Ernst Eckstein
Nero
Ernst Eckstein

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Siebentes Kapitel.

Es war ein trüber Dezembertag. Aus dem einförmigen grauen Gewölk troff ein melancholischer Regen.

Nero lag in seinem Arbeitsgemach auf der löwenfüßigen Bank. Ein Sklave hatte ihm ein schöngezeichnetes Antilopenfell über die Füße gebreitet, während ein andrer die glühenden Kohlen in dem Erzbecken, das inmitten des Zimmers auf dem silbergetriebenen Dreifuß stand, mit einem Wedel aus Straußen und Pfauenfedern vorsichtig anfachte.

Der Cäsar hatte in aller Frühe die übliche Aufwartung des Senats entgegengenommen, dann einige geschäftliche Worte mit Seneca und dem Agrigentiner gewechselt und schließlich mit Phaon gearbeitet, dessen architektonische Pläne ihm näher am Herzen lagen, als der Bericht über die Unterdrückung politischer Unruhen im narbonensischen Gallien oder die Vorschläge wegen des großen Reiterstandbildes, das die ›dankbaren. Prätorianer ihrem unvergeßlichen Burrus‹ errichten wollten.

Jetzt, nach der Stunde des Prandiums, fühlte sich Nero ein wenig abgespannt, zumal das gestrige Trinkgelage bei Cossuthianus über Gebühr lange gewährt hatte. Das Rieseln der Dachtraufen und der bleigrundige Himmel stimmte ihn wehmütig. Unheimlich zog ihm ein Frösteln durch die verwöhnten Glieder. Er mochte nicht reden. Cassius aber kannte die Gepflogenheiten seines Gebieters hinlänglich, um jede Silbe zu unterdrücken, wenn der Cäsar mit sich selbst so zerfallen war.

»Ihr alle habt mich belogen,« dachte der Imperator und schaute durch die halb geöffnete Thür in den regentriefenden Säulenhof. »›Einen Gott‹ nannte mich die schöne Poppäa; ›den Willen des Weltalls‹ der schmeichelnde Agrigentiner. Ich selber glaubte Kräfte in mir zu spüren, deren Anspannung ausreichen würde, um die Menschheit zum Himmel zu heben, oder sie gänzlich zu Grunde zu richten. Nun muß ich's ertragen, daß Jupiter Pluvius den verdrießlichen Schleier vorzieht, – nicht nur über das leuchtende Firmament, sondern über mein eigenes jammervolles Gemüt. Nero der Allmächtige friert – nicht an den Gliedern allein, sondern im Herzen.«

Plötzlich die Hand über die Augen legend:

»Schaff mir die Kohlen hinaus, Cassius! Mir umnebelt's die Sinne; mein Kopf schmerzt; und du weißt doch, Cassius, wenn dem Kaiser der Kopf schmerzt, zuckt das weiter bis in die fernsten Regionen des großen Imperiums.«

Cassius gehorchte.

»So dachte ich einst,« fuhr Nero in stiller Verbitterung fort; »aber nun weiß ich, diese verwünschte Menschheit fragt keine Sekunde danach, ob mir's weh ist oder vergnüglich. Um so schlimmer für sie. Ich will ihr Gleiches mit Gleichem vergelten. Mein Behagen soll wachsen, je tiefer der Schmerz ihr das zuckende Mark zerfrißt. Gejauchzt und gejubelt hat diese Bande von Leichenträgern, als ich Poppäa verstoßen hatte, Poppäa, das einzige Glück meines Lebens. Mir krampfte die Brust, aber die Bestie da draußen hat vor Wonne gebrüllt – gerade deshalb vielleicht, weil sie fühlte, wie sehr ich litt. Poppäa Sabina! Wie das wohlig in meine Seele tönt! Ihr verdank' ich mein Dasein. Wäre sie nicht gewesen, der Verlust der andern hätte mir den Verstand geraubt. Da es denn Acte nicht sein konnte, wohl, so war's eine Gnade des Fatums, daß Poppäa mir leben durfte. Manchmal, wenn sie mir so den Arm um den Nacken legt, und ich schließe die Augen – dann meine ich Acte zu fühlen an jenem ersten Abend im Park des Scevinus . . .«

»Herr,« unterbrach Cassius diese Betrachtung, vom Peristyl wieder eintretend, »die erlauchte Poppäa bittet um Vorlassung.«

»Endlich!« sagte Nero, sich aufrichtend. »Nun wird's sonnig werden hier im Gemach. Sage ihr, daß ich sie längst schon erwartet habe.«

Dann zu dem andern Sklaven, der in der Ecke am Boden saß: »Zünde die Lampen an! Immer dichter ballt sich das Regengewölk. Diese leichenfarbige Dämmerung ist schauderhaft.«

Der Knabe rannte hinaus und kehrte mit einer brennenden Handlampe zurück. Im Augenblick ergossen die Dochte der marmornen Standleuchter ihr goldklares Licht.

