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Achter Abschnitt.
Worin Herr Tulliver zeigt, dass er auch seine schwache Seite hat

»Aber wenn Schwester Glegg Dir das Geld kündigte – es sollte Dir doch sauer fallen, jetzt fünfhundert Pfund aufzunehmen«, meinte Frau Tulliver am Abende dieses stürmischen Tages zu ihrem Manne.

Frau Tulliver war schon dreizehn Jahr verheirathet, hatte sich aber in aller Frische die wunderbare Geschicklichkeit bewahrt, ihrem Manne Dinge zu sagen, die ihn immer in die entgegengesetzte Richtung trieben, als wohin sie ihn haben wollte. Es giebt Leute, die in dieser Beziehung wahrhaft großes leisten, grade wie ein alter Goldfisch sich offenbar bis an's Ende seine jugendliche Täuschung bewahrt, er könne zu seinem Glase grade hinaus schwimmen. So ein liebenswürdiger Fisch war Frau Tulliver; trotzdem sie dreizehn Jahre lang mit dem Kopfe gegen dasselbe Hinderniß angerannt war, ging sie heute so munter wieder dagegen an, als wenn nichts vorgefallen wäre.

Kaum hatte sie die eben mitgetheilte Bemerkung gemacht, als ihr Mann sofort überzeugt war, es würde ihm ein leichtes sein, die fünfhundert Pfund aufzunehmen, und als Frau Tulliver gar in ihn drang und doch gern wissen wollte, wie er das wohl anfinge, ohne eine Hypothek auf die Mühle und das Haus zu nehmen, und das wollte er doch, wie er früher geäußert, nun und nimmer, – da wurde der Mann warm und sagte, Frau Glegg möge ihm das Geld kündigen oder nicht, er würde es ihr auf jeden Fall ausbezahlen; er wolle keine Verpflichtungen haben gegen die Schwestern seiner Frau.

Die gute Frau Tulliver vergoß ein paar stille Thränen, als sie sich die Nachtmütze aufsetzte, aber bald sank sie in einen beruhigenden Schlaf und wiegte sich in den Gedanken ein, sie wolle die Sache morgen mit Schwester Pullet besprechen, wenn sie mit den Kindern zum Thee hinginge. Zwar ließ sich bei dieser Besprechung kein bestimmtes Ziel absehen, aber eben so wenig konnte sie sich denken, daß geschehene Dinge so hartnäckig sein sollten, sich garnicht ändern zu lassen, wenn man nur tüchtig klagte und jammerte.

Ihr Mann blieb etwas länger wach; denn auch er dachte an einen Besuch, den er am folgenden Tage machen wollte, und seine Gedanken darüber waren weder so unbestimmt noch so angenehm, wie die seiner liebenswürdigen Ehehälfte.

