Nataly von Eschstruth
Gänseliesel
Nataly von Eschstruth

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Viertes Kapitel.

»Wem nie durch Liebe Leid geschah,
Geschah durch Lieb auch Liebe nie!«
Wartburgspruch.          

Es war noch früh am Morgen in Groß-Stauffen. Josephine lag in dem altmodischen Himmelbett, dessen dunkelblauseidene Gardinen weit zurückgeschlagen waren, faltete behaglich die rosigen Arme unter dem Kopf und lächelte in die drapirten Stofffalten empor. Wie herrlich ließ es sich so mit offenen Augen träumen, wie konnte man Alles so gemächlich noch einmal überdenken, was die letzten Tage an buntem Wechsel mit sich gebracht hatten! Klar und deutlich sah sie das Bild des schönen Mannes vor sich, sah die dunklen Augen, welche so lange und so wundersam auf ihr geruht, hörte all' die gefährlichen, liebenswürdigen Worte, welche ihr unschuldiges kleines Herz mit goldenen Fäden umsponnen hatten, fest und ewiglich, mit dem süßen Zauber einer ersten Liebe! Wonne und Glückseligkeit durchbebten die junge Seele, und wie die duftigen Rosenblättlein sich unbewußt aus enger Knospe 81 dem goldenen Licht entgegendrängen, so entfaltete sich rein und wunderhold auch in dem Herzen Josephinens ein strahlender Blütenkelch, von Glück und Sonnenschein zum Leben wach geküßt, duftend und glühend in zarter Schönheit, solange dieser Sonnenschein um den zarten Kelch schmeichelt, und gebrochen und zerknickt für ewige Zeit, sobald der Sturm des Lebens mit rauher Hand die Thränenperlen stäubt und die Blume grausam in den Staub des Schmerzes beugt. – Wie gut und schön war doch Graf Günther! Nannte er sie nicht Haideröslein und trug er nicht ihr zu Ehren diese Blüte an der Brust? Hatte er nicht gesagt, daß sie reizend und anbetungswürdig sei? Hatte er nicht Tante Renate bestürmt, den nächsten Winter in der Residenz zu verleben, damit er mit Fräulein Josephine im »weißen Saal«, angesichts der höchsten Herrschaften, einen superben Walzer tanzen könnte? Und als Josephine angstvoll versicherte, sie könne überhaupt noch nicht tanzen, da erbot sich der junge Offizier mit dem liebenswürdigsten Lächeln, ihr die paar Wochen seiner Anwesenheit ein eifriger Lehrmeister zu sein! Hattenheim hatte darauf hin das alte Tafelklavier geöffnet und couragirt einen Accord angeschlagen, worauf Josephine mit vergnügtestem Gesicht gefunden hatte: »Es klingt gerade wie eine Stimme aus zahnlosem Munde!« Das konnte nun Niemand groß ableugnen, aber Tante Renate sagte lakonisch: »Zum Lernen ist's lange gut, und wenn 82 ich's auch stimmen lasse, schlägt's die Phine doch binnen acht Tagen wieder kurz und klein!«

»Sie spielen Klavier?« hatte Günther erstaunt gefragt, und Josephine selbstbewußt dazu genickt: »Mademoiselle gibt mir Stunde!« Und damit hatte sie sich ohne jede Prüderie hingesetzt und »An Alexis send' ich Dich!« ganz korrekt und taktvoll auswendig gespielt. Ach, und wie nah stand er neben ihr und sah auf ihre Hände und wie applaudirte er und rief: »Excellent, mein gnädiges Fräulein, darauf hätten wir den flottsten Galopp tanzen können!« Und dann wandte er sich an Mademoiselle und fragte: »ob sie wohl zum Tanze aufspielen könne?« Da knixte dieselbe ein schüchternes: »Ich will es versuchen, Monsieur,« und Lehrbach sagte ihr auf französisch viel Liebenswürdiges. Ach, und dann hatte sie auch wirklich ein Stück gespielt, und der junge Graf nannte es eine allerliebste Polka und sagte zu Tante Renate: »Also gar kein Hinderniß mehr, meine gnädigste Frau, nun müssen Sie uns gestatten, fleißig hier vorzusprechen, und uns recht oft die Ehre Ihres Besuches in Lehrbach schenken, und Sie sollen sehn, wie schnell Ihre Fräulein Nichte das Tanzen erlernt!« »Aber Gretchen muß dabei sein!« hatte Josephine gerufen, und »Selbstverständlich!« Lehrbach erwidert. Und dann wurde gleich ein Tag festgesetzt, wo der feierliche Anfang gemacht werden sollte.

Daran dachte Josephine in der sonnigen, stillen Morgenstunde und ihre Gedanken flogen weiter 83 zum gestrigen Nachmittag, wo plötzlich ein Reiter in den Hof gesprengt war, der Graf Günther natürlich, welcher sie just beim Kirschenabbeeren überrascht hatte.

»Pardon für diesen Ueberfall!« hatte er gerufen, den Hut geschwenkt und ihr zugelacht, »ich passirte auf meinem Spazierritt just die Schloßmauer und konnte es natürlich nicht unterlassen, Ihnen en passant ›Guten Tag‹ zu sagen! Sie vergessen es doch hoffentlich nicht, daß Sie morgen zu Tisch in Lehrbach erwartet werden?«

Du lieber Gott – Josephine und diese Einladung vergessen! Er schien gar nicht zu ahnen, daß sie den lieben langen Tag keinen andern Gedanken im Kopf hatte als diesen. Das versicherte sie ihm natürlich auch, und sie stellte flink die Kirschenschüssel fort und rief: »Ich gehe noch ein Stück mit Ihnen, bis an die Waldecke! Warten Sie nur einen Augenblick!« Und sie war noch schnell an den Hofbrunnen gelaufen, hatte sich von dem alten Pferdeknecht flink mal über die klebrigen Hände plumpen lassen und war dann glückselig neben dem Pferd Graf Günthers einhergeschritten, mit gutem Kennerblick sofort die Vorzüge des edlen Renners herausfindend. Da hatte er sich sehr gewundert und ihr wieder viel, viel Schmeichelhaftes gesagt!