Gleich danach trat Poppäa Sabina über die Schwelle.

»Hast du Muße, mich anzuhören, mein Liebling?« fragte sie auf griechisch.

»Ich verschmachte nach dir. Komm, setz dich hier auf die Polster! Du scheinst so ernst, süße Poppäa. Was gibt's?«

»Unerhörtes,« sagte Poppäa ruhig. »Wie ich dir jetzt in die Augen schaue, halt' ich es dennoch für besser, zu schweigen, und lieber mit Seneca oder mit Tigellinus . . .«

»Was?« fiel Nero ihr in die Rede. »Dinge gibt's, die du lieber mit Seneca oder mit Tigellinus verhandelst?«

Poppäa starrte sinnend zu Boden.

»Einmal hab' ich's erleben müssen, daß meine ehrliche Absicht dir für Augenblicke verdächtig schien. Zum zweitenmal verkannt zu werden – bei allen Göttern, das ertrüge ich nicht!«

»Redest du von Octavia?« fragte der Kaiser stirnrunzelnd.

Sie zögerte.

»Auch von ihr,« sagte sie endlich mit scheinbarer Selbstüberwindung. »Zunächst aber von einem dreisten Verbrecher, der glücklich in meiner Gewalt ist. Vergib mir, Cäsar, wenn ich mit unermüdlicher Treue gewacht habe, daß du nicht Schaden nehmest.«

Claudius Nero ergriff ihre Hand. »Ohne Umschweife!« sprach er und zog ihre blühenden Finger an seine Lippen. »Welche Missethat hast du entlarvt?«

»Den Aufruhr, die blutige Rebellion, – und leider, leider . . . Aber bleiben wir bei der Hauptsache! Anicetus, der seit lange schon mit Octavia in – freundschaftlichen Beziehungen steht . . .«

»Du sagst das in einem Tone . . .«

»Ich fürchte deine Erbitterung; denn du teilst ja doch mit dem römischen Volk die Ansicht, deine Octavia sei makellos wie frischgefallener Schnee. Weil ihre Freigelassenen nichts wußten, glaubtet ihr – ein Schluß von ganz erstaunlicher Logik! – es sei in der That nichts vorhanden, und die wenigen Stimmen, die gegen sie sprachen, schobt ihr auf die Wirkung der Folter. Als ob man nicht jahrelang sündigen könnte, ohne entdeckt zu werden!«

»Willst du behaupten, jener unglückliche Abyssus, der noch sterbend ihre Unschuld beschwor, sei ein Lügner gewesen?«

Poppäa zuckte die Achseln.

»Was den Aegypter anlangt, so behaupte ich gar nichts. Möglich, daß die Späher des Agrigentiners getäuscht wurden – in der Richtung nämlich, wo sie zu suchen hatten. Wenn du bei Nacht in rebenumrankter Laube ein Paar ertappst, so ist's ja denkbar, daß man den Lucius für den Sempronius hält, oder umgekehrt. Diesmal aber sind solche Irrtümer ausgeschlossen. Anicetus hat sich bei einem der Seeoffiziere gerühmt, Octavias Geliebter zu sein, und zwei Soldaten, Freigeborene wie du und ich, haben's mit angehört. Niederschmettert durch dieses Zeugnis, leugnet er gar nicht. Ich selber habe ihn gestern verhört, und als ich ihm zusagte, daß sein erbärmliches Leben geschont werden sollte, dafern er ein offenes Geständnis ablege – Aber ich sehe, du regst dich auf, Nero; dein Antlitz wird fahl; du zitterst. Kannst du's ihr gar so übelnehmen, daß sie dir heimzahlt –«

»Heimzahlt?« rief der Kaiser mit Donnerstimme. »Rechnest auch du in der Weise der liederlichen Personen, die man das weibliche Rom nennt? Ich bin der Cäsar, und vor allem: ich bin der Mann. Ich kränke sie wohl, wenn ich die Gunst, die der Gattin gebührt, einer Unberechtigten zuwende; ich kränke sie, aber, beim Herkules, ich entehre sie nicht! Niemand wird ihrer spotten, niemand sie lächerlich finden. Mitleid nur und leidenschaftliche Sympathie wendet sich der Verlassenen zu, selbst heute noch, da sie doch selbst diese Trennung gewollt hat. Ich jedoch, wenn es wahr ist, wenn Anicetus . . .! Aber du lügst, Poppäa! Es ist einfach undenkbar!«

»Ich verzeihe dir,« sagte sie ruhig, »denn ich begreife dich. Der Gedanke, von dem Pöbel verhöhnt zu werden, raubt dem Besonnensten die Vernunft. Ein betrogener Gemahl, ein Cäsar, dessen Ehegattin trotz aller Scheinheiligkeit mit den Vertrauensmännern des Imperators in Minne schwelgt und zum Ueberfluß Pläne schmiedet, ihren Gatten zu stürzen, um dem liebenswürdigen Buhlen auf den Thron zu verhelfen – wahrlich, die Rolle ist nicht eben beneidenswert.«

»Und das alles hätte Octavia gethan?« fragte der Kaiser.

