Ernst Eckstein
Nero
Ernst Eckstein

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Fünfzehntes Kapitel.

Am folgenden Morgen, zwei Stunden nach Sonnenaufgang, weilte der Kaiser in seinem luftigen, springbrunngekühlten Schlafgemach, wo er mit dem nachgerade unentbehrlich gewordenen Agrigentiner ein üppiges Frühmahl genoß.

Tigellinus, der unter den Sklaven und Sklavinnen Agrippinas mehrere dienstwillige Geschöpfe erkauft hatte, die ihm alles und jedes mit großer Promptheit berichteten, wußte schon längst, was sich im Hause des Lucius Menenius ereignet hatte. Auch das zärtliche Abenteuer der Kaiserin mit dem Führer der Expedition war ihm pünktlich vermeldet worden.

»Vielteurer Cäsar,« begann er, nachdem er die letzte lucrinische Auster mit süßem Falernerweine beträufelt hatte, »hab' ich dir schon erzählt, daß Agrippina aufs neue den Arm nach dem Scepter ausstreckt?«

»Wieso?«

»Nun, seit Wochen plant sie einen Geniestreich . . . Sie möchte dir's unter die Augen reiben, daß niemand als sie allein den Scharfblick der geborenen Regentin besitzt. Du sollst erschrecken; ihre Oberhoheit wiederum anerkennen; – kurz, ihr Spielzeug werden, wie ehedem.«

»Ich verstehe dich nicht.«

»Vielteurer Cäsar, du kennst die Vergangenheit Agrippinas, – aber nicht ihre Gegenwart. Glaube mir: die Gattin des ermordeten Claudius hat nichts vergessen . . . Ich bin dein Freund, Cäsar . . . Ich fürchte, du möchtest dich aufregen, wenn du erführest . . . Gestatte mir einen Vorschlag! Wenn Agrippina jetzt eintritt – zweimal schon hat sie fragen lassen, ob du erwacht seist – so laß mich an deiner Stelle auf ihre seltsamen Heucheleien die Antwort erteilen! Du wirst dann gleichzeitig wahrnehmen, daß Tigellinus in allem, was sich aufs Wohl und Wehe des Imperators bezieht, mindestens ebensogut unterrichtet ist, als die Kaiserin-Mutter, die sich immer und immer wieder gegen dich auflehnt.«

»Ganz wie du willst. Ich vertraue dir vollständig. Aber nun sag mir, bei allen Göttern . . .«

Der Agrigentiner blinzte ihm zu. Der Sklave Cassius war eingetreten. Er meldete Agrippina.

»Mein Sohn,« hub die Fürstin nach kurzer Begrüßung an, »du weißt, es hat mir von jeher ferne gelegen, mit meinen Verdiensten vor dir und dem römischen Volke prahlen zu wollen. Dennoch muß es gesagt sein: Hielte die Mutter des Kaisers ihr vorsorgliches Auge nicht offen, so wärest du jetzt schon vielleicht ein Opfer schamloser Mordgesellen.«

Nero warf ihr einen zweifelnden Blick zu.

»Gewaltige Herrin,« lächelte Tigellinus, »ich fürchte, du versetzest den Kaiser in grundlose Aufregung. Oder irre ich, wenn ich vermute, es handle sich um die abgeschmackte Verschwörung des Lucius Menenius?«

Agrippina prallte zurück.

»Woher weißt du?«

»Man ist so ziemlich allwissend, Herrin, wo die Pflicht es erheischt. Meine Soldaten, die heute nach Sonnenaufgang die beiden Menenier in ihrer Wohnung verhaften sollten, kehrten unverrichteter Sache wieder zurück. Man hatte im Namen der Kaiserin Agrippina zur Nachtzeit Blut vergossen. Didius war tot, Lucius hinweggeschleppt. Inzwischen hat er im Kerker sich selbst entleibt. Ich bitte dich, Herrin, welche Begebnisse! Pallas hat sich augenscheinlich stark übereilt. Allzu glühend strebt er nach deiner Gunst. Jedenfalls hat Rom jetzt einen lauten Skandal zu verzeichnen, während sich sonst alles gesetzmäßig und geräuschlos entwickelt hätte.«

Die Kaiserin-Mutter war blaß geworden. Sie warf dem Agrigentiner, dessen Kniff sie durchschaute, ohne ihn doch widerlegen zu können, einen vernichtungsgierigen Blick zu.

