Nataly von Eschstruth
Gänseliesel
Nataly von Eschstruth

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Siebenzehntes Kapitel.

Motto: »Hüte dich! Hüt' dich, schön's Blümelein!«
(Altes Kirchenlied.)            

Das von Prinzeß Sylvie, zu Ehren der Sieger in dem Wettritt gegebene Koncert nahm seinen Fortgang.

Leon d'Ouchy war an Josephinens Seite getreten. Es lag ein fast starrer Ausdruck auf seinen Zügen, er schritt schweigend neben ihr her.

»Darf ich um den Vorzug bitten, Sie zu Tisch zu führen?« fragte er endlich kurz.

»Wenn uns die Plätze nicht bestimmt werden, gewiß!«

Er sah sie fast erstaunt an; er hatte kaum darauf zu hoffen gewagt.

»Man läßt heute der Jugend ihre Freiheit, nur die älteren Herrschaften soupiren mit den Hoheiten, uns hat man Marschallstafeln in der Galerie gedeckt!« Er sagte es schnell, abgerissen, mit seiner leisen, etwas undeutlichen Stimme, sein Blick beobachtete sie. »Wünschen Sie in der Nähe des Herrn von Hattenheim zu sitzen?«

99 Josephine schaute fast betroffen auf. »Ich habe gern meine Freunde in der Nähe, aber es ist absolut keine Nothwendigkeit.«

Wieder senkte sich sein düsterer Blick tief und durchdringend in ihr Auge. »Ich glaubte Ihnen einen Gefallen zu thun!«

»Sehr freundlich, ich nehme Ihren guten Willen vielleicht ein ander Mal in Anspruch.«

Dann traten sie in den Koncertsaal. Herr von Reuenstein saß bereits an einem kleinen Tischchen vor seiner Zither, um derselben in höchster Aufregung »Hoch vom Dachstein« abzuquälen. Hie und da ging es auch einmal daneben, und das Kompliment des Ordonnanzoffiziers, mit welchem er sich einem sehr verehrten Publikum zum Schluß empfahl, war länger und ausdrucksvoller als die ganze Pièce.

Herzogin Mutter aber nickte ihm huldvoll zu, und Prinzessin Sylvie hatte die Gnade ihn zu fragen, »wie viel Saiten ihm während des Vortrages geplatzt und wie viel Schrauben ihm losgegangen wären?« Das hatte natürlich Graf Lehrbach soufflirt!

Aber besser, eine solch kleine Malice ertragen, als völlig ignorirt werden. Die Leute sahen ja nur, daß die Prinzessin zu ihm redete und daß Herr von Reuenstein sehr geschmeichelt lächelte, ergo! Wie viel Elogen konnte man mutmaßen! Damit tröstete sich der Ordonnanzoffizier.

Graf Lehrbach war übrigens anmaßender als je. Er kam sehr eilig herzuchassirt und bat den Ordonnanzoffizier, doch schnell mitzukommen und 100 den Daumen vor die offene Balkonthüre zu halten; es ziehe Prinzeß Sylvie in den Nacken! Und dabei sah er auf den besagten Finger des Herrn von Reuenstein hernieder, welcher durch das Zitherspielen auffallend breit und unförmig geworden war.

Natürlich hatte Günther die Lacher auf seiner Seite. Und da er der Günstling und sein Vater der Allmächtige am Hofe waren, ballte der Ordonnanzoffizier, Herr von Reuenstein, die Hand nur in der Tasche und lachte sehr amüsirt mit. – – – –

Wieder gab es eine Pause, wieder wogte das bunte Leben in den Wintergarten zurück.

