Ernst Eckstein
Nero
Ernst Eckstein

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel.

Pallas hatte die leise schaudernde Acte wiederum vor sich aufs Pferd genommen.

Sein Gehirn arbeitete unaufhörlich. Bald überkam's ihn wie die Vernichtungsgier eines Rasenden; bald wie ein Hauch jener nazarenischen Milde, die Böses mit Gutem vergilt.

»Fürchte nichts!« raunte er in einer plötzlichen Anwandlung solcher Weichherzigkeit. »Meine letzten Drohungen waren sinnlos. Lehne dich mir unbesorgt wider den Arm, sonst ermüdest du. Wenn es geht, magst du schlafen. Mein Hispanier trabt außerordentlich sanft. Tröste dich, Acte! Das Zukünftige ruht ja im Schoße der Götter. Wer weiß: vielleicht wird alles noch gut.«

Und Acte, von ihrer Müdigkeit übermannt, gehorchte der Weisung des Pallas wie ein gefügiges Kind. Vertrauend sank sie an die Schulter des Feindes; denn sie trug die Empfindung in ihrer Brust, daß nichts Uebles sie anfechten könne, solange sie an der Treue zu Nero festhalte.

Dicht vor Antium bog man nach links ab. Die Stadt mit ihrer früherwachenden Hafenbevölkerung mußte vermieden werden.

Der Tag begann schon zu grauen. Das Meer kam in Sicht, und der stattliche Zweiruderer, der abseits, einige tausend Ellen vom Ufer, seine Anker geworfen hatte.

Pallas blickte dem schönen Mädchen mit unsagbarem Wehgefühl in das schlummernde Antlitz.

Da die Luft kühler und kühler ward, zog er den Mantel von der Schulter herab und bedeckte damit die holde Gestalt seiner Gefangenen.

Zwei schwere Thränen tropften ihm von den Wimpern – auf Actes Hand, die leise zusammenzuckte.

Grimmig, als schäme er sich dieser Schwäche, fuhr er sich mit der Faust über die Lider. Heißer jedoch und gewaltiger quoll es ihm aus der Seele empor, – ein Lavastrom allüberwindender Großmut. Ja, er fühlte: es gab eine Selbstlosigkeit, die ihre glühendsten Wünsche zum Opfer bringen, die allem entsagen konnte, um nur eins zu erstreben: das Glück der Geliebten.

Eine Minute lang hielt ihn so der Gedanke fest, umzukehren, die Geraubte – der Agrippina zum Trotz – wieder nach Rom zu bringen und sich dem Kaiser zu Füßen zu werfen. Mochte der Fürst sich dann huldreich erweisen, oder ihm das Schwert in die Brust stoßen, – gleichviel: Acte, Acte war doch am Ziele ihrer Sehnsucht.

Dann aber schnürte ihm die entsetzliche Vorstellung jenes Glücksrausches, der sich in der blumenumwogten Villa nun wieder fortspinnen würde, mit krallendem Tigergriffe die Gurgel zusammen.

Er gab seinem Pferde die Sporen.

Weit vor seinen Genossen sprengte er über die Straße dahin, als fürchte er, die stürmisch abgewiesene Versuchung möchte zurückkehren.

Acte an der Brust des jauchzenden Imperators –? Lieber den ewigen Vorwurf, sie vernichtet zu haben! Mochte sie elend dahin sterben in verzehrender Qual: die Küsse des Cäsars durften niemals wieder auf ihrem wonneatmenden Munde brennen, – oder Pallas war dem Irrsinn verfallen!

Ach, dieser himmlische Mund, den jetzt in dieser Stunde des Schreckens ein so zauberisches Lächeln umspielte! Ach, diese duftige, herzberückende Mädchenblüte! Wenn ihm ein Gott es gewährt hätte, sie nur ein einziges Mal zu umfahen, um dann, selig erfüllt von dem Bewußtsein ihres Besitzes, plötzlich hinabzusinken in das uranfängliche Nichts: er würde keine Sekunde gezögert haben.

Als man eben die breite Uferstraße erreichte, die von Antium nach Astura und Clostra führte, wachte die Schläferin auf.

Erschreckt blickte sie um sich.

Es war also nur ein Traum gewesen, was ihr so lieblich und doch so bang und beklemmend vor der Seele geschwebt hatte!

Nicht auf dem Rasenteppich ihres traulichen Gartens ruhte sie, nicht am Rande des Springquells, nicht an der Seite ihres Ewig-Geliebten, der ihr mit schmeichelnder Stimme die alte Weise vom gefesselten Eros vorsang, sondern die kaum vergessene furchtbare Wirklichkeit hielt nach wie vor erbarmungslos ihr Opfer umklammert.