Und sie hatte ihm vom Wegrain, aus den wogenden Aehren eine Kornblume brechen müssen, welche er mit einem seiner wundersam leuchtenden Blicke in das Knopfloch steckte, indem er sogar 84 dazu sagte, er wolle sie im Portefeuille mit nach der Residenz nehmen. Ach, wie klopfte ihr das kleine Herz vor Seligkeit, wenn er von der Residenz und von dem Wiedersehen im Winter sprach, und wie leicht schien es ihr, an seiner Hand das Tanzen zu erlernen, und wie schön war das Leben mit einem Mal, und wie lieb hatte sie seine dunklen Augen, die gewiß kein anderes Mädchen so innig anblickten, wie sie! Nein gewiß nicht, wäre er ihr nicht von ganzem Herzen gut, so würde er wohl ebenso still und langweilig sein, wie der dicke Hattenheim, der weiter nichts konnte und wußte, als verlegen zu erröten, wenn sie zu ihm sprach, dem sie gewiß ebenso gleichgültig war, wie er ihr! Aber Günther wußte stets etwas zu sagen, und sie glaubte ihm Wort für Wort und hätte ihr Leben verwettet, daß er all diese Worte redlich meinte! Was wußte sie auch von der gleißnerischen, falschen Welt, was von all den wohlgelittenen Lügen, welche die Menschen »liebenswürdige Redensarten« nennen? Wer hätte die süße Unschuld ihres Herzens so vergiften sollen, wie hätte jenes wehe, thränenreiche und bleiche Weib, welches »die Erfahrung« heißt, den Weg zu dieser friedlichen Einsamkeit gefunden? Sonnenschein strahlte am Himmel und in dem Herzen, lächelndes Zutrauen grüßte aus zwei Kinderaugen.

An den grünen Vorhängen tanzten die goldenen Lichtfunken höher und höher empor, und die Träumerin mit offenen Augen lächelte ihnen zu und 85 dachte: »Nun sind's bloß noch sieben Stunden, dann fahren wir nach Lehrbach, und ich sehe ihn wieder und bin einen ganzen, langen Nachmittag mit ihm zusammen!

Da wurde die Thür geöffnet, Tante Renate trat ein und schob die Seidenfalten zur Seite.

»Na, Du Langschläferin?! Läßt Dir die Sonne auf die Nase scheinen und steckst noch in den Federn? Geschwind heraus und an die Arbeit! Du bist mir eine gute Hühnermutter! Schon sechs Uhr, und der Stall noch nicht auf, die armen Dinger sollen wohl verhungern?«

Und die Freifrau gab jedem von den rosigen Armen einen Klapps, neigte sich nieder und küßte die Lippen, welche ihr ein ganzes Heer von zärtlichen Morgengrüßen entgegenjubelten. – – –

Hoch und schwer, eine biderbe Glaskutsche, welche dazu angethan schien, selbst die zahlreichste aller Familien mit Kind und Kegel in ihr breitgewölbtes Innere gastlich und bequem aufzunehmen, schwankte das freiherrlich von Wetter'sche Fuhrwerk die sandige Chaussee nach Lehrbach entlang. Dunkelblaue Vorhänge nahmen sich sehr statiös hinter den etwas blinden Fensterscheiben aus, und wenn auch die ganze Chaise recht altersschwach in den Fugen ächzte, so war sie doch erst vor fünf Jahren mit dem schönsten Citronengelb auflackirt worden, welches sie schon von Weitem her aufs beste annoncirte. Auf dem breiten Kutscherbock saß Kilian, der Beherrscher der Koppeln, mit hohem, nach oben 86 viel breiter werdendem Cylinderhut, um dessen gesträubten Filz sich eine schwarzgewordene Silbertresse schlang. Ein langer, blauer Kutschermantel mit goldenen Wappenknöpfen, rote Weste und weiße Handschuhe repräsentirten die Livrée, deren fehlende Stücke von Kilians Sonntagsanzug vollkommen ersetzt wurden.

Die Pferde aber, welche seine lange Peitsche kommandirte, stachen seltsam gegen das Gefährt ab, feurig und edel tänzelten sie über Wurzeln und Steinwerk, glänzende Vollblutfüchse, Prachtexemplare ihrer Gattung.

Onkel und Tante saßen in dem geräumigen Fond, Josephine beanspruchte mit dem steifen, faltenreichen Rosakattunkleid den Rücksitz, und wenn sie selbst auch unter den streng wachsamen Blicken der Freifrau regungslos saß, so weit dies bei dem schiffähnlichen Schwanken der Chaise möglich war, so flogen doch die Blicke in rastlosem Wechsel bald aus diesem, bald aus jenem Wagenfenster, um ungeduldig zu prüfen, wie viel des Weges bereits absolvirt sei. Dabei stand das Mäulchen keinen Augenblick still, sondern erging sich in Vermutungen und Hoffnungen und erschöpfte das Thema »Lehrbach« nach jeder Richtung.

»Sogar Uniform will er mir zu Ehren heute anziehen!« berichtete sie geheimnißvoll, »damit ich wissen soll, wie wir uns in der Residenz begegnen werden! Er fürchtet, ich würde ihn am Ende gar nicht wieder erkennen und ihn . . . Ja, du lieber 87 Gott, da sagte er ein so fremdes Wort, das verstand ich nicht, und als ich fragte, da lachte er und entgegnete: »»Nun, wir Offiziere nennen's auch ›schneiden‹ und weißt Du, Tanting, da war ich nun so klug wie vorher!« und ohne nur eine Antwort abzuwarten, drehte sie das Hälschen eifrig zur Seite und jubelte: »Da taucht schon die Ruine aus den Tannen auf! Die steht im Lehrbacher Park, und wir sind gleich da!«

»Dann kannst Du jetzt die Handschuhe anziehen, Phine!« entschied Tante Renate, öffnete gleichzeitig ihren Pompadour und reichte der jungen Dame die seidenen Filets hinüber. Sie selber zog ihr weißes gesticktes Crêpe-de-Chine-Tuch enger um die Schultern, musterte Onkel Bernd noch einmal mit prüfendem Blick, rückte ihm die Cravatte zurecht und sagte: »Na nun in Gottes Namen! Vergiß nicht, Phine, was ich Dir über das Essen mit Messer und Gabel gesagt habe!«

Fräulein von Wetter nickte selbstbewußt, band sich die hellen Hutbänder unter dem rosigen Kinn und saß in atemloser Erwartung.