Wenn Tulliver eine Sache sehr am Herzen lag, so hatte er eine Raschheit des Entschlusses, die mit dem peinlichen Bewußtsein, worunter er in ruhigeren Augenblicken litt, wie schwer es doch in der Welt sei sich zurecht zu finden, nicht ganz zu stimmen scheint; aber im Grunde ist es doch nicht unwahrscheinlich, daß zwischen diesen scheinbaren Widersprüchen ein unmittelbarer Zusammenhang stattfand. Nach meiner Erfahrung ist nämlich das allerbeste Mittel, um ein Knäuel in Verwirrung zu bringen, daß man rasch einen einzelnen Faden zieht. In Folge eines so raschen Entschlusses machte sich Tulliver am andern Tage gleich nach Tische zu Pferde auf den Weg nach Basset, um seine Schwester Moß und ihren Mann zu besuchen. Da er sich fest entschlossen hatte, der Frau Glegg ihre fünfhundert Pfund zurückzubezahlen, so fiel ihm natürlich ein, daß er von seinem Schwager Moß einen Schuldschein über dreihundert Pfund in Händen hatte, und wenn besagter Schwager ihm dies Geld binnen einer gewissen Zeit ausbezahlen konnte, so mußte das seinem entschlossenen Verfahren den trügerischen Schein der Unbequemlichkeit in hohem Grade nehmen, und wegen der kleinmüthigen Leute, die immer erst genau wissen müssen, wie sich eine Sache gemacht hat, ehe sie sich überzeugen, daß sie sich auch leicht gemacht hat, war ihm das sehr wünschenswerth. Tulliver befand sich nämlich in dem weder ganz neuen noch überraschenden Falle, für viel wohlhabender zu gelten, als er wirklich war, und da wir alle von uns selbst leicht das glauben, was die Welt glaubt, so hatte er sich gewöhnt, an Unglück und Bankerott mit demselben ruhigen Mitleid zu denken, mit dem ein dürrer hochgewachsener Mann die Nachricht hinnimmt, sein untersetzter korpulenter Nachbar sei vom Schlage getroffen. Seit langer Zeit war er gewöhnt, freundliche Scherze über seine guten Verhältnisse, seine eigene Mühle und seinen Grundbesitz zu hören, und so hatte er sich an den Gedanken gewöhnt, er sei ein wohlhabender Mann, und wären nicht gewisse halbjährige Zahlungen gewesen, so hätte er leicht ganz vergessen, daß auf seinem vielbeneideten Besitzthum eine Hypothek von zweitausend Pfund lastete. Das war nicht lediglich seine Schuld; das eine Tausend hatte er seiner Schwester bei ihrer Verheirathung als ihr Erbtheil auszahlen müssen, und wenn der Mensch Nachbarn hat, die das Prozessiren nicht lassen können – so sagte wenigstens Tulliver –, dann kommt er nicht leicht dazu, seine Schulden abzubezahlen, zumal wenn er nebenbei noch bei Freunden in gutem Rufe steht, die ab und zu hundert Pfund borgen und viel zu gute Sicherheit bieten, als daß man die Sache gerichtlich machen sollte. Unser Freund Tulliver hatte eine gutmüthige Ader und schlug den Leuten nicht gern etwas ab, selbst seiner Schwester nicht, die nicht nur höchst überflüssig in die Welt gekommen war, wie alle Schwestern, und die Aufnahme einer Hypothek nöthig gemacht hatte, sondern auch noch sehr schlecht verheirathet war und um das ganze zu krönen, kürzlich ihr achtes Kind bekommen hatte. Auf diesem Punkte war sich Tulliver bewußt, eine kleine Schwäche zu haben, aber er entschuldigte sich vor sich selbst damit, die arme Margret sei doch bis zu ihrer Verheirathung ein nettes hübsches Mädchen gewesen, und bisweilen, wenn er das sagte, bebte ihm wohl die Stimme. Heute jedoch betrachtete er das Verhältniß zu seinem Schwager rein geschäftsmäßig, und bei seinem Ritt über die Feldwege mit den tiefen Löchern und durch das dürftige Ackerland, redete er sich in eine ziemliche Wuth gegen seinen Schwager hinein, der nicht nur ohne alle Mittel, sondern überdies noch ein rechter Pechvogel sei, vom Rost und Mehlthau immer ganz sicher sein Theil bekomme, und je mehr man ihn herauszureißen versuche, um so tiefer hineinsinke. Dem würde es förmlich gut sein, redete er sich vor, wenn er jetzt die dreihundert Pfund aufbringen müsse; er würde dann endlich besser aufpassen und es mit seiner Wolle klüger anfangen als voriges Jahr; überhaupt habe er es mit seinem Schwager zu leicht genommen, habe die Zinsen zwei Jahre lang stehen lassen, und nun bilde sich Moß natürlich ein, das Kapital würde gewiß nie zurückgefordert. Aber Tulliver war entschlossen, mit einem so leichtsinnigen Menschen keine Nachsicht mehr zu haben, und der Ritt durch die Feldmark von Basset war nicht grade geeignet, ihn milder zu stimmen. Die Wege waren so ausgefahren und die Spuren von Wagen und Pferden so tief, daß er manchen tüchtigen Stoß erhielt und mehr als einmal sehr grimmig von dem sprach, der die Advokaten geschaffen und sicher auch bei diesem schlechten Wege seine Hand im Spiel habe; große Strecken Land lagen wüst, und überall traf sein Blick auf verfallne Zäune, und wenn das alles auch nicht seinem Schwager Moß gehörte, so steigerte es doch seine gereizte Stimmung. Da war z. B. ein Stück Brachland! ob das nun seinem Schwager gehörte oder nicht – das ganze Basset taugte nichts und war ein elendes Dorf. Das Gatter am Eingange zu dem Pachthofe seines Schwagers machte endlich die Sache vollständig; kaum versuchte nämlich Tulliver, es mit seiner Reitpeitsche aufzuziehen, als es seinem Pferde beinahe gegen die Beine fiel, weil es oben nicht in der Angel hing. Schon wollte er absteigen und das Pferd durch den nassen Schmutz des trübseligen, versumpften Hofes nach dem halbverfallenen Wohnhause führen, da kam noch rechtzeitig ein Kuhjunge und ersparte es ihm, einen Theil seines Planes wieder aufgeben zu müssen. Er wollte nämlich während seines Besuches nicht vom Pferde steigen. Und wie die Dinge mal lagen, war der Plan nicht so übel. Wenn einer hart sein will, dann bleibe er ja im Sattel, da spricht er von oben über die Menschen weg, sieht nicht in bittende Augen, sondern beherrscht einen weiten Horizont.

