Nataly von Eschstruth
Gänseliesel
Nataly von Eschstruth

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Zweites Kapitel.

»Wie neu seid ihr in dieser alten Welt!«        
König Johann.   III. Auf. 4. Sc.    

Die Sonntagssonne strahlte über Schloß Stauffen. »Schloß« Stauffen? Man nannte es so, hörte es so nennen und dachte nicht weiter darüber nach, inwieweit der stolze Titel mit dem einfachen Träger in Einklang stand; wenn man aber von der westlichen Parkseite die hohe, graue Mauer vor sich sah, deren Giebel sich so altersschwach vornüber neigte, dann mußte es Einem unwillkürlich vorkommen, als senke Schloß Stauffen tief beschämt sein runzliches Angesicht, in gerechter Bescheidenheit und Anspruchslosigkeit auf die wohltönende Eloge des Volksmundes. Durch ein hohes, gewölbtes Steinthor betrat man den viereckigen, stellenweise gepflasterten Hof, auf welchen die Front des Schlosses seit langen, langen Jahren schon mit demselben deprimirten, Grau in Grau spielenden Angesicht hernieder schaute, griesgrämlich und mit hohlen Fensteraugen, wie ein alter Mann, welchem der viereckige, 33 kurze und massiv plumpe Turm mit dem grünlich schillernden Knauf wie eine Morgenmütze schief aufs Ohr gedrückt war. Bog man aber in den schmalen Weg zum Gemüsegarten ein, vorbei an der steinernen Auftreppe, über welcher das vielfach abgebröckelte Wappen Derer von Wetter prangte, durch eine kleine, grüne Lattenthür, überhangen von üppig treibenden Geisblattranken, und blickte sich den Schloßbau von dieser Seite an, so gewann er urplötzlich ein gänzlich verändertes Ansehen. Der grauköpfige Alte verwandelte sich in ein Rococofräulein, welches das weit vorspringende Dach mit lustig nickenden Grasbüscheln und den gurrenden Tauben dazwischen gleich einem chapeau à la jardinière auf das staubgepuderte Haupt gedrückt hatte. Eine rund vorspringende Steinterrasse blähte sich gleich dem Reifrock, und die enge Galerie, welche sich ihr an beiden Seiten anschloß, von wurmstichigen Holzpfählen gestützt, machte den Eindruck von spitzen Stöckelschuhen, auf welchen Demoiselle einherstelzte. Zwar zogen sich auch durch ihr Antlitz zahllose Falten und Schmarren, und die breite dunkel verhangene Terrassenthür lächelte gleich zahnlosem Munde darin, aber dennoch hing hie und da eine einzelne Jalousie gleich einem neckischen Schönheitspflästerchen schief in den rostigen Angeln, und gleichsam, als solle eine chiffonnirte Robe durch billige Hilfsmittel aufgefrischt werden, schlangen sich Epheu und wilder Wein in verschwenderischer Pracht, oft sogar 34 kokett bis unter das Dach empor gezogen, um und über die altersschwachen Mauern. Da nistete und zwitscherte es im lauschigen Gezweig, Kletterröslein hatten sich verstohlen in das Gerank gemischt und streuten im hohen Sommer den frischen Blütenschnee auf den grasigen Weg, ja, hier konnte man Stauffen ein Schlößlein nennen, aber ein schlafendes, idyllisches Traumgebild, wie es Frau Fama um das Lager ihres Dornröschens gebaut hat.

Poesie und Prosa streiften hier hart an einander, der malerischeste Teil des Gebäudes schaute auf den Gemüsegarten hernieder, auf Kohlköpfe, Suppengrün und schwadronirende Mägde, und wie traut auch die Rosen um den heimlichen Altan schmeichelten, es kam Keiner, ihren süßen Duft zu trinken, Keiner, in ihrem dämmernden Frieden zu träumen und ihren Kelch zu wonnigem, kurzem Glück zu brechen, sie blühten einsam und vergebens, bis der Herbstwind kam und ihre Blüten in den Staub wehte.

Alles war praktisch in Stauffen, zu praktisch oft, zum gerechten Erstaunen der Inspectoren und nachbarlichen Verwalter, welche sich nicht viel von den landwirtschaftlichen Kenntnissen des alten Rittmeisters von Wetter versprochen hatten. Als nämlich der Freiherr Bodo Wetter von Stauffenberg, ein vorzüglicher Oekonom, durch einen Sturz vom Pferde den Tod fand und sein kaum zweijähriges Töchterchen Josephine verwaist in dem alten Schloß, inmitten eines außerordeutlichen Landbesitzes, zurück ließ – 35 seine Gemahlin war ein halbes Jahr vor ihm in den kühlen Frieden der Familiengruft gebettet worden – da rollte am Vortage der Beerdigung eine alte Glaskutsche in den Schloßhof, aus welcher ein rüstiger Militär und eine stattliche Dame stiegen, um als neue Herren und Gebieter in Stauffen einzuziehen. Das war der jüngere Bruder des verstorbenen Freiherrn, Carl Bernd von Stauffen, der nunmehrige Vormund der kleinen Waise, welche von ihm und seiner Gattin mit herzlicher Liebe aufgenommen wurde. War ihnen doch das einzige, gleichalterige Töchterlein durch den Tod entrissen.