Der Wagen bog durch ein hohes, elegantes Parkgitterthor in eine breite, dunkel verwachsene Lindenallee ein, welche geraden Wegs auf das Schloß führte. Josephine kannte es. Es war ein einstöckiges Gebäude, lang ausgedehnt mit rundgebauten Seitenflügeln, vor welchen sich je eine Terrasse, durch aristokratischen Säulengang vor der Mittelfront verbunden, erhob. Entfernt von den 88 Wirthschaftsgebäuden, lag es vornehm reservirt wie ein kleines Rococoschloß inmitten der tadellos gehaltenen Parkanlagen, ausschließlich der Gutsherrschaft vorbehalten, welche dem Pächter das näher am Hof gelegene »Kavalierhaus« überlassen hatte. Sammetne Rasenflächen, von bunten, mannigfach geformten Teppichbeeten unterbrochen, breiteten sich auf dem freien Platz vor dem Schlosse aus, durchschlängelt von hellen Kieswegen und originell geschmückt durch die verschiedenen Bildwerke, welche aus dunklen Taxusbosquets der Umgrenzung leuchtend weiß emporstiegen. Inmitten des Platzes, vis-à-vis der Mittelfront, thronte eine gigantische Löwengruppe, in Bronce gegossen und künstlerisch ausgeführt, »eine Pietät für unser Wappentier!« hatte die verstorbene Gräfin lächelnd gesagt, wenn sich in früher Zeit die hohen und höchsten Gäste zu den Jagden in Lehrbach einfanden und bewundernd vor dem Meisterwerke standen.

Im Schatten der Terassensäulen lag eine gewaltige Ulmer Dogge, den gelben Kopf auf die ausgestreckten Vorderpfoten geduckt, so daß das breite luxuriös gearbeitete Halsband wie eine goldene Schlange auf dem Nacken schillerte; dumpfes Rollen schütterte auf dem Kiesweg, und Graf Günthers trutziger Liebling spitzte die Ohren, hob die breite Nase und schaute mit souveräner Ruhe, aber unverkennbar befremdet auf das citronengelbe Ungeheuer, welches die Lindenallee herabschwankte. Gleichzeitig aber öffnete sich hinter ihm die Flügelthür, der Jäger Seiner Excellenz schritt hastig über die 89 Veranda, die Stufen der Freitreppe hinab und erwartete entblößten Hauptes, aber nicht ohne ein ganz leises Zucken um die Mundwinkel, das freiherrliche Gefährt, um mit der Routine eines Residenzlers den Wagenschlag aufzureißen.

Langsam entstieg dem Wagen die korpulente Gestalt Onkel Bernds, welchem sich hastig und etwas verwirrt eine rosa Kattunwolke nachschob, aus deren rauschender Mitte sich eine zierliche Mädchentaille und ein gigantischer Florentiner Strohhut hob, dann folgte in gemessener Würde Tante Renate, welche sich einen Augenblick schüttelte wie ein Pudel, der unfreiwillig ein Bad genommen, die Volants des schwarzen Atlaskleides nach allen Seiten hin glattstrich und den Jäger mit freundlicher Herablassung fragte: »Wir kommen doch nicht zu früh?«

»Durchaus nicht, Frau Baronin!« verneigte sich der Gefragte mit einladender Geste nach dem Schloß, »darf ich die Herrschaften bitten, näherzutreten?«

Und er eilte die Treppe empor und öffnete devot die breiten Flügelthüren, an deren Seiten zwei reich gallonirte Diener erschienen, welche die Herrschaften zu dem Boudoir der Gräfin zu folgen baten, um daselbst abzulegen.

»Lieber Gott, was soll ich denn ablegen?« flüsterte Josephine, mit geängstigten Augen über die fingerdicken Teppiche durch zwei hochelegante Zimmer des Parterres schreitend, welche Onkel Bernd auf den Fußspitzen, Tante Renate aber mit scharf prüfendem Blick traversirte.

90 »Halt den Mund!« entgegnete die Freifrau kurz, »das läßt man sich vor der Dienerschaft nicht merken, daß man fremd in den Verhältnissen ist!« Und sie trat in das Boudoir, an dessen Thür sich der Lakai mit tiefem Bückling zurückzog.

Mit beklommenem Herzen schaute sich Josephine um, goldglänzende, atlasrauschende Pracht ringsum. Ein Himmelbett, von dessen Bronceknauf, einen Adler mit ausgebreiteten Flügeln darstellend, ein crèmefarbener Spitzenduft, von lichtblauem Atlas überhangen, niederwallte, mit den reichen Möbeln und Fensterdraperien harmonirend, welche das Zimmer zu einem der zartesten und poesievollsten Schmuckkästlein gestalteten, ausgestattet mit all den tausend eleganten Kleinigkeiten, welche dem Schlafgemach einer vornehmen Dame jenes eigenartige Lüster behaglichen Komforts verleihen.

