Nataly von Eschstruth
Gänseliesel
Nataly von Eschstruth

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Neunzehntes Kapitel.

»Denn mancher Sturmwind heult und tobt, der unser Schifflein probt,
Und wenn die Prüfung wir besteh'n – sei Gott gelobt!« –
Rückert.        

Vierzehn Tage waren seit dem Koncert bei Hofe vergangen. Man amüsirte sich weiter in der Residenz, ein Fest jagte das andere. Namentlich am Hofe hatten sich die Diner und Balleinladungen gehäuft, da es galt, den Erbprinzen Karl Theodor nach Kräften zu amüsiren.

Baron Clodwig hatte auf den meisten dieser Feste als Vortänzer figurirt, da Graf Günther Lehrbach leider durch eine starke Erkältung an das Zimmer gefesselt war. Außer Hattenheim war keinerlei Besuch bei ihm angenommen worden. Prinzessin Sylvie schien den jungen Offizier in der ersten Zeit gar nicht zu vermissen, kaum, daß sie nach ihm fragte. Als aber Graf Lehrbach nach zwölf Tagen wieder bei einem Galadiner erschien, wußte sie ihn gar nicht ostensibel genug auszuzeichnen, meist unter den Augen des Erbprinzen, welcher 136 dem Kokettiren ihrer Hoheit mit wahrhaft stoischer Ruhe zusah.

Er ritt noch einmal einen der berühmten »Pfadfinder« der Prinzessin mit und reiste dann sehr plötzlich ab. Man sagte, eine Depesche habe ihn zu wichtigen Verhandlungen nach Hause beordert. Sylvie war etwas gewaltsam heiter und harmlos, ließ Graf Günther durch ein Billet der Dienheim an sein versprochenes Kostümbild erinnern, mit der Bemerkung, daß bereits ein sehr stilvoller Rahmen auf ihrem Schreibtisch desselben harre.

Für wessen Bild der Rahmen mit der goldenen Fürstenkrone eigentlich bestimmt gewesen war, ahnte nur Fräulein Ilse, welche dabei gewesen war, als das Kabinetporträt Karl Theodors hinein probirt wurde.

Man hatte in der Hofgesellschaft mit Bestimmtheit eine Verlobung im Palais erwartet, um so mehr, da sich etliche Gerüchte von der »Brautschau« des Erbprinzen Karl Theodor in den Zeitungen breit gemacht hatten. Man war in Folge dessen sehr enttäuscht und raunte sich allerlei Vermutungen in das Ohr.

Schade, daß die kleine Hoheit so wild war. Das hatte ihr ganz entschieden diese Partie verscherzt. Und statt sich die Sache zu Herzen zu nehmen, schien sie jetzt erst recht all ihren excentrischen Passionen die Zügel schießen zu lassen; die letzte Hofjagd hatte sie mit ihrer Anwesenheit in sehr praktischem Kostüm beehrt, welches allerdings einem Landjunker eben so kleidsam gewesen wäre, wie ihr.

137 Sie hatte auch drei starke Keiler erlegt und sogar ihr Couteau de chasse in Anwendung gebracht. Dem Herzog war es nicht ganz recht gewesen. Auf seiner Stirn hatte eine Wolke gelagert, welche ungefähr so viel sagen wollte wie: »O, daß doch ein Petruchio kommen wollte, die Widerspenstige zu zähmen!«


Villa Carolina strahlte in festlichem Glanze; der Hofmarschall Graf zu Lattdorf schloß mit einem Balle die glänzende Reihenfolge von Diners und Soupers, welche er alljährlich, seiner Stellung gemäß, in seinem Hause veranstaltete.

Ange war eine reizende liebenswürdige Wirtin, welche mit erstaunlicher Gewandtheit und vornehmer Grazie an der Seite ihrer Mutter die Honneurs machte. Sie erschien überall zur rechten Zeit, sorgte für die Tanzkarten der jungen Damen und die Unterhaltung der älteren Herrschaften, dirigirte mit einem einzigen Blick die servirenden Lakaien, trennte sehr geschickt die disharmonirenden Elemente und wußte sehr zart und fein eine schüchterne Annäherung zu unterstützen. Kurzum, sie genoß in der Gesellschaft das Renommée einer vollendeten Gastgeberin. Nur heute war sie auffallend zerstreut; über ihrer ganzen Erscheinung lag ein Hauch sentimentaler Milde; was sie that, hatte das Gepräge mechanischer Gewohnheit. Nur einmal hatten sich ihre Wangen lebhafter gefärbt, als Prinz Detlef zu ihr herantrat und von Baron d'Ouchy erzählte.