Rittmeister Bernd hatte, durch den jähen Umschwung der Verhältnisse genötigt, seinen Säbel, welchen er zwei Feldzüge hindurch in Ruhm und Ehren getragen hatte, seinem Landesfürsten mit schwerem Herzen zurückerstattet, bekam als letztes Zeichen herzoglicher Huld und Gnade das Bändlein des H.'schen Hausordens in das Knopfloch geknüpft und sagte dem bunten, leichtlebigen Getreibe der Residenz für immerdar Lebewohl, um sich in die Einsamkeit seiner Güter zu begraben. Die farbige Soldatenmütze auf dem Kopf, durchschritt er sein neues Reich, hatte von nichts eine Ahnung und für nichts die ausreichenden Kenntnisse, nahm die ganze »donnerwettersche Geschichte« militärisch, alterirte sich in hohem Grade über die verbummelte Haltung seiner Arbeitskräfte, trug sich lange Zeit mit der Idee, im Hof Reveille und Retraite blasen zu lassen, und hatte auf alle Vorschläge seines Inspectors nur ein 36 gutmütig einverstandenes: »Na natürlich, immer schlank weg!« Kühe und Schafe verstanden es absolut nicht, sich bei ihm einzuschmeicheln, er nannte sie höchst wegwerfend die »Mistremonten« und fand sie durchaus überflüssig; desto ostensibler bevorzugte er die Pferde und Hunde, legte mit viel Geschick und Passion ein kleines Gestüt an und teilte nun seine Zeit zwischen den Koppeln und Waldungen, welch letztere er als passionirter Jäger durchpirschte. Da war es kein Wunder, wenn Nachbarschaft und Gutsverwaltung etwas bedenklich dreinschauten und Stauffen mit prophetischem Blick bereits in den Wendepunkt des Krebses versetzten. Aber sie hatten sich geirrt! Als in den ersten Tagen mannigfache Entscheidungen und Gutachten an den Freiherrn herantraten, und die Leute die Befehle des neuen Gebieters einholen wollten, da geschah es wohl regelmäßig, daß der Rittmeister die Sache eine Zeit lang mit martialisch ernstem Aussehn überlegte, den Bart zwirbelte und schließlich die Hand wuchtig auf des Fragestellers Schulter legte, mit den Worten: »Wissen Sie was, mein Guter? Gehen Sie mal zu meiner Frau! Der habe ich schon Alles auseinandergesetzt, wie ich das Ding haben will, ich bin momentan sehr beschäftigt, kann mich im Augenblick durchaus nicht darauf besinnen, aber meine Frau weiß es ganz genau, die ist ja auf dem Lande aufgewachsen!« Und Herr von Wetter blies ein paar sehr respekteinflößende Dampfwolken aus seiner Jagdpfeife und schritt hastig weiter. Wenn die 37 Leute aber zur gnädigen Frau kamen und sahen die hohe, markige Gestalt mit den kurzen, resoluten Bewegungen, den klugen Grauaugen und den energisch geschweiften Lippen, dann wußten sie ganz genau, wer der zukünftige Herr und Gebieter auf Stauffen war. Mit sehr aristokratischen kleinen Händen faßte Frau Renate von Wetter, geborene Gräfin Malwitz, die Zügel der Verwaltung, um sie in eiserner Konsequenz, klug und umsichtig, praktisch und sparsam, wie ein weiblicher Feldherr in Haus und Hof, Flur und Feld zu führen.

In tiefster Einsamkeit zogen die Jahre dahin, verwischten mehr und mehr jede Spur vergangenen höfischen Lebens, streiften allmählig die Glacéehandschuhe von den Fingern des alternden Ehepaares und streuten den feinen Aschenregen nüchternster Prosa über Schloß und Bewohner, welcher erbarmungslos die zarten Blüten der Eleganz erstickte und dem Zeitgeist in landesüblicher Renitenz Thür und Thor versperrte. Nur möglichst praktisch, möglichst sparsam, um für Josephinchen Zins auf Zins zu legen, um dereinst sich selbst mit stolzer Genugthuung sagen zu können: »Wir sind gute Wirtschafter gewesen und haben das Deine erhalten und vermehrt!« So schwand einförmig Tag um Tag, zog unbemerkt die Silberfäden durch Tante Renatens Scheitel, gleich dem Reif, welcher welkende Blumen trifft, und streifte mit rosigem Kusse die Stirn Josephinens, wie der Frühling, wenn er Knospen zur Blüte weckt. Lieblich wie die Blume der Haide 38 wuchs das junge Mädchen empor, der brave Dorfpfarrer und die alte Gouvernante, deren Treue größer war als die Schulweisheit, welche sich auch bei ihr von gar Manchem nichts träumen ließ, leiteten ihren Unterricht, bei welchem Onkel Bernd oftmals über die Schwelle stolperte mit eifrig blinzelndem: »Du, Phine! Komm' flink mit, unten am Teufelskessel hat der Förster einen neuen Fuchsbau entdeckt, kannst Dir mal die rote Bagage zur Kritik beordern!« oder: »Du, Phine, die Fohlen sind ausgebrochen, setz' Dich mal auf Deinen Braunen und hilf treiben!« Dann zog wohl Mademoiselle erschrocken die Brille von der Stirn auf die Nase nieder, machte Augen und Mund gleich weit auf und rief schmerzlich: »Mais non!« Aber es hörte Niemand mehr, vier Nägelschuhe polterten die Treppe hinab.

So war Fräulein von Wetter siebzehn Jahre alt geworden, Kind an Herz und Seele, Kind an Wollen und Wünschen, die verzauberte Märchenblüte der Einsamkeit, zu welcher erst der rechte Königssohn kommen mußte, um des Kelches tiefe Pracht aus träumender Knospe zu küssen.

Die Sonntagssonne über Stauffen! Da stand sie am tiefblauen Himmel, lugte schräg durch die dichtlaubigen Kastanienwipfel auf den Schloßhof und lachte das neugierige kleine Fräulein aus, welches bereits seit zwei Stunden in ganz kurzen Intervallen die hohe Steintreppe hinab an das Hofthor lief, um die Ebereschenallee entlang zu spähen, dann aber mit 39 ungeduldigem Gesichtchen an das Souterrainfenster zu eilen und zu rufen: »Noch keinen Kaffee ausgießen, Hanne! sie kommen noch immer nicht!« »Sie!?« Wußte denn Hanne, die hohe, dürre, rührige Küchenmagd überhaupt, wer damit gemeint war? Gewiß, ganz Stauffen wußte es, denn außer zum Neujahrstag kehrte seit Jahren kein fremdes Wesen im Schlosse ein, und damit war auch Josephinens eifriges Zünglein gerechtfertigt.

