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Fünftes Kapitel.

Das Motto zu Kapitel 67 (in dieser Übersetzung Band 4, Kapitel 5):

Now is there civil war within the soul:
Resolve is thrust from off the sacred throne
By clamourous Needs, and Pride the grand vizier
Makes humble compact, plays the supple part
Of envoy and deft-tongued apologist
For hungry rebels.


Glücklicherweise hatte Lydgate schließlich im Billard verloren und nahm keine Ermunterung mit fort, einen Sturm auf das Glück zu wagen. Im Gegentheil, er empfand einen sehr entschiedenen Widerwillen gegen sich selbst, als er am nächsten Tage vier oder fünf Pfund mehr als er gewonnen, zu bezahlen hatte, und noch längere Zeit verfolgte ihn eine sehr unangenehme Vorstellung von der kläglichen Figur, die er gespielt hatte, als er nicht nur Schulter an Schulter mit den Leuten im ›Grünen Drachen‹ gestanden, sondern sich auch grade so benommen hatte wie sie.

Ein Philosoph, der sich zum Spiel hat verleiten lassen, ist kaum von einem demselben Loose verfallenen Philister zu unterscheiden; der Unterschied wird hauptsächlich in den nachfolgenden Reflexionen des Philosophen liegen, und Lydgate hatte an einem sehr unangenehmen Bissen solcher Reflexionen zu kauen. Seine Vernunft sagte ihm, wie leicht die Sache bei einer geringen Veränderung der Scene größere Dimensionen hätte annehmen und sich zu einem Ruin für ihn hätte gestalten können, wenn er in ein Spielhaus gerathen wäre, wo das Glück mit beiden Händen gerafft werden könnte, statt nur mit Daumen und Zeigefinger aufgelesen zu werden.

Aber gleichviel, wenn auch die Vernunft den Wunsch, noch ferner zu spielen, erstickte, so konnte er doch das Gefühl nicht unterdrücken, daß er, wenn er nur des nöthigen Glückes sicher gewesen wäre, lieber gespielt haben würde, als sich der Alternative gegenübergestellt zu sehen, die sich ihm als unvermeidlich aufzudrängen anfing.

Diese Alternative bestand darin, entweder immer tiefer in Schulden zu gerathen oder sich an Bulstrode zu wenden. Lydgate hatte so oft gegen sich selbst und Andere darauf gepocht, daß er völlig unabhängig von Bulstrode und demselben nur deshalb bei seinen Plänen behülflich sei, weil sie ihn in den Stand setzten, seine eigenen Ideen über ärztliche Thätigkeit und öffentliche Wohlfahrt zur Ausführung zu bringen. Er hatte sich in seinem persönlichen Verkehr mit Bulstrode sehr durch das stolze Bewußtsein getragen gefühlt, sich dieses herrschsüchtigen Banquiers, dessen Ansichten ihm verächtlich und dessen Motive ihm oft einer absurden Mischung widersprechender Gefühle entsprungen erschienen, nur zur Erreichung guter socialer Zwecke zu bedienen, daß er es für sein eignes Bewußtsein ungemein schwer gemacht hatte, Bulstrode eine irgendwie erhebliche persönliche Bitte vorzutragen.

Und doch! zu Anfang März waren seine Angelegenheiten an jenem Punkte angelangt, wo Männer ihre feierlichsten Entschlüsse als aus Mangel an besserer Einsicht hervorgegangen erklären und gewahr werden, daß eine früher von ihnen als unmöglich bezeichnete Handlung nur zu möglich geworden sei. Angesichts des immer näher rückenden Termines, wo Dover von seiner fataler Verpfändungsacte Gebrauch machen würde, der fortwährenden Aufzehrung des Ertrages seiner Praxis durch die Abbezahlung von Schulden und der Aussicht, wenn das Schlimmste bekannt würde, sich die Kreditirung der täglichen Lebensmittel verweigert zu sehen, vor Allem aber der ihn nie verlassenden unheimlichen Vorstellung von Rosamunden's hoffnungsloser Unzufriedenheit, war Lydgate zu der Erkenntniß gelangt, daß er sich unvermeidlich dazu werde bequemen müssen, einen oder den andern um Hülfe anzusprechen.