Dann aber faßte sie sich und sprach, zu Nero gewendet: »Wie kömmt es, mein teurer Sohn, daß hier an deiner Stelle ein dritter mir antwortet?«

»Das hat vielleicht seinen Grund in der Thatsache, daß du mitunter gehandelt hast, wo ich hätte handeln sollen. Tigellinus vertritt mich.«

»Außerordentlich gnädig, wenn auch nicht ganz nach meinem Geschmack. Wenn ich den Herrn suche, so verbitt' ich mir die Bediensteten.«

Tigellinus lehnte im Vollgefühl seiner Sicherheit lächelnd an dem korinthischen Marmorpilaster. Er hatte die Toga nicht abgelegt. So glich er in seiner selbstgefälligen Stellung einem hellenischen Rhetor, der seine dankbare Zuhörerschaft durch die funkelnde Grazie seiner Antithesen ergötzt.

»Wisse,« wandte sich Nero zu Agrippina, »daß Tigellinus mein Freund, mein Berater, keineswegs aber mein Bediensteter ist.«

»Beim Styx, er scheint mir beinahe dein Herrscher zu sein! Jeglichen Einfluß auf deine Entschließungen hat er an sich gerissen, und diesem Einfluß entsprechen die kläglichen Resultate. Frage doch Rom, ob es neuerdings stolzer und glücklicher ist! Ich war nicht zaghaft in der Wahl meiner Mittel, – das bekenne ich rückhaltlos. Ich wollte eine Regierung von Stahl, eine Herrschaft der absoluten Gewalt. Nur so läßt der Aufruhr sich bändigen, die Ordnung und das öffentliche Gedeihen sich schützen. Jetzt aber, welch ein widerwärtiges Gaukelspiel der Versumpftheit! Ihr tyrannisiert, wie ihr Wettfahrten anstellt: nur des Vergnügens halber. Niedrige Günstlinge schalten mit dem Besitztum des Volkes, wie Betteljungen mit verrosteten Spielmarken. Leute, die ein gewisses Talent für die Herrichtung üppiger Festgelage besitzen, geben sich dreist für Staatsmänner aus, heben erprobte Freunde des Kaiserhauses, wie Burrus, fast aus dem Sattel und liebäugeln mit den Truppen, als gälte es, noch vor Abend die Würde des Oberbefehlshabers anzutreten. Selbst ein Seneca muß sich unter das Joch beugen. – Dabei leisten diese Schmarotzer nicht einmal das Notwendigste für deine Sicherheit. Ich, ich muß Wache halten. Und wenn ich nun komme dir zuzurufen: ›Du bist gerettet!‹ – dann tritt mir so ein . . . würdiger Tigellinus entgegen und lispelt: ›Beruhige dich! Was du gethan hast, war überflüssig! Wir hatten schon vorgebeugt . . .‹ Ich aber sage dir kurz und bündig: Er lügt! Und nochmals er lügt!«

Die dunkeln Augen des Tigellinus sprühten ihr einen Blitz unversöhnlichster Feindschaft entgegen. In der That aber nur ein Blitz. Gleich danach zeigte das schöne, verlebte Antlitz wieder die einförmige Ruhe des Höflings.

»Herrin,« begann er mit überraschender Gleichgültigkeit, »was du gesagt hast, bedaure ich. Der Mutter des Kaisers darf Tigellinus nicht antworten. Daß der Vorwurf der Lüge auf mich keine Anwendung findet, davon ist Nero durchdrungen. Alles übrige kann mir gleichgültig sein. Er ist der Herrscher. Sein Wille allein hält mich oder verstößt mich. Jetzt noch eins! Da du so gründlich über die Pläne der Rebellion unterrichtet bist, so hast du wohl auch gewußt, wer zuvörderst auf der Liste der Proskribierten stand? . . . Soll ich deinem Gedächtnis zu Hilfe kommen? Du selber, Kaiserin Agrippina, warst dieser Ehre teilhaftig, und du dankst sie dem Pharax, deinem ehemaligen Schützling. Siehst du, nun gewinnt diese sogenannte Verschwörung mit einemmal eine ganz veränderte Physiognomie. Dir selber, göttliche Agrippina, ging's an die Gurgel, – und deshalb, nur deshalb hat Pallas mit seiner hochklopfenden Männerbrust die Rolle des Schicksals gespielt. Hätte der Plan sich lediglich gegen den Kaiser gerichtet . . . mit der Nebenbestimmung, du solltest an seiner Stelle den Thron besteigen, – Pallas wäre nicht halb so eifrig ins Zeug gegangen.«

»Elender Bube!« rief Agrippina, rasend vor Leidenschaft.

