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Dritter Abschnitt.
Der Familienrath

Am andern Morgen um elf Uhr kamen die Onkel und Tanten zur Berathung. Im großen Wohnzimmer war Feuer angemacht, und in dem wirren Gefühl, daß es ein großer Tag sei, als wenn's ein Begräbniß gäbe, hatte Frau Tulliver die Vorhänge ordentlich in Falten gelegt, wobei sie sich traurig umsah und über die blanken Tischplatten und Beine den Kopf schüttelte, denen selbst Schwester Pullet keinen Mangel an gehörigem Glanz nachsagen konnte.

Onkel Deane kam nicht, er war durch Geschäfte verhindert. Aber Tante Deane erschien pünktlich in dem hübschen neuen Einspänner mit dem Kutscher in Livree auf dem Bock – eine Verschwendung, die nach Ansicht ihrer Freundinnen ein so helles Licht auf ihren Charakter geworfen hatte. Deane war in der Welt so rasch hinauf gekommen, wie es mit Tulliver bergab gegangen war, und bei Frau Deane nahm das Dodson'sche Leinenzeug und Porzellan allmälich eine sehr untergeordnete Stelle im Haushalt ein, da sie in den letzten Jahren viel hübschere Sachen der Art gekauft hatte. Wegen dieser Aenderung war eine vorübergehende Kälte zwischen ihr und Schwester Glegg eingetreten, und letztere erklärte, Susanne sei schließlich doch nicht besser als die andern auch, und von dem ächten Dodson'schen Geist werde wohl bald nicht mehr viel übrig sein, außer natürlich bei ihr selbst und hoffentlich auch bei ihren Neffen in der Ferne, die auf dem alten Familienhofe wohnten. So geht's ja immer: wer weit weg wohnt, an dem findet man immer weniger auszusetzen als an dem nächsten Nachbar, und wenn wir nur erwägen, wie weit ab die Aethiopen wohnten und wie wenig Verkehr die Griechen mit ihnen hatten, so brauchen wir nicht erst lange zu fragen, warum Homer sie die »untadligen« nennt.

Tante Deane war die erste und als sie im großen Wohnzimmer Platz genommen hatte, kam Frau Tulliver herunter; ihr Gesicht war etwas verzerrt, ungefähr als hätte sie geweint; die Thränen flossen ihr zwar selten reichlich, außer wenn der Verlust ihrer Möbel ihr ungewöhnlich nahe trat, aber sie fühlte doch, wie unpassend es sei, unter den gegenwärtigen Umständen ganz ruhig zu bleiben.

»O Schwester, was ist das für 'ne Welt!« rief sie aus, als sie in's Zimmer trat; »was haben wir für Noth! Du lieber Himmel!«

Schwester Deane war eine Frau mit dünnen Lippen, die bei besondern Gelegenheiten kleine wohldurchdachte Reden hielt, welche sie nachher ihrem Manne wiederholte, um von ihm zu erfahren, ob sie nicht sehr passend gesprochen habe.

»Jawohl, Schwester«, war ihre gemessene Antwort, »dies ist eine Welt voll Wechselfällen, und wir wissen heute nicht, was morgen kommen kann. Aber man muß auf alles gefaßt sein, und wenn Trübsal kommt, muß man bedenken, daß der Himmel sie nicht ohne Ursache schickt. Du thust mir recht leid, Schwester, und wenn der Doktor Deinem Manne Gelee verschreibt, dann läßt Du mich's hoffentlich wissen; ich will Dir recht gern was schicken. In seiner Krankheit muß er doch ordentliche Pflege haben.«

»Ich danke Dir, Susanne«, sagte Frau Tulliver mit matter Stimme, indem sie ihre fleischige Hand aus der dünnen Hand ihrer Schwester zurückzog. »Bis jetzt hat der Doktor von Gelee noch nichts gesagt«, und nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »ich habe oben noch ein Dutzend Gelee-Gläser, aber ich werde wohl nie wieder Gelee hineinthun.«

Ihre Stimme bebte etwas bei diesen letzten Worten, aber das Geräusch von Rädern gab ihren Gedanken wieder eine andre Richtung. Gleggs waren gekommen und bald darauf erschienen auch Onkel und Tante Pullet.

Tante Pullet kam gleich mit Thränen herein; das war zu jeder Zeit die kürzeste Art, ihre Ansicht über das Leben im allgemeinen auszudrücken, und eben so passend, in der gedrängtesten Form kund zu geben, was sie von dem vorliegenden Falle im besondern hielt.

Tante Glegg hatte ihren krausesten Scheitel vorgebunden, und ihre Kleider schienen eben aus einem wahren Begräbniß von Zerknitterung auferstanden zu sein; sie hatte heute bei ihrer Toilette die hochmoralische Absicht, Betty und deren Kinder wahre Demuth zu lehren.

»Willst Du nicht näher an's Feuer kommen?« sagte ihr Mann und wies auf den behaglichen Platz, den er sonst selbst einnehmen wollte.