Prinzessin Sylvie hatte eine neue Caprice in Scene gesetzt. Auf den Arm des Gänseliesels gestützt, sah man sie längere Zeit zwischen den blühenden Spalieren auf und nieder schreiten. Sie bevorzugte die Kleine ganz ostensibel, und Ilse Dienheim erzählte mit etwas hämischem Gesicht, daß Hoheit kürzlich dem Grafen Günther recht ungnädig zu verstehen gegeben habe, daß seine Skizzen übertrieben boshaft und sein Benehmen gegen die Familie von Wetter durchaus nicht gentlemanlike gewesen seien. Es werfe auch in der That ein schlechtes Licht auf Lehrbach! Er sei so liebenswürdig in Groß-Stauffen aufgenommen, und habe als Dank dafür mit seinen maliciösen Zeichnungen die armen Menschen so übel in der Residenz verleumdet!

Josephine sei sehr reizend! Namentlich ihr brillantes Reiten habe ihr das Herz der Prinzessin erobert! Sie müsse nur, wenn Hoheit an ihre 101 aufrichtige Ergebenheit glauben solle, endlich Farbe bekennen und sich von den »Schwarzen« trennen. Palais oder Pavillon? Darüber müsse das reizende Stauffener Fräulein bald Klarheit verbreiten. Sie sei noch ein zu häufiger Gast bei Marie Christiane, als daß man ihre volle Aufrichtigkeit glauben könne. »Palais und Pavillon« ginge nicht! Das Zögern und Nichtverstehen dieser klaren Dinge würde wohl noch der Stein des Anstoßes werden, daß sie nicht offiziell zur Intima Sylvies erhoben würde.

Das war ein außerordentlich interessantes Thema für die große Menge, man reckte die Hälse und lauschte atemlos, aber man hatte als Antwort nur feine Nadelstiche gegen den Protégé Lehrbach. Denn es war doch absolut noch nicht an der Zeit, eine Meinung auszusprechen und offizielle Parteilichkeit zu riskiren, wiewohl es manch liebem Freund in den Fingern juckte, je eher je lieber des verwöhnten Prinzen Fortunatus stolzes Siegesbanner herabzusetzen.

Neid und Bosheit hatten schon lange Zeit im Dunkeln gearbeitet und die Contreminen gelegt, welche nur noch auf den Funken warteten, um unter des Glückskindes sichern Füßen loszuplatzen. Er hatte sich zu viele Feinde gemacht, hatte es die Leute zu sehr fühlen lassen, daß er ihnen überlegen war, hatte mit unbedachten und übermütigen Worten zu viel böse Saat gesäet. Noch beugten sich aber die Nacken huldigend vor der »rechten Hand des 102 Herzogs«, dem Minister, und seinem Sohne, wenngleich die Zähne dabei knirschten.

Nur Gräfin Aosta nahm ungenirt Partei gegen das Gänseliesel und intriguirte gegen Josephine, wo sie nur irgend konnte. Aber ihr Gift fand keinen dankbaren Boden, im Gegenteil man lächelte etwas ironisch und blinzelte sich verständnißinnig zu. Am lautesten lachte Prinz Detlef darüber und taufte sein neuestes und kostbarstes Rennpferd »Gänseliesel«, eine Ovation, welche viel von sich reden machte.

Als Prinzessin Sylvie ihre Promenade mit Fräulein von Wetter beendete, um dem Erbprinzen Karl Theodor die Details ihrer verlorenen Wette zu erzählen, hing sich Fräulein von Dienheim an Josephinens Arm und that ebenfalls sehr vertraut mit ihr. Au fond wollte sie aber nur wissen, was Ihre Hoheit Alles geplaudert hatte und nebenbei den Leuten den Glauben nehmen, daß sie eifersüchtig sei. Denn dazu war sie zu blasirt und zu schlau, wenngleich sie nichts versäumte, um das Heft in der Hand zu behalten.

Sie führte das Gänseliesel schließlich zu einem Bosquetplatz, auf dessen halbrunder Bank bereits ein paar junge Damen und Offiziere Platz genommen hatten, um sich unter animirtem Geplauder an Ananas-Crème zu erfrischen.