138 Er sei schon seit acht Tagen in die Bretagne abgereist, da ihn ein Telegramm von dem Ableben eines Onkels benachrichtigt habe; er sei mit lachendem Angesicht in das Koupé gesprungen und habe Andeutungen gemacht, als erwarte ihn eine bedeutende Erbschaft. Es sei ihm sehr zu gönnen, es habe ihm nichts als Reichtum und eine Frau gefehlt. Er sei ein famos netter Kerl! Nun, hoffentlich bringe das eine das andere mit sich!

Und Prinz Detlef setzte sich zu dieser Bemerkung den Kneifer auf und fixirte die kalte Schönheit voll ungenirten Interesses. Fataler Weise wurde gerade Thee präsentirt, und Ange neigte sich tief über das Tablette. Als sie sich aufrichtete und in formellen Worten das Schicksal des jungen Diplomaten beglückwünschte, waren ihre Züge kühl und unverändert wie immer, nur die Tasse klirrte seltsam in ihrer Hand.

»Wie langweilig!« dachte Detlef, schwenkte links um und setzte sich der Aosta gegenüber, um Gänseliesel die Cour zu machen; zwischendurch erzählte er ihr sehr laut von »spanischer« Vendetta und fragte die Gräfin Susanna schrägüber, ob sie ein Vielliebchen mit ihm essen wolle? Er möchte ihr so gern einen Dolch schenken!

Da warf die schöne Hofdame mit sprühendem Blick den Kopf in den Nacken und fragte spöttisch:

»Damit ich Sie mit eigenen Waffen schlagen kann?«

Und sie erhob sich brüsk und rauschte mit einer 139 endlosen Schleppe davon, welche sich goldschillernd hinter ihr her schlängelte.

»Da zischt die Sternschnuppe hin!« lachte Detlef, den Hals so weit wie möglich nach ihr umdrehend. »Wehe dem Staubgeborenen, welchem die Meteorsteine ihres Zornes jetzt auf den Kopf hageln!«

Nach kurzer Zeit jedoch pirschte er hinter ihr her und nahm ihr den Fächer weg, um sich damit zu wedeln.

»Haben Sie sich wirklich losgerissen?« fragte Gräfin Aosta schnippisch. »Ich dachte, Sie hätten in Groß-Stauffener Boden für heute Abend Wurzel geschlagen als fahnenflüchtiger Emigrant?« Ihr Blick kokettirte zu ihm empor, Detlef aber legte den entfalteten Fächer gegen die Brust und sagte schwärmerisch:

»Mein Herz würde brechen, sollte es sich von seiner Heimat trennen?«

»Das ist die Residenz hier?«

Er schüttelte den Kopf und neigte sich tief zu ihren dunklen Augen: »Fern im Süd das schöne Spanien, Spanien ist mein Heimatland!«

Da war der Frieden für eine kurze Weile wieder geschlossen. –

Hattenheim stand schweigend und beobachtete. Er hatte sich freiwillig neben den großen chinesischen Ofenschirm drängen lassen, welcher seine robuste Figur fast zur Hälfte verdeckte, hielt seine Theetasse mechanisch in der Hand und ließ den Blick 140 aufmerksam durch die beiden Salons, welche er von seinem Platze aus bequem überblicken konnte, schweifen.

Günther und Josephine behielt er im Auge, und als letztere im Gespräch mit Excellenz Lehrbach die lange Flucht der Zimmer durchwandelte, da empfand er plötzlich ein großes Interesse für die Lattdorfschen Gemälde, schritt mit nachdenklichem Gesicht von einem zum andern, blieb hier kürzere und da längere Zeit im Anschauen versunken stehen, je nachdem es das vor ihm gehende Paar bedingte.

