Nataly von Eschstruth
Gänseliesel
Nataly von Eschstruth

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Dreizehntes Kapitel.

In die Flanke gehauen die Sporen!
Und wer die Zügel nicht schießen läßt,
Der habe das Rennen verloren. –
Strachwitz.            

Mit der großen Gratulationscour und dem Neujahrsball eröffnete die Saison die glänzende Suite ihrer Feste. Da baute sich Prinz Carneval seinen lustigen Thron aus Goldflor, Blüten und Perlen und wiegenden Walzerklängen, da ließ er sein keckes Banner durch das Land wehen, und schrieb mit schäumendem Rebenblut die Devise, das jauchzende »haï narrô!« darauf. Wer fragt nach der Zukunft, wenn die strahlende Gegenwart mit ihren Schellen rasselt, wenn Alt und Jung die Narrenkappe über die Ohren zieht, singt und springt und lustig ist? »Pflücket die Rosen, eh' sie verblühn!« trällert die Göttin Fröhlichkeit, schürzt ihr buntes Gewand und greift zu Maske und Fächer. Blind und taub wirbelt sie im tollen Tanze daher, über Rosen und Dornen, Fetzen und Scherben, atemlos durch lange Tage und Nächte hindurch, 2 bis sie schließlich halb betäubt die goldenen Schuhe von den Füßen schleudert und die Asche auf ihr Haupt streut. Dann legt Prinz Carneval demütig seine klingelnde Krone nieder, und die mächtige Tyrannin Zeit malt ihm das Kreuz auf die Stirn und facht ein Feuer auf dem Altar, dessen Flammen Pokusstab und Larve verschlingen. Nichts bleibt zurück von all' der flüchtigen Herrlichkeit, kaum eine Erinnerung, kaum ein Sprung im Herzen; es regnet Asche und deckt Alles zu, bis die Monate ihren Ring geschmiedet, bis es plötzlich wieder lockt und klingt und rasselt!

Josephine lebte wie im Traum. Abend für Abend schlüpfte sie gleich dem Aschenbrödel in das Prachtkleid, um mit flinken Rossen davon zu sausen, mitten in den Taumel der Freude hinein. Wunderbar schnell hatte sie sich in dies Leben gefunden, sich zum Erstaunen gut seinen Capricen und Absonderlichkeiten angepaßt. Sie begriff selber nicht mehr, daß es so lange Jahre hindurch ganz anders gewesen war.

Die große Güte, mit welcher die Herzogin-Mutter die junge Dame auszeichnete, die offenbaren Huldigungen, welche ihr Prinz Detlef darbrachte, hatten ihren Eindruck auf die Hofgesellschaft nicht verfehlt. Man schwamm mit dem Strom und hastete sich, einen Weg einzuschlagen, welcher so ostensibel von oben herab angedeutet wurde. Man war weit entfernt, dem Worte »Gänseliesel« jemals einen ironischen Beigeschmack gegeben zu haben; im 3 Gegenteil, man fand es ein allerliebstes Sobriquet, welches ja nur den Triumph andeutete, welchen die Schönheit der jungen Dame selbst ohne jegliche Folie über Graf Lehrbach gefeiert. Er hatte seine Skizze gezeichnet, um ein reizendes Gesichtchen zu verewigen.

Man lächelte und nickte Fräulein von Wetter zu, wo man sie nur sah, bekam auch einen sehr höflichen und artigen Gegengruß und Antwort auf jede Frage. Aber dabei blieb es auch, »warm werden« konnte man nicht recht mit der hochmütigen kleinen Person, welche die Wettersche Stirnfalte gar zu schroff zwischen den Augenbrauen trug.

Wozu das Leben oft bei anderen jungen Mädchen lange Jahre braucht, das hatte das Schicksal in ein paar kurzen Wochen bei Josephine gereift, die Menschenkenntniß nämlich und gleichgültige Verachtung, welche meistens mit ihr Hand in Hand geht. Sie hatte die Leute der Gesellschaft durchschaut, sie hatte das Gift gefühlt, welches sie verspritzen, welches wie Reif und Frost auf ihre junge Seele gefallen, und dessen Wunden kein Honigseim schmeichelnder Heuchelei wieder heilen konnte.

Sie war ja nicht um der Menschen, sondern um ihres Stolzes Willen hier, der sollte wenigstens sein Haupt triumphirend heben, hoch über ihr Herz heben, welches so erbarmungslos in den Staub getreten war. Dazu kam auch das plötzliche, beseligende Bewußtsein, eine Rolle in der Welt zu spielen. Ihr reger Geist überblickte schnell die Lage der 4 Dinge, sie sah sich umschwärmt, gefeiert und ausgezeichnet, sie empfand, daß man sie schön nannte, und sie bemühte sich, liebenswürdig zu sein und zu gefallen. Ja, das Gemisch ihrer ursprünglichen Naivetät mit dem heiteren Humor, welchen das Gefühl der Sicherheit ihr gab, sowie mit den eifrig erlernten Kenntnissen und der natürlichen Begabung für eine schlagfertige und gewandte Konversation bildete ein so eigenartiges Ganze, daß es ihr nicht schwer fiel, stets von Neuem zu entzücken.

