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Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Das Motto zu Kapitel 84 (in dieser Übersetzung Band 4, Kapitel 22):

Though it be songe of old and yonge,
   That I sholde be to blame,
Theyrs be the charge, that spoke so large
   In hurtynge of my name.

15th Century: The Not-browne Mayde.


Es war eben nach der Verwerfung der Reformbill durch das Oberhaus. Das erklärt es, wie Herr Cadwallader dazu kam, eine Nummer der ›Times‹ in der Hand auf dem Rücken haltend, auf dem Rasen in der Nähe des Treibhauses in Freshitt Hall mit Sir James Chettam auf und ab zu gehen und sich mit der Leidenschaftslosigkeit eines Forellenfischers über die Aussichten des Landes auszusprechen.

Frau Cadwallader, die alte Lady Chettam und Celia waren im Gatten, wo sie bald auf Gartenstühlen saßen, bald nach dem kleinen Arthur sahen, der in seinem Wagen gefahren wurde und, wie es dem kindlichen Buddha zukam, von seinem heiligen Sonnenschirm mit seidenen Franzen beschützt lag.

Auch die Damen sprachen von Politik, wenn auch nur gelegentlich. Frau Cadwallader sprach zuversichtlich von dem beabsichtigten Pairsschub; sie wußte es ganz sicher von ihrem Vetter, daß Truberry zu der anderen Seite übergegangen sei, und zwar lediglich auf Anstiften seiner Frau, die vom ersten Augenblick der Ventilirung der Reformfrage an Pairsernennungen gerochen habe und ihre Seele dem Gottseibeiuns verschreiben würde, um dem Beispiele ihrer jüngeren Schwester, welche einen Baronet geheirathet hatte, zu folgen.

Lady Chettam war der Meinung, daß ein solches Benehmen sehr tadelnswerth sei, und erinnerte sich, daß Frau Truberry's Mutter ein Fräulein Walsingham von Melspring gewesen sei. Celia gestand, daß sie es hübscher finde, eine Lady als eine bloße »Frau« zu sein, und Dodo würde sich nichts aus dem Vorrang machen, wenn sie nur ihren Willen durchsetzen könne.

Frau Cadwallader sprach die Ansicht aus, daß es eine sehr kümmerliche Genugthuung sei, den Vorrang zu haben, wenn Jedermann wisse, daß man keinen Tropfen reinen Blutes in den Adern habe; und Celia, die eben wieder still stand, um nach Arthur zu sehen, erwiderte:

»Es wäre aber doch sehr hübsch, wenn er ein Viscount wäre und ›seine Lordschaft‹ seinen ersten Zahn bekäme! Das hätte er werden können, wenn James ein Earl gewesen wäre.«

»Meine liebe Celia,« sagte die alte Lady Chettam, »James' Titel ist viel mehr werth, als der irgend eines neugebackenen Earl's. Ich habe nie gewünscht, daß sein Vater etwas anderes sein möchte, als einfach Sir James.«

»O, ich dachte nur an Arthurs ersten Zahn,« sagte Celia, ohne sich im mindesten aus der Fassung bringen zu lassen. »Aber sieh', da kommt Onkel Brooke.«

Sie trippelte davon, um ihrem Onkel entgegen zu gehen, während Sir James und Herr Cadwallader sich zu den Damen gesellten. Celia hatte ihren Arm in den ihres Onkels gelegt, und er klopfte ihr zärtlich auf die Hand mit einem etwas melancholischen: »Nun liebes Kind?« Als sie an die Anderen herantraten, war es klar, daß Herr Brooke niedergeschlagen aussah; aber das ließ sich hinreichend durch den Zustand der Politik erklären, und als er nun der Reihe nach Allen die Hand reichte, ohne weitere Begrüßung als ein: »Nun Ihr seid ja Alle hier,« sagte der Pfarrer lachend:

»Nehmen Sie sich die Verwerfung der Bill nicht so sehr zu Herzen, Brooke, Sie haben ja den ganzen Ausschuß des Landes auf Ihrer Seite.«

