Nataly von Eschstruth
Gänseliesel
Nataly von Eschstruth

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Achtzehntes Kapitel.

»Hast Du einen Freund hienieden,
Trau' ihm nicht zu dieser Stunde,
Freundlich wohl mit Aug' und Munde,
Sinnt er Krieg im tück'schen Frieden!«
Eichendorff.            

Josephine hatte einer Einladung der Herzogin Marie Christiane Folge geleistet und eine »frühe Tasse Thee« im Pavillon getrunken. Es galt die Besprechung eines Bazars, welchen die hohe Frau zu Gunsten des städtischen Waisenhauses arrangiren wollte.

Fräulein von Wetter erfreute sich in hohem Grade ihrer Zuneigung, zum großen Staunen der Gegenpartei, welche schnell in Erfahrung gebracht hatte, daß das junge Mädchen weder bigott noch zur Diakonissin beanlagt war. Im Gegenteil, das Gänseliesel war außerordentlich lebenslustig, besuchte die Kirche durchaus nicht mit strenger Regelmäßigkeit und machte vor keinem Menschen ein Hehl daraus, daß es ihr absolut keine Freude bereiten würde, an der Strickschule oder in Hospitälern thätig zu sein. 114 Man sah sie auch niemals in diesen Wohlthätigkeitsanstalten der Herzogin.

»Wie ist das möglich? Wie harmonirt das?« fragte man sich.

Fräulein von Wetter gab eine sehr einfache Auskunft: »Hoheit hält es für Unrecht, einen Menschen in eine religiöse Bahn zu drängen, wenn der Betreffende nicht selbst ein inneres Bedürfniß fühlt, sich in Gott wohlgefälliger Weise nützlich zu machen; aus erzwungenen Wohlthaten erwachse kein Segen. Auch meint Hochdieselbe, ich sei noch zu jung, um mich der Krankenpflege oder dem Armenverein zu widmen, vorläufig solle ich noch tanzen und lustig sein, das Leben würde schon von selber allzuschnell seinen Ernst fühlbar machen! Ein gläubig Gemüt und ein froher Sinn sei dem lieben Herrgott ebenso wohlgefällig, wie ein seufzendes Beten und Bußethun!«

Da zuckte man die Achseln und begriff diese Ansicht nicht so recht. Man hatte sicher erwartet, daß Fräulein von Wetter eines schönen Tages als »graue Schwester« aus dem Pavillon schlüpfen würde; denn Marie Christiane war doch eine fanatische Heilige, die ihr eigenes Kind auf dem Altar der Barmherzigkeit geopfert hatte. Alle Welt wußte es, daß sich die kleine Prinzessin in einem Krankenhause, wohin sie Marie Christiane mitgenommen, den Keim der tödtlichen Krankheit geholt hatte.

Man beobachtete dieses extreme Freundschaftsverhältniß mit dem regsten Interesse. – –

115 Die Beratung der Damen hatte doch etwas länger gedauert, als man vorausgesetzt hatte; der kurze Februartag war bereits im Westen erloschen, einzelne Sterne flimmerten durch die dunkle und etwas stürmische Nacht.

Josephine war die Letzte, welche ging, die Herzogin hatte sie mit ein paar Fragen privaten Inhalts noch etliche Minuten aufgehalten.

Der Lattdorf'sche Diener stand mit der Laterne im Vestibul und wartete; leider war der Wagen von dem Hofmarschall zu der Fahrt nach Hofe benutzt worden.

Josephine liebte es außerordentlich, durch den stillen, dunklen Park zu gehen, wenn der Wind durch die Aeste pfiff und in den hohen Tannen rauschte; das klang so heimatlich und traut durch ihren Sinn.

Ihr schwarzes Spitzentuch fest um das Köpfchen geschlungen, eilte die junge Dame leichtfüßig den einsamen Weg voran. Die Laterne Heinrichs warf ihre flackernden Lichtstrahlen zurück und tauchte die schlanke Gestalt in rötlichen Schein, an den Seiten der Promenade standen die finsteren Kiefern- und Buchsbaumgruppen wie vermummte Gespenster.

Da löste sich ein Schatten von dem Bosquet, ein Sporn klirrte auf, fest in den Mantel gewickelt trat eine Gestalt neben Fräulein von Wetter.

»Guten Abend, Fräulein Josephine!« Es war die Stimme des Grafen Lehrbach.

Das junge Mädchen schrak leicht zusammen.

