Ernst Eckstein
Nero
Ernst Eckstein

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Zwölftes Kapitel.

»In aller Stille hab' ich ihn kreuzigen lassen,« erwiderte Tigellinus.

Es entstand eine lange Pause. Nero blickte stumm auf den farbigen Mosaikboden, wo ein schön gezeichneter Tierkämpfer einem Löwen das Schwert in die Gurgel bohrte.

»Schade,« sagte er endlich, tief Atem holend. »Ich hätte erleben mögen, was dieser Schwärmer, der sogar dich mit heimlicher Furcht erfüllte, mir geantwortet hätte auf den Zuruf: ›Du fabelst!‹

In der sechsten Nachmittagsstunde begab sich der Kaiser mit Poppäa Sabina und dem ganzen Gefolge nach den vatikanischen Gärten, deren vielhundertjährige Ulmen und Pinien selbst jetzt, im Hochsommer, einen behaglichen Aufenthalt boten. Zahlreiche Springbrunnen sandten hier aus alabasternen Becken ihre silbernen Strahlen empor. Künstliche Bäche, durch die Claudische Leitung gespeist, rauschten durch die Grotten und Moosgründe, oder zerstäubten an farnumwucherten Felshängen. Ringsumher mannshohes Gesträuch, Buchsbaumpflanzungen, farbige Blumenbeete, – kurz, in der unmittelbaren Nähe der Hauptstadt ein Stück Campanierlandschaft.

In der prächtigen Pan-Allee, die den Park von Norden nach Süden schnurgerade durchschnitt, hatte der Freigelassene Phaon im Auftrag des Agrigentiners drei endlose Tafeln gedeckt. So weit das Auge reichte, blinkten die Mischkrüge, die Becher, die Blumengewinde, die Platten und Schaugerichte. Speisesofas hatten sich in genügender Zahl nicht beschaffen lassen: aber die niedere Bevölkerung Roms war ja gewöhnt, bei Tische zu sitzen, – nicht, wie die höheren Gesellschaftsklassen, zu liegen. Die glattgezimmerten Bänke, über die man galäsische Teppiche ausgebreitet, schienen für diese Gesellschaft immer noch üppig genug.

Es waren nahezu achtzigtausend Personen, die Claudius Nero so zu Gaste geladen.

Ein nicht zu schildernder Anblick.

Achttausend Sklaven waren anderthalb Stunden fortwährend beschäftigt, die unabsehbare Menschenmenge mit Speise und Trank zu versehen.

Das Kaiserpaar, Tigellinus, die Militärtribunen, einige zwanzig altadlige Senatoren und der gesamte Hof – mit Ausnahme Senecas, der eine plötzliche Krankheit vorschützte – nahmen teil an dieser gigantischen Coena. In der nächsten Umgebung des Kaisers bemerkte man insbesondere den jüngsten seiner Vertrauten, den Günstling Helius. Dieser Mensch, von unfreier Geburt, verstand es, wie kaum Tigellinus, den Launen des Imperators zu schmeicheln, und jede Schwäche als eine Heldenthat, jeden Frevel als das selbstverständliche Recht des Thrones zu preisen. Die grausam-wollüstigen Gesichtszüge des Freigelassenen Helius hatten etwas vom Schwein, ohne doch durch ungebührliche Häßlichkeit geradezu abzustoßen.

Die Prätorianer waren in unauffälliger Weise nach allen Richtungen hin verteilt worden. Zahlreiche Späher überwachten die Unterredungen; man fahndete auf die Verbreiter jenes Gerüchtes, das den Cäsar zum Urheber der Katastrophe gestempelt. Ein Ritter aus Nola und zwei Menenier – Vettern jenes Lucius und jenes Didius Menenius, die als Opfer ihrer kaiserfeindlichen Umtriebe damals gefallen waren – hatte man kurz vor Beginn des Mahles verhaftet.

Um das Volk nicht zu sehr zu erhitzen, hatte der Kaiser Sorge getragen, daß nur ganz leichter Vesuvwein, zur Hälfte mit Wasser gemischt, verabreicht wurde. Dennoch erklomm die jubelnde Ausgelassenheit dieser schmausenden Menge einen bedenklichen Grad, so daß Phaon seine Sklavenkolonnen immer und immer wieder zur Beschleunigung antrieb.