»Die Bill, wie? ach ja!« sagte Herr Brooke in einem milden, zerstreueten Ton. »Verworfen, wie? Aber die Lords sind doch zu weit gegangen. Sie werden wieder einlenken müssen. Traurige Nachrichten. Ich meine hier bei uns, wissen Sie, traurige Nachrichten. Aber Sie dürfen mich nicht tadeln, Chettam.«

»Was giebt es denn?« fragte Sir James. »Es ist doch hoffentlich nicht schon wieder ein Wildhüter erschossen. Es würde mich nicht wundern, nachdem man einen Kerl wie den Trapping Baß so leichten Kaufes hat davon kommen lassen.«

»Wildhüter? nein. Lassen Sie uns hineingehen. Ich kann Ihnen im Hause Alles erzählen,« sagte Herr Brooke, indem er den Cadwalladers zunickte zum Zeichen, daß sie an seiner vertraulichen Mittheilung Theil haben sollten. »Was Wilddiebe wie Trapping Baß anlangt, Chettam,« fuhr er fort, während sie ins Haus traten, »so würden Sie, wenn Sie Friedensrichter wären, finden, daß es nicht so leicht ist, sie zu verurtheilen. Strenge ist ganz gut, aber sie ist viel leichter, wenn man sie von einem Anderen üben lassen kann. Sie haben auch eine weiche Stelle im Herzen, wissen Sie. Sie sind kein Draco, kein Jeffreys Die von Drakon in Athen um 621 v.u.Z. aufgezeichneten Gesetze galten in der klassischen Periode Griechenlands als außerordentlich hart, was zu der Redewendung der »drakonischen Strafen« geführt hat. – George Jeffreys, (1645-1689), auch bekannt als » the Hanging Judge« war während der englischen Restauration unter Jakob II. Lord Oberrichter; er verhängte nicht nur in politischen Prozessen gegen Oppositionelle brutale Strafen, sondern war für regelrechte Massaker unter der Bevölkerung ( Bloody Assizes) verantwortlich. Auf sein Durchgreifen gehen ungefähr 1000 willkürlich getötete Zivilisten. – Anm.d.Hrsg. und dergleichen mehr.«

Herr Brooke war ersichtlich in einem Zustande nervöser Aufregung. So oft er etwas Peinliches mitzutheilen hatte, pflegte er dasselbe unter einer Reihe von unzusammenhängenden Notizen vorzubringen, wie wenn es eine Medizin wäre, die durch Mischung mit anderen Dingen einen milderen Geschmack bekäme. Er setzte sein Geplauder über die Wilddiebe mit Sir James fort, bis sich Alle gesetzt hatten und Frau Cadwallader, dieses Tröpfelns müde, sagte:

»Ich sterbe vor Ungeduld, die traurigen Nachrichten zu erfahren. Der Wildhüter ist nicht erschossen, das ist abgemacht. Nun, was ist es denn?«

»Nun, es ist eine sehr unangenehme Geschichte, wissen Sie,« sagte Herr Brooke. »Es freut mich, daß Sie und der Pfarrer hier sind; es ist eine Familienangelegenheit; aber Sie werden uns helfen die Sache tragen, Cadwallader. Ich habe es übernommen, es Dir mitzutheilen, liebes Kind.« Bei diesen Worten sah Herr Brooke Celia an. – »Du hast keine Idee davon, was es ist, weißt Du. Und Chettam, Ihnen wird es höchst unangenehm sein; aber Sie sehen, Sie sind so wenig wie ich im Stande gewesen, es zu verhindern. Es ist etwas Sonderbares um die Dinge; die Geschicke erfüllen sich, wissen Sie.«

»Es muß etwas in Betreff Dodo's sein,« sagte Celia, die sich gewöhnt hatte, ihre Schwester als das Sorgenkind der Familie zu betrachten. Sie saß auf einem kleinen Schemel an das Knie ihres Mannes gelehnt.