Ilse ließ sich mit kräftigstem Aplomb neben den Freiherrn Clodwig nieder, verschränkte die Arme auf dem Rücken und lehnte den Kopf behaglich 103 zurück. »Na Kinder, habt Ihr schon mal wieder zum Futtern geblasen? Weiß der Kukuk, wie Ihr solch süßes Gemausche überhaupt hinter die Cravatte kriegt! Heda! . . James! . . Bringen Sie mir mal eine pikante Schnitte hierher!« Der Lakai stürmte davon, Clodwig und Konsorten aber brachen höchlichst amüsirt eine Lanze für ihren Ananas-Crème.

Josephine hatte sich auf den Eckplatz der Bank niedergesetzt. Der Kopf war ihr so heiß und wirr, das Herz so voll Jubel und Sorge, ach, daß sie jetzt hätte allein sein können! Ihr isolirter Platz an Ilsens Seite schloß sie glücklicherweise etwas von der allgemeinen Konversation aus, die Menschen neben ihr waren so sehr mit ihrem eigenen Vergnügen beschäftigt, daß sie keine Zeit und kein Interesse für Andere hatten. Auch waren sie tolerant genug, Jedermann auf seine Façon sich amüsiren zu lassen.

Die Kapelle spielte eine Phantasie über moderne Opernthemata, oft brausten die Klänge so nah, daß sie fast das Gelächter der Umsitzenden übertönten. »Worüber denken Sie nach?« fragte es plötzlich leise in ihr Ohr.

Josephine schrak empor. Hinter ihr, auf die Banklehne gestützt, zwischen den blühenden Zweigen stand Baron d'Ouchy. Er neigte sich tief zu ihr hernieder und lächelte über ihren Schreck. »Samiel aus den Koulissen! Sie glaubten sich wohl ganz sicher vor mir auf diesem raffinirt unzugänglichen Platz und beabsichtigten in recht egoistischer Weise, 104 nur Ihren eigenen Gedanken Audienz zu geben? Wie wenig kennen Sie doch noch die Diplomaten, deren Pflicht es ist, Unmögliches möglich zu machen!«

»Solange die Hindernisse nur aus Blumenzweigen bestehen, ist dem Verdienst sehr schnell die Krone gewunden!«

»Wie grausam Sie mich aus meinen Illusionen stürzen! Unsere Zeit ist leider Gottes viel zu kultivirt, um uns noch auf dem Weg zu dem Glück mit Drachen und Riesen kämpfen zu lassen. Die modernen Ritter müssen eben andere Waffen führen als die Ahnherrn zu Andromedas Zeiten und bestehen oft einen heißeren Strauß auf dem Schlachtfelde des Geistes, als weiland der Königssohn, welcher nur einen Lindwurm zu erschlagen brauchte, um die geliebte, am Felsen gefesselte Jungfrau zu erringen!«

Josephine lächelte zu ihm auf.

»Und mit wem kämpfen die Ritter ohne Furcht und Tadel heut zu Tage?«

»Mit ihrem Gewissen!« – Es klang gepreßt durch seine Zähne. Das bleiche Antlitz, welches sich noch näher zu ihr herabneigte, trug das Gepräge eines leidenschaftlichen Seelenkampfes. Ein fast grausam harter Zug lag um die schmalen Lippen.

»Den Helden der Vorzeit war ein Gegner von Fleisch und Bein gegenüber gestellt, welchen ein starker Arm, ein scharfes Schwert und kühner Mut mit einem einzigen Schlage zu Boden strecken konnten, da war es ein Gang auf Tod und Leben, Sieg oder 105 Untergang! Solch ein Zweikampf ist ein berauschendes, poetisches Glück, Fräulein Josephine, ist das einzig Gute an der guten alten Zeit! Heut zu Tage aber ist es kein scheußliches Ungeheuer, welches sich zwischen zwei Menschen drängt, es ist ein glitzerndes, glutäugiges Gespenst mit lachendem Angesicht, ein dämonisches Weib mit erhobenem Füllhorn, es ist das Gold, das mit schillerndem Panzer gegen Hieb und Stich gefeit ist!«

»Und läßt sich Gold nicht erringen?« fragte das junge Mädchen mit fast ängstlichem Blick auf seine Stirn, über welche die Erregung purpurne Glut goß. »Wozu ist die Arbeit in der Welt, wenn sie nicht das symbolische Schwert ist, welches die Drachen, Gold und Silber in den Staub zwingt?«

Leon d'Ouchy lachte bitter und scharf auf, es blitzte in seinem dunklen Auge wie wilde Entschlossenheit.

