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Zweiter Abschnitt.
Die Weihnachtsferien

Der liebe alte Weihnachtsmann mit dem schneeigen Haar und dem frischrothen Gesichte hatte sein bestes gethan und die Fülle seiner Wärme und Farbenpracht durch den stärksten Gegensatz von Frost und Schnee in's schönste Licht gestellt.

Schnee lag im Garten am Hause und an den Ufern des Baches, in Wellenlinien so sanft, wie sie kaum der süße Leib eines Kindes zeigt, – lag sauber wie mit dem Messer geschnitten auf jedem Dach und lieh den dunkelrothen Giebeln neue Würde, – lastete schwer auf den Lorbeerbäumen und Tannen, bis er mit lautem Geräusch hinunterfiel, – hüllte die Rübenfelder in sein weißes Gewand, daß die Schafe darauf aussahen wie dunkle Flecken, – trieb mächtig im Winde und legte sich an alle Gatterthore, daß sie nicht aufgingen und die wenigen Thiere, die noch draußen geblieben waren, nicht aus noch ein wußten und wie angefroren stehen blieben; – auf der ganzen Landschaft kein Lichtschein, kein Schatten, denn auch der Himmel trug ein einförmiges blasses Kleid; – nirgends ein Laut oder eine Regung, nur der dunkle Fluß strömte weiter und klagte wie ruheloses Leid. Aber der alte Weihnachtsmann lächelte, als er die Welt draußen in diesen scheinbar grausamen Bann schlug; drinnen im Hause wollte er um so größern Glanz entwickeln, um so tiefere und reichere Farben nehmen, den warmen Duft der Speisen den Menschen um so lieber machen; er wollte eine angenehme Haft bereiten, damit die angeborne Menschenliebe um so mehr erstarke und der freundliche Glanz von lieben Menschengesichtern dem Herzen so willkommen sei, wie das Gestirn des Tages, welches er heute hinter Wolken verbarg. Nur die Heimathlosen traf seine Freundlichkeit schwer, nur die Stätten der Menschen, wo der Heerd nicht sehr warm war und die Speisen nur wenig dufteten, wo die Menschengesichter keinen Sonnenschein hatten, sondern nur den bleiernen starren Blick hoffnungslosen Elends, aber gut meinte es der alte Herr, und wenn er das Geheimniß nicht kannte, alle Menschen gleichmäßig zu beglücken, – er hat nicht Schuld: das Geheimniß birgt sein Vater Kronos, der unbarmherzige, noch immer in seinem gewaltigen, langsam schlagenden Herzen.

Und doch, so sehr sich Tom freute, wieder zu Hause zu sein, doch war Weihnachten diesmal nicht ganz so lustig wie sonst. Die rothen Beeren der Stechpalme waren grade so zahlreich wie früher, und mit Gretchen zusammen hatte er alle Fenster und Bilderrahmen und Börte eben so geschmackvoll bekränzt wie sonst, und den dunkelrothen Trauben der Stechpalme Epheuzweige mit schwarzen Beeren eingeflochten. Nach Mitternacht hatte sich draußen vor den Fenstern Gesang hören lassen – überirdischer Gesang, wie Gretchen immer meinte, obschon Tom ihr verächtlich bemerkte, die Sänger seien der alte Küster und der Kirchenchor. Sie zitterte vor heiliger Scheu, als die Lieder in ihre Träume hineinklangen, und die Vorstellung von Menschen in dicken Winterkleidern mußte in ihrer aufgeregten Einbildung immer einer Vision von Engeln weichen, die aus zertheiltem Gewölk hervorblickten. Die Nachtmusik erhob den nächsten Morgen schon von selbst über alle andern Tage des Jahres; dazu kam um die Frühstücksstunde der Geruch von geröstetem Brod und Warmbier aus der Küche; die schöne Liturgie, die grünen Zweige und die kurze Predigt gaben dem Gottesdienste einen besonders festlichen Charakter, und als die Kirchgänger nach Hause kamen und sich den Schnee von den Füßen stampften, da waren Tante und Onkel Moß mit allen sieben Kindern auch gekommen und sahen am hellen Kaminfeuer aus wie eben so viele Spiegel. Der Plumpudding war so hübsch rund wie je und wurde brennend hereingetragen; der Nachtisch glänzte von goldenen Apfelsinen, braunen Nüssen, hellem Apfelgelee und dunklem Pflaumengelee; kurz, Weihnachten war diesmal genau so, wie Tom es sich von jeher erinnerte, und zeichnete sich höchstens durch eine vorzügliche Eisbahn und Schneebälle aus.

