Ernst Eckstein
Nero
Ernst Eckstein

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Sechzehntes Kapitel.

Acht Tage später weilte Nero mit seinem glänzenden Hoflager wieder in Bajä.

Seneca nur, der eine Reihe wichtiger Staatsgeschäfte zu ordnen hatte, und Burrus waren zu Rom verblieben. Burrus ›mit Rücksicht auf die Ereignisse im Haus des Menenius‹.

Da nämlich ein Militärtribun – Pharax – bei der Verschwörung beteiligt gewesen, so hielt Tigellinus, wie er mit großem Nachdruck betonte, die äußerste Wachsamkeit für notwendig, und ›niemand konnte in dieser Beziehung den ausgezeichneten Burrus vertreten‹.

In Wahrheit wünschte der schlaue Agrigentiner den einzigen Mann, der ihm bei dem unglaublichen Anschlag wider die Kaiserin-Mutter hinderlich dünkte, vom Schauplatz der geplanten Intrigue fernzuhalten.

Agrippina war seit jener peinvollen Scene im Cubiculum ihres Sohnes nicht wieder zum Vorschein gekommen. Zwei lange, trostlose Tage hatte sie einsam in ihren Gemächern verbracht und die Gefühle des Zornes und der Rachsucht verarbeitet, die ihr beinahe den Atem versetzten. Am dritten Tage reiste sie Hals über Kopf mit geringer Gefolgschaft ab. Pallas sogar durfte sie nicht begleiten: sie wollte die Schlichte, Verwaiste, Verstoßene spielen . . . Zu diesem Behuf wählte sie einen Aufenthaltsort, der zwar gleichfalls am bajanischen Meerbusen, aber doch hinlänglich von Bajä entfernt lag, um den Eindruck der Zurückgesetztheit, vielleicht gar des Exils zu machen. ›Wie?‹ sollte die Welt staunend ausrufen, ›Claudius Nero schwelgt unter den Prachtkolonnen seiner olympischen Villen; sein ganzes Leben ist ein einziger Wonnerausch: und drüben in dem stillen Bauli bewohnt Agrippina, die ihn zum Herrscher gemacht, ein verödetes Bauerngehöft? Welch eine Mutter!‹

In Bauli nämlich stand ein reizendes kleines Landhaus, das die Kaiserin jüngsthin ihrer Vertrauten Acerronia zur Hochzeit geschenkt hatte. Die rothaarige Cordubanerin war nun schon Witwe. Man lebte schnell im Rom der Imperatoren.

Nero und Tigellinus schienen den vielberufenen bajanischen Taumel diesmal toller und übermütiger kosten zu sollen, als je. Poppäa Sabina war die ausgesprochene Oberpriesterin eines Kultus, der sich aus allen erdenklichen Daseinsgenüssen gleichmäßig zusammensetzte.

Man feierte Orgien einer krankhaft verzückten Naturschwärmerei; man beging Ausschweifungen im Gebiete der Kunst; man raste vor überschäumender Sinnlichkeit.

Tigellinus hatte die schöne Kitharaspielerin Chloris inzwischen völlig erobert. Ihrer Vergangenheit uneingedenk, hing sie bei den tollen Symposien jauchzend an seinem Hals.

Nero, wenn er sie so gewahrte, lächelte hohnerfüllt. Er entsann sich dann jenes Abends bei Flavius Scevinus, da Chloris noch makellos vor die lauschenden Gäste trat, und jenes ergreifende, unvergeßliche Lied sang.

So mußten die Dinge sich wenden! Die keusche Braut des Artemidorus – und jetzt? Pah, der ehemalige Sklave würde sie schon verschmerzen: er würde sich sagen: das sei der Lauf der Natur und der Wille des Schicksals. Wozu leuchteten diese Mädchenblüten, wenn sie nicht am Altare der imperatorischen Allmacht geopfert wurden? Tigellinus von Chloris umschlungen – das war, als würde ein Pfeiler der cäsarischen Götterburg mit Rosen geschmückt.