116 »Sie hier? . . . . Um diese Zeit . . . . bei diesem Wetter?«

»Wie Sie sehen, – ne rien que moi! . . . . Sie gestatten, daß ich Sie durch den Park begleite, es ist spät geworden, man hat heute eine lange Sitzung droben in ›den heiligen Hallen‹ gehalten.«

Es klang wie heimliches Amüsement durch seine Worte.

»Woher wußten Sie von unserer Zusammenkunft?« Josephine sah fast betreten zu ihm auf, der Laternenschein fiel auf sein lächelndes Angesicht und der Wind zauste seinen Mantel.

»Ich weiß Alles!«

»Ihr Weg führt Sie zur Bellevue?«

»Ich begleite Sie, gleichviel, wohin Sie meine Dienste befehlen!«

»Ich möchte Sie nicht aufhalten –«

»So lassen Sie uns, bitte, gehen!«

Es lag ein seltsamer Klang in seiner lachenden Stimme. Josephine schritt schweigend an seiner Seite, der Wind raschelte in dem welken Laub zu ihren Füßen.

»Sie geruhten, mich bei unserm letzten Sehen recht auffallend zu ignoriren!« sagte er plötzlich kurz.

»Wirklich? Es lag nicht in meiner Absicht.«

»Sie sind so unendlich in Anspruch genommen, daß für alte Freunde keine Zeit bleibt!«

Es lag viel Bitterkeit in seiner Stimme.

»Das ist wohl zu ungerecht geurteilt, Graf Lehrbach, Herr von Hattenheim machte mir noch niemals einen derartigen Vorwurf.«

117 Sie sagte es sehr kühl, preßte die Hand mutig auf das Herz und spielte ihre Rolle vortrefflich.

»Hattenheim! . . . . Haha! . . . . Natürlich Hattenheim! Der brave Dicke schießt ja immer den Vogel ab und kann sich über eine stiefmütterliche Behandlung Ihrerseits bei Gott nicht beklagen! Bei jeder Gelegenheit erlauben Sie ihm ja, an Ihrer Seite zu glänzen, er trägt Ihnen die Schleppe und ist unentbehrlich! Warum haben Sie mich, den Sie doch ebenso lange und, wie ich denken sollte, noch besser kennen als Reimar, nicht ein einziges Mal durch diesen Vorzug ausgezeichnet?«

»Man muß vorsichtig sein, Graf Lehrbach, es gibt Menschen, die so exquisiten Geschmack haben, daß sie eine kleine Gänseblume vom Lande höchstens in peinliche Verlegenheit setzt! Sie, der es gewohnt ist, der Königin Rose Ritterdienst zu thun, werden unmöglich das kleine Wegkraut aus Groß-Stauffen vermissen!«

Er lachte fast zornig auf. »Ein seltsam Wegkraut, das so viel scharfe Dornen trägt!« Dann schritten sie wieder eine Zeitlang schweigend durch die finstere Nacht.

»Welchen Tanz werden Sie mir morgen Abend bei dem Englischen Gesandten reserviren?«

Der Mond brach durch die Wolken und beschien ihr spöttisch lächelndes Antlitz.

»Die Polka vor dem Cotillon!«

Sein Säbel schlug hart auf den Boden, die Hand seines Trägers ballte sich zur Faust an seinem Korbe.

118 »Und warum just diesen Tanz?« fragte er fast knirschend.

»Weil das Schicksal leider nicht wollte, daß wir ihn an dem ersten Hofball zusammen tanzten, und weil Sie das damals so sehr bedauerten!«

Nicht die mindeste Schärfe lag in dem Ton ihrer Worte.

Lehrbach entgegnete nichts, aber er ging plötzlich so rasend schnell, als wollte er den Sturm mit Fäusten fassen.

Als die junge Dame gelassen ihr erstes Tempo beibehielt, mäßigte er seine Schritte plötzlich.

»Schenken Sie mir den Cotillon,« bat er weich.

Sie senkte das Köpfchen tiefer. »Ich bedauere, Graf, dieser Tanz gehört für die ganzen noch kommenden Feste der Saison Herrn von Hattenheim.«

Wieder lachte er auf, rauh und hart; er trat dicht an sie heran und neigte sich zu ihrem Ohr.