»Um Gottes willen, lassen Sie uns doch hören, was es ist,« sagte Sir James.

»Nun, Sie wissen Chettam, ich war nicht Schuld an Casaubon's Testament; es war eine Art von Testament, das die Dinge nur schlimmer machen konnte.«

»Gewiß,« sagte Sir James hastig, »aber was ist schlimmer?«

»Dorothea verheirathet sich wieder, weißt Du,« sagte Sir Brooke, indem er Celien zunickte, die sofort erschrocken zu ihrem Manne aufblickte und ihre Hand auf sein Knie legte.

Sir James war weiß vor Zorn geworden, aber er sagte nichts.

»Der Himmel sei uns gnädig!« sagte Frau Cadwallader.

»Doch nicht mit dem jungen Ladislaw?«

Herr Brooke nickte und sagte: »Ja, mit Ladislaw,« und beobachtete dann ein vorsichtiges Schweigen.

»Du siehst, Humphrey!« sagte Frau Cadwallader. »Ein andermal wirst Du zugeben, daß ich ein wenig voraus zu sehen verstehe. Oder vielmehr, Du wirst mir nach wie vor widersprechen und eben so blind bleiben wie bisher. Du meintest, der junge Herr habe unsere Gegend verlassen.«

»Das kann er auch gethan haben und doch wieder gekommen sein,« sagte der Pfarrer ruhig.

»Wann haben Sie das erfahren?« fragte Sir James, der die Anderen nicht reden hören mochte, obgleich es ihm schwer wurde, selbst zu reden.

»Gestern,« sagte Herr Brooke kleinmüthig. »Ich war in Lowick, Dorothea hatte nach mir geschickt, wissen Sie. Die Sache hat sich ganz plötzlich gemacht; noch vor zwei Tagen hatte keiner von beiden eine Idee davon – keine Idee, wissen Sie. Es ist etwas Sonderbares um die Dinge. Aber Dorothea ist ganz entschlossen; es nützt nichts, sich ihr zu widersetzen. Ich habe ihr die stärksten Vorstellungen gemacht, ich habe meine Pflicht gethan, Chettam. Aber sie ist ihr eigener Herr, wissen Sie.«

»Es wäre besser gewesen, ich hätte ihn vor einem Jahre gefordert und erschossen,« sagte Sir James, nicht aus Blutdurst, sondern weil er das Bedürfniß fühlte, seinen Gefühlen durch starke Ausdrücke Luft zu machen.

»Das wäre aber doch sehr unangenehm gewesen, James,« sagte Celia.

»Seien Sie vernünftig, Chettam. Sehen Sie die Sache ruhiger an,« sagte Cadwallader, dem es leid that, seinen gutmüthigen Freund so von Zorn übermannt zu sehen.

»Das ist nicht so leicht für einen Mann, der Gefühl für Würde und Recht hat, wenn sich die Sache zufällig in seiner eigenen Familie zuträgt,« sagte Sir James noch immer todtenbleich vor Entrüstung. »Es ist geradezu skandalös.Wenn Ladislaw einen Funken von Ehre im Leibe gehabt hätte, wäre er auf der Stelle auf und davon gegangen und hätte sich nie wieder blicken lassen. Indessen überrascht mich die Sache nicht. Den Tag nach Casaubon's Begräbniß habe ich gesagt, was geschehen müßte; aber es wurde nicht auf mich gehört.«

»Sie verlangten etwas Unmögliches, wissen Sie, Chettam,« sagte Herr Brooke: »Sie wollten ihn zu Schiff weggeschickt haben. Ich sagte Ihnen aber, mit Ladislaw lasse sich nicht verfahren, wie es uns gut scheine; er habe seinen eigenen Kopf. Er ist ein ausgezeichneter Mensch; ich habe immer gesagt, er sei ein ausgezeichneter Mensch.«

»Ja, es ist zu bedauern, daß Sie diese hohe Meinung von ihm hatten,« sagte Sir James, der diese Erwiderung nicht unterdrücken konnte, »dem verdanken wir es, daß er hier einen längeren Aufenthalt nehmen konnte; dem verdanken wir es, daß wir es jetzt erleben müssen, eine Frau wie Dorothea sich durch ihre Verheirathung mit diesem Menschen herabwürdigen zu sehen.«

Sir James, dem es nicht leicht wurde, seine Ausdrücke zu finden, hielt, als er fortfuhr, bei jedem Satzgliede einen Augenblick inne.