Er hatte das unbestimmte Gefühl, als müsse sich heute irgend etwas Entscheidendes ereignen. Günther und Josephine hatten noch kein Wort gewechselt. Die Begrüßung hatte »im Allgemeinen« stattgefunden durch eine stumme Verneigung, ein Umstand, der nicht weiter auffiel, da der junge Graf seit seiner kurzen Krankheit merkwürdig reservirt und wortkarg war, kaum daß er die phrasenhaften Formen der Höflichkeit wahrte. Er schien zerstreut, mißgestimmt und zu keiner Unterhaltung aufgelegt; von seiner ehemaligen Schlagfertigkeit, seiner sprudelnden Laune und den köstlichen Bonmots mit dem meist etwas scharfen Beigeschmack war vollends keine Rede.

Man fand das natürlich. Der arme junge Mann war noch völlig abattu, noch Rekonvalescent, er war gewiß viel zu früh wieder auf dem Posten! Was hatte ihm denn eigentlich gefehlt?

Man sagte, ein nervöses Fieber. Gewiß durch eine starke Erkältung veranlaßt, das Reithaus war 141 so kalt und zugig, schon verschiedene Herren hatten sich Krankheiten darin geholt. Man sah es dem Grafen ja an, daß er noch nicht völlig hergestellt war. Sein brünetter Teint schimmerte förmlich bleich, die Augen lagen tief und waren glänzender denn je, das stand ihm ganz vortrefflich und machte ihn interessanter als das frivole Lächeln und der herausfordernde Blick.

Prinzeß Sylvie nahm ihn auch völlig in Beschlag, sie war so rücksichtsvoll, mit dem »armen Lazarus« nur einmal die Runde durch den Saal tanzen zu wollen. Aber Graf Lehrbach versicherte mit aufflackernder Röte im Gesicht, daß ihm eine solch stiefmütterliche Behandlung mehr schaden würde, als der rasendste und andauerndste Galopp. Er sei nicht mehr Patient, wenn etwas an ihm krank wäre, so sei es sein Herz, und dafür sei das Tanzen ein köstliche Betäubung.

Er hatte es ziemlich leise gesagt, und sein Blick, welcher dabei durch den Saal schweifte, hatte sich verdüstert, da er Gänseliesels lächelndes Antlitz traf.

Sylvie aber sagte hochaufatmend und decidirt: »Na dann los!«, tanzte zweimal durch den Saal und flüsterte Lehrbach zu: »Nun eine Pause. Ich ängstige mich um Sie!«

Günther verneigte sich stumm und tief; er dachte daran, wie ihn dieses Wort und dieser Blick noch vor wenigen Wochen so hoch entzückt haben würde. Damals reichte sie ihm nur einen Lorbeerzweig, heute überhörte er fast ihre bedeutungsschweren Worte.

142 Den ganzen ersten Tanz über und die folgende Pause fesselte ihn Sylvie an ihre Seite; man kannte schon ihre rücksichtslose Weise, welche aller Etiquette ein Schnippchen schlug. »Mit alten Weibern befasse ich mich nicht,« erklärte sie ja öffentlich und kehrte von manchem Privatfest zurück, auf welchem sie die Gastgeber außer einem: »Guten Tag, Excellenz, das ist ja sehr nett von Ihnen, daß Sie uns mal amüsiren wollen!« oder: »Na Adieu, liebe Gräfin, Ihr Fest war ganz famos! Lassen Sie sich's gut bekommen!« fast völlig ignorirt hatte.

Man nahm ihr das keineswegs übel, man respektirte ihr so eigenartiges Wesen. Die Herzogin Mutter und Franz Eginhard suchten es auch auf alle Weise wieder gut zu machen. Prinz Detlef schwor dahingegen zu Sylviens Fahne. Er hatte sich mehr als einmal gesträubt, der Vorschrift nach eine alte Ministerin oder eine dazu am nächsten stehende ergraute Gemahlin Höchstgestellter bei Diners zur Nachbarin zu haben, sondern zum Entsetzen des Hofmarschalls oder der betreffenden Wirte das ganze Tafelarrangement umgestoßen, indem er einer hübschen Lieutenantsfrau oder einer anderen jugendlichen Schönheit den Arm bot. »I wo!«lachte er, »der Teufel soll Prinz sein, wenn man als solcher nur altes Leder an den Arm gehängt kriegt! Wozu sind denn die Glatzköpfe da? ›Jedem das Seine!‹ steht auf dem Orden, welchen das Verdienst um den Hals geknüpft bekommt!«

