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Achtzehntes Kapitel.

Das Motto zu Kapitel 80 (in dieser Übersetzung Band 4, Kapitel 18):

Stern lawgiver! yet thou dost wear
The Godhead's most benignant grace;
Nor know we anything so fair
As is the smile upon thy face;
Flowers laugh before thee on their beds,
And fragrance in thy footing treads;
Thou dost preserve the Stars from wrong;
And the most ancient Heavens, through thee, are fresh and strong.

Wordsworth: Ode to Duty.


Dorothea hatte Farebrother, als sie ihn am Morgen gesehen, versprochen, bei ihrer Rückkehr von Freshitt im Pfarrhause zu Mittag zu essen. Es bestand ein reger Verkehr zwischen ihr und der Farebrother'schen Familie, der sie zu sagen berechtigte, daß sie sich im Herrenhause durchaus nicht vereinsamt fühle und ihr die Möglichkeit gab, sich für's Erste noch die strenge Medizin einer Gesellschaftsdame zu verbitten.

Als sie wieder nach Hause kam und sich ihres Versprechens erinnerte, freute sie sich desselben, und als sie fand, daß sie noch eine Stunde Zeit habe, bevor sie sich zu Tisch ankleiden müsse, ging sie direkt nach dem Schulhause und ließ sich in eine Unterhaltung über die neue Glocke mit dem Schullehrer und seiner Frau ein, deren Mittheilungen und kleine Wiederholungen sie mit der größten Aufmerksamkeit anhörte, und sich dabei in die Vorstellung hineinarbeitete, daß sie ein sehr beschäftigtes Leben führe.

Auf ihrem Rückwege hielt sie an, um mit dem alten Bunney, der eben einige Gartenpflanzen säete, zu reden, und führte mit diesem Landweisen eine kluge Unterhaltung über die Saat, welche den besten Ertrag von einem Stück Landes bringen würde, und über das Ergebniß einer sechszigjährigen Erfahrung in Betreff der Bodenbeschaffenheit – nämlich daß, wenn der Boden hübsch locker sei, es damit gehe, wenn es aber Nässe und immer Nässe gebe, die Alles breiweich mache, nun dann –

Als Dorothea fand, daß ihr Unterhaltungsbedürfniß sie verleitet habe, sich etwas zu verspäten, zog sie sich sehr rasch an und kam nun doch noch etwas früher im Pfarrhause an, als nöthig gewesen wäre. In diesem Hause war es nie langweilig, denn Farebrother hatte wie ein zweiter White von Selborne Gilbert White (1720-1793), englischer Pfarrer, Naturforscher und Ornithologe; blieb sein Leben lang ein unverheirateter Kaplan; bekannt für sein Buch » The Natural History and Antiquities of Selborne« (1789). – Anm.d.Hrsg. immer etwas Neues von seinen stummen Gästen und Schützlingen, die nicht zu peinigen er die Dorfjugend lehrte, zu erzählen und jetzt eben hatte er ein paar Ziegen angeschafft, welche die Lieblinge des ganzen Dorfes sein und als geheiligte Thiere frei umhergehen sollten.

Der Abend verging munter, und Dorothea sprach mehr als gewöhnlich und erging sich noch nach dem Thee mit Farebrother in Vermuthungen über die mögliche Geschichte von Geschöpfen, die sich vielleicht vertraulich mit ihren Fühlhörnern unterhalten, oder gar in reformirten Parlamenten zusammen kommen – als sich plötzlich einige kleine unarticulirte Laute vernehmen ließen, welche die Aufmerksamkeit Aller auf sich lenkten.

»Henriette Noble!« rief Frau Farebrother, als sie sah, wie ihre kleine Schwester unglücklich um die Beine der Möbel herumging; »was giebt es?«

»Ich habe meine schildpattene Bonbondose verloren. Ich fürchte, die Katze hat damit gespielt und sie fortgebracht,« sagte die kleine alte Dame, indem sie unwillkürlich ihr biberartiges Geräusch fortsetzte.

