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Vierundzwanzigstes Kapitel.

Das Motto zu Kapitel 86 (in dieser Übersetzung Band 4, Kapitel 24):

Le coeur se sature d'amour comme d'un sel divin qui le conserve, de là l'incorruptible adhérence de ceux qui se sont aimes des l'aube de la vie, et la fraicheur des vielles amours prolongés. Il existe un embaumement d'amour. C'est de Daphnis et Chlöe que sont faits Philemon et Baucis. Cette vieillesse là, ressemblance du soir avec l'aurore.

Victor Hugo: L'homme qui rit.


Als Frau Garth um die Theestunde Caleb in's Haus kommen hörte, öffnete sie die Thür des Wohnzimmers und sagte:

»Ah, da bist Du ja, Caleb. Hast Du zu Mittag gegessen?«

Bei Herrn Garth mußten die Mahlzeiten es sich gefallen lassen, dem ›Geschäft‹ nachzustehen.

»O ja. Ich habe ganz gut gegessen; kalten Hammelbraten, und ich weiß nicht mehr, was noch sonst. Wo ist Mary?«

»Ich glaube, sie ist mit Letty im Garten.«

»Ist Fred noch nicht hier gewesen?«

»Nein, willst Du wieder ausgehen, ehe Du Thee getrunken hast, Caleb?« fragte Frau Garth, als sie sah, daß ihr Mann seinen Hut, den er eben abgenommen hatte, ganz abwesend wieder aufsetzte.

»Nein nein! Ich will nur einen Augenblick zu Mary gehen.«

Mary stand in einer Ecke des Gartens, wo auf einem Rasen hoch zwischen zwei Birnenbäumen eine Schaukel angebracht war. Sie hatte ein rosa Tuch um den Kopf gebunden, das einen kleinen Schirm gegen die Strahlen der Abendsonne bildete, während sie die Schaukel, auf welcher Letty laut lachend und jauchzend stand, eben herrlich in Schwung gebracht hatte.

Als Mary ihres Vaters ansichtig wurde, ließ sie die Schaukel los und ging ihm entgegen, indem sie das rosa Tuch zurückschob und ihn mit dem unwillkürlichen Lächeln der Freude schon von Weitem zunickte.

»Ich suche Dich eben, Mary,« sagte Herr Garth, »laß uns ein wenig umhergehen.«

Mary wußte sofort, daß ihr Vater ihr etwas Besonderes zu sagen habe; seine Augbrauen waren an den Ecken in die Höhe gezogen, und seine Stimme hatte etwas zärtlich Feierliches; das waren für sie, schon als sie in Letty's Alter stand, bedeutungsvolle Zeichen gewesen. Sie legte ihren Arm in den seinigen, und sie bogen in eine kleine Nußbaumallee ein.

»Es wird noch eine traurige Zeit dauern, ehe Du heirathen kannst, Mary,« sagte ihr Vater, der seinen Blick geflissentlich nicht auf sie, sondern auf das Ende seines Spazierstockes, den er in der andern Hand hielt, richtete.

»Keine traurige Zeit, Vater; ich denke lustig zu sein,« erwiderte Mary lachend. »Ich bin über vierundzwanzig Jahr lang ledig und lustig gewesen; ich denke, es wird nicht noch einmal so lange dauern.« Nach einer kleinen Pause fügte sie dann ernster hinzu, indem sie den Blick ihres Vaters suchte, »wenn Du mit Fred zufrieden bist.«

Caleb spitzte den Mund und neigte den Kopf mit weiser Miene auf die Seite.

»Vorigen Mittwoch hast Du ihn ja noch gelobt, Vater. Du sagtest, er verstehe sich einzig gut auf Vieh und habe ein gutes Auge für Alles.«

»Habe ich das gesagt?« fragte Caleb mit einer schlauen Miene.

