Nataly von Eschstruth
Gänseliesel
Nataly von Eschstruth

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Vierzehntes Kapitel.

»Sich seh' die Netze, die Dich rings umgeben.«
Schiller.            

In die geräumige Eckstube des Parterres, das Schmuckkästlein der Frau Oberförsterin, waren die hohen Gäste unvermutet, wie die lieben Sonnenstrahlen draußen, hereingewirbelt. Gewaltige Hirschgeweihe, gekreuzte Büchsflinten und altmodische Stahlstiche zierten die grell blau tapezirten Wände, spiegelblanke Nußbaummöbel standen in etwas steifer Ordnung Parade, und auf dem Fensterbrett blühten Krokos und Hyazinthen neben dem breit aufgespannten Asklepiastock.

Da hatte die Großmutter Oberförster gerade auf dem bequemen Rohrsessel vor dem Nähtischchen gesessen und mit großer Hornbrille auf der Nase an dem roten Kinderjäckchen gestrickt, welches dem schreienden Enkelchen im Korbwagen drüben zum ersten Geburtstagsangebinde werden soll, als sie es plötzlich wie die wilde Jagd auf dem Pflaster draußen knattern hört, und Prinzeß Sylvie in höchsteigener 30 Person hoch zu Rosse unter dem alten Eichbaume hält. Hinter ihr her und von der andern Seite ihr Gefolge, lachend und rufend . . . . kaum, daß der alte Oberförster seinen grünen Uniformsrock noch überwerfen kann. Man war an dergleichen plötzliche Visiten schon im Forsthause gewöhnt, und darum hatte auch die junge Frau stets die weißgestickte Schürze und das rotbraune Sonntagskleid »marschfertig« hinter der Kammerthür hängen.

Großmütterchen warf schnell die buntbenähte Decke über ihre Arbeit, wischte hastig im Vorbeieilen noch einmal mit dem Aermel über die blanke Tischplatte und zog im Hausflur die größeren Enkel energisch mit sich in die Küche.

»Ihr sollt keine Maulaffen feil halten!« raunte sie streng, »helft lieber das Feuer unter dem Herde schüren, daß die Prinzessin nicht zu lange warten muß!« Und sie trippelte aufgeregt nach der Speisekammer, um die Ingredienzen des so beliebten und stets befohlenen Eierbieres zusammenzuholen. Während dessen hatte es sich Prinzeß Sylvie schon auf dem grünen Ripssopha unter dem gestickten Haussegen bequem gemacht. An ihrer rechten Seite streifte Detlef die Handschuhe aus, zur linken lag Graf Lehrbach in einem Armsessel und rieb sich die erstarrten Hände.

Hattenheim und d'Ouchy zogen den großen Sorgenstuhl aus der Ofenecke für Josephine herzu, und Fräulein von Dienheim stand noch inmitten der Stube, machte lebhafte Schwingungen mit den 31 Armen und reckte und dehnte sich im Rücken. »Wie eine Krähe, die mit den Flügeln schlägt!« kritisirte Günther zu allgemeinem Ergötzen. Dann erzählte Sylvie ihren Unfall im Morast, schimpfte weidlich auf den unschuldigen »Cäsar« und nannte Fräulein von Wetter in rückhaltloser Anerkennung »ein Mordsfrauenzimmer, das besser reitet als wir Alle zusammen!« Dann zankte sie sich mit ihrem Bruder, welcher die Wette unter diesen Umständen für absolut ungültig erklärte, da die löbliche Hand der Gerechtigkeit und Vorsehung den »Schmuh« der Damen entlarvt hätte!

»Der Waldweg war ausgemacht, und Ihr seid den Zustreckeweg über die Wiesen geritten, also müßtet Ihr von Gottes und Rechtswegen noch energisch in Strafe genommen werden!« schloß er seine Rede mit einem nachdrücklichen Gertenschlag auf der Försterin ängstlich gehüteten Nußbaumtisch.

»O, öffnet eure Augen, blinde, bethörte Männer, und sehet, wie das Weibervolk euch voller Arglist täuscht!« summte Günther mit verschiedentlichem Aufseufzen vor sich hin, hob die schlanke Hand und machte eine negative Geste, »nee, nee, Hoheit, mit dem Frühstück ist es diesmal nichts, wir wollen mit der Försterin Eierbier vorläufig auf gute Besserung der Damen anstoßen!«

»Bon! Ich gebe meine Wette als ehrliches und rechtschaffenes Gemüt verloren,« lachte Sylvie schließlich, »und werde meinen Tribut bezahlen, wenn auch nicht durch selbstgestickte Teppiche oder 32 Austernfrühstücks bei Boppart. Raten Sie einmal, Fortunatus, womit ich Sie zu regaliren gedenke?«

Günther hob mehr höflich als eifrig den Kopf. Er hatte gerade Betrachtungen über die Hand des Gänseliesels angestellt, welche, weiß und gepflegt, durch nichts mehr an die braune, ungeschonte kleine Faust von ehemals erinnernd, auf der breiten Sessellehne ruhte. Er war zerstreut und versuchte das durch ein interessant nachdenkliches Gesicht zu cachiren.