Was ließ sich dagegen sagen? Herzogin Mutter 143 die kluge, despotische Frau war so unglaublich schwach gegen die eigenen Kinder, und der Herzog erfuhr dergleichen Vorkommnisse fast gar nicht, oder vergaß sie zu schnell bei den vielen Arbeiten und Studien, welche seine Zeit vollkommen absorbirten. – – –

Hattenheim tanzte heute wenig.

Trotz der geöffneten Fenster herrschte eine drückende Hitze in dem Tanzsaal, welche ihm bei der aufgeregten Stimmung in welcher er sich befand, unerträglich wurde.

Er sah außerdem, daß Günther vollständig von Ihrer Hoheit in Anspruch genommen und Josephine derartig von Herren und Damen umringt war, daß eine verhängnißvolle Begegnung zwischen Beiden in keiner Weise zu befürchten war.

So schritt er gedankenvoll durch die verschiedenen Salons, in welchen Spieltische aufgestellt waren und die älteren Damen in kleinen Cirkeln plauderten und sich nach Kräften an Süßigkeiten eßbarer und hörbarer Art die Zeit vertrieben; er hoffte ein kühleres Fleckchen zu finden, um einmal aufatmen zu können.

Fernab, am Ende der langen Zimmerreihe, lag das kleine, trauliche Boudoir der Komtesse Ange.

Wie ein Hauch süßer, jungfräulicher Poesie wehte es um die rosafarbenen Atlasmöbel, die Blüten und Statuetten, Bücher und Schreibtischnippes; aus einer Ampel floß gedämpftes Licht hernieder, und im hohen Broncekäfig schlief ein farbiger Arra.

Eine Handarbeit lag auf dem gemalten 144 Guéridon. Hattenheim nahm sie mit spitzen Fingern empor und betrachtete mit ängstlich großen Augen das feine Spitzengewebe, durch welches die bunten Seidenfäden gestickt waren. Wie Spinnwebe war's und hielt gerade von elf bis zwölf, er hätte nicht zur Probe daran zupfen und zerren mögen. Sein Blick fiel auf die feinen, feinen Stiche und Musterchen, dann auf seine großen, viereckigen Hände. »Du lieber Gott!« dachte er, »wenn Du solch ein Ding fertig bringen solltest!« und dabei fiel ihm sein Säbel ein, der so ganz anders wuchtig in der Hand lag, der war seine Nähnadel, mit dem konnte er, wenn's Not that, gar blutigrote Röslein sticken!

So ein Weib und Alles, was dazu gehört, ist doch ein zerbrechlich Werk! Paßt nicht für einen Jeden, am wenigsten für solch einen ungeschlachten, riesigen Kerl, wie er einer war! Sein Blick fiel in den Spiegel, er lächelte wehmütig und legte die Stickerei aus der Hand. »Welch Eine möchte mich wohl lieb haben!« dachte er seufzend.

Er trat an den Schreibtisch. Da lag ein Buch, und aus seinen Blättern schaute ein Zeichen.

Reimar schlug es auf und las:

»Ich schaue auf den Grund seiner Seele und erbebe vor solcher Untiefe, die wildeste That traue ich diesem Manne zu; er hat keinen Gott, kein Gewissen – nur eine zügellose Leidenschaft, die ihn beherrscht. Dennoch übt er eine dämonische Gewalt über die Herzen aus, auch über das meine; ich ringe im verzweifelten Kampf gegen mich selber, ich 145 sehe den Abgrund vor mir und fürchte, daß mich ein Schwindel dennoch in ihn herniederreißt. O, daß er nicht mehr vor mir spielen möchte! Diese Klänge sind mein Verderben. Sind Reimars Augen in der Nähe, fühle ich mich beschützt, aus denen kommt süßer Frieden, kommt Vertrauen über mich; kein Mann ist mir so das Ideal aller Rechtschaffenheit wie er –«

Fast entsetzt ließ Hattenheim das Buch sinken und blickte sich erschrocken um, wie Einer, der auf verbotenem Wege ertappt ist, purpurne Glut stieg in sein Antlitz und machte es voll tödtlicher Verlegenheit dreinschauen.