»Ueberzeuge dich selbst! Ohne irgend wen zu benachrichtigen, hab' ich den Anicetus und drei seiner Spießgesellen ans Land gelockt, sie in Haft genommen und die Geständnisse, die sie mir abgelegt, wortgetreu durch einen der Centurionen aufschreiben lassen. Hier hast du das Resultat der gesamten Verhandlung. Lies, und versuche dann fürder zu zweifeln. Zum Glück hatte die bubenhafte Verschwörung kaum noch um sich gegriffen. Fast sämtliche Offiziere sind treu. Ein Brief der Octavia, deren Schrift du erkennen wirst, liegt den Blättern hier bei.«

Sie überreichte ihm die verhängnisvollen Papierstreifen.

Nero las. Mit jeder Zeile blickte er hohler, gespenstischer, leichenhafter.

»Die Natter! knirschte er durch die Zähne. »Also doch! Die Flotte wollte sie aufwiegeln und die campanische Landbevölkerung! Vom Cap Misenum her sollte ihr Streich fallen, der den Cäsar vernichten und den feilen Schuft Anicetus aus dem Sumpfe seiner Gemeinheit empor schleudern sollte! Schrecklich! Entsetzlich! Ist's denn zu glauben, diese keusche Octavia, die sich scheute, auch nur ein Wort über die Lippen zu bringen, das sie nicht ruhig am Altare der Vesta hätte aussprechen können? Aber so sind sie, die Heuchlerinnen, die Buhldirnen! Je unschuldsvoller das Antlitz, um so verworfener die Seele! Die Rhodierin Chloris erscheint ja neben dieser Verworfenheit wie die leuchtende Artemis. Und der Bube hat es gewagt, sich zu brüsten . . . zu brüsten mit der Schande des Imperators? So sind sie beide des Todes schuldig!«

»Ich hab' dem Verruchten als Preis für die Unbeschränktheit seiner Geständnisse angelobt, seine Begnadigung zu erwirken,« sagte Poppäa. »Schick ihn auf Lebenszeit in die Verbannung, nach Sardinien. Weißt du nicht, daß die Römer Sardinien mehr fürchten als den Tod?«

»Laß, laß! Wir reden darüber!« sagte der Kaiser, noch immer in die Aufzeichnungen seines Centurio vertieft. Er kannte den Mann; es war einer seiner getreueren. Der Name allein hätte dem Cäsar dafür gebürgt, daß kein Wort in diesen Aufzeichnungen gefälscht war. Zudem brauchte er ja nur selber, wie Poppäa hervorhob, die Verhafteten zu befragen, um die leiseste Abweichung ihrer Aussagen von der Niederschrift sofort zu entdecken.

In der That, gefälscht war nur der kurze Brief der Octavia, aber so meisterhaft, daß der Kaiser sein Haupt für die Echtheit des Aktenstückes verpfändet hätte.

»Sie muß sterben!« rief er, die knisternden Blätter mit der Rechten zusammendrückend.

Dann tief Atem holend: »Sprich: wo hältst du die Schandgesellen verwahrt?«

»Drüben am vierten Hofe in einer der Sklavenkammern.«

»So führe mich hin! Horch, da erhebt sich der Wind! Das rechte Wetter für so grauenhafte Erlebnisse! Wie das jammert und heult! Mich dünkt, ich höre das Todesröcheln der Agrippina.«

Diesmal siegte Poppäa vollständig. Anicetus, den sie mit ungezählten Millionen erkauft hatte, nahm in demutsvoller Zerknirschung den Faustschlag des Imperators entgegen, schluckte die drei zerschmetterten Zähne ruhig hinunter und ließ sich, Dank stammelnd, nach der kaiserlichen Trireme bringen, die ihn trotz der stürmischen Witterung noch desselbigen Tages von dannen führte. Seine Spießgesellen begleiteten ihn. Poppäa hatte dem Imperator bedeutet, er könne, wenn er gerecht sein wolle, die Werkzeuge des Anicetus nicht härter bestrafen, als diesen selbst. Da er sich weigerte, raunte sie ihm ins Ohr, wenn er sie liebe und fürder Verlangen trage, sie in die Arme zu schließen, so werde er diesem Grundgesetz aller Billigkeit Rechnung tragen. Für Octavia jedoch erwirkte die wutbeseelte Rivalin ein Todesurteil. Halb gewährend und halb versagend, hatte ihre schamlose Koketterie ihn so lange umschmeichelt, bis er, von ihrem Zauber entflammt und durch den ätzenden Spott über das Zögern des ›zweiten Otho‹ in tiefster Seele verwundet, das längst bereit gehaltene Dokument unterzeichnete.


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