Das Lied, das Lied! Bei dieser Erinnerung tauchte wohl ein süßes, blondes Gesicht vor ihm auf, ein Blumenantlitz mit großen, tiefblauen Augen. Diese thränenumflorten Augen schienen zu sagen: ›Ich habe dich lieb gehabt, wie nichts im Himmel und auf der Erde. Aber nun bin ich lange schon tot.‹

Dann legte er mit der Hast eines Fieberkranken die Linke um die schwellende Hüfte Poppäas, rief ein feuriges ›Evoë!‹ und leerte den Becher, ohne nur abzusetzen, bis auf die Neige. –

Tigellinus und Poppäa Sabina schienen bei diesem Getümmel der Lebenswonne die Verurteilung Agrippinas völlig vergessen zu haben. Kaum, daß hie und da der Agrigentiner bei einer Schaustellung syrischer Tänzerinnen etwas zu spät kam, oder sich heimlich entfernte, eh' noch die lärmende Commissatio zu Ende ging. Auch hätte es auffallen können, daß der Flottenbefehlshaber Anicetus, dessen Kriegsschiffe nur wenige Meilen westwärts am Cap Misenum vor Anker lagen, jetzt öfter und freundschaftlicher mit Tigellinus verkehrte, als früher. Niemand jedoch fand hier in Bajä Zeit, das Treiben der andern ernstlicher Betrachtung zu unterziehen, und Nero, der einzige, dem dies nahe gelegen hätte, suchte sich absichtlich zu betäuben.

So ahnte denn keine Seele, daß der tückische Anicetus gegen die Summe von drei Millionen Sesterzen sich bereit erklärt hatte, die Vollstreckung des ›Urteils‹ an Agrippina zu übernehmen.

Zu Anfang der dritten Woche bat Tigellinus den Kaiser ›um einige Augenblicke seiner wertvollen Zeit‹.

»Was gibts?« forschte der Imperator, dem eine bängliche Ahnung schon den ganzen Tag über auf der Stirne gelastet.

»Wenn dir's genehm ist, so folge mir!« sagte der Agrigentiner. »Wir ersparen uns so eine umständliche Erörterung.«

Er geleitete nun den Kaiser in das reizende, braun dekorierte Zimmer, das mit der Längswand unmittelbar an den Park stieß. Ein kleines, glasloses Fenster erschloß den Anblick über ein wahres Meer blühender Rosenbeete. Rechts von dem Fenster stand ein kostbarer Schreibtisch, die Füße von Erz, die Platte vom Querschnitt eines prächtigen Zedernstammes.

Hier schrieb Tigellinus, der neuerdings beinahe das Amt eines Mitregenten versah, die kaiserlichen Depeschen an Burrus und Seneca.

Hier hatte er jüngsthin dem Otho nach Lusitanien vermeldet, daß man den Mitverschworenen des Lucius und Didius Menenius noch immer nicht auf der Spur sei; daß man jedoch zu der Vermutung neige, einzelne der dem Otho unterstellten Centurionen seien für die Sache des Aufstands gewonnen worden; daher denn Otho vorsichtig, aber energisch der Angelegenheit auf den Grund gehen möge.

An diesem Schreibtische wurden ferner die zahlreichen, mit allen Floskeln einer banalen Rhetorik ausgestatteten Liebesbriefe entworfen, die der sieghafte Tigellinus, ungeachtet seiner bevorzugten Neigung für die Rhodierin Chloris, gleich halbdutzendweise vom Stapel ließ. Rings in dem weiten aphroditefreundlichen Bajä gab es kaum eine vornehme Großstädterin, mit der Tigellinus nicht in vollschwellendem Griechisch korrespondiert hätte, natürlich vorausgesetzt, daß die freundliche Korrespondentin jung, gefällig und hübsch war. Seine schneidige Rohrfeder strömte nur so von glühenden Apostrophen und funkelnden Schmeichelworten.

Jetzt freilich herrschte auf der schön gemaserten Zedernplatte, die sonst mit ernsten und zierlichen Manuskripten breit überdeckt war, eine mustergültige Klarheit. Nur zwei lange Papyrusstreifen, der eine leer, der andre beschrieben, lagen vereinsamt vor der goldgetriebenen Urne mit dem flüssigen Schreibschwarz.

