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Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Das Motto zu Kapitel 785 (in dieser Übersetzung Band 4, Kapitel 23):

Then went the jury out whose names were Mr. Blindman, Mr. No-good, Mr. Malice, Mr. Love-lust, Mr. Live-loose, Mr. Heady, Mr. High-mind, Mr. Enmity, Mr. Liar, Mr. Cruelty, Mr. Hate-light, Mr. Implacable, who every one gave in his private verdict against him among themselves, and afterwards unanimously concluded to bring him in guilty before the judge. And first among themselves, Mr. Blindman, the foreman, said, I see clearly that this man is a heretic. Then said Mr. No-good, Away with such a fellow from the earth! Ay, said Mr. Malice, for I hate the very look of him. Then said Mr. Love-lust, I could never endure him. Nor I, said Mr. Live-loose; for he would be always condemning my way. Hang him, hang him, said Mr. Heady. A sorry scrub, said Mr. High-mind. My heart riseth against him, said Mr. Enmity. He is a rogue, said Mr. Liar. Hanging is too good for him, said Mr. Cruelty. Let us despatch him out of the way said Mr. Hate-light. Then said Mr. Implacable, Might I have all the world given me, I could not be reconciled to him; therefore let us forthwith bring him in guilty of death.

John Bunyan: Pilgrim's Progress.


Wenn der unsterbliche Bunyan in seiner »Pilgerfahrt« » The Pilgrim's Progress from This World to That Which Is to Come« (1678) ist ein allegorisches Buch des englischen Baptistenpredigers und Schriftstellers John Bunyan; ein christliches Erbauungsbuch, bis heute durchgehend aufgelegt; zählt zu den bedeutendsten Werken der englischen christlichen Literatur. – Anm.d.Hrsg. die Schilderung der verfolgenden Leidenschaften entwirft, wie sie ihr auf »schuldig« lautendes Verdict abgeben, wer empfindet da Mitleid mit dem »Treuen.« Es ist ein seltenes und beseeligendes Loos, welches einigen der größten Männer nicht zu Theil geworden ist, sich vor keinem verurtheilenden Haufen schuldlos zu wissen, sich sagen zu dürfen, das, dessen wir angeklagt seien, sei einzig das Gute in uns. Bemitleidenswerth ist das Loos des Mannes, der sich auch dann nicht einen Märtyrer nennen dürfte, wenn er sich überzeugt hielte, daß die, welche ihn steinigen, nur Verkörperungen häßlicher Leidenschaften seien, der sich bewußt wäre, daß er gesteinigt würde, nicht weil er das Rechte bekannt habe, sondern weil er nicht der Mann sei, für den er sich ausgegeben habe.

In einem solchen Bewußtsein verzehrte sich Bulstrode, während er mit den Vorbereitungen zu seiner Abreise von Middlemarch beschäftigt war, um sein vernichtetes Leben in der traurigsten Verbannung unter gleichgültigen neuen Gesichtern zu beschließen. Die pflichttreue erbarmungsvolle Beständigkeit seiner Frau hatte ihn von einer Furcht befreit, vermochte es aber doch nichts zu verhindern, daß ihre Gegenwart ihm immer noch wie ein Tribunal erschien, vor welchem er sich scheute, ein Schuldbekenntniß abzulegen und vor dem er sich vertheidigt zu sehen wünschte.

Die Compromisse, die er mit sich selbst in Betreff des Todes von Raffles geschlossen hatte, hatten ihn in der Vorstellung von einem Allwissenden, zu welchem er betete, nur bestärkt. Und doch empfand er eine innere Angst, die ihn davon abhielt, diese Compromisse durch ein rückhaltsloses Bekenntniß dem Urtheil seiner Frau Preis zu geben. Mit welchem Namen würde sie wohl die Handlungen belegen, welche er durch seine künstliche Argumentation für sich verwaschen und abgeschwächt hatte und für die es ihm vergleichsweise leicht erschien, die Verzeihung einer unsichtbaren Macht zu erwirken?

Den Gedanken, daß sie jemals seine Handlungen bei sich als Mord bezeichnen könnte, vermochte er nicht zu ertragen. Ihre Zweifel boten ihm noch Schutz; das Bewußtsein, daß sie sich noch nicht für berechtigt halten könne, diese schlimmste Verurtheilung über ihn auszusprechen, gab ihm Kraft, ihr vor die Augen zu treten.

Dereinst, vielleicht wenn er im Sterben liege, wollte er ihr Alles sagen; in jenem letzten Augenblick, wenn die Schatten des Todes sich über ihn breiteten, werde sie an seinem Bette sitzend und seine Hand in der ihrigen haltend ihm vielleicht zuhören, ohne vor seiner Berührung zurück zu schrecken. Vielleicht!

Aber Verheimlichung war ihm zur zweiten Natur geworden, und der Antrieb zum offenen Bekenntniß vermochte gegen die Furcht vor einer noch tieferen Demüthigung nicht aufzukommen.

Er war von der ängstlichsten Rücksicht für seine Frau, nicht nur weil er jedes harte Urtheil von ihrer Seite abzuwenden wünschte, sondern auch weil ihn der Anblick ihrer Leiden mit tiefem Jammer erfüllte. Sie hatte ihre Töchter in eine Pension an die See geschickt, damit sie von dieser Krisis so wenig wie möglich erfahren möchten. Durch ihre Abwesenheit von dem unerträglichen Zwange befreit, ihren ängstlich fragenden Blicken begegnen und ihnen über die Gründe ihres Kummers Rechenschaft geben zu müssen, konnte sie sich rückhaltslos ihrem Gram hingeben, der ihre Haare täglich mehr bleichte und ihre Augenlider röthete.