»I, wo werd' ich denn!« schüttelte Hanne den rotblonden Kopf, »die gnäd'ge Frau macht'n heut selbst, sogar mit 'nem neuen Kaffeebeutel, damit der alte Geschmack uns nicht die neue Sorte verdirbt, 's gibt heute von dem bessern, Sie wissen ja, Fräulein Phinchen, den Neujahrsjava, das halbe Pfund zu 80 Pfennig.« Das gnädige Fräulein nickte sehr zufrieden. »Natürlich, es kommt ja Besuch, und was für welcher! Auch die guten Tassen hat die Tante rausgethan!«

»Und Kuchen gebacken, wie zu hohen Festen!« nickte Hanne anerkennend, mit dem Daumen über die Schulter zurück nach der Speisekammerthür deutend, »sogar mit Krümeln drauf, wie vor sieben Jahren, als der Manöveroberst hier war, du lieber Gott ja, damals ging's auch splendid hier zu, sogar schon zum Frühstück Wein auf dem Tische, geschweige denn zum Essen, wo es zu gleicher Zeit Fische und Putenbraten zu einem Mittag gab!«

Josephine seufzte mit strahlenden Augen: »Ach, wenn wir's auch jetzt mal so schön machen dürften, 40 Hanne, was meinst Du, ob's die Tante thut?« und das Köpfchen neugierig durch's Fenster steckend, flüsterte sie eifrig: »Zeig' mal den Kuchen, wie groß er ist!«

»I du lieber Gott, wie kann ich denn?« schüttelte Hanne resignirt, »die gnäd'ge Frau hat doch den Schlüssel in der Tasche!«

»Ach so – na, er wird schon reichen! – wie viel Eier –«

»Phine! Schwatzliese! Wo steckst Du denn wieder?« klang eine tief gefärbte Frauenstimme aus dem Fenster der ersten Etage nieder; Tante Renates graues Haupt, auf welchem die statiöse Sonntagshaube mit den breiten lila Bändern schwankte, erschien in dem grau steinernen Rahmen und spähte mit Falkenaugen hinab.

»Hier! ich bin am Küchenfenster bei Hanne! Was soll ich denn?« antwortete die Gerufene mit übermütiger Schwenkung in den Sonnenschein tanzend und so tief knixend, daß die steifgestärkten weißen Kleiderröcke auf dem Pflaster rauschten.

»Affenschwanz! Stipp doch nicht mit dem frischen Kleid in den Staub! . . . Umgedreht! . . . Wahrhaftig, da hat die wilde Hexe schon wieder auf der Mauer gesessen, Alles glatt gedrückt und Halme an der Schärpe! – Na, mir ist's ja egal, wie Du aussiehst, wenn die fremden Leute kommen, aber wundern werden sie sich, daß ein Mädchen seinen besten Staat so zurichtet!«

Josephine schüttelte sich wie ein Pudel. »Ein paar Heuhalme, die ein Wagen im Vorüberfahren 41 abgestreift hat!« rief sie leichtsinnig, die trockenen Verräter geringschätzend hinzeigend, »Flecke hat's ja gar nicht gegeben! – Tantchen!?«

»Was denn?«

»Wirf mir doch, bitte, mal den Speisekammerschlüssel herunter!« schmeichelten die roten Lippen.

»Papperlapap! Das hieße den Bock zum Gärtner setzen! Schnell herausgekommen, Mamsellchen, hilf mir die Ueberzüge von den Möbeln nehmen!«

»Ueberzüge? – Wo denn?« wunderte sich Fräulein von Wetter mit großen Augen.

»Na, in den guten Stuben, Dummkopf! ich muß sie doch für die Gäste aufschließen!« – Und Tante Renates Kopf zog sich zurück und ließ der weißen Mullgardine freie Bahn, welche sich hoch aufblähend der seltenen Freiheit erfreute.

Mit glühenden Wangen stürmte Josephine die Treppe empor, begrüßt von einer energischen Zugluft, welche den Geruch frisch gescheuerter Dielen auf feuchten Schwingen mit sich trug. Der weite, saalartige Korridor der ersten Etage knirschte unter fein gestreutem weißen Sand, die Thüren, welche darauf mündeten und welche Josephine nur geheimnißvoll verschlossen kannte, standen sperrangelweit offen, und in der vordersten erschien just Tante Renate, eine gewaltige leinene Schürze über das grauseidene Kleid gebunden, dessen oeils de paon wehmütig auf einen schönen, lang entschwundenen Geschmack zurückschielten! In der Hand hielt sie den Federbesen und eine sehr zierliche, buntgemalte Porzellanfigur, 42 aber sie klemmte den ersteren unter den Arm, blies die geröteten Wangen auf, wie die Engelein, welche dem Sturm voranfliegen, und pustete unbarmherzig auf das zarte Fräulein los.

»Man sollte es gar nicht glauben, was das für Staubfänger sind!« grollte sie dem jungen Mädchen entgegen, »Jahr aus Jahr ein alle Fensterläden geschlossen, und dabei liegt's wie ein grauer Schleier über allen Sachen, – Gott sei Dank, daß die Möbel verwahrt gewesen sind, sonst könnten wir am Ende den Motten Proste Mahlzeit wünschen!« Und sie wandte sich nach dem Zimmer zurück und sagte kurz: »Faß' mal mit zu, daß mir den Kattun abziehn!«

Mit großen Augen schaute sich Josephine um, schritt auf den Zehen der Tante nach und hustete krampfhaft auf; ein scharf beitzender Geruch drang ihr entgegen und nötigte sie, der Tante letzte Worte eifrig zu beniesen.

»Riecht's immer noch nach Kampher und Pfeffer hier?« fragte die Freifrau erstaunt, »ich habe ja schon die ganze Zeit die Fenster aufgesperrt und empfinde gar nichts mehr, oder ob ich's jetzt nur gewohnt bin?« fügte sie im Selbstgespräch hinzu, trat an das hochbeinige Sopha und begann, etliche Bandschleifen an der Lehne aufzuziehen.