»Ja, ich habe es Alles zu Papier gebracht, ganz genau mit dem Datum, anno Domini und was weiter dazu gehört,« sagte Mary. »Du hast es ja gern, wenn man die Sachen genau bucht, Und dann sein Benehmen gegen Dich, Vater, ist wirklich gut; er hat eine hohe Verehrung für Dich, und man kann kein besseres Temperament haben, als Fred es hat.«

»Ja, ja, Du willst mir schmeicheln, damit ich sagen soll, er sei eine gute Parthie.«

»Nein Vater, ich liebe ihn wirklich nicht deshalb, weil er eine gute Parthie ist.«

»Weshalb denn?«

»O du lieber Gott, weil ich ihn immer geliebt habe: Es giebt Niemand, den ich so gern schelten möchte, und das ist ein wichtiger Punkt bei einem Ehemann.«

»Du bist also ganz entschlossen, Mary?« fragte Caleb wieder in demselben Ton, in welchem er anfänglich gesprochen hatte. »Es hat sich kein anderer Wunsch in Dir geregt, seit die Dinge gegangen sind, wie sie es seit Kurzem gethan haben?« Caleb wollte sehr viel mit diesen unbestimmten Worten sagen; »denn es ist besser spät als niemals. Ein Mädchen muß ihrem Herzen keine Gewalt anthun, damit erweist sie einem Manne nichts Gutes.«

»Meine Gefühle sind unverändert, Vater,« sagte Mary ruhig. »Ich werde Fred treu bleiben, so lange er mir treu bleibt. Ich glaube, keines von uns beiden könnte den Anderen entbehren oder jemand Anderen lieber haben, wenn wir ihn auch noch so sehr bewunderten. Es würde uns beiden Alles gar zu anders erscheinen – wie wenn wir alle Plätze, an die sich Jugenderinnerungen knüpfen, verändert fänden und Allem einen anderen Namen geben müßten. Wir müssen noch lange auf einander warten; aber das weiß Fred.«

Caleb antwortete nicht sogleich, sondern stand still und grub seinen Stock in den Rasen. Endlich sagte er mit erregter Stimme:

»Nun, ich habe eine kleine Neuigkeit für Dich. Was meinst Du dazu, wenn Fred auf Stone Court zu wohnen käme und das Gut zu verwalten hätte?«

»Wie ist das möglich, Vater?« fragte Mary erstaunt.

»Er würde es für seine Tante Bulstrode zu verwalten haben. Die arme Frau ist zu mir gekommen, mich inständigst zu bitten. Sie möchte dem Jungen etwas Gutes erweisen, und es scheint mir eine schöne Sache für ihn. Wenn er spart, kann er vielleicht nach und nach das Inventar erwerben, und er hat Talent zur Landwirthschaft.«

»O Fred würde so glücklich sein! Es ist so schön, daß ich es gar nicht glauben mag.«

»Aber wohl gemerkt,« sagte Caleb mit einer warnenden Kopfbewegung. »Ich muß die Sache auf meine Schultern nehmen und dafür verantwortlich sein und nach Allem sehen, und das wird Deiner Mutter ein wenig Kummer machen, wenn sie es auch vielleicht nicht sagen wird. Fred muß sehr aufpassen.«

»Vielleicht ist es zu viel, Vater,« sagte Mary, die sich in ihrer Freude gehemmt sah. »Wir können nicht glücklich sein, wenn wir Dir neue Beschwerden bereiten.«

»O nein, o nein! Arbeit ist meine Wonne, Kind, sobald Deine Mutter nicht böse darüber wird. Und dann, wenn Du und Fred erst verheirathet seid,« bei diesen Worten zitterte Caleb's Stimme hörbar, »er wird solide und sparsam sein, und Du hast die Tüchtigkeit Deiner Mutter und auch die meinige in Deiner weiblichen Weise geerbt und Du wirst ihn schon in Ordnung halten. Er wird bald herkommen, und so wollte ich es Dir zuerst sagen, weil ich denke, Du würdest es ihm gern sagen, wenn Ihr allein seid. Darnach könnte ich Alles ruhig mit ihm durchgehen, und wir könnten gleich das Geschäftliche und Alles aus dem Grunde besprechen.«

»O Du lieber, guter Vater!« rief Mary, indem sie ihren Vater umarmte, während er den Kopf ruhig vorüber beugte und sich ihre Liebkosungen gern gefallen ließ. »Ich möchte wohl wissen, ob es noch ein anderes Mädchen giebt, das ihren Vater für den besten Mann in der Welt hält.«

»Unsinn, Kind, Du wirst doch Deinen Mann für noch besser halten.«

»Unmöglich,« sagte Mary wieder in ihren gewöhnlichen Ton verfallend. »Ehemänner sind eine untergeordnete Klasse von Männern, die in Ordnung gehalten werden müssen.«

Als sie mit Letty, die zu ihnen gelaufen kam, das Haus betraten, sah Mary Fred an der Pforte des Obstgartens stehen und ging ihm entgegen.