Dann zum Kaiser gewendet: »Nero, mein Sohn, glaubst du denn diesem Schurken? Ich – ich . . . o es ist schauderhaft! Hab' ich in dir, meinem Abgott, nicht von jeher das Beste und Höchste geliebkost, was ich vom Leben erwartete?«

»Auch den Britannicus hast du geliebkost,« stöhnte der Imperator. »Dennoch wurdest du seine Mörderin.«

»Wer sagt das? Zeige mir den Verruchten, der so ehrlose Lügen wagt, auf daß ich ihn töten lasse!«

»Ich möchte dem Cäsar die Pein erspart wissen, die Quelle zu nennen,« flüsterte Tigellinus. »Aber wenn er sich sonst nach einer Persönlichkeit umsieht, die ihm die Wahrheit seiner Behauptung eidlich erhärten möge – wohl: ich erbiete mich.«

Agrippina war sprachlos. Händeringend sah sie sich um.

»Ist denn niemand hier im Palatium,« schrie sie endlich mit halb versagender Stimme, »der diesen Schuft da in Ketten wirft?«

»Niemand, solange mich Nero beschirmt.«

Agrippina kreuzte die Arme wild vor der Brust. Sie warf ihrem Sohn einen Blick der tiefsten Geringschätzung, der äußersten Bitternis zu.

»Das also ist der Lohn für meine thörichte, maßlose Mutterliebe!« sagte sie zitternd. »Wahnwitziger Knabe, ich rate dir: sieh dich vor! Am Ende möchtest du doch noch erleben, was Agrippina vermag, wenn sie die Muskeln strafft!«

Nero stützte die trauerumwölkte Stirn auf die Handfläche. Mit dem unbeweglichen Blick eines Visionärs starrte er bleich vor sich hin.

»Hättest du mir die eine gelassen!« sagte er tonlos. »Ach, so manches wäre besser gekommen! Acte, du unvergleichliche Tote, ist's denn der Wille des Fatums, daß ich dir ewig, ewig nachweinen soll?«

»Recht so!« höhnte ihn Agrippina. »Lottre bis tief in die Nacht mit liederlichen Gesellen und schamlosen Weibern, um dann des Morgens wehleidig und geknickt zu thun! Das ist cäsarenhaft! Das ist göttlich!«

Nero hörte nicht, was sie sprach. Um so klarer verstand sie der Agrigentiner. Mit großer Lebhaftigkeit trat er vor.

»Was verstehst du unter schamlosen Weibern?« fragte er augenrollend. »Meinst du die schönheitsstrahlende Jugend, die sich im Rausch ihrer Lebenswonne vom Weg der Tugend verirrt, oder ausgereifte Matronen – etwa in deinem Alter, wenn sie verspäteter Liebeswahnsinn aus einem Arm in den andern schleudert?«

Die Hände der Kaiserin zuckten vor ohnmächtiger, hirnzerfressender Wut. Ein Röcheln stieg ihr aus der kochenden Brust heraus, das wie der erste Ansatz zu dem Gebrüll eines reißenden Tieres klang. Es währte geraume Zeit, eh' sie im stande war sich zu regen.

»Gehab dich wohl!« rief sie dem Kaiser zu. »Ueberlege dir, was ich gesagt habe! Rette dich, eh' es zu spät ist!«

Ohne auf Tigellinus zu achten, schritt sie, das zorndurchzitterte Haupt im Nacken, majestätisch hinaus.

»Welch ein Mißgeschick!« stammelte Nero, als der bequastete Vorhang über die Thüre gefallen war. »Ehedem hab' ich sie wahrhaft geliebt. ›Der besten Mutter‹ – das war die Losung, die ich am Tag meiner Thronbesteigung den Prätorianern erteilte. Und jetzt?«

»Freilich!« seufzte der Agrigentiner. »Aber ist's deine Schuld, wenn sich dein Pietätsgefühl nach und nach abstumpfte? Sie hat's nicht besser verdient, – bei allem, was heilig ist!«

Nero seufzte tief auf.