»Du siehst, Glegg, ich sitze schon hier«, erwiderte die hochbegabte Dame; »Du kannst Dich braten, wenn Du willst.«

Glegg ließ sich die Laune nicht verderben, setzte sich und sagte: »Und wie geht's unserm armen Kranken?«

»Der Doktor fand ihn heute früh viel besser«, erwiderte Frau Tulliver; »er beachtet mehr, was um ihn vorgeht, und hat mit mir gesprochen, aber Tom kennt er noch nicht; den armen Jungen sieht er an, als wär's ein Fremder, nur einmal sagte er was von Tom und dem Pony. Der Doktor meint, seine Gedanken schweiften weit zurück und er kenne Tom nicht, weil er sich ihn immer blos denke, wie er noch klein war. Ach Du lieber Gott!«

»Wenn ihm nur nicht das Wasser in's Gehirn tritt«, sagte Tante Pullet, die sich eben ihre Haube etwas schwermüthig vor dem Spiegel zurechtgesetzt hatte. »Wir können noch von Glück sagen, wenn er wieder aufkommt, und dann ist er gewiß ganz kindisch, wie Mr. Carr war, der arme Mann! Drei Jahre lang haben sie ihn mit dem Löffel gefuttert wie ein Kind. Er konnte kein Glied rühren, aber er hatte einen Rollstuhl und einen Mann, der ihn fuhr, und den könnt ihr euch nicht halten, Betty.«

»Schwester Pullet«, fiel Frau Glegg mit strengem Tone ein, »wenn ich recht verstanden habe, so sind wir hier zusammen gekommen, um zu überlegen und zu berathen, was bei der Schande zu thun ist, die unsre Familie betroffen hat, aber nicht, um von Leuten zu sprechen, die uns nichts angehen. Mr. Carr gehörte nicht zu unsrer Blutsverwandtschaft und hatte überhaupt gar keine Beziehungen zu uns, so viel ich weiß.«

»Schwester Glegg«, erwiderte Frau Pullet abwehrend, indem sie sich die Handschuhe wieder anzog und in großer Aufregung an den Fingern herunterfuhr, – »Schwester Glegg, wenn Du von Mr. Carr was respektwidriges sagen willst, dann muß ich Dich bitten, sag's nicht zu mir. Ich weiß, was an ihm war«, fügte sie mit einem Seufzer hinzu; »er hatte einen so kurzen Athem, daß man ihn zwei Stuben weit hören konnte.«

»Sophie«, sagte Frau Glegg entrüstet und verächtlich, »Du sprichst von andrer Leute ihren Leiden, daß es förmlich unanständig wird. Aber ich wiederhole, was ich schon eben gesagt habe: ich bin nicht hergekommen, um über beliebige Bekannte zu sprechen, mögen sie langathmig oder kurzathmig gewesen sein. Wenn wir nicht hier sind, um zu überlegen, was der eine oder andre thun will, um unsre Schwester und die Kinder vor dem Armenhause zu retten, dann geh' ich wieder nach Haus. Einer kann ohne den andern nichts thun, und man erwartet doch wohl nicht, daß ich alles thun soll.«

»Nun, Hannchen«, sagte Frau Pullet, »ich wüßte doch nicht, daß Du so sehr viel gethan hättest. Soviel ich weiß, bist Du heute zum ersten Male hier im Hause, seit der Ex'kutor da ist, und ich bin gestern hier gewesen und habe mir Betty ihr Leinenzeug angesehen und alles, und habe ihr gesagt, die Tischtücher mit den kleinen Punkten wollte ich kaufen. Mehr konnte ich doch nicht thun; der Theetopf soll zwar auch in der Familie bleiben, aber das versteht sich doch von selbst, zwei silberne Theetöpfe kann ich nicht brauchen, und Betty ihrer hat noch dazu eine grade Gieße, aber den Damast mit den kleinen Punkten hab' ich immer gern leiden mögen.«

»Ich möchte recht, wenn es sich so einrichten ließe, daß der Theetopf und das Porzellan und die beste Plattmenage nicht mit zur Auktion kämen«, sagte Frau Tulliver flehend, »und auch die Zuckerzange nicht, das erste was ich je gekauft habe.«

»Aber das geht doch nun mal nicht, Schwägerin«, sagte Glegg. »Wenn einer von den Verwandten die Sachen ankaufen will, dann mag er's thun, aber geboten werden muß auf eins so gut wie auf's andre.«

»Und das werden Sie doch nicht erwarten, Schwägerin«, meinte Onkel Pullet mit überraschender Selbstständigkeit, »daß Ihre eigenen Verwandten mehr für die Sachen geben sollen als sie sonst einbrächten. Bei so 'ner Auktion gehn sie weg für ein Butterbrod.«

»Du liebe Zeit!« sagte Frau Tulliver, »daß mein Porzellan so verkauft werden soll, und ich kaufte es zu meiner Hochzeit, grade so gut wie ihr, Hannchen und Sophie, und ich weiß wohl, ihr mochtet meins nicht leiden, weil die kleine Ranke drauf ist, aber ich mocht's immer gern leiden, und kein Stück ist davon zerbrochen, weil ich's immer selbst gewaschen habe, und die Tulpen auf den Tassen und die Rosen – das ist ordentlich eine Freude, die zu sehen. Du würdest auch was schönes sagen, Hannchen, wenn Dein Porzellan für 'n Butterbrod wegginge und in tausend Stücke bräche, und Dein's ist doch nicht mal gemalt, Hannchen; es ist blos weiß und gerieft und hat auch nicht so viel gekostet wie meins – und dann die Plattmenage – ich glaube ganz gewiß, Schwester Deane, Dir würde sie gefallen; Du hast ja so oft gesagt, sie wäre recht hübsch.«

»Na, von den besten Sachen will ich wohl was kaufen«, erwiderte Schwester Deane etwas hochmüthig, »wenn wir's auch grade nicht nöthig haben.«

»Die besten Sachen!« rief Frau Glegg mit schneidender Strenge, denn sie hatte schon zu lange geschwiegen; »das geht über meine Geduld, wenn ich euch so reden höre von besten Sachen, und daß der eine dies kaufen will und der andre das, Porzellan und Silber und solche Geschichten. Du mußt Dich in die Verhältnisse finden, Betty, und nicht an Silber und Porzellan denken, sondern blos ob Du noch 'n Bett behältst zum Schlafen, und 'ne Decke darauf und 'nen Stuhl zum Sitzen. Und wenn Du das behältst, dann bedenke, daß es Deine Verwandten für Dich gekauft haben und daß die jetzt ganz für Dich sorgen müssen; denn Dein Mann, der liegt da und ist selbst hülflos und hat keinen Groschen in der Welt, der sein eigen wäre. Und das sag' ich Dir zu Deinem eigenen Besten, damit Du erkennst, wie Deine Lage ist, und welche Schande Dein Mann über seine Familie gebracht hat, auf die Du jetzt ganz angewiesen bist; das mußt Du demüthig hinnehmen, Betty.«