Vor Allen empfand Graf Lehrbach den Zauber ihres originellen Wesens. Ohne daß es Josephine ahnte, oder es sich bewußt war, ja ohne daß sie es bezweckte, übte sie einen unwiderstehlichen Reiz auf ihn aus. Sie bemühte sich, seine Untreue durch ein möglichst gleichgültiges Verhalten zu bestrafen, ohne jedoch ihr leidenschaftliches Herz derart zu beherrschen, daß es nicht hier und da durch das Auge zum Verräter wurde. Dieses Schwanken zwischen kühler Gelassenheit und jäh aufglühendem Blick, diese sich stets berührenden Extreme und der Kampf zwischen Haß und Liebe einigten sich, und verschmolzen unbewußt zu einem Spiel vollendetster Coquetterie, welche allen Zauber der Natürlichkeit zum Schild hatte und allen unangenehmen Beigeschmack des Raffinements entbehrte.

Was Graf Günther erst freiwillig von sich geworfen hatte, das wurde ihm nun zum fiebernden Verlangen, an welchem er mit dem zähen Eigensinn aller verwöhnten Menschen festhielt. Er war es 5 gewohnt, Alles, was eine Rolle in der Gesellschaft spielte, an der Hand zu haben, er suchte seinen Triumph darin, überall bevorzugt zu sein, er nahm es als Privilegium seiner Schönheit, überall offene Herzen zu finden; und nun stieß er zum ersten Mal im Leben auf Widerstand!

Ein völlig ungerechtfertigter Zorn gegen Hattenheim erfaßte ihn. Er war es gewohnt, daß der Freund bis jetzt jeder seiner eigensinnigen Launen Vorschub geleistet hatte, daß er stets in selbstlosester Weise zurückgetreten war, wenn er sah, daß der verzogene Liebling die Hände rücksichtslos nach Etwas ausstreckte, was auch Reimar begehrlich erschien. Aber diesmal schien er taub und blind für Günthers Wünsche zu sein, und das Wachs seiner Gutmütigkeit, welches der junge Graf bis jetzt immer so eigenwillig geknetet hatte, war starr und eckig geworden und baute sich als felsiges Hinderniß zum ersten Mal auf Günthers Siegesbahn.

Hattenheim liebte Josephine, das hatte er längst, schon seit dem Aufenthalt in Stauffen bemerkt, und er hatte nichts dagegen gehabt. Auch auf dem ersten Hofball noch nicht, denn er dachte ja mit keinem Gedanken an das graue, kleine Mauerblümchen, welches er so völlig übersehen, und das in seiner Einsamkeit für ihn erblüht war, nun aber war das anders geworden! Nun hatte er auch Geschmack an dem blonden Lockenköpfchen und den blauen Augen gefunden, und es war ganz selbstverständlich, daß Reimar ebenso wie früher, auch 6 diesmal bescheiden zurücktrat und dem Freunde das Feld räumte.

Aber er that es nicht, im Gegenteil, er wich keinen Fuß breit, er zeigte ihm sogar die Zähne! Und das infame Versprechen, das er ihm erst so listig in der Galerie abgenommen hatte! Das band nun dem jungen Helios die strahlenden Schwingen und ließ es nicht zu, daß er den Kampf mit stolzem Siegesbewußtsein aufnahm und den Gegner aus dem Sattel hob.

Er schien unglaublich fest zu sitzen.

Wo Josephine sich zeigte, war Hattenheim sicher in ihrer Nähe, er maßte sich überall ein solch' ritterliches Recht auf sie an, daß es kein Wunder war, wenn man sich bereits eine bevorstehende Verlobung in die Ohren flüsterte und der fast unglaublichen Umwandlung des sonst so reservirten Mannes schwerwiegende Gründe unterlegte.

Warum duldete das Josephine?

Günther biß sich bei diesem Gedanken zornig auf die Lippe und lachte schneidig auf. »Ei, weil sie seine Liebe eben erwidert! Weil ich sie an jenem Ballabende geradezu in seine Arme getrieben habe und ihr selber die Alternative stellte: ›Ihn oder mich, seine treue Verehrung oder meinen ungetreuen Spott!‹, und da wählte sie natürlich ihn und seine Treue!«

»Aber sie hat mich früher geliebt, ich müßte ja nicht die Weiber kennen! . . Und ihre Seele war ein aufgeschlagenes Buch! Aber es war mir nicht 7 interessant genug, darin zu lesen, ich blätterte ein wenig darin und warf es gelangweilt zur Seite! Reimar aber hatte Ausdauer, er las sich durch bis zu den Kapiteln, welche süßen Lohn verheißen!«

»Ist aber Hattenheim etwa der Mann dazu, mich so völlig vergessen zu machen? Nein! Sie muß an mir hangen und mich trotz ihres Hasses fortlieben, ich nahm ihr Herz und gab es ihr noch nicht zurück. All' ihre Kälte ist Verstellung, sie giebt mir verdienten Lohn und zahlt Gleiches mit Gleichem zurück; aber nicht ewig, sie wird dem alten Zauber anheimfallen, und dann . .?«

An das »Dann« dachte Graf Günther nicht weiter; ihn interessirte nur das »Jetzt«, er wollte nur die Prinzessin Sylvie ein wenig reizen! Ja, das war doch immer die Hauptsache! Das Benehmen Ihrer Hoheit ärgerte ihn; sie war launisch, oft hochmütig seit einiger Zeit. Sie coquettirte mit ihm, pour passer le temps! Liebte er sie? Oh nein! Er, der Gourmand weiblicher Schönheit, fand nichts begehrenswert an ihr außer der Krone und dem Nimbus, welcher sie umschwebte, er hatte nur hochfliegende Pläne, keine süßen Träume im Herzen. Die Hand einer Prinzessin! Das war der höchste Tribut, welchen das Leben seiner Eitelkeit zahlen konnte, nur danach strebte er. Alles Andere fiel ihm ja von selbst zu. Aber die Hand dieser Prinzessin schlug in letzter Zeit oft scherzend nach ihm und reichte ihm Lorbeeren anstatt Rosen, bah! . . Sie ist eben verwöhnt, ich muß sie knapper halten! 8 Sie kennt noch keine Eifersucht, voyons donc, die ist oft bittere, aber gute Arzenei für den Uebermut. Ihr Vetter wird kommen, die kleine Hoheit scheint sich in dem Gedanken wohl zu befinden, einen Hochzeitsschleier um die Krone eines Erbprinzen zu spinnen. Nur Geduld, Graf Lehrbach spinnt dafür ein feines Netzchen, dessen Fäden hält Gänseliesel in der Hand, und dessen Maschen sind bestimmt, dem stolzen Vöglein mit dem Purpurkleid süße Fesseln um die Schwingen zu stricken!

