von Hand zu Hand gegangen war, scherzend auf den Rücken.

»Recht so, Barönchen, Gewalt bricht Eisen; halten Sie das Gänseliesel als Pfand zurück!« klang es in wirrem Durcheinander über den Tisch.

Günther hatte sich erhoben und entzündete eine Cigarette an der bläulichen Spiritusflamme. Der helle Lichtschein flackerte über sein schönes, sorglos keckes Angesicht.

»Wie nun, meine Herren, wenn ich selbstlos genug gewesen wäre, dieses ländliche Juwel meinen verehrten Herren Kameraden für die kommende Ballsaison hierher einzuladen?«

Jubelnder Lärm erhob sich an der Tafel und übertönte das kurze »Unglaublich!«, welches Hattenheim zwischen den Zähnen murmelte. »Ballsaison? 152 Tanze bloß auf allerdurchlauchtigstem Parquet!« näselte der magere Referendar in scherzhaft übertriebener Arroganz, doch Lehrbach nickte ernsthaft. »Allright, Verehrtester, dann schustern Sie sich bei mir, daß ich Sie mit der jungen Dame bekannt mache. Gänseliesel wird nirgends anders, als im exklusivsten Hofkreise seine Debüts feiern!«

Abermals ein lautes, etwas frappirtes Gelächter im Kreise. »Wir lügen selber, Lehrbach!« Dann aber rückten die Köpfe noch näher und eifriger zusammen, und der junge Graf blies ein paar virtuose Dampfringe und erzählte seine erste Begegnung mit der Freiin Josephine Wetter von Stauffenberg. Und wie erzählte er sie! So voll köstlich drastischer Wahrheit, so boshaft und liebenswürdig zu gleicher Zeit, so erbarmungslos detaillirt und dabei trotz des mokanten Tons, so voll Humor und sprudelnder Heiterkeit, daß die Lachsalven der Zuschauer oft an der hochgewölbten Decke widerhallten, und selbst Hattenheim unwillkürlich einstimmen mußte, völlig dem Zauber unterlegen, welchen die geistvolle Unart des Freundes stets auf ihn geübt hatte. Mehr und mehr malte der junge Offizier das Groß-Stauffner Stillleben vor den geistigen Augen seines hochanimirten Publikums, und er blätterte weiter in seinem Portefeuille und ließ sofort die Illustration zu seiner Erzählung folgen. Da wurden die Flachsköpfe des Pfarrhauses, Tante Renate, Onkel Bernd, die gelblackirte Galachaise, etliche Typen des Dienstpersonals und schließlich noch 153 Gänseliesel selber im steifen Kattunkleid mit dem gigantischen Strohhut und den nägelbeschlagenen Tanzschuhen mit wieherndem Gelächter begrüßt, und erst, als die große Uhr in der Saalecke ein mahnendes »Deinen Eingang segne Gott« brummte und dazu mit melodisch gedämpftem Schlage die zweite Mittagsstunde ankündigte, da schrak Clodwig mit einem ehrlich gemeinten »Himmel Sakrament!« empor, griff hastig nach dem Säbel und rief mit einer Faust gegen Lehrbach: »Ich sage es ja! Die Märchen der Königin von Navarra, die Einen mit unsichtbaren Banden festhalten und Zeit und Dienst vergessen lassen! Lehrbach, Mensch! genügt Ihnen meine Nase noch nicht, daß Sie mir noch zu einer vom Kommandeur verhelfen wollen? Die Depesche her! Oder besser, besorgen Sie die Sache selbst, müssen ja nachher doch an die Bahn, und mir brennt's unter den Füßen. Au revoir, meine Herren; beim Mittagsessen können wir hoffentlich auf die fünftausend Mark anstoßen; bonne chance, bester Freund!« Und mit hastigen Grüßen und Händedrücken stürmte der Premierlieutenant sporenklirrend über Teppich und Schwelle in die kalte Winterluft hinaus. – –

Anderen Tages schritt Graf Lehrbach die Promenade vis-à-vis dem Ministerium entlang, wie stets den Kopf im Nacken, ein strahlendes, unendlich zufriedenes Lächeln auf den Lippen. Der Schnee lag wie weicher fleckenloser Sammet auf dem Wege, und der junge Offizier ging so dicht wie möglich an der Fahrstraße, wo die weiße Fläche am wenigsten 154 beschritten war, aus Zufall wohl; als aber eine Equipage vorübersauste, und der Kavallerist sich in selbstverständlichem Interesse nach den Pferden umwandte, da glitt sein Blick auch ganz verstohlen nach der Spur hernieder, welche sein Fuß auf den glitzernden Teppich gedrückt; sie war klein, auffallend klein und zierlich; nur der zeitweise scharfe Eindruck des Sporns unterschied sie von der Sohle einer eleganten Damenchaussüre; da zuckte es noch heller in seinem Auge auf, wie eine kleine Flamme, die auf dem Altar der Göttin Eitelkeit brennt.