»Herr,« begann Tigellinus feierlich, »dir und mir, und vor allem auch der besorgten Poppäa hab' ich's gelobt, jene traurige Angelegenheit, die während der letzten Tage zu Rom uns in Aufruhr versetzte, – ich meine den Frevel der Kaiserin-Mutter – möglichst ohne dein Vorwissen zu erledigen. Gleichwohl scheint es unmöglich, jede Beteiligung deinerseits zu vermeiden. Ich ersuche dich also, den Brief hier abzuschreiben, und heute noch an die Kaiserin Agrippina hinüberzusenden. Der Brief enthält alles, was ich bei reiflicher Ueberlegung für nötig erachte. Einen Nachmittag lang wirst du dann eine Rolle zu leisten haben, die bei dem großen schauspielerischen Talent, das Apoll dir verliehen hat, peinlich zwar, aber nicht unbezwinglich erscheint. Du sollst dich nur so gebärden wie früher: als der höfliche, pietätsvolle Sohn, der nicht ahnt, was die unnatürliche Mutter ihm zugedacht.«

Der Cäsar nahm den Papyrusstreifen mit leise bebender Hand von der Tischplatte. Das Schreiben lautete:

»Claudius Nero Cäsar wünscht seiner geliebten Mutter Agrippina Glück und Gesundheit.

Zu meiner tiefsten Betrübnis nehme ich wahr, vielteuere Mutter, daß jener Auftritt mit Sophonius Tigellinus mir Deine Seele ganz zu entfremden droht.

Ich will hier nicht untersuchen, inwieweit die Beschuldigungen des Mannes, der seinem eigenen Geständnis zufolge in höchster Erregung gesprochen, wahr oder unwahr sind. Ich weiß nur, daß die Sterblichen ausnahmslos ihre Fehler haben; daher es die größte Thorheit wäre, gerade Dir zum Vorwurf zu machen, was allen gemeinsam ist. Mir, Deinem Sohne, steht es am wenigsten zu, Dich zu richten; denn was Dir auch etwa zum Uebeln gedeutet wird –: Du hast es gethan und verbrochen um meinetwillen. Die Mutterliebe jedoch ist selbst da noch ehrwürdig, wo sie um des geliebten Kindes willen auf Irrpfade gerät.

Laß mich kurz sein! Ich fühle, daß ich Dich heut noch liebe, wie einst, und daß mir die echte Freude am Leben vergällt wird, dafern wir länger in Groll und Feindschaft leben. Sonach bitte ich Dich: wirf das Vergangene rückhaltlos zu den Toten und reich mir wieder die teure Hand, die mich so oft – und wahrlich niemals zu meinem Schaden – gelenkt und geleitet hat.

Willst Du, dann soll es der Welt sich auch äußerlich offenbaren, daß wir völlig versöhnt sind. Ich lade Dich ein, den morgigen Tag bei Deinem wiedergefundenen Sohn zu verbringen. Tigellinus, den ich ob seiner Frechheit zu strafen gedenke, hat seit gestern Bajä verlassen. Ich habe den sonst so vortrefflichen Mann, der ja auch nur aus treuester Liebe zu mir sich vergangen hat, bis auf weiteres nach Rom geschickt, wo er die Arbeitslast des würdigen Seneca ein wenig erleichtern mag.

Antworte mir durch den Sklaven, der dies Schreiben Dir überbringt! Ich hoffe, Du schlägst mir meine Bitte nicht ab. Auf Wiedersehen, vielteure Mutter! Gehab Dich wohl!«

Nero blickte fragend zu Tigellinus auf. Dieser jedoch bat ihn dringend, keinerlei Auskunft zu heischen.

Schwer seufzend ging der Cäsar ans Werk. Nachdem er die Abschrift vollendet, begab er sich hastig ins Frigidarium. Die Stirn glühte ihm: das quellfrische Bad sollte ihm wohlthun.

Inzwischen sandte der siegesgewisse Agrigentiner den Brief durch einen reitenden Boten nach Bauli.

Schon zur Stunde der Coena kam die Antwort zurück.

Die Kaiserin schrieb:

»Agrippina ihrem geliebten Sohn Claudius Nero.