Dies war das Tagebuch seiner Cousine Ange! Es war kein Zweifel möglich, ihre Schrift und ihr goldenes Monogramm auf dem Deckel – allmächtiger Gott, wie entsetzlich indiskret von ihm! –

Dennoch stand er wie gebannt und starrte auf das Buch hernieder, welches wieder an seinem alten Platz lag und ganz harmlos aussah, wie jedes andere Buch auch.

Ein unbeschreiblich seliges Gefühl durchschauerte ihn. Wie wohl that das doch, solche Worte über sich zu lesen, ein solches Urteil ausgestellt zu bekommen!

»Rechtschaffen! . . . . O Du liebe, gute Ange, wenn ich Dir doch in meines Herzens Dankbarkeit die Hände küssen könnte! . . . . Rechtschaffen! . . . . Ja, das war's ja, was ich immer sein wollte, wonach ich gestrebt habe, seit ich den Begriff dieses Wortes überhaupt zu fassen vermochte, rechtschaffen – bin 146 ich's denn wirklich? Ange sagt es, dann muß es wohl wahr sein!«

Voll scheuer Zärtlichkeit strich seine große Hand über das geschlossene Buch, wieder und immer wieder – es drängte ihn, so seine Freude zu äußern, es war ihm, als müsse er diesen weißen Blättern etwas Liebes thun!

Dann fuhr es ihm durch den Sinn, wer wohl der Andere sei? . . .

Er hatte zu flüchtig gelesen, aber noch einmal aufschlagen? Um die Welt nicht!

Hätte er gleich gewußt, daß dies ein Tagebuch sei, er hätte es mit keiner Fingerspitze berührt.

Nun, er wollte mal ein Bischen Acht geben, ob er es merkte, wer gemeint war. Wie er auch hin- und herdachte, er wußte in der ganzen Stadt Niemand, der so böse sein konnte, wie Ange ihn charakterisirte! Er bekümmerte sich allerdings so wenig um die anderen Männer!

Wie heiß war es ihm wieder geworden! Sein Kopf brannte wie Feuer!

Die Jonquillen und Monatsröschen auf dem Blumentisch zur Seite schwankten leise, ein kühler Luftzug strich plötzlich über seine Stirn.

Reimar wandte sich ihm hastig zu.

Richtig! Hier war die Balkonthür geöffnet, der milde Thauwind vermochte es nicht, die schwer herniederrauschenden Atlasportièren zu heben, er fächelte nur ganz heimlich, von der Seite her, die Blumenköpfchen auf dem vergoldeten Ständer.

147 Der Husarenoffizier schob die Shawls auseinander und trat mit entzücktem Aufatmen in die Nacht hinaus.

Nur einzelne Sterne blinkten durch die schweren Regenwolken, und von dem Dach hernieder tropfte es eine einförmige Melodie. Reimar blieb dicht hinter der Portière stehen, um seine Lackstiefeln nicht auf dem nassen Balkon zu beschmutzen.

Er hörte eilige Schritte hinter sich in dem Boudoir, das majestätische Rauschen einer seidenen Schleppe und die Stimme Sylviens, welche etwas hastig ausrief: »Gott sei Dank, endlich mal ein leerer Käfig! Da drinnen bekommt man, weiß Gott, den reinen Brummschädel von Hitze und Lärm! Lassen Sie uns hier plaudern, Fortunatus, es ist lange genug her, daß wir kein ungestörtes Wort zusammen gewechselt haben!«

Dann wurde ein Sessel gerückt, die Prinzessin nahm Platz.