Josephine blickte sich sprachlos um. Die Erinnerung aus der Manöverzeit erwachte in ihr, wo diese kühlen, dämmerigen Zimmer mit den wunderlichen Möbeln, den großen Oelbildern an der 43 Wand, deren ernste Gesichter unter weißen Perrücken und Federhüten so gespenstisch auf sie niederblickten, wo all' diese fremden, bunten Kostbarkeiten wie ein Traum an ihr vorübergezogen waren. Dann hatte Tante Renate die braungeschnitzten Thüren wieder abgeschlossen, und die erste Etage lag öde und grabesruhig im alten Schlafe, kein Mensch dachte auch nur daran, jene Zimmer zu betreten, welche von Niemand vermißt und von Niemand erwähnt wurden. Heute aber flutete der Sonnenschein durch die geöffneten Scheiben, deren letzte soeben noch von dem Hausmädchen die blinden Aeuglein geputzt bekam, die schweren, grünseidenen Damastvorhänge mit den abgeblaßten Seidenfranzen knisterten entrüstet unter der Berührung des ungewohnten Luftzuges, und die dickköpfigen Chinesen aus goldgrundigem Ofenschirm blickten so dumm und verschlafen drein, als blende sie die plötzliche Helle. Aus hohem Glasschrank lockte es mit tausend Wundern! Allerliebste Nippes, gemaltes Porzellan und eingelegte Perlmutterkästchen, dazwischen große, fremdländische Muscheln und Korallenzweige, wer kann's mit einem Blicke überschaun!

»Na Phine, wird's bald?!« erinnerte Tante Renate, »die Leute können ja jeden Augenblick schon kommen.«

Fräulein von Wetter wandte sich hastig zurück und blickte fast erschrocken auf die Hände der Sprecherin, welche den prächtigen, blaublumigen Kattun von dem Sopha streiften, – du lieber Gott! 44 Da war ja die schönste, grüne Seide darunter, ebenso wie die Vorhänge! Das hatte sie sich allerdings nicht träumen lassen! Fiebernd in freudiger Hast half sie auch den steiflehnigen Sesseln ihr Mäntelchen ausziehen, blickte tief aufatmend über die seltene Pracht, huschte hin und her, rieb die Tischplatten und Kommoden ab, bat das herzallerliebste Tantchen himmelhoch, doch auch den häßlichen Müllsack von dem Kronleuchter zu nehmen, und schlang endlich die Arme jubelnd um den Nacken der Freifrau. »Aber eins mußt Du mir versprechen, Tanting, Pastors müssen es auch sehen!« Frau von Wetter murmelte etwas von Kinderei und Affigkeit, aber sie schmunzelte dabei, warf einen schnellen Blick rundum und schob das Pflegetöchterchen zur Thüre hinaus. »Marsch jetzt, damit der Parquetboden nicht unnötig vertrampelt wird!«

Auf der Treppe kam ihnen Onkel Bernd mit qualmender Pfeife entgegen. »Ei, du lieber Gott! Bleibst Du mir wohl mit dem Schornstein aus den guten Stuben, Olling!« klang ihm Tante Renates Stimme wie Trompetengeschmetter entgegen, »da sollte die grüne Seide bald die Bleichsucht kriegen! Rechtsum kehrt, Männchen, geh' heute mal in den Garten, wenn Du paffen willst!«

»Aber Renatchen, ist denn rein der Deuwel los . . . Himmel Bataille! Mottenkommission in der ersten Etage!«

»Phine, geh' mal in die Eßstube unten und stell' den Zucker auf den Tisch, da ist der Schlüssel!«

45 Tante Renate wartete, bis das weiße Kleid um die Treppenbiegung gerauscht war, dann neigte sie sich dicht zu dem Ohr des Gatten, welcher zwei Stufen tiefer stand, und flüsterte ernsthaft: »'s ist um des Kindes Willen, Bernd. Der Graf Lehrbach hat einen heiratsfähigen Sohn, und unsere Phine wird im October achtzehn Jahre alt, verstanden?«

Onkel Bernd schob seine wetterfarbige Husarenmütze mit gedehntem »Hum, Hum« von dem rechten Ohr auf das linke und sagte wehmütig: »Meinst Du, Alte? Ist unser Nestputch wahrhaftig schon flügge geworden? Wie die Zeit vergeht, hab's gar nicht gemerkt, daß mir die kleine Hexe über den Kopf gewachsen ist; na, in Gottes Namen, Renatchen, wenn's auch recht leer bei uns werden wird, die Rekruten schwärmen aus, und der Landsturm bleibt am Herd hocken,« und Onkel Bernd seufzte tief auf, klopfte seiner Frau wehmütig auf den Rücken und stolperte hastig die Treppe herunter.

»Alterchen!« rief's noch einmal von oben.

»Was denn, Mutterchen?

»Zieh erst reine Manschetten an, eh' der Besuch kommt, ich habe sie Dir schon rausgelegt!«

»Natürlich! Immer schlank weg!« nickte der Rittmeister zerstreut, tippte mit dem Finger in den kalten Pfeifenkopf und murmelte: »Ist mir die Phine doch wahrhaftig in den Tobak gefahren, vor lauter Schreck schmeckt's nicht mehr!« – – – – – –

Die Chaussee entlang rollte leicht und elegant auf Gummirädern ein Gefährt. Das gemalte 46 Wappen auf dem Wagenschlag, lichtgraue Atlaspolster und reich gallonirte Dienerschaft auf hohem Kutscherbock bildeten die aristokratische Physiognomie der gräflichen Equipage, welche Excellenz der Bequemlichkeit halber selbst mit auf Reisen führte. Denn Landwege sind ein horreur für angegriffene Nerven, und Excellenz bedurfte sorgfältigster Pflege, sollte er wirklich einen wohlthuenden Erfolg des knappen Urlaubs in all' den Aktenstaub heimbringen.

Tief zurückgelehnt in die schwellenden Kissen streifte er mit nachdenklichem Blick die vorübertanzenden Waldungen und Felder. Der leichte Luftzug spielte um das ergraute Haupt, unfähig, auch nur eines der penibel gekräuselten und frisirten Löckchen zu heben, welche, unter grauem Cylinder hervorquellend, die eingesunkenen Schläfen umrahmten. Schmal und bleich war das Antlitz, bartlos und scharf geschnitten; ein müder Zug lagerte um die Lippen und senkte zwei schlaffe Falten in die Wangen, – vornehm und reservirt fielen die Augenlider unter tief dunkeln Brauen bis fast über die Hälfte der Pupille und gaben daher dem Gesicht etwas Verschleiertes, Müdes, ohne jedoch den Blick zu dämpfen, welcher oft hastig, blitzend und schnell die Wimpern durchbrach. Die linke Hand war mit tadellosem Handschuh bekleidet und in den halbgeöffneten Rock geschoben; die rechte lag farblos und mager, die seidene Polsterquaste drehend, auf dem Wagenschlag.