So dachte Graf Günther in den ersten Tagen nach der Schlittenpartie und forschte mit bewölkter Stirn, wann das Eintreffen des Erbprinzen Carl Theodor zu erwarten sei. Und dann beobachtete er Sylviens Gesicht, wenn er dem Gänseliesel die Cour machte. Nach und nach aber sah er immer weniger zu der Prinzessin hinüber, weil es ihm viel interessanter war, Josephinens Mienenspiel zu beobachten, und die Ankunft des fürstlichen Freiers war ihm bald vollkommen gleichgültig. Nur das ärgerte ihn namenlos, daß Sylvie über Fräulein von Wetters kühles Verhalten spöttisch lachend den Kopf zurückwarf, als sie seine Niederlage erkannte, sein vergebliches Bemühen, mit Hattenheim zu rivalisiren. Das sollte und durfte nicht sein!

Seine Stimmung war immer gereizter, sein Zorn gegen Reimar stets offenbarer. – – – –

Im Theater war er in die Lattdorfsche Loge getreten, um Josephine während einer Zwischenpause einen Veilchenstrauß zu überreichen, er wußte, 9 daß Sylvie jede seiner Bewegungen von der gegenüber liegenden Loge beobachtete. Hattenheim hatte ihn freundlich begrüßt, ohne jedoch den Stuhl an der Seite der jungen Dame zu räumen. Er schien es ganz selbstverständlich zu finden, daß er diesen Platz einnahm.

»Sag' mal, lieber Dicker, Du bist wohl sehr müde?« fragte Günther scherzend und rüttelte zum stummen Wink an der Sessellehne. Reimar sah ihn an. »O nein!« sagte er trocken.

»Na, dann steh auf und gönne mir die Freude, Dir Gelegenheit zu geben, auf mich herab zu sehen!«

»Das würde mir peinlich sein!« Hattenheim schüttelte mit fast verschmitztem Lächeln den Kopf.

»Zum Kukuk noch eins, Dicker, ärgere mich nicht!« Noch klang es lachend von den Lippen des schönen Mannes, aber sein Antlitz rötete sich bereits, und die Ader auf der Stirn schwoll an.

Reimar musterte ihn amüsirt. »Wenn Du auf so unsicheren Füßen stehst, alter Freund, setz' Dich in Gottes Namen; ich riskire es schon, Dir eine Weile Platz zu machen!« Damit erhob er sich, stützte sich aber mit abgewendetem Gesicht so bedauerlich auf die Rampe, daß Günthers Veilchensträußchen, welches Josephine vor sich auf die Sammetbrüstung gelegt hatte, von seinem Ellenbogen in das Parquet hinab gewischt wurde.

»Oh!« sagte er nur, »da unten liegt's!«

»Das sehen wir!« lachte Lehrbach scharf auf, 10 dann nahm er von dem Sessel Besitz, während Hattenheim sich zur Thür wandte.

»Wo wollen Sie denn hin?« rief ihm Fräulein von Wetter fast erschrocken nach.

»Sehen, ob die Veilchen noch zu retten sind!«

»Aber eilen Sie sich, daß Sie zum nächsten Akt wieder da sind!«

Sie nickten sich Beide zu, wie Menschen, die ganz einig sind. Lehrbachs Schläfe hämmerten. »Das ist gleichzeitig eine Abschiedsbewilligung für mich?« fragte er mit einem mißglückten Versuche, heiter zu erscheinen.

In demselben Augenblick trat Baron d'Ouchy ein, um bei Ange anzufragen, ob er morgen nach dem Diner bei dem russischen Botschafter die neuen Notturnos mit ihr proben dürfe.

Der Fächer in den Händen der Komtesse bebte leise, als streife ihn ein Luftzug. Sie nickte ihm mit demselben liebenswürdigen Lächeln zu, welches ihr schon zur Gewohnheit geworden war.

Dann sprachen sie über Musik, über die Oper, welche man soeben hörte – Zampa.

»Ich liebe dieses Werk,« sagte der junge Diplomat, sich gleichzeitig an Josephine wendend.

»Unbegreiflich!« erregte sich Ange, »triviale Melodien und ein unsinniger Text!«

»Aber so leidenschaftlich empfunden, daß es durch Mark und Bein geht!«

»Leidenschaften, die nicht nachahmungswert sind, finde ich immer unschön, und darum lassen sie 11 mich kalt,« entgegnete die Komtesse mit einem jener Blicke, welche Prinz Detlef »unnahbar« nannte. »Sympathisiren Sie vielleicht mit diesem Teufel in Menschengestalt, welchem nichts mehr heilig ist?«

»Ja, ich würde so lieben können wie er!«

Ange zuckte empor, Josephine aber lachte harmlos auf. »Dann muß man sich ja vor Ihnen fürchten!«

»Thatsächlich, mein gnädiges Fräulein?« Es lag etwas Dämonisches in den blassen Zügen des Sprechers. »Für mich hat nun der Gedanke, schrankenlos und maßlos geliebt zu werden, etwas Berauschendes! Ein Mann, welcher vor irgend einem Hinderniß, mag es selbst sein Leben gefährden, zurückschreckt, anstatt kühn und trotzig die Hand nach der Erwählten seines Herzens auszustrecken, der liebt meiner Ansicht nach nicht, er macht es sich und Anderen nur weiß!«

»So würden Sie auch rauben und entführen, wie der Bandit auf der Bühne drunten?« Die blauen Augen Josephinens sahen ihn fast übermütig an, Ange aber neigte sich zur Seite und drückte leise aufhustend das Spitzentuch gegen die Lippen, sie sah recht bleich aus.