Deine Zeilen hab' ich erhalten. Ich entnahm daraus die erquickliche Kunde von der längst erwarteten Sinneswandlung, die in Dir vorgegangen. –

Daß Du den Tigellinus entfernt hast, erscheint mir ebenso weise als rücksichtsvoll. Dieser Mensch – darüber möcht' ich Dir jeden Zweifel benehmen – hegt keinerlei Freundschaft für Dich. Er schmeichelt Dir aus ganz gewöhnlichem Eigennutz. Er will Dich beherrschen, um Dich hinterher auszubeuten. Ich dagegen, wenn ich Dich lenken und leiten wollte, ich, Deine Mutter, verfolgte dabei den einzigen Zweck, der mir von Anbeginn vor der Seele stand: Dein Glück, Deine Größe und die dauernde Festigung Deiner Herrschaft. Sich der Mutter zu fügen – (wie viel hundertmal hab' ich Dir das betont!) – kann sogar den Heroen und Halbgöttern nicht zur Schande gereichen. Der alles zermalmende Coriolanus zog mit dem Heere von Rom ab, weil seine Mutter ihm ins Gewissen sprach.

Genug. Ich komme also, und zwar – was soll ich's verhehlen? – mit großer Freude.

Sorge dafür, daß wir anfangs allein sind! Wir müssen uns aussprechen.

Wenn das Wetter sich einigermaßen hält, komm' ich zu Schiff. Eine Stunde nach Sonnenaufgang denk' ich dort anzulangen. Es begleitet mich nur Acerronia nebst einigen Sklavinnen.

Bleibe gesund!«

Tigellinus, der das Billet Agrippinas eröffnet hatte, nickte stumm vor sich hin. Er begab sich sofort zu Poppäa, wo der Flottenbefehlshaber Anicetus bereits auf ihn harrte.

Als er, das bläulich getönte Papyrusblatt in der Linken, über die Schwelle schritt, fuhren die beiden giererfüllt aus den Sesseln empor und starrten ihn an, wie ein Gespenst. Auch die Phönicierin Hasdra, die an dem fürchterlichen Geheimnis teil hatte, zuckte zusammen, und wühlte die nachtschwarzen Augensterne tief in das Antlitz des Agrigentiners.

»Hier!« flüsterte Tigellinus lächelnd. Die Aufgeregtheit seiner Genossen ergötzte ihn.

Nachdem Poppäa und Anicetus von dem Inhalt des Schreibens Kenntnis genommen, ward der Beschluß gefaßt, dem Kaiser den Brief vorzuenthalten, da der verständige und glaubhafte Ton, den sie anschlug, gefährlich sei.

»Wenn sie erst hier ist,« sagte Poppäa, »will ich schon dafür einstehen, daß die Wirkung selbst ihrer zärtlichsten Schmeichelworte nicht vorhält. So aber, wenn er das läse, was sie so schlau ihm gedrechselt hat, möchte er's breit überlegen und seinen Bedenken Raum geben.«

»Wohl gesprochen,« nickte der Agrigentiner. »Die Sache liegt gerade so knapp leidlich: ein bloßer Aufschub kann uns verderblich werden. Agrippina ist unablässig am Werke. Gibt man ihr Zeit, so glückt's der alten Schlange vielleicht doch noch einmal, sich emporzuringeln.«

»Das verhüte mein Glücksstern!« seufzte Poppäa. »Ich empfinde bei diesem Gedanken wirkliche Todesangst.«

»Ich für mein Teil,« sagte der Agrigentiner, »fürchte sie weniger als ich sie hasse. Auch steht meine Eitelkeit auf dem Spiele. Ich kann und darf nicht besiegt werden.«

»Nein, du darfst nicht, erlauchter Herr!« zischelte Hasdra, die Hände reibend. »Sie hält sich für eine Göttin. Zeige ihr, daß sie sterblich ist! Töte sie, und mit Wonne will ich den Staub küssen, den deine Sohle getreten!«

»Höre ich recht,« sagte der Flottenbefehlshaber Anicetus. »Du bist nicht nur das treugehorsame Werkzeug deiner Gebieterin, sondern du selber hast Gefühle der Feindschaft?«

»Ja, Herr!«

»Aber weshalb?«

»Kanntest du nicht Pharax, den Militärtribunen? Da er noch einfacher Prätorianer war, liebte er mich. Spotte nur, Tigellinus! Auch Hasdra, die Unschöne, die euch allen mißfällt, ist wirklich geliebt worden. Die große Buhlerin aber hat mir ihn weggelockt . . . Ach, könnt' ich ihr nur ein einziges Mal an die lüsterne, schändliche, frechverlogene Gurgel!«

Sie ballte die Faust in der Richtung von Bauli. Ihre Züge verzerrten sich; hinter den halbgeöffneten Lippen blitzten die fest aufeinandergepreßten Zähne, – weiß und scharf wie die eines Schakals.