Tante Renate hatte das Zimmer mit schnellem Blick überflogen. »Unsinniger Plunder, der Unsummen kostet und nichts nützt,« murmelte sie, »steht seit sechzehn Jahren unberührt und den Motten aufgetischt!« Und sie goß aus der schlanken, Vergißmeinnichtgemalten Porzellankanne das Wasser in das goldumränderte Becken und herrschte Josephine kurz an: »Komm hierher, wasch' Dir die Hände!«

»Aber Tanting, ich habe ja vorhin erst – –«

»Papperlapap, vorwärts! Es gehört sich so, schon der Dienerschaft gegenüber!«

Und die ganze Familie spülte sich feierlichst die 91 Hände ab. »Ach, wie prachtvoll!« flüsterte Josephine, »riech' mal, Tante, Parfümseife!«

»Nun ja, was ist denn dabei!« entgegnete Frau von Wetter, »solche habe ich früher immer gehabt. Nun zieh die Handschuhe wieder an, wir wollen hinauf.« Und noch einmal glättend mit der Hand über den blonden Scheitel des jungen Mädchens streichend, schritt sie voran durch die glänzenden Falten der Portieren. Wieder nahm sie der Kammerdiener Seiner Excellenz in Empfang und führte die Herrschaften durch den Hirschgeweihgeschmückten, mit Waffen und Waidmannsbildern decorirten Korridor und über die teppichbelegte Treppe zur ersten Etage.

Die Thüren öffneten sich, feiner, aristokratischer Ambréeduft wehte ihnen zu, und durch das halbe Dämmerlicht kamen ihnen die drei Herren entgegen, mit sporenklirrender Verbeugung und liebenswürdigstem Willkommen die verehrten Gäste zu begrüßen.

Josephine kam es vor, als träume sie. Sie wagte es kaum, einen schüchternen Blick über die Ausstattung des Salons zu werfen; erst als die Stimmen durch einander schwirrten, als Graf Günthers heiteres »Grüß Gott!« an ihr Ohr schlug, hob sie den Blick, und jäh überrascht, entzückt von der schmucken Pracht einer Husarenuniform, schlug sie die kleinen Hände zusammen und rief aus tiefster und naivster Ueberzeugung: »Ach, wie schön!« Und damit war der Bann der Befangenheit gebrochen, 92 Scherz und Heiterkeit behaupteten ihr altes Recht, und das laute, übermütige Lachen Günthers bezeugte, daß er sich vortrefflich amüsire.

Selbst Hattenheim fand heute Gnade vor Josephinens Augen, sie versicherte ihm mit viel Treuherzigkeit, daß er in Uniform entschieden hübscher aussehe, gar nicht so dick wie sonst und auch nicht so rot im Gesicht, und sie setzte eifrig hinzu: »Wenn wir tanzen, müssen Sie aber auch diesen prächtigen Schnürenrock anziehen, den müssen Pastors auch sehen!«

Onkel Bernd begrüßte mit Entzücken die Uniform seines lieben alten Regiments. Es war plötzlich, als sänke ein Schleier von Auge und Geist, als schwänden all die langen Jahre zwischen Einst und Jetzt, als sei er wieder der flotte, schneidige Rittmeister von ehedem, welchen sechzehn Jahre Einsamkeit bis zur Unkenntlichkeit verwandelt hatten. Er thaute ordentlich auf, er vergaß seine Tabakspfeife und seine hartgearbeiteten Hände, die alte Zeit kam zurück und stellte ihn wieder auf höfisches Parquet. Und auch Tante Renate blickte feuchten Auges auf die Uniform, an deren schmucke Pracht sich die liebsten Erinnerungen einer fernen Jugendzeit, die seligsten Träume ihres Liebeslenzes knüpften!

Wie viel gab es für Josephine zu sehen hier, welch' eine nie geahnte Pracht gleißte ihr aus allen Ecken und Enden entgegen! In zierlichen Lackstiefeln, mit dem lautlos gleitenden Schritt eines Hofmannes eilte Graf Günther dem naiven kleinen 93 Gast voran durch die diversen Salons, Josephine in den derben Lederschuhen tapp tapp hinterher auf dem Parquet. Und sie blieb vor den hohen Spiegeln stehen, betrachtete mit kindlicher Freude ihr eigenes, steifgeputztes Bild und konstatirte, daß sie dem Grafen Günther gerade über die Schulter sehen könne. Noch war ein Kaminsims voll alterthümlicher Nippes und Schalen, Vasen und Statuetten kaum zur Hälfte besichtigt, als der in schwarzes Civil gekleidete Kammerdiener Seiner Excellenz das Diner im Speisesaal meldete.

»Lieber Reimar, als Gast hast Du den Vorzug, Fräulein von Wetter den Arm zu bieten!« lächelte Günther zurücktretend, und Josephine machte zwar ein ganz erstauntes Gesicht, legte aber schweigend ihren Arm in denjenigen des jungen Offiziers. Hatte Josephine bereits droben in den Salons ein weites Feld für Staunen und Verwunderung gefunden, so bot ihr der Speisesaal des Parterres mit seinem hocheleganten Tafelarrangement und den fast sämmtlich unbekannten Delicatessen des reichen Menus wohl den weitesten Spielraum naiven Entzückens.

Der Minister schien die verkörperte Liebenswürdigkeit, geistreich, vornehm in jedem Wort und jeder Geste, wußte er als Diplomat und Staatsmann die Themata der Unterhaltung so geschickt zu wählen, daß Onkel Bernd den letzten Rest der Befangenheit von Zunge und Seele streifte, und Tante Renate animirter denn je in alten 94 Erinnerungen und dem gewohnten Fahrwasser ihrer langjährigen Thätigkeit schwelgte.