»Ist es etwas sehr kostbares, Tante?« fragte Farebrother, indem er seine Brille aufsetzte und auf den Teppich sah.

»Herr Ladislaw hat es mir geschenkt,« sagte Fräulein Noble, »es ist eine deutsche Dose und sehr hübsch; aber wenn sie einmal fällt, rollt sie immer so weit wie möglich weg.«

»O wenn es ein Geschenk von Ladislaw ist!« sagte Farebrother in einem verständnißvoll tiefen Ton und stand auf, um danach zu suchen.

Die Dose fand sich endlich unter einer Chiffonniere, und Fräulein Noble griff entzückt danach und sagte:

»Das vorige Mal lag sie unter einem Fender.«

»Das ist eine Herzensangelegenheit für meine Tante,« sagte Farebrother lächelnd zu Dorotheen, als er sich wieder setzte.

»Wenn Henriette Noble sich an Jemand attachirt, Frau Casaubon,« sagte Frau Farebrother emphatisch, »so ist sie wie ein Hund, sie würde seine Schuhe zum Kopfkissen nehmen und nur um so besser darauf schlafen.«

»Ladislaw's Schuhe, ja,« sagte Henriette Noble zustimmend.

Dorothea versuchte es wieder zu lächeln. Zu ihrer Ueberraschung und ihrem Verdruß fühlte sie ihr Herz gewaltig klopfen, und vergebens bemühte sie sich, wieder lebhaft angeregt wie bisher zu erscheinen. Beunruhigt über sich selbst, besorgt, sie möchte eine durch ihre Veranlassung so auffallende Veränderung noch ferner verrathen, stand sie auf und sagte, ohne ihre Aufregung zu verbergen, mit leiser Stimme:

»Ich muß gehen; ich habe mich übermüdet,«

Farebrother, der rasch begriff, stand auf und sagte:

»Es ist wahr, Sie müssen von dem Reden über Lydgate erschöpft sein. So etwas fühlt man erst, wenn die Aufregung vorüber ist.«

Er reichte ihr den Arm und brachte sie nach Hause; aber Dorothea machte nicht einmal den Versuch zu reden, selbst als er ihr gute Nacht sagte.

Sie war an der Grenze ihrer Widerstandskraft angelangt und war hülflos in die Klauen einer Angst, die sie nicht loslassen wollte, zurückgesunken.

Sie hieß Tantripp mit matter Stimme gehen, verschloß ihre Thür, preßte, in den leeren Raum starrend, ihre Hände auf dem Kopf zusammen und rief wehklagend aus:

»O, ich habe ihn so geliebt!«

Dann aber kam die Stunde, wo sie zu furchtbar litt, um noch irgend einen Gedanken fassen zu können. Sie konnte nur unter Schluchzen in lautem Geflüster ihre Sehnsucht ausweinen nach ihrem verlorenen Glauben, der, seit den Tagen in Rom einem kleinen Saatkorn entsprossen, von ihr gehegt und lebendig erhalten war; nach ihrer verlorenen Freude an der stillen Liebe und dem festen Vertrauen zu Einem, der, von Anderen verachtet, ihr würdig erschien; nach ihrem verlorenen weiblichen Stolz des Bewußtseins, in seinem Andenken zu herrschen; nach dem matten, aber lieblichen Hoffnungsschimmer, daß sie sich eines Tages längs eines Pfades begegnen, sich wiedererkennen, unverändert finden und die verflossenen Jahre wie ein Gestern zusammen wieder aufnehmen würden.

In dieser Stunde machte sie das durch, dessen die barmherzige Einsamkeit von jeher bei den geistigen Kämpfen der Menschen Zeuge gewesen ist: sie flehete um Härte, um Kälte, um schmerzliche Erschöpfung als Befreiung von der geheimnißvoll körperlosen Gewalt ihrer Angst; sie warf sich auf den Fußboden und ließ die kalte Nacht über sich hereinbrechen und ihre große weibliche Gestalt war von Schluchzen so erschüttert, wie wenn sie ein verzweifeltes Kind gewesen wäre.