47 Excellenz gegenüber saßen Job Günther und Hattenheim, beide in Civil, – der junge Graf mit ostensibel gewählter Haiderose im Knopfloch.

»Voilà papa! Das Terrain unseres Abenteuers!« rief er soeben, sich lebhaft zur Seite neigend. »Hier, auf diesem Heuhaufen thronte Gänseliesel mit der siebenpunktigen Krone auf dem Haupt und regierte mit assistance des Herrn von Goethe ihre capitolinischen Unterthanen!«

Der Minister lächelte und folgte mit dem Blick der Richtung, welche ihm Günthers Hand angegeben.

»Sehr originell!« sagte er mit leiser, etwas bedeckter Stimme, »ein Zufall, welchem Du entschieden eine Deiner reizendsten Skizzen verdankst! Ich freue mich darauf, das Original kennen zu lernen, – Natürlichkeit thut wohl!«

»Wie ein Schluck Quellwasser! – bien à propos bei sehr viel Durst geboten, cher pèere, für die Dauer würde man sich mindestens einen pikanten Tropfen Cognac hineinsehnen!«

Ein vorwurfsvoller, fast empfindlicher Blick Hattenheims traf den schönen Sprecher: »Wie undankbar, Günther! Ganz wie der wilde Knab', der ein Röslein bricht, sich kurze Zeit den Hut damit schmückt und es überdrüssig bei Seite wirft! Ich dächte, wen Haideröslein mit so herzigen Augen angeschaut hat wie Dich, der hätte nicht den Mut, aus Eitelkeit die sonnige Blüte zu knicken!«

»Sehr recht, lieber Reimar!« nickte Excellenz nachdenklich, Günther aber lachte hell auf, legte die 48 Hand klatschend auf die Schulter des Freundes und rief amüsirt:

»Beim grausigen Fegefeuer, Dicker, Du scheinst mich ja in dem fürchterlichen Verdacht zu haben, ich wollte Gänseliesel den Hof machen? – Mort de ma vie – ich will's nämlich auch! – aber nicht ernsthaft, – werde ihr nicht einmal die Hand küssen, denn dazu hat mir dieselbe mit Hintenansetzung aller Eitelkeit schon zu viel »Stickelbeer'n in 'Gaarden 'pluckt!« – und ihr Herzchen? Nehmen thue ich es mir faktisch nicht, Dicker, und wenn sie es mir unaufgefordert schenken sollte!« – Lehrbach zuckte die Achseln und warf keck den lockigen Kopf zurück: »Ob ich Dich liebe, was geht's Dich an? Gönnt doch der Kleinen das bischen Poesie einer unglücklichen Liebe! Was soll sie denn sonst in ihr Tagebuch schreiben? Wie Du mir, so ich Dir! Sie lieferte mir eine gute Skizze, und ich revanchire mich und verhelfe ihr zu der Quintessenz jeglichen Frauendaseins, zu einem Jugendtraum!«

Hattenheims frisches Gesicht schien bleicher als sonst.

»Scherz' nicht so grausam, Günther, Du verleidest mir die Fahrt!« entgegnete er gepreßt.

Der junge Graf neigte sich mit humoristischer Wichtigkeit zu seinem Vater, wies mit dem Daumen nach Hattenheim und flüsterte alterirt: »Du, Papa, sieh' Dir 'mal den Kerl an! Ich glaube, bei Gott, er ist verliebt!« Und sich übermütig umwendend und den Arm um den Nacken des Freundes 49 schlingend, lachte der Schalk aus seinen dunkeln Augen: »Dicker! Wüterich! Willst Du mich eifersüchtig machen? Dich Gänseliesels Anbetern einrangiren, hieße mir die Kugel durch den Kopf jagen!«

»Günther, wir fahren in den Hof!« klang die Stimme Seiner Excellenz, und mit abermaligem Blick in das ernste Auge Hattenheims drückte der junge Graf ihm schnell die Hand: »Soyons amis, Cinna! Du sollst mit mir zufrieden sein!«

Die Freitreppe herab rauschte es gewaltig von weißen Batiströcken, ehe der Bediente vom Bock springen konnte, hatten schon zwei kleine Mädchenhände eifrig den Griff des Wagenschlages erfaßt und bemühten sich, daran zu rütteln, während die Blauaugen glückstrahlend zu Günther aufschauten, und Josephine hastig rief: »Endlich kommen Sie! Schon seit zwei Stunden habe ich auf der Mauer gesessen und Ihnen entgegen geschaut! Kommen Sie schnell herauf, schnell, schnell!«

Ratlos stand der Diener neben der jungen Dame, Günther jedoch faßte schnell deren Händchen, drückte es mit lachendem Willkommen und stieß gleichzeitig den Schlag auf, um mit gewandtem Sprunge neben Fräulein von Wetter zu stehen. »Sie sehen, daß der wilde Knabe Wort gehalten hat, meine Gnädigste,« rief er in sichtlicher Belustigung und verstummte in schneller Verbeugung gegen den alten Freiherrn, welcher in diesem Augenblick die Treppe heruntereilte, um etwas atemlos 50 und mit gesträubter Stirnlocke die Gäste, vor Allen aber Excellenz mit biederem Händedruck zu begrüßen. Höfliche Worte, heiterer Willkommen, die Anweisung an den Kutscher, auszuspannen, schwirrten momentan durch einander, dann trat der Minister plötzlich einen Schritt vor, reichte Josephinen mit freundlichstem Lächeln die Hand und fragte: »Haben wir hier etwa das Haideröslein in höchsteigener Person? Die kleine Schelmin, welche ehrbare Lieutenants so unverantwortlich düpirt? A la bonne heure! mein gnädiges Fräulein, Ihre kleine Mystifikation hat mich außerordentlich amüsirt!«

Josephine machte einen tiefen, feierlichen Knix. Wie ein goldener Heiligenschein lockte sich das Haar um die weiße Stirn, zart und frisch wie ein Rosenblatt blickte das reizende Gesichtchen zu ihm auf, und zwei Grübchen in die Wangen senkend, lächelte sie schalkhaft: »Ja, Herr Graf, ich habe die Beiden tüchtig angeführt! Für Bärbel hielten sie mich und glaubten, das Gänsehüten verstünden nur die Bauernmädel! Ach, wenn Sie die Gesichter gesehen hätten, wie man den Irrtum gewahr wurde!« – Und abermals schlug ihr helles Lachen wie Silberglocken an das Ohr des alten Herrn.