»Man erzählt sich in der Gesellschaft seit vorgestern, seit dem Koncert im Wintergarten, wo man Freund Reimar so lange an Ihrer Seite neben dem Springbrunnen sitzen und so eifrig flüstern sah, es sei ein fait accompli, daß – daß Sie Beide verlobt seien! Dies von Ihnen zu erfahren, habe ich zwei volle Stunden in Kälte und Sturm vor der Thür des Pavillons gestanden und hätte auf meinem Posten ausgeharrt bis zum nächsten Morgen, wenn die Herzogin Sie über Nacht zu Gast behalten hätte! Fräulein Josephine,« er faßte ihre Hand 119 und umschloß sie mit fast schmerzendem Druck, »ist es Wahrheit, hat es Reimar gewagt, Sie zum Eigentum zu begehren, haben Sie ihm Ihr Jawort gegeben, ist es möglich, daß Sie – Sie, Josephine, die Braut dieses Mannes sind?«

Heftig, stolz und zürnend befreite sie ihre Hand.

»Welch ein Recht haben Sie, mir eine solche Frage zu stellen, welch ein Recht, sich in meine Angelegenheiten zu mischen?«

Mit erhobenem Haupt, unnahbar wie eine Königin stand sie vor ihm; das silberne Mondlicht floß wie verklärend um das liebreizende Angesicht, über dessen Goldhaar der Wind den schwarzen Spitzenschleier wehte.

»Welch ein Recht?« Er biß die Zähne zusammen. »Nun, ich dächte, einem Freunde kann man dieses Recht schon einräumen!«

»Was Sie denken, ist für mich absolut nicht maßgebend.« Josephine schritt hastig weiter in die menschenbelebte Bellevue. »Und ich hoffe meine Bestimmungen noch allein treffen zu können, ohne über dieselben Rechenschaft schuldig zu sein. Der Begriff der Freundschaft ist unendlich weit und mit dem Vorrecht eines vertrauten Ratgebers absolut nicht identisch. Würde ich Ihnen dieses Letztere einräumen, so hätte ich wohl schon ohne Ihre diktatorische Aufforderung eine Mitteilung gemacht; daß dieselbe unterblieb, kennzeichnet Ihnen wohl am besten die Stellung, welche Sie mir gegenüber einnehmen.«

120 Starr wie ein steinernes Bild stand er an ihrer Seite, über seinem Haupt flammten die Laternen der Villa Carolina.

»Diese Antwort ist nicht mißzuverstehen,« sagte er leise, »und was das Quälendste an ihr ist, ich habe sie verdient! Gute Nacht, mein gnädiges Fräulein, vergeben Sie mir meine unbesonnenen Worte – wenn Sie mich noch unter die Menschen rechnen, welche man eines freundlichen Gedankens würdigt.«

Er grüßte kurz und sehr förmlich, der Wind riß den Militärpaletot flatternd von seiner Schulter, ein Lichtstrahl huschte noch über das bleiche Angesicht, dann trat er mit festem Schritt in das Dunkel der Nacht zurück. – – – – – – –

Droben aber in ihrem stillen kleinen Stübchen lag Josephine auf den Knien und weinte heiße Thränen auf die gefalteten Hände.

* * *

Hattenheim saß in seinem Zimmer, den Kopf in die Hand gestützt, eine kurze Pfeife zwischen den Zähnen, und las.

Der hohe Kachelofen strömte eine behagliche Wärme aus, das Licht der Lampe war durch einen grünen Schirm gedämpft; und auf einem kleinen geschnitzten Nebentisch summte der Theekessel über Spiritus, welcher das kochende Wasser zu dem ostpreußischen Schlummerpunsch lieferte. Hattenheim war nach der Meinung der Kameraden eine rechte »Hausunke«.

Nur wenn er mußte, brachte er seine Abende 121 im Casino oder Weinkeller zu, und die viele Geselligkeit und der »Minnedienst bei Hof« waren ihm von jeher ein Gräuel gewesen, er hatte sich stets nach Kräften davon »gedrückt«! Und erst in dieser Saison erlebte es die Residenz, daß sich Lehrbachs stiller Freund mit wahrer Wonne in den Strudel des high life stürzte – nun, er hatte ja seine Gründe dazu, sagte man, so »wetterwendisch« zu sein.

Dennoch gab es auch jetzt noch keinen höheren Genuß für ihn, als die stille Behaglichkeit seiner vier Wände. Wenn er von dem Dienst heimkehrte, keine Einladung seiner harrte, er so recht gemütlich in einen alten, bequemen Attila schlüpfen konnte und in dem molligen Großvaterstuhl vor Punsch und Romanbuch saß, ja, dann hätte er nicht mit Prinzen und Königen aus dem Schlaraffenlande getauscht, dann war er so ganz zufrieden mit sich und der Welt.