Hattenheim fühlte sein Herz schlagen, eine unaussprechliche Angst erfaßte ihn. Da drinnen schwebte ein Damoklesschwert über dem Glück des Gänseliesels, über dem Frieden seiner eigenen Seele, über dem mühseligen Gewebe, welches er zum Heil des Freundes aus so vielen Thränen und sorgenvollen Stunden zusammengefügt hatte. Nur jetzt erbarm' Dich, lieber Herrgott, um Josephinens willen!

War es rechtschaffen, daß er hier stehen blieb? Im Sinne eines Lauschers, nein! Im Sinne eines Freundes, welcher zum Aeußersten entschlossen, ja!

148 Mit fast trotziger Entschlossenheit kreuzte Reimar die Arme über der Brust und verharrte regungslos.

Jedes Wort konnte er verstehen, durch die schmale Spalte der beiden Portièrenshawls sah er Sylvie in dem Sessel liegen, den Blick zu Lehrbach erhoben, welcher sich ihr gegenüber auf die Broncelehne eines Stuhles stützte.

»Hoheit waren durch erlauchten Besuch allzu sehr in Anspruch genommen,« sagte er mit gedämpfter Stimme, »und in dem lauten Trubel einer Residenz schweigt nicht nur die Nachtigall, sondern auch die Stimme traulichen Geplauders verstummt unter dem profanen Marktgeschrei einer öffentlichen Meinung!«

Die Prinzessin schüttelte den Kopf, glitzernd stäubte der Goldpuder auf ihren vollen Nacken hernieder.

»Das ist eine Redensart, welche sich überlebt hat. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß die Stimme des Herzens niemals lauter spricht als in dem Gewühl der großen Welt, welches sich als lästige Scheidewand zwischen zwei Seelen drängt. Selbst die Gedanken revoltiren dagegen und lassen es schmerzlich empfinden, daß man inmitten der bunten Menge einsamer ist denn im stillen Heim! Da verlangt die Sehnsucht mehr denn je nach ihrem Recht, und ein altes Lied behauptet sehr richtig: ›Wenn Zwei sich nur gut sind, dann find' sich der Weg‹! – Wenn also die Stimme traulichen 149 Geplauders verstummt, so ist es in dieser toleranten Zeit ihre eigene Schuld.«

»Um Vergebung, Hoheit, das ›alte Lied‹ ist nicht für unsere Verhältnisse gedichtet,« entgegnete Graf Günther sich emporrichtend, ein seltsamer Ausdruck lag auf seinem schönen Antlitz, »›kein Graben zu breit, und keine Mauer zu hoch‹ bezieht sich leider Gottes nur auf Hindernisse, für welche sich in der That ein Steg und eine Leiter finden lassen! Ich jedoch kenne eine Kluft und Schranke, welche sich weder überbrücken läßt, noch für welche eine Leiter gebaut werden kann, mag der Wille noch so fest und die Liebe und Sehnsucht noch so heiß sein! Was frommt da ein Plaudern und Flüstern hin und her? Es zeigt erst doppelt klar, wie weit man von einander getrennt ist!«

Es lag ein harter Klang in Günthers Stimme, sein Blick traf kühl und fest das Auge der Prinzessin, welche so weich und schmachtend wie noch nie aus dem Atlaspolstern zu ihm emporlächelte. Ihr voller Arm hing über die Sessellehne hernieder, eine Goldschlange ringelte sich daran in die Höhe und funkelte Günther mit ihren Rubinenaugen herausfordernd an.

»Sie irren, Graf!« sagte sie, den Kopf noch weiter zurückneigend. »Für den Mutigen gibt es keinerlei Schranke auf der Welt! Und ein Mann, welcher den Beinamen Fortunatus führt, sollte seinem Glück erst recht vertrauen! Er strebt empor, und sie neigt sich ihm herab, das ist die zaubermächtige 150 Leiter, welche die Liebe selbst an die schwindelndste Höhe lehnt!«

Sylviens Wesen war jäh verändert, dieselbe bezaubernde Hingebung beherrschte es, welche ihr beim Gesang eigen war.

Günthers Antlitz blieb regungslos, fast war es Ironie, was aus den dunklen Augen zuckte.

»Und dennoch wäre es vermessen, sie zu besteigen,« entgegnete er fast schroff.

Sylvie atmete schneller, eine wachsende Ungeduld klang durch ihre Worte.