Frau Moß hatte das Pferdegetrappel gehört, und als ihr Bruder vor dem Hause hielt, stand sie schon draußen vor der Küchenthür, ein mattes Lächeln auf den Lippen und ihr jüngstes Schwarzauge auf dem Arme. Ursprünglich hatte Frau Moß ihrem Bruder ähnlich gesehen, jetzt war die Ähnlichkeit so zu sagen etwas verblichen, und die kleine volle Kinderhand, die an ihrer Wange lag, zeigte recht deutlich, wie verfallen das Gesicht war.

»Guten Tag, Bruder, ich freue mich recht, Dich zu sehen«, sagte sie zärtlich; »ich habe Dich heut nicht erwartet, wie geht's Dir denn?«

»O, recht gut, Frau Moß, wenigstens so leidlich«, erwiderte Tulliver, etwas kühl, als sei es ein bischen dreist von ihr, so zu fragen. Sie erkannte an dieser Antwort gleich, er sei nicht in guter Stimmung; Frau Moß nannte er sie nur, wenn er böse war oder in Gesellschaft. Aber sie fand es ganz natürlich, daß wohlhabende Leute mit armen Leuten ein bischen von oben herab verkehrten; an die Gleichheit unter Menschen glaubte sie nicht; sie war nur eine stille geduldige Frau mit einem liebevollen Herzen.

»Dein Mann ist wohl nicht zu Hause?« fügte Tulliver nach einer bedeutsamen Pause hinzu, während deren vier Kinder aus dem Hause gekommen waren und sich halb hinter, halb neben die Mutter gestellt hatten.

»Nein«, erwiderte Frau Moß, »er ist ganz in der Nähe bei den Kartoffeln. Georg, lauf gleich hin und sag' Vater, der Onkel wäre da. Aber willst Du nicht herein treten, Bruder, und etwas genießen?«

»Nein, nein, dazu hab' ich keine Zeit; ich muß gleich wieder nach Haus«, erwiderte Tulliver und blickte in die Ferne hinaus.

»Und was macht Deine Frau und die Kinder?« fragte Frau Moß schüchtern; auf ihrer Einladung mochte sie nicht weiter bestehen.

»O, so leidlich. Tom soll zu Johanni in 'ne neue Schule, das kost't mich ein gut Stück Geld, und 's wird mir sauer genug mit den vielen Auslagen.«

»Ich möchte, Du ließest die Kinder mal herkommen, Bruder, daß sie doch ihre kleinen Verwandten kennen lernen. Meine Kleinen haben eine solche Sehnsucht nach Deinem Gretchen, Du glaubst es garnicht, und ich habe sie doch über die Taufe gehalten und habe sie so lieb; ich wollte ihr hier so viel Pläsir machen, wie ich nur könnte. Und ich weiß, sie kommt gern her, denn sie hat ein gutes Herz, und was sie gescheut ist und klug, das ist 'ne rechte Lust.«

Wäre Frau Moß so pfiffig gewesen, wie sie einfältig war, sie hätte sich nichts ausdenken können, was ihren Bruder mehr gewonnen hätte, als dieses Lob seines Lieblings. Es passirte ihm selten, daß jemand sie von selbst lobte, meistens mußte er ihre Verdienste ganz allein herausstreichen. Aber bei ihrer Tante Moß erschien Gretchen in der That immer am liebenswürdigsten; wenn sie etwas umwarf oder zerbrach, ihre Schuhe schmutzig machte oder ihr Kleid zerriß, so verstand sich alles dergleichen für Tante Moß von selbst, und sie fand garnichts dabei zu schelten. Wider Willen wurde Tulliver etwas milder gestimmt und mit freundlichem Blick sah er seine Schwester an, als er erwiderte:

»Ja, ich glaube, sie hat Dich lieber als ihre andern Tanten. Sie artet ganz auf unsre Familie und hat nichts von ihrer Mutter.«

»Mein Mann sagt immer, sie sei grade so, wie ich früher war; aber aus den Büchern hab' ich mir nicht so viel gemacht und war auch nicht so gescheut. Aber mein Lieschen, glaub' ich, die gleicht ihr; die ist klug. Komm her, Lieschen, daß der Onkel Dich sieht; er kennt Dich kaum mehr, so bist Du gewachsen.«

Lieschen, ein schwarzäugiges Mädchen von sieben Jahren, sah recht schüchtern zum Onkel auf, als ihre Mutter sie präsentirte; sie hatte, wie alle ihre Geschwister, vor Onkel Tulliver eine heilige Scheu. Wohl hatte sie Aehnlichkeit mit Gretchen, aber ihr Gesicht war lange nicht so lebhaft und ausdrucksvoll, und die Aehnlichkeit war daher für den Stolz des Vaters um so schmeichelhafter.

»Ja, sie haben eine gewisse Aehnlichkeit«, erwiderte er mit einem freundlichen Blick auf das kleine Wesen in der schmutzigen Schürze; »sie arten beide auf unsre verstorbene Mutter. Du hast viele Mädchen, Margret«, fügte er halb mitleidig, halb vorwurfsvoll hinzu.

»Viere, Gott sei gedankt«, erwiderte Frau Moß und strich Lieschen das Haar über der Stirn glatt, – »viere, grade so viel wie Jungens, auf jede Schwester einen Bruder.«

»Ja, aber sie werden aus dem Hause müssen und für sich selbst sorgen«, entgegnete Tulliver, der schon zu weich zu werden fürchtete und die Gelegenheit zu einem passenden Wink nicht vorübergehen lassen wollte. »Sie dürfen doch nicht ihren Brüdern zur Last fallen.«

»Nein, das gewiß nicht, aber hoffentlich werden sich die Brüder der armen Dinger annehmen und nie vergessen, daß sie einen Vater und eine Mutter gehabt haben; davon werden die Jungens nicht ärmer«, sagte Frau Moß, indem sie so rasch und zaghaft aufflackerte wie ein halbersticktes Feuer.

Bei diesen Worten gab Tulliver seinem Pferde einen leichten Schlag in die Flanke, riß es in die Zügel und rief ärgerlich: »willst Du ruhig sein!« – eine Prozedur, worüber das harmlose Thier sich sehr verwunderte.

»Und je mehr ihrer sind, desto mehr müssen sie einander lieb haben«, fuhr Frau Moß fort und blickte freundlich mahnend ihre Kinder an. Dann wandte sie sich wieder an ihren Bruder und sagte: »Ich hoffe doch, Dein Junge wird auch immer gut sein gegen seine Schwester, obschon ihrer nur zwei sind, wie Du und ich, Bruder.«

Das war ein Pfeil, der unserm Tulliver grade in's Herz ging. Er hatte keine sehr lebhafte Einbildungskraft, aber der Gedanke an Gretchen lag ihm sehr nahe, und bald sah er ein, wie ähnlich sein Verhältniß zu seiner eigenen Schwester dem seiner beiden Kinder sei. Ob es dem kleinen Mädel auch wohl mal schlecht ginge und Tom nicht ganz freundlich gegen sie wäre?!

»Nun ja, Margret«, erwiderte er, und seine Stimme war schon wieder etwas weicher, »aber ich habe doch immer für Dich gethan, was ich konnte«, fügte er hinzu, als ob er sich gegen einen Vorwurf vertheidigte.

»Das leugne ich auch nicht, Bruder, und bin auch recht dankbar dafür«, antwortete die arme Frau, die von der vielen Arbeit und den vielen Kindern zu sehr herunter war, um noch die Kraft des Stolzes zu haben. »Aber da ist mein Mann. Wie lange Du ausgeblieben bist!«

»Lange nennst Du das?!« sagte der Mann ganz außer Athem; »ich bin den ganzen Weg gelaufen. Aber wollt Ihr nicht absteigen, Schwager Tulliver?«

»Na, einen Augenblick kann ich wohl bleiben und mit Euch im Garten etwas besprechen«, erwiderte Tulliver; er hoffte, er werde sich tapfrer halten können, wenn seine Schwester nicht zugegen sei. Er stieg ab und ging mit seinem Schwager in den Garten nach der Taxus-Laube, während seine Schwester stehen blieb, ihr Kleinstes auf den Rücken klopfte und ihnen neugierig nachsah.