Excellenz aber zog den prachtvollen Tafelaufsatz, einen künstlich gearbeiteten Silberbaum, an dessen Zweigen sich Marzipan und Chocoladenfrüchte schaukelten, näher heran, erzählte auf Josephinens staunende Frage, daß derselbe ein Geschenk des russischen Großfürsten sei, welchen er einst auf einer Reise nach Paris begleitet hatte, und während dessen löste er mit der bleichen, schlanken Hand die übrig gebliebenen Konfitüren völlig ab, legte sie auf den silbernen kleinen Teller und schob sie der jungen Dame zu. »Für Fräulein Haideröslein und die dazu gehörigen Pastors!« scherzte er, »Sie müssen doch ihren Getreuen einen Gruß aus Lehrbach bringen!«

Josephine jubelte und dankte von ganzem Herzen, bat Graf Günther um eine Zeitung und sagte: »Nicht wahr, Sie gehen gleich mit mir, die Tüte in den Wagen zu tragen, sonst vergesse ich sie am Ende!«

Und als die jungen Herren lachend einverstanden waren, beschloß man, alsdann gleich vom Hofe aus eine Tournée durch den Park zu machen.

Dämmeriger Schatten wehte kühl und balsamisch aus den Laubgängen und blühenden Anlagen, welchen die drei jungen Leute, von der gelben Dogge gefolgt, gemächlich entgegen schritten. Eine dunkele Purpurrose leuchtete im Gürtel der jungen Dame, eine eben solche hielt noch die Hand Lehrbachs, welcher 95 sich mit zauberischem Blick zu Josephine nieder neigte und um die Erlaubniß bat, diese zweite Blüte eigenhändig in ihr blondes Haar stecken zu dürfen.

Unbefangen blickte Fräulein von Wetter zu ihm auf. »Gewiß!« nickte sie anmutig, »wenn Sie es können?« Und sie bog das Köpfchen zur Seite und neigte es vor der wohlgepflegten, weißen Männerhand, welche sich mit behaglicher Umständlichkeit um den Schmuck der blonden Haarwellen verdient machte.

Durch das zackige Akazienlaub fiel ein Sonnenstrahl schräg über das junge Paar, weckte goldene Lichtfunken auf den zitternden Löckchen und glühte auf der sammtenen Blüte, welche sich ihnen kosend anschmiegte. Hell auf blitzten die Brillanten an Günthers Finger.

Hattenheim hatte mit untergeschlagenen Armen zur Seite gestanden, seine Brauen hatten sich finster zusammengezogen, und die fest geschlossenen Lippen schienen sich zu jähem Worte öffnen zu wollen, ein vorwurfsvoller Blick brannte auf Günthers lachendem Antlitz.

Er wandte sich kurz und schritt langsam voran, durch die Blüten streuenden Zweige des Goldregens und Jasmins.

Die Rose haftete. Günther und Josephine folgten der hohen Gestalt des Offiziers.

»Wissen Sie auch, was solch' eine Rose bedeutet?« fragte Graf Lehrbach mit langsamer Betonung. Die leuchtenden Mädchenaugen blickten Erklärung heischend zu ihm auf.

96 »Die Rose ist das Sinnbild der Liebe,« fuhr der junge Mann mit gedämpfter Stimme fort. »Schnell und ahnungslos bricht sie aus der Knospe, entfaltet voll berauschenden Duftes den purpurglühenden Kelch, sich und Anderen zu seligem Entzücken!«

»Aber sie trägt Dornen und welkt so schnell!« schüttelte Josephine befremdend das Köpfchen, »das stimmt doch nicht mit der Liebe überein?«

Ein langer dunkler Blick senkte sich in ihr Auge. »Auch das ist das Loos von Cupidos Pfeilen, daß sie oft scharf wie Dorn und Schwert sind, oft in Gift getaucht. Kennen Sie nicht den sinnigen Spruch, welchen Meisterhand in die Dichterlaube der Wartburg gemalt? ›Wem nie durch Liebe Leid geschah, geschah durch Lieb' auch Liebe nie!‹ Diese Worte sind wahr, unendlich wahr, Fräulein Josephine, denn wie die Rose ohne Tau nicht leben kann und ohne seine segensreichen Perlen niemals den Kelch zur vollsten Schönheit öffnet, so kann auch die Liebe nicht ohne Thränen bestehen, welche ihre größte Innigkeit und Stärke erst aus tiefstem Herzensgrund an das Licht locken!«

»Wem nie durch Liebe Leid geschah,« wiederholte Fräulein von Wetter leise, mit tiefgeneigtem Haupt, und es war ihr, als fiele plötzlich ein Schatten in das blendende Sonnenlicht. »Ich möchte lieber die Sonne ohne Wolken schauen!«

»Da fällt schon ein Blättchen aus der Rose!« Josephine stimmte wieder in seinen heiter werdenden Ton ein. »O weh, wenn das der Liebe Sinnbild 97 ist!« und sie folgte mit dem Blick dem kleinen Purpurblatt, welches wie ein Schmetterling von ihrem Gürtel hernieder vor Günthers Füße flatterte. Sie blieb stehen. Der junge Offizier lächelte sein altes, leicht frivoles Lächeln. »Mein Gott, warum verlangen Sie von Rosen und Lieben ein endloses Dasein! Es würde ja langweilig werden, wie schließlich Alles, selbst das Schönste auf der Welt! Besser, daß eine Blume kurz, als gar nicht blüht, und besser ein flüchtiger Glückstraum, als gar keiner!«

»Wünschen Sie sich das?«

»Nein, uns allen Beiden nicht!« Und er lächelte zu ihr nieder, daß leises Rot ihre Schläfen färbte, schritt weiter und zertrat achtlos das kleine Rosenblatt im Staub.

»Es muß wunderlich in der Welt zugehen, ich freue mich darauf, sie kennen zu lernen!« Und Josephine streifte strahlenden Gesichtchens die blühenden Gebüsche mit der Hand und ließ die kühlen Blumensternchen in schnellem Weiterschreiten durch die Finger tanzen.

»Und ich verspreche mir viel Genuß davon, Sie mit dieser bunten, schönen, lustigen und leicht hinrollenden Welt bekannt zu machen! Nach der langen Zeit dieser entsetzlichen Einöde muß es Ihnen ja vorkommen, als erwachten Sie aus bleiernem Traum, um endlich, gleich dem Schmetterling, die schimmernden Flügel in Luft und Licht und Wonne zu baden! O, es ist schön zu leben! Es ist schön, ein Schooßkind des Glückes zu sein!« Und der junge 98 Graf ließ den glänzenden Blick zum Himmel emporschweifen, lachende Jugendlust blitzte darin, sorglose, strahlende Heiterkeit eines Herzens, in welchem noch kein Thränentau die dornige Liebesblüte genetzt.