»Wissen Sie, was es heißt, sich mit eigenen Händen sein Brod verdienen?« Er schüttelte finster das Haupt. »Das Schwert ›Arbeit‹ ist stumpf und schwer wie Blei, das siegt nicht mit einem Schlag, sondern verlangt ein ganzes Menschenleben, um in rastlos mühseligem Kampfe geschwungen zu werden, das verlangt zum Sold für seine Dienste die Jugend und die beste Kraft des Mannes! Was nützt mir ein Triumph mit weißen Locken?! Die Liebe und die Maienlust des Lebens sind dahin, das Herz ist in den Staub getreten, damit die Hand nach langen, langen Jahren – vielleicht! – 106 nach einem Säckel Gold greift! Beim Himmel, eine Waffe, die das eigene Herzblut ihres Kämpen trinkt, die ist ein Fluch! – Ich will für meine Liebe, meine Jugend in die Schranken treten! Ich will das dämonische Weib mit dem falschen Sinn und dem goldenen Boden unter den Füßen zu mir heran locken mit dem heißen Flehen der Leidenschaft; in wenig Tagen schüttet sie ihre Loose aus dem Füllhorn – und gibt sie mir Sieg und Gewinn, und läßt sie den glitzernden Segen des Reichtums über mein Haupt träufeln, so will ich noch an gute Mächte glauben. Läßt sie mich aber im Stich, so will ich sie gewaltsam an mich reißen, will sie mit eisernen Fäusten packen und unterthan machen, wie der Held der nordischen Sage Fafner, den Hüter der goldenen Schätze, bezwang!«

Es lag ein Klang in der Stimme des Mannes, welcher das junge Mädchen unwillkürlich erzittern ließ. Es kam ihr vor, als sei die leise flüsternde Stimme neben ihrem Ohr das Zischen einer Natter, welche sich verderbend um die Glieder ringelt.

»Spielen Sie in der Lotterie?« fragte sie zaghaft.

D'Ouchy nickte mit glimmendem Blick: »In wenig Tagen entscheidet es sich!« Dann strich er mit der Hand über die Stirn, ließ sie momentan über den Augen ruhen und starrte auf das blonde Köpfchen hernieder. »Warum sahen Sie mich mit so zauberischen Augen an, als ich vorhin Geige spielte?« fragte er plötzlich. »Ich fühlte Ihren Blick.«

107 »Sie spielten noch nie so schön wie heute!« lächelte sie unbefangen aufrichtig, »und einem Menschen, der es versteht, Herz und Seele so außerordentlich zu entzücken, dem blickt man doch gern in das Antlitz, weil man sich unwillkürlich einbildet, dort müsse die Lösung des Rätsels stehen, dort müsse man mit Augen irgend ein Merkmal sehen, welches Gott seinen Lieblingen auf die Stirne gedrückt!«

Es ging ein seltsames Zucken über sein Antlitz. »Ich bin kein Gottbegnadeter, Fräulein von Wetter, ich bin ohne jegliches Talent geboren; was ich kann, ist das Resultat eines eisernen Fleißes. Ihr Blick hat mich begeistert – inspirirt – ich stand nur für Sie auf dem Podium, ich spielte nur für Sie! Mir war es, als müßten Sie das auch heraushören! Welch eine jämmerliche Meisterin wäre die Musik, könnte sie nicht die Seelen zwingen! Wie Zauberschlangen winden sich die süßen Melodien um das Weiberherz, da ist kein Blutstropfen, keine Faser, kein Nerv, welche nicht der lockenden Gewalt anheimfiel, ich weiß es, ich spiele um hohen Lohn!«