Früher hatte Reimar wenig Passion für Lektüre gehabt, da waren es meist wissenschaftliche Bücher gewesen, aus welchen er sich für das Examen der Kriegsakademie präparirte, und seine bis dahin angesammelte Bibliothek bestand aus dem Dienstreglement, dem neuen Testament und Heines Gedichten.

Dann aber, als das Studiren begann, hatte sich der Bücherschrank erstaunlich schnell gefüllt, bis er sich mit seinem bunt zusammengewürfelten Inhalt derart in Hattenheims Herz stahl, daß er keine größere Passion hatte, als seine Bibliothek nach allen 122 Seiten zu vervollkommnen. Da erst lernte er den Wert eines guten Buches schätzen, da brauchte er keine Welt und Menschen mehr, da war er niemals mehr allein, wie zuvor, da wandelten viel holde, kühne, gewaltige und sinnige Traumgestalten durch sein stilles Zimmer.

Reimar war ein sehr solider Mensch, aber in Büchern verschwendete er geradezu. Und seine Kameraden, die nicht so recht begriffen, wie man sich für andere Drucksachen als Weinetiquettes und Speisekarten interessiren könnte, nannten ihn in Folge dessen »die Codex-Raupe.«

Auch heute saß Hattenheim andächtig mit einem neuen »Schmöker«, welchen er en passant in der Buchhandlung erstanden hatte. Die Kritiken schimpften unglaublich darüber, darum mußte wohl etwas Gutes daran sein – schon aus Opposition nahm er stets Partei für die mißhandelten Poeten.

Auf einer Pferdedecke neben dem Sopha schnarchten die beiden Dachshunde, welche, außer dem Burschen, den Haushalt Reimars vervollständigten. Es waren zwei wohlgenährte, drollige Teckel, welche auf die nicht gerade schmeichelhaften Namen »Latsche« und »Lausbub« hörten und sich großer Sympathien im Casino und bei der Straßenjugend erfreuten, da sie ein unzweifelhaftes Clowntalent besaßen.

Der Wind sauste um die Fenster und fauchte durch den Rauchfang; auf der Straße war es still geworden, nur ein einzelner, hastiger Schritt klang 123 auf den Steinplatten des Trottoirs. Die Hausthür ward aufgerissen und rücksichtslos wieder in das Schloß geschmettert, dann klappte Hattenheims Korridorthür, und im nächsten Moment klang der Schritt über die Stubenschwelle.

Reimar hob etwas erstaunt den Kopf. »Ach, Du bist es, Günther? Grüß Dich Gott!«

Er schob den Sessel zurück, ging dem Freund entgegen und bot ihm die Hand zum Gruß.

Stumm und bleich stand ihm der junge Offizier gegenüber, die Arme in den Paletot gewickelt, die Augen wie düstere Schatten auf sein Gegenüber geheftet.

»Guten Abend,« sagte er kurz und frostig, »ich komme zu etwas später Stunde, doch hoffe ich, daß Du Zeit für mich hast!«

Er warf den Mantel ab, schritt an Hattenheim vorüber und ließ sich in einen Sessel fallen. Wieder richtete er den durchdringenden Blick auf den Kameraden.

»Du weißt, daß ich immer Zeit für Dich habe und Dich bis jetzt jederzeit bei mir empfing,« antwortete Reimar ruhig und freundlich, »womit kann ich Dir jetzt dienen, was führt Dich zu mir?«

Günther lachte wunderlich auf, dunkle Glut brannte auf seinen Wangen.

»Ich will Dir gratuliren, alter Junge! Dir Glück wünschen, Du Glückspilz! . . . Hahaha! . . . Du hast die Rolle mit mir getauscht, und ich bin der Erste, welcher seinen Kratzfuß dazu macht!«

124 Er schlug aufgeregt mit der Hand auf die Tischplatte, die Brillanten an seinem Finger schossen farbige Blitze, wie Koboldsaugen funkelten sie nach Hattenheim hinüber.

»Gratuliren? . . . . So?« Der blonde Mann mit der ungelenken Figur und der eckigen Stirn setzte sich gelassen nieder, klappte das Buch zu und blickte dem Freund fest in das Auge.

»Du nimmst also meinen Glückwunsch an?«

Die Lippen des jungen Grafen bebten.