Sie hatte geglaubt, jene Bangigkeit sei den traurigen Worten entsprungen, die das Traumbild des Claudius Nero zu ihr geredet: ›Fahr wohl, Acte! Dies ist mein letztes Lied; zerbrich die Kithara!‹

Jetzt wußte sie, daß der gefürchtete Pallas und sein nächtlicher Ueberfall ihr das reizend-harmonische Trugbild getrübt hatte. – Selbst im Traume ward ihr mißgönnt, was sie liebte!

Der Himmel im Osten glühte heller und heller.

Eine lebhafte Brise wehte vom Tyrrhenischen Meere über das weithin grünende Ufer. Saftige Wiesen, von Akanthus durchwuchert, hochaufgeschossene Weizenfelder, die sich hier und da schon zu färben begannen, blitzten im Morgentau. Aus den vereinzelten Hütten und Häusern stieg der bläulich kräuselnde Rauch auf, an dessen Flammen sich die Kolonen den Speltbrei, das angestammte römische Frühmahl, bereiteten.

Da lag sie – rosig schlummernd, als wäre sie eine harmlose liburnische Jacht – die fürchterliche Bireme . . .! Schlaff und bewegungslos hing die Doppelreihe der Ruderstangen ins blaue Gewässer hinab. Der gewaltige Mastbaum, die Rahen mit den gerefften Segeln, das kreuz und quer verlaufende Takelwerk, das alles machte in dieser Entfernung eher einen duftigen, malerischen, als gewaltigen Eindruck, – und dennoch: Acte erbebte an allen Gliedern.

Jetzt gewahrte sie auch hinter den schwankenden Schilfhalmen des Gestades den Kahn, der sie an Bord bringen sollte . . .

Allerbarmender Jesus, gab es denn keine Rettung aus diesem Elend?

Pallas hatte die erschütternde Wirkung sehr wohl bemerkt, die der Anblick der offenen See und des Doppelruderers auf Acte hervorgebracht.

Es trieb ihn, diese Stimmung zu einem letzten Versuch auszunützen.

»Ueberlege dir's nochmals!« sprach er bewegt. »Dort die Bireme geleitet dich ebensogut in die Knechtschaft, wie in die Freiheit . . . Alles, alles will ich vergessen. Meine Einbildungskraft will ich erwürgen, wenn sie mir deinen schmiegsamen Leib in fremder Umarmung vormalt. Jede Silbe aus meinem Munde, die ans Vergangene erinnert, rufe den Zorn der unsterblichen Götter herab! Ich will dich hegen und pflegen als mein Liebstes und Heiligstes. Jene Wunde, die so tief dir im Herzen brennt, wird allmählich vernarben. Du wirst glücklich werden und mir am Ende noch Dank wissen, daß ich nicht abgelassen von meiner Werbung. Hörst du? Warum erwiderst du nichts? Hier sind wir am Ziele . . .«

Er sprang aus dem Sattel und ließ das junge Mädchen langsam zur Erde gleiten.

Einer aus der Gefolgschaft gesellte sich zu ihnen. Die übrigen machten mit sämtlichen Rossen kehrt, nachdem sie verschiedene Gepäckstücke, die sie vorn auf den Sätteln getragen, eilig in den harrenden Kahn geschleppt hatten.

Der sonnverbrannte, sehnige Schiffer mit der phrygischen Mütze stemmte die Ruder ein . . .

Straff und mit spielender Ueberwindung der schäumenden Wellenkämme ging die Fahrt über die weithin glitzernde Fläche. Fern ab lag Antium, glührot bestrahlt von der steigenden Morgensonne. Südostwärts, beinahe ebensoweit wie Antium, erblickte man das Städtchen Astura. Aus beiden Häfen steuerten schon vereinzelte Fischerboote ins Meer, weiße oder hochgelbe Punkte auf dem flimmernden, tiefgesättigten Blau . . .

Pallas hatte neben der schweigsamen Acte Platz genommen.

Die Bireme rückte näher und näher. Deutlich unterschied man bereits den scharlachrot übermalten Adlerkopf an der Kielspitze, den Namen des Schiffes: ›Cygnus‹, und die Gestalten der Rudersklaven, die auf den Doppelbänken gereiht, voll Neugier durch die kreisrunden Luken spähten.

Jede dieser Gestalten kam der heimlich grausenden Acte wie ein Henkersknecht vor, und starrer immer und krampfhafter blickte sie auf den Gegenstand ihres Entsetzens.

»Nun?« murmelte Pallas, unter den Falten des Reitermantels ihre Linke berührend.

Sie fuhr heftig zurück, ohne Antwort zu geben.

»Acte,« hub er nach einer Weile auf griechisch an, »sprich zu mir in der Mundart deiner verstorbenen Mutter, wenn du dich scheust, von meinem Soldaten hier und dem Schiffer gehört zu werden. Es wird nun Ernst, Acte, bitterer Ernst. In fünf Minuten sind wir an Bord, und wahrlich, das schwöre ich dir beim Grab meines Vaters: hab' ich erst einmal dem Obersteuermann die Richtung gewiesen, – dann ist alles zu spät!«

Sie schwieg noch immer.