»Ich wage nicht, meine unbescheidenen Hoffnungen und Wünsche laut werden zu lassen, Hoheit,« lächelte er resignirt, »aber ich vertraue Ihrem excellenten Geschmack blindlings und applaudire voll Entzücken schon im Voraus jeglichem Ihrer originellen Einfälle!«

»Gut gebrüllt, Löwe, noch einmal brüllen!« hatte Fräulein Ilse aus dem Hintergrund zu bemerken. Sylvie aber stützte die Wange in die Hand und blickte dem jungen Grafen stracks in die Augen.

»Ich werde Ihnen einmal etwas vorsingen!« sagte sie kurz.

Jubelnder Beifall erhob sich.

»Famos, Schwesterchen! Das ist eine reizende Idee von Dir und eine sehr praktische dazu,« lachte Detlef etwas übermütig auf, »strengt im schlimmsten Falle die Kehle und in keinem Falle den Geldbeutel an. Hut ab! Aber Du erlaubst, daß wir Klauseln machen und als wohlberechtigtes Auditorium wenigstens das Programm aufsetzen, außerdem sind wir 33 aber von der großen Auszeichnung, welcher Du uns würdigst, vollkommen überzeugt!«

Sylvie klopfte ihn persiflirend auf die Schulter und fuhr in seinem Tone fort: »Bitte aber dringend um ein kräftiges Souper vor und nachher, um diese musikalische Ehre aushalten zu können! Nicht wahr, mein Jungchen, diesen Nachsatz verschlucktest Du der praktischen Schwester gegenüber? Na, meine Herrschaften, damit Sie sehen, daß ich mich nicht mit fremden Federn und Eigenschaften schmücken will, verzichte ich auf das Renommée einer sparsamen Hausfrau und lade Sie hiermit Alle zu einem Souper nach dem Musikgenuß ein, dessen Menu ich höchstselbst mit allem Raffinement aufsetzen werde.«

Baron d'Ouchy wandte sich lebhaft zu der Prinzessin: »Das Maß Ihrer Huld und Güte voll zu machen, Hoheit, gestatten Sie Ihrem siegreichen Publicum wirklich das Programm Ihres Koncertes auszuwählen?«

»Meinetwegen!« Sylvie zeigte die weißen Zähne. »Jeder darf sich sein Lieblingslied bestellen, und wenn ich nur einigermaßen kann, werde ich es singen, nur gegen Eins verwahre ich mich, kein Requiem! . . . . Dazu mangelt es mir absolut an Routine!« Und sie warf den Kopf zurück, mehr übermütig als frivol.

In demselben Augenblick öffnete sich die Thür, die junge Försterin im sonntäglichen Staat trat tief knixend über die Schwelle, hielt das Präsentirbrett 34 mit den dampfenden Gläsern in den Händen und senkte tief erglühend den mit reichen Blondzöpfen geschmückten Kopf bei dem stürmischen »Hurrah, das Eierbier!« welches sie empfing.

Sylvie war sehr leutselig, lobte die Braukünste der kleinen Frau, fragte nach Haus und Hof und reichte sogar die Hand zum Kuß, als die verlegene Frau Försterin sich bescheiden wieder rückwärts koncentrirte. Dann faßte sie das große Tulpenglas des stark gewürzten Getränkes und hob es gegen Josephine. »Auf das Wohl der Reiterin ungesattelter Pferde!« rief sie heiter.

Die Gläser klangen zusammen. Dann schwirrte das Gespräch einen Augenblick durcheinander, bis Prinz Detlef die Stimme erhob und die Ansicht aussprach, daß Fräulein von Wetter unmöglich ohne Sattel heimkehren könne und als reizende Gefangene hier warten müsse, bis ein Wagen aus der Residenz zum Abholen geschickt werde.

»Selbstverständlich!« nickte Sylvie, »Sie sind das Opfer Ihrer Großmut geworden, liebe Wetter, und müssen nun den Kelch bis zur Hefe leeren, zwei bis drei Stunden Haft bei Brod und Warmbier, es klingt grausam, soll aber nach Kräften gemildert werden! Wer von den Herren wird als ritterlicher Schutz bei unserer aristokratischen Kunstreiterin zurückbleiben, um freiwillig ihr Exil zu teilen?«

Sämmtliche Herren erklärten sich eifrigst bereit, obwohl Josephine lachend versicherte, sie bedürfe hier weder Unterhaltung noch Schutz, der 35 wackere Oberförster sei ja mit vielen Doppelbüchsen zur Hand. Prinz Detlef aber zuckte die Achseln.

»Ein Kampf um Josephine,« lachte er, »Du wirst begreifen, liebe Schwester, daß hier von freiwilligem Zurücktreten keine Rede sein kann!«

»Na, dann knobelt's doch aus!« warf Sylvie trocken ein.

»Brillant! Das ist eine Idee!« amüsirte sich d'Ouchy, »es gibt hoffentlich Würfel oder Karten hier im Hause. Ich fliege, Hoheit, die Werkzeuge der Entscheidung in Ihre Hand zu legen!«

Wirklich, der alte Sünder, der Großpapa Oberförster, hatte Karten im Hause!

»Dieser Duckmäuser!« drohte ihm Sylvie mit dem Finger. Dann entfaltete sie die nicht mehr ganz neuen Karten zu einem Fächer und trat zu dem kleinen Kreise der Herren.

»Wer die höchste Karte hat, wird die Ehre haben, bei Fräulein von Wetter zurückzubleiben!« sagte sie feierlich und ließ Prinz Detlef ziehen.