Vor ihnen hob sich der Weg steil an felsigem Hügel empor, dessen Stirn die epheuumwucherten Mauerreste der Burgruine trug. Mit leichten Schritten eilte Lehrbach voran, wandte sich nach wenig Augenblicken zurück und reichte Fräulein von Wetter galant die Hand entgegen. »Hier gibt es Barrikaden, meine Gnädigste! Moosige Felsen und Blattschlingen, ganz Natur und Poesie, wie es sich für einen Altar der Vergänglichkeit geziemt!«

Josephine lachte hell auf: »Glauben Sie, ich könnte nicht klettern?« Und ihm einen übermütigen Klapps auf die dargereichte Hand gebend, sprang sie trotz der massiven Chaussure leichtfüßig wie eine Gazelle über das Gestein.

Günther schmollte und sah auf seine Hand nieder. »Wie grausam, Fräulein Josephine, mich also die Dornen der Rose fühlen zu lassen!«

Im hellen Sonnenlicht, rosig, übermütig und liebreizend stand sie vor ihm, neigte das Köpfchen schelmisch zur Seite und recitirte voll Pathos: »Wem nie durch Liebe Leid geschah, geschah durch Lieb' auch Liebe nie!« Da lachten sie zusammen, Günther aber trat näher, nahm schnell ihre kleine Hand und zog sie an seine Lippen. »Durch Liebe Leid geschah?« wiederholte er mit wundersam fragendem Blick.

99 »Eine herrliche Aussicht hier oben!« ertönte in diesem Augenblick Hattenheims Stimme aus dem grünumrankten Spitzbogenfenster der Ruine über ihnen. »Eilen Sie sich, mein gnädiges Fräulein, damit Sie sehen können, wie schön doch Ihre Heimat ist!«

»Ja, ich komme schon!« rief Josephine in harmlosester Lustigkeit und eilte behende durch die Trümmer auf den grasbewachsenen Hof des alten Gemäuers.

Schnell trat sie an Hattenheims Seite. Die Hände auf die laubumsponnenen Quadern gestützt, die Augen starr auf das entzückende Bild geheftet, welches sich ihr darbot, stand sie stumm und regungslos, wie ein Kind, vor dessen Blick sich der geheime Zauber eines Kaleidoskops entrollt.

Zu ihren Füßen von Licht und Klarheit umflutet, lag Lehrbach inmitten der grünen Wipfel; breit dehnte sich das Halbrund der Façade hinter der farbenprächtigen Rosenfläche, welche, von hier oben gesehen, einem köstlich gewirkten Teppich glich, aus dessen geschmackvoller Zeichnung die gelben Touffes des Goldregens, die glühenden Rosenbouquets und die weithin schimmernde Schneepracht des Faulbaumes und Jasmins emporleuchteten. – Dunkle Fichten schatteten längs der Parkgrenze, und durch ihre hangenden Zweige blitzte der kleine Weiher auf, dessen Silberflut ein paar Schwäne durchkreuzten, dessen zitternde Wellen gegen eine Insel spülten, bestanden von silbernen, tiefhängenden 100 Weiden und Fliedersträuchen, unter welchen blutrote Peonien das Nest der Schwäne umblühten, um ihr Bild gleich schaukelnden Feuerkugeln im klaren Wasser zu spiegeln. – Und weiter zurück leuchten die roten Dächer der Wirtschaftsgebäude verstohlen aus dem grün wogenden Wipfelmeer, – schaut ehrbar der runde Turm der Kapelle herüber, grenzt Haideland und kahlstämmiger Waldstrich den fernen Horizont, während sich auf der entgegengesetzten Seite des Schlosses fernhin das Ackerland zieht, grüne Kornfelder, von dunklen Kartoffel- und gelben Lupinenstreifen durchfurcht. –

»Nicht wahr, dies ist ein herrlicher Ausblick?« unterbrach Hattenheim zuerst die Stille, und sein Blick flog in wehmütig langem Schauen über die nordische Landschaft. »Er gemahnt mich an daheim, wo's auch so frei und weit und einsam ist, wo keine Berge Auge und Atem beengen, wo Himmel und Erde noch in Eins verschmelzen.«

»Wo sind Sie denn zu Hause?« fragte Josephine, zum ersten Mal voll Interesse zu dem blonden Manne emporblickend.

»Da, wo sich die Füchse und Hasen gute Nacht sagen«, lächelte Hattenheim gutmütig, »weit droben in Ostpreußen, wo man polnisch sprechen muß, um seinen Nachbarn und Untergebenen nicht barbarisch zu erscheinen! Meine Familie stammt aus diesem schwarz-weißen Sibirien, und unser Stammschloß, ein fester, trotziger Bau, ebenso hart und viereckig wie der Schädel seiner Namenshalter, ist auf Fels 101 gebaut und schaut weit über klippiges, wildes Nordlandsmeer. – Kommen Sie einmal zu jenem Bogenfenster! Hier schaut es sich trefflich hinaus, namentlich für Einen, der gern die Gedanken so weit fliegen läßt, wie den Blick.« Und Hattenheim schritt über das moosige Gestein zu der entgegengesetzten Seite der Ruine, bog die Brombeerranken und die wuchernden Schlingen der Waldrebe zur Seite und ließ die junge Dame an die zerfallene Mauerbrüstung treten. »Hier hört das Gebild von Menschenhand auf,« fuhr er fort, »drüben Kultur und hier köstliche, poesievolle Wildniß, nichts wie Wald und Haide! Dort aber, sehen Sie, wie das geschmolzene Silber uns seinen Gruß entgegenblitzt? Das ist der Wantskasee, in dessen Schilf noch Wassernixen wohnen!«

Josephine wollte eifrig antworten, aber Graf Lehrbach unterbrach sie, welcher mit dunkelgerötetem Angesicht, fast atemlos erst jetzt in die Ruine eintrat und dem Freunde ein rosiges Briefblatt entgegenschwenkte.