Weihnachten war lustig, aber Vater Tulliver war's nicht. Er war so ärgerlich und gereizt, daß Tom, obschon er jeden Streit des Vaters auch zu seinem machte und dasselbe lebhafte Gefühl für Unrecht hatte, doch die Niedergeschlagenheit einigermaßen theilte, unter der Gretchen litt, als der Vater beim Nachtisch in seinem Erzählen und seinen Behauptungen immer lauter und gereizter wurde. Während Tom sonst seine Aufmerksamkeit ganz auf die Nüsse und den Wein gewandt hätte, zerstreute ihn jetzt das Gefühl, es gäbe viele böswillige Schurken in der Welt, und die großen Leute könnten bei ihren Geschäften viel Zankerei nicht gut vermeiden. Tom mochte aber keinen Streit, außer wenn man ihn durch einen raschen offenen Kampf mit einem Gegner, den man tüchtig durchprügelte, bald zu Ende brachte, und die gereizten Reden des Vaters beunruhigten ihn daher, obschon er sich über den Grund keine Rechenschaft gab oder gar auf den Gedanken gekommen wäre, sein Vater könne auf diesem Punkt wohl im Unrecht sein.

Im vorliegenden Falle war das böse Prinzip, mit welchem Tulliver bekanntlich immer zu kämpfen hatte, in einem Herrn Pivart verkörpert, welcher etwas höher an dem Rieselbache hinauf Ländereien besaß und zu deren Bewässerung Vorbereitungen traf, die Tulliver's anerkannte Rechte beim Mühlenbetrieb entweder verkürzten oder verkürzen würden oder nach dem Grundsatze, Wasser sei Wasser, nothwendig verkürzen mußten. Im Vergleich mit diesem Pivart war Dix, den wir schon kennen, nur ein sehr entfernter Bekannter des Schwarzen mit dem Pferdefuß. Dix hatte vor einer gerichtlichen Abschätzung zu Kreuz kriechen müssen, und der Rath seines Advokaten Wakem hatte ihm nicht viel geholfen. In Tulliver's Augen hatte Dix sogar keinen Buchstaben des Gesetzes auf seiner Seite, aber vor lauter Wuth gegen Pivart stimmte sich seine Verachtung gegen den geschlagenen Gegner allmälich zu einer Art Neigung um. Der einzige Mann, der ihn heute anhörte, war Schwager Moß, und der verstand von der Mühlenwirthschaft, wie er selbst sagte, rein garnichts und betrachtete alle Behauptungen Tulliver's lediglich vom Standpunkte seiner Verwandtschaft und finanziellen Verpflichtungen, aber Tulliver dachte bei seinem Reden garnicht daran, jemanden zu überzeugen, das war ihm Nebensache; er sprach nur, um seinem Ingrimm Luft zu machen, und der gutmüthige Moß saß ruhig dabei und gab sich die größte Mühe, die Augen offen zu halten; denn nach dem ungewöhnlich guten Essen war ihm sein müder Kopf ungewöhnlich schwer geworden. Schwester Moß verstand sich mehr auf die Frage und interessirte sich überhaupt für alles, was ihren Bruder anging; sie hörte daher aufmerksam zu und schob ein Wort dazwischen, so oft die kleine Welt um sie her ihr dazu Muße ließ.

»Pivart? Ist das nicht 'ne ganz neue Familie?« fragte sie; »bei Vaters Lebzeiten und bis zu meiner Verheirathung haben doch keine Pivarts hier herum gewohnt.«

»'ne neue Familie? Ja freilich«, erwiderte Tulliver mit ärgerlichem Nachdruck. »Die rothe Mühle ist schon hundert Jahre und darüber in unsrer Familie, und all die Zeit hat kein Mensch je gehört, daß ein Pivart etwas mit dem Wasser zu schaffen hat, bis dieser Kerl herkommt und den Weidenhof da oben unter der Hand kauft, ehe ein ehrlicher Mensch dazwischen kann. Aber ich will ihn bepivarten!« und damit nahm Tulliver sein Glas an den Mund, als wolle er sagen, da habe er seine Meinung doch deutlich genug gesagt.

»Er wird Dich doch aber hoffentlich in keinen Prozeß verwickeln?« fragte Frau Moß etwas ängstlich.