»Hurrah! Treff-König!«

Graf Lehrbach lachte etwas nervös auf: »Bravo, Hoheit, dieser Zug war eines Königssohnes wert!«

Baron d'Ouchy zog Pique-Bube – brrr!! . . .

»Ist Essig, alter Freund!« schmunzelte Hattenheim und sah dem Sohn des Landstallmeisters interessirt auf die Finger.

»Hahaha! Carreau-Sieben!« jubelte es im Kreise, »na, bescheidener konnten Sie nicht gut sein, bester Baron!«

36 Dann trat Hattenheim hinzu. Er faßte ruhig eine Karte und zog – Treff-Aß! . . . »Hurrah, der Dicke hat das große Loos gezogen!« rief Günther überlaut, aber seine Lippen bebten, und er ward bleich wie das Taschentuch, welches er in nervösem Spiel durch die Hand zog. »Infam!« wetterte Detlef.

»Wollen Sie auch ziehen, oder gönnen Sie Hattenheim die Palme die Sieges?« fragte Sylvie und blickte mit seltsamem Blick zu Lehrbach auf. Sie schien seine negative Antwort wohl sicher zu erwarten, denn sie hatte bereits die Hand mit den Karten niedersinken lassen.

»Nein, Hoheit, so verwöhnen darf ich doch meinen Freund nicht!« Günthers Blick blitzte zu Reimar hinüber, er schien den Ausdruck in Sylviens Zügen kaum zu bemerken, »und freiwillig das Feld räumen, wäre hier kein Edelsinn, sondern Mangel an Vertrauen auf mein Glück! Voyons donc, ob ich bei Frau Fortuna wirklich zum bête noir geworden bin!«

Und mit dem eigensinnigen Zucken der Lippen riß Graf Günther eine Karte aus dem Spiel, sah abgewendet mit flüchtigem Blick darauf nieder und hob sie dann stumm empor, ein unaussprechlicher Triumph glühte in den dunklen Augen.

»Coeur-Aß! Bei allen Teufeln!« schrie Detlef, »›fürwahr, ich muß Dich glücklich preisen!‹ Sie sind ja ein ganz unglaublicher Kerl, Lehrbach!«

»Einen Schluck auf den Sieger Lehrbach!« 37 beeilte sich der Sohn des Landstallmeisters dem jungen Grafen zu flattiren.

»Pardon, meine Herrschaften!« warf Hattenheim ruhig ein, »vorläufig schwankt der Sieg noch zwischen zwei Aß! Die Karten hier stechen sich, und um den endgültigen Sieg zu konstatiren, müssen Freund Günther und ich noch einmal ›in des Geschicks geheimnißvolle Urne‹ hinabtauchen! Darf ich bitten, Hoheit; ich hoffe, diese schöne Hand bietet mir auch zum zweiten Mal das Glück!«

Er zog. »Treff-Zehn . . . . O weh, da ist viel Chance, mich zu überbieten.«

Günthers schlanke Fingern wühlten lange unentschlossen zwischen den Karten, das steife Papier knisterte leise unter der Berührung. Endlich entschloß er sich.

Coeur-König! . . . . Heureka!«

Es lag ein eigentümlicher Klang in der Stimme des jungen Offiziers, eine unverholene Genugthuung in dem Lachen, mit welchem er Reimar die Karte entgegenbot. Auch hatte er eine Betonung auf das Wort »Coeur-König« gelegt, welche mehr ausdrückte als den Namen des Blattes allein. Niemand außer Hattenheim bemerkte es.

»Ich räume das Feld!« entgegnete dieser achselzuckend, »und sehe ein, daß Du im Kartenspiel Glück hast – neidlos, mein alter Freund, denn das Sprüchwort weiß einen sehr schönen Trost für diejenigen, welche Unglück im Spiel haben!«

Hattenheim sagte es scherzend, ohne die 38 mindeste Schärfe in der Stimme, dennoch grub Günther die Zähne in die Unterlippe, und Prinzeß Sylvie lachte leise auf. »Sie wollen uns doch nicht glauben machen, Herr von Hattenheim, Fortunatus habe Unglück in der Liebe?«

»Dicker, lächle nicht so geheimnißvoll, das kompromittirt mich ja!« versuchte Lehrbach sich zu moquiren. Reimar aber wiegte das Haupt, schmunzelte mit schrägem Seitenblick nach dem Freund und sagte unbeirrt: »Im Allgemeinen allerdings nicht, Hoheit!«

Sylvie horchte auf, und Fräulein von Dienheim rückte mit offenem Munde näher.

»Und im Speziellen?« fragte die Prinzessin gedehnt mit einem undefinirbaren Blick in Günthers Auge.

Ehe Hattenheim Zeit zu einer Antwort fand, hatte sich Graf Lehrbach näher geneigt, brachte unter der Etiquette eines tiefen Kompliments seine Lippen möglichst nah' an Sylvies Ohr und entgegnete hastig und gedämpft: »Einzig im Speziellen habe ich Unglück, Hoheit, und breche anstatt Rosen – Lorbeerzweige!«

Sylvie lächelte sehr zufriedengestellt. Die Antwort hatte sie eigentlich nicht erwartet, darum kam sie um so gelegener; Fräulein von Dienheim gähnte gelangweilt und nahm einen großen Schluck Eierbier.