»Einen Mann, den das Testament ihres Gatten so blosgestellt hatte, daß die Delikatesse es ihr verboten haben müßte, ihn wieder zu sehen – der sie des ihr zukommenden Ranges entkleidet – um sie zur Armuth zu verdammen, – ist niedrig gesinnt genug, ein solches Opfer anzunehmen – Er hat immer eine sehr zweifelhafte Stellung gehabt – eine üble Herkunft und ist nach meiner Meinung ein Mensch von bedenklichen Grundsätzen und leichtfertigem Charakter. Das ist meine Ansicht,« schloß Sir James emphatisch, indem er sich abwandte und die Beine über einander schlug.

»Ich habe ihr das Alles vorgestellt,« sagte Herr Brooke entschuldigend, »ich meine die Armuth und das Aufgeben ihrer Stellung. Ich habe ihr gesagt: ›Liebes Kind, Du weißt nicht, was es heißt, von siebenhundert Pfund jährlich leben und keinen Wagen, und was dergleichen mehr ist, haben, und unter Leuten leben, die nichts von Dir wissen.‹ Ich habe es ihr ganz gehörig vorgestellt, rathe Ihnen aber, selbst mit Dorotheen zu reden. Casaubon's Vermögen ist ihr geradezu unangenehm. Sie werden hören, was sie sagt, wissen Sie.«

»Nein, mit Ihrer Erlaubniß – das werde ich nicht thun,« sagte Sir James ruhiger. »Ich kann den Gedanken, sie wiederzusehen, nicht ertragen; die Sache ist mir zu peinlich. Es ist mir zu schmerzlich zu denken – daß eine Frau wie Dorothea etwas Unrechtes thut.«

»Seien Sie gerecht, Chettam,« sagte den alles leicht nehmende Pfarrer, dem diese ganze Diskussion überflüssig erschien und sehr unbehaglich war. »Frau Casaubon handelt vielleicht unvorsichtig, sie giebt um eines Mannes willen ein Vermögen auf, und wir Männer denken so gering von einander, daß wir uns nicht entschließen können, eine Frau, die so etwas thut, verständig zu nennen. Aber mir scheint, Sie sollten es nicht als eine unrechte Handlung im strengen Sinne des Wortes verurtheilen.«

»Das thue ich doch,« antwortete Sir James; »ich glaube, daß Dorothea, indem sie Ladislaw heirathet, eine unrechte Handlung begeht.«

»Mein lieber Freund; wir sind nur allzu geneigt, eine Handlung für unrecht zu halten, weil sie uns unangenehm ist,« sagte der Pfarrer ruhig. Wie viele Männer, die das Leben leicht nehmen, verstand er es vortrefflich, Anderen, wenn sie einmal ganz außer sich waren, gelegentlich eine derbe Wahrheit zu sagen. Sir James zog sein Schnupftuch aus der Tasche und fing an auf einen Zipfel desselben zu beißen.

»Aber es ist doch ganz schrecklich von Dodo,« sagte Celia, die ihren Mann gern rechtfertigen wollte. »Sie hat gesagt, sie würde nie wieder heirathen – überhaupt keinen Menschen heirathen.«

»Das habe ich sie selbst sagen gehört,« sagte Lady Chettam majestätisch, als ob dies ein unwiderlegliches Zeugniß wäre.