Zuerst hatte er daran gedacht, an Herrn Vincy zu schreiben, als er aber Rosamunde deshalb befragte, fand er, daß sie, wie er es geargwöhnt hatte, sich bereits zweimal an ihren Vater gewandt hatte, und zwar das letzte Mal nach der Absage Sir Godwin's, und daß Papa erklärt habe, Lydgate müsse selber für sich sorgen.

»Papa sagte, er sei durch eine Reihe von schlechten Jahren dahin gebracht, mehr und mehr mit fremdem Gelde Geschäfte zu machen, und habe sich schon vielerlei versagen müssen; seine Familie koste ihn so viel Geld, daß er nicht hundert Pfund missen könne. Er sagte: ›Laß doch Lydgate sich an Bulstrode wenden. Sie sind ja immer die dicksten Freunde gewesen.‹«

Und Lydgate selbst war zu dem Schluß gelangt, daß, wenn er doch einmal jemand um ein Darlehn bitten müsse, seine Beziehungen zu Bulstrode wenigstens mehr als die zu irgend jemand Anderem sein Gesuch als einen nicht rein persönlichen Anspruch erscheinen lassen könnten. Bulstrode trug indirekt einen Theil der Schuld an dem schlechten Erfolge seiner Praxis und war andererseits sehr erfreut gewesen, in ihm einen ärztlichen Theilnehmer an seinen Plänen zu bekommen; aber wer hätte sich je in eine Abhängigkeit, wie sie Lydgate sich aufzuladen eben im Begriff stand, begeben, ohne wenigstens zu versuchen, sich selbst glauben zu machen, daß er Ansprüche habe, welche das Demüthigende seines Bittgesuchs verminderten?

Allerdings hatte Bulstrode's Interesse für das Hospital neuerdings ersichtlich nachgelassen, aber sein Gesundheitszustand hatte sich ja auch verschlechtert und zeigte Spuren einer tiefgewurzelten nervösen Affection. In anderen Beziehungen schien er sich nicht geändert zu haben; er war immer von der ausgesuchtesten Höflichkeit gewesen; aber vom ersten Augenblick an hatte Lydgate an ihm eine sehr markirte Kälte in Betreff seiner Verheirathung und seiner sonstigen Privatverhältnisse bemerkt, eine Kälte, welche er bis jetzt jeder Art von wärmerer Vertraulichkeit in ihrem Verkehr vorgezogen hatte.

Er verschob die Ausführung seiner Absicht von Tag zu Tag, denn seine Gewohnheit, seinen Entschlüssen gemäß zu handeln, war gelähmt durch seinen Widerwillen gegen jeden in seiner jetzigen Lage möglichen Entschluß und die sich daraus ergebende Handlung. Er sah Bulstrode oft, ließ aber jede Gelegenheit, seine Sache vorzubringen, unbenutzt vorübergehen. Einen Augenblick dachte er: »Ich will ihm schreiben, das thue ich lieber, als im Gespräch auf Umwegen anzuklopfen,« im nächsten Augenblick aber dachte er wieder: – »Nein, wenn ich ihn spreche, kann ich mich doch, sobald ich nur irgendwie Abgeneigtheit bei ihm zu bemerken glaube, wieder zurückziehen.«

Aber die Tage vergingen, ohne daß Lydgate an Bulstrode geschrieben hätte oder auf eine Besprechung seiner Angelegenheiten mit ihm bedacht gewesen wäre. Es widerstrebte ihm so sehr, sich Bulstrode gegenüber in eine abhängige Stellung zu versetzen, daß er anfing sich mit dem Gedanken an einen anderen Schritt zu befreunden, der mit seinem früheren Wesen noch weniger in Einklang zu stehen schien.

Er fing von selbst an darüber nachzudenken, ob es möglich sein würde, jene kindische Idee Rosamunden's auszuführen, die ihn so oft in Harnisch gebracht hatte, nämlich Middlemarch zu verlassen, ohne sich irgend etwas über diesen einleitenden Schritt Hinausliegendes gesichert zu haben.