Sylvie blickte schnell empor und drohte ihm mit dem goldenen Reitgertenknopf, aber es lag 39 kein ungnädiger Ausdruck auf dem frischgeröteten Gesicht.

Josephine hatte mit Baron d'Ouchy und Prinz Detlef bei Seite gestanden und geplaudert. Sie schien das ganze Gespräch überhört zu haben, kaum, daß sie ein höfliches Interesse für die »Stichwahl« an den Tag gelegt hatte. Nur einmal war ihr Blick demjenigen des jungen Grafen begegnet, als er so triumphirend sein »Coeur-König« ausgerufen hatte, dann hatte sie sich schnell zu d'Ouchy gewendet und zum ersten Mal das Mißgeschick mit dem gesprengten Sattelgurt bedauert.

»Ich habe immer Pech!« hatte der junge Diplomat zwischen den Zähnen gegrollt, »ein Narr, der heut zu Tag noch wartet, bis das Glück einmal ungerufen kommt!«

Prinzeß Sylvie mahnte an den Aufbruch, trank ihr Glas aus und erhob sich. Lehrbach neigte sich und gab ihr die lange Schleppe des Reitkleides über den Arm, sein Blick fiel auf den Fuß der hohen Amazone, er war sehr groß und massiv, größer fast, trotz der eleganten Bekleidung, als der des Gänseliesels in den nägelbeschlagenen Schuhen im Groß-Stauffener Heu.

Dann nahm Sylvie seinen Arm und schritt zur Thür, im Hausflur noch die Cour der Försterfamilie abnehmend, welche feierlich knixend die hohen Gäste erwartete. Auch Prinz Detlef fühlte sich veranlaßt, ein paar leutselig scherzende Worte mit den kleinen Trabanten und der resoluten Großmama zu wechseln.

40 Die Pferde waren währenddessen bewegt worden, und »Sorma« harrte bereits, von dem Oberförster selber geführt, zunächst der Steintreppe, um seine hohe Herrin von Neuem in den Sattel aufzunehmen.

Josephine und Graf Lehrbach blieben droben an der Hausthür zurück und winkten der kleinen Cavalcade ihre Abschiedsgrüße nach, lange schwenkten die Herren ihre Hüte, wandte Prinzeß Sylvie nickend den Kopf, dann schoben sich die buschigen Tannen dazwischen und entzogen das Forsthaus den Blicken der Reiter.

Zum ersten Mal wandte sich Josephine zu ihrem Begleiter. »Ich glaube, wir stören die Försterfamilie ungemein mit unserem aufoctroyirten Besuch!« sagte sie leise. »Wie wäre es, wenn wir einen kleinen Gang durch das Gehölz dort machten? Die Holztische und Stühle beweisen mir, daß zur Sommerszeit hier eine Art Gartenwirthschaft besteht, also wird es auch nicht an Anlagen und Wegen in der Umgegend fehlen! . . . Das Wetter ist außerdem so herrlich, und in der Stube war es grausam heiß, man merkte, daß der große Kachelofen freien Brand verschlingt!«

Lehrbach lächelte. »Gewiß, Fräulein Josephine, lassen Sie uns eine Promenade machen! Ich bin Ihr gehorsamer Sklave, befehlen Sie über mich!« Dann wandte er sich zu den Förstersleuten und gab etliche Instruktionen, während Josephine einen kleinen krausköpfigen Bub am Händchen nahm und sagte: »Du gehst mit uns, Kleiner, und zeigst uns 41 Deine schönen Spielplätze, damit wir uns nicht im Wald verirren! Willst Du? Ich bringe Dir das nächste Mal auch eine große Düte voll Bonbons mit!«

Fritzchen nickte schüchtern und sah die fremde Dame zärtlich an, dann hob er den kleinen Speckarm und deutete nach den Tannen. »Da hinten in dem Wald ist unsere Schaukel,« sagte er vertraulich.

Schweigend schritten sie in den sonnigen Wald. Der Schnee war geschmolzen, braunes, graues und grünes schillerndes Moos bedeckte den Erdboden, die Wege rauschten von fußhohem Laub, und durch die kahlen Baumzweige lachte der blaue Himmel. Kein Laut ringsum, nur ein paar Krähen stritten sich fernab in dem Wipfel einer hohen Kiefer.

Günther sah auf die junge Dame nieder. »Das Schicksal hat mich heute an Ihre Seite gestellt, mein gnädiges Fräulein, um mir einen Wunsch zu erfüllen und zu Diensten zu sein; ich war egoistisch genug, ohne Frage von diesem Vorrecht Gebrauch zu machen, und doch wäre es meine Pflicht gewesen, mich erst zu versichern, ob das Schicksal auch Ihnen einen Gefallen gethan hat, gerade mich zu Ihrem Kavalier zu bestimmen?«

»Einen Gefallen?« Josephine lächelte unbefangen, »ich muß Ihnen offen gestehen, daß ich noch nicht darüber nachgedacht habe! Ich fand es von einem Herrn so liebenswürdig wie von dem anderen, sich in zweistündigem Warten für mich hier aufzuopfern.«

42 Lehrbachs Züge verdüsterten sich. »Hierauf gehörte es sich, Ihnen eine Schmeichelei zu sagen, ich habe mir aber Ihnen gegenüber die banalen Redensarten abgewöhnt.«

Ein jäher Blick brach aus ihren blauen Augen.