»Gewiß!« lachte d'Ouchy. »Dem Schicksal würde ich selbst eine junge Dame, welche ich liebe, entreißen, rauben und entführen, um jeden Preis!«

Lehrbach hatte sich verstimmt zurück in den Sessel gelehnt.

12 »Nur dem Schicksal?« fragte er, »was nennen Sie so, d'Ouchy?«

»Alles, was mir oder ihr zur Fessel wird!« Ein feines, scharfes Zucken ging um seine Lippen.

»Also gesprengte Fesseln, Sie drücken es nur allgemeiner aus,« nickte Günther. »Unser Einer würde vielleicht sagen: Ich schieße meinen Nebenbuhler einfach über den Haufen! Sie sind vorsichtiger und ringen Ihr Glück nur dem Schicksal ab!«

»Dafür bin ich Diplomat!« Die schwarzen Wimpern des Franzosen sanken über die Augen; wie ein Marmorbild stach das farblose Antlitz gegen den dunkelbraunen Hintergrund der Wandbekleidung ab.

Josephinens Blick hatte sich bei Günthers Worten jäh und durchdringend auf ihn geheftet, ihr Haupt richtete sich höher empor und die Lippen öffneten sich zu einer Antwort, anscheinend ebenso scharf, wie die Linie, welche sich zwischen die Brauen senkte. Dann atmete sie kurz auf und wandte sich schweigend nach der Thür, durch welche Hattenheim wieder eintrat.

Er hielt einen kleinen Veilchenstrauß und überreichte ihn der jungen Dame. »Der ›Gestürzte‹ ist es leider nicht!« sagte er mit vergnügtem Lachen, »der war bereits von der Frau Baronin von Tessin als willkommener ›Segen von oben‹ annektirt, blüht jetzt an ihrer Brust und veranlaßt seine nunmehrige Besitzerin, dem Grafen Lehrbach durch mich herzlichsten Dank sagen zu lassen.«

13 Günther fuhr wie ein gereizter Löwe empor, doch Reimar Hattenheim zuckte die Achseln und verneigte sich gegen Josephine. »Glücklicher Weise ist es mir gelungen, Ersatz zu schaffen und meine Ungeschicklichkeit wieder gut zu machen, gnädiges Fräulein, die Veilchen sind zwar nur von mir, aber sie duften und blühen eben so gern für Sie wie die anderen, ohne zu desertiren wie diese!«

Lehrbachs Zähne gruben sich in die Lippe, es kostete ihm schwere Mühe, sich zu beherrschen. Josephine aber reichte Hattenheim dankend die Hand und befestigte den Strauß in den Spitzen ihres Seidenfichus. »Damit sie sicher aufgehoben sind!« lächelte sie.

Die Musik intonirte von Neuem, der Vorhang rollte empor.

Günther erhob sich und stieß den Sessel zurück, ohne seinem Freunde einen Blick zu gönnen. Dann lehnte er sich mit verschränkten Armen gegen die Wand zurück und verharrte schweigend; nur das rastlose Klopfen seines Stiefelhackens gegen das Wandgetäfel verriet den Sturm, welcher in seinem Innern tobte.

Dann, als die Oper beendet, widmete er seine sämmtliche Aufmerksamkeit und Ritterdienste der Hofmarschallin, liebenswürdig, elegant, übermütig wie immer.

Auf dem Heimweg schloß sich Hattenheim ihm an, harmlos wie ein Kinderherz, vertraut und freundschaftlich wie immer. Er schien gar nicht zu 14 bemerken, wie sein Kamerad so verändert war, wie steif und kühl, wie bitter ironisch seine Antworten klangen, wie ingrimmig er auflachte, wenn er sein übervolles Herz vor ihm ausschüttete. Und das that er den ganzen Weg entlang, wußte nichts Anderes zu reden als enthusiastisches Entzücken über Fräulein von Wetter, als begeistertes Lob ihrer Schönheit und Güte.

Als Günther sich aber mit Kopfschmerz und Müdigkeit von einem gemeinsamen Abendessen dispensirte und mit steifem Gutenachtgruß seine Wohnung aufsuchte, da schritt Reimar von Hattenheim langsam und einsam weiter über den mondbeschienenen Schnee, senkte das Haupt in tiefen Gedanken und seufzte auf wie Einer, dessen Herz zum Brechen schwer ist.

Da war sein lachendes Antlitz jäh verändert, da lag ein sorgenvolles Sinnen auf der gefurchten Stirn, ein tiefer Kummer um die Lippen. Dann aber blieb er stehen und strich mit der Hand die blonden Haare zurück und blickte tief aufatmend zu dem klaren Nachthimmel empor. »Es wird gelingen!« murmelte er zuversichtlich, »so oder nie! . . Gott wird helfen, ich meine es ja so gut!« Und die alte freudige Ruhe kam ihm zurück, er ging in seine Wohnung, nahm ein Buch und las bis spät in die Nacht hinein.