Plötzlich klar und fest zu ihm aufschauend, sagte sie in der weichen ionischen Mundart: »Sitze ein wenig abseits!«

»Weshalb?«

»Damit ich dir endgültig antworten kann. Deine unmittelbare Nähe verwirrt mich.«

»Wie du begehrst.«

»So,« fuhr sie mit tonloser Stimme fort, – »wenn ich nun wollte, wäre es mir ein leichtes, dir durch die That zu beweisen, wie mir's bei deinem verhaßten Antrag ums Herz ist. Eh' du mich hindern könntest, glitte ich über die Brüstung hinab in die allewige See, und befreite mich so von euren Ränken und Tücken, von deinem Hasse und deiner vermeintlichen Liebe . . .«

Pallas wollte emporspringen.

Sie streckte beruhigend die Hand aus.

»Ich könnte das, aber ich thue es nicht. Bleib nur unbesorgt wo du bist! Mein Glaube an den Willen des allmächtigen Gottes verbietet mir's. Ach, und mehr noch scheucht mich die süße, unabweisliche Hoffnung zurück! Ja, ich werde ihn wiedersehen, den Herrlichen, Einzigen, den ich getreuer liebe, als alles im Himmel und auf der Erde! Ich werde ihn wiedersehen, des bin ich gewiß; denn eine innere Stimme verkündet mir's, eine Stimme der Zuversicht, die da nicht täuschen kann. Beim Blute des Heilands, das für uns alle vergossen wurde zur Vergebung der Sünden, ich werde ihn wiedersehen! Schaffe mich also immerhin fort! Vollführe als ein gehorsamer Sklave die ungerechten Befehle deiner Gebieterin! Um den Preis eines Treubruchs, einer schändlichen Selbstentehrung verschmäh' ich alle Schätze der Welt, geschweige denn die klägliche Freiheit an deiner Seite!«

»Dirne!« knirschte Pallas empört.

»Schweig und beschimpfe mich nicht! Sonst erzähl' ich an Bord der Bireme, wie du, der opferwillige Knecht Agrippinas, um der Gunst dieser ›Dirne‹ willen deine Herrin verraten wolltest.«

»Wag es! Ich würde dich Lügen strafen, wie du's verdienst; ich würde die Hoffnung, mit der du noch eben geprahlt hast, töten; ich würde dich blenden. Siehst du, mit diesem Dolch hier grab' ich dir beide Augen heraus, diese verfluchten, blauen, sonnigen Sterne, die den Cäsar ins Verderben gelockt.«

»Das wirst du nicht,« versetzte sie trotzig. »Was dem Cäsar gehört, hat sein Sklave zu hüten, nicht zu bedrohen.«

»Nein, ich werde es nicht, weil ich's verschmähe. Du bist meinem Zorn zu gering. Du sollst schauen und leben, um desto tiefer dein Elend zu fühlen. Verzehre dich denn in dieser trostlosen Pein, winde dich wie eine zertretene Schlange, ächze, verzweifle – aber klage als Urheberin dieser Qual nur dich selbst an, und deine kindische Thorheit, die sich erfrecht hat, von dem Scepter des römischen Weltreichs zu träumen.«

Sie zuckte, wie von Mitleid erfüllt, die Achseln.

Bald darauf stand Pallas mit der Gefangenen auf dem Verdeck der Bireme. Die Matrosen waren just im Begriff, die Segel zu spannen; das Knarren des Takelwerks erinnerte an das Gekrächze unheilverkündender Raben.

Der Gefolgsmann blieb im Kahne zurück.

Pallas, eine furchtbare Miene aufsetzend, nahm den Obersteuermann auf die Seite, während zwei der Matrosen das Mädchen bei den Händen ergriffen.

»Ich bringe hier eine Verurteilte,« flüsterte Pallas.

Er verlas mit gedämpfter Stimme ein Pergament, das die Unterschrift und das Siegel der Kaiserin-Mutter trug.

Hier und da betonte er eine Stelle so eigentümlich, daß ihn der Obersteuermann scheu von der Seite anblickte. Nach erfolgter Verlesung überreichte Pallas ihm das gewichtige Schriftstück mit dem Bedeuten, es wohl zu verwahren und sich den Inhalt desselben buchstäblich einzuprägen.

»Agrippina,« fügte Pallas hinzu, »lohnt fürstlich, aber sie straft auch mitleidlos wie die Totenrichter. Liefere das Püppchen da richtig ab und vergiß nicht, daß du ihr Ketten anlegst, wenn ihr sie nach der Wohnung des Verwalters geleitet. Sie ist flink wie ein kappadozisches Füllen und jeder Ungebühr fähig