Da drängte sich ihm die Frage auf: »Würde mir irgend jemand jetzt noch, selbst für so wenig, wie sie werth ist, meine Praxis abkaufen? dann könnte eine Auction als nothwendige Vorbereitung für die Uebersiedelung gehalten werden.«

Aber auch diesem Schritte, der doch, wie er sich noch immer sagen mußte, ein verächtliches Aufgeben gegenwärtiger Arbeit, ein schuldvolles Flüchten vor dem bedeutete, was doch ein wirklicher, sich möglicherweise erweiternder Canal zu einer würdigen Thätigkeit war, um ohne irgend ein berechtigtes Ziel wieder von vorn anzufangen, stand das Hinderniß entgegen, daß der Käufer seiner Praxis, wenn er sich überall finden sollte, schwerlich rasch bei der Hand sein würde.

Und nachher? Rosamunde würde in einer armseligen Wohnung, wenn auch in der größten, noch so weit von Middlemarch entfernten Stadt nicht das Leben finden, das sie vor Trübsal und ihn vor dem Vorwurf bewahren könnte, ihr dieses Leben bereitet zu haben. Aber wer auf seiner Lebensbahn erst am Fuße des zu ersteigenden Berges angelangt ist, kann trotz der vorzüglichsten Leistungen in seinem Berufe lange da stehen bleiben. In unserer modernen Welt ist wissenschaftliche Tüchtigkeit nicht unverträglich mit einer möblirten Miethswohnung; die Unverträglichkeit liegt vielmehr vorzugsweise in dem Zusammentreffen wissenschaftlichen Ehrgeizes mit einer Frau, die an einer solchen Art von Wohnung Anstoß nimmt.

Aber inmitten seines Schwankens bot sich Lydgate eine Veranlassung, welche die Entscheidung herbeiführte. Bulstrode bat ihn in einem Billet, ihn in der Bank zu besuchen. Bei Bulstrode hatte sich neuerdings eine Neigung zur Hypochondrie gezeigt, und er betrachtete eine Schlaflosigkeit, die in der That nur eine Steigerung von bei ihm gewöhnlichen Symptomen von Magenschwäche war, als das Zeichen einer drohenden Geisteskrankheit. Er wollte Lydgate ohne Verzug an diesem bestimmten Morgen consultiren, obgleich er ihm nichts zu sagen hatte, was er ihm nicht schon früher mitgetheilt hätte.

Er horchte eifrig auf das, was Lydgate ihm Beruhigendes zu sagen hatte, wiewohl auch das nur eine Wiederholung bereits früher gesagter Dinge war, und dieser Augenblick, in welchem Bulstrode mit dem Gefühl des Trostes eine ärztliche Ansicht aufnahm, schien Lydgate die Mittheilung einer persönlichen Bitte leichter zu machen, als sie ihm bis dahin erschienen war.

Er hatte darauf gedrungen, daß es gut für Bulstrode sein würde, in seiner geschäftlichen Anspannung etwas nachzulassen.

»Wie jede noch so unbedeutende geistige Anstrengung einen zarten Organismus afficiren kann,« sagte Lydgate in jenem Stadium der Consultation, wo die Unterhaltung von dem persönlichen auf ein allgemeineres Gebiet überzugehen pflegt, »sieht man an den tiefen Spuren, welche die Sorge selbst bei jungen und kräftigen Menschen zurückläßt. Ich habe eine sehr kräftige Natur und doch hat mich neuerdings eine Anhäufung von Sorgen stark mitgenommen.«

»Ich denke mir, daß eine Constitution mit dem reizbaren Zustande, in welchem sich die meinige jetzt befindet, besonders disponirt für die Cholera sein würde, wenn dieselbe uns heimsuchen sollte. Und seit sie in der Nähe von London aufgetreten ist, dürfen wir wohl den Schutz des Allmächtigen für uns anflehen,« sagte Bulstrode, nicht um Lydgate's Anspielung aus dem Wege zu gehen, sondern weil er wirklich für sich selbst ängstlich besorgt war.

»Sie haben auf alle Fälle durch gute praktische Vorkehrungen für die Stadt das Ihrige gethan,« sagte Lydgate mit einer durch die augenscheinliche Theilnahmlosigkeit des Banquiers gegen seine Person noch verstärkten gründlichen Verachtung der elenden Metapher und der schlechten Logik der Religion des Banquiers.

Aber er hatte jetzt einmal die lang vorbereitete Bahn der Kundgebung seiner Hülfsbedürftigkeit betreten und sah sich noch nicht Einhalt gethan.