»Gewiß, aber erst dann, wenn ich Dir ein offizielles Recht dazu gebe. Vorläufig ist mir keinerlei Glück bekannt, von welchem ich Dir Mitteilung gemacht hätte!« Reimars Stimme klang sehr ruhig, er lehnte sich in seinen Sessel zurück und kreuzte die Arme.

»Das stimmt allerdings!« lachte Günther scharf auf. »Du verstehst Dich meisterlich auf interessante Geheimnisse und schämst Dich nicht, selbst vor mir damit hinter dem Berge zu halten! Hast vielleicht Gründe dazu und denkst an den Helden Tristan, der das Vertrauen seines Freundes mit Falschheit lohnte! Die heutige Zeit schürt ja keinen Holzstoß mehr, warum also diese überflüssige Heimlichthuerei?« Es lag eine furchtbare Gereiztheit in Günthers Stimme, in nervöser Hast trommelte er mit den Fingern auf der Tischplatte.

Keine Wimper zuckte in Reimars heiterem Antlitz, voll Seelenruhe öffnete er seine Cigarettenkiste, schob sie Günther über den Tisch zu und sagte: 125 »Steck' Dir die Friedenspfeife an, amico, und dann sag' mir mal hübsch klar und deutlich, was Du nun eigentlich willst? Vorläufig scheint es noch gewaltig bei Dir zu stürmen, und auf geschichtliche Gleichnisse verstehe ich mich nicht, wie Du weißt.« Fast heftig stieß Graf Lehrbach die Cigarrette zurück, seine Lippen kräuselten sich höhnisch.

»Noch deutlicher? Eben habe ich Fräulein von Wetter nach Hause begleitet und bei ihr besseres Verständniß für meinen Glückwunsch gefunden, welchen Du in einer, für die junge Dame wenig schmeichelhaften Weise refüsirst!«

»Alle Donner . . . Josephine hat. . . . .« Wie ein jäher Schrecken klang es von Reimars Lippen, tiefe Röte flammte über sein Angesicht, dann brach er schnell ab und fuhr ruhig fort: »Ja, sie mag mich sehr gern, sie spricht viel von mir, nennt es auch immer ein Glück, daß wir uns im Leben begegnet sind. Ich habe die feste Absicht, sie zu heiraten, Deinen Konsens habe ich ja bereits eingeholt!«

»Und wann, Freund Reimar, wenn man fragen darf?« Günther richtete sich mit flammendem Blick empor, seine Stimme klang laut und drohend, die volle Heftigkeit seines Charakters kam zum Durchbruch.

»Nun, an jenem Abend, als Du Dich genirtest, mit Fräulein von Wetter durch den Saal zu tanzen, als Du Dich nicht mit dem kleinen ›Montblanc‹ zum Gespötte machen wolltest und mir mit vollem Sektglas in der Galerie zusangest: ›Nimm sie hin, 126 sie sei Dein!‹ Ich dächte, eine klarere Zustimmung kann man nicht gut verlangen!«

»In der Galerie?« Günthers Zähne gruben sich in die Unterlippe. »Jenem Scherz willst Du jetzt eine ernste Bedeutung unterschieben? Das paßt allerdings in Deine Pläne und ist ein feiner Schachzug, welcher Deinem diplomatischen Geist alle Ehre macht! Damals in der Galerie . . . Da hatte ich allerdings nichts dagegen, daß Du ihr die Cour machtest, von einer ernsten Absicht, von Heiraten war jedoch mit keiner Silbe die Rede.«

Hattenheim hatte sich ebenfalls erhoben, hoch aufgerichtet stand er dem jungen Grafen gegenüber. »Und habe ich Dir überhaupt Rede zu stehen über das, was ich thun und lassen will?« fragte er stolz. »Bindet Dich nicht Dein ernstes Versprechen, Dein Handschlag an jenem Abend, da Eitelkeit und Hochmut Dich zum Spielball machten, so sehe auch ich mich nicht durch eine kindische Neckerei verpflichtet, Dich um Erlaubniß zu meiner Wahl zu fragen!«

»Du hast in empörender Weise im Trüben gefischt! Du hast gewußt, daß Josephine mich liebte und dennoch. . . . .«

»Dich liebte? . . . . Liebte sie Dich wirklich an jenem Abend noch, nachdem Du sie um die Polka vor dem Cotillon gebeten? Auch eines Haiderösleins Blühen und Glühen stirbt, wenn es feig und grausam in den Staub getreten wird!«