Frau Glegg hielt inne; denn mit so viel Nachdruck zu anderer Leute Bestem sprechen, ist natürlich angreifend. Frau Tulliver, die sich immer in die Ueberlegenheit von Schwester Hannchen gefügt und das Joch einer jüngern Schwester von früh auf getragen hatte, konnte jetzt natürlich nur demüthig erwidern:

»Ich habe ja nie etwas von jemand verlangt, Schwester; blos, daß ihr die Sachen kaufen möchtet, an denen jeder seine Freude haben muß, damit sie nicht in fremde Hände kommen und da verderben. Ich verlange ja nicht, daß ihr die Sachen für mich und die Kinder kauft, obschon ich das Leinen selbst gesponnen habe, und als Tom geboren war, da dachte ich – er lag eben in der Wiege, und es war einer der ersten Gedanken, die ich hatte – alle die Sachen, die ich von meinem eigenen Gelde gekauft hätte und immer so schonte, die sollte er mal haben. Aber das hab' ich nie gesagt, daß meine Schwestern ihr Geld für mich hergeben sollten. Was mein Mann für seine Schwester gethan hat, das weiß kein Mensch, und hätte er nicht sein Geld verborgt, ohne es wieder zu fordern, dann wären wir heute nicht so übel dran.«

»Aber Kinder«, sagte Glegg freundlich, »macht die Sache auch nicht schlimmer als sie ist! Was geschehn ist, ist geschehn. Wir wollen schon zusehen, Schwägerin, daß wir das Nöthige kaufen, es kann freilich nur was nützliches und ganz einfaches sein. Was überflüssig ist, daran dürfen wir nicht denken. Ein Tisch, ein paar Stühle, Küchengeräth und ein gutes Bett und so was. Ei, ich erinnere mich noch recht gut, daß ich auf dem bloßen Boden schlief und keinen Pfühl unterm Kopfe hatte. Man gewöhnt sich an 'ne Masse unnützer Geschichten, blos weil man das Geld dazu hat.«

»Wenn Du so freundlich sein wolltest, mich auch mal sprechen zu lassen, statt mir die Worte aus dem Munde zu nehmen«, sagte Frau Glegg, »dann möcht' ich Dir doch erwidern, Betty, was das wieder für eine Rederei ist von Dir, Du hättest nie von uns verlangt, wir möchten etwas für Dich kaufen; ich muß Dir sagen, Du hättest uns darum bitten müssen. Ich bitte Dich, wie willst Du wohl durchkommen, wenn wir Verwandten uns nicht Deiner annehmen? Ihr müßtet ja gradezu in's Armenhaus. Und das sollt'st Du einsehen und bedenken und uns bescheiden bitten, wir möchten für Dich thun, was wir können, statt uns so was in's Gesicht zu sagen und Dich zu rühmen, Du hättest nie etwas von uns verlangt.«

»Sie sprachen da eben von Pachter Moß, Schwägerin, und was Tulliver für den gethan hat«, sagte Onkel Pullet, der ungewöhnlich gesprächig wurde, sobald es sich um Vorschüsse handelte. »Ist denn Moß und seine Frau noch nicht bei Ihnen gewesen? Die müßten doch auch was thun, so gut wie andre Leute, und wenn Tulliver ihnen Geld geliehen, hat, da muß man darauf halten, daß sie 's zurückbezahlen.«

»Gewiß, ganz richtig«, fiel Tante Deane ein, »das hab' ich auch schon gedacht. Warum ist denn Tulliver seine Schwester und ihr Mann nicht hier? Es ist nicht mehr als billig, daß sie auch ihr Theil tragen.«

»Du meine Zeit!« sagte Frau Tulliver, »ich hab' ihnen noch nichts sagen lassen von meinem Manne, und sie wohnen so abgelegen, daß sie nichts erfahren, wenn Moß nicht zu Markte geht. Ich habe noch garnicht daran gedacht, zu ihnen zu schicken. Ich wundere mich aber, daß Gretchen nicht daran gedacht hat; sie hielt immer so große Stücke auf Tante Moß.«

»Warum kommen die Kinder nicht herein, Betty?« fragte Frau Pullet, als sie Gretchens Namen hörte. »Sie müßten doch hören, was ihnen Onkel und Tanten zu sagen haben, und Gretchen sollte doch mehr nach mir fragen als nach Tante Moß; ich habe ja das halbe Schulgeld für sie bezahlt. Ich kann mal plötzlich hinübergehen, das kann kein Mensch wissen.«

»Wenn's nach mir gegangen wäre«, sagte Frau Glegg, »dann wären die Kinder von Anfang an im Zimmer gewesen. Es ist Zeit, daß sie erfahren, wer für sie sorgen muß, und es ist in der Ordnung, daß man mal offen mit ihnen spricht und ihnen gehörig auseinandersetzt, wie sie in der Welt stehen und wie weit sie herunter gekommen sind, und alles durch ihres Vaters Schuld.«

»Gut, ich will hingehen und sie holen, Schwester«, erwiderte Frau Tulliver mit ruhiger Ergebung. Sie war jetzt ganz zerschmettert und dachte an ihre Schätze in der Vorrathskammer nur noch mit baarer Verzweiflung.