Gleich nach jener Unterredung mit Prinzessin Sylvie hatte sich Josephine ein Reitkleid bestellt. Jetzt war dasselbe von sehr moderner und kleidsamer 15 Form eingetroffen, und wenige Tage darauf brachte ein Lakai ein kleines Billet von Fräulein von Dienheim, welches ihr mit langen, dünnen, outrirt großen Buchstaben mitteilte, daß Ihre Hoheit die Prinzessin Fräulein von Wetter auffordern lasse, sich morgen Vormittag elf Uhr an einem Spazierritt zu beteiligen. Die braune Vollblutstute »Sorma«, das gewöhnliche Reitpferd der Prinzessin, stände ihr zur Verfügung. »Bringen Sie aber Leim mit, daß Sie im Sattel bleiben!« lautete ein eigenmächtiges Postscriptum der Schreiberin.

Es war ein auffallend milder Wintertag. Die Sonne hatte den Schnee auf den Straßen vollkommen fortgetaut, von den Dächern tropfte es glitzernd hernieder, und in den Vorgärten prangte das Tannengrün über dem feuchtgelben Rasen.

Durch den Schloßpark trabte eine kleine Cavalcade, voran Prinzeß Sylvie auf einem feurigen Goldfuchs, im knappen, dunkelblauen Reitkleid, welches ihre volle Figur wie ein Schraubstock umspannte, in der Hand die Gerte mit goldenem Pferdekopf, und auf dem festgeknoteten Haar einen weichen Filzhut, welcher mit marinefarbigem Schleier fest auf den Kopf gebunden war – ein Zeichen, daß es Hoheit wieder stürmisch im Sinn hatte.

An ihrer Seite ritt Prinz Detlef, ferner der Sohn des Landstallmeisters und Graf Lehrbach. Hinter ihr Fräulein von Dienheim, deren Figur sehr eckig war und deren Bewegungen zu Pferd noch ungemein viel rüder als auf dem Parquet 16 erschienen. Zu deren Seite Hattenheim, Baron d'Ouchy und Josephine von Wetter.

Ein scharf prüfender Blick Ihrer Hoheit hatte das Gänseliesel im Sattel gemustert. Sie lächelte halb spöttisch, halb boshaft über die Art und Weise der jungen Dame, die Zügel zu fassen, dann aber, als sie mit den Worten: »Die Mähre hat ja factisch noch die Spuren des Lauchheimer Dickichts an dem Bein da!« einen heftigen und unvorhergesehenen Gertenhieb gegen die Vorderfüße der »Sorma« that, daß diese aufschreckend zur Seite sprang, da imponirte ihr doch die Kaltblütigkeit der kleinen Coutry-miss, welche nicht einen Moment die Haltung verlor.

»Fräulein von Wetter reitet die Sorma?« rief d'Ouchy fast erschrocken, »ist es nicht riskirt, Hoheit, die junge Dame diesem capriciösen Pferd anzuvertrauen, welches bekanntlich unserm besten Kavallerieoffizier Schwierigkeiten bereitete? Sorma ist ein Halsbrecher und seit fast zehn Tagen, außer in dem Marstall, nicht bewegt worden!«

»Wenn sich Fräulein von Wetter vor einem etwas hitzigen Temperament fürchtet,« entgegnete die Prinzessin voll beißender Ironie, »so steht ihr selbstverständlich ein anderer Gaul zur Verfügung! Wir haben ja leider Gottes Exemplare in den Ställen, auf welchen ein altes Hökerweib ohne Sattel und Zaum reiten kann!«

Josephine lächelte: »Ich bitte Hoheit, mir die »Sorma« ohne Scrupel zu überlassen, wir werden uns schon an einander gewöhnen!«

17 Dann war man abgeritten. Durch den Schloßgarten in sehr gemäßigtem Tempo, dann durch den Waldpark, welcher mit einem nicht allzu hohen Stangenzaun umfriedigt war. Der alte Forsthüter wollte herzueilen und die Thüre vor den Herrschaften aufreißen, Sylvie aber schrie ihm ein ungehaltenes: »Seid Ihr verrückt, Alter . . . Sein lassen!« zu, hieb ihren Fuchs mit der Gerte über den Nacken und flog Allen voran über den Zaun. Ein hochstehender Ast hatte den Saum ihres Kleides gefaßt und ihn zerfetzt, der scharfe Ruck ließ die Reiterin sich bedenklich im Sattel biegen. Sie parirte ihr Pferd, riß es herum und beobachtete mit bebenden Nasenflügeln die Nachfolgenden.

Detlef und Lehrbach sprangen zuerst, dann folgte Fräulein von Dienheim mit lautem »hepp! hepp!« Hattenheim dicht hinter ihr, ebenso der Sohn des Landstallmeisters. d'Ouchy zögerte, dunkle Blutwellen stiegen in sein bleiches Gesicht, seine Lippen bebten.

»Ich ängstige mich um Sie!« raunte er Josephine gepreßt zu, »springen Sie zuerst!«

Sie lächelte und nickte. Ein leichter Zungenschlag, eine kaum merkliche Berührung mit der Reitpeitsche, und Sorma streckte sich im Sprung, schlank, graziös wie eine Gemse flog sie über die Barrière. Wie verwachsen mit dem Rücken der Stute, ruhig, fast bewegungslos behauptete Josephinens schlanke Figur den Sattel.

»Bravo!« jauchzte d'Ouchy, »brillant!« klang 18 es von Prinz Detlef und Lehrbach herüber; Sylvie aber wandte heftig den Kopf. »Vorwärts!« rief sie zwischen den Zähnen, faßte die Zügel mit eisernen Fingern und jagte die menschenleere Chaussee entlang.

