Ernst Eckstein
Nero
Ernst Eckstein

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Dreizehntes Kapitel.

Die vier Lusitanier hatten im Ostium ihre Hornlaternen entzündet. Einige Sklaven folgten mit schmalen, hochaufragenden Fackeln.

Die endlose Via Appia, die nach einigen hundert Schritten erreicht war, lag schweigend in ihrer magischen Dämmerung. Milchweiß geballte Wolken, vom Schimmer des Mondes nur an ihren dünneren Schichten durchdrungen, überschwemmten das Himmelsgewölbe. Rechts und links ragten die Grabmäler vor den Landhäusern auf, – düstere Mahnungen an die Vergänglichkeit alles Schönen, an das Recht des Genusses, an die unveräußerlichen Rechte der Leidenschaft. – In der Ferne, jenseits des Tibers, stieg, wie ein seltsames Wrack in dem versteinerten Meere, das den Cäsar auf seiner nächtlichen Fahrt hier umflimmerte, der Berg Janiculus auf, der Stolze, Trotzige, der allein erhaben schien über den elegischen Schauern dieser dämmernden Mondnacht.

Rechts am Eingang der Via Sacra traf man die Leibwache, die der Cäsar zum Beginn der ersten Vigilie dorthinbestellt hatte.

Die Prätorianer schlossen sich lautlos der Sänfte an.

Zehn Minuten später hielt das fürstliche Tragbett vor dem fackelerhellten Vestibulum des Kaiserpalastes.

Seneca, der den Herrscher für heute abend zu einer wichtigen Besprechung erwartet hatte, eilte mit großer Hast auf ihn zu.

Nero wies ihn ungeduldig zurück.

»Alles Ernste auf morgen! Ich habe noch einige spaßhafte Privatangelegenheiten zu ordnen. Wo ist Octavia? Und wo die Kaiserin-Mutter?«

Seneca drapierte sich vornehm in seine Toga.

»Die Gattin des Imperators,« sagte er starr und förmlich, »verweilt, wie ich annehmen darf, noch im Oecus bei der Kaiserin-Mutter. Wünscht mein Kaiser die beiden erlauchten Frauen zu sprechen? Es ist schon spät, – und ich fürchte, Agrippina ist sehr ermüdet. Nur der Wunsch der Octavia, die heute eigentümlich erregt schien, ließ sie einige Stunden länger wach bleiben, als gewöhnlich.«

»Verehrungswürdiger Meister,« murmelte Nero, von Groll erfüllt, »sei so gut und präge dir die Thatsache ein, daß es niemals ein Ungewöhnliches ist, wenn der Kaiser gelegentlich auf sich warten läßt. Bis heute geschah es zwei oder dreimal; es wird sich noch oft ereignen, ohne daß mir's genehm wäre, selbst von dir, den ich so hoch schätze, heimliche Andeutungen der Mißbilligung zu erfahren. Beim Herkules, ich staune, wie weit es mit mir gekommen ist! Darf sich Claudius Nero etwa geringere Freiheit verstatten, als der Sohn eines Emporkömmlings, dem das leidige Gold in den Senat verhalf?«

Diese etwas ungestüme Erwiderung war aus Rücksicht auf den verdienten Lehrer und Staatsminister in griechischer Sprache erteilt worden.

»Herr und Cäsar,« stammelte Seneca in demselben Idiom, »du verzeihst . . .«

»Laß jetzt die Redensarten, würdiger Seneca! Soll ich dir Dank wissen, so sorge für meine alsbaldige Anmeldung! Beide Frauen wünsch' ich zu sprechen, und zwar beide gleichzeitig. Octavia möge daher geruhen, auf keinen Fall, wie dies neuerdings ihre Art ist, durch eine Seitenthür zu verschwinden, sobald ihr Gemahl durch die Hauptthüre eintritt.«

Der Staatsminister senkte das Haupt und schritt eilig durch das halberleuchtete Atrium, – die Linke unter den Falten der Toga, in der Rechten die fest aufeinander gepreßten Schriftstücke.