Sein Blick brannte in verzehrendem Feuer, die Zähne blinkten grell durch die Lippen, ein unheimliches Leuchten ging über sein Angesicht. Josephine fühlte seinen heißen Atem ihre Wange streifen, und doch war es ihr, als wehe ein Grabeshauch schaudernd über sie hin – – sie wußte nicht warum, aber sie fürchtete sich vor diesen grundlosen Augen. Da klangen Musikklänge von dem Orchester herüber, 108 grell aufbrausend wie ein laut gerufenes Wort – Josephine zuckte empor.

»Hören Sie?«

Er lächelte und nickte, Feuerlilien wiegten sich neben seinen Schultern, Goldregenblüten zitterten über seinem Haupt. »Carmen-Phantasien, Fräulein Josephine! Die Lieb' die vom Zigeuner stammt, fragt nicht nach Recht, Gesetz und Macht! Mögen Sie dieses Lied auch so gern wie ich? Es hat einen besonderen Reiz für mich, da auch in meinen Adern Zigeunerblut fließt, ich verstehe es so wohl, ich sehe mich darin wie in einem Spiegel, ich selber liebe, wie die Zigeuner lieben!«

»Sie? . . . . In Ihren Adern Zigeunerblut?« Fräulein von Wetter war sehr bleich bei dieser Frage.

Er lachte leise und seltsam auf. »Nicht wahr, das ist wunderlich? Aber dennoch Thatsache; meine Amme war eine Heimatlose, ein braunes, wildes Weib mit blitzendem Auge und leidenschaftlicher Vorliebe für Gold. Ketten und blinkende Spangen trug sie an Armen und Hals, es war das Erste, was mir in die Augen stach! Wir lebten damals einsam auf dem Stammschloß in der Bretagne, kein junges Weib meilenweit in den Wäldern zu finden, unser Gesinde waren Dirnen oder Greisinnen. In der Nacht, da ich geboren wurde, flackerten Zigeunerfeuer an der Parkmauer, und unter den Fenstern des Schlosses tanzten und rasselten die braunen Kinder der Freiheit. – Meine Mutter starb, und 109 viel Gold bewog die schwarze Almiacita, die Treppe emporzusteigen, um mir die erkaltete Frau unter dem seidenen Bettbaldachin zu ersetzen. Da strömte das heiße, giftige Zigeunerblut in meine Adern! Meine Wiegenlieder waren Klänge von Liebe und Haß, mein erstes Spielzeug waren die klirrenden Münzen auf der Brust Almiacitas, das erste Wort, welches ich lallte, war eine fremde geheimnißvolle Sprache. Dann entfloh meine Pflegerin über Nacht, des Vaters leerer Beutel konnte sie nicht mehr mit funkelndem Segen fesseln. – Ich aber wuchs empor, ein wilder, zügelloser Zigeunerbub.« Leon d'Ouchy schwieg, von dem Orchester klangen die Carmenlieder.

»Wie kamen Sie nach Deutschland?« fragte Josephine gedankenvoll.

»Lassen Sie mich das ein ander Mal erzählen!« flüsterte er, »ich habe noch eine Frage an Sie zu richten, und die Zeit ist knapp.« Sein Blick überflog prüfend die Umsitzenden, sie waren sehr lustig und ganz mit sich selber beschäftigt; da man so »unter sich« war, erzählte Ilse ein paar höchst amüsante und kräftige Pferdestallanekdoten. Die Andern klatschten Beifall.

»Eine Frage an mich?« wiederholte Josephine emporschauend.

Sein Blick traf ihr Auge. »Sind Sie mit Herrn von Hattenheim verlobt?« fragte er fast rauh – »es ist keine Indiskretion von mir, sondern eine Frage an das Schicksal.«

110 »Mit Hattenheim?« Unwillkürlich lachte ihm Fräulein von Wetter in das Gesicht, dann senkte sie erglühend den Kopf, sie sah Graf Lehrbach in einiger Entfernung mit Ange stehen und plaudern, er blickte gerade zu ihr herüber. D'Ouchy bemerkte es nicht, ein Aufblitzen ging über seine Züge, er beugte sich noch tiefer, er redete hastig wie ein Fieberberauschter.