»Und warum?« fragte sie mit einem fast bitteren Zug um die Lippen, »jetzt bin ich ja an die Art und Weise der großen Welt gewöhnt und laufe nicht mehr Gefahr, Wahrheit und Dichtung zu verwechseln. Es würde mir sogar recht ungewohnt an Ihnen sein, mit trockener Aufrichtigkeit abgespeist zu werden, Ihre liebenswürdigen kleinen Phrasen haben mich verwöhnt!«

Er lachte herb auf. »Gedenken Sie in Zukunft stets in diesem Ton mit mir zu verkehren?« fragte er schroff.

»Ich antworte nur auf Ihre Fragen. Daß es vielleicht in anderer Weise geschieht als früher, verschuldet das bunte, wunderliche Leben der Residenz, in welches mich Ihre eigenen verführerischen Schilderungen gelockt, und welches nun seine Feile angelegt hat, um all' die überflüssigen kleinen Kanten und Ecken des Gänseliesels – man nennt sie Leichtgläubigkeit und Vertrauen – fein säuberlich abzuschleifen! Wundert Sie das? Sie kannten ja die große Welt, Sie mußten am besten wissen, wie viel mir fehlte und wie viel ich noch brauchte, um in ihren schillernden Rahmen zu passen! Und nun, da diese große Welt mein Wesen in eine neue Form gegossen, erstaunen Sie über Ihr eigenes Werk?«

43 Seine Lippen bebten. »Sie irren sich, Fräulein von Wetter, ein solches Kunststück bringt die Residenz nicht fertig! Eine neue, fremde Glasur hat sie Ihnen wohl gegeben, aber Herz und Seele hat sie nicht berührt . . . . ich kenne Sie besser . . . . ich weiß, daß Sie einzig mir gegenüber eine Maske tragen, daß ich verurteilt bin, für eine einzige Ballnacht als Schuldiger zu büßen! Das ist ungerecht von Ihnen! Hat die Residenz nicht ihre anfängliche Blindheit gut gemacht? Sind Sie nicht gefeiert, bevorzugt, ausgezeichnet wie kaum eine zweite Dame der Gesellschaft?«

»Durch Ihr Verdienst?« Josephine lachte leise, wehmütig auf. »Warum diese Auseinandersetzungen, Graf? Wenn Sie glauben, daß dies willkürliche Spiel einer Mode und Gesellschaft mir das ersetzt, was ich als hohen Preis dafür gezahlt, so irren Sie! Könnte ich tauschen mit Einst und Jetzt, ich thäte es und dankte Gott auf den Knieen und wäre wieder, was ich früher war, das schlichte Gänseliesel ohne Handschuhe und Hut im Stauffener Heu, mit dem Frieden im Gemüt und der Glückseligkeit im Herzen. Ach, daß es so anders geworden ist!« Es klang wie leidenschaftliches Aufschluchzen durch ihre Stimme, sie hatte sich hinreißen lassen von ihrer Erregung und mehr gesprochen, als sie wollte.

Da fühlte sie ihre Hand ergriffen, sah Günthers seltsam verändertes Angesicht dicht zu ihr herabgeneigt. »Warum quälen Sie mich so?« sagte er gepreßt. »Ja, wehe mir, daß ich das Haideröslein 44 aus dem heimatlichen Boden riß, wehe mir und Ihnen!«

Sie beherrschte sich, befreite ihre Hand und schüttelte das Haupt. »Wir werden Beide sentimental, wie es scheint, Graf Lehrbach!« sagte sie leichthin, »und das paßt schlecht in den Carneval, wo es lachen und scherzen heißt! Hin ist hin, und todt ist todt, und ich versichere Sie, daß ich auf dem besten Wege bin, mich zu trösten über das verlorene Idyll meines Landlebens! Im Gegenteil, ich glaube viel zu fest an Fügung und Bestimmung, um nicht den Umschwung meiner Verhältnisse für mein bestes Glück zu halten. Die Schule des Lebens bleibt Keinem erspart, und mir hat das gütige Schicksal treue Freunde an die Seite gestellt.«

»Sie meinen Hattenheim!«

»Ihn vor Allen, ganz recht!« nickte sie heiter. »Er ist vom ersten Tage an mein Anker in dieser stürmischen Menschenflut gewesen, mein Lootse, welcher mich an das lockende Ufer der bunten Welt gerettet hat! Nun ist mir nicht mehr Angst bei dem Gedanken, daß die meisten Blüten dieses verlorenen Paradieses giftig sind! Außerdem ist er so verändert, gar nicht mehr der stille, schüchterne Hattenheim von früher. Oft necke ich ihn, daß sein Uebermut auf dem besten Wege sei, in veritablen Leichtsinn auszuarten!«

Und Josephine lachte frisch und herzlich auf. Schon der Gedanke an den blonden Mann schien ihr Antlitz zu verklären.

45 »Wieder ein Beweis dafür, daß das Glück übermütig macht, bei Reimar lobt es die Welt, und bei mir scheint sie es desto herber zu tadeln!«

Josephine überhörte seinen Einwurf, sie war mit einem Male wie verwandelt, sprach mit warmem Eifer für den Freund, dessen unvergleichlicher Charakter ihr täglich mehr und mehr verständlich würde, von seiner Anhänglichkeit an Lehrbach und den neidlosen Wünschen, welche er für die Zukunft des Freundes hege. »Sehen Sie, Graf Lehrbach, schon um Hattenheims willen darf ich Ihnen niemals ernstlich böse sein, denn das würde einen Mißklang in unserer Harmonie geben, und die zu erhalten ist doch mein eifrigstes und liebstes Bestreben!« Sie sagte es scherzend, neckisch fast, und legte dabei die Hand auf das Krausköpfchen des kleinen Fritz, welcher seine Aermchen in steigender Zutraulichkeit um die fremde Dame schlang.