»Reimar! Beim Teufel, ein ›Grüß Gott!‹ aus Berchtesgaden!« rief er aufgeregt, »mit einer Enzianblüte, von Prinzeß Sylvie eigenhändig gepflückt! Die kleine Dienheim schreibt mir ein süperbes Billet dazu, natürlich Dictat der Hoheit! Famos geschickte Wendungen, ›aus lauter Langerweile!‹ hahaha! Glaubst Du das, alter Junge, daß Sylvie und Ilse aus Verzweiflung Enzianblüten an alle Tänzer der letzten Saison schicken? Ich nicht! Wollen Skizzen 102 haben, umgehend und schneidig wie immer! Ob's lauter Kunstinteresse ist?« Und der schöne Mann zuckte leicht die Achseln, mit einem Lächeln, welches grenzenlose Eitelkeit und Ironie spiegelte, dennoch vibrirten die feinen Nasenflügel unter dem Einfluß seiner Aufregung.

»Du glaubst, die Prinzessin interessire sich für Deine hiesige Robinsonade?« entgegnete Hattenheim mit fast hastiger Freude, während stolze Genugthuung sein redliches Antlitz noch höher färbte. »Sie wünscht Nachricht von Dir, via Dienheim?«

»Du sagst's, mein Feldherr! Der Enzian ist Mittel zum Zweck!« Graf Günther nahm die gepreßte Blüte aus dem duftenden Briefumschlag und hielt sie mit graziös abgestrecktem kleinen Finger Fräulein Josephine entgegen. »Attention, meine Gnädigste!« lächelte er, »solche Blüten dürften eine Seltenheit sein! Vergegenwärtigen Sie sich die Scenerie einer ›Geier-Wally‹, denken Sie sich droben auf diesen Berghäuptern, deren Scheitel den Himmel stützen, um deren klüftige Felshänge die Wolken wehen, eine idyllische, einsame Almhütte, mitten auf blühender Matte erbaut! Da stand diese kleine, unschuldige Blume, welche weiter nichts von der Welt kannte, als die Schneehäupter, Schluchten und Thäler vor ihrem Blick, welche vielleicht die vornehmen Schwestern im Garten und Park beneidete, die, bewundert von viel tausend Menschenaugen, ein seligeres Dasein fristeten, denn sie, die in Verborgenheit dahin welkte! Aber sieh! den Fels empor klimmt 103 ein kleiner, kleiner Fuß, lichte Gewänder flattern über Moos und Alpenkraut, goldene, wilde Locken kosen mit dem Wind, und ein lächelndes Antlitz neigt sich zu der einsamen Blume. Da brach die Hand eines Königskindes den blauen Kelch. Ist das nicht ein seltenes Schicksal, Fräulein von Wetter, und ein neuer Beweis, daß nichts auf der Welt so verborgen ist, um nicht von der Sonne des Glücks erreicht zu werden?«

»Ist die Prinzessin schon alt?« fragte Josephine statt jeder Antwort.

»Alt?!« Lehrbach lachte schallend auf. »Mein gnädiges Fräulein, eine Prinzessin ist niemals alt, und zählte sie selbst Methusalem zu ihrem Jugendgespielen! Alt ist überhaupt kein hoffähiges Wort, die Leute in der Residenz sind ewig jung, und wenn sie sterben, ist es immer in den besten Jahren!«

»Das ist ja gar nicht möglich!« ereiferte sich Josephine naiv.

»Bei unserm lieben Herrgott und dem Erfinder des ›eau de lys de Lohse‹ und ›Pariser rouge‹ ist kein Ding unmöglich! Aber Scherz à bas! Sie fragen, ob Prinzessin Sylvie alt ist? Eine delicate Frage, welche Sie vielleicht für beantwortet erachten, wenn ich Ihnen versichere, daß die lebenslustigste aller Hoheiten leidenschaftlich gern – Cotillon tanzt!«

»Mit Ihnen?« Josephine blickte ihn lächelnd an, mit einem gewissen Stolz sogar, daß der Tänzer einer Fürstin demnächst in der Stauffner Eßstube 104 sie und Pastors Gretchen die graziösen Künste Terpsichorens lehren würde!

»Gewiß!« nickte Günther ein wenig blasirt, und die Sporen des Sprechers mischten ihren melodischen Silberklang in das kurze Auflachen, mit welchem der junge Offizier die Hand auf die Schulter des Freundes legte und lebhafter fortfuhr: »Der Brief ist selbstverständlich per expreß gekommen, und ich bitte sehr, mich für wenige Augenblicke zu entschuldigen, ich möchte die Gelegenheit benutzen und dem Ueberbringer ein Telegramm mitgeben, welches mich in Berchtesgaden zu Füßen legen soll, à revoir also und tausendmal Pardon!«

Und Graf Lehrbach salutirte degagirt und elegant, blickte noch einmal lang und ausdrucksvoll in Josephinens Augen und wandte sich hastig, um hinter moosigem Gestein und Waldesgrün, gefolgt vom gelben Rüden, zu verschwinden.

Kurze Zeit verweilten die Zurückbleibenden noch in der Ruine, und es war seltsam, wie gesprächig und lebhaft Herr von Hattenheim wurde, hatte er allein für die Unterhaltung der jungen Dame zu sorgen.