»Sende mir meinen Cassius,« sprach er beklommen. »Er soll mich ankleiden.«

»Wie du befiehlst. Inzwischen geh' ich zu Seneca und berichte ihm. Die Untersuchung muß heute noch eingeleitet, die Sklaven und Freigelassenen des Lucius Menenius müssen verhaftet werden.«

»Meinetwegen. Nur vertagt mir um dieser Erbärmlichkeit willen den Aufbruch nach Bajä nicht! Ach, dies erquickliche, trostreiche Bajä! Immer und immer wieder lockt es die duldende Seele mit tausend Schmeicheltönen. Dort am Gestade des Golfes lebt es sich leichter, als zwischen den Mauern der Siebenhügelstadt. In Bajä vergißt man doch zuweilen das Elend, mit dem uns die Götter gestraft haben: die Qual, Mensch zu sein.«

Der Agrigentiner hatte die Unterredung mit Seneca heuchlerisch vorgeschützt. In Wahrheit begab er sich nach dem zweiten Cavädium, wo Poppäa Sabina, allen Sittenrichtern zum Trotz, ihre Wohnung genommen.

Eilig überschritt er die Marmorschwelle des himmelblau getäfelten Oecus, der so zauberisch nach athenischen Veilchen duftete.

Die Geliebte des Imperators empfing ihn mit freundschaftlicher Vertrautheit.

Man wechselte flüsternd ein paar sehr gewichtige Worte. Dann winkte Poppäa ihrer phönicischen Freigelassenen Hasdra, die seitwärts auf einem Polsterkissen gekniet und funkelnden Auges gebetet hatte.

Poppäa raunte dem Mädchen etwas ins Ohr.

Hasdra senkte die Wimpern. Sie nickte, als handle es sich um etwas längst schon Vereinbartes. Hiernach verschwand sie im Seitengemach.

Unterdessen harrte der Kaiser auf seinen Kammersklaven.

Im Anfang ohne jegliche Ungeduld. Seine Gedanken weilten noch immer bei dem, was er soeben erlebt hatte.

Dann aber plötzlich erstaunte er, daß man es wagen durfte, ihn, den Beherrscher des Weltalls, warten zu lassen, wie den Kuchenverkäufer in der Barbierstube.

Wenn er doch wollte, so waren die unvorsichtigen Sklaven, ehe der Tag verstrich, an das Kreuz genagelt!

Jetzt noch in der Vollkraft der Jugend – und gleich danach eine formlose Masse, ein Haufen abgetakelter Knochen und Muskeln, die einst gelebt hatten!

Er verfolgte diesen Gedanken weiter . . .

Nicht nur die Sklaven waren sein Spielwerk: auch sämtliche Freigeborenen; – alle Staatsbürger, alle Ritter und Senatoren, bis hinauf zu den Konsuln . . .

Welch ein sonderbares Gefühl! Er legte die Hand über die Augen, als ob ihn jählings ein Schwindel ergreife.

In der That: bei Lichte betrachtet, saß kein einziger Kopf in dem unermeßlichen Rom fest auf den dazu gehörigen Schultern. Er war vom Rumpfe getrennt, sobald es den Cäsar gelüstete, ihn herunter zu säbeln. Es bedurfte nur eines schwächlichen Vorwandes, – und die fürstliche Laune glich einem Akt des Gesetzes. An solchen Vorwänden aber wäre kein Mangel gewesen. Das Hofgesindel, das ihm zu Füßen kroch, – pah, die Schufte hätten für zehn Denare beeidigt, daß Rom ein Dorf und der Pontifex Maximus ein verkleidetes Weib sei . . .

Eine verrückte Welt, die so dem einzelnen die Macht über alle gab! Ja, über alle! Den reichsten Senator konnte er durch ein Zucken der Wimper zum Bettler machen, die tugendhafteste Gattin zur Straßendirne.

Mehr noch! Wenn's ihm beliebte, so war der niedrigste, schmutzigste Leichenträger morgen Proprätor, und die verbuhlteste Gaditanerin wandelte gleichberechtigt an der Seite der Edeldamen.

Cäsar! Das klang majestätisch, wie Jupiter!

Nicht majestätischer?