»Ich ahnte – ich wußte es! Es durfte und konnte ja nicht sein! Ihr Herz gehört einem Andern, Josephine, welcher nur noch einen Gedanken hat, nur noch eine Seligkeit kennt, Ihr süßes lächelndes Angesicht! Warum erschrecken Sie? Lassen Sie mich Ihr holdes Geheimniß ahnen, welches mir ja doch ein jeder Ihrer Blicke, ein jedes Ihrer Worte verrät – ein offenes Buch ist Ihre Seele! Bleiben Sie treu – ich beschwöre Sie! – nur wenige Tage noch seien Sie standhaft, das Glück hat noch kein letztes Wort mit uns gesprochen, der Liebe Allgewalt muß siegen! Ein Wort nur, Josephine. Vertrauen Sie mir und versprechen Sie es mir?«

Sein Antlitz war dunkelgerötet, mit flackerndem Blick und bebenden Lippen harrte er ihrer Antwort.

»Doch wenn sie liebt, nimm Dich in Acht!« warnte es von dem Orchester.

Wie im Traum sah ihn Josephine an, verwirrt, fassungslos. Woher wußte dieser Mann, daß sie Günther liebte? Wie hatte er in ihr tiefinnerstes Herz blicken können, und wie hatte er es erraten, was doch außer Hattenheim keine Menschenseele 111 ahnte? War er Lehrbachs Freund? Seit wann? Niemals zuvor hatte sie es bemerkt oder davon gehört, und nun mit einem Mal riß ein Schleier vor ihren Augen und offenbarte ihr so Unglaubliches! Er hatte auch damals die Gretchenblume in Günthers Interesse gebracht, er nahm seine Partei, er wollte auch jetzt für ihn reden! Wie viel Unerwartetes stürmte doch heute auf sie ein und verwirrte ihr den Sinn. Angst und Jubel schnürten ihr die Brust zusammen, sie stand inmitten eines schäumenden Wirbels und lauschte betäubt auf den tosenden Klang.

Da verstummte die Musik, da erhob sich Ilse und rief ihren Namen.

»Fräulein Josephine, Ihre Antwort!« rang es sich fast keuchend von d'Ouchys Lippen. Sie sah ihn lächelnd, voll glückseligen Vertrauens an, nickte ihm stumm, aber fest, entschieden zu, und legte die Hand auf Ilses Arm. Sie sah nicht mehr die Wirkung dieser Antwort, sie eilte mit schnellen Schritten dem Koncert zu, woselbst Prinzeß Sylvie zum Schluß des Festes noch zwei Lieder versprochen hatte. Die bunte Menschenflut nahm sie auf, und Graf Günther trat an ihre Seite, um ihr zu erzählen, daß er sich von Gräfin Lattdorf die Erlaubniß geholt habe, ein stummes Mitglied der musikalischen Abende zu sein, er werde die Villa Carolina nun öfters heimsuchen!

Sylvie sang, und auf der Stirn Karl Theodors lag ein Schatten, welchen man zuvor nicht bemerkt hatte, er schien von dem Augenblick an etwas 112 mißgestimmt, wo ihm Sylvie von dem Wettritt erzählt hatte. Vielleicht auch, daß es ihm zu heiß in dem Saal war.

Atemlos lauschte die Menge, in dem Wintergarten jedoch, unter den schwanken Farrenblättern und den stark duftenden Gardenenzweigen stützte Leon d'Ouchy das Haupt in beide Hände und starrte mit brennenden Augen vor sich nieder. Durch seine Seele jubelte es wie wilde Zigeunerweisen, klirrte es wie das rote Gold auf Almiacitas brauner Brust. 113


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