»Sage mir Alles, was Du gern von mir gethan sehen möchtest, Harriet,« hatte Bulstrode zu ihr gesagt. »Ich meine in Bezug auf Bestimmungen in Betreff meines Vermögens. Ich beabsichtige nicht, die Ländereien, die ich hier in der Gegend besitze, zu verkaufen, sondern sie Dir als eine sichere Versorgung zu hinterlassen. Wenn Du irgend welche Wünsche in Betreff dieser Angelegenheit hast, so verhehle sie mir nicht.«

Als sie einige Tage später eben von einem Besuch bei ihrem Bruder zurückgekehrt war, fing sie an, mit ihrem Mann über einen Gegenstand zu reden, den sie schon seit einiger Zeit auf dem Herzen hatte.

»Ich möchte gar zu gern etwas für die Familie meines Bruders thun, Nicholaus, und ich glaube, wir haben gegen Rosamunde und ihren Mann etwas wieder gut zu machen. Walter sagt, Lydgate müsse die Stadt verlassen und seine Praxis sei fast gar nichts werth, und sie haben sehr wenig übrig, womit sie sich irgendwo anders etabliren könnten. Ich möchte lieber für uns etwas entbehren, um gegen die Familie meines armen Bruders etwas wieder gut zu machen.«

Frau Bulstrode wollte nicht näher, als es durch die Worte ›etwas wieder gut machen‹ geschah, auf die Thatsachen eingehen, da sie wußte, daß ihr Mann sie verstehen müsse.

Er hatte einen besonderen Grund, von welchem sie nichts wußte, von ihrem Vorschlage unangenehm berührt zu werden.

Nach einigem Zaudern sagte er:

»Es ist unmöglich, Deinen Wunsch in der von Dir vorgeschlagenen Weise zu erfüllen, liebes Kind. Lydgate hat jeden ferneren Dienst von mir entschieden abgelehnt. Er hat mir die tausend Pfund, die ich ihm geliehen hatte, zurückgeschickt. Frau Casaubon hat ihm die Summe zu diesem Zweck vorgeschossen. Hier ist sein Brief.«

Der Brief schien Frau Bulstrode tief zu verletzen. Die Erwähnung des Darlehns von Frau Casaubon erschien ihr als ein Ausfluß der öffentlichen Meinung, welche als selbstverständlich betrachtete, daß Jedermann jeder Verbindung mit Bulstrode aus dem Wege gehen müsse.

Sie schwieg eine Weile; die Thränen rollten ihr langsam die Wangen herab, und ihr Kinn zitterte, als sie sie trocknete.

Bulstrode, der ihr gegenüber saß, war es wie ein Stich ins Herz, dieses abgehärmte Gesicht, welches noch vor zwei Monaten so frisch und blühend gewesen war, vor sich zu sehen. Es war gealtert, um seinen welken Zügen eine traurige Gesellschaft zu leisten.

Als er sich so gedrängt sah, ihr Trost zuzusprechen, sagte er:

»Es giebt noch ein anderes Mittel, Harriet, wie ich Deiner Familie einen Dienst leisten könnte, wenn Du dabei thätig sein magst. Und ich glaube, die Sache würde auch für Dich gut sein; es wäre eine vortheilhafte Art, das Land zu verwalten, welches ich Dir zugedacht habe.«

Sie wurde aufmerksam.

»Garth hat früher einmal daran gedacht, die Verwaltung von Stone Court zu übernehmen, um Deinen Neffen dort zu placiren. Das Inventar sollte unverändert bleiben, und sie sollten einen bestimmten Theil des Ertrages statt einer gewöhnlichen Pacht bezahlen. Das würde für den jungen Mann in Verbindung mit seiner Beschäftigung unter Garth's Leitung ein wünschenswerther Anfang sein. Würde Dir das eine Genugthuung gewähren?«

»Gewiß,« sagte Frau Bulstrode in einem Tone wiederkehrender Energie: »Der arme Walter ist so herunter. Ich möchte Alles, was in meiner Macht steht, versuchen, um ihm etwas Gutes zu erweisen, bevor ich fortgehe. Wir haben ja immer in dem besten geschwisterlichen Verhältniß zu einander gestanden.«

»Du mußt Garth den Vorschlag selbst machen, Harriet,« sagte Bulstrode, dem es nicht angenehm war, das zu sagen, der aber den Zweck, den er im Auge hatte, noch aus anderen Gründen als dem einer Tröstung seiner Frau zu erreichen wünschte. »Du mußt ihm erklären, daß das Land in Wahrheit Dir gehöre und daß er darüber nicht mit mir in Verhandlung zu treten brauche. Etwa erforderliche Mittheilungen können durch Standish vermittelt werden. Ich erwähne das, weil Garth aufgehört hat, mein Agent zu sein. Ich kann Dir die von ihm selbst seinerzeit aufgesetzten Bedingungen geben, und Du kannst ihm die erneute Annahme derselben vorschlagen. Ich halte es nicht für unwahrscheinlich, daß er annehmen wird, wenn Du ihm die Sache im Interesse Deines Neffen proponirst.«



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