»Ich erwarte dich später in meinem Studiergemach,« sagte der Kaiser zu Seneca, als dieser – geradezu außer sich über die Rolle, die man ihm zugeteilt – nach Erledigung seines Auftrages wieder zurückkam. »Ich bin aufgeregt, teurer Meister, namenlos aufgeregt. Vergib mir, wenn ich dir schroffer begegnet bin, als meine Ehrfurcht vor deinem lorbeergekrönten Haupt dies erheischt hätte. Weißt du, was vorgegangen?«

Seneca zuckte die Achseln.

»Ich ahne es, aber ich darf dich versichern: meine Hände sind nicht im Spiel gewesen. Ich weiß, mit der Leidenschaft ist nicht zu rechten: nur einige Rücksichten darf man ihr zumuten. Daß du nun heute, an eurem Verlobungstage, so lange von Hause wegbliebst, das überschreitet, meiner Ansicht zufolge, die Grenzen, die selbst ein Cäsar zu achten hat.«

»Unser Verlobungstag!« rief Nero im Tone ehrlichster Ueberraschung. »Das wußte ich nicht. Auch hat sie keine Silbe davon geredet. Meinetwegen! Ich will nachher deine Vorwürfe ruhig mit anhören. Also auf Wiedersehen!«

So sprechend trat er über die Schwelle des großen Frauengemachs.

Octavia saß bleich wie ein Wachsbild auf dem silbernen Lehnstuhl.

Ihr Blick haftete unbeweglich an den musivischen Blumen des Fußbodens.

Auch als Nero nun prüfend in der Mitte des Zimmers stehen blieb, schaute sie nicht empor.

Agrippina dagegen schritt in wahrhaft fürstlicher Haltung von der hochgepolsterten Ottomane, wo sie geruht hatte, auf ihren Sohn zu, und wollte eben in der ihr eigenen kategorischen Weise zu reden beginnen, als Nero ihr düsteren Blickes die geöffnete Wachstafel entgegenhielt, und mit halblauter Stimme sprach: »Kaiserin Agrippina, antworte: was bedeutet diese wundersame Epistel?«

Agrippina, wie sie den Sohn hochaufgerichtet, das jugendsprühende Antlitz von edler Blässe bedeckt, so ernst, so menschlich-erhaben vor sich sah, machte unwillkürlich zwei Schritte zurück.

»Mutter,« fuhr Nero fort, »leugnest du die Urheberschaft? Ich sehe, daß Octavia um die Angelegenheit weiß: sonst würde sie mich begrüßen, anstatt wie die liebesfeindliche Daphne mit beiden Füßen im Boden zu wurzeln. Also mag's auch in ihrer Gegenwart ruhig erörtert werden. Nochmals: wer hat die Zeilen hier in das Wachs gegraben?«

»Ich,« versetzte die Kaiserin-Mutter, die Arme kaltblütig unter dem Busen kreuzend.

»So gestatte mir die Bemerkung, daß du in dieser Zuschrift Töne anschlägst, die ich zu hören weder gewohnt noch gewillt bin.«

»Galten sie etwa dir?« fragte Agrippina spöttisch. »Konnte ich ahnen, daß diese Tafel dem Imperator in die Hand fallen würde?«

»Das konntest du nicht, – aber ich danke dem Schicksal, daß ich im richtigen Augenblicke zur Stelle war. Das arme Kind hätte sich doch am Ende verblüffen lassen. Wisse denn, Mutter, daß dein geheimer Sendbote die sehnlichst erhofften Worte ›Ich werde reisen‹ niemals vernehmen wird. Ich, der Kaiser, habe Befehl erteilt, dem Burschen, falls er zudringlich werden sollte, so die Wege zu weisen, wie das Gesetz dies jedem römischen Bürger, ja dem Fremdling gestattet . . .«

»Du hättest gewagt . . .«

»Ich hab' es gewagt, Mutter, und da es denn doch einmal zur Sprache gekommen, so sag' ich's auch dir, Octavia! Seit lange bist du ja doch nur dem Namen nach meine Gattin. Wie also kann es dich kränken, wenn ich einem so holden, zauberhaften Geschöpf das widme, was die stolze Octavia verschmäht: die ganze Glut meines liebebedürftigen Herzens? Jede Rücksicht, die ich der Kaiserin schulde, wird ja gewahrt. Meine Vertrauten sind die Verschwiegenheit selber. Prunklos und ohne Glanz betret' ich das stille Haus, wo ich glücklich sein darf, namenlos glücklich, während ich hier nur starren Formen begegne, kalter Gefühllosigkeit, trostloser Oede. Ich mache dir keine Vorwürfe, gute Octavia! Du bist wie du bist. Aber nun fleh' ich dich an, laß auch mich sein, wie der Schoß der Natur mich geschaffen hat! Laß mich lieben, da du nur denken, Pflichten erfüllen und deinen Göttern gehorchen kannst!«