Endlich waren die sogenannten Bellaria verzehrt. Ein letzter Trunk, eine Libation, ein ›Hoch!‹ auf den Imperator und die reizend geschmückte Poppäa . . .

Nun schmetterte eine Riesenfanfare, das Echo sämtlicher Hügel weckend, über die Häupter der achtzigtausend hinweg. Mit staunenerregender Schnelligkeit wurden die Tafelreihen verlassen. Das Volk strömte durch die zahlreichen Seitengänge schaulusterfüllt nach dem Festplatz, wo es in weitem Kreise amphitheatralisch sich lagerte.

Dieser prächtige Festplatz mit den rings ansteigenden Erdstufen und der glänzenden Hoftribüne unten im Mittelpunkt war ein improvisiertes Meisterstück des großen Vergnügungskünstlers Sophonins Tigellinus. Nichts verriet mehr die Eile der Herstellung. Die himmelansteigenden Pappeln und Ahornbäume, die noch vor wenigen Tagen den Raum bedeckt hatten, waren ebenso spurlos hinweggemäht, wie der marmorne Tempel und die blumenbewachsene Bodenerhöhung, auf der er gestanden. Frischer, etwas besprengter Sand überdeckte das Grab dieser Herrlichkeiten, – so reinlich, so mathematisch glatt, als hätte hier nie die phantastische Unordnung einer üppigen Wildnis geherrscht.

Eiserne Fackelträger, haushohe Leuchter mit riesigen Pechpfannen, silberne Prunklaternen mit Scheiben von papierdünnen Hornplatten oder von Glimmerglas waren in so unerschöpflicher Anzahl aufgestellt, daß sie demnächst die ganze Arena taghell erleuchten mußten.

Dicht vor der Kaisertribüne, auf der langhingestreckten Linie, die von dem einen Ende des Zuschauerhalbkreises zum andern lief, sah man im Boden, je zwei Fuß von einander entfernt, eine regelmäßig geordnete Reihe von Löchern, wohl dreihundert und mehr. Dahinter aber lag noch die Erdmasse, die man herausgeschaufelt.

Als eben der Imperator mit Poppäa Sabina auf dem baldachinüberdachten Pulvinar Platz genommen, – der Hofstaat hatte sich längst schon gelagert – da trugen die palatinischen Sklaven, je zu vieren gleichzeitig anfassend, seltsame, hoch in die Lüfte ragende Pfähle herzu, deren spitziges Ende lotrecht in die Gruben gesenkt, mit der aufgeworfenen Erde umschüttet und dann sorgfältig festgerammt wurde.

Am oberen breiten Ende befand sich ein menschliches Wesen, bis an die Schultern von filzartig-zähem Werg umhüllt. Dicke Eisendrähte schnürten den Leib und die Gliedmaßen fest wider den Balken. Das Ganze war mit flüssig gemachtem Wachs und Pech, mit Teer und mit Oel reichlich getränkt.

Diese dreihundert Menschen sollten nach Eintritt der Dunkelheit – gleichsam als erster Beleuchtungseffekt – von den Sklaven des Imperators angezündet werden wie Fackeln.

Das Volk hatte gestern bereits Kunde von dem, was sich hier abspielen sollte. Dennoch war es vom Anblick des abenteuerlich-grausigen Zuges derart überrascht, daß es vor wilder Freude gell aufheulte. Die alte, mitleidslose, blutverlangende Schaulust der Amphitheaterbesucher, denen die Gladiatoren niemals furchtbar genug zerhackt und verstümmelt wurden, regte sich doppelt stark in diesen wohlgesättigten, weindurchdüfteten Massen.

»Die Nazarener!« scholl es von allen Seiten. »Die Nazarener im Pechgewande! Ob diese Tunica nach ihrem Geschmack ist? Fluch den Mordbrennern! Fluch euch Abergläubischen, die sich an Rom vergriffen! Auf! Erprobt's nun am eigenen Leibe, welch ein liebliches Element die verzehrende Flamme ist!«

Nach fünf Minuten waren sämtliche Marterpfähle im Boden befestigt. Die Träger zogen sich eilig zurück. Eine wimmelnde Schar üppiger Tänzerinnen brach wie eine lustig flatternde Wolke aus dem benachbarten Strauchwerk hervor und bestreute den Erdgrund rings um die Pfähle mit Rosen und Veilchen, damit, wie Tigellinus sich ausdrückte, im gesegneten Reiche des Nero auch die Todesqual einen festlichen Beigeschmack habe.