Auf dem Straßenpflaster knatterten Hufe, rollte es funkensprühend heran. Ein kleiner englischer Gig, vorn auf eine Dame, die Zügel in den Händen, hinter ihr, halb verdeckt, ein Lakai mit der herzoglichen Tresse am Hut. Lehrbach machte Front und salutirte lächelnd, mit jener graziösen Nonchalance, wie sie sich einzig das enfant gâté des Hofes erlauben durfte. Prinzessin Sylvie erblickte ihn; mit brüsker Bewegung riß sie die Pferde zusammen, daß sie kerzengerade emporstiegen, dominirte die Zügel mit kräftiger Hand und nickte dem jungen Offizier kordial zu.

»Na, Graf, haben Ihren Gaul verkauft?« rief sie in der ihr eigenen, etwas derben Art, »und sogar noch einen riesigen Schnitt an dem Schinder gemacht? Gratulire! Wer ist denn drauf 'reingefallen?«

Günther lachte und warf einen seiner unwiderstehlichen Blicke zu der hohen Sprecherin empor.

»Ein Herr von Witzendorf, Hoheit, stiller, 155 immer liebenswürdiger Kavalier, dem Sie das Halsbrechen gewiß viel weniger wünschen würden, als mir!«

Die Prinzessin fuhr mit der langen Peitsche sausend durch die Luft und lachte mit ihrer harten, etwas lauten Stimme ungenirt auf. »Was wissen Sie denn überhaupt, ob mich Ihr Hals interessirt? Brechen will ich ihn nicht, aber beugen!«

»Tiefer, als vor dem schönsten Fuß in den Staub, kann man doch die Stirn nicht neigen, Hoheit, und dennoch ist mein Nacken zu steif?«

»Sie reden wieder, was Sie nicht verantworten können. Wieviel haben Sie für den Merkur bekommen?«

Lehrbach durfte sich ein ganzes Teil mehr herausnehmen, als jeder Andere. »Raten Sie mal, Hoheit!« Er legte die Hand auf den Säbelkorb und klappte mit der Scheide gegen die hohen Lackstiefel.

»Na, zum Kuckuck, das ist eine Zumutung! Wer steht für den Geldsack eines Berliner Sportsman und für den gesunden Verstand eines Menschen ein, der auf den Sensationsbericht einer Kavalleristenzeitung hin telegraphisch einen Hasen im Sack kauft! Ich hätte keine zweitausend Mark für den Schaukelgaul gegeben, das versichere ich Sie! Als Sie ihn mir zum ersten Mal im Tattersall vorritten, sagte ich Ihnen gleich, daß er mit den Vorderbeinen ein vollständiges Balancée tanzt –«

»Und nach den Sternen guckt! Ganz recht, aber darum gerade kaufte ich ihn: denn Gleich und Gleich 156 gesellt sich gern, und – Sie wissen's ja, Hoheit – ich blicke auch gern dahin empor, wo Sterne oder eine Sonne strahlen!«

Und Graf Günther legte den Kopf noch weiter in den Nacken und schaute neckisch zu der Prinzessin auf.

»Redensarten! Auf die kein Backfisch mehr 'reinfallen würde, geschweige denn eine Dame, die schon zwei Winter lang mit Ihnen getanzt hat!« Sylvie zog dem einen Goldfuchs, welcher ungeduldig ins Gebiß schäumte, eins über und zeigte lachend die sehr schönen, festen, weißen Zähne. »Sie sind ein unverbesserlicher Sünder, conte mio, und ich sehe zu meinem Bedauern ein, daß das Strafkommando der Lehrbacher Einsamkeit absolut ohne günstigen Einfluß geblieben ist! Na, ich werde Sie diesen Winter 'mal energisch an die Longe nehmen; statt des Fächers, diese hier!« Und sie hob drohend die Peitsche gegen ihn, senkte sie dann hastig salutirend und zuckte mit kräftiger Hand die Zügel; »au revoir, ich muß meine Schlingel hier ein Bischen einfahren, sind durch das lange Stehen zu übermütig geworden!« Und unberechenbar schnell, wie ein Irrlicht aufblitzt und wieder verschwindet, sauste das leichte Gefährt den bereiften Baumgruppen des Parkes entgegen.

Lehrbach drehte seinen Schnurrbart und blickte ihm nach; er sah die Prinzessin, die üppige, breitschulterige Blondine, in einem kurzen und knapp anliegenden Jaquett aus grobem Lodenstoff, à la 157 garçon gearbeitet, auf dem hohen Kutschersitz schweben, auf dem rötlich-blonden Haar ein keckes Herrenhütchen von dunkelbraunem Schleier umwunden, welcher unter dem Kinn zu einem dicken Knoten geschürzt war.