»Unglücklicher!« versetzte die Kaiserin-Mutter, während Octavia, ohne nur mit der Wimper zu zucken, sich abwandte. »Lohnst du mir so, was ich für dich und deine Zukunft gethan habe?«

Sie packte ihn mit der Faust über dem Knöchel der rechten Hand und zog ihn mit der Leidenschaftlichkeit einer Mänade in die entlegenste Ecke.

»Glaubst du etwa,« fuhr sie mit flüsternder Stimme fort, denn sie wollte Octavia, ihre Bundesgenossin, schonen – »glaubst du etwa, es habe mir Vergnügen bereitet, den Vater Octavias zum Manne zu nehmen? Claudius war ein Scheusal, hörst du, ein Scheusal, – ein Stubengelehrter, voll von litterarischen Narrenspossen, ein Laffe, der neue Buchstaben erfand, während das römische Volk ihn weidlich auslachte als den Tölpel der Messalina. Diesen Claudius hab' ich nach dem Tod Messalinas geheiratet; ich wurde Kaiserin, – den Ekel im Herzen und nur aufrecht erhalten durch den einen Gedanken: dein Sohn wird vielleicht dereinst zur Herrschaft gelangen . . .«

»Mutter . . .«

»Schweig! Es ist so! Und hiernach – was hab' ich gethan? Jahre hindurch bin ich dem Kaiser Claudius in den Ohren gelegen, den Britannicus von der Thronfolge auszuschließen, und nicht eher hab' ich geruht, bis der halsstarrige Imperator einwilligte und mit Umgehung seines leiblichen Sohnes dich, seinen Stiefsohn, zum Kronprinzen proklamierte!«

»Ich bitte dich, Mutter, wozu das alles?«

»Dabei war nur eine Bedingung: die Heirat mit Octavia, der Tochter des Claudius. Wir gingen sie ein, – denn niemals war eine Tochter ihren Eltern so unähnlich wie Octavia. Höchstens die Schönheit hatte sie von der unseligen Messalina. Sonst aber: beim Jupiter, in ganz Rom gibt es kein Weib, das deiner Octavia an Tugend, Edelsinn und züchtigem Wesen gliche, – und die Hirnlosigkeit des Claudius ist spurlos an ihr vorüber gegangen. Nach dem Tode des Claudius konntest du, wenn es dir absolut unerträglich schien, die feierlich begangene Verlobung lösen. Jetzt ist Octavia dein Weib. Sie liebt dich; sie entstammt einem der ersten Geschlechter des Hochadels; – und kurz und gut: du entehrst dich, wenn du sie in so frecher Weise verletzest und Liebschaften anknüpfst mit einer hergelaufenen schamlosen Dirne.«

»Deine Rede ist herb!« rief Nero, sich mit einem kräftigen Rucke losreißend. »Dank es den Göttern, daß du die Mutter des Mannes bist, dessen Liebstes du so maßlos beschimpfst!«

»Ich habe ein Recht dazu. Oder bist du im stande, dich rein zu waschen?«

»Ja, Mutter. Mit einem einzigen Worte. Ich kann ohne Acte nicht leben.«

»Ein Narr bist du und ein Taugenichts. Ich wiederhole dir: hast du denn alles vergessen, – meine Opfer und Anstrengungen, meine unablässige Fürsorge . . .?«

»Ich weiß seit einiger Zeit, daß der Eifer, mit dem du gestrebt hast, vor allem dir selber galt. Die Mutter eines Imperators zu heißen, in seinem Namen zu herrschen, ihn stets zu gängeln wie ein unmündiges Kind, das war der Traum, der dir vorschwebte!«

»Wer sagt das?« rief sie empört.