Lehrbach ließ seine Reitgerte durch die Luft sausen. »Glauben Sie, Fräulein Josephine, ich fürchtete Ihren Zorn? Wie viel lieber möchte ich Ihnen verhaßt als gleichgültig sein!«

Auch durch seine Stimme klang plötzlich wieder der alte Uebermut. Als er keine Antwort bekam und die junge Dame mit dem Kinde scherzte, fuhr er lachend fort: »Mir ist es plötzlich zu Sinn, als wären wir wieder in Groß-Stauffen, als sei Ihr kleiner Courmacher da ein Pastorscher Flachskopf, als wäre noch alles so sonnig und strahlend, wie im Lehrbacher Park! Fräulein Josephine« – er 46 vertrat ihr den Weg, daß sie ihn ansehen mußte, sein Auge lachte sie an, wie damals, da der dunkle Blick ihre ganze Seele nahm – »wollen Sie mich wirklich glauben machen, Sie hätten den Sommer schon so ganz und gar vergessen?«

Sie kämpfte einen schweren Kampf gegen ihr stürmendes Herz; sie wußte ja, daß all' seine Worte und Blicke nur ein falsches Spiel waren, leere Spreu, die der Wind verwehte, sobald er ihr den Rücken kehrte, und doch lag ein so süßer Zauber in dem leuchtenden Auge, eine so unerklärliche Gewalt in der Stimme dieses Mannes!

Josephine zwang die Erinnerung in sich wach an jenen Augenblick, da diese Stimme sie um »die Polka vor dem Cotillon« gebeten hatte, schneidendes Weh durchzuckte sie und ließ die Wettersche Linie schärfer zwischen den Augenbrauen hervortreten. Sie vermied es, ihn anzusehen, leichter Sarkasmus kräuselte ihre Lippen.

»Und wollen Sie mich wirklich eitel machen in dem Gedanken, daß Sie sich dieses Sommers noch so genau erinnern?«

»Eitel machen? Sie beweisen mir durch dieses Wort, daß Ihnen mein Thun und Lassen nicht gleichgültig ist, daß Ihnen meine Gedanken noch etwas gelten!«

Sie sah ihn an, ein Lächeln huschte über ihr reizendes Gesicht. »Selbstverständlich! Schon um Hattenheims willen!«

Sein Sporn klirrte laut, so hart setzte er den Fuß auf den Boden.

47 »Wie ich doch dem Dicken zu Dank verpflichtet bin!« lachte er auf, dann schlug er mit der Reitgerte die grünen Tannenspitzen zur Seite des Weges ab und schwieg.

Fritzchen wurde redselig und unterhielt statt seiner, faßte Josephinens Hand fester und zog sie im Sturmschritt einen kleinen Hügel hinan.

Die Tannen lichteten sich, auf einem kleinen Plateau erhob sich die gewaltige Eiche, welche im Munde des Volkes »der dicke Förster« heißt, umgeben von steinernen Ruhebänken und gestützt von Trägern, welche die kolossalen unteren Aeste vor dem Niederbrechen schützten.

Weit vor den Blicken dehnt sich das flache Land, schneidet die Chaussee wie ein helles Band durch Wald und Felder; und grüßen von fern die schlanken Türme und Kuppeln der Residenz.

»Da schau! Da sieht man noch die Fräulein Prinzessin reiten!« alarmirte Fritzchen und deutete eifrig mit dem Finger zum Thal, wo, weit ab auf der Chaussee, die Cavalcade Sylviens just aus dem bergenden Wald hervorsprengte.

Wie kleine, winzig kleine Figürchen sahen Mensch und Tier von hier oben aus.

»Wahrhaftig! Schon weit über die Ziegelei hinaus!« rief Günther lebhaft, hielt die Hand schattend über das Auge und verfolgte die Reiter mit dem Blick. »Wie sie wieder jagt, die scythische Amazone des neunzehnten Jahrhunderts!« murmelte er mit scharfem Zug um die Lippen. »Da 48 bleibt das Ewig-Weibliche im Steigbügel hangen und wird in den Staub geschleift! Wieder Allen voran! Atemlos und colorirt wie von der Hölle angeblasen, eine Titelblatt-Illustration zu dem großen Lehrbuch der Emancipation!«

Günther wandte sich brüsk ab und blickte auf Josephine, tiefer Ernst lag plötzlich auf seinem Antlitz.

»Fräulein von Wetter«, sagte er mit warmer Aufrichtigkeit in Blick und Ton, deutete mit dem Peitschenstiel zu den Reitern hinab und trat einen Schritt näher, »gefällt Ihnen der Anblick da unten? Nennen Sie es gut, wie Penthesilea reitet?«

Betroffen schaute das junge Mädchen empor. »Wie darf ich mir darüber ein Urteil anmaßen?« schüttelte sie den blonden Kopf.