Sie ging hinauf, um Tom und Gretchen zu holen, die beim Vater im Zimmer waren, und eben so ruhig wollte sie schon wieder hinuntergehen, als ihr die Thür der Vorrathskammer in's Auge fiel; bei diesem Anblick kam ihr ein neuer Gedanke; sie trat hinein und ließ die Kinder allein nach unten gehen.

Die Onkel und Tanten schienen eine lebhafte Erörterung gehabt zu haben, als die Geschwister eintraten. Beide kamen sehr zaghaft und ungern, denn obschon Tom mit einer praktischen Klugheit, welche durch den starken Eindruck der seit gestern empfangenen neuen Anregungen zur Thatkraft gesteigert war, sich einen Plan ausgedacht hatte, den er seinen Verwandten vorlegen wollte, so hegte er gegen sie doch durchaus keine freundschaftlichen Gesinnungen und fürchtete die Begegnung mit ihnen allen auf einmal eben so sehr, wie er sich vor einem großen Quantum starker Arzenei gefürchtet hätte, die höchstens in kleinen Dosen eben erträglich gewesen wäre. Gretchen ihrerseits war heute ganz besonders niedergeschlagen; nach kurzer Ruhe hatte sie um drei Uhr aufstehen müssen und litt jetzt an jener eigenthümlichen traumhaften Müdigkeit, die den Menschen befällt, wenn er in einem Krankenzimmer die ungemüthlichen Stunden der ersten Dämmerung und des anbrechenden Tages durchwacht hat, wo das Tageslicht draußen nur wie ein Rand erscheint, der das Dunkel des Zimmers einfaßt.

Der Eintritt der Kinder unterbrach das Gespräch der Verwandten. Schwermüthig und schweigend wurde das Händeschütteln durchgemacht, bis Onkel Pullet, als Tom auf ihn zutrat, äußerte:

»Nun, junger Herr, eben sprechen wir davon, wir werden Deine Feder wohl nöthig haben; Du mußt jetzt ja recht hübsch schreiben, sollt' ich meinen, nach all dem vielen Unterricht.«

»Ja, ja«, sagte Onkel Glegg, und er sprach in der freundlichsten Absicht, »wir wollen doch mal sehen, was Dir der viele Unterricht genutzt hat, wo Dein Vater so viel Geld hineingesteckt hat.

Vergeuden läßt sich Gut und Geld,
Doch hat man was gelernt, das hält.

Jetzt muß sich zeigen, Tom, was bei Deinem Lernen herausgekommen ist. Wollen doch mal sehn, ob Du's besser verstehst als ich, der sich sein Vermögen ohne Gelehrsamkeit erworben hat. Aber ich habe klein angefangen, mein Junge; ich habe von 'nem Teller Suppe und 'nem Stück Brod und Käse gelebt. Freilich, bei dem guten Leben, das Du geführt hast, und der großen Gelehrsamkeit, da wird's Dir wohl etwas härter ankommen als mir.«

»Aber er muß sich dran gewöhnen«, fuhr Tante Glegg nachdrücklich dazwischen, »wenn's ihm auch noch so hart ankommt. Er darf sich nicht bedenken, ob ihm etwas zu schwer ist; er muß blos bedenken, daß er nicht von seinen Verwandten erwarten darf, daß die ihn in Müssiggang und Luxus erhalten; er muß die Frucht von seines Vaters schlechter Wirtschaft tragen und sich gewöhnen an ein hartes Leben und harte Arbeit. Und demüthig muß er werden und dankbar gegen seine Onkel und Tanten, die Vater und Mutter helfen, daß sie nicht auf die Straße gesetzt werden und in's Armenhaus müssen. Und seine Schwester auch«, fuhr Frau Glegg unerbittlich fort und warf einen strengen Blick auf Gretchen, die sich zu ihrer Tante Deane – es war ja Luciens Mutter – auf's Sopha gesetzt hatte, »die Schwester muß sich auch dran gewöhnen, sich zu demüthigen und zu arbeiten; denn von Dienstboten und aufwarten lassen ist keine Rede mehr, das muß sie bedenken. Sie muß die Arbeit im Hause thun und ihre Tanten ehren und lieben, die so viel für sie thun und sich für ihre Neffen und Nichten das Geld am Leibe absparen.«

Tom stand noch immer vor dem Tische in der Mitte des Kreises. Sein Gesicht war leicht geröthet, und er sah nichts weniger als demüthig aus; er wollte eben in aller Ehrerbietigkeit etwas sagen, was er sich vorher überlegt hatte, als die Thür aufging und seine Mutter wieder hereintrat. Die arme Frau trug in der Hand ein kleines Präsentirbrett und darauf ihren silbernen Theetopf, eine Probetasse, die Plattmenage und die Zuckerzange.

»Da, Schwester«, sagte sie, indem sie das Präsentirbrett auf den Tisch stellte und Frau Deane ansah, »ich glaubte, wenn Du den Theetopf wiedersähest – es ist schon lange her, daß Du ihn nicht gesehen hast – dann möcht'st Du ihn vielleicht lieber leiden; er macht so wunderschönen Thee, und 's ist 'ne Büchse dabei und alles; Du könntest ihn zum täglichen Gebrauche nehmen, oder auch für Lucie zurücksetzen, wenn Du willst. Es thäte mir so schrecklich leid, wenn ihn die Leute im goldnen Löwen kauften« – dabei gingen der armen Frau die Augen über, und sie weinte bitterlich – »meinen Theetopf, den ich mir selbst zur Hochzeit gekauft habe, und nun kriegt er vielleicht Schrammen und wird allen Reisenden vorgesetzt und meine Anfangsbuchstaben stehen drauf – da, sieh, E. D. – und alle Leute kriegen das zu sehen.«