»Ah, die Polka vor dem Cotillon!« rief Günther mit schneidendem Hohngelächter. »Also 127 von Dir stammt dieses Wissen, von Dir erfuhr Josephine die unglückliche Vorgeschichte des Tanzes! Und Du, Du willst noch behaupten, daß Du mit ehrlichen Waffen gekämpft habest? Dann allerdings ist eine Blüte in den Staub gerissen, wenn man es ihr gellend in die Ohren schreit! Dann hört allerdings eine Liebe auf, wenn sich gute Freunde finden, diese Liebe zu verketzern und ihr Ideal zu schwärzen, dann allerdings muß des Haiderösleins Glauben und Vertrauen welken, wenn die Falschheit ihr Gift in seinen Kelch gießt! Und das von Dir – von Dir, Reimar, auf dessen goldenes Herz ich schwor!«

Es war eine haltlose, verzweifelte Leidenschaft, welche durch die Stimme des jungen Mannes zitterte, mit sprühendem Blick und geballten Händen stand er Hattenheim gegenüber.

Bleich und regungslos war Reimars Antlitz, seine breite Brust arbeitete schwer, ruhig und fest klang seine Stimme, wenngleich eine fast drohende Haltung seine Gestalt noch wachsen ließ.

»Du bist erregt, Günther, Du bist mein Freund, und darum will ich Deine Worte in diesem Sinn hören und beantworten. Daß Du mich einer Falschheit für fähig hältst, kann ich Dir leider Gottes nicht verbieten, wenn auch der Gedanke wie eine eisige Hand in mein Herz greift, daß Du mich aber ihrer beschuldigst, das kann und darf ich Dir verbieten, und ich thue es mit der ganzen Energie und stolzen Würde eines Ehrenmannes. Dem Kameraden gegenüber würde es nur eine Antwort darauf 128 geben, mit Säbel und Blut geschrieben. Dem Freunde aber darf ich vorher noch mit Worten entgegnen und widersprechen. Nicht zu meiner Entschuldigung, sondern als Erwiderung auf Deinen Angriff versichere ich Dir, daß mir Deine Unterredung mit Brocksdorff und die wenig ritterliche Komödie, welche Du betreffs der Polka vor dem Cotillon aufführtest, vollkommen fremd war, bis ich dieselbe aus dem Munde von Fräulein von Wetter vernahm. Du hattest zum ersten Mal Pech im Leben, Du Glückskind, daß Du die kleine Intrigue just neben der Portière einfädeltest, hinter welcher Josephine scheu und von aller Welt ignorirt verborgen stand. Was sie mit eigenen Ohren mit anhören mußte, ließ sich leider Gottes von der beredtesten Freundschaft nicht ableugnen und ungeschehen machen!«

Günther taumelte fast zurück. »Sie selber – hinter der Portière . . . . Allmächtiger Gott, welch ein furchtbares Zusammentreffen! Reimar – sei barmherzig – sag' mir, daß Du Dich jetzt nur an mir rächen willst!« Bleich wie der Tod starrte der junge Graf in das Auge des Freundes, feuchte Perlen traten auf seine Stirn, er faßte, sich stützend, nach der festen Sessellehne.

Hattenheim schüttelte finster das Haupt. »Wollte Gott, daß ich es zu sagen vermöchte! Daß ich Dir die Gewissensbisse ersparen und jenem armen Mädchenherzen die bitteren Stunden voll Qual und grausamer Enttäuschung ungeschehen machen könnte, 129 welche Dein leichtsinniges Wort so erbarmungslos über sie heraufbeschworen. Da fiel ein Reif in der Frühlingsnacht, der viel jungem Glück zum Bahrtuch wurde! Da riß die rauhe Wirklichkeit den Schleier des Idealismus in Fetzen, da war der Traum ausgeträumt, den die Poeten – erste Liebe nennen!«

Günther sank auf den Sessel nieder und barg das Antlitz in beide Hände.

»Schweig, Reimar, laß Vergangenes im Grab, es ist vorbei, Alles . . . . und dies Bewußtsein ist genug Strafe für mich!«

»Josephine zürnt Dir nicht!« sagte Hattenheim leise.