»Mißtrauen Sie mir? Ich frage Sie als Freund und Kavalier, der Jedermann für berechtigt hält, eine Ansicht zu haben!«

»Ich möchte Sie nicht kränken!«

»Mich kränken, indem Sie über Prinzessin Sylvie urteilen?« Er lachte laut auf, dann schüttelte er ernst das Haupt. »Sie kränken mich nicht, Fräulein Josephine, sprechen Sie, finden Sie das Bild da unten schön oder würdig?«

Sie sah ihn ehrlich an. »Weder das Eine noch das Andere, ich finde das Reiten ein schönes, ritterliches Vergnügen, wohl mehr für den Mann als das Weib bestimmt, aber ich habe bis jetzt noch nicht gewußt, daß es in dieser Weise ausarten 49 kann, daß es der Coquetterie der Frau so weites Feld bietet, daß es, mit einem Wort, so häßlich übertrieben werden kann! Ich weiß, Graf Lehrbach, daß ich mir selber mit diesem Urteil den Stab breche, denn ich reite selber und, wie ich es Ihnen erst vorhin bewiesen habe« – Josephine erglühte bis unter die Haarwellen – »noch emancipirter als die Prinzessin, auf ungesatteltem Pferde! Ich reite unendlich gern, bin seit meiner Kindheit Tagen mit Pferden umgegangen, und habe in meiner Einsamkeit keine Gelegenheit gehabt, durch fremden Anblick einen Maßstab anzulegen. Warum sagten Sie mir nie ein Wort des Tadels, da wir zusammen in Stauffen ritten? Warum veranlaßten Sie selbst mich zu den verwegensten Kunststücken, und warum verurteilen Sie jetzt, was Sie damals gut hießen?«

Günthers Blick ruhte wie träumend auf ihren erregten Zügen. »Damals!« wiederholte er, schöpfte tief Atem und schüttelte das Haupt, »es ist so Vieles anders geworden seit damals. Außerdem irren Sie, wenn Sie glauben, ich verurteilte das Reiten der Damen im Allgemeinen; durchaus nicht, mein Mißfallen ist sehr speciell und Prinzeß Sylvie gegenüber wohl auch ›gekränkter Schönheitssinn‹! Als Pfuscher auf dem Gebiet der Malkunst habe ich ein wenig Blick für Grazie und Anmut, und da thut es meinen Augen weh, ein Schauspiel wie die ›Parforcejagd‹ da unten anzusehen, bei welcher die kleine Hoheit und Fräulein von Dienheim jeglicher Aesthetik mit Knütteln in das Gesicht schlagen!«

50 »Sie sind ein zu scharfer Kritiker!«

»Ein sehr mildes Urteil über Ihr graziöses Reiten würden Sie mir vielleicht als eine jener ›liebenswürdigen Phrasen‹ auslegen, welche Sie mir doch nicht mehr glauben, also bleibt mir kein Mittel, Ihnen das Gegenteil der Schärfe zu beweisen!«

Günther hatte die Mütze abgenommen und strich mit der Hand die dunklen Haarlocken aus der Stirn, der ernste Ausdruck seiner Züge war sehr ungewohnt, er machte ihn älter aussehend.

»So haben Sie also nichts dagegen, wenn ich in Zukunft weiter reite?« scherzte sie. »Ich will mich auch bemühen, dem Verschönerungsverein keinen Kummer zu machen!«

Er hob das geneigte Haupt und sah sie fest an. »Ich habe kein Recht, eine Bitte an Sie zu richten, Fräulein von Wetter«, sagte er mit ungewohnter Weichheit in der Stimme, »und sehe meine Vermessenheit vollkommen ein, dennoch würde es mir wie eine Schuld vorkommen, aus Furcht vor einer schroffen Antwort jetzt zu schweigen! Darf ich sprechen?«

Ihre kleine Hand stützte sich auf die Banklehne, fast mechanisch nickte sie, ihr Blick hing an seinen Lippen.

»Reiten Sie in Zukunft nicht mehr mit Prinzessin Sylvie!« Er sagte es langsam und klar, es lag etwas in seinem ganzen Wesen, was nichts mit dem übermütigen Fortunatus von sonst gemein hatte.

51 »Und warum nicht?« Josephine richtete sich höher auf, »fürchten Sie, daß böses Beispiel gute Sitten verdirbt?« Fast zuckte es wie Ironie um ihren Mund.

Er schüttelte das Haupt. »Dazu hätte ich Ihnen gegenüber wohl keinen Grund; Ihr gesundes Urteil wird Sie besser schützen, als je eine Warnung. Dennoch fürchte ich für Sie. Ich kenne Prinzessin Sylvie. Es giebt noch gefährlichere Pferde als die ›Sorma‹ im Marstall, und noch halsbrechendere Ritte als den heutigen. Man wird Ihrer Kunst ein Meisterstück ausklügeln, welches die heutige Scharte im Eitelkeitspanzer der Hoheit ausmerzen muß! Sie kennen die Welt und die ehrgeizigen Weiber noch nicht! Man wird Sie zu Reiterstücklein bringen, die über kurz oder lang zum Hazard ausarten, und einer solchen Gefahr vorzubeugen, ist meine Pflicht und Schuldigkeit, Fräulein von Wetter. Der Umstand, daß ich und wohl noch viele Andere die Frau lieber in anmutiger Weiblichkeit im Salon als auf dem Rücken rasender Gäule sehen, lieber als Gretchen am Spinnrad, denn als geharnischte Heldin von Dom Remi, der Umstand redet in dieser Angelegenheit absolut nicht mit, sondern einzig die Sorge für Ihr Leben, für Ihre gesunden Glieder läßt mich zum Anwalt Ihrer Sorglosigkeit werden! Weil ich Sie nicht einer Gefahr, welche ich kenne und ermesse, aussetzen will, darum bitte ich Sie, Fräulein Josephine, künftig auf das Wettreiten mit Prinzessin Sylvie zu 52 verzichten. Was nicht angefangen ist, braucht nicht abgebrochen zu werden, darum bitte ich Sie herzlich, unter passendem Vorwand jegliche Aufforderung abzulehnen!«