Er fuhr fort:

»Die Stadt hat durch vorgenommene Reinigungen und Anschaffung von Heilmitteln gut gesorgt, und ich glaube, daß, wenn die Cholera kommen sollte, selbst unsere Gegner würden zugeben müssen, daß die Einrichtungen im Hospital ein Segen für die Stadt sind.«

»Gewiß,« erwiderte Bulstrode etwas kühl. »Mit Bezug auf das, was Sie von meiner zu angespannten geistigen Arbeit sagen, Herr Lydgate, bemerke ich, daß ich mich schon seit einiger Zeit mit einem Ihrem Rathe entsprechenden Vorhaben trage, einem Vorhaben von sehr entschiedenem Charakter. Ich beabsichtige, mich wenigstens zeitweilig von einem großen Theil meiner sowohl geschäftlichen als wohlthätigen Zwecken gewidmeten Thätigkeit zurückzuziehen. Ich denke auch daran, meinen Aufenthaltsort für einige Zeit zu verändern; ich werde wahrscheinlich, ›das Gebüsch‹ schließen oder vermiethen und einen Ort an der See aufsuchen, natürlich nachdem ich Sie um Ihren Rath in Betreff der Zuträglichkeit eines solchen Orts werde gebeten haben. Würden Sie eine solche Maßregel empfehlen?«

»O ja,« sagte der von seinen eignen Angelegenheiten völlig präoccupirte Lydgate, den die blassen auf ihn gehefteten Augen des Banquiers sehr ungeduldig machten, indem er sich in seinen Stuhl zurück warf.

»Ich habe mir schon seit einiger Zeit vorgenommen, diese Angelegenheit mit Bezug auf unser Hospital mit Ihnen, zu besprechen,« fuhr Bulstrode fort. »Unter den von mir angegebenen Umständen muß ich natürlich auf jeden persönlichen Antheil an der Verwaltung verzichten, und es würde meinen Ansichten von Verantwortlichkeit widersprechen, noch ferner einem Institute bedeutende Mittel zuzuwenden, das ich nicht überwachen und bis zu einem gewissen Grade leiten kann. Ich werde es daher, falls ich mich definitiv entschließen sollte, Middlemarch zu verlassen, für richtig halten, dem Hospitale jede andere Unterstützung zu entziehen, als die in der fortwirkenden Thatsache besteht, daß ich fast allein die Ausgaben des Baues bestritten und das Hospital noch überdies durch große Summen zum Beginn einer erfolgreichen Wirksamkeit in den Stand gesetzt habe.«

Lydgate's durch seine eigene Lage veranlaßter Gedanke war, als Bulstrode innehielt: ›Er hat vielleicht viel Geld verloren.‹ Das war wenigstens die plausibelste Erklärung einer Mittheilung, welche ihn in seinen Erwartungen ziemlich unangenehm überrascht hatte. Er erwiderte:

»Das Hospital wird, fürchte ich, einen solchen Verlust schwerlich verwinden.«

»Schwerlich,« entgegnete Bulstrode in demselben bedächtigen Ton; »außer wenn wir mit dem ganzen System der Verwaltung einige Veränderungen vornehmen. Die einzige Person auf deren Bereitwilligkeit, ihren jährlichen Beitrag zu erhöhen, man mit Sicherheit rechnen kann, ist Frau Casaubon. Ich habe eine Besprechung über die Sache mit ihr gehabt, und ich habe sie darauf hingewiesen, wie ich es eben auch Ihnen darzulegen im Begriff bin, daß es wünschenswerth sein würde, durch einen Systemwechsel eine allgemeinere Unterstützung des neuen Hospitals zu erzielen.«

Wieder entstand eine Pause: aber Lydgate schwieg noch immer.

»Der Systemwechsel, den ich im Auge habe, würde in einer Vereinigung mit dem Krankenhause bestehen, der Art daß das ›Neue Hospital‹ einen besonderen Bestandtheil der älteren Anstalt bilden und unter derselben Direktion stehen würde. Daraus würde sich auch die Nothwendigkeit einer Combination der ärztlichen Verwaltung beider Anstalten ergeben. Auf diese Weise würde jede Schwierigkeit einer angemessenen Erhaltung unserer neuen Anstalt beseitigt, die Wohlthätigkeitsinteressen der Stadt würden nicht mehr getheilt sein.«

Bulstrode, der seine Blicke von Lydgate's Gesicht auf dessen Rockknöpfe hatte herabgleiten lassen, hielt wieder inne.