Beim Eintritt in die Laube scheuchten sie einige Hühner auf, die sich da das Vergnügen machten, tiefe Löcher in die Erde zu kratzen, und sofort unter lautem Gegacker entflohen. Tulliver setzte sich auf die Bank, klopfte ein paar mal mit seinem Stocke auf die Erde, als wolle er untersuchen, ob es da hohl sei, und eröffnete das Gespräch, indem er mit vorwurfsvollem Tone bemerkte:

»Nun, Schwager, Ihr habt ja wieder Weizen dahinten auf dem Stücke neben der Wiese, und nicht 'nen Haufen Dünger drauf. Das geht dies Jahr nicht gut.«

Zur Zeit seiner Heirath war Moß der Stutzer des Dorfes gewesen, aber jetzt hatte er sich fast eine Woche lang nicht rasirt und sah so kümmerlich und mißmuthig aus wie ein Pferd in der Tretmühle. Mit geduldig ruhigem Tone antwortete er: »Ja, so arme Pachtersleute wie wir müssen schon zusehen, wie sie fertig werden; wir können nicht halb so viel in die Erde stecken, wie wir herauszukriegen hoffen; das müssen wir andern überlassen, die mit dem Gelde blos so spielen.«

»Ich möchte doch wissen, wer mit seinem Gelde spielen kann, wenn's nicht die sind, die Geld leihen und keine Zinsen dafür bezahlen«, erwiderte Tulliver, der gern einen kleinen Streit angefangen hätte; das wäre ja die einfachste und natürliche Einleitung gewesen, um sein Geld zu kündigen.

»Ich bin etwas im Rückstand mit den Zinsen, das weiß ich recht wohl«, sagte Moß, »aber voriges Jahr ist's mir so unglücklich gegangen mit der Wolle, und bei der langen Krankheit meiner Frau sind wir erst recht nicht vorwärts gekommen.«

»Ja wohl«, höhnte Tulliver, »'s giebt Leute, die haben immer Malheur; ein leerer Kornsack steht nie in die Höhe.«

»Nun, Schwager Tulliver, ich weiß doch nicht, was Ihr mir vorwerfen könnt«, erwiderte Moß; »gewiß, kein Tagelöhner kann schwerer arbeiten als ich.«

»Was nützt das«, entgegnete Tulliver scharf, »wenn einer sich verheirathet und kein Kapital in die Wirtschaft stecken kann als das Vermögen seiner Frau? Ich war von Anfang an dagegen, aber Ihr wolltet ja beide nicht hören. Und mein Geld kann ich jetzt nicht länger bei Euch stehen lassen; fünfhundert Pfund muß ich an die alte Glegg bezahlen, und dann hab' ich noch die Ausgaben für Tom, die mir sauer genug werden, wenn ich auch alles Geld zurück bekäme. Ihr müßt Euch umthun und mir die dreihundert Pfund schaffen.«

»Wenn's das ist, was Ihr mir zu sagen habt«, antwortete Moß und starrte grade vor sich hin, »dann woll'n wir lieber gleich vom Hofe herunter; das ganze Vieh muß ich verkaufen bis auf's letzte Stück, wenn ich Euch und den Gutsherrn zusammen bezahlen soll.«

Arme Verwandte haben doch unstreitig etwas sehr lästiges; wir haben sie unsrerseits so durchaus nicht verlangt, und sie haben fast immer ihre sehr großen Fehler. Tulliver hatte sich glücklich soweit in die Hitze hineingeredet, wie er wünschte, und war nun im Stande, zum Schlusse sehr ärgerlich zu sagen, indem er von der Bank aufstand:

»Ihr müßt zusehen, wie Ihr fertig werdet. Ich kann nicht für alle Leute Geld schaffen. Ich muß für mein eigenes Geschäft sorgen und für Frau und Kinder. Ich kann Euch mein Geld nicht länger lassen, ich gebrauch's so schnell wie möglich.«

Mit diesen Worten verließ er rasch die Laube und ging ohne sich weiter nach seinem Schwager umzusehen, nach der Hausthür, wo der älteste Sohn sein Pferd hielt, und seine Schwester in einem Zustande von Besorgniß und Verwunderung wartete, den ihr die lustigen Zungenspiele und die Fingerübungen ihres kleinsten Kindes einigermaßen erleichterten. Acht Kinder hatte Frau Moß wie wir wissen, aber sie hörte nie auf zu bedauern, daß die Zwillinge nicht auch am Leben geblieben waren. »Willst Du nicht hereinkommen, Bruder?« fragte sie, indem sie ängstlich auf ihren Mann blickte, der langsam herankam, während Tulliver den Fuß schon im Steigbügel hatte.