Wo sich der Weg teilt, sprang sie von der Straße ab, querfeldein über den Exerzierplatz, in wilden Sprüngen über Hecken und Gräben; sie hatte nichts Ruhiges, nichts Vornehmes mehr in ihrer Haltung.

Endlich verkürzte sie das Tempo, richtete sich wieder zu der alten trotzigen Haltung empor und warf einen forschenden, beinahe stechenden Blick auf Josephine. Diese sprengte unverändert an ihrer Seite, Fräulein von Dienheim, d'Ouchy und Hattenheim beträchtlich voraus. Nur ihre Wangen waren lebhafter gerötet, ihre Augen leuchteten vor Lust und Eifer, ihre Haltung aber war völlig unverändert.

Sylvie wußte, was es bei »Sorma« hieß, zu stoppen. Sie lauerte auf diesen Moment und sah bereits Roß und Reiterin planlos weiter über das Feld jagen; aber sie hatte sich geirrt. Die Stute probirte allerdings schäumend und schnaufend zu revoltiren, aber die kleinen Hände zwangen sie wie eiserne Klammern. Und da sie dennoch kerzengerade emporstieg, pfiff die Gerte durch die Luft und traf Hals und Schenkel, dann klopfte und lobte die schlanke Mädchenhand das gefügige Tier.

Die ganze Scene war das Werk eines Augenblickes gewesen, aber sie hatte das Antlitz der 19 Prinzessin merklich verwandelt. Groß und überrascht starrte sie auf das Gänseliesel, welches mit strahlendem Lächeln soeben an sie heranritt.

»O Hoheit, wie danke ich Ihnen für diesen Ritt!« rief sie voll warmer Aufrichtigkeit, »jetzt war es mir zum ersten Mal wieder zu Sinn, als wäre ich daheim.«

Sylvie nickte ihr zu, es lag eine gewisse Anerkennung in ihrem Lächeln: »Sie verstehen es, Kleine! Ich hätte nicht gedacht, daß Sie so sicher im Sattel säßen!«

Ilse kam mit hochrotem Kopfe näher. Sie sah arg verweht aus, die starren Blondhaare hingen ihr in langen Strähnen im Gesicht und Nacken, sie saß nicht mehr so steif wie erst, man sah es ihr an, daß sie bereits müde war. »Wohin denn nun?« fragte sie und schnaubte sich energisch die Nase.

Sylvie musterte mit einem schnellen Blick die Herren. »Jetzt wollen wir einmal sehn, ob Graf Lehrbach Recht hat, wenn er behauptet, das Forsthaus Marienhütte sei von hier eine halbe Stunde weit, wenn man die Chaussee reitet, und dreiviertel Stunden, wenn man den Umweg durch den Wald macht!«

»Eh bien, Hoheit, ich beharre bei dieser Behauptung, lassen Sie es uns ausprobiren!« zuckte Günther nonchalant die Achseln.

»Ausprobiren?« Sylvie lachte spöttisch auf. »Nein, wetten wollen wir, messieurs, und uns in zwei feindliche Haufen teilen! Auf die eine Seite 20 die Böcke und auf die andere die Schafe – sans comparaisons! . . . Die Herren reiten die Chaussee und wir Damen gehen die Wette ein, über den Wald noch eher da zu sein, als Sie! Also eine Viertelstunde abzugewinnen, das läßt sich doch hören!«

»Unsinn, Sylvie!« schüttelte Detlef ärgerlich den Kopf, »wie können wir Euch Damen allein durch Wald und Feld jagen lassen, wenn Etwas passirte –«

Das rauhe Auflachen der Schwester unterbrach ihn. Hoheit zog das rotkantige Batisttuch aus der Brusttasche und rieb damit über Stirn und Wangen. »Wenn Etwas passirte, wären wir Drei doch weiß Gott danach angethan, uns männiglich aus eigener Kraft zu helfen. Das schwache Geschlecht hat auch seine starken Ausnahmen, mein Junge, und außerdem ist es dem Teufel wohl ganz einerlei, ob noch sechs Kavaliere dabei sind, wenn er einer schönen Amazone den Hals brechen will! Du thust, als wäre ich noch niemals allein geritten! Vorwärts also! Die Herren die Chaussee entlang und wir den Waldweg, und wer zuerst am Ziel ist, hat gewonnen!«

»Was gilt denn die Wette, Hoheit?« rief Lehrbach lachend entgegen. »Ich schlage vor, wir stellen uns erst sicher, denn sonst müssen wir Herren, zu ewiger Galanterie geboren, doch auf jeden Fall hinterher sehen. Wie wäre es, wenn wir die Damen zu einem gestickten Teppich oder Ofenschirm verurteilten?«

Sylvie schnitt ihm eine Grimasse, und 21 Fräulein von Dienheim tippte in stummer Frage gegen die Stirn, dann rief die Prinzessin: »Sie scheinen zu wissen, wo ich sterblich bin, Fortunatus, und wollen die Nähnadel als Waffe gegen mich heben! Fehlgeschossen! Die besiegte Partei gibt nachher ein Frühstück bei Boppart in der Bellevue, und Sie bringen den Toast auf die siegreichen Damen aus, Graf, das ist meine Privatrache für Ihr Teppichattentat!«

»Bravo! Ein Frühstück! . . Austern und Sekt!« jubelte es aus dem Kreise der Herren zurück. Dann wurden die Pferde nach den verschiedenen Direktionen gewendet, und Sylvie kommandirte: »Eins . . zwei . . Hurrah – hepp! hepp!« . . .