»Das ist gewiß ein sehr guter Plan zur Aufbringung der erforderlichen Mittel,« sagte Lydgate mit einem Anflug von Ironie im Tone, »aber Sie werden nicht von mir erwarten, daß ich mich sogleich mit diesem Systemwechsel befreunden soll; denn eine der ersten Folgen desselben würde unfehlbar die sein, daß die andern Aerzte in meine Heilmethoden störend eingreifen oder dieselben ganz abschaffen würden, wäre es auch nur, weil es meine sind.«

»Sie wissen, Herr Lydgate, wie großen Werth ich selbst auf die Gelegenheit zu einem neuen und unabhängigen Verfahren gelegt habe, von welchem Sie einen so guten Gebrauch gemacht haben. Ich bekenne gern, daß mir der ursprüngliche Plan, in Unterwerfung unter den göttlichen Willen, sehr am Herzen lag. Da aber deutliche Fingerzeige der Vorsehung meine Entsagung erheischen, so entsage ich.«

Bulstrode entwickelte in dieser Unterhaltung einen von Lydgate sehr unangenehm empfundene Geschicklichkeit. Die elende Metapher und schlechte Logik, welche seine Verachtung erregt hatten, paßten doch vortrefflich zu einer Art, die Thatsache so darzustellen, daß es für Lydgate äußerst schwer wurde, seiner eigenen Entrüstung und Enttäuschung Luft zu machen.

Nach kurzer Ueberlegung fragte er nur:

»Und was hat Ihnen Frau Casaubon erwidert?«

»Darauf wollte ich eben kommen,« sagte Bulstrode, der sich auf seine offizielle Auslassung gründlich vorbereitet hatte. »Sie ist, wie Sie wissen, eine Frau von höchst freigiebigen Neigungen und glücklicherweise im Besitz, ich glaube nicht, von großem Reichthum, aber doch von Mitteln, die ihr bedeutende Ersparnisse gestatten. Sie hat mir mitgetheilt, daß sie, obgleich sie eigentlich den größten Theil dieser Mittel für einen anderen Zweck bestimmt habe, doch bereit sei, zu erwägen, ob sie nicht bei dem Hospital ganz meine Stelle übernehmen könne. Aber sie möchte sich Zeit gegönnt sehen, um ihre Gedanken über diesen Gegenstand reifen zu lassen, und ich habe ihr gesagt, daß sie sich nicht zu beeilen brauche, daß meine eigenen Pläne noch nicht definitiv festgestellt seien.«

Lydgate war im Begriff zu sagen: »Wenn Frau Casaubon an Ihre Stelle träte, so wäre das kein Verlust, sondern ein Gewinn.« Aber es lag ihm noch etwas im Sinne, was seine heitere Aufrichtigkeit in Zaum hielt.

Er erwiderte daher nur:

»Ich darf mich also wohl mit Frau Casaubon über den Gegenstand unterhalten?«

»Gewiß, das wünscht sie grade. Ihr Entschluß hängt, wie sie sagt, zum großen Theil von dem ab, was Sie ihr mittheilen werden. Aber jetzt werden Sie sie nicht sprechen können; sie ist, glaube ich, im Begriff, eine Reise anzutreten. Ich habe ihren Brief hier,« sagte Bulstrode, indem er den Brief aus der Tasche zog und daraus vorlas. »›Ich bin augenblicklich anderweitig beschäftigt‹, sagt sie hier, ›ich reise mit Sir James und Lady Chettam nach Yorkshire, und der Entschluß, zu welchem ich in Betreff gewisser Ländereien, die ich dort sehen soll, gelangen werde, wird vielleicht auf die Größe meines Beitrags für das Hospital von Einfluß sein.‹ Sie sehen also, Herr Lydgate, daß die Sache augenblicklich keine Eile hat; ich wünschte Sie aber zum Voraus von dem zu unterrichten, was möglicherweise eintreten kann.«

Bulstrode steckte den Brief wieder in die Brusttasche und veränderte seine Stellung, wie wenn sein Geschäft zu Ende wäre. Lydgate, dessen neu belebte Hoffnung in Betreff des Hospitals ihm die Thatsachen, welche diese Hoffnung vergifteten, nur um so lebhafter zum Bewußtsein brachten, fühlte, daß er sein Verlangen nach Hülfe, wenn überall, jetzt und zwar energisch aussprechen müsse.