»O, bei solchen Versicherungen pflegt gewöhnlich eine Mentalreservation stattzufinden,« sagte Frau Cadwallader. – »Mich wundert nun, daß die Sache eines von Euch überrascht hat. Ihr habt ja nichts gethan, es zu verhindern. Wenn Ihr Lord Tritton hättet herkommen lassen und der mit seiner Philanthropie um sie geworben hätte, so hätte er sie vielleicht vor Ablauf des Trauerjahres bekommen. Das wäre vielleicht das einzige Mittel gewesen, sie zu retten. Casaubon hat ja Alles so vortrefflich wie nur möglich vorbereitet. Er machte sich unangenehm, oder es gefiel Gott, ihn so zu machen, und dann reizte er sie, ihm zuwider zu handeln. Es giebt kein besseres Mittel, den werthlosesten Quark wünschenswerth erscheinen zu lassen, als ihn zu einem hohen Preise anzusetzen.«

»Ich weiß nicht, was Sie unter ›unrecht‹ verstehen,« sagte Sir James, indem er sich auf seinem Stuhl nach dem Pfarrer hinwandte, dessen Aeußerung ihn noch ein wenig wurmte. »Er ist kein Mann, den wir in unsere Familie aufnehmen können. Wenigstens muß ich für meine Person das erklären,« fuhr er fort, indem er Herrn Brooke's Blicke sorgfältig mied. »Andere werden vielleicht seine Gesellschaft zu angenehm finden, um noch weiter nach der Schicklichkeit der Sache zu fragen.«

»Nun, wissen Sie, Chettam,« sagte Herr Brooke gutmüthig, indem er sich mit der Hand über das Bein strich, »ich kann meine Hand nicht von Dorotheen abziehen. Ich muß bis zu einem gewissen Grade für sie ein Vater sein. Ich habe ihr gesagt: ›Liebes Kind, ich würde mich nicht weigern, Dein Trauzeuge zu sein.‹ Vorher hatte ich ihr die stärksten Vorstellungen gemacht. Aber ich kann mir das freie Verfügungsrecht über mein Gut schaffen, wissen Sie. Es wird Geld kosten und Schererei machen; aber ich kann es, wissen Sie.«

Dabei nickte Herr Brooke Sir James zu und war sich bewußt, sowohl seine Kraft des Entschlusses an den Tag zu legen als den Baronet durch die Berührung dieses Punktes versöhnlich zu stimmen.

Und damit hatte er ein noch besseres Mittel getroffen, sich der Angriffe Sir James zu erwehren, als er selbst wußte. Er hatte eine Seite angeschlagen, deren sich Sir James schämte. Seine Empfindungen in Betreff Dorothea's Heirath mit Ladislaw beruheten überwiegend auf entschuldbaren Vorurtheilen und zu rechtfertigenden Ansichten und auf einer eifersüchtigen Abneigung, die sich gegen Ladislaw kaum weniger geltend machte als früher gegen Casaubon.

Er war überzeugt, daß die Heirath für Dorothea verhängnißvoll sein werde. Aber durch alle diese Gefühle hindurch zog sich noch ein anderes, das er sich in seiner Herzensgüte und Ehrenhaftigkeit selbst nicht gern eingestand; es war unleugbar, daß die Vereinigung der beiden Güter Tipton und Freshitt, welche ein reizendes Ganze gebildet haben würden, eine Aussicht bot, die ihm im Hinblick auf seinen Sohn und Erben ungemein lächelte.

Als daher Herr Brooke kopfnickend auf diesen Wunsch anspielte, wurde Sir James plötzlich verlegen, hatte ein Gefühl, als ob ihm die Kehle zugeschnürt würde, und erröthete. In seiner ersten Zornaufwallung war er beredter als gewöhnlich gewesen; aber Herrn Brooke's versöhnliche Aeußerung wirkte lähmender auf seine Zunge, als Cadwallader's kaustische Anspielung.