Der elementare Ausbruch dieses rasenden Hasses wirkte auf Poppäa verblüffend.

»Beruhige dich!« sagte sie huldvoll. »Agrippina wird sterben, auch ohne daß du mit Hand anlegst. Schäme dich doch! Du weinst?«

»O nein! Ich weine nicht mehr. Das hab' ich seit lange verlernt. Nur die Wut macht mir die Augen feucht. Ach, die herzzerfressende Wut!« . . .

Nero hatte indes, nachdem er das Bad verlassen, einsam in der Kühle der Exedra auf den Polstern gelegen, und bald die marmornen Standbilder in den braunroten Blenden gemustert, bald einige Schriftstücke durchblättert, die ihm vor kurzem durch einen der palatinischen Eilboten zugestellt worden waren. Die Tagesberichte des Seneca und des Burrus hatte er nur leicht überflogen, obgleich namentlich die Epistel des letzteren Dinge enthielt, die nicht ohne Bedeutung schienen. Burrus meldete die erfolgte Verhaftung zweier Tribunen, die sich verschworen hatten, den Kaiser und Poppäa Sabina zu töten. Nach ihren Gründen befragt, hatten sie trotzig geantwortet: »Unsre Schwerter sollten die edle Octavia rächen!«

Eine Minute lang hatte der Kaiser über den Zwischenfall nachgedacht. Seine Empfindungen gipfelten in dem Satze: »Um Octavias willen regt sich die Mordlust: also Octavia bedroht meine Sicherheit!«

Dann aber schlug er sich diesen Gedanken und die daraus quellende jähe Verbitterung rasch aus dem Sinne. Weit mehr, als alle Berichte des Burrus über noch so unverhoffte Begebnisse interessierte ihn die Zuschrift des Phaon, den er als Oberverwalter der Hofburg in Rom zurückgelassen.

Phaon überschickte ihm nämlich den Plan und den Kostenanschlag für ein neues üppiges Landhaus, das auf der Höhe des Hügelkammes zwischen Bajä und Cumä erbaut werden sollte, – ein funkelndes Zeugnis für die Verschwendungswut und das nachgerade persisch gewordene Luxusbedürfnis des Imperators.

Das war binnen weniger Monate schon der fünfte Monumentalbau, den der Kaiser für seine eigene Person hatte entwerfen lassen. Zwei der Prunkhäuser standen bereits vollendet; denn die Sklaven und Arbeiter, die unter dem Oberbefehle der Architekten, Maler und Bildhauer bei Tag und bei Nacht auf den Beinen waren, bildeten eine Armee . . .

»Entzückend!« murmelte Nero, sich von neuem in die Einzelheiten vertiefend. »Beim Zeus, das nenne ich doch Verständnis für die Lebensanschauung des Weltbeherrschers! Allerdings – die Kosten stehen im Verhältnis zur Ausstattung! Neunhundert Millionen! Ich zweifle sehr, ob einst Semiramis so fürstlich gewohnt hat. Neunhundert Millionen! Geld genug, um ganz Alexandria in alle Ewigkeit von Steuer und Last zu befreien!«

Er stützte den Kopf in die Hand. »Für wen säest du also, keuchender Landmann im Delta des Nils? Für wen jagst du mit Gefahr deines erbärmlichen Daseins den Löwen, knochiger Mauretanier? Für wen züchtet ihr eure prächtigen Rinderherden, ihr schmutzigen Ansiedler des blauen Danubius? Und ihr in Südhispanien und Kappadocien die feurigen Rosse? Für mich, den Cäsar, dem ihr noch danken müßt, wenn er euch so viel beläßt, damit ihr nicht Hungers sterbt, und weiter säen, weiter jagen und züchten könnt! Ein herrliches, ein olympisches Hochgefühl! Wenn dieser Taumel mich packt, dann sinkt die Erde spurlos vor mir hinab; dann fühle ich, daß der Cäsar höher steht als das Fatum. Raubt mir doch, was ich liebe: es ist ein flüchtiger Tautropfen! Was ich aber beherrsche, was ich zerstäuben kann, das ist ein unerschöpfliches Meer, ein Ozean winselnder, elender Kreaturen!«

