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Sechstes Kapitel.


Das Motto zu Kapitel 68 (in dieser Übersetzung Band 4, Kapitel 6):

What suit of grace hath Virtue to put on
If Vice shall wear as good, and do as well?
If Wrong, if Craft, if Indiscretion
Act as fair parts with ends as laudable?
Which all this mighty volume of events
The world, the universal map of deeds,
Strongly controls, and proves from all descents,
That the directest course still best succeeds.
For should not grave and learn'd Experience
That looks with the eyes of all the world beside,
And with all ages holds intelligence,
Go safer than Deceit without a guide!

Daniel: Musophilus.


Jener Wechsel des Systems und jene veränderte Vertheilung des Interesses, welche Bulstrode in seiner Unterhaltung mit Lydgate als seine Absicht bezeichnet oder zu erkennen gegeben hatte, waren bei ihm das Ergebniß bitterer innerer Erfahrungen, die er seit jenen Tagen der Larcher'schen Auction gemacht hatte, wo Raffles Will Ladislaw aufgefunden, und wo Bulstrode sich vergebens abgemüht hatte, einen Act der Sühne zu vollziehen, der die göttliche Vorsehung bewegen möchte, peinlichen Folgen Einhalt zu thun.

Seine Ueberzeugung, daß Raffles, wenn er am Leben bleibe, binnen Kurzem nach Middlemarch zurückkehren werde, hatte sich als richtig erwiesen. Weihnachtabend war er im ›Gebüsch‹ wieder erschienen. Bulstrode war zu Hause und konnte ihn empfangen und ihn verhindern, mit seiner Familie in Berührung zu kommen, konnte es aber doch nicht ganz verhindern, daß die Umstände dieses Besuchs ihn in Verlegenheit brachten und seine Frau beunruhigten. Raffles zeigte sich unlenksamer als bei seinem früheren Erscheinen; denn seine chronisch gewordene Ruhelosigkeit, die Wirkung seiner überhand nehmenden Unmäßigkeit, verwischte rasch jeden Eindruck dessen, was man ihm sagte. Er bestand darauf, im Hause zu bleiben, und Bulstrode fand, daß dies doch noch ein geringeres Uebel sei, als wenn er ihn in die Stadt gehen ließe. Er behielt ihn den Abend auf seinem Arbeitszimmer und brachte ihn selbst zu Bett, während Raffles sich die Zeit damit vertrieb, diesen respectablen und so wohlbehaltenen Mitsünder zu ennuyiren, ein Zeitvertreib, welchen er witzig als Freude über das Vergnügen bezeichnete, das es seinem Freunde gewähren müsse, einen Mann zu bewirthen, der ihm nützlich gewesen und nicht gebührend dafür belohnt worden sei.

Diesen lauten Späßen lag eine schlaue Berechnung, die kühle Absicht zu Grunde, Bulstrode nur eine um so namhaftere Summe als Lösegeld für die Befreiung von dieser neuen Marter abzupressen. Aber seine Schlauheit hatte den Bogen doch etwas zu straff gespannt.

Bulstrode fühlte sich in Wahrheit mehr gemartert, als es sich eine so gemeine Natur wie Raffles vorstellen konnte. Er hatte seiner Frau gesagt, daß er diesen unglücklichen Menschen, ein Opfer des Lasters, einfach unter seine Obhut genommen habe, weil er sich sonst vielleicht ein Leides anthun würde, und hatte dabei, ohne direkt die Unwahrheit zu reden, zu verstehen gegeben, daß Familienbande ihn zu einer solchen Obhut verpflichteten und daß sich bei Raffles Spuren von Irrsinn zeigten, die zur Vorsicht nöthigten. Er wolle den unglücklichen Menschen am nächsten Morgen selbst fortbringen.

Durch diese Winke glaubte er Frau Bulstrode in Betreff der Töchter und der Dienstboten zur Vorsicht gemahnt und es genügend erklärt zu haben, warum er Niemand das Zimmer zu betreten gestatte und sogar in eigener Person das Nöthige an Speise und Trank besorge. Aber das konnte ihn nicht dagegen schützen, daß nicht, wie er in entsetzlicher Angst befürchtete, Raffles' laute und unzweideutige Anspielungen auf die Vergangenheit gehört würden, oder daß gar seine Frau sich versucht fühlen könnte, an der Thür zu lauschen. Wie konnte er sie daran verhindern? Durfte er die Thür öffnen, um sie zu entdecken und damit seine Angst verrathen? Sie war eine rechtschaffene offene Frau, die sich gewiß nicht leicht zu solchen Heimlichkeiten entschloß, um peinliche Entdeckungen zu machen; aber die Angst überwog bei Bulstrode jede verständige Erwägung.

Auf diese Weise hatte Raffles die Folter zu scharf angespannt und dadurch eine Wirkung hervorgerufen, die nicht in seiner Absicht gelegen hatte. Durch sein verzweifelt unlenksames Benehmen hatte er Bulstrode zu der Ueberzeugung gebracht, daß seine einzige Rettung vielleicht noch in dem Aussprechen entschiedener Drohungen gegen Raffles liegen könne.

Nachdem er ihn zu Bett gebracht hatte, beorderte er seinen geschlossenen Wagen für den nächsten Morgen auf halbacht Uhr. Um sechs Uhr war er bereits lange angekleidet und hatte seinem Jammer im Gebete Luft gemacht und zu seiner Entschuldigung vor Gott sich darauf berufen, daß, wenn er in irgend einem Punkte falsch gewesen sei und die Unwahrheit gesprochen habe, es geschehen sei, um das schlimmste Uebel abzuwenden.

Denn Bulstrode hatte einen tiefen Abscheu vor einer direkten Lüge, der in gar keinem Verhältniß zu der Zahl seiner indirekten Missethaten stand. Aber viele dieser Missethaten waren wie die feinen Bewegungen unserer Muskeln, die uns nicht zum Bewußtsein kommen und doch Entschlüsse und Begehren in uns hervorrufen. Und nur von dem, wovon wir ein lebhaftes Bewußtsein haben, können wir uns lebhaft vorstellen, daß der Allwissende es sehen werde.

Bulstrode trat mit seinem Lichte vor Raffles' Bett und fand ihn augenscheinlich von einem bösen Traum gequält. Er blieb schweigend stehen und hoffte, das Licht werde dazu dienen, den Schläfer allmälig und sanft zu wecken; denn er fürchtete, daß er bei einem so plötzlichen Erwachen Lärm machen werde.

So hatte er einige Minuten lang das Zusammenschauern und Keuchen, welche ein baldiges Erwachen zu verheißen schienen, beobachtet, als Raffles mit einem langen halb erstickten Stöhnen auffuhr und zitternd und keuchend, voll Entsetzen umherstarrte. Aber dann verhielt er sich ruhig, und Bulstrode setzte das Licht nieder und wartete ab, bis er ganz zu sich gekommen sein würde.

Es dauerte wohl noch eine Viertelstunde, bis Bulstrode in einem kalten peremtorischen Tone, den er bisher noch nicht angeschlagen hatte, sagte:

»Ich habe Sie so früh geweckt, Herr Raffles, weil ich den Wagen auf halb acht Uhr beordert habe und Sie selbst bis Ilsely begleiten will, wo Sie entweder mit der Eisenbahn weiter fahren oder die Ankunft der Post abwarten können.«

Raffles wollte reden, aber Bulstrode kam ihm mit den herrischen Worten zuvor:

»Schweigen Sie und hören Sie, was ich Ihnen zu sagen habe. Ich werde Sie jetzt mit Geld versehen und will Ihnen auch ferner von Zeit zu Zeit, wenn Sie sich schriftlich an mich wenden, eine mäßige Summe zukommen lassen; aber wenn Sie sich hier wieder blicken lassen, wenn Sie wieder nach Middlemarch kommen, wenn Sie sich einfallen lassen, schlecht von mir zu reden, so müssen Sie sich darauf gefaßt machen, die Früchte Ihrer Bosheit zu erndten und auf jede Unterstützung von mir zu verzichten. Niemand wird Ihnen etwas darauf zu Gute thun, daß Sie meinen Namen beschimpfen; ich weiß das Schlimmste, was Sie gegen mich unternehmen können, und ich werde es darauf ankommen lassen, wenn Sie sich unterstehen, mir wieder unter die Augen zu treten. Stehen Sie auf und thun Sie ohne Lärm, was ich Ihnen sage, oder ich werde nach einem Polizeioffizianten schicken, Sie aus dem Hause zu bringen, dann mögen Sie Ihre Geschichten in alle Kneipen der Stadt herumtragen, von mir aber sollen Sie keinen Pfennig bekommen, Ihre Verzehrung zu bezahlen.«

Bulstrode hatte noch selten in seinem Leben mit so markiger Energie gesprochen; er hatte einen großen Theil der Nacht damit zugebracht, sich diese Worte und ihre wahrscheinliche Wirkung zu überlegen, und war zu dem Schluß gelangt, daß diese Art, Raffles zu behandeln, wenn er sich auch keineswegs der Zuversicht hingab, daß sie ihn ein für allemal von demselben befreien werde, doch das Beste sei, was er thun könne.

Sie hatte denn auch den Erfolg, den kraftlosen Mann an diesem Morgen zur Fügsamkeit zu zwingen; sein geschwächter Organismus erwies sich in diesem Augenblick widerstandslos gegen Bulstrode's kaltes, entschlossenes Benehmen, und er ließ sich vor der Zeit des Familienfrühstücks im Wagen fortbringen. Die Dienstboten hielten ihn für einen armen Verwandten und wunderten sich nicht, daß ein so peinlich ordentlicher Mann wie ihr Herr, der den Kopf in der Welt so hoch trage, sich eines solchen Vetters schäme und ihn loszuwerden wünsche.

Die zweistündige Fahrt mit seinem verhaßten Gefährten, war ein trauriger Beginn des Weihnachtstages für Bulstrode; Raffles dagegen war am Ende der Fahrt wieder ganz der alte und schied mit großer Befriedigung, die hinlänglich dadurch motivirt war, daß Bulstrode ihm hundert Pfund gegeben hatte. Verschiedene Beweggründe veranlaßten diesen zu einer solchen Liberalität; aber er gab sich selbst nicht über alle diese Beweggründe genaue Rechenschaft. Als er Raffles in seinem unruhigen Schlaf beobachtet hatte, war es ihm sicherlich aufgefallen, wie sehr der Mann, seit er ihm zuerst zweihundert Pfund gegeben hatte, physisch heruntergekommen war.

Er hatte nicht versäumt, Raffles in der nachdrücklichsten Weise seinen Entschluß, daß er nicht mehr mit sich spaßen lassen wolle, zu wiederholen, und hatte es versucht, Raffles davon zu beeindrucken, daß er die Gefahr, ihm Trotz zu bieten, für nicht größer achte, als die, ihn zu bestechen.

Als aber Bulstrode von der widerwärtigen Gegenwart befreit nach seinem ruhigen Hause zurückkehrte, geschah es mit dem traurigen Bewußtsein, daß er nur einen Aufschub gewonnen habe. Es war ihm, als habe er einen widerwärtigen Traum gehabt und könne die Bilder desselben mit ihrem verhaßten Gefolge von Empfindungen nicht los werden, als sei aus Allem, was sein Leben angenehm umgab, die schleimige Spur eines gefährlichen Reptils zurückgeblieben. Welcher Mensch kann wissen, wie viel von seinem innersten Leben auf der vermeintlichen Ansicht Anderer über ihn beruht, bis diesem künstlichen Bau der Zusammensturz droht?

Bulstrode war nur um so überzeugter, daß in dem Gemüth seiner Frau ein Rest von unangenehmen Vorahnungen zurückgeblieben sei, als sie jede Anspielung auf das Vorgefallene sorgfältig vermied. Er war gewohnt gewesen, sich täglich in dem Vollgefühl seiner Suprematie zu wiegen und den Tribut unbedingter Ergebenheit entgegenzunehmen, und die Gewißheit, jetzt mit dem geheimen Argwohn, daß er ein nicht zu seiner Ehre gereichendes Geheimniß zu bewahren habe, beobachtet und gemessen zu werden, machte seine Stimme zittern, wenn er erbaulich reden wollte.

Für Menschen von Bulstrode's ängstlich reizbarem Temperamente ist voraussehen oft schlimmer als sehen, und seine Einbildungskraft arbeitete fortwährend daran, seine Angst vor drohender Schande noch zu steigern. Ja drohend! denn wenn seine herausfordernde Ansprache nicht hinreichte, Raffles fern zu hatten, und so inbrünstig er dafür betete, so wenig zuversichtlich hoffte er doch darauf, so war ihm die Schande gewiß. Vergebens sagte er sich, daß, wenn die Vorsehung es zulasse, diese Schande eine göttliche Heimsuchung, eine Züchtigung für ihn sein würde. Er bebte vor der Vorstellung dieses Brandmals zurück und urtheilte, daß es doch dem Ruhme Gottes dienlicher sein müsse, wenn er der Schande entgehe.

Dieses Zurückbeben hatte ihn endlich dahin gebracht, Vorbereitungen für seine Abreise von Middlemarch zu treffen. Wenn doch einmal die schlimme Wahrheit über ihn laut werden mußte, so würde ihn an einem anderen Orte die Verachtung seiner Mitbürger wenigstens nicht in unmittelbarer Nähe quälen, und in einer neuen Umgebung, die ihn nicht im gleichen Grade reizbar machen würde, wäre der Peiniger, wenn er ihn auch dorthin verfolgen sollte, weniger furchtbar.

Eine definitive Uebersiedelung nach einem anderen Orte würde, wie er wußte, von seiner Frau höchst schmerzlich empfunden werden und er selbst würde es aus andern Gründen vorgezogen haben, an dem Orte, wo er Wurzel gefaßt hatte, zu bleiben; daher machte er anfänglich seine Vorbereitungen nur bedingungsweise und so, daß er sich die Möglichkeit einer Rückkehr nach kurzer Abwesenheit, für den Fall, daß ein günstiges Einschreiten der Vorsehung seine Besorgnisse zerstreuen sollte, nach allen Seiten hin offen hielt.

Er that vorbereitende Schritte für den Uebergang seiner Bankverwaltung in andere Hände und für das Aufgeben jeder Art von thätiger Mitwirkung an kaufmännischen Geschäften in dortiger Gegend, auf Grund seiner leidenden Gesundheit, ohne jedoch die Möglichkeit einer künftigen Wiederaufnahme dieser Thätigkeit auszuschließen.

Diese Maßregel brachte voraussichtlich neue Ausgaben und, abgesehen von dem, was er bereits unter dem allgemeinen Daniederliegen des Geschäfts gelitten hatte, eine Verminderung seiner Einnahmen mit sich. Unter diesen Umständen erschien das für ihn so kostspielige Hospital als einer der Gegenstände, bei welchen er seine Ausgaben mit gutem Fug einschränken konnte. Das waren die Erwägungen und Entschlüsse, welche ihn zu der Unterhaltung mit Lydgate veranlaßt hatten.

Aber zu der Zeit dieser Unterhaltung waren die meisten seiner Vorkehrungen nicht über ein Stadium hinausgediehen, wo er sie, wenn sie sich als unnöthig erweisen sollten, noch wieder rückgängig machen konnte; fortwährend verschob er die letzten entscheidenden Schritte. Wie Menschen, die in Gefahr schweben, Schiffbruch zu leiden oder von durchgehenden Pferden aus ihrem Wagen geschleudert zu werden, klammerte er sich an die Hoffnung, daß etwas eintreten werde, dem Schlimmsten vorzubeugen, und daß es voreilig von ihm erscheinen werde, sich den Abend seines Lebens durch eine Uebersiedelung zu trüben, besonders weil es schwer war, seiner Frau genügende Gründe für eine dauernde Verbannung von dem einzigen Orte, in welchem sie leben mochte, anzugeben.

Zu den Geschäften, welche Bulstrode in Ordnung zu bringen hatte, gehörte auch die Verwaltung des Gutes in Stone-Court für den Fall seiner längern Abwesenheit, und über diese wie über alle anderen Angelegenheiten, welche mit ihm gehörenden, in oder bei Middlemarch gelegenen Häusern und Ländereien zusammenhingen, hatte er Caleb Garth zu Rathe gezogen. Wie alle Leute in der Gegend wollte er sich für die Wahrnehmung dieser Angelegenheiten den Mann sichern, welchem das Interesse seiner Auftraggeber mehr am Herzen lag als sein eigenes.

In Betreff Stone Court's hatte Caleb Bulstrode gerathen, – da er sein Recht auf den Ertrag nicht aufzugeben, vielmehr ein Arrangement zu treffen wünschte, vermöge dessen er, sobald es ihm gefallen sollte seine Lieblingsbeschäftigung, die Oberaufsicht wieder übernehmen könnte –, sich nicht mit einem bloßen Verwalter zu begnügen, sondern das Land nebst Ertrag und Geräthschaften in Jahrespacht zu geben und sich einen bestimmten Antheil an dem jährlichen Erlöse vorzubehalten.

»Darf ich darauf rechnen, daß Sie einen Pächter auf solche Bedingungen hin für mich finden werden, Herr Garth?« fragte Bulstrode. »Und wollen Sie mir die jährliche Summe nennen, welche Sie für die Wahrnehmung der von uns besprochenen Angelegenheiten entschädigen würde?«

»Ich will darüber nachdenken,« erwiderte Caleb in seiner graden Weise; »ich will sehen, wie ich es arrangiren kann.«

Wenn er nicht an Fred Vincy's Zukunft zu denken gehabt hätte, würde Garth schwerlich eine Vermehrung seiner Arbeit gewünscht haben, da seine Frau ohnehin schon immer fürchtete, daß es ihm mit den Jahren zu viel werden möchte. Als er aber Bulstrode nach jener Unterhaltung verlassen hatte, kam ihm eine sehr lockende Idee in Bezug auf die von ihm vorgeschlagene Verpachtung Stone Court's. Wie, wenn Bulstrode sich damit einverstanden erklärte, daß er Fred Vincy dahin setze, natürlich unter der Bedingung, daß er, Caleb Garth, für die Verwaltung verantwortlich sei. Das wäre eine vortreffliche Schule für Fred; er könnte da ein bescheidenes Einkommen erzielen und noch Zeit übrig behalten, sich durch Hülfsleistungen bei anderen Geschäften Kenntnisse zu erwerben.

Er erzählte seiner Frau mit so augenscheinlicher Befriedigung von dieser Idee, daß sie es nicht über sich gewinnen konnte, ihm seine Freude dadurch zu vergällen, daß sie ihrer Besorgniß, er möge zu viel unternehmen, Ausdruck gab.

»Der Junge würde überglücklich sein,« sagte er, indem er sich in seinen Stuhl zurückwarf, mit strahlendem Gesicht, »wenn ich ihm mittheilen könnte, es sei Alles in Ordnung. Denke nur, Susanne, in seinem Sinne hatte er sich schon Jahrelang, ehe der alte Featherstone starb, auf dem Gute wohnen gesehen, und es wäre doch eine gar zu hübsche Wendung der Dinge, wenn er doch schließlich in Folge seiner Bekehrung zum ›Geschäft‹ ein guter fleißiger Besitzer des Gutes würde. Denn wahrscheinlich würde ihn Bulstrode ruhig fortwirthschaften und allmälig das Inventar kaufen lassen. Ich merke, daß er noch nicht recht entschlossen ist, ob er dauernd nach einem anderen Orte übersiedeln will, oder nicht. Noch nie in meinem Leben hat mir eine Idee so viel Spaß gemacht. Und dann könnten die Kinder sich nach einiger Zeit vielleicht heirathen, Susanne.«

»Aber Du willst doch Fred nichts von dem Plane merken lassen, bis Du sicher bist, daß Bulstrode damit einverstanden ist?« sagte Frau Garth in einem Tone sanfter Mahnung zur Vorsicht. »Und was die Heirath anlangt, Caleb, so brauchen wir alten Leute die nicht zu beschleunigen.«

»O, das weiß ich doch nicht,« erwiderte Caleb mit auf die Seite geneigtem Kopfe. »Die Ehe zähmt die Menschen. Ich würde Fred, wenn er verheirathet wäre, weniger im Zaum zu halten brauchen. Indessen werde ich ihm nichts davon sagen, bis ich erst festen Boden unter den Füßen habe. Ich werde noch einmal mit Bulstrode reden.«

Er ergriff die erste sich darbietende Gelegenheit, um das zu thun. Bulstrode nahm nichts weniger als warmen Antheil an dem Ergehen seines Neffen Fred Vincy; aber er hatte den lebhaften Wunsch, sich Caleb's Dienste für eine Reihe sehr verschiedenartiger Geschäfte zu sichern, bei denen er nach seiner festen Ueberzeugung bedeutend verlieren würde, wenn sie weniger gewissenhaft verwaltet würden. Aus diesem Grunde erhob er gegen Garth's Vorschlag keinerlei Einwendung; auch hatte er noch einen anderen Grund, nicht ungern in etwas zu willigen, was einem Mitgliede der Vincy'schen Familie zu Gute kommen sollte.

Frau Bulstrode hatte sich nämlich, als sie von Lydgate's Schulden hörte, sehr ängstlich bei ihrem Manne erkundigt, ob er nicht etwas für die arme Rosamunde thun könne, und war sehr betrübt gewesen, als sie von ihm erfahren hatte, daß Lydgate's Angelegenheiten nicht leicht wieder in Ordnung zu bringen seien und daß es das Klügste sei, sie ›ihren Gang gehen zu lassen‹.

Zum ersten Mal hatte Frau Bulstrode darauf erwidert:

»Ich glaube, Du bist immer etwas hart gegen meine Familie, Nikolaus! Und ich brauche mich doch gewiß keines meiner Verwandten zu schämen. Sie mögen zu weltlich sein; aber Niemand wird je von ihnen sagen können, daß sie nicht respectabel seien.«

»Liebe Harriet,« hatte Bulstrode, dem der Anblick der thränenerfüllten Augen seiner Frau peinlich war, gesagt, »ich habe Deinem Bruder schon sehr viel Kapital gegeben. Niemand kann von mir verlangen, daß ich für seine verheiratheten Kinder sorge.«

Dagegen ließ sich nichts sagen, und Frau Bulstrode's Vorwürfe verwandelten sich in bloßes Mitleid mit der armen Rosamunde, von deren extravaganter Erziehung sie die Folgen immer vorausgesehen hatte.

Aber, dieses Gespräches eingedenk, empfand es Bulstrode doch sehr angenehm, seiner Frau in dem Augenblick, wo er ihr seinen Plan, Middlemarch ganz zu verlassen, mitzutheilen haben würde, sagen zu können, daß er ein Arrangement getroffen habe, welches sich für ihren Neffen Fred vielleicht vortheilhaft erweisen werde. Bis jetzt hatte er ihr nur gesagt, daß er das ›Gebüsch‹ auf einige Monate zu schließen und ein Haus an der See im Süden Englands zu miethen gedenke.

Daher erhielt Garth die gewünschte Zusicherung, nämlich daß, im Falle Bulstrode Middlemarch auf unbestimmte Zeit verlassen sollte, Fred Vincy unter den vorgeschlagenen Bedingungen die Pacht von Stone Court erhalten solle.

Caleb war von dieser ›angenehmen Wendung‹ der Dinge so freudig bewegt, daß er, wenn er sich nicht durch eine kleine zärtliche Strafpredigt seiner Frau in seiner Selbstbeherrschung befestigt gefühlt hätte, alles an Mary verrathen haben würde, um dem Kinde eine Freude zu machen. Er hielt jedoch an sich und ließ Fred nichts von verschiedenen Besuchen merken, die er auf Stone Court machte, um sich das Land nebst Inventar genauer anzusehen und eine vorläufige Schätzung vorzunehmen.

Er war ohne Zweifel eifriger bei diesen Besuchen, als es der wahrscheinliche Lauf der Dinge erforderte; aber ihn trieb dazu die väterliche Freude an der Ausmalung dieses kleinen Glückes, das er für Fred und Mary wie ein verborgen gehaltenes Geburtstagsgeschenk bereit hielt.

»Wie aber, wenn sich der ganze Plan als ein Luftschloß erweisen sollte?« fragte Frau Garth.

»Nun, nun,« erwiderte Caleb, »dann würde ja doch das Schloß Niemandem auf den Kopf fallen.«



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