»Mein gnädiges Fräulein, Freund Hattenheim bittet auch um ein Wort des Grußes!« warf Günther lustig ein, den Erschrockenen energisch hinter Onkel Bernd hervorziehend.

»Ach, da sind Sie ja auch! Verzeihen Sie mir, bitte, ich hatte Sie ganz und gar vergessen!« rief 51 Josephine in reizendster Naivetät, reichte schnell die Hand hin und machte noch einen Knix.

Hattenheim ward sehr rot, verneigte sich und schwieg.

Da erschien Tante Renate in der Thür, machte Onkel Bernd hinter dem Rücken Seiner Excellenz ein verstohlenes Zeichen der Ungeduld, die Herren eintreten zu lassen, worauf der Rittmeister bestürzt den Arm des Ministers in den seinen legte und gehorsamst bat, näher zu treten.

Günther verneigte sich chevaleresk und folgte mit Josephinen. »Sie haben sich also wirklich auf uns gefreut und uns entgegen geschaut?« flüsterte er ihr zu. Die Kleine nickte eifrig. »Furchtbar gefreut!« versicherte sie.

»Auf Hattenheim auch?«

Die Kinderaugen sahen ihn erstaunt an, schnell schüttelte sie das Köpfchen. »Nein! Der ist so ganz anders wie Sie!«

»Aber er ist ein guter, braver Mensch!« Günthers Blick ruhte voll und zauberisch auf ihrem Antlitz.

»Du lieber Gott, wenn er bei so viel Häßlichkeit auch noch böse sein wollte!« Josephine verstummte erschrocken unter dem lauten Auflachen des jungen Grafen. »Armer Kerl!« klang's leise von seinen Lippen.

»Da ist Tante Renate!« Fräulein von Wetter gab den Arm des Offiziers frei und eilte hastig ihm voraus an die Seite der stattlichen Matrone, welche mit seidenrauschendem Kompliment Se. Excellenz 52 begrüßte und den chevaleresken Handkuß mit viel Grandezza entgegennahm.

»Unglaubliches Idyll hier!« raunte Günther in das Ohr des Kameraden, »sieh Dir mal die Alte an, Dicker! Die hat sicher ihre zwanzig Jahre unverändert in der Garderobe gehangen!« – Und er wandte sich der Genannten zu, klappte die Hacken zusammen und neigte den dunklen Lockenkopf in respektvollstem Gruße.

»Liebe Renate, willst Du Excellenz nicht hinaufbitten?« sondirte Onkel Bernd etwas unsicher den Schlachtplan seiner Gattin, »es ist droben wohl am kühlsten?«

»Gott bewahre!« schüttelte die Freifrau das resolute Haupt, »der Kaffee steht schon auf dem Tisch, und wenn man bei der Hitze fast zwei Stunden lang Chausseestaub geschluckt hat, dann bekommt man Durst. Bitte gerad' aus, verehrtester Graf, in die Eßstube!«

Wieder fühlte Hattenheim einen leisen Stoß gegen seinen Arm und sah mit halbem Blick das verräterische Zittern der Günther'schen Schnurrbartspitzen. Schon aber stand Josephine mit glückstrahlenden Augen neben den beiden Herren und flüsterte mit kaum verhaltener Ungeduld: »Kommen Sie doch schnell! Es gibt ja eine Ueberraschung!«

»Eine Ueberraschung?« rief Lehrbach eifrig, »dann bitte Sturmschritt, meine Herrschaften!« Und mit langen Schritten über die sandbestreuten Steinplatten schlurrend, eilte er den Voranschreitenden nach.

An dem runden Eßtisch, von zahllosen 53 Fliegenschwärmen etwas zudringlich begrüßt, wurde der Kaffee von Hanne im Sonntagskleid präsentirt; Lehrbachs Augen flogen in ruhelosen Blicken rund durch das Zimmer, und sich nach kurzer Pause zu seiner jungen Nachbarin neigend, fragte er mit gedämpfter Stimme: »Sie stellen meine Neugier auf eine harte Probe, meine Gnädige, die Ueberraschung beunruhigt mich und bringt mich ganz um den behaglichen Genuß dieses Mokkas! Also: Farbe bekennen! Was führen Sie im Schilde?«

Josephine lächelte in reizender Wichtigkeit. »Das haben Sie noch nicht gemerkt? Da steht ja die Ueberraschung auf dem Tisch! Wir haben ja extra Ihnen zu Ehren heute Kuchen gebacken!«

Graf Günther mußte momentan heftig husten, dann schlug er aber in naivster Freudigkeit die Hände zusammen und rief: »Richtig, da steht er! Und wie delikat und lockend! Gewiß von Ihren reizenden kleinen Händen selbst angerührt! Bitte dringend um das größte Stück, mein gnädiges Fräulein, denn solche Delikatesse muß gewürdigt werden!«

Mit strahlendem Gesichtchen zog Josephine den Teller heran und deutete auf ein gigantisches Randstück: »Dies hier! Dies ist's größte!«

»Alle Achtung, meine gnädige Frau, selbstgebackener Kuchen?« lächelte nun auch Excellenz verbindlich, »und sogar ein Meisterstück des Haiderösleins? Dem zu Ehren muß selbst ich zulangen, der sonst ein erklärter Feind aller Süßigkeiten ist!«

»Phine Kuchen backen?« Tante Renates grelle 54 Haubenbänder wogten heftig auf. »Nein, bester Graf, das möchte ich den Mandeln und Rosinen nicht zu leide thun, sie würden wohl niemals Bekanntschaft mit Milch und Mehl machen! Mein Alter hat mir das Mädel viel zu verkehrt gewöhnt, statt in die Küche, mit auf die Treibjagd, statt an den Nähtisch, auf ungesattelte Pferde! Wie viel Fohlen in der Hürde und wie viel Rehböcke im Revier sind, das weiß das Mamsellchen ganz genau, aber die Kochtöpfe herzählen?! Du lieber Gott, ist ja auch erst siebzehn Jahre, mag sich noch ein Weilchen der goldenen Freiheit erfreuen!«

»Das denke ich ja auch, Renatchen!« räusperte sich Onkel Bernd etwas verlegen, und Excellenz wußte mit diplomatischer Gewandtheit beiden Gatten Recht zu geben.