Nero hielt ja wirklich den Donnerkeil in der Faust, während Jupiter ein Gespenst war. Nero Cäsar thronte in Wahrheit über dem Weltreich; Jupiter lebte nur im Gehirne des Pöbels.

»Ja, so ist's!« klang es traumhaft von den Lippen des Imperators. »Betet um Regen, ihr armselig-dummen Kolonen, wenn euch die Sonne den Boden zu Staub verdorrt! Jupiter kann's nicht gewähren. Der Cäsar aber, wenn' s ihm genehm ist, führt euch die claudische Leitung bis zum Soracte hinaus und bespült euch die Fluren mit olympischem Nektar. Jammert um Brot, wenn die alexandrinischen Kornschiffe ausbleiben, ihr kindischen Proletarier! Jupiter läßt euch verhungern, wenn nicht der Cäsar die unermeßlichen Speicher öffnet. Wäret ihr nicht vertiert bis zur Schwachsinnigkeit, ihr müßtet begreifen, daß mir die Altäre gebühren, mir der Weihrauch und der lodernde Opferbrand.«

Er warf sich wie erschöpft auf das Lager.

In diesem Augenblick drang ein kleiner, gelenkiger Mensch, den Kopf mit einem larvenartigen Leder umwunden, pfeilgeschwind ins Gemach. Er führte, den Arm fast im Kreise bewegend, nach dem Halse des Imperators einen sausenden Dolchstoß, der unzweifelhaft tödlich gewesen wäre, wenn er sein Ziel erreicht hätte. Die übermäßige Hast mochte indes dem jugendlichen Banditen die Sicherheit rauben. Der Stoß ging fehl und bohrte sich tief in das hartgepolsterte Unterkissen.

Mit einem Schrei der Entrüstung war Nero emporgesprungen.

Das also war die Unantastbarkeit seines Göttertums?

Wie rasend stürzte er auf den Angreifer los, ihm das Handgelenk zu umspannen. Der Bursche aber war flink wie ein Iltis. Die Waffe zurücklassend, huschte er durch die Thüre. Als Nero ihm nach wollte, stieß er mit Tigellinus zusammen. Gleich danach erschienen die Kammersklaven.

»Ihr Schufte!« herrschte Nero die Sklaven an. »Soll ich euch bei lebendigem Leibe zersägen lassen? Während ihr draußen im Winkel hockt und sauft oder Würfel spielt, laßt ihr's geschehen, daß euer Gebieter von Meuchelmördern bedroht wird!«

Die Leute zuckten zusammen.

»Das wolle Jupiter von dir abwenden!«

»Jupiter! Was frommt mir Jupiter gegen die Dolche der Niedertracht! Wäret ihr zur Stelle gewesen, wie eure Pflicht es gebot, so hätte der Majestätsverbrecher seine Missethat überhaupt nicht versuchen können.«

»Herr,« stammelte Cassius, »zweifle nicht, daß wir alle bereit sind, unser Herzblut für dich zu verspritzen! Aber die Kaiserin-Mutter hielt uns zurück. Sie wollte uns Aufträge geben – und muß dann vergessen haben, daß wir noch wartend unter den Säulen standen . . .«

»Aufträge . . .« stammelte Tigellinus. Er bückte sich und hob den dreikantigen Dolch des Banditen vom Teppich auf. In seinen Gesichtszügen malte sich ein heftiger, fast theatralischer Schreck.

»Cäsar, mein angebeteter Freund!« raunte er in höchster Verwirrung.

Dann zu den Sklaven: »Geht! Heißt das römische Volk Opfer entzünden zum Dank für die Rettung unseres glorreichen Imperators! Geht, geht! Ich selber werde dem Kaiser behilflich sein.«

Die Sklaven entfernten sich.

Tigellinus warf sich vor der löwenfüßigen Bettstatt des Imperators heuchlerisch in die Kniee und barg sein Antlitz wie ein Verzweifelter in den Falten der Purpurdecke.

»Claudius Nero,« stöhnte er dann, sich feierlich ausrichtend, »dieser Dolchstoß kam dir von Agrippina.«

Ein wildes Röcheln quoll über die Lippen des jungen Fürsten. »Sophonius!« rief er, die rechte Faust wie zum Schlage erhebend.

»Von Agrippina!« wiederholte der Sicilianer.

»Beweise mir's!« ächzte der Kaiser.