»Karl Theodor ist abgereist, anders, als er gedacht hatte!« flüsterte sie mit zauberischem Blick, richtete sich etwas empor und neigte sich näher zu ihm hin. »Ein Beweis dafür, daß ein Herz noch schwerer wiegt, als eine Fürstenkrone! Sie haben mir noch kein Wort darüber gesagt, Lehrbach, ist es Ihnen denn so ganz gleichgültig, wie meine Loose fallen?«

»Ich wünsche Ihnen das Glück in seiner schattenlosesten Vollkommenheit, Prinzessin!« – wehte es ihr steif und förmlich entgegen, »und hoffe, daß Ihnen das Leben so viel Rosen streut, als ich von ihm Lorbeer zu erringen hoffe! Mögen Ihnen in einer heiteren Zukunft die Dornen an den Blüten erspart bleiben, welche einem treuen Herzen so unheilbare Wunden schlagen können, und möge sich das Künftige so beglückend für Sie gestalten, daß Sie Vergangenes niemals zurücksehnen!«

Eine Falte hatte sich in die Stirn Ihrer 151 Hoheit gesenkt, dann lachte sie leise auf, neigte fast schelmisch den Kopf und legte vertraulich ihre Hand auf seinen Arm.

»Trotzkopf Sie! – Zürnen Sie noch immer?«

»Wie dürfte ich nur einen solchen Gedanken fassen, Hoheit!« Jetzt klang aus seinen Worten die Ungeduld.

Sylvie führte momentan das Spitzentaschentuch gegen die Schläfe, berauschender Duft wehte daraus empor, die kleine Fürstenkrone über dem Namenszug stach grell in die Augen.

»Ihr dürft's nicht, aber Ihr thut's!« flüsterte sie, »Ihr Männer werdet Tyrannen, sobald Ihr Euch Euerer Macht bewußt werdet! Da macht Ihr aus jedem Blütenzweig, den man Euch reicht, eine Geißel, und im mißtrauischen Zergliedern unserer Gunstbezeugungen entblättert Ihr die Rose und zerpflückt sie so lange, bis nur Dornen stehen bleiben!«

Sie hob schnell die Hand, brach eine halberschlossene Monatsrose von dem Blumentisch an ihrer Seite und reichte sie dem jungen Offizier hin. Der Ausdruck ihrer Züge, ihr Lächeln, ihre Worte ließen keinen Zweifel mehr, welch ein Recht sie ihm mit dieser Blüte schenkte, welch eine Aufforderung ihm hiermit »sub rosa« zu Teil wurde.

»Und was sagen Sie mir nun, Sie böser, allmächtiger Mann?« hauchte sie.

Hattenheims Herz stand still, fast schwindelnd preßte er die Stirn gegen die kalte Scheibe der zurückgeschlagenen Thür, seine Hände krampften sich wie zum Gebet gefaltet zusammen.

Günther nahm die Blüte und küßte die Hand der hohen Geberin.

Ein trotzig mokanter Zug hatte seine Lippen gekräuselt. Dann trat er zurück und sah auf sie hinab, wie Einer, der da triumphirt: »Das warst Du mir schuldig, Schicksal!«

»Ich sage Ihnen, Hoheit, daß ich bedauere, diese kostbare Blüte in keiner würdigeren Hand zu wissen!«

Sylvie zuckte empor. »Wenn mir dieselbe verdienstvoll genug erscheint, wäre dieser Zweifel wohl gelöst!«

Günther lächelte. »Diese Rose berechtigt ihren Empfänger, sich für den Glücklichsten der Sterblichen zu halten,« sagte er mit leisem Beben der Nasenflügel, »und ladet ihn ein, des Daseins glutenvollsten Becher an die Lippen zu setzen. Was in diesem Kelch geschrieben steht, heißt: ›Lebe! Sei überselig! Genieße auf dem höchsten Gipfel, welchen jemals der Fuß eines Irdischen erreichen kann! Offen steht Dir die Welt, und an ihrer goldenen Pforte steht die Liebe mit lächelndem Mund und winkt Dir ein berauschendes Willkommen!‹

»Wie glücklich muß diese Rose einen Mann machen, der mit aller Lust, mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele noch in eine solche Zukunft hineinjubeln kann!