Bitteres Auflachen antwortete ihm. »Nein! Selbst dazu bin ich ihr zu gleichgültig! Das Pflänzlein Erinnerung ist mit der letzten Wurzel und Faser aus ihrem Herzen ausgerottet! wo einst der Name Günther in roten Rosen blühte, da starren jetzt nicht einmal Dornen mehr, da ist es leer, leer und öde. O Reimar! Daß sie mich doch hassen wollte! Zorn und Haß lassen sich durch Liebe zwingen, wie das Eis in Flammenglut dahin schmilzt, aber diese Gleichgültigkeit ist ein lächelndes Grab, welches Eis und Feuer zugleich verschlingt!«

»Danke Gott dafür! Du hast einmal mit Feuer gespielt und viel Unheil dadurch gestiftet, warum zum zweiten Mal eine Katastrophe heraufbeschwören, für welche Du keine beglückende Lösung hast. Danke Gott, daß Josephine überwunden hat und eine Liebe 130 im Herzen erstickte, welche Du nie erwidert hast und niemals erwidern wirst!«

»Niemals erwidern wirst!« Es lag ein unaussprechlicher Ausdruck in den Worten, welche Günther leise wie im Traum nachflüsterte. Sein Blick hob sich zu Reimar, dunkel und sprühend, noch immer beseelt von dem ungestümen Trotz, welcher dem jungen Mann von jeher eigen gewesen. – »Kannst Du in mein Herz blicken? Weißt Du etwa, was ich empfinde? Das Schicksal geht seltsame Wege, kreuz und quer, und findet endlich doch sein Ziel. Laß gut sein. Was fragst Du in Deinem Glück nach anderer Leute Kummer? Ein Jeder ist seines Glückes Schmied. Du hast das Eisen zu einem Ring verschmolzen, da es heiß war; mein Hammer war der Uebermut, der es mitsammt dem Ambos in Grund und Boden schlug. Hin ist hin – und todt ist todt! Genieße die Ernte, die Du so weise und redlich gesäet hast, Reimar, und trag es mir nicht nach, was ich in der Heftigkeit vorhin gesagt. Ich war ja noch mit seliger Blindheit geschlagen und klammerte mich an die Hoffnung, nur bei Josephine verleumdet zu sein, wie der Ertrinkende an dem Strohhalm; ich hatte geglaubt, Alles noch in das rechte Geleise zu bringen. Nun bin ich sehend geworden und fühle den Boden unter den Füßen wanken, jetzt, da ich mein Herzblut dafür hingäbe, so recht sicher zu stehen. An den Polykrates muß ich denken, der war auch ein Glückskind, bis alles Unheil doppelt und dreifach über ihn hereinbrach. 131 Du hast Sturm und Nebel hinter Dir. Deine Sonne kommt spät, aber desto strahlender. Mög' sie Dir Gott wolkenlos erhalten. Leb wohl, Reimar, thu' mir den Gefallen und erwähn' diesen Abend nicht bei unserm ferneren Verkehr, er würde einen Schatten auf unsere Freundschaft werfen. Und somit Gott befohlen, auf Wiedersehen!« Es lag eine starre Resignation auf dem schönen Antlitz des jungen Offiziers, ein trotziges Hinnehmen des Unvermeidlichen, welches mit vieler Bitterkeit gemischt war. Dennoch war ein Klang in seiner gewaltsam beherrschten Stimme, welche Reimar bis in das innerste Herz traf. Er trat langsam zu Lehrbach, legte die Hand auf seine Schulter und sah ihm fest in die Augen.

»Günther,« sagte er weich, »Deine Heftigkeit hat mich zu einer Indiskretion gezwungen, welche mir Josephine schwer vergeben würde, wenn sie um dieselbe wüßte. Sie wünscht, daß Du niemals erfahren sollst, wie direkt sie Deine untreuen Worte in das Herz getroffen. Ich bitte Dich, darum keinerlei Aenderung in Eurem Verkehr eintreten zu lassen. Außerdem gebietet es mir meine Pflicht, Dir zu sagen, daß noch kein bindendes Wort zwischen Fräulein von Wetter und mir gewechselt wurde. Ich dulde Dich gern als Rivalen an meiner Seite und werde weit davon entfernt sein, Dir Dein Glück zu beneiden, wenn es Dir gelingen sollte, das Haideröslein in neuer Blüte an dem geknickten Stengel aufzurichten!«

132 Fast heftig schüttelte Graf Lehrbach das Haupt, krampfhaft drückte er die dargebotene Rechte des Freundes. »Sammle keine Kohlen auf mein Haupt, Reimar, beweise es mir nicht stets von Neuem, wie unwert ich Deiner Freundschaft noch bin! Josephine soll glücklich werden, darum verdient sie Dich, Du brave Seele. Ihre Liebe gehört Dir, und was ich mir leichtsinnig verscherzt habe, kann ich niemals wiedererwerben, die Wunde, welche Untreue einem Mädchenherz schlägt, heilt nie wieder.«

»Du bist ein glücklich beanlagter Charakter, Günther, Du wirst das Gänseliesel schnell vergessen und andere Blüten genugsam finden, welche sie ersetzen!« Fast angstvoll fragend hafteten Hattenheims blaue Augen dabei auf Günthers Antlitz, das aber hob sich bleich und ernst und schien plötzlich um viele Jahre gealtert.