»Ich kann's, und deine Poppäa wird mir's bestätigen. Soll ich sie rufen lassen?«

»Thu was du willst! Aber wehe dir, wenn du mich täuschest!«

»Täuscht man auch seine Freunde? Mit diesem Kopfe steh' ich dir dafür ein, daß Poppäa genau das nämliche aussagt, wie ich. Meine Behauptung aber lautet wie folgt: Dies schöngeschliffene Stilett entstammt dem geheimen Mordarsenal, das sich die würdige Agrippina in der Wand ihres Cubiculums angelegt hat. Dort findest du ihrer noch mehrere. Wenn sie der Waffe, die ich hier in der Hand halte, nicht gleich sehen, wie ein Ei dem andern, so schleife mich nach den gemonischen Stufen!«

Er trat an die Thür und schickte einen der Sklaven, die in der Mitte des Säulenhofs wieder Stellung genommen, zu der ränkevollen Gemahlin des Otho.

Die kleine Phönicierin Hasdra, die auf Poppäas Geheiß mit der ihr eigenen wunderbaren Gelenkigkeit das Scheinattentat vollbracht hatte, war inzwischen, ohne von jemand bemerkt zu werden, bei ihrer Gebieterin angelangt.

Noch im ersten Korridor hatte sie sich die Ledermaske hinuntergerissen und das hochgeschürzte Gewand wieder fallen lassen.

Poppäa wartet längst in fiebernder Ungeduld. Da sie vernahm, daß alles genau so gelungen sei, wie verabredet, zog sie das Mädchen an ihre Brust und küßte sie zwanzigmal. Hasdra jedoch schien keinerlei Dank zu beanspruchen. Ihre Augen funkelten von dämonischer Freude. Dann schlich sie hinweg, setzte sich wieder auf ihr einsames Polsterkissen und weinte. Ihre Thränen galten dem toten Pharax.

Jetzt kam der Bote des Tigellinus.

Poppäa zögerte nicht. Was fragte sie nach den übrigen Insassen des Palatiums, die ihren Eintritt in das Cubiculum Neros bemerken konnten! Nachgerade schien es ihr an der Zeit, etwas freier und kühner die Wirklichkeit zu betonen, als während der Anwesenheit der Octavia.

»Cäsar, ich grüße dich,« sagte sie lächelnd, als ahne sie nichts. Sie umarmte ihn zärtlich.

»Herrin,« bat Tigellinus, »schenk mir für einige Augenblicke Gehör!«

»Was gibt's?« fragte sie neugierig.

Der Agrigentiner erzählte – zuerst von den Begebnissen im Hause des Lucius Menenius, dann von dem Auftritt mit Agrippina und schließlich von dem entsetzlichen ›Frevel‹, den ›ein unbekannter Verbrecher‹ wider den Kaiser in Scene gesetzt.

Poppäa Sabina gebärdete sich wie toll. »Nero, mein süßer Nero!« klagte sie unaufhörlich. »Lebst du noch, oder ist's ein Traum, daß ich dein teures Haupt hier zwischen den Händen halte? Ja du lebst! Ach, ich vergehe, wenn ich mir ausmale . . . Tigellinus, ich taumle . . . O, mein armes, armes, zerquältes Hirn! . . .«

Nach einer Weile flossen ihr sogar einige Thränen über die Wangen, echte, natürliche, breithinrollende Thränen.

In diesem Augenblick hielt ihr der Agrigentiner den dreimal gekanteten Dolch hin und sagte ruhig: »Sieh, Herrin, das ist die Waffe, die der Mörder zurückließ.«

Poppäa Sabina schrie gell auf. Sie sank, von den Armen des Tigellinus rechtzeitig aufgefangen, in eine gut erkünstelte Ohnmacht, während dem Kaiser in Wirklichkeit alles Blut nach dem Herzen strömte. Er schwankte. Mit beiden Händen stützte er sich auf den wuchtigen Bronzetisch, daß die silbernen Becher und Schüsseln hart widereinander klirrten.