»Das haben mir Männer gesagt, die jeder Lüge unfähig sind. Ich selber verspüre ja die Wirkungen dieses Traumes. Gleichviel: du bist meine Mutter, und so hab' ich denn, oft gegen meine bessere Ueberzeugung, alles ertragen. Jeden harmlosen Anlauf zur Selbständigkeit hab' ich sofort unterdrückt, wenn ich gewahrte, daß ich dir Schmerz bereitete. Jetzt aber drängst du dich mit deiner Gewalttätigkeit in Bereiche, wo kein andrer gebietet, als Nero allein, wo kein Vorwurf ihn hemmen, keine Rücksicht ihn aufhalten wird.«

»Du sprichst wie ein Sinnloser.«

»Es scheint so, aber ich weiß genau, was ich will. Zerreißen will ich den Strick, den du mir um den Hals geworfen, – ein für allemal! Auch die arme Octavia leidet unter der furchtbaren Obmacht deiner eisernen Willenskraft. Diese Obmacht hat uns zur Heirat veranlaßt, – aber sie kann uns nicht zwingen, Liebe für einander zu fühlen, oder nur zu erheucheln . . .«

»Knabe, was soll das?«

»Du hast zu wählen, Mutter! Entweder schwörst du mir bei Jupiter, dem Rächer der Meineide, daß du mein teures Kleinod – die ehemalige Sklavin, wie du sie nennst – fürder in Frieden lässest, oder noch heute ist es zu Ende mit deinem rechtswidrigen Einfluß auf die Regierungsgeschäfte. Ich werde dann nicht fernerhin dulden, daß du mit Seneca über die Zukunft der Rheinprovinzen oder mit Burrus über die Vorkommnisse in der Kaserne der Prätorianer verhandelst. Ich habe Männer zur Hand, die mir droben im Senate ihr Wort, auf der Straße ihr gutes Schwert zur Verfügung stellen, wenn es zur Fehde kommt.«

»Thorheit!« lächelte Agrippina mit erkünsteltem Gleichmut.

Sie war blaß geworden bei dieser ungewohnten Sprache des Sohnes; aller Selbstbeherrschung bedurfte sie, um ihre tiefe Erregung nicht merken zu lassen.

»Ich bitte dich nochmals: wähle!« heischte Nero voll Ungeduld.

Agrippina, wieder gefaßt, trat auf ihn zu, fuhr ihm wie beschwichtigend über die glühende Wange, und sagte dann mit dem sanftstrafenden Blick einer betrübten Mutter: »Wie du dich aufregst, und da Worte redest so ganz ohne Sinn! Was ist Nero denn ohne die Mutter, die ihn zur Herrschaft emporgeleitet? Sieh mal: Burrus mit seinen Prätorianern ist mir geradezu blindlings ergeben . . .«

»Was?« fuhr Nero empor.

»Geradezu blindlings!« wiederholte sie mit ruhiger Bestimmtheit.

Nero zuckte die Achseln.

»Wie verkennst du das römische Volk und die Krieger der Leibwache! Solange Nero als dein gefügiger Sohn galt, – wohl! Ganz Rom wußte ja, wie treu ich dir anhing; also hieß dir gehorchen auch mir gehorchen. Sollte sich aber, was das Schicksal verhüten möge, je eine Kluft zwischen uns aufthun, – hörst du, Kaiserin Agrippina? – so werden sich unsre Soldaten erinnern, wem sie den Eid geleistet, – dir oder mir!«

»Streiten wir nicht!« sagte Octavia, zum erstenmal das Wort ergreifend. »Ich erwarte hier weder Drohungen noch rhetorische Phrasen, sondern ganz ohne Umschweif einen entscheidenden Abschluß. Hast du denn keine Empfindung für die entsetzliche Schmach, die du uns anthust? Nero, der Imperator, der Gatte Octavias, liebt eine niedrig geborene Magd . . .!«

»Ich darf dir bekennen,« sagte der Kaiser in herber Verbitterung, »daß diese niedrig geborene Magd wenigstens eins versteht, was vielen sehr hochgeborenen Damen des senatorischen Standes abgeht: zu lieben und glücklich zu machen . . .«

Octavia war nicht länger im stande, ihn anzuhören.

Schweigend erhob sie sich und verließ das Gemach, um ihr Cubiculum zu erreichen, wo sie erschöpft von den unbeschreiblichen Aufregungen der letzten Wochen haltlos zusammenbrach.