»Ach du liebe Zeit!« sagte Tante Pullet und schüttelte tief wehmüthig den Kopf; »'s ist ein rechtes Unglück, wenn man bedenkt, daß unser Name so durch die Welt gehen soll; so was haben wir Dodsons noch nicht erlebt; Du bist wirklich recht unglücklich, Schwester. Aber was hilft das, wenn ich auch den Theetopf kaufte? Das Leinenzeug und die Löffel und die andern Geschichten gehen doch fort, und auf welchen steht sogar Dein voller Name, und dann hat der Theetopf ja auch eine grade Gieße.«

»Was die Schande für die Familie angeht«, fuhr Frau Glegg dazwischen, »die bleibt ja doch, und wenn man noch so viel Theetöpfe kauft. Die Schande ist, daß eine von uns einen Mann geheirathet hat, der sie an den Bettelstab gebracht hat. Die Schande ist, daß ihr den Exekutor im Hause habt und daß euch alles ausverkauft wird. Und das erfahren die Leute doch, das können wir nicht hindern.«

Bei der Erwähnung ihres Vaters war Gretchen vom Sopha aufgesprungen, aber Tom sah ihr zornflammendes Gesicht noch früh genug, um sie am Sprechen zu hindern. »Sei ruhig, Gretchen«, sagte er befehlend und schob sie bei Seite. Es war ein merkwürdiger Beweis von Selbstbeherrschung und praktischem Verstand für einen sechszehnjährigen Jüngling, daß er, sobald Tante Glegg aufhörte, ruhig und ehrerbietig zu sprechen begann, obschon ihm die Stimme hörbar zitterte; denn die Worte seiner Mutter hatten ihm in's Herz geschnitten. Er sah Frau Glegg grade in's Gesicht und sagte:

»Wenn Du's als eine Schande für die Familie ansiehst, daß man uns alles verkauft, wäre es dann nicht am besten, Tante, wenn ihr's überhaupt verhindertet? Und wenn Du und Tante Pullet später Gretchen und mir was vermachen wollt, wär's dann nicht besser, ihr gäbt es jetzt her, damit wir die Schulden bezahlen könnten und unsrer Mutter den Kummer sparen, daß sie sich von ihren Sachen trennen muß?«

Einige Augenblicke lang blieb alles still, denn jeder war verwundert über Tom's männliche Sprache. Onkel Glegg ergriff zuerst das Wort.

»Aha, mein Junge, das läßt sich hören, Du verstehst was anzufassen, aber bedenke die Zinsen; Deine Tanten bekommen jetzt fünf Prozent und die verlieren sie, wenn sie's schon jetzt hergeben; das hast Du wohl nicht bedacht.«

»Dafür würd' ich arbeiten und die Zinsen jedes Jahr bezahlen «, gab Tom entschlossen zur Antwort. »Ich will alles thun, um der Mutter den Kummer zu ersparen, daß sie sich von ihren Sachen trennen muß.«

»Bravo, mein Junge«, sagte Onkel Glegg mit Bewunderung. Aber leider reizte er mit diesen Worten seine Frau.

»O, schön, lieber Mann!« rief sie zornig und höhnisch. »Das ist ja vortrefflich, daß Du mein Geld weggiebst, was Du mir neulich zur Verfügung lassen wolltest. Und mein Geld, das hat mir mein Vater mitgegeben, und das ist nicht Dein Geld, und ich habe dazu gespart und jedes Jahr mehr angelegt und das soll nun jetzt hingehen und in anderer Leute Möbel gesteckt werden, weil sie höher hinauswollen als ihr Vermögen reicht, und ich soll mein Testament ändern oder ein Codicill anhängen und bei meinem Tode zwei oder dreihundert Pfund weniger hinterlassen, und habe mich doch immer ordentlich gehalten und tüchtig gespart und bin die älteste in der Familie und mein Geld soll nun hingehen und für andere vergeudet werden, die eben so gut dran sein könnten wie ich, wenn sie nicht so eigensinnig gewesen wären und so verschwenderisch. Schwester Pullet, Du kannst es halten wie Du willst, und wenn Du Dir von Deinem Manne das Geld wieder abnehmen läßt, was er Dir mal gegeben hat – meinetwegen! Aber meine Sache ist das nicht.«

»Aber Hannchen, wie hitzig Du gleich wirst!« sagte Frau Pullet. »Dir steigt noch das Blut zu Kopf, und Du mußt Dich schröpfen lassen. Mir thut's recht leid um Betty und ihre Kinder, und die Nacht muß ich immer an sie denken, weil ich so sehr schlecht schlafe bei meiner Medizin; aber es hilft ja doch nichts, daß ich gern was für sie thäte, wenn Du mir nicht dabei entgegen kommst.«

»Ei, das muß doch überlegt werden«, sagte Schwager Glegg. »Es hilft doch nichts, wenn wir diese Schuld abbezahlen und die Möbel retten; die ganzen Prozeßkosten bleiben noch, und wie mir Gore gesagt hat, gehen dafür alle Ländereien und das ganze Inventar drauf. Wir müssen unser Geld zusammen halten, damit der arme Mann was zu beißen hat, und es nicht für Möbel ausgeben, die er nicht essen noch trinken kann. Aber Du bist immer so hastig, Frau, als wenn ich nicht wüßte, was verständig ist.«

»Dann sprich auch verständig«, erwiderte die Frau nachdrücklich laut und langsam und nickte ihm bedeutungsvoll mit dem Kopfe zu.