»Ich bin Ihnen sehr verbunden für ihre eingehende Auskunft,« sagte er in einem fest entschlossenen Tone, aber doch mit einer Gebrochenheit der Rede, die deutlich zeigte, daß er widerwillig spreche. »Mein höchster Lebenszweck ist mein Beruf, und das Hospital war für mich gleichbedeutend mit der besten mir möglichen Erfüllung meines Berufs. Aber der besten Erfüllung des Berufs entspricht nicht immer ein pecuniärer Erfolg. Alles, was das Hospital unpopulär gemacht, hat neben andern Ursachen, die, wie ich glaube, alle auf meinen Berufseifer zurückzuführen sind, dazu beigetragen mich als praktischen Arzt unpopulär zu machen. Meine Patienten bestehen hauptsächlich aus Leuten, die nicht bezahlen können. Ich würde diese Art von Patienten allen anderen vorziehen, wenn ich selbst Niemanden zu bezahlen hätte.«

Lydgate hielt einen Augenblick inne; aber Bulstrode beschränkte sich darauf, sich mit fest auf ihn gerichteten Blicken zu verneigen, und er fuhr in derselben abgebrochenen Weise fort, wie wenn er eine bittere Medizin zu schlucken hätte:

»Ich bin in Geldverlegenheiten gerathen, aus denen ich keinen Ausweg sehe, außer wenn mir Jemand, der Vertrauen zu meiner Zukunft hätte, ohne andere Sicherheit eine Summe vorstrecken wollte. Ich hatte nur noch ein sehr geringes Vermögen, als ich herkam. Ich habe keine Aussichten auf Geld von Seiten meiner Familie; die durch meine Heirath veranlaßten Ausgaben sind viel größer gewesen, als ich erwartet hatte. Das Ergebniß aller dieser Umstände ist, daß es in diesem Augenblick einer Summe von tausend Pfund bedürfen würde, um mich aus der Verlegenheit zu reißen. Ich möchte mich von der Gefahr befreien, meine ganze Habe als Pfand für meine größten Schulden verkauft zu sehen, ich möchte auch meine übrigen Schulden bezahlen und möchte noch etwas übrig behalten, was uns bei unserem kleinen Einkommen eine Zeit lang über Wasser halten könnte. Von Seiten meines Schwiegervaters ist, wie ich mich überzeugt habe, auf einen solchen Vorschuß nicht zu rechnen; das ist der Grund, aus welchem ich meiner Lage gegen – – gegen den einzigen anderen Mann Erwähnung thue, von welchem ich annehmen darf, daß ihm persönlich etwas daran gelegen ist, ob ich fortkomme oder ob ich ruinirt bin.«

Lydgate haßte es, sich selbst reden zu hören; aber er hatte jetzt, und zwar mit einer nicht zu mißdeutenden Offenheit gesprochen.

Bulstrode erwiderte bedächtig, aber ohne zu zaudern:

»Ihre Mittheilung betrübt mich, Herr Lydgate, wenn sie mich auch, offen gestanden, nicht überrascht. Ich meinerseits habe Ihre Verbindung mit der Familie meines Schwagers, die immer verschwenderisch gelebt hat und die mir für die Aufrechterhaltung ihrer gegenwärtigen Stellung bereits sehr verschuldet ist, bedauert. Ich würde Ihnen rathen, Herr Lydgate, statt sich noch fernere Verpflichtungen aufzubürden und einen in seinem Ausgange zweifelhaften Kampf fortzusetzen, einfach Ihre Insolvenz zu erklären.«

»Das würde meine Aussichten nicht verbessern,« sagte Lydgate aufstehend in bitterem Tone, »selbst, wenn es an und für sich weniger unangenehm wäre.«

»Es ist immer eine schwere Prüfung,« sagte Bulstrode, »aber Prüfungen, mein werther Herr, sind unser Theil hienieden und sind ein nothwendiges Besserungsmittel. Ich kann Ihnen nur empfehlen, meinen Rath wohl zu erwägen.«

»Ich danke Ihnen,« erwiderte Lydgate, der selbst nicht recht wußte, was er sagte. »Ich habe Ihre Zeit schon zu lange in Anspruch genommen. Ich empfehle mich Ihnen.«



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