Zwei Bilder, zwei lebendige Gestalten waren es, die ihr Herz zerrissen, wie das Herz einer Mutter, die ihr Kind durch das Schwert zerhauen zu sehen glaubt und die eine blutende Hälfte an die Brust drückt, während ihr Blick in Todesangst der anderen Hälfte folgt, welche von dem lügenhaften Weibe fortgebracht wird, das nie die Schmerzen einer Mutter gekannt hat.

So nahe, daß sie sein Lächeln sehen, daß sie den Klang seiner Stimme hören und mit ihm reden zu können glaubte, stand vor ihr die anmuthige Gestalt dessen, dem sie getraut hatte, der wie der Genius des anbrechenden Tages zu ihr in die trübe Gruft getreten war, in der sie, an ein verbrauchtes Leben gefesselt, gesessen hatte. Und jetzt streckte sie ihm, in dem vollem Bewußtsein, das noch nie zuvor ganz in ihr erwacht war, ihre Armen entgegen und jammerte unter bitteren Thränen, daß ihr scheinbar nahes Zusammensein nur eine Vision des Abschieds sei. Erst in diesem rückhaltlosen Ausbruch ihrer Verzweiflung gestand sie sich ihre Leidenschaft voll ein.

Da stand aber auch, seitab und doch beständig bei ihr, ihr überallhin folgend, der Will Ladislaw, der einen hoffnungslos verlornen Glauben, eine zerstörte Illusion, ja, der einen lebenden Menschen bedeutete, dem sie aus der Fülle ihres Hohns, ihrer Entrüstung und ihres beleidigten eifersüchtigen Stolzes heraus, noch keine Wehklage mitleidigen Bedauerns entgegenbringen konnte.

Dorothea's Zorn verrauchte nicht leicht, immer wieder flammte er in Zuckungen verächtlicher Vorwürfe auf. Warum war er gekommen, sein Leben dem ihrigen aufzudrängen, das ohne ihn unversehrt hätte bleiben können? Warum hatte er sie mit seinen wohlfeilen Blicken und seinen auf den Lippen geborenen Worten verfolgt, sie, die ihm nichts Armseliges dagegen zu bieten hatte?

Er hatte sie mit Bewußtsein betrogen, hatte sie im Augenblick des Abschieds geflissentlich glauben gemacht, daß er ihr sein ganzes Herz gebe, während er wußte, daß er es schon vorher halb vergeben habe. Warum war er nicht unter der Menge geblieben, von der sie nichts verlangte, für die sie nur betete, sie möge weniger verächtlich sein.

Aber endlich ging ihr selbst zu ihrem lauten Geflüster und Stöhnen die Kraft aus, sie verfiel in ein hülfloses Schluchzen und schluchzte sich auf dem kalten Fußboden in Schlaf.

In den kalten Stunden der Morgendämmerung, als Alles um sie her noch dunkel war, erwachte sie ohne jede Regung des Erstaunens über ihr Lager oder über das Vorgefallene, mit dem klarsten Bewußtsein darüber, daß ihr der Kummer entgegen starre. Sie stand auf, hüllte sich in warme Tücher und setzte sich auf einen großen Lehnstuhl, in welchem sie schon oft gewacht hatte.

Bei ihrer kräftigen Natur hatte ihr diese schwere Nacht keine andere körperliche Beschwerde als etwas Kopfschmerz und Ermüdung gebracht, aber sie war zu einem neuen Bewußtsein erwacht; ihr war, als sei ihre Seele von ihrem schrecklichen Conflikt befreit; sie rang nicht mehr mit ihrem Kummer, sondern konnte sich mit ihm wie mit einem bleibenden Gefährten niedersetzen und ihn an ihren Gedanken Theil nehmen lassen; denn jetzt drängten sich ihr die Gedanken zu.

Es lag nicht in Dorothea's Wesen, sich länger als während der Dauer eines Paroxismus in die enge Zelle ihres Elends, in den stumpfen Jammer eines Bewußtseins zu verschließen, welches das Geschick eines Anderen nur als einen Moment in dem eigenen Geschick betrachtet.