Während dieser Unterredung war Tom der Muth entsunken und seine Lippen bebten; aber er war entschlossen, noch nicht nachzulassen; er wollte handeln wie ein Mann. Gretchen dagegen zitterte wieder am ganzen Leibe vor Entrüstung. Die Mutter hatte sich dicht neben Tom gestellt und hielt ihn fest am Arme; da stellte sich Gretchen plötzlich aufspringend vor sie und die Augen flammten ihr wie einer jungen Löwin.

»Warum kommt ihr denn her«, brach sie los, »und schwatzt und scheltet uns, wenn ihr nichts thun wollt für meine arme Mutter, eure leibliche Schwester, wenn ihr kein Mitleid mit ihr habt in ihrer Noth und garnichts hergeben wollt, um sie vom Unglück zu retten, obgleich ihr's recht gut entbehren könntet –? Dann bleibt lieber ganz weg, und kommt nicht her und scheltet meinen Vater! Er war besser als ihr alle, er hatte ein gütiges Herz, er hätte euch geholfen, wenn ihr in Noth gekommen wäret. Wenn ihr unsrer Mutter nicht helfen wollt, Tom und ich, wir wollen gar kein Geld von euch. Wir wollen schon ohne euch fertig werden.«

Nachdem Gretchen so ihren Trotz den Onkeln und Tanten in's Gesicht geschleudert hatte, blieb sie ruhig stehen und starrte sie mit ihren großen dunkeln Augen an, als sei sie auf alle Folgen gefaßt.

Frau Tulliver war ganz entsetzt; dieser wilde Ausbruch hatte für sie etwas schauriges. Tom ärgerte sich; es half ja nichts, so zu reden. Die Tanten saßen einige Augenblicke starr vor Staunen. Endlich schien es ihnen die bequemste Auskunft, etwas darüber zu sagen, statt darauf zu antworten.

»Was Du an dem Kinde noch erleben wirst, Betty!« sagte Tante Pullet; »solch' eine Unverschämtheit und Undankbarkeit ist ja unerhört. Mein Schulgeld für sie hätte ich sparen können; sie ist ja schlimmer als je.«

»Nur was ich immer gesagt habe«, fiel Frau Glegg ein. »Andre Leute mag's überraschen, mich überrascht's nicht. Ich hab's immer gesagt, schon vor vielen Jahren hab' ich's gesagt: ihr sollt sehen, ob's nicht wahr wird; mit dem Kinde nimmt's kein gutes Ende; sie hat garnichts von unsrer Familie. Und was den vielen Unterricht angeht, davon hab' ich nie viel gehalten. Ich hatte meine guten Gründe, als ich nichts dazu beitragen wollte.«

»Na, genug davon«, sagte Glegg; »wir verschwatzen die Zeit; gehn wir an's Geschäft. Du, Tom, hol' Dinte und Feder« –

Während Glegg sprach, sah man draußen eine große dunkle Gestalt am Fenster vorübereilen.

»Ei, das ist Schwägerin Moß«, sagte Frau Tulliver; »sie muß also doch von dem Unglück gehört haben«, und damit ging sie hinaus, um die Thür zu öffnen, wohin ihr Gretchen eilig folgte.

»Das trifft sich ja glücklich«, sagte Frau Glegg. »Dann kann sie gleich die Liste von den Sachen mit aufstellen, die wir ankaufen wollen. Es ist nicht mehr als billig, daß sie auch ihr Theil beiträgt; 's ist doch ihr leiblicher Bruder.«

Frau Moß war in so großer Aufregung, daß sie sich ohne weiteres von ihrer Schwägerin in das Wohnzimmer führen ließ, ohne zu bedenken, daß man in den ersten Augenblicken eines schmerzlichen Wiedersehens nicht gern mit fremden Leuten zusammen ist. Ein stärkerer Gegensatz zu den Damen der Familie Dodson ließ sich nicht denken, als diese große abgemagerte Frau mit dem dunklen Haar, in ihrem schäbigen Kleide und dem Shawl und Hut, denen man es ansah, daß sie sich sehr eilig angezogen hatte, wie denn überhaupt der gänzliche Mangel an Selbstbewußtsein an ihr auffiel, welcher tiefem Schmerzgefühl eigen ist. Gretchen hing ihr am Arme, und Tante Moß schien niemand zu beachten als ihren Neffen Tom, den sie mit freundlichem Händedruck begrüßte.

»Meine lieben Kinder«, brach sie aus, »ihr habt leider keinen Grund, gegen mich freundlich zu sein. Ich bin euch eine recht arme Tante, eine von denen, die immer nehmen und nichts geben. Wie geht's meinem armen Bruder?«

»Der Doktor sagt, es ginge etwas besser«, erwiderte Gretchen. »Aber setz' Dich Tante. Quäl' Dich nicht ab.«

»O, mein liebes Kind! Mir blutet das Herz«, sagte die Tante, indem sie sich von Gretchen auf's Sopha führen ließ, aber die übrige Gesellschaft immer noch nicht zu beachten schien. »Wir haben dreihundert Pfund von meinem Bruder, und er hat gewiß das Geld jetzt nöthig, und ihr alle habt's nöthig, ihr armen Dinger! Aber wenn wir's jetzt bezahlen sollten, dann müßten wir das Hemd vom Leibe verkaufen, und meine armen Kinder! meine acht Kinder, und das jüngste kann noch nicht mal sprechen! Ich komme mir vor, grade wie ein Räuber. Aber wahrhaftig, davon hab' ich keine Ahnung gehabt, daß mein Brüder …«

Hier wurde sie durch ein aufsteigendes Geschluchze unterbrochen.

»Dreihundert Pfund! Was soll man davon sagen?« rief Frau Tulliver, die bei ihrer früheren Aeußerung über die vielen Wohlthaten ihres Mannes gegen seine Schwester garnicht an eine bestimmte Summe gedacht hatte und jetzt natürlich etwas empfindlich war, daß ihr Mann ihr nichts davon gesagt hatte.