Aber für Celia war die eben von ihrem Onkel gethane Erwähnung der Trauung eine willkommene Gelegenheit, sich vernehmen zu lassen, und sie sagte so ruhig, als ob es sich um eine Einladung zum Mittagessen handele:

»Meinst du, daß Dodo gleich heirathen wird, Onkel?«

»In drei Wochen, weiß Du,« sagte Herr Brooke wie hülflos. »Ich kann nichts dagegen thun, Cadwallader,« fügte er hinzu, indem er sich, um ein wenig Fassung wieder zu gewinnen, zu dem Pfarrer umwandte.

Dieser erwiderte:

»Ich würde weiter kein Aufhebens von der Sache machen. Wenn sie gern arm sein will, so ist das ihre Sache. Niemand würde etwas darin gefunden haben, wenn der junge Mensch reich gewesen wäre und sie ihn deshalb geheirathet hätte. Und wie viele Geistliche mit Pfründen giebt es nicht, die ärmer sind, als sie es sein werden. Sehen Sie doch Elinor,« fuhr der Pfarrer unter unbequemer Bezugnahme auf seine eigene Ehe fort; »ihre Familie war auch sehr unzufrieden, als sie mich heirathete. Ich hatte kaum tausend Pfund jährlich; ich war ein Tölpel, Niemand konnte etwas an mir finden, meine Schuhe saßen schlecht, alle Männer wunderten sich, wie ein Mädchen mich leiden mögen könne. Ich muß wahrhaftig Ladislaw's Parthie nehmen, so lange ich nichts Schlimmeres von ihm höre.«

»Humphrey, das ist alles Sophisterei, und das weißt Du recht gut,« sagte seine Frau. »Alles ist immer ganz dasselbe, damit fängst Du an und damit hörst Du auf. Als ob Du nicht ein Cadwallader gewesen wärest! Es wird doch wohl kein Mensch glauben, daß ich ein solches Ungeheuer wie dich ohne den Namen genommen hätte?«

»Und ein Geistlicher dazu,« bemerkte Lady Chettam zustimmend. »Man kann nicht sagen, daß Elinor gesellschaftlich eine Stufe herabgestiegen sei. Von Herrn Ladislaw ist es schwer zu sagen, was er ist, wie, James?«

Sir James grunzte ein wenig, eine bei ihm ungewöhnlich wenig respektvolle Art, seiner Mutter zu antworten.

Celia blickte zu ihm auf wie ein nachdenkliches Kätzchen.

»Man kann doch nicht leugnen, daß sein Blut eine gräuliche Mischung ist,« sagte Frau Cadwallader. »Erst die Casaubon'sche Tintenfisch-Flüssigkeit, und dann ein revolutionärer Fiedler oder Tanzlehrer, nicht wahr? – und dann ein alter Klei–«

»Unsinn, Elinor,« sagte der Pfarrer aufstehend, »es ist Zeit, daß wir gehen.«

»Am Ende ist er doch ein hübsches Kerlchen,« sagte Frau Cadwallader, die ein wenig wieder einlenken wollte, indem sie aufstand. »Er sieht aus wie eines der alten schönen Portraits aus der Familie der Crichely's, ehe die Race durch idiote Kinder verdorben wurde.«

»Ich gehe mit Ihnen,« sagte Herr Brocke, behende aufspringend. »Ihr müßt morgen Alle bei mir essen, wißt Ihr; wie, Celia, liebes Kind?«

»Du thust es, James, nicht wahr?« sagte Celia, indem sie die Hand ihres Mannes ergriff.

»O natürlich, wenn Du willst,« sagte Sir James, indem er seine Weste herunter zog, aber noch nicht im Stande war, seinem Gesichte wieder seinen gewöhnlichen gutmüthigen Ausdruck zu geben. »Das heißt, wenn wir Niemand weiter treffen sollen.«

»Nein, nein,« sagte Herr Brooke, der die Bedingung verstand. »Dorothea würde gar nicht kommen, wissen Sie, wenn Sie sie nicht vorher besucht hätten.«

 

Als Sir James und Celia wieder allein waren, sagte sie:

»Hast Du etwas dagegen, James, daß ich anspannen lasse um nach Lowick zu fahren?«

»Wie, jetzt gleich?« fragte er etwas erstaunt.