Nun standen sie alle, die Christusgläubigen, in unabsehbarer Kette gereiht, wie Maulbeerbäume, denen der Gärtner im Frühjahr die Zweige beschnitten hatte.

Einige jammerten laut auf; andre starrten glasigen Blicks vor sich hin; drei oder vier hatte die Angst schon entseelt. Die meisten jedoch, darunter nicht nur trotzige Männer und Jünglinge, sondern auch liebliche Mädchen in erster Jugendblüte, schauten todesfreudig zum Himmel auf und murmelten mit kaum vernehmbarer Stimme fromme Gebete.

Rechts vom Pulvinar des Imperators, nur etwas niedriger, stand ein üppiges, breites, kunstvoll geschmiedetes Ruhelager mit schwellenden Polsterkissen, gleichfalls von einem Baldachin überragt, – der Platz des unverwüstlichen Agrigentiners. Er strahlte von Selbstgefühl; das vornehme, leicht vom Wein gerötete Antlitz sah jünger aus als gewöhnlich.

Neben ihm, das perlengeschmückte Köpfchen sanft anschmiegend, lehnte die reizende Rhodierin Chloris, im Florgewande der Insel Kos, hold und zauberisch trotz ihrer Schamlosigkeit, ganz erfüllt vom Kultus des vermeintlichen Helden, der ihr, wie im Ueberschwange der Sehnsucht, den Arm fest und fester um den blühenden Leib schlang.

Poppäa Sabina, im Gefühl ihrer Würde als Gattin des Imperators, hatte zwar anfangs gegen die dreiste Oeffentlichkeit dieses Verhältnisses angekämpft: aber was konnte sie auf die kühne Bemerkung des Agrigentiners erwidern, daß sie ja selber, obgleich nicht eine Hellenin, sondern eine vornehme Römerin, sich in der nämlichen Weise mit ihrem kaiserlichen Geliebten gezeigt hatte, wiewohl die Gemahlin desselben damals noch lebte?

Chloris hing vielleicht um so zärtlicher an den Augen des Tigellinus, als sie durchaus keine Freundin solcher grausamen Schauspiele war, wie sie den Römern zum täglichen Brot gehörten. Als Griechin und Künstlerin besaß sie ein reich entwickeltes Schönheitsgefühl, – und schon aus diesem Gesichtspunkte widerstrebte ihr Herz dem Anblick leidender Mitmenschen. Nur dem Wunsche ihres vergötterten Tigellinus gehorchend, teilte sie hier sein purpurnes Lager, schloß jedoch beim Herannahen der menschenbefrachteten Pflöcke unwillkürlich die Wimpern und wandte sich dann ausschließlich ihrem verliebten Eroberer zu.

Jetzt plötzlich, da alles in atemloser Erwartung schwieg, und selbst das Wimmern der klagenden Nazarener zu ebben schien, drang ein Schrei durch die beginnende Dämmerung, gell und schaurig wie der Todesruf eines Wahnsinnigen, der sich von schwindelnder Felsenwand hinab in den Abgrund stürzt.

Entsetzt schaute Chloris empor.

Aus der Werghülle eines der beiden Pfähle, die nur wenige Schritte vom Fußende ihres Lagers entfernt standen, blickte in grauenhafter Verzerrung ein wohlbekanntes Antlitz herüber, – das Antlitz des Artemidorus.

Ruhig und standhaft hatte der gläubige Nazarener bis dahin sein Schicksal ertragen. Sein heroischer Mut hatte obgesiegt über jede schwächliche Anwandlung. Jetzt aber, wie er so von der furchtbaren Höhe des Marterpfahls das Mädchen erblickte, das ihn einstens geliebt und dann so schnöde vergessen hatte, jetzt verlor er die Fassung.

Noch einmal packte ihn das vergängliche Erdenglück, das er längst, längst überwunden glaubte, mit all den selig-schmerzlichen Schauern von ehedem.

Das also war die letzte Erfüllung des Traumes, den er Jahre hindurch im tiefsten Grund seiner Seele gehegt und genährt hatte! Er gedachte jenes unvergeßlichen Abends im Hause des Flavius, da er knieend ihr den Kranz überreicht hatte. Chloris war sein Gedanke bei Tag und bei Nacht gewesen. Er glaubte an sie wie an Jesus den Galiläer. Beim ersten Gerüchte, daß sie empfänglich sei für die Huldigungen der Großen, war er gramerfüllt zu ihr geeilt. Sie hatte ihn zärtlich geküßt, seiner Sorge gelacht und ihm heilig beteuert, er, nur er solle dereinst sie besitzen. Dann aber entschwand sie ihm völlig. Mehr und mehr gehörte sie zur Gesellschaft des Hofes. Artemidorus litt über alle Beschreibung. Er ahnte, er wußte, was da geschehen war, lange bevor er mit eigenen Augen sich davon überzeugt hatte. Nun riß er mit aller Gewalt sich los. Er kämpfte verzweiflungsvoll, bis ihm die Lehre des Heilandes, der da gesprochen hatte: ›Nehmet euer Kreuz auf euch und folgt mir nach –‹ endlich den Frieden gab.

Er hatte gehofft, die göttliche Kraft dieses Friedens werde ihm vorhalten bis zum letzten Moment.

Da mußte er, fast in derselben Minute, da schon die Henker mit ihren Bränden herankamen, die Treulose wiedersehen, ach, ach, und so wiedersehen – als müßige Zuschauerin seiner Qualen, halbnackt an der Brust eines andern! Das war des Jammers zu viel.

›Fern von ihr!‹ hatte er damals gewehklagt, als er, zum Tode verurteilt, durch die cyprische Gasse geschleppt wurde. ›Fern von ihr!‹ – Der Gedanke war ihm das schwerste gewesen bei jenem furchtbaren Gang. Wie ein Hohn über sein maßloses Elend zuckte ihm jetzt dieses ›Fern von ihr!‹ durch die Seele, da ihn das Schicksal dazu verurteilt hatte, ungeliebt vor ihren Augen dahinzusterben, in ihrer Nähe. fast erreichbar durch den Hauch ihres Atems.

Noch einmal schrie er auf, – gräßlicher, furchtbarer, herzzerreißender, als zuerst. Er litt unmenschlich. Er fühlte schon jetzt, bevor sie entfacht war, die mordende Lohe, die ihn langsam aufzehren sollte.

Die Rhodierin Chloris bebte am ganzen Leibe.

»Was hast du?« fragte Tigellinus.

Sie war unfähig, ihm zu antworten.

Er zog sie dichter zu sich heran und küßte sie auf die weißschimmernde Kehle.

»Hat der Feigling da mit seinem Todesgeheul dich erschreckt?« forschte er weiter.

»Vielleicht,« flüsterte Chloris.

Es zuckte ihr krampfhaft über das ganze Gesicht. Ihre Augen blickten wie leblos.

»Ihr Griechen seid ein allzuweiches Geschlecht,« tröstete Tigellinus. »Ihr müßt euch, wie die Enkel des Romulus, mit dem Anblick des Todes und seiner Schrecken vertraut machen. Das gibt Lebensfrische und Mut. Das stählt die Genußfreudigkeit und die Spannkraft. Aber seh' ich denn recht? Ich erkenne den Burschen. Es ist Artemidorus, der Freigelassene des Flavius Scevinus. Sprich, mein Seelchen, beschleicht dich eine wehmutsvolle Erinnerung? Damals warst du noch die unnahbare Kitharödin – und jetzt . . .! Aber hast du etwas bei diesem Tausche verloren? Sophonius Tigellinus ist der Erste im Reich nach dem Kaiser. Fannius Rufus, der den Oberbefehl mit mir teilt, ist nur dem Namen nach mein Kollege, in Wahrheit mein Untergebener. Der Cäsar liebt mich; Poppäa thut keinen Atemzug, ohne sich Rats zu holen bei dem weltklugen Agrigentiner. Artemidorus aber – nun, du siehst's ja, wie weit er's mit seiner Schwärmerei für die Märchen des Galiläers gebracht hat!«

»Er ist so jung,« seufzte die zitternde Chloris, »ach, und so gut!«

»So gut,« versetzte der Agrigentiner, »daß er die erste rasende Sehnsucht des Imperators enttäuschen half. Du weißt doch von Acte . . .? Einmal nur hatte der Kaiser ihr von Liebe gesprochen: da entschwand sie ihm plötzlich, und so emsig er forschte, nirgends fand sich die leiseste Spur von ihr. Auch Artemidorus wurde gefragt, und er gab zur Antwort: ›Ich weiß von nichts!‹ Das war eine Lüge. Er kannte den Ort, wo sich Acte verborgen hatte. Und daß er dem Kaiser die Wahrheit so vorenthielt, das büßt er jetzt zugleich mit den andern Verbrechen, die ihm zur Last fallen. Deshalb hat man auch Sorge getragen, den Schandbuben in der Nähe des kaiserlichen Pulvinars einzurammen. Sein qualvoller Tod soll in die immer noch blutende Wunde des Imperators Balsam gießen. Ich verrate da mehr, als ich sagen sollte. Poppäa Sabina darf um keinen Preis davon wissen. Hörst du, wonnige Chloris?«

»Ich höre,« hauchte sie tonlos.

Nach dieser Eröffnung war nichts für Artemidorus zu hoffen.

Gnade für den zu erflehen, den Claudius Nero persönlich haßte, das schien der Rhodierin gleichbedeutend mit der Gefährdung der eigenen Existenz.

So rief sie denn die unversiegbare Kraft ihres Leichtsinns zu Hilfe und entschloß sich, alles geschehen zu lassen, wie es der Wille des Agrigentiners verhängt hatte. Nur ein stilles Gebet zu dem Totengott ihrer hellenischen Heimat, dem Hermes Psychopompos, wollte sie aufwenden, damit er die Seele des Abgeschiedenen freundlich hinübergeleite in die Gefilde des nachtumflatterten Hades.

Inzwischen hob Artemidorus die weitgeöffneten Augen thränenlos zum Himmel empor, wo die ersten Sterne bleich im Azur glänzten.

»Gott, mein Gott,« flehte er brünstig, »steh mir bei in dieser unermeßlichen Qual! Erbarmender Vater, laß mich einmal noch deine Gnade erfahren, auf daß nur du mir die Seele erfüllen mögest, du und der Heiland, der da gestorben ist zur Erlösung der Welt! Ach, wie zauberisch flutet ihr Haar! Wie strahlt ihr Auge! Wie blüht ihr blumenduftiger Mund! Wehe, sie rührt sich nicht! Sie springt nicht auf, mir zum letzten, grausigen Abschied ein linderndes Wort zu sagen! Gelassen und gleichmütig kann sie mit ansehen, wie Artemidorus zu Grunde geht! Ich habe sie heiß geliebt; sie wäre mein Glück gewesen; ich liebe sie noch, trotz all ihrer Schande! Cäsar, weshalb hast du mich damals begnadigt, da ich doch sterben konnte im Vollbesitz ihrer Liebe? Vater im Himmel, errette mich vor diesen Gedanken! In deine Hände befehle ich meinen Geist; nimm mich auf in die Schar der Erwählten, um Jesu willen, und tilge mir die Erinnerung an diese Stunde hinweg, sonst kann meine Seele nicht Rast gewinnen durch alle Jahrtausende!«

Er neigte das Haupt und schloß die Augen, um nicht noch einmal dem Blicke der Rhodierin zu begegnen, die ihren Schauder jetzt abgeschüttelt und sich von neuem in die Begeisterung für den verlebten Agrigentiner versenkt hatte.

Neben dem Freigelassenen des Flavius Scevinus hatte man den ehrsüchtigen Nicodemus aufgepflanzt. Er war bewußtlos gewesen, als die Sklaven ihn herschleppten. Sein Pfahl trug am oberen Ende einen mächtigen Querbalken, an welchem die ausgestreckten Arme des Delinquenten vermittelst zweier durch die Handflächen gehender Eisenstifte befestigt waren. Tigellinus wollte den tollkühnen Wortführer des Nazarenertums, der dem Kaiser so gründlich verhaßt war, auf diese Art vor den übrigen auszeichnen.

Bei dem Aufschrei des Artemidorus war der Unglückliche aus seiner Betäubung erwacht. Von wahnwitzigem Grausen erfüllt, überblickte er den Jammer zu seiner Rechten und Linken, – und die prunkende Orgie zu seinen Füßen: den Cäsar am Busen der siegestrunkenen Poppäa; Tigellinus mit der schmachtenden Chloris; den Günstling Helius mit der frechen Septimia; und ringsumher auf der kaiserlichen Tribüne zehn, zwölf andre Paare, die sich, jeglicher Scheu vergessend, herzten und küßten, als decke statt der gelblich schimmernden Dämmerung tiefschwarze Nacht ihre Zärtlichkeiten . . .

Er sah, wie Dutzende von jugendblühenden Sklavinnen, nur ein Flortuch um die Lenden geschlungen, zwischen den Freunden des Imperators einherhuschten, in der Rechten die kunstvoll getriebene Weinkanne, in der Linken die Schale . . .

Er schaute die Kränze auf den salbentriefenden Häuptern, die schwellenden Rebengewinde, die Purpurrosen.

Er gewahrte die üppigen Pardelfelle auf den leuchtenden Schultern halbwüchsiger Knaben, die ihre Thyrsusstäbe hoch über dem Kopfe schwangen; er gewahrte die unverschleierte Frechheit ihrer Gesinnung, die widerlichen Gebärden, die zuchtlosen Neckereien, das wüste, frevelhafte Gelächter.

Entsetzt atmete er den ganzen unsagbaren Hauch von Wollust und Grausamkeit, der aus diesem Gewirr emporstieg, wie der betäubende Qualm aus dem Sündenpfuhle Gomorrhas.

Und siehe, mit einemmal überkam ihn die volle Größe und Wucht seines einst so eifrig gepflegten Irrtums.

Nein, diese widerspruchsvolle, gräßliche, durch und durch entartete Welt mußte erst ganz versinken, ehe der Boden sattsam gedüngt war für die Saatkörner Jesu Christi. Einstweilen konnte das Nazarenertum nur eine Stätte finden unter den Dächern der Armen und Elenden, in den Winkeln der Leichenträger, bei den Schiffsknechten jenseits des Tiberis, in den Arbeitshäusern und Sklavenzwingern.

Von unten herauf mußte die Menschheit wiedergeboren, umgestaltet, und für das Wort Gottes empfänglich gemacht werden, nicht von der Höhe des Thrones herab, der nur den schaurigen Gipfel bildete einer herz- und hirnlosen, öden Gesellschaft.

Und wie dies klar vor ihm aufstieg, da unterschied Nicodemus auch mit ergreifender Deutlichkeit, was da Echtes und Edles in seiner Bestrebung gelegen, und was ihm die Selbstsucht und Herrschbegier zugeraunt.

»Es war Satanas, der mich versucht hat,« murmelte er durch die knirschenden Zähne. »Ihm, dem Weltverderber, hab' ich die Ruhe geopfert, den Frieden und die Einigkeit mit mir selbst. Weh mir: auch dich hab' ich mit hingeschlachtet, du liebliche Acte, die von dem Schöpfer mir anvertraut war, wie dem Hirten das Lamm. Allgütiger Vater, dafern es möglich ist, so vergib mir! Ich habe gesündigt an dir und deinem Gesetz! Ich bin nicht wert, mit den glaubensfreudigen Brüdern und Schwestern hier gemeinsam den Tod zu leiden!«

Heiße Thränen überströmten sein Angesicht.

Dann plötzlich krauste sich ihm die Stirne.

»Hab' ich denn auch mein Leben umsonst gelebt, – so will ich sterbend noch Zeugnis ablegen für die göttliche Wahrheit! Vielleicht, vielleicht, daß ich dann Gnade finde vor Gott dem Allgütigen!«

Trotzig hob er das Haupt.

»Claudius Nero Cäsar,« rief er mit Donnerstimme, »hast du den Mut, ein letztes Wort von den halb schon erstorbenen Lippen des Nicodemus zu hören?«

Dem dröhnenden Anruf des Märtyrers folgte eine etwas beklommene Stille. Die Prätorianer blickten auf ihren Gebieter, als ob sie der Weisung gewärtigten: ›Stoßt ihm das Schwert in die Brust!‹

Nero jedoch, sich aufrichtend, sagte höhnisch: »Rede, mein Freund, aber beeile dich!«

»Nero,« hub Nicodemus wiederum an, »ich weiß, von dir und den feilen Gesellen, die dich umwedeln wie Hunde, ist kein Erbarmen zu hoffen. Nicht Gott, sondern sein uranfänglicher Widersacher hat eure Seelen aus Schlamm und Blut viehisch zusammengeknetet. Diese Welt ruht noch immer im Schoße des Satans: deshalb bist du Imperator, denn du kömmst ihm an teuflischer Niedertracht und bestialischer Arglist am nächsten. Aber ich warne dich. Gott läßt sich nicht spotten. Er, der Allmächtige, der uns den Mut verleiht, furchtlos zu sterben zur Augenweide für deine Dirnen und Schandknaben, er wird dies jammervolle Geschlecht, das sich noch heute in Gold und Purpur brüstet, spurlos hinwegfegen. Wahrlich, euer Ende ist nahe! Schon höre ich das ferne Gewitter; schon seh' ich die Blitze, die euch zerschmettern sollen. All eure Macht ist wie die Spreu vor dem Winde. Die neue Sündflut öffnet gar bald ihre Schleusen; das einzige, was da siegreich emporragen wird über den Schutt eurer Herrlichkeit, ist das Kreuz Jesu Christi! Du bist bleich geworden, Claudius Nero, und jetzt ergreift dich die Ungeduld. Wir aber, dem Vorbild unsres Heilands getreu, bitten Gott um Gnade sogar für dich, unsern Feind. Todesgenossen! Bezwingt euren gerechten Haß! Hebt eure Blicke zum Himmel empor und sprecht mit dem Unwürdigsten eurer Gemeinde: ›Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun!‹«

Ein leises Gemurmel klang durch die Reihen der Nazarener.

Gleich danach gab der langgezogene Ton einer Tuba das Zeichen. Mehrere hundert Sklaven, mit zierlichen Handfackeln versehen, stürzten sich auf die Opfer.

Im nächsten Augenblick standen die teer- und wachsüberträuften Werghüllen von einem Ende der Pfahlreihe bis zum andern in heller Lohe. Gelles, rasendes Jammergeheul scholl durch die hereinbrechende Nacht. Lauter aber noch dröhnte das wüste Gebrüll der Volksmassen, die wie im Cirkus toll in die Hände klatschten und ihrem Entzücken durch Zurufe aller Art Ausdruck verliehen.

»Ave Cäsar! Welch ein olympisches Fest! Welch ein flutendes Lichtmeer! Zollt Beifall, Quiriten! Beifall den flammenprächtigen Fackeln des Nero!«

Tigellinus hob die gefüllte Schale. Das Schlagwort der Bevölkerung aufgreifend, rief er mit eisigem Hohne: »Fackeln des Nero, das bringt euch Tigellinus, der Fluchbeladene!«

»Und dies hier Nero selbst, der den Irrwahn des Galiläers vertilgen wird, wie die Glut eure Leiber vertilgt!«

Der Kaiser sprach's und schwang den rosenbekränzten Becher wie ein jugendstrahlender Dionysos. Zur Hälfte trank er ihn leer: nun reichte er ihn der ›göttlich schönen‹ Poppäa. Sie bog ihren schneeigen Hals zurück, bis ihr der letzte Tropfen des purpurroten Falerners hinabgerollt war. Dann schleuderte sie das wuchtige Trinkgefäß mit einem jauchzenden Aufschrei nach dem flammenumloderten Haupte des Nicodemus.

Sie traf ihn mitten ins Antlitz.

»Recht so!« meinte der Agrigentiner. »Das war die passendste Antwort auf sein Gefasel!«

Poppäa, als ob sie den Eindruck ihrer mänadenhaften Brutalität verwischen wollte, neigte sich mit verdoppelter Anmut zum Cäsar, lachte ihn verführerisch an und raunte zärtlich: »Nero, Nero, wie ich dich liebe! Wahrlich, mir ist zu Sinne, als wären die lodernden Pfähle da unsre Hochzeitsfackeln!«

Nero umschlang sie, wie einst die Genossen des Romulus ihre Sabinerinnen, wild, rücksichtslos, als wenn er zum erstenmal von ihr Besitz ergriffe.

Auch Tigellinus schien durch das Todesgeheul des Christen zu doppelter Liebessehnsucht entflammt zu werden. Er drückte die schwer atmende Chloris heißer ans Herz und verschlang sie fast mit seinen fiebernden Küssen.

Eine rauschende Festmusik stimmte weitab im Hintergrund ihre lüsternen Weisen an. Die brennenden Leiber der Märtyrer sandten weißgraue Wolken zum Himmel auf. Dort und da ward das gräßliche Wehgeschrei zum Wimmern und Winseln, – und verstummte dann völlig. Anderwärts hörte man aus der schwelenden Glut die ekstatischen Stimmen derer, die, ihres Glaubens erfüllt, alle irdische Qual überwanden und freudig den Welterlöser und Gottes unendliche Gnade priesen.

»Rasende Flammen, verzehrt meinen gebrechlichen Leib,« klang es vom Munde eines fünfzehnjährigen Mädchens; – »meine Seele wird aus der Asche emporsteigen in die Höhen des Lichts! Hallelujah!«

Auch Nicodemus, den der Wurf mit dem schweren Metallbecher halb schon betäubt hatte, raffte sich noch einmal empor: »Hört's, ihr Verblendeten!« rief er mit weithin schallender Stimme. »Hier, in der Glut, die mir das Mark zerfrißt, bekenne ich's als ein geringer Zeuge seiner unendlichen Herrlichkeit: der Gott Jesu Christi ist der einzige wahre Gott, und alles Heil kömmt von ihm! Vater im Himmel, o erbarme dich meiner! Ich bereue von ganzem Herzen und von ganzem Gemüt! Amen!«

Ein leichter Windstoß trieb die Flammen zur Seite. Artemidorus schaute zum letztenmal die Rhodierin Chloris, wie ihr der halbberauschte Agrigentiner den Nacken liebkoste und die blühende Kehle . . .

»Chloris!« schrie er, den Kopf wie in epileptischen Krämpfen zurückwerfend, – »Chloris!«

Sein Angstruf gellte so laut, daß er, allen Lärm übertönend, bis hinaus zu den fernsten Sitzen des jauchzenden Pöbels drang.

»Chloris!« scholl es noch einmal aus der kräuselnden Lohe, die jetzt wieder senkrecht zum Himmel stieg. »Weh mir, ich sterbe!«

»Gelobt sei Jesus, der Sieger über Hölle und Tod!« murmelte Nicodemus. Dann verstummte auch er.

Ringsum brannten die Pflöcke langsam herab. Große Blutlachen sickerten allgemach in den Boden; denn die Werghülle hatte nicht ausgereicht, dieses Blut zu verdampfen. Den angebrannten Adern reichlich entströmend, hatte es mit den prasselnden Flammen gekämpft und die untere Hälfte des ›Qualgewandes‹ vielfach gelöscht. Hier und da knickte ein Pfahl zusammen und riß einen halbverstümmelten Menschenleib mit herab. Ein Brandgeruch erfüllte die Luft, schal, widerlich, als hätten die Priester an hundert Altären dem Pluto geopfert.

Da, beim Klang der allbeliebten gaditanischen Melodie ›Schwellet, ihr Rosen . . .‹ entflammten sich, wie durch Zauberhand, die übrigen Leuchten des Festplatzes, – und nun hub in den Gärten des Nero ein Treiben an, das selbst in den Lasterannalen des cäsarischen Rom nicht seinesgleichen hatte.

Claudius Nero und seine ganze Gefolgschaft wälzten sich, sinnlos vor Trunkenheit, im Pfuhl der unerhörtesten Ausschweifung. Das Fest am See des Agrippa war eine harmlose Kinderei gewesen im Vergleich mit diesem bübisch-frechen Astartekultus. Frauen und Mädchen aus den edelsten Häusern waren auf Befehl des Agrigentiners gewaltsam herbeigeschleppt worden. Ihrem Willen zum Trotz, mußten sie sich an jeder Zuchtlosigkeit beteiligen. Knirschend in öder Ohnmacht standen die Väter, Gatten und Brüder der Mißhandelten abseits, und verliehen durch ihre Gegenwart dem bestialischen Taumel des Pöbels die Würze eines hohnerfüllten Triumphs. Denn nicht einer von diesen entehrten Römern wagte es, den übermütigen Festordner bei der Gurgel zu packen. Die Schwerter der Prätorianer klirrten zu drohend und zu verständlich. Auch hatte der Agrigentiner solche Familien, deren Oberhäupter einer männlich-verzweifelten That fähig gewesen wären, klüglich vermieden. Viele der edlen Römerinnen, die so vergeblich auf ihre Rächer harrten, gaben sich selbst den Tod; andre verfielen in Wahnsinn; gar manche jedoch wurden aus scheinbaren Opfern zu ekelerregenden Teilnehmerinnen, die jauchzend den Becher schwangen und so das Werk des Cäsars, die mörderische Vertilgung der Sitte und der letzten heiligen Scheu, ruchlos vollenden halfen.

Rom – erst eben durch die Wut des rasenden Elementes vernichtet – war, so schien es, hier zum zweitenmal, und fürchterlicher, zerstört worden.


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