Günther hatte während dessen seine Kaffeetasse zum Munde geführt, als er sie wieder niedersetzte, zog Hattenheim erschrocken seinen Fuß unter den Stuhl, denn des Freundes eleganter Lackstiefel signalisirte in fühlbarer Weise. –

»Mit Zucker versehen, Excellenz?« – Der Rittmeister offerirte die Krystallschaale mit gestoßenem Zucker, welche der Minister momentan unschlüssig in der Hand hielt.

»Phine! Du hast den Löffel vergessen!« gab die Freifrau einen energischen Wink, »Sie müssen nämlich wissen, Herr Graf, daß bei uns nur gestoßener Zucker auf den Tisch kommt«, fuhr sie trocken fort, »die Mägde haben mir den 55 Würfelzucker immer mit vollen Händen aus dem Schrank gestohlen, selbst in dem kurzen Augenblick, wo er hier auf dem Tisch steht, da habe ich gestoßenen genommen, und gedacht: »so ihr Spitzbuben! nun versucht's mal und steckt'n noch in die Tasche!« –

Wieder retirirte Hattenheims Fuß unter den Stuhl, Excellenz aber lachte amüsirt auf, und wußte Tante Renate als praktische Hausfrau mit liebenswürdigsten Worten anzuerkennen. –

Nach und nach löste der Kaffee Onkel Bernds Zunge, alte Erinnerungen aus der Residenz tauchten auf und wurden besprochen, gemeinsame Bekannte fanden sich, viel unglaubliche Veränderungen der Stadt, der Menschen, manch' treue Seele längst in den kühlen Rasen gebettet, manch' alter Freund aus des Rittmeisters Regiment auf dem Gipfel strategischer Höhe.

Man war hinaus in die Staatszimmer gegangen, hatte sich ganz kurze Zeit etwas befangen und hustend darin aufgehalten und folgte dann dem dringenden Wunsch Sr. Excellenz, zum Garten hinabzugehen, um in schattiger Laube zu sitzen, oder den Park zu besichtigen, man muß ja die liebe Sommerszeit nach Möglichkeit ausnutzen! Damit schien Tante Renate sehr einverstanden zu sein, ließ sich von Excellenz den Arm bieten und schritt die Treppe wieder hinab.

»Heiliger Gott, ich bekam fast Stickkrämpfe da oben!« raunte Günther in das Ohr des Freundes, 56 »ich bin überzeugt, die erste Etage wird alle Jubeljahre einmal gelüftet, wenn hoher Besuch kommt, oder Hochzeit oder Kindtaufe ist, es roch ja verteufelt nach Pfeffer und Kampher, ich habe im ganzen Leben noch nicht so oft niesen müssen, wie in dem einen kleinen Käfig mit der grauenvollen Rosentapete, die Baronesse Gänseliesel von uns Allen am meisten bewunderte, gräßlich! Wie kann ein Christenmensch solches Kuhfutter auf den Wänden dulden!« Und der junge Graf hustete in der Erinnerung noch einmal auf und fügte laut hinzu: »Allerliebster Garten hier, charmante Laube, gnädigste Frau!«

Excellenz erzählte von den ewig grünen Lorbeerwäldern Italiens und sagte freundlich: »Pardon für diese botanischen Weitschweifigkeiten, die Jugend beabsichtigt gewiß einen Gang durch die Parkanlagen?« Und er ließ sich etwas ermüdet auf den Rohrsessel nieder, welchen Onkel Bernd bereits seit zehn Minuten offerirte.

»Parkanlagen?« Josephine lachte fröhlich auf, »die gibt's nicht mehr bei uns, da werden schon seit ein paar Jahren Himbeeren und Erdbeeren und Rüben und Braunkohl gezogen, weil's doch schade um die großen, unnützen Rasenflächen war!«

»Und die Bosquets und die Eichenwaldung habe ich zu einer Koppel umgewandelt!« fiel der Rittmeister eifrig ein, »da werde ich die Herren nachher einmal hinführen, brillante Fohlen, reines Vollblut!«

Die beiden Husaren horchten eifrig auf und 57 traten interessirt näher, Josephine aber rief bittend: »Ach, jetzt noch nicht, lieber Graf, jetzt wollen wir erst Pastors holen, damit sie sich 'mal oben die Stuben ansehen können!«

Onkel Bernd räusperte sich verlegen, Günther aber verneigte sich chevaleresk. »Selbstverständlich, mein gnädiges Fräulein, Sie haben nur zu befehlen!«

»Ach, das ist reizend, kommen Sie, bitte, schnell,« und Josephine wandte sich eifrig zur Gartenthür, »warum zögern Sie denn noch?!«

»Pardon, meine Gnädigste, ich glaubte, Sie würden erst Hut und Handschuhe holen« – –

»Handschuhe?! Hut?! hier im Dorf?!« Josephine schüttelte sich vor Lachen und warf die blonden Flechten zurück, »ich habe mein Lebtag noch keine Handschuhe angehabt, außer zu meiner Konfirmation, und wie wir 'mal zum Jahrmarkt in die Stadt gefahren sind! Und nun jetzt zu Pastors!« Und abermals zeigte sie im hellsten Vergnügen die kleinen Zähne und klappte die Thür auf. »Kommen Sie nur schnell! Sie brauchen auch keinen Hut aufzusetzen!«

Mit wenig Schritten war Günther an ihrer Seite, Hattenheim folgte langsamer.