Wie geschossen stürmten die Rosse davon, die Hufe knatterten auf dem steinigen Boden, noch kurzes Echo von der Chaussee herüber, dann flogen die noch leicht beschneiten Tannenzweige des Waldes über die Häupter der drei Reiterinnen hinweg.

»Hört!« rief Sylvie in ihrer derben Art, »wir überlisten die Kerls! Ich habe die Karte studirt; wenn wir quer durch die Wiesen über die Ziegelei reiten, ersparen wir uns mindestens zwanzig Minuten! Immer diese Schneise hier entlang, dort lichtet sich das Gehölz schon!«

»Famos!« entgegnete Ilse, »das ist ein Hauptspaß! Wir müssen zuerst da sein, sonst soll ein Donnerwetter drein schlagen!«

Die Stimmen verwehten halb bei dem schneidenden Luftzug, in rasendem Tempo jagten die Rosse dahin.

22 Die Waldlisière lag bereits hinter ihnen, vor den Blicken dehnte sich freies Feld, im Hintergrund von einer Baumgruppe und etlichen roten Dächern unterbrochen.

»Dort liegt die Ziegelei! Immer die Direktion genommen – ein Graben, Kinder! . . hepp! hepp!« . . Und die Kleider wogten auf, das Hinderniß wurde genommen, weiter ging es in wilder Flucht, daß die Schollen stoben.

Näher und näher rückte das Gehöft.

»Rechts ab!« schrie Sylvie, »über die Obstallee und die Wiesen dort – oben der hohe Baum ist die Forsteiche, der ›dicke Förster‹, dann sind es kaum noch fünf Minuten bis zum Ziel!«

»Wir haben einen bedeutenden Vorsprung, Hoheit!« jubelte Josephine.

»Sind mindestens zwölf bis fünfzehn Minuten früher da, als die Beherrscher der Welt!« setzte Ilse hinzu.

Lautlos fast sausten die Hufe über den Wiesengrund, Prinzeß Sylvie war um zwei bis drei Pferdelängen voraus.

Plötzlich schrie sie auf: »Halt! .  zurück! . . wir kommen in Moorboden!«

Helles Wasser spritzte um die Hufe ihres Pferdes, wie zusammengebrochen sanken die beiden Vorderfüße in den Sumpf, tiefer und tiefer. Mit übermenschlicher Kraft riß es Sylvie zurück. »Verfluchte Lache! daß dich der Satan holte!« knirschte sie bleich wie ihr Chemisette, »he! Cäsar! . . . heb' dich! . . 23 zurück! . . faß' Fuß, mein Pferd . . . so . . . so . . . brav jetzt, hoch Cäsar! . . . hei! . . . spring' auf!« und nochmals gab sie ihm Hilfe, so viel sie vermochte. Das Pferd arbeitete sich mit den Hinterfüßen immer weiter auf das trockene Land, endlich hob es sich mit lautem Aufschnauben und prallte auf das feste Erdreich zurück. Gleichzeitig aber rutschte seine Reiterin von seinem Rücken zur Erde nieder.

»Um Gottes Willen!« rief Josephine und faßte voll Geistesgegenwart Cäsars Zügel. Aber das Pferd stand zitternd und in Schweiß gebadet da.

Sylvie half sich auf, befreite den Fuß aus dem Bügel und preßte die Hände momentan wie betäubt gegen die Schläfe, kein Blutstropfen kreiste in dem sonst so roten Gesicht.

»Hoheit – bei allen Teufeln – was ist denn geschehen?« rief Ilse und machte Anstalten, aus dem Sattel zu springen, »haben Sie sich verletzt, sind Sie unglücklich gestürzt?« . . .

Da kam wieder Leben in die Prinzessin.

»Bleib' oben! . . . reitet Ihr zu! . . . dort den Umweg um das Gehöft . . . es ist noch Zeit!« . . . Und wild mit dem Fuß aufstampfend, fuhr sie mit zornglühenden Wangen fort: »Die Sattelgurte geplatzt!« . . . hat die verdammte Mähre bei dem Zappeln und Rausarbeiten gesprengt! . . . Was nun thun? . . . Zu Fuße laufen? . . . O, ich könnte verzweifeln vor Wut!« Und Sylvie faßte den Sattel und schleuderte ihn dann außer sich vor Aufregung mit kräftigen Armen auf die Erde zurück.

24 Josephine war von ihrem Pferd geglitten.

»Schnell, Hoheit, hierher zu dem Prellstein! Steigen Sie auf! . . . Reiten Sie!« . . . drängte sie in fiebernder Hast.

»Und Sie?« . . .

»Steigen Sie auf! . . . Ich komme schon!« Und Josephine faßte, allen Respekt vergessend, die Prinzessin am Arm und schob sie neben die »Sorma«.

Sylvie stieg mit Fräulein von Wetters Hilfe auf.

»Vorwärts, Ilse!« knirschte sie, »dort im Bogen um die Wiese, auf die Eiche zu! . . . Wir holen Sie nachher hier ab, Josephine!« Und die Peitsche auf den Hals des Pferdes fallen lassend, stürmte sie wie eine verkörperte Walküre, von Ilse gefolgt, davon. Plötzlich hörte sie Hufschlag hinter sich.

»Hei ho!« jubelte die Stimme des Gänseliesels. Da saß Fräulein von Wetter auf ungesatteltem Pferde. »Wie eine Katze hängt sie auf dem Gaul«, würde Onkel Bernd sagen, der sie ja oft in dieser Situation gesehen hatte, wenn sie übermütig in der Koppel herumtollte. Die Zügel um die Hände geschlungen, förmlich eingekrallt in die dichte Mähne, schwebte die junge Dame in halb liegender Stellung auf dem Pferderücken.