Sie sing jetzt an, den gestrigen Morgen mit bewußter Ueberlegung wieder zu durchleben, indem sie sich selbst zwang, bei jedem einzelnen Umstande und seiner möglichen Deutung zu verweilen. Kam sie allein bei jener Scene in Betracht? Betraf der Vorfall nur sie? Sie zwang sich, den ganzen Vorgang in seinem untrennbaren Zusammenhange mit dem Leben einer anderen Frau anzusehen, einer Frau, der sie mit dem Verlangen entgegen gekommen war, ihrer trüben Jugend einige Klarheit und etwas Trost zu bringen. In ihrem ersten Ausbruch der eifersüchtigen Entrüstung und des Abscheus beim Verlassen des Zimmers hatte sie sich all' des milden Erbarmens entäußert, mit welchem sie diesen Besuch unternommen hatte. Ueber beide, über Will und Rosamunde, hatte sie ihren beißenden Hohn ausgegossen und es war ihr, als sei Rosamunde für immer aus ihren Vorstellungen getilgt.

Aber dieses niedrige Gefühl, welches ein Weib grausamer gegen ihre Nebenbuhlerin als gegen einen treulosen Liebhaber macht, konnte bei Dorotheen nicht dauernd vorhalten, sobald einmal der in ihr wohnende Gerechtigkeitssinn des Sturmes ihrer Leidenschaften wieder Herr geworden war und ihr das richtigere Maß der Dinge gezeigt hatte. All das rege Denken, mit welchem sie sich zuvor die Schicksalsprüfungen Lydgate's und diese junge Ehe vergegenwärtigt hatte, welche, wie ihre eigene, sowohl an verborgenem wie an offen zu Tage liegenden Ungemach krankte, diese ganze Fülle lebendiger sympathischer innerer Erfahrungen stellte sich jetzt als eine Macht wieder bei ihr ein, machte sich geltend, wie erlangtes Wissen sich geltend macht und uns die Dinge nicht mehr ansehen läßt, wie wir sie in den Tagen unserer Unwissenheit ansahen. Sie sprach zu ihrem eigenen unheilbaren Kummer, er solle sie nicht dahin bringen, Anstrengung zu scheuen, er solle sie nur hülfreicher machen.

Und welche Bedeutung konnte nicht diese Art von Krisis für das Leben dreier Menschen haben, deren Berührung mit dem ihrigen ihr eine Verpflichtung auferlegte, wie wenn sie als Bittende mit dem heiligen Zweige zu ihr gekommen wären? Nicht ihr persönliches Gefallen durfte darüber entscheiden, wem sie sich befreiend und rettend nahen sollte; das war ihr ohne ihr Zuthun bestimmt. Sie lechzte nach dem wahrhaft Rechten und Guten, daß es seinen Thron in ihr aufschlagen und ihren irrenden Willen lenken möge.

»Was müßte ich thun, wie würde ich jetzt, noch heute handeln, wenn ich meinen eigenen Schmerz verschließen und zum Schweigen bringen und nur an jene Drei denken könnte?«

Es hatte lange gedauert, bis sie dahin gelangt war, sich diese Frage zu stellen, und das Tageslicht drang bereits in's Zimmer. Sie öffnete ihre Vorhänge und blickte auf die kleine Strecke der Landstraße mit dahinter liegenden Feldern, die sich jenseits der Eingangspforten zu ihrem Hause ihren Blicken darbot. Auf der Landstraße sah sie einen Mann mit einem Bündel auf dem Rücken und eine Frau, die ihr Kind trug; auf dem Felde konnte sie nur Gestalten erkennen, die sich bewegten, vielleicht den Schäfer mit seinem Hunde. Fernab am Himmelsrande stand die leuchtende Sonne, und sie fühlte die Größe der Welt und das mannigfache Erwachen der Menschen zur Arbeit und zum Dulden. Sie fühlte in sich einen Theil dieses unwillkürlich pulsirenden Lebens und konnte es sich weder von ihrer üppig sicheren Heimstätte aus als bloße Zuschauerin ansehen, noch ihre Augen in selbstsüchtigem Jammern davor verschließen.

Was sie heute zu thun beschließen würde, war ihr noch nicht klar; aber die Zuversicht, daß sie etwas würde vollbringen können, regte sich in ihr wie ein nahendes Gemurmel, das bald zu deutlich vernehmbaren Tönen werden würde.

Sie legte die Kleider ab, die ihr etwas von der Erschöpfung des in ihnen verbrachten Wachens an sich zu tragen schienen, und fing an, ihre Toilette zu machen. Sie klingelte auf Tantripp, die in ihrem Morgenrock erschien.

»Wie, gnädige Frau, Sie sind diese Nacht gar nicht zu Bette gegangen?« brach Tantripp aus, nachdem sie zuerst das Bett und dann Dorothea's Gesicht angesehen hatte, das trotz des kalten Wassers, mit dem sie es gewaschen, die bleichen Wangen und die gerötheten Augenlieder einer mater dolorosa hatte. »Sie werden sich wahrhaftig noch umbringen, gnädige Frau. Man sollte doch denken, Sie hätten jetzt ein Recht, es sich ein wenig bequem zu machen.«

»Beunruhigen Sie sich nicht, Tantripp,« sagte Dorothea lächelnd: »Ich habe geschlafen und bin nicht krank. Geben Sie mir sobald wie möglich eine Tasse Kaffee, und dann bringen sie mir mein neues Kleid; höchst wahrscheinlich werde ich auch heute noch meinen neuen Hut brauchen.«

»Das liegt ja beides schon über einen Monat für Sie bereit, gnädige Frau. Und wie will ich mich freuen, wenn Sie für ein paar Guineen weniger Krepp tragen,« sagte Tantripp, indem sie sich anschickte, das Feuer im Kamin anzumachen. »Auch im Trauern muß man Maß halten, das habe ich immer gesagt. Und dreifacher Kreppbesatz am Rock und eine einfache Rüsche in Ihrem Hute, – Ihnen steht ja eine Tüllgarnirung so reizend –, passen für ein zweites Trauerjahr. Das ist wenigstens meine Meinung,« schloß Tantripp, während sie das Feuer beobachtete. »Und wenn Einer mich heirathen und sich schmeicheln wollte, ich würde den abscheulichen Krepp zwei Jahre lang für ihn tragen, so würde ihm seine Eitelkeit einen bösen Streich spielen.«

»Das Feuer wird schon brennen, liebe Tantripp,« sagte Dorothea in dem Ton, in dem sie vor Zeiten in Lausanne mit ihr zu sprechen pflegte, nur mit sehr leiser Stimme, »bringen Sie mir meinen Kaffee.«

Sie ließ sich auf den großen Sessel nieder und lehnte ihren Kopf in müder Ruhe zurück, während Tantripp ging und sich über diesen sonderbaren Widerspruch in ihrer jungen Herrin wunderte, daß sie gerade an dem Morgen, wo ihr Gesicht wittwenhafter aussah als je, nach den Halbtrauerkleidern verlange, die sie bis jetzt nicht hatte tragen wollen.

Den Schlüssel zu diesem Räthsel würde Tantripp nie gefunden haben. Dorothea wollte es sich selbst zum Bewußtsein bringen, daß sie um nichts weniger ein thätiges Leben vor sich habe, weil sie eine Herzensfreude begraben habe; und da ihr eben die Tradition, derzufolge jede neue Thätigkeit durch neue Kleider eingeweiht werden müsse, vorschwebte, griff sie begierig nach dieser leichten äußeren Stütze zur Befestigung ihres Entschlusses; denn dieser Entschluß war nicht leicht.

Gleichwohl war sie schon um elf Uhr zu Fuß auf dem Wege nach Middlemarch, nachdem sie beschlossen hatte, ihren zweiten Versuch, Rosamunde zu sehen und zu retten, so ruhig und so unbemerkt wie möglich zu machen.



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