Der junge Offizier hatte mit wachsender Erregung gesprochen, über Stirn und Schläfen schimmerte es rot, ein fast trotzig entschiedener Ausdruck lag auf dem schönen Antlitz, und dennoch hatte Josephine noch nie zuvor einen ähnlichen Klang herzlicher Aufrichtigkeit von seinen Lippen vernommen. Sie senkte den Blick und schob mit der Fußspitze die kleinen Kiesel zusammen.

»Und fürchten Sie denn nicht, daß der Prinzessin selber bei ihrer Tollkühnheit ein Unglück passiren kann?« fragte sie statt aller Antwort.

Günther zuckte die Achseln; ein wenig schmeichelhaftes Lächeln neigte seine Mundwinkel. »Nein!« entgegnete er herb, »mit dem Gedanken habe ich mich noch nicht beschäftigt; Hoheit macht einen so männlichen Eindruck und betont es so besonders bei jeder Gelegenheit, daß es auch Ausnahmen unter dem schwachen Geschlechte gäbe, daß sie des Rates und Schutzes eines Stärkeren gar nicht zu bedürfen scheint. Aber warum diese Zwischenfrage? Antworten Sie mir doch auf meine Bitte, oder habe ich wieder das Mißgeschick, von Ihnen falsch verstanden zu sein?« Die alte Bitterkeit und Ungeduld klang schon wieder durch seine Worte.

Josephine neigte das Köpfchen zurück und blickte ihm voll in das Auge; es war ein unsagbar süßes 53 Lächeln, welches wie Sonnenschein auf ihrem Antlitz leuchtete. Schnell reichte sie ihm die Hand entgegen, und es däuchte Graf Lehrbach, als bebten die schlanken Finger unter dem Druck seiner Rechten.

»Nein, Graf Lehrbach, Sie sind nicht falsch verstanden, sondern in diesem Augenblicke mehr denn jemals unter meine Freunde gezählt! Ich danke Ihnen von ganzem Herzen für das freundliche Interesse, welches Sie an mir und meinem Schicksal nehmen, und ich verspreche Ihnen, all' Ihre Worte wohl zu merken und zu berücksichtigen, wenngleich ich überzeugt bin, daß Sie Ihre Antipathie gegen den kühnen Sport der Prinzessin zu schwarz blicken läßt! Was in meinen Kräften steht, werde ich thun, um Ihre Bitte zu erfüllen. Wird es mir aber durch Verhältnisse unmöglich gemacht, mich von den künftigen Excursionen zu Pferd zurückzuziehen, so halten Sie es nicht für Eigensinn von mir, sondern für die Laune des Schicksals, welches mir vielleicht ›ein Ende voll Schrecken‹ bestimmt hat!«

Lehrbach küßte ihre Hand. »Das verhüte Gott!« sagte er kurz.

Der Wind erhob sich und strich kühl durch das laublose Geäst der Eiche.

»Es ist wohl Zeit zum Umkehren!« sagte Fräulein von Wetter nach kurzer Pause.

Günther stand hochaufgerichtet, sein Blick schweifte glänzend in stummem Jubel über die Thalebene, wo fern an der Biegung des Weges das dunkle 54 Reitkleid Sylviens wie ein schnell ziehendes Wölkchen hinter dem Tannengrün verschwunden war. Tief atmete er auf und wandte sich zurück. »Ja, wir wollen gehen,« nickte er, »die Sonne versteckt sich hinter Schneewolken, damit sich thörichte Menschen nicht etwa einbilden, es sei wieder Sommer geworden!«

Fritzchen trabte jubelnd hinter den dürren Blättern her, welche der Wind bergab wirbelte. Josephine und Günther folgten eine kurze Zeit schweigend, bis der junge Graf plötzlich begann, Zukunftspläne zu entwerfen: er wolle künftigen Sommer den ganzen Urlaub in Lehrbach zubringen und den Bau der neuen Fasanerie überwachen, welchen sein Vater bereits projectirt habe, er habe dem Landleben früher nie viel charme zugetraut, aber er sei anderer Meinung geworden; er habe jetzt solch' eine fabelhafte Passion für Lehrbach, daß er sogar gesonnen sei, die Aufforderung des Prinzen Detlef, ihn nach Paris zu begleiten, abzulehnen, selbst in dem Fall, daß Herzogin Mutter und Sylvie sich anschließen würden, um die Weltausstellung mit Allerhöchstihrem Besuch zu beehren.

Graf Lehrbach war sehr animirt und heiter, wie seit Wochen nicht, er lachte und scherzte, er hatte den Himmel voller Geigen hängen. – – – 55


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