»Nein, nein«, erwiderte er, »adieu Schwester«, und damit warf er sein Pferd herum und ritt fort.

Tulliver war durchaus fest in seinem Entschlusse, so lange er noch auf dem Hofe war und die ersten hundert Schritte in dem schmutzigen Feldwege ritt, aber er hatte noch nicht die erste Wendung des Weges erreicht, wo er das verfallene Haus seiner Schwester zum letzten Mal sehen konnte, als ihm plötzlich ein andrer Gedanke durch den Kopf schoß. Er hielt sein Pferd an und ließ es mehrere Minuten lang still stehen, und während der Zeit wandte er den Kopf tiefsinnig von einer Seite zur andern, als betrachte er sich etwas unangenehmes von verschiedenen Seiten. Augenscheinlich sank er nach seinem Anfall von raschem Entschlusse wieder in die Empfindung zurück, es sei doch 'ne schlimme Welt. Er wandte sein Pferd, ritt langsam zurück und machte seinem Gefühle, welches ihn zu dieser Umkehr bestimmte, in den lauten Worten Luft: »Das arme kleine Mädel! wenn ich mal erst todt bin, dann hat sie niemand anders auf der Welt als Tom.«

Tulliver's Rückkehr auf den Hof wurde von verschiedenen Kindern des Hauses bemerkt, die sofort mit der aufregenden Nachricht zu der Mutter hineinstürzten. Frau Moß stand daher schon wieder in der Thür, als ihr Bruder herangeritten kam. Sie hatte helle Thränen geweint; jetzt aber wiegte sie ihr Kleinstes auf den Armen in Schlaf und zeigte ihren Kummer äußerlich nicht, als ihr Bruder sie anblickte, sondern sagte blos:

»Mein Mann ist wieder auf dem Felde, wenn Du ihn sprechen willst, Bruder.«

»Nein, Margret, nein«, antwortete Tulliver mit sanfter Stimme, »ängstige Dich nur nicht – weiter will ich nichts – ich will schon zusehen wie ich ohne das Geld durchkomme – nur müßt ihr ordentlich aufpassen und so sparsam sein, wie ihr könnt.«

Bei dieser unerwarteten Freudenbotschaft kamen der guten Frau die Thränen in die Augen, und sie konnte kein Wort sagen.

»Nun, es ist ja gut, Margret; das kleine Mädel soll auch kommen und euch besuchen. Ich will sie und Tom mal mitbringen, ehe der Junge zur Schule muß. Aengstige Dich nur nicht – ich will immer ein guter Bruder gegen Dich sein.«

»Das war ein schönes Wort, Bruder, und ich danke Dir dafür«, antwortete die Frau und trocknete sich die Augen; dann wandte sie sich an Lieschen und sagte: »Lauf in's Haus, Kind, und hol' das bunte Ei für Cousine Gretchen.« Lieschen lief hinein und kam sofort mit einem kleinen Packetchen wieder.

»Das Ei ist ganz hart gekocht, Bruder, und hübsch bunt; wir haben's expreß für Gretchen gemacht; willst Du so gut sein und es in die Tasche stecken?«

»Ja, recht gern«, antwortete Tulliver und steckte es vorsichtig in die Seitentasche. »Und nun adieu, Schwester, grüß mir Deinen Mann.«

Und damit machte sich der brave Müller auf den Heimweg, seiner Geldnoth zwar nicht ledig, aber doch innerlich beruhigt, als sei er einer Gefahr entgangen. Es war ihm durch den Kopf gegangen, wenn er hart gegen seine Schwester verführe, so könnte das in einer oder der anderen Weise später mal, wenn er selbst nicht mehr bei seinem Gretchen wäre, Tom's Herz gegen seine Schwester verhärten; denn so einfache Menschen, wie unser Freund Tulliver, kleiden leicht ein richtiges Gefühl in die Form einer irrigen Vorstellung, und auf diese etwas konfuse Art erklärte er es sich, daß seine liebevolle Besorgniß für »das kleine Mädel« ihn wieder brüderlicher gegen seine eigene Schwester gestimmt habe.


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