»'s ist der reine Wahnsinn!« sagte Frau Glegg. »Ein Familienvater, und so'ne Summe auszuleihen! Er hatte gar kein Recht, mit seinem Gelde so umzugehen, und noch dazu ohne alle Sicherheit, das sollt ihr sehen.«

Bei diesen Worten wurde Frau Moß aufmerksam; sie blickte auf und sagte:

»Doch, eine Sicherheit hatte er wohl, mein Mann hat ihm einen Schuldschein gegeben. Bestehlen wollen wir unserm Bruder seine Kinder nicht, solche Leute sind wir nicht, und wir dachten, das Geld zurückzubezahlen, wenn die Zeiten nur ein bischen besser würden.«

»Gut«, sagte Glegg sanft, »aber hat denn Ihr Mann gar keine Möglichkeit, jetzt das Geld zu schaffen? Es wäre ein wahres Glück für Frau und Kinder, wenn Tulliver nicht Bankerott zu machen brauchte. Ihr Mann hat doch sein Vieh, und wie mir scheint, ist es nicht mehr als billig, daß er das Geld anschafft, obschon es mir für Sie recht leid thäte, Frau Moß.«

»O, Herr, Sie wissen nicht, wie viel Unglück mein Mann mit seinem Vieh gehabt hat. Auf unserm Pachthofe ist's so schlecht bestellt wegen Mangel an Vieh, das glauben Sie garnicht, und allen Weizen haben wir schon verkauft, und sind doch noch mit dem Pachtzins in Rückstand. Wir thäten gern alles was Recht ist, und ich wollte wohl die halben Nächte aufsitzen und arbeiten, wenn's was hülfe. Aber meine armen Kinder, und die vier Kleinsten sind noch so klein …«

»Weine nicht so, Tante, ängstige Dich nicht so ab«, flüsterte Gretchen, die ihre Tante bei der Hand gefaßt hielt.

»Hat euch mein Mann das Geld auf einmal gegeben?« fragte Frau Tulliver, die noch immer nicht über die Dinge weg konnte, welche hinter ihrem Rücken vorgegangen waren.

»Nein, in zwei Malen«, antwortete Frau Moß, indem sie sich die Augen rieb und die Thränen zurückzuhalten suchte. »Das letzte Mal war nach meiner schweren Krankheit vor vier Jahren, wo bei uns alles drunter und drüber ging, und da stellten wir einen neuen Schuldschein aus. Wir haben soviel Krankheit und Unglück gehabt – wirklich, mein ganzes Leben ist blos Mühe und Arbeit gewesen.«

»Ja wohl, Frau Moß«, bemerkte Tante Glegg mit Entschiedenheit. »Ihre Familie hat Unglück; um so schlimmer für meine Schwester.«

»Ich habe mich auf den Weg gemacht, sobald ich von eurem Unglück hörte«, sagte Frau Moß, indem sie auf das Vorhergehende nicht achtete und ihre Schwägerin Tulliver ansah. »Hätt'st Du mich nur was davon wissen lassen, so wär' ich früher gekommen. Und ich denke nicht blos an uns selbst, sondern ebensoviel an meinen armen Bruder; blos mit dem Gelde, das lag mir so auf der Seele, daß ich davon sprechen mußte. Und mein Mann und ich, wir wollen gewiß alles thun, was Recht ist, Herr«, fügte sie mit einem Blicke auf Glegg hinzu, »und wir wollen schon sehen, wie wir das Geld auf alle Fälle zurückbezahlen, wenn es das einzige ist, was meinem Bruder übrig bleibt. Wir sind an Entbehrungen gewöhnt und erwarten auf dieser Welt nicht viel besseres. Es ist blos der Gedanke an die armen Kinder, der mir das Herz zerreißt.«

»Aber bedenken Sie eins, Frau Moß«, antwortete Glegg, »und ich halte es für meine Pflicht, Sie darauf aufmerksam zu machen: wenn Tulliver förmlichen Bankrott macht, und er hat von Ihrem Manne einen Schuldschein über dreihundert Pfund, dann müssen Sie das Geld bezahlen; die Gläubiger werden es schon eintreiben.«

Frau Tulliver schluchzte: sie dachte nur an den Bankerott, nicht an die Verlegenheit, in die Moß dadurch käme. Die arme Frau Moß selbst hörte in schweigender Ergebung zu, während Gretchen von allem Unglück ganz verwirrt Tom anblickte, ob er vielleicht von diesem neuen Unheil etwas begriffe, aber Tom sah nur nachdenklich aus und starrte immerfort auf das Tischtuch.

»Und wenn er nicht Bankrott macht«, fuhr Glegg fort, »dann muß ich wiederholen, dreihundert Pfund sind für unsern armen Schwager ein kleines Vermögen; denn wenn er auch wieder durchkommt, ein halber Krüppel bleibt er jedenfalls. Es thut mir recht leid um Sie, Frau Moß, daß es Sie so hart trifft; aber wenn ich die Sache von der einen Seite ansehe, so muß ich sagen, es ist nicht mehr als billig, daß Sie das Geld aufbringen, und von der andern Seite, da müssen Sie's bezahlen. Sie nehmen mir doch nicht übel, daß ich Ihnen die Wahrheit sage.«

Bei diesen Worten seines Onkels blickte Tom plötzlich auf. »Onkel«, sagte er, »wenn es gegen Vaters Willen ist, daß Tante Moß das Geld bezahlt, dann braucht sie's doch nicht zu bezahlen, nicht wahr?«