Er lächelte nachdenklich vor sich hin und schritt langsam weiter.

Hübsch war Hoheit nicht, aber ganz entschieden originell. Ihr Teint war frisch, fast allzu frisch, die Augen blaugrau und meistens recht nüchtern dreinschauend, von hellblonden Wimpern umrahmt, welche den Ausdruck, ebenso wie die gleichfarbigen Brauen, absolut nicht erhöhen konnten. Eine kecke Stumpfnase strebte über den großen Mund ziemlich impertinent in die Luft; und die glatt abgeschnittenen Haare verdeckten die Stirn bis über die Hälfte.

Der äußeren Erscheinung angemessen war das ganze Wesen der Prinzessin. Ihre Bewegungen waren schroff, ungraziös und oft sogar von brüsker Formlosigkeit, sie kokettirte »den Bub« und spielte sich gern auf die Amazone, sowohl im Thun und im Handeln, als auch in der Sprache, welche, durch eine laute und etwas rauhe Stimme unterstützt, sehr leicht etwas Derbes, ja Burschikoses annahm. Dennoch gab es Momente, wo all diese Bizarrerie in eine unvergleichlich süße und reizende Weiblichkeit dahinschmolz; das war in dem seltenen Fall, wo Prinzessin Sylvie an das Klavier trat und mit weicher, glockenheller Mezzosopranstimme ihre Lieblingslieder sang. Dann lag es wie 158 Sonnenglanz auf dem lächelnden Antlitz, die ganze Gestalt zum Ideal verklärend. Wundersam und unbegreiflich, der Sängerin selber unbewußt vollzog sich dieses Wunder. Aber die Prinzessin sang selten vor fremden Ohren und der Kreis der Bevorzugten war so verschwindend klein, daß die liebenswürdige Fama keine Stütze an ihm fand, das Lob eines Weibes in die Welt zu tragen, welches dieselbe nun einmal nur in Sporn und Sattel kannte.

An dem Ende der Promenade, wo dieselbe die Anlagen abschneidet und aus vierreihiger Lindenallee in eine der Hauptstraßen verläuft, begegnete der Hoffourier dem Grafen und zog mit tiefer, fast devoter Verbeugung den glänzenden Cylinder.

»Verzeihen Herr Graf, wenn ich aufhalte!« sagte er mit verbindlichem Lächeln. »Ich komme soeben aus Ihrer Wohnung, woselbst ich eine Einladung der hohen Herrschaften für heute Abend halb zehn Uhr hinterlassen habe. Prinz Alexander möchte gern eine Partie spielen, und da der Kammerherr von Sensfeld sich 'mal wieder hat dispensiren lassen –«

»So muß das Mädchen für Alles, der gute Lehrbach, wieder aushelfen!« fiel ihm der Offizier lachend in die Rede. »Na, in Gottes Namen, Alter, ich werde antreten – wo sind wir denn, he?«

Ein einzelner Sonnenstrahl fiel über das weiße, sorglich gekräuselte und frisirte Haar des getreuen Hofbeamten, welches gleich einer gepuderten Perrücke das noch sehr frische, gerötete Antlitz umgab; feiner Narzissenduft wehte aus dem geneigten Hute empor.

159 »Die Herrschaften nehmen den Thee in den Gemächern der Herzogin Mutter, da Hochdieselbe etwas enrhumirt ist und die Orangerie nicht passiren möchte! Ich glaube, Herr Graf« – ein feines Lächeln spielte um die Lippen des alten Herrn – »Sie würden sich unendlich verdient machen, wenn Sie das berühmte Portefeuille mitbrächten – Hoheit ist etwas verstimmt – ein paar Ihrer humorvollen kleinen Skizzen würden uns Allen den Sonnenschein mitbringen – man lacht gern im Turmzimmer!«

Lehrbach nickte. »Sehr verbunden, Verehrtester, habe der Prinzessin bereits alle Neuigkeiten versprochen, die ich diesen Sommer gesammelt habe – ist zwar nicht Alles hoffähige Gesellschaft, die ich präsentire, aber dafür desto origineller. Auf Wiedersehen denn – um halb zehn Uhr? – Bon, da kann ich mich um das Souper in der Parkvilla drücken!«

Der Hoffourier lachte gedämpft auf: »Süperbe!« hob mit unnachahmlich knapper Grazie den Cylinder und verabschiedete sich.

Günther setzte seinen Weg fort, und die Sonne, welche jetzt voll durch die Wolken brach, reflektirte auf seinem heiteren Antlitz. 160


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