»Was Du für schöne Kleider trägst, Du extravaganter, junger Mensch!» sagte Mary, als Fred stehen blieb und seinen Hut mit scherzhafter Förmlichkeit vor ihr zog. »Du wirst nie lernen, ökonomisch zu sein.«

»Nein, das ist aber doch zu arg, Mary,« sagte Fred. »Sieh Dir doch nur 'mal die Ränder meiner Aermelaufschläge an. Nur weil ich mein Zeug so schön bürste, sehe ich respektabel aus. Ich habe drei Anzüge zurück gelegt, darunter einen zur Hochzeit.«

»Wie komisch Du aussehen wirst! Wie ein Herr in einem alten Modejournal.«

»O nein, zwei Jahre hält die Mode vor.«

»Zwei Jahre, sei doch vernünftig, Fred,« sagte Mary, indem sie wieder zu gehen anfing. »Schmeichle Dir doch nicht mit solchen sanguinischen Hoffnungen.«

»Warum denn nicht? man befindet sich bei solchen Hoffnungen besser als bei unsanguinischen. Wenn wir uns in zwei Jahren noch nicht heirathen können, wird es noch immer Zeit sein, es zu beklagen.«

»Ich habe einmal eine Geschichte von einem jungen Herrn gehört, dem die sanguinischen Hoffnungen, mit denen er sich geschmeichelt hatte, schlecht bekommen sind.«

»Mary, wenn Du mir etwas Entmuthigendes mitzutheilen hast, so muß ich es heraushaben, ich gehe direkt zu Deinem Vater hinein. Ich verliere allen Muth. Mein Vater ist so herunter, unser Haus ist gar nicht mehr dasselbe. Ich kann keine schlimmen Nachrichten mehr vertragen.«

»Würdest Du es eine schlimme Nachricht nennen, wenn Du erführest, daß Du auf Stone Court leben und das Gut verwalten und sehr raisonable sein und jedes Jahr Geld übersparen sollst, bis alles lebende und todte Inventar Dein eigen geworden ist und Du ›eine ausgezeichnete landwirthschaftliche Persönlichkeit‹, wie Borthrop Trumbull sagt, geworden sein wirst? etwas dick fürchte ich, und das Griechische und Lateinische wird wohl bös von der Witterung leiden.«

»Du machst nur dummes Zeug, Mary,« sagte Fred, der aber doch ein wenig erröthete.

»Mein Vater hat mir das Alles eben als vielleicht bevorstehend erzählt, und der macht nie dummes Zeug,« sagte Mary, die jetzt zu Fred aufschaute, während er ihr im Gehen die Hand drückte, bis es ihr wehe that, aber sie klagte nicht.

»O Mary, dann wollte ich ein famos guter Kerl werden, und wir könnten gleich heirathen.«

»Nicht so rasch, mein Herr, woher wissen Sie, daß ich nicht lieber unsere Heirath noch ein paar Jahre aufschieben würde? Das würde Dir Zeit lassen, Dich wieder schlecht zu betragen, und wenn mir dann ein Anderer besser gefiele, wäre das eine Entschuldigung für mich, daß ich Dich nur genarrt hätte.«

»Bitte, Mary, spaße nicht,« sagte Fred sehr erregt. »Sage mir ernsthaft, daß das Alles wahr ist, und daß Du glücklich bist, weil – weil Du mich lieber hast, als alle Anderen.«

»Es ist Alles wahr Fred, und ich bin glücklich, weil weil ich Dich lieber habe als alle Anderen,« sagte Mary im Tone gehorsamen Nachbetens.

Sie blieben noch eine Weile auf der Haustreppe unter der kleinen, steil überdachten Vorhalle stehen, und Fred sagte fast flüsternd:

»Weißt Du noch Mary, wie Du, als wir uns zuerst mit dem Messingring verlobten …«

Der Ausdruck der Freude fing an, entschiedener aus Mary's Augen zu leuchten; aber der verhängnißvolle Ben kam mit dem hinter ihm herlaufenden Brownie an die Thür, sprang auf sie los und sagte:

»Fred und Mary, kommt Ihr endlich 'mal hinein? oder darf ich Euren Kuchen aufessen?«



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