»Worin er mich verwickelt, das weiß ich nicht, aber das weiß ich, worin ich ihn verwickle und zuwickle mit seinen Deichen und Bewässerungen, wenn's noch Recht und Gerechtigkeit in der Welt giebt. Ich weiß wohl, wer dahinter steckt; das ist alles der Wakem, der ihn aufstachelt und anhetzt. Ich kann mir schon denken, der Wakem redet ihm ein, das Gesetz könne ihm nichts anhaben, aber der Wakem hat Gott sei Dank das Gesetz nicht gepachtet. Einer muß schon ein abgefeimter Schuft sein, wenn er mit dem Schuft Wakem fertig werden will, aber es giebt ja Gottlob geriebene Kerls in der Welt, die besser mit dem Gesetze umzuspringen wissen als er; warum hätte er denn sonst den Prozeß über die Wegegerechtigkeit verloren?«

Tulliver war ein streng rechtlicher Mann und stolz auf seine Rechtschaffenheit, aber er hegte die Ueberzeugung, bei einem Prozesse könne man nur dann zu seinem Rechte kommen, wenn man einem weniger abgefeimten einen sehr abgefeimten Schuft gegenüber stelle. In seinen Augen war ein Prozeß eine Art Hahnenkampf, wo auch der rechtschaffenste Mensch sich einen möglichst kühnen Kampfhahn mit den stärksten Sporen aussuchen müsse.

»Der dicke Gore ist gewiß kein Narr, das braucht mir keiner zu sagen«, fuhr er gleich darauf in einem so gereizten Tone fort, als ob seine arme Schwester Margret diesen Advokaten eben herausgestrichen hatte; »aber so gerieben in den Gesetzen wie Wakem ist er doch lange nicht. Und mit dem Wasser hat's seine ganz besondre Bewandtniß; das kann man nicht mit der Heugabel anfassen. Darum ist's auch so'n gefunden Fressen für den Teufel und seine Advokaten. Freilich, wenn man's richtig ansieht, dann ist's klar genug, was beim Wasser recht ist und was unrecht; denn ein Fluß ist ein Fluß, und wer eine Mühle hat, muß auch Wasser haben, das sie treibt, und nun soll mir einer kommen und sagen, Pivart seine Bewässerung und was er sonst für dummes Zeug macht, das würde meiner Mühle nichts schaden; ich weiß besser, was zum Wasser gehört. Und dann kommen die Leute wieder damit, was so'n Gelbschnabel von Ingenieur sagt. Damit bleibt mir vom Halse! Daß mir Pivart seine Deiche Schaden thun, das sagt einem doch der gesunde Menschenverstand. Aber wenn die Ingenieure nichts weiter wissen, dann soll Tom sich mit der Zeit doch auch mal dran machen und zusehen, ob er nicht ein bischen mehr Verstand drin findet, als diesen Kerls ihren Unsinn.«

Bei dieser Nennung seines Namens sah sich Tom ängstlich um und nahm dabei, ohne es zu wollen, seiner kleinsten Cousine Moß eine Kinderklapper aus der Hand, mit der er ihr auf seinem Schooße etwas vorgespielt hatte. Natürlich erhob die Kleine sofort ein durchdringendes Geschrei und ließ sich gar nicht beruhigen, auch als Tom ihr die Klapper wieder gab. Tante Moß eilte hinzu und verschwand mit dem Kinde in's Nebenzimmer, wohin ihr Frau Tulliver folgte. Da gelang es endlich, das Kind zur Ruhe zu bringen, und nun wandte sich Frau Moß zu ihrer Schwägerin und sagte:

»Es thut mir recht leid, daß der Bruder sich so über die Wassergeschichte ärgert.«

»Dein Bruder ist mal so, Schwägerin; ehe ich verheirathet war, hab' ich so was mein Leben nicht gesehen«, erwiderte Frau Tulliver mit leisem Vorwurf. Sie nannte ihren Mann gegen Frau Moß immer »Dein Bruder«, sobald er mal etwas that, was nicht lediglich reine Bewunderung verdiente. Die gute sanfte Frau Tulliver, die in ihrem Leben niemals böse wurde, hatte nämlich auch ein ganz klein bischen von dem Geiste, ohne den sie weder eine Dodson noch eine Frau gewesen wäre. Da sie gegen ihre Schwestern immer auf der Defensive stand, so war es nur natürlich, daß sie von der Ueberlegenheit aller Dodsons, und wäre es auch die weichmüthigste, der Schwester ihres Mannes gegenüber ein sehr bestimmtes Bewußtsein hatte, welche nicht nur in kümmerlichen Verhältnissen lebte und meist ihrem Bruder auf dem Halse lag, sondern auch die gutmüthige Unterwürfigkeit einer breiten, leichtblütigen, etwas unordentlichen Frau besaß und ein so weites Herz hatte, daß ihr Mann und ihre vielen Kinder und alle nahen und entfernten Verwandten sämmtlich darin Platz fanden.