Onkel Glegg sah ihn überrascht an und antwortete: »I nein, da braucht sie's wohl nicht zu bezahlen; aber in diesem Falle hätte Dein Vater den Schuldschein gewiß vernichtet. Wir müssen nach dem Schuldschein mal suchen. Aber wie kommst Du denn auf den Gedanken, daß der Vater das Geld von Tante Moß nicht wieder haben will?«

Tom erröthete etwas, und seine Stimme bebte ein wenig, aber er antwortete doch möglichst fest: »Ehe ich zu Pastor Stelling in Pension kam, da sagte mir Vater mal des Abends – ich weiß es noch recht gut – wir saßen zusammen am Kamin und es war grade kein andrer dabei …« – hier hielt Tom einen Augenblick inne und fuhr dann fort: »er sagte mir was von Gretchen und meinte dabei: ›ich bin immer gut gegen meine Schwester gewesen, obschon sie gegen meinen Willen geheirathet hat, und ich habe Moß Geld geliehen, aber ich denke nicht daran, ihn deshalb unglücklich zu machen; lieber will ich das Geld verlieren; meine Kinder werden dadurch nicht ärmer, so Gott will.‹ Und da Vater jetzt krank ist und seinen Willen nicht äußern kann, so wäre es mir sehr unangenehm, wenn etwas geschähe, was den Worten widerspricht, die er mir gesagt hat.«

»Ja, aber mein Junge«, erwiderte Onkel Glegg, der wohl gutmüthig genug war, auf Tom's Wünsche einzugehen, aber doch nicht mit einem Male seine gewohnte Ordnungsliebe lassen und in eine so leichtsinnige Geschichte einwilligen konnte, wie die, werthvolle Schuldscheine zu zerstören, – »aber, mein Junge, wir müßten ja den Schuldschein bei Seite schaffen, um gegen alle Folgen sicher zu sein, falls Dein Vater wirklich Bankrott macht.«

»Glegg! Glegg!« unterbrach ihn seine Frau mit Strenge, »bedenke wohl, was Du sagst. Du läßt Dich sehr tief in andrer Leute Geschichten ein. Wenn Du Dich übereilst, dann sag' nicht, es sei meine Schuld gewesen.«

»So was hab' ich mein Lebtage nicht gehört«, rief Onkel Pullet, der mit seiner Pastille rascher fertig geworden war, um sein Entsetzen ausdrücken zu können; »einen Schuldschein bei Seite schaffen! Dafür könnte einem ja die Polizei auf den Leib kommen.«

Aber Onkel Glegg erklärte von neuem, die einzige Sicherheit für Moß liege darin, daß man den Schuldschein vernichte, und Tom bat auf's eindringlichste: »Dann wirst Du mir hoffentlich dazu behülflich sein, Onkel; sollte Vater nicht wieder besser werden, so würde mich der Gedanke unglücklich machen, es sei etwas gegen seinen Willen geschehen, was ich hätte verhindern können. Ich bin gewiß, er sagte das den Abend mit voller Absicht, und den Wünschen meines Vaters wegen seines Vermögens muß ich doch gehorchen.«

Diesen Worten Tom's konnte selbst Tante Glegg ihre Billigung nicht versagen. Sie fühlte, er habe doch Dodson'sches Blut in den Adern, obschon freilich, wenn sein Vater ein Dodson gewesen wäre, weder der Verlust des Vermögens noch jetzt diese Geschichte mit dem Schuldschein hätte vorfallen können. Gretchen konnte sich kaum enthalten, Tom an den Hals zu fliegen, und wurde nur dadurch zurückgehalten, daß Tante Moß selbst aufstand, Tom bei der Hand nahm und mit einer vor Rührung fast erstickten Stimme sagte:

»Das macht Dich eher reicher als ärmer, mein Junge, wenn's noch einen Gott im Himmel giebt, und sollte Dein Vater das Geld bedürfen, dann werden mein Mann und ich es ebenso gut bezahlen, wenn ihr auch keinen Schuldschein mehr habt. Wir wollen an euch thun, was ihr an uns thut; wenn unsre Kinder auch sonst nichts auf der Welt haben, sie haben doch einen ehrlichen Vater und Mutter.«

Onkel Glegg hatte unter der Zeit nachgedacht und sagte nun: »sollte Dein Vater Bankrott machen, so thäten wir den Gläubigern doch kein Unrecht. Ich habe mir das eben überlegt, denn ich bin selbst Gläubiger gewesen und habe viel Betrügereien erlebt. Wenn Dein Vater der Tante das Geld schenken wollte, ehe er sich in diesen elenden Prozeß einließ, so ist's ganz dasselbe, als wenn er den Schuldschein vernichtet hätte, denn dann hatte er mal den Entschluß gefaßt, das Geld zu verlieren. Ja, ja, mein Junge, es will manches überlegt sein bei Geldgeschichten«, fuhr er fort, indem er Tom warnend ansah; »man kann sonst leicht einem sein Mittagessen wegnehmen, um einem andern zum Frühstück zu verhelfen. Aber das verstehst Du wohl noch nicht!«

»Freilich versteh' ich das«, gab Tom entschieden zur Antwort. »Ich weiß recht gut, wenn ich einem Geld schuldig bin, dann hab' ich nicht das Recht, es einem andern zu geben. Aber wenn Vater sich vorgenommen hatte, der Tante das Geld zu schenken, ehe er in Schulden war, dann hatte er das Recht dazu.«

»Bravo, mein Junge! für so klug hätte ich Dich nicht gehalten«, sagte Onkel Glegg mit großer Aufrichtigkeit. »Aber vielleicht hat der Vater den Schuldschein schon selbst bei Seite geschafft. Komm mit; wir wollen in dem Aktenkasten danach suchen.«

»Der Kasten ist in Vater seiner Stube«, flüsterte Gretchen; »wir wollen auch mitgehn, Taute Margret.«


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