»Es ist gut, daß sie gegangen ist,« hub Agrippina wiederum an. »Was ich dir sagen wollte, war in der That kaum verträglich mit ihrer Gegenwart.«

»Du machst mich neugierig.«

»Ich will frank sein und gleich mit der Thüre ins Hans fallen. Wisse, mein Sohn, daß ich weniger deine Treulosigkeit schimpflich finde, als die grenzenlose Verirrung in der Art deines Auftretens. Es mag ja sein, daß unsre Voraussetzungen betreffs der guten Octavia falsch waren; daß ihr beide mit aller Anstrengung nicht auf die gleich Tonart zu stimmen seid. Meinetwegen suche dir für den Mißgriff, den ihr begangen, frohe Entschädigung: nur verwandle nicht eine flüchtige Laune in ein offenes Verhältnis. Du wirst mir einräumen, es war geradezu frech, mit dieser . . . Acte vor aller Augen dich im Marsfeld herumzutreiben.«

»Mutter!« rief Claudius Nero empört . . .

»Laß mich ausreden! Ich gehe noch weiter. Hättest du eine Liebschaft mit Septimia oder mit sonst einer Dame des ersten Standes: ich wollte ein Auge zudrücken. Der Cäsar ist schließlich der Cäsar, und tausend andre, ohne das Vorrecht des Prinzipats, betreiben dasselbe. Daß du jedoch mit der Freigelassenen des Nicodemus diese abgeschmackte Idylle spielst, ihr zärtliche Lieder singst, ihr zu Füßen kauerst, und dich so dem ungestümsten Gelächter aller gebildeten Menschen preisgibst, das ist deiner nicht würdig und, bei den Göttern, meiner noch weniger!«

»Mutter, wenn du sähest, wenn du gewahrtest, wie ihr im Auge die reinste, vornehmste Seele strahlt, wenn du sie reden hörtest, so klug, so verständig . . .«

»Es ist zum Tollwerden!« unterbrach ihn die Kaiserin-Mutter. »Ich wiederhole dir: und wenn sie noch so verlockend ist, du hast gehandelt wie ein alberner Schulbube! ›Das reizende Blümchen!‹ Gut, so pflücke sie doch wie ein Wanderer die Heckenrose! ›Ein Spaß,‹ hätte man dann gesagt, ›ein Abenteuer im Stile des Zeus, der ja auch zuweilen vom Göttersitze herniederstieg, um eine Sterbliche zu erobern!‹ So aber gründest du deiner Geliebten ein förmliches Heim, gibst ihr Sklavinnen, als ob sie gewohnt wäre, eine Dienerschaft zu befehligen, sinnst und trachtest nichts andres als ihre Gunst, überschüttest sie tagtäglich mit Veilchen und Rosen; kurz du gebärdest dich wie ein fanatischer Isispriester vor dem Standbild seiner allmächtigen Göttin. Ihr freilich, der eingebildeten Puppe, mag es behagen, sich so plötzlich von Reichtum und Glanz überflutet zu sehen . . .«

»Halt!« fiel der Sohn ins Wort. »Verdächtige wenigstens nicht die Selbstlosigkeit ihrer Neigung. Mit dem niedrigsten Obdach im Quartiere der Schiffsknechte hätte sie freudig fürlieb genommen: aber ich zwang ihr das alles auf, weil ich der Meinung bin, daß nichts in der Welt zu gut für sie ist; und ferner, weil die Herzallerliebste des Kaisers wohnen soll, wie eine Kaiserin . . .«

Es war zum Teil Rebellion und prahlerischer Trotz, was aus dieser Rede des Imperators herausklang; denn in Wirklichkeit war ja die Villa der Acte ein zwar reizendes, aber durchaus nicht etwa verschwenderisches, oder selbst nur künstlerisch ausgezeichnetes Bauwerk.

»Die Herzallerliebste!« spöttelte Agrippina . . .

»Die Braut, wenn dir das besser behagt. Ich betrachte sie so, da ja die unglückselige Lage der Dinge mir nicht gestattet, ›Gemahlin‹ zu sagen.«

»Knabe! Bist du gehirnkrank?«

»Nicht daß ich wüßte. Aber ich schwöre dir, wenn ich nicht durch die feierlichste Form der Vermählung, die uns von den Altvordern überkommen ist, an Octavia gleichsam geschmiedet wäre, so würde die himmlische Acte, dem ganzen Hochadel der weltbeherrschenden Roma zum Trotz, meine allgebietende Kaiserin.«

Agrippina lachte verzweiflungsvoll auf. Mit krampfhaft verschränkten Armen schritt sie keuchend durch das Gemach.