»Ich hoffe und wünsche«, sagte Frau Moß, »Dein Mann läßt's nicht zum Prozesse kommen; man weiß nie, wohin das führt, und wer Recht hat, bekommt doch nicht immer Recht. Der Pivart ist ein reicher Mann, soviel ich höre, und die reichen Leute setzen's fast immer durch.«

»Was das angeht«, antwortete Frau Tulliver und strich sich das Kleid glatt, »so weiß ich von meiner eigenen Familie, was reich sein heißt. Meiner Schwestern ihre Männer, die brauchen sich nicht zu behelfen. Aber mir ist's bisweilen, als sollte mir der Verstand stille stehn von dem Reden über das Prozessiren und Bewässern, und meine Schwestern geben mir die Schuld; sie wissen nicht, was es heißt, so 'nen Mann zu haben, wie Deinen Bruder – woher sollten sie's auch wissen? Schwester Pullet kann thun und lassen was sie will, von des Morgens bis des Abends.«

»Na«, meinte Frau Moß, »ich möchte doch keinen Mann haben, der nicht auf seinen eigenen Füßen stände, und für den ich der Kopf sein müßte. Es ist viel leichter zu thun, was der Mann will, als daß man sich selbst den Kopf zerbricht, was man thun soll.«

»Nun, wenn's darauf ankommt, daß man dem Mann seinen Willen thut«, erwiderte Frau Tulliver, ein ganz klein wenig in Schwester Glegg's Weise, »da hätte Dein Bruder lange warten können, ehe er eine Frau gefunden hätte, die ihm so in allen Stücken den Willen läßt wie ich. Den ganzen Tag hört man jetzt nichts als von Prozessiren und Bewässern, von des Morgens, wenn man aufsteht, bis Abends beim Schlafengehen, aber ich widerspreche mit keiner Silbe, ich sage blos: ›Tulliver,‹ sag' ich, ›mach was Du willst, aber fang' keinen Prozeß an.‹«

Wie wir gesehen haben, war Frau Tulliver nicht ohne Einfluß auf ihren Mann. Keine Frau ist das; jede kann ihren Mann bis auf einen gewissen Grad leiten, und unter den verschiedenen Gründen, welche Tulliver in einen Prozeß hineinzutreiben drohten, hatte gewiß auch die einförmige Warnung seiner Frau ihr kleines Gewicht, ja sie war vielleicht sogar die bekannte Flaumfeder, welche dem schwerbeladenen Kameel den Rücken bricht. Freilich hatte Frau Tulliver's sanfte Vorstellung dieses Gewicht nicht an sich; so oft sie sich den kleinsten Widerspruch gegen ihren Mann erlaubte, sah er in ihr die Repräsentantin der Familie Dodson, und ein für allemal war es bei ihm oberster Grundsatz, er müsse den Dodsons zeigen, daß sie sich nicht einfallen lassen dürften, ihn beherrschen zu wollen, oder genauer ausgedrückt: daß ein Tulliver es mit vier weiblichen Dodson's aufnehme, wenn auch eine darunter Frau Glegg sei.