Endlich ermannte er sich. »Poppäa,« raunte er tonlos, »zwinge mich nicht, das Ungeheure zu glauben . . .! Es wäre mein Tod, Poppäa!«

»Nicht der deine, denn du bist schuldlos. Nero . . .! Wenn Tigellinus dir schon gesagt hat . . . Er hat die Wahrheit gesprochen. Dieser Dolch . . .«

»Dieser Dolch . . .?« flüsterte Nero. »Ueberlege dir's! Du irrst dich, Poppäa! Du mußt dich irren, oder das weite All verdiente in Schutt zu sinken!«

Poppäa Sabina schüttelte traurig den Kopf. »Ich irre mich nicht. Die Urheberin dieser schrecklichen Missethat heißt Agrippina.«

Sie erzählte ihm nun den seltsamen Zufall, der sie mit dem Geheimnis jener verborgenen Mauerhöhlung bekannt gemacht hatte, und was sie dort wahrgenommen. Die Platte, welche den Zugang verdeckte, war augenscheinlich damals nicht vollständig eingefügt; denn späterhin hatte Poppäa versucht, die Eröffnung zu wiederholen, ohne daß ihr's gelungen wäre. Uebrigens könne ja Nero die Wand jederzeit mit Gewalt sprengen.

Starr, wortlos, den glasigen Blick tief in ihr heißes Gesicht bohrend, hatte der Kaiser ihr zugehört. »Schlau in der That!« ächzte er vor sich hin. »Sie selbst also liefert ihren Verbrechern die Mordklingen. Geht so ein Dolch dann verloren, bricht er etwa im Brustbein des Opfers ab, so führt das weniger leicht auf die Spur des Banditen, als wenn er mit eigenen Gewaffen zur That schritte. Meisterhaft!«

Es entstand eine Pause.

»Nero Cäsar,« begann endlich der Agrigentiner, »dieser Tag ist entscheidend. Zweierlei wirst du einsehen: erstens, daß Agrippina vor dem Gesetze den Tod verdient hat; Zweitens, daß sie allein schon um deiner Sicherheit willen hinweggeräumt werden muß. Die Mörderin zu verhaften und sie in Ketten vor den Senat zu schleppen: das wäre, streng genommen, die Pflicht des Kaisers, dessen erlauchte Person ja vor allem dem Vaterlande, dem Volk gehört. Aber ich weiß: das würdest du niemals ertragen – und ehrlich gesagt: dein Widerspruch schiene mir selbstverständlich. Selbst als Verbrecherin bleibt sie die Mutter des Imperators. Ein öffentliches Gerichtsverfahren würde das Ansehen der Dynastie, ja des gesamten römischen Staates in Frage stellen. Dein göttlicher Name soll nicht geschändet werden. Ueberlaß also mir die Beseitigung der Verworfenen, die aus erbärmlicher Herrschbegier das kostbare Leben des eigenen Sohnes bedroht! Ich rate dir das, ich verlange das, – oder ich töte mich selbst!«

»Folge ihm!« flehte Poppäa Sabina, sich auf die Kniee werfend. »Ich kann nicht atmen, wenn ich dein teures Haupt nicht für immer geschützt weißt.«

Sie zerriß ihr Gewand, sie durchwühlte mit krampfhaft zuckenden Fingern ihr Haar – und von neuem gelang ihr ein Thränenguß, reichlicher noch und ausgiebiger als zuvor.

Nero sträubte sich anfangs. Dann aber warf er die lähmende Dumpfheit, die auf ihm lastete, mit einem titanischen Zornesausbruche ab und ballte die Fäuste empor, als ob er die Götter für dieses Unheil verantwortlich mache.

»Die Elende!« rief er. »Sie watet im Blute bis über die Knöchel, und noch hat die Unersättliche nicht genug! Den eigenen Sohn muß sie schlachten, um ruhig schlafen zu können! Fort mit deiner erbärmlichen Schwäche, du feiges, qualdurchzittertes Herz! Strafe sie, Tigellinus! Handle, töte, morde, wie dir's genehm ist!«

»Ich danke dir, Cäsar! Nur um eins noch muß ich dich bitten, wenn alles gelingen soll.«

»Nun?«

»Begegne der Agrippina von dieser Stunde an jedesmal so, wie ich es für gut finde! Nur Worte, nur Gebärden und Mienen sollst du uns beisteuern: für die That sorg' ich allein, – und ehe du's ahnst.«

Noch einmal zögerte Nero. Aber da lag das Stilett mit seiner funkelnden Klinge . . .

»Sie hat es gewollt,« hauchte er durch die Zähne.

Dann bot er dem Agrigentiner die Hand und sagte mit hohler Stimme: »Es sei!«


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