»Aber Fräulein Josephine, sind Sie denn gar nicht um Ihren reizenden Teint besorgt?!« Lehrbach neigte sich mit dunklen Augen zu der jungen Dame nieder.

»Teint?« Josephine blickte fragend auf, als 58 müsse sie erst die Bedeutung dieses Wortes überlegen, dann fuhr sie schnell fort: »Ah so, Sie meinen, ob ich keine Angst vor Sommersprossen habe! Nein! gar nicht, obwohl ich sie nicht hübsch finde, Pastors Gretchen hat einen ganzen Sattel auf der Nase.«

»Wie fatal! Wie alt ist denn die junge Dame?«

»Letzten Mittwoch achtzehn Jahre alt geworden!« erklärte Fräulein von Wetter eifrig, »aber der Friedel, der jetzt in der Stadt studirt, ist der Aelteste, der wird zwanzig alt!« Und mit großen, feierlichen Augen zu dem jungen Offizier aufblickend, fügte sie hinzu: »Vor dem werden Sie gewiß auch so viel Respekt haben wie wir, er ist nämlich ein Dichterling!«

»Was ist er?« Lehrbach neigte sich näher, »Dichterling? Was ist das für ein Gewächs?«

Fast vorwurfsvoll sah ihn Josephine an. »Nun mein Gott, Einer, der Gedichte machen kann!«

»Ah so, ein Dichter!«

»Nein, das ist er noch nicht ganz, weil noch nichts von ihm gedruckt worden ist!« erklärte Josephine würdig, »und so lange er noch nicht berühmt ist, heißt er noch nicht Dichter, sondern Dichterling!«

»Hast Du gehört, Hattenheim? Man lernt nie aus im Leben!« und Günthers Bartspitzen zitterten unter verhaltenem Lachen.

Schon von Weitem erscholl den Nahenden aus dem Pfarrhause ein Jubel entgegen, welcher 59 unzweideutig zu versichern schien, wie angenehm der Besuch sei; da wimmelte es plötzlich von Blondköpfen um sie her, vom lichtesten Silberblond bis zum höher und höher wachsenden Gold-, Asch- und Dunkelblond, Buben und Mädchen, so zahlreich, so vergnügt und so herzerquickend zutraulich, daß die jungen Offiziere in Betracht ihres zartfarbigen Civils vorsorglich hinter das gnädige Fräulein retirirten.

Die Pastor'schen Sprößlinge hatten nämlich gewaltige Brodschnitten zum Willkommen geschwenkt, Schnitten, welche dick mit dunklem Kirschmus gestrichen waren, dessen Spuren in indianischer Tätowirung die rosigen Gesichtlein zeichneten.

»Mama ist krank! Mama ist krank!« jauchzte es aus sechs Kehlen den Ankömmlingen entgegen, und selig im Verkünden dieser veritablen Neuigkeit, umringten sie Josephine und überschrieen sich im Verkünden der Details.

»Eure Mama ist krank?« wunderte sich Fräulein von Wetter, ließ sich erzählen, daß die Frau Pastorin beim Muskochen den Arm verbrüht habe, hielt geduldig still, als sich so und so viele Hände hoben, um »das prachtvolle Kleid« zu bewundern, und verkündete schließlich den Zweck ihres Kommens.

»Die guten Stuben dürfen wir sehen?!« erhob es sich wie Trompetengeschmetter im Kreise, »Hurrah, wir dürfen in die Etage!« Und wie der Wirbelwind sauste es zu der steinernen Treppe zurück, auf deren Schwelle soeben die älteste Schwester Gretchen, rot, 60 drall und urgesund, erschien, um mit verlegenem Knix den Besuch zu empfangen.

»Dicker, süßer Dicker, hier finde ich ja Skizzen, wie sie sich die Prinzessin nicht träumen läßt!« flüsterte Günther in das Ohr des schweigsamen Freundes; »diese Pastorfamilie verdient sich Gottes Lohn an Modells! Die kleinen Flachsköpfe in ungewaschener Natürlichkeit, das 150 Pfund schwere Gretchen als beste Rekommandation der guten Landluft, nun haben sie hoffentlich noch einen Candidaten im Hause, welchen man mal bei Tisch, vor vollem Teller skizziren kann!«

Hattenheim lächelte gutmütig und seufzte: »Die Menschen sind glücklich hier, Günther, und wenn wir noch so viel Grund haben, uns lustig über sie zu machen, ich glaube, kein Einziger von Allen möchte mit uns tauschen!«

Lehrbach brach sich einen Jasminzweig, welcher über Pastors Gartengitter hing, und atmete den süßen Duft: »Gott sei Dank, daß der Geschmack verschieden ist, alter Junge, der Gedanke, auch nur ein Jahr meines Lebens hier vertrauern zu müssen, läßt mich frösteln. Außerdem bin ich überzeugt, daß Du Dich irrst. Die kleine Josephine ist nur glücklich hier, weil sie nichts Anderes kennt; einen einzigen Winter mal Hofluft atmen, Gaslicht sehn und Walzer tanzen, und Groß-Stauffen würde ihr vorkommen wie ein Grab, welches die köstlichen, kurzen Minuten eines Menschenlebens in grauenvollster Trägheit und Oede verschlingt. Wie möchte ich es 61 dem armen kleinen Wesen wünschen, aus diesem langweiligen Scheinleben und Traume einmal zur bunten, sonnigen Wirklichkeit zu erwachen!«

Der junge Graf verstummte, denn aus der Hausthür kugelte und stolperte das wilde Heer der Flachsköpfe, welche, sauber gewaschen und übergekämmt – »Danaïdenarbeit!« schüttelte Günther das Haupt – von Josephine und Gretchen gefolgt, jubelnd die fremden Herren umringten, um den Weg zum Schlosse einzuschlagen.

»Keine Rose ohne Dorn!« murmelte Günther und stürmte davon, um unter schallendem Gelächter den frechsten der kleinen Flachsköpfe zu haschen. – 62


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