»Eine Dirne auf dem Thron des Augustus!« rief sie plötzlich, die Hände ringend. »Der bloße Gedanke ist ein Verbrechen am Staat, ein bübischer Faustschlag in das Gesicht deiner Mutter.«

»Beruhige dich doch! Einstweilen ist ja nicht die geringste Aussicht vorhanden. Aber wenn es geschähe, so fordere mir doch ja keine Antwort auf die Frage heraus: Welche Kaiserin vor der himmlischen Acte die Krone denn mehr verdient hätte, als sie, die Einzige, Unvergleichliche!«

»Die Sklavin!« ächzte und jammerte Agrippina.

»Was willst du damit? Bist du noch gar so umnachtet, um nichts zu verspüren von dem gewaltigen Hauche, der, ein geistiger Frühlingssturm, die Welt durchdringt von Syrien bis Lusitanien . . .? Oder stehe nur ich so hoch, daß ich von dem ahnungsvollen, göttlichen Wehen berührt werde? Nicht umsonst hat Seneca mir die Lehre ins Herz geträufelt, daß alle Menschen von der Natur ebenbürtig, daß der Unterschied zwischen hoch und niedrig ein erkünstelter ist, daß die vermeintlichen Rechte der Großen nur in ihrer trotzigen Willkür und Macht beruhen.«

Agrippina schäumte.

»Wann jemals hätte Seneca solchen Wahnsinn gepredigt?«

»Tagtäglich, – seit ich ihn kenne.«

»So muß er beseitigt werden. Der verwerfliche Unmensch! Ich hielt seine Lehren für gut, dieweil sie dich zum gehorsamen, liebenden Sohn machten. Jetzt aber – hinweg mit dem gauklerischen Sophisten!«

»Mutter,« begann Nero nach einer langen Pause, »wenn Seneca dein Mißfallen erregt, so will ich ihn seiner Stellung entheben. Er ist Philosoph genug, um das Palatium entbehren zu können. Hast du sonst noch Wünsche: sie sind mir Befehle. Nur das eine erwarte nicht: daß ich Acte im Stich lasse! Merk' ich noch das geringste von einer Befehdung, so werb' ich ihr eine eigene germanische Leibwache.«

Agrippina zuckte zusammen. Es war, als blitzte ihr jählings ein Gedanke durchs Hirn, der ihr den Sieg verheiße.

Eine Zeit lang senkte sie ihre Augen zu Boden.

Dann sagte sie sanftmütig: »Rede mir, teurer Knabe! Ist das alles nur ein Zug jener Halsstarrigkeit, die du von deinem Vater Domitius Aënobarbus ererbt und bis heute zurückgedrängt hast? Oder liebst du das Mädchen wirklich?«

»Ich liebe sie wie nichts auf der Welt.«

»Nun denn, so liebe sie! Aber ich bitte dich, ganz im geheimen! Ich werde versuchen, ob ich die unglückliche Octavia zu trösten vermag.«

»Mutter, du machst mich selig!« rief Nero voll Leidenschaft.

Er warf sich der Kaiserin wild an die Brust und küßte ihr die fieberisch glühenden Wangen.

»Du tolles Kind,« sagte sie zärtlich. »Aber glaube doch ja nicht, daß ich nun gutheiße, was ich aus allzugroßer Schwäche geschehen lasse. Ich denke, – und das ist wirklich mein einziger Trost: die Zeit wird dich allgemach zur Vernunft bringen.«

»Denk, was du willst, und laß dir was recht Behagliches träumen! Ich bin fürchterlich abgespannt. Gute Nacht!«

Glückstrahlend eilte Nero von dannen. Im Atrium harrten bereits die Sklaven, die ihn zur Ruhe geleiten sollten.

»Alberner Knabe!« murmelte Agrippina, als der Vorhang sich hinter dem Kaiser geschlossen hatte; »mich, mich gedenkst du zu meistern? Wie ihm der Groll in den Augen flammte, als er mir drohte! Aber den Göttern sei Dank: es ist Sorge dafür getragen, daß die Gewässer nicht über den Berg fließen!«


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