»Wollte ich jedoch meine Brust mit dieser Blüte 153 schmücken, so hieße das, sie auf ein Grab legen, in welchem alle Hoffnung und alle Lebensfreudigkeit für immerdar eingesargt liegen!« Günthers Stimme war sehr fest, sein Antlitz sehr bleich und ernst geworden.

»Wer mit der Liebe abgeschlossen hat wie ich, Hoheit, der spürt kein Gelüste mehr, sich mit Rosen zu schmücken. Die Zeit liegt hinter mir wie ein Traum. Der Lorbeer, den Sie mir damals im Wintergarten gereicht, ist zum ernsten Symbol geworden, zwischen dessen bitterem Kraut die zarten Rosenblüten welken mußten, neben welchem keine lustige Farbe mehr passen will. Ich habe früher gelacht, wenn man von Einsiedlern sprach, und nun lenke ich selber in einen einsamen Weg, welcher mich als Einsiedler durch die Irrgänge des Lebens führen wird, ohne Kutte und Rosenkranz, Hoheit, aber auch ohne ein zweites Herz!«

»Lehrbach!« schrie Sylvie fast gellend auf und faßte in maßloser Erregung seinen Arm. »Sie reden im Fieber! Kommen Sie zu sich!« Ihr Auge blitzte, eine verkörperte Penthesilea stand sie vor ihm.

»Ja, Hoheit, haben Sie Nachsicht mit einem Kranken!« lächelte er sarkastisch, »Sie wissen ja, daß die Kapricen eines Grafen Lehrbach unberechenbar sind!«

Sylvie lachte schneidend auf; ein konvulsivisches Lachen, welches sie schüttelte. »Da haben Sie recht, bei Gott! Sie verstehen es, die Menschen 154 zu überraschen! Warum lassen Sie sich nicht bei dem Theater engagiren? Ich verspreche Ihnen einen großartigen Erfolg, denn eine solche Komödie, wie Sie den Leuten vorspielen, hat man noch nicht oft gesehen!«

Mit wildem Griff riß sie ihm die Rose aus der Hand und trat sie unter die Füße, ihr Antlitz war bleich bis in die Lippen hinein. »Ein Ritter, welcher seinem Orden keine Ehre macht, verdient nicht, ihn zu tragen!« zischte sie mit haßfunkelndem Blick, »und Leute, welche keine Rose zu würdigen verstehen, dürfen sich nicht wundern, wenn man sie in Zukunft nur die Dornen fühlen läßt!«

Sie maß ihn von oben bis unten, ein unaussprechliches Gemisch von Verachtung und zitterndem Zorn sprach aus ihren Blicken, dann wandte sie ihm brüsk den Rücken und rauschte durch die Thür. – – –

Hattenheim hatte zuerst in stummem, namenlosem Jubel die gefalteten Hände zum Himmel erhoben, dann überkam es ihn wie ein Schwindel, es war ihm, als müsse er sich dazwischenstürzen, um den Verwegenen an die furchtbare Tragweite seines Handelns zu gemahnen. Schon aber sah er die schimmernde Gestalt der Prinzessin im Thürrahmen verschwinden, sah Günther Lehrbach hochaufgerichtet, stolz und triumphirend stehen, um auf die zermalmte Blüte hinabzublicken. Er schlug die Portière auseinander, trat zu ihm und legte die Hand schwer auf seine Schulter.

155 »Günther, Unglückseliger, was nun?« fragte er mit versagender Stimme.

Da sah ihn der junge Offizier an, lachte schallend auf und schlang den Arm um den Nacken des Freundes.

»Nun werden wir eben Dornen fühlen, alter Junge!« rief er aufgeregt, mit blitzendem Auge und herausfordernder Bewegung des schönen Hauptes, »die schönen Tage von Aranjuez sind vorüber, jetzt treibt das Boot des Glückskindes auf hohe See hinaus und hört den Sturm durch die Segel wehn! Das ist seltener Klang, Reimar! Glück auf dazu! Jetzt will ich sehen, wie stark mein Arm ist!« 156


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