Indeß selbst der offenste Widerspruch von einer oder mehreren Dodsons hätte ihn nicht so stark in den Prozeß hineintreiben können, als der bloße Gedanke an Wakem, der durch den Anblick dieses geriebenen Sachwalters an Markttagen unaufhörlich aufgefrischt wurde. Wakem, das wußte er ganz sicher, steckte hinter der Pivart'schen Bewässerungsgeschichte; Wakem hatte den Dix aufgehetzt, daß er den Prozeß wegen des Deiches anfing; Wakem war es unzweifelhaft gewesen, durch den er (Tulliver) den Prozeß wegen des Durchganges über sein Grundstück, der ihm alle Vagabunden in Hof und Garten brachte, verloren hatte; alle Advokaten waren mehr oder weniger Schufte, aber bei Wakem kam noch der erschwerende Umstand hinzu, daß seine Schurkerei der Form des Rechts gegenüberstand, die in Tulliver's Interessen und Ansichten verkörpert war. Und endlich, um den bittern Kelch voll zu machen: neulich bei der Aufnahme der fünfhundert Pfund hatte der schwer gekränkte Müller selbst zu Wakem auf's Bureau gehen und dort abschließen müssen. So'n krummnasiger glattzüngiger Kerl, so kalt wie 'ne Gurke, und immer seiner Sache so sicher! Recht ärgerlich, daß Advokat Gore so garnichts von ihm hatte, sondern ein Kahlkopf war mit rundlichem Gesicht, fleischigen Händen und angenehmen Manieren, kurz ein Kampfhahn, auf den ein vorsichtiger Mann nicht gern gegen Wakem wettete. Gore war wohl schlau, und übertriebene Gewissenhaftigkeit war nicht seine schwache Seite, aber wenn einer noch so klug mit den Augen blinzt, – gegen einen, der durch die Wand sehen kann, kommt er doch nicht auf, und so sicher Tulliver sich bei seinem Grundsatz fühlte, Wasser sei Wasser, und bei der direkten Schlußfolgerung, Pivart stände bei der Bewässerungsgeschichte auf sehr schwachen Füßen, so hatte er doch die trübe Ahnung, Wakem werde gegen diese an sich unbestreitbare Schlußfolgerung mehr Gesetzesstellen vorbringen, als Gore für dieselbe. Aber wenn der Prozeß erst im Gange war, dann konnte Tulliver ja noch den berühmten Advokaten Wild annehmen, und die Aussicht, einen von Wakem's Zeugen in die Enge getrieben und mit Angstschweiß bedeckt zu sehen, wie er's mal an seinem eigenen Zeugen erlebt hatte, das war doch ein zu hübsches Stück von gerechter Wiedervergeltung.

Ueber alle diese Schwierigkeiten hatte Tulliver viel nachgedacht, wenn er auf seinem Grauschimmel in Geschäften ausritt, und viel den Kopf von einer Seite zur andern gewendet, wie die Schaalen sich hoben und senkten, aber der wahrscheinliche Ausgang ließ sich noch gar nicht absehen, und viel heißer Streit und wiederholte Besprechung mit Verwandten und Bekannten war vorher noch durchzumachen. Das erste Stadium dieser Erörterung bestand darin, daß Tulliver in dem ganzen Kreise seiner Bekannten den Fall erzählte und seine Ansicht darüber nachdrücklich einschärfte; das erforderte natürlich einige Zeit, und gegen Ende Januar, wo Tom wieder zur Schule mußte, ließ sich in dem Berichte des Vaters über die Sache Tulliver gegen Pivart auch nicht das geringste Neue mehr anbringen, und ebenso war die Aufzählung der Maßregeln vollständig erschöpft, die er gegen die freche Verletzung des Grundsatzes, Wasser sei Wasser, zu ergreifen gedachte. Wiederholung bringt wie Reibung Hitze hervor, und bei Tulliver hatte sich die Hitze ganz merklich gesteigert. War auch sonst in der Sache nichts neues zu Tage gekommen, das hatte sich immer mehr herausgestellt, daß Pivart und Wakem bis über die Ohren unter einer Decke steckten.

»Vater«, sagte Tom eines Abends gegen das Ende seiner Ferien, »Onkel Glegg hat gehört, Wakem gäbe seinen Sohn auch zu Pastor Stelling; es ist nicht wahr, was die Leute gesagt haben, daß er nach Frankreich soll. Das ist Dir doch nicht lieb, daß ich mit Wakem seinem Jungen in einer Schule bin!«

»O, das thut nichts, mein Junge«, antwortete der Vater; »lerne nur nichts schlechtes von ihm. Wakem sein Junge ist ein armes verwachsenes Geschöpf und sieht seiner Mutter ähnlich; vom Vater hat er wohl nicht viel. Aber 's ist ein Beweis, daß Wakem große Stücke auf Pastor Stelling hält, wenn er seinen Sohn zu ihm giebt, und ein geriebener Kerl ist der Wakem, das muß man ihm lassen; er kann Mehl von Kleie unterscheiden.«

Im Stillen war Tulliver förmlich stolz darauf, daß sein Sohn eine eben so gute Erziehung genösse wie der seines Gegners, aber Tom war nicht ganz wohl dabei; die Sache wäre doch viel einfacher gewesen, wenn der andre nicht so verwachsen und kränklich war; dann hätte Tom die Aussicht gehabt, mit der ganzen Rücksichtslosigkeit tiefer moralischer Entrüstung auf ihn loszuprügeln.


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