»Glaubst Du? Die Zukunft wird es lehren. Wäre seltsam, wenn mir all mein Leichtsinn untreu werden wollte, es gibt noch so viele andere Weiber, solche sogar mit Fürstenkronen auf dem Scheitel. Gute Nacht, Reinz, nur Narren fangen Grillen, und ich bin doch kein Narr?! . . . Gute Nacht!«

Die Thür knarrte in den Angeln und schlug wieder zu, Reimar stand mit der Lampe in dem Hausflur und öffnete die Hausthür, der Wind pfiff kalt herein und machte die Lichtflamme hoch aufflackern, noch ein »Gute Nacht«, noch ein Händedruck, und sporenklirrend stieg Günther die Steinstufen hinab.

133 Gekommen war er hastig, leichtfüßig, zwei Stufen auf einmal nehmend. Da er zurückging, war sein Schritt schwer und langsam wie der eines alten Mannes.


Hattenheim trat in sein Zimmer zurück, ließ sich mit schwerem Aufseufzen in den Sessel fallen und stützte das Haupt gedankenvoll in die Hände.

Sorge und Kummer furchten seine Stirn. Er hatte Günther noch nie so lieb gehabt wie an diesem Abend, da er ihm zum ersten Mal im Leben einen Schmerz bereiten mußte, er fühlte ihn doppelt mit, er litt vielleicht mehr darunter als der junge Hitzkopf, der bis jetzt alles Leid von sich abgeschüttelt hatte, wie der Blütenbaum die Regentropfen. »Wird er auch diese Stunde so schnell aus den Gedanken wischen, diese Stunde, in welcher er Josephine von Wetter für ewige Zeit verloren?«

Hattenheim stöhnte gequält auf und wühlte die Hand in sein dichtes Blondhaar. »Nur das nicht, lieber Herrgott, sonst wäre ja aller Kampf umsonst gewesen, nur um ihretwillen nicht, die es verdient, glücklich zu werden!«

Lange starrte er regungslos vor sich hin. Er meinte es ja so gut, warum sollte ihm das Schicksal diese Bahn durchkreuzen? Gott hilft ja Allen, die es brav und redlich im Sinn haben. Also wird er auch sein Werk mit Erfolg krönen. Es steht ja der Frieden und das Lebensglück von drei Menschenherzen auf dem Spiele, was soll aus ihm selber, 134 aus seinem Liebling und aus Josephine werden, wenn der Leichtsinn größer ist denn Liebe? Dennoch vertraut er so fest auf Günther. Er kennt ihn ja, so gut, wie er kennt ihn sonst kein Mensch! Die Andern beurteilen ihn nur nach seinem lachenden Angesicht und den flotten, tollen Streichen, die so oft von sich reden machen. Er aber kennt das Herz des Freundes, und das hat goldenen Grund. Günther liebt, er wird, er kann und darf nicht von dieser Liebe lassen! Günther ist ein hitziger, trotziger Charakter, ein Hinderniß wird ihn höchstens reizen, niemals entmutigen. Hatte er nicht die Wirkung seiner Worte gesehen, stand nicht eine erschütternde Bestätigung dieser Annahme in dem bleichen, zuckenden Antlitz des Glückskindes?

Mitten in das Herz hatte ihn Reimar getroffen. Er sah es ja, wie seine Worte schmerzten, wie die junge, lachende Seele unter ihrem Einfluß rang!

Wie grausam war er gewesen, er, der milde, treue Hattenheim, der keine Fliege leiden sehen konnte! Das that er an seinem Herzblatt, seinem liebsten Freunde?! . .

Gott im Himmel wußte ja, warum er es that, der wußte auch, wie schwer es ihm wurde.

»Bittere Arznei heilt am schnellsten und besten,« sagen die alten Frauen in seinem Heimatdorf, und das tröstet am meisten diejenigen, welche sie einem teueren Wesen einflößen müssen.

So dachte auch Reimar, und mit dem Gedanken kam seine Ruhe und Freudigkeit zurück. 135


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