Mit glänzenden Augen lauschte Fräulein von Wetter zu ihm auf, als Reimar mit begeisterten Worten die Vorzüge des Freundes pries, seine Schönheit und Liebenswürdigkeit in selbstlosester Weise anerkannte und mit fast väterlichem Stolz eine Beschreibung entwarf, wie abgöttisch der junge Graf von Kameraden und Freunden verehrt, wie 105 ganz er enfant gâté der Damenwelt sei, wie sich fast jedes Fest in der Residenz um ihn und seine so hoch eleganten Arrangements drehe, wie ein Ball, welchem Lehrbach nicht vortanze, weder chic noch amüsant sei, und wie er durch die Stellung seines Vaters selbst bei Hofe ein täglicher und unentbehrlicher Freund geworden.

»Wie glücklich muß er sein!« atmete Josephine hoch auf, und ihre Gedanken flogen voraus zum nächsten Winter, wo sie mit eigenen Augen all die Triumphe schauen sollte, welche sie doch gewiß an seiner Seite teilen würde. –

»Zu glücklich fast!« – nickte Hattenheim ernst. »Ein allzu grelles und dauerndes Licht blendet den Menschen und stumpft ihn ab. Das Glück flattert Günther in den Schooß und umschmeichelt ihn mit viel zu verschwenderischem Zauber, er aber gibt sich ihm haltlos hin, – genießt die Bevorzugung eines launischen Schicksals wie ein selbstverständliches Anrecht, und vernachlässigt dadurch ein ernstes und gewissenhaftes Studium seiner selbst; – ich fürchte, dieses wolkenlose Schwelgen im Sonnenschein verflacht das so edel und groß angelegte Gemüt meines Freundes, und statt köstliche Seelenfrüchte zu reifen, wird er an der Uebersättigung und Seichtheit zu Grunde gehen, wie schon tausend Andere vor ihm, die zu schwach waren, eine Reihe von guten Tagen zu ertragen!« Und weiter schritten sie über moosigen Waldboden, unter hochgewölbten Buchenkronen dem kleinen Weiher entgegen.

106 Auf dem breiten Fahrweg, welcher durch den Park in die Felder führte, lag eine Kornähre. Hattenheim sah sie, zog den schon erhobenen Fuß zurück, beugte sich und legte den noch grünen Samenhalm zur Seite. Josephine war einen Schritt vorausgegangen, dennoch sah sie seine Bewegung und wandte sich zurück. »Was thun Sie da?« fragte sie erstaunt.

Tiefe Verlegenheit färbte sein Antlitz höher, mit unendlich treuherzigem Blick schaute er zu ihr nieder. »Ich mochte nicht auf die Kornähre treten!« sagte er wie entschuldigend.

»Und warum denn nicht?«

Da neigte er das Haupt und lächelte auf seine milde, melancholische Weise. »Das ist eine Angewohnheit aus meiner Kindheit und eine Erinnerung an die Zeit, da ich noch viel durch die heimatlichen Felder ging. Da lagen auch stets die Aehren über den Weg, und ich konnte es nicht übers Herz bringen, das mit Füßen zu treten, was unser lieber Herrgott zu unserm Heil und Segen wachsen läßt, was manches Armen Hunger stillen kann, ich hob immer die Halme auf und legte sie zur Seite. Und so hab' ich's beibehalten bis zum heutigen Tage, wenn ich's in der Residenz auch nur sehr selten, oder sinnbildlich bethätigen kann! Sie werden mich wohl auch auslachen, wie Günther, oder es gleich wie er unter dem modernen Motto ›chacun à son goût‹ als eine Schrulle mehr auf der Welt passiren lassen!«

107 Josephine lachte aber nicht, sondern sah nachdenklich vor sich nieder; während seiner Worte war es ihr plötzlich gewesen, als sähe sie wieder ihr zartes Rosenblatt unter Günthers Sohle im Staube sterben, sie hob jäh den Blick, schaute Reimar voll ins Antlitz und sagte treuherzig: »Ich glaube, Sie sind ein sehr, sehr braver Mensch!«

Da fielen die Sonnenstrahlen hell durch die Bäume und beleuchteten sein blondes Haupt und das verlegene, tief erglühende Antlitz. Josephine aber fuhr fort: »Sie sind gewiß nicht in lauter Glück und Sonnenschein aufgewachsen, und Ihnen ist sicherlich schon manches Leid geschehen, das die Menschenherzen weich macht, wie Graf Günther sagt?« Und halb fragend, halb zweifelnd und den Ernst ihrer Worte durch das sonnige Kinderlächeln mildernd, ja durch dasselbe beweisend, wie fern ihr eigentlich noch das volle Verständniß desselben sei, bog sie das Köpfchen zur Seite und blickte ihn forschend an.

»Das Glück ist eine schlechte Mutter, hat Lieblinge und Stiefkinder, und wer zu den Letzteren gehört, wird selten seines Lebens froh!« Hattenheim sagte es ruhig, fast resignirt, dann bog er schnell die blühenden Zweige des Gebüsches, welche den schmalen Weg fast überwucherten, zur Seite und sagte heiter, dem Gespräch eine andere Wendung gebend: »Da sind wir schon am Weiher, mein gnädiges Fräulein; wenn Sie aber mit leeren Händen zu Hans und Grete, dem glücklichen Herrscherpaar dieses wässrigen 108 Idylls kommen, werden Sie sich wenig insinuiren! Hier! nehmen Sie das Brot, ich trage es schon immer in Reserve mit mir herum!«

Josephine lachte lustig auf. »Chacun à son goût! Herr von Hattenheim, Graf Günther hat Recht! Sie beide sind verschieden wie Tag und Nacht – ah, da kommt er, sehen Sie, wie er sich geeilt hat!«

Hans und Grete, das Schwanenpaar, ruderten herzu, und empfingen behaglich plätschernd die Gabe aus Josephinens Hand, Graf Günther stand daneben, klopfte den Freund kopfschüttelnd auf den breiten Rücken und lachte in einem Gemisch von Ironie und Anerkennung: »Dicker, Du bist ein ganz verrückter Kerl, aber doch das grundgütige Schicksal für Alles, was da kreucht und fleucht, ohne Dich stürbe Lehrbachs lebendes Inventar aus!« 109


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