»Ja, es ist sehr wichtig« erwiderte Celia.

»Bedenke, Celia, daß ich sie nicht sehen kann,« sagte Sir James.

»Auch nicht, wenn sie die Heirath wieder aufgäbe?«

»Wozu sagst Du das? indessen, ich will nach dem Stall gehen. Ich will Briggs sagen, daß er vorführt.«

Celia dachte, es sei von großem Nutzen, doch wenigstens nach Lowick zu fahren, um Einfluß auf Dorothea zu gewinnen. Während ihrer ganzen gemeinschaftlich verlebten Jugendzeit war sie sich bewußt gewesen, immer auf ihre Schwester durch ein zu rechter Zeit gesprochenes Wort wirken zu können, indem sie ein kleines Fenster öffnete, durch welches das Tageslicht ihres eigenen Verstandes sich mit dem Licht der buntfarbigen Lampen, in welchem Dodo die Dinge zu sehen pflegte, mischen konnte; und natürlich fühlte sich Celia als Matrone noch berufener, ihrer kinderlosen Schwester Rath zu ertheilen. Wer konnte Dodo so gut verstehen oder so zärtlich lieben, wie Celia?

Dorothea, die eben geschäftig in ihrem Boudoir waltete, empfand eine innige Freude, als sie ihre Schwester so bald nach der Kundgebung ihrer Heirathsabsichten bei sich eintreten sah. Sie hatte sich zum Voraus eine lebhafte, ja übertriebene Vorstellung von der Abneigung ihrer Familie gegen die Parthie gemacht und hatte selbst befürchtet, daß Celia sich von ihr fern halten werde.

»O Kitty, es freut mich unaussprechlich, Dich zu sehen,« sagte Dorothea, indem sie ihre Hände auf Celia's Schultern legte und sie mit strahlendem Gesichte ansah. »Ich habe die ganze Zeit gedacht, Du würdest nicht zu mir kommen.«

»Ich habe Arthur nicht mitgebracht, weil ich so eilig war,« sagte Celia. und sie setzten sich auf zwei kleine Stühle, so dicht einander gegenüber, daß ihre Kleider sich berührten.

»Du weist, Dodo, Du hast uns einen bösen Streich gespielt,« fuhr Celia in ihrem ruhigen Kehltone fort und sah dabei so frei von übler Laune aus wie nur möglich. »Das hatten wir Alle nicht erwartet. Und ich kann mir nicht vorstellen, daß je etwas daraus werden wird. Du kannst unmöglich so leben. Und was soll aus all Deinen Plänen werden, daran hast Du gewiß noch gar nicht gedacht. James hätte Dir Alles besorgt, und Du hättest Dein ganzes Leben weiter thun können, was Du Lust hast.«

»Im Gegentheil, liebes Kind,« entgegnete Dorothea, »ich habe nie thun können, wozu ich Lust hatte. Ich habe noch keinen meiner Pläne ausführen können.«

»Weil Du immer Dinge wolltest, die nicht gingen. Aber es würden sich andere Pläne gefunden haben; und wie kannst Du Herrn Ladislaw heirathen, mit dem wir Alle Deine Verbindung immer für ganz unmöglich hielten. James ist ganz außer sich! Und nun sollst Du in so ganz andere Verhältnisse, als Du sie gewöhnt bist, kommen. Casaubon wolltest Du heirathen, weil er eine so große Seele hatte und so alt und trübselig und gelehrt war, und nun willst Du Herrn Ladislaw heirathen, der kein Gut und auch sonst nichts hat. Du thust es gewiß nur, weil Du Dich durchaus immer auf eine oder die andere Art unbehaglich machen mußt.«

Dorothea lachte.

»Dodo, die Sache ist sehr ernst,« sagte Celia dringender werdend. »Wie willst Du leben? Und Du willst von hier fortgehen und mit so komischen Leuten verkehren, und ich soll Dich nie sehen, und Du machst Dir nichts aus dem kleinen Arthur – und ich meinte immer, das thätest Du doch –«

Celia, die so selten weinte, hatte Thränen in den Augen, und ihre Mundwinkel verzogen sich.

»Liebe Celia,« sagte Dorothea in einem ernsten, zärtlichen Ton, »wenn wir uns nie sehen, so wird es nicht meine Schuld sein.«

»Das wird es doch,« sagte Celia, in deren kleinen Augen sich noch dieselbe rührende Aufregung malte. »Wie kann ich zu Dir kommen oder Dich bei mir sehen, wenn es James so unleidlich ist? Und das ist es ihm, weil er es nicht für Recht hält; er findet es so verkehrt von Dir, Dodo. Verkehrt hast Du freilich immer gehandelt; aber ich muß Dich nun einmal lieb haben! Und kein Mensch weiß, wo Du leben wirst; wo wirst Du nur hinkommen?«

»Ich gehe nach London,» sagte Dorothea.

»Wie kannst Du immer in einer Straße leben? Und Du wirst so arm sein; ich könnte Dir die Hälfte von meinen Sachen geben; aber wie soll ich das anfangen, wenn ich Dich nie sehe.«

»Danke Kitty,« sagte Dorothea mit milder Wärme, »beruhige Dich, vielleicht wird mir James noch einmal verzeihen.«

»Aber es wäre doch viel besser, wenn Du Dich nicht verheirathetest,« sagte Celia, indem sie sich die Augen trocknete, und nahm damit ihre Argumentation wieder auf; »dann gäbe es gar nichts Unangenehmes, und Du würdest nicht etwas thun, dessen Dich Jedermann für unfähig hielt. James hat immer gesagt, Du hättest eine Königin werden müssen; aber was Du jetzt thun willst, ist gar nicht königlich. Du weißt, wie viel Fehlgriffe Du schon in Deinem Leben gemacht hast, Dodo, und nun willst Du wieder einen machen. Kein Mensch findet Herrn Ladislaw einen passenden Mann für Dich, und Du hast gesagt, Du wolltest Dich nie wieder verheirathen.«

»Es ist ganz wahr, Celia, daß ich vielleicht verständiger sein könnte,« sagte Dorothea, »und daß ich vielleicht etwas Besseres hätte thun können, wenn ich besser gewesen wäre. Aber thun werde ich es; ich habe Herrn Ladislaw versprochen, ihn zu heirathen, und ich werde ihn heirathen.«

Der Ton, in welchem Dorothea, das sagte, war für Celia ein alt bekannter. Sie schwieg einige Augenblicke und sagte dann, wie wenn sie jeden Gedanken an Widerspruch aufgäbe:

»Liebt er Dich sehr?«

»Ich hoffe es; ich liebe ihn sehr.«

»Das ist schön,« sagte Celia behaglich; »ich wollte nur, Du hättest eine Art von Mann wie James, mit einem nahgelegenen Gut, wohin ich fahren könnte.«

Dorothea lächelte, und Celia sah etwas nachdenklich aus. Dann sagte sie plötzlich:

»Ich kann mir gar nicht denken, wie das Alles gekommen ist.«

Celia dachte, es wäre doch hübsch, die Geschichte zu kennen.

»Das glaube ich wohl,« sagte Dorothea, indem sie Celia in's Kinn kniff. »Wenn Du wüßtest, wie es gekommen ist, würde es Dir nicht wunderbar erscheinen.«

»Kannst Du es mir nicht erzählen?« fragte Celia, indem sie ihre Arme in eine bequeme Lage brachte.

»Mein liebes Kind, Du müßtest mit mir fühlen können, sonst würdest Du es nie verstehen.«



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