Er starrte verzückt nach der holzgeschnitzten Decke empor, als gewahre er durch das schönverschränkte Gebälk die Unendlichkeit des entgötterten Himmels, für die nur ein erlauchter Gast noch bestimmt war: er selbst!

So fand ihn sein Adjutant Tigellinus.

»Herr,« sprach er im Tone einer geschäftlichen Mitteilung, »morgen in aller Frühe wird Agrippina hier eintreffen.«

»Ich wußte es,« sagte der Kaiser zerstreut. »Wo Claudius Nero befiehlt, da gehorcht selbst die Trotzigste unter den Trotzigen.«

»Nennst du das ernstlich einen Befehl, was in so schmeichlerischen Ausdrücken abgefaßt war?«

Nero fuhr sich über die Stirn. »Ja, ich entsinne mich,« sprach er, als ob er nun plötzlich aus weltfernen Illusionen zur Wirklichkeit heimkehre. »Ja, ich bat, ich, der ich doch mit dem Blick meines Auges die ewige Roma zertrümmere! Aber du selber hast Schuld daran. Ich habe nur nachgeschrieben, was du mir vorgelegt.«

»Mit gutem Bedacht, Herr! Mein Bote vermeldet mir, Agrippina sei überglücklich gewesen, und so erregt, daß sie zur schriftlichen Antwort nicht Zeit gefunden. Sie läßt dir hundert zärtliche Grüße entbieten, denn sie glaubt dich zu deiner früheren Demut völlig zurückbekehrt.«

»Demut!« rief Nero hohnlachend. »Sie sollte doch wissen . . .! Demut! Ich, ich, der Cäsar!«

Er sprang empor und schritt ein paarmal tief nachdenklich auf und nieder. »Verzeih!« sagte er endlich. »Deine Hand, Tigellinus! Du bist einer von den wenigen Sterblichen, denen ich gern und aus innigstem Herzen danke. Ich war nicht ganz bei der Sache. Die Berichte des Phaon – ich wollte sagen: des Burrus . . . Hier: lies selbst! Also sie kommt? Und was hab' ich nun weiter zu thun, da ich dir doch gelobt habe . . .?«

»Wir besprechen das noch,« unterbrach ihn der Adjutant. »Du scheinst seltsam erschüttert. Was dir Burrus da meldet, hörte ich schon durch Poppäa. Sie weiß alles, diese Perle der Frauen. Die zwei meuterischen Tribunen, die er entwaffnet hat, sind durch Agrippina erkauft gewesen.«

»Wer sagt das?«

»Poppäa. Und sie wird dir's nächstens beweisen. Sprich nur jetzt nicht davon! Sie könnte sich aufregen, und wir müssen doch frisch und elastisch sein, wenn es nun gilt.«

»Du hast recht, Tigellinus! Sie muß geschont werden. Zumal jetzt, da sie die Aussicht hat . . . mir ein Kind zu schenken.«

»Cäsar, mein Freund!« stammelte Tigellinus bewegt, als hätte er nicht schon längst um dieses Geheimnis gewußt. »Deine süße Poppäa . . .? O, du seliger, du dreimal seliger Fürst! Nun hab' ich die volle Bürgschaft, daß alles gut geht. Das Kind des Kaisers liegt am Herzen der Götter. Noch einen Tag, – und Nero wird endlich von der giftgeschwollenen Natter befreit sein, die unablässig sein teures Haupt bedroht. Geh, mein Claudius! Speise mit deiner Poppäa! Bleib für heute mit ihr allein! So beruhigst du dich. So stählst du dein Herz und das ihre für die letzte entscheidende Fehde. Sei glücklich, Cäsar! Tigellinus wird für dich arbeiten.«


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