»Josephine!« schrieen beide Damen starr vor Staunen.

»Vorwärts! . . . ich komme etwas langsamer nach!« hallte es zur Antwort, und dahin schmetterten die Hufe auf dem Feldweg.

25 Vor ihnen tauchte die Eiche, das Dach des Försterhauses auf; noch zwei – drei Minuten, dann flog Prinzeß Sylvie dem Ziel entgegen.

»Hurrah!« jauchzte sie. »Gewonnen!«

Ihr entgegen auf der Chaussee sprengten die Herren, Lehrbach und Detlef voran, um ein paar Pferdelängen hatte Ihre Hoheit die Gegner geschlagen.

Ilse traf mit den Herren zu gleicher Zeit ein.

»Me voilà!« schrie sie mit glühendem Gesicht, ihr dampfendes Roß neben Sylvie vor der Thüre des Försterhauses parirend, »der enge Weg ließ es nicht zu, daß ich neben Hoheit ritt, sonst wäre ich zu gleicher Zeit am Platz gewesen!«

»Faule Fische!« lachte Lehrbach. »Ihr Schwarzer ist viel zu wohlerzogen, um der Prinzessin den Triumph zu verkürzen, und hat viel zu wenig ›Race‹, um sich neben Cäsar behaupten zu können!«

»Wo ist die kleine Wetter?« riefen Detlef und d'Ouchy wie aus einem Munde dazwischen. Hattenheim war bereits bis an die Wegbiegung weitergeritten und winkte mit dem Taschentuch ihr entgegen.

»So weit zurück?« Günther sah im höchsten Grade frappirt aus, »ist dem Pferd etwas zugestoßen, lahmt es?«

»Hurrah!« klang es plötzlich. Baron d'Ouchy prallte förmlich zurück. »Unglaublich . . . allmächtiger Gott, Fräulein von Wetter reitet ohne Sattel!«

Er war vom Pferd gesprungen, hatte einem der 26 während der Zeit herbeigeeilten Forstläufer den Zügel zugeworfen und stürmte der jungen Dame entgegen, welche hell auflachend in schlankem Trabe hinter den Gebüschen auftauchte.

»Fräulein Josephine!« rief Detlef ganz starr vor Staunen. »Mein Gott, sind Sie denn bei Renz in die Schule gegangen?«

»Das nicht, Hoheit, aber ich bin ›in Freiheit dressirt‹, wie Onkel Bernd sagte!« erwiderte sie von ihrem capriziösen Sitz herab, »außerdem lehrt die Not beten und riskiren!«

D'Ouchy stand an ihrer Seite. Sein Antlitz leuchtete, wie verzückt sah er zu ihr auf, er hob die Arme nach ihr. »Kommen Sie herab, Sie Zauberin!« sagte er leis.

Da glitt sie hernieder von dem Rücken des Rosses; sekundenlang hielt er die schlanke, weiche Gestalt an der Brust, ihre Hand legte sich unwillkürlich auf seine Schulter, der rechte Arm umschlang seinen Nacken.

Er trug sie noch zwei Schritte weiter auf den Kiesweg, dann ließ er sie sanft zur Erde hernieder. Sie wankte, ihre Glieder waren steif geworden von Ritt und Kälte.

Er legte ihren Arm auf den seinen und stützte sie.

»Aengstigen Sie sich noch um mich?« neckte sie.

Er schüttelte schweigend das Haupt, die Kehle war ihm wie zugeschnürt.

Der Förster hatte der Prinzessin vom Pferd 27 geholfen, Mägde und Kinder lugten neugierig an Fenster und Thür.

Die Herren umringten Josephine. »Haben Sie ein Malheur gehabt? Wo ist Ihr Sattel?« forschte Hattenheim mit einem Gesicht, in welchem Schreck und stolze Freude noch um den Sieg stritten.

»Sie sind eine Künstlerin! Welch' eine Leistung war Ihr Ritt ohne Sattel!« exaltirte sich Detlef, »ich küsse diese kleine Meisterhand!« und er beugte sich chevaleresk und ließ dem Wort die That folgen.

Nur Lehrbach stand stumm neben ihr, sein Blick lag düster auf ihrem Antlitz, er sah plötzlich im Geiste diese weiße Stirn blutüberströmt, die schlanken Glieder gebrochen und verstümmelt . . . ein Zittern überkam ihn, er bangte zum ersten Mal – noch nachträglich sogar – um ein fremdes Leben.

»Mein Gott, nun erklären Sie uns doch den Vorfall, meine Damen!« rief Detlef ungeduldig. »Hat Dir Fräulein von Wetter eine Probe ihres Mutes geben wollen, Sylvie!«

Die Prinzessin trat näher. »Nicht ihres Mutes, sondern ihrer treuen Freundschaft und Ergebenheit!« sagte sie hochaufgerichtet, zog das Gänseliesel in die Arme und drückte einen Kuß auf ihre Stirn. »Ich habe Respekt vor Ihnen, Josephine, und Leute, die mir imponiren, die liebe ich. Wir werden jetzt oft zusammen sein, wir werden Beide diesen Morgen nicht vergessen.«

Dann wandte sie sich zu dem Förster, 28 übermütig wie immer. »Na Alterchen, nun schließen Sie mal die gute Stube auf, und gönnen Sie uns kurze Rast, ich will auf Ihrem Kanapé sitzen, ein Glas Warmbier trinken und den Herren hier das neueste Abenteuer erzählen, also avanti!« Und sie nahm Lehrbachs Arm und schritt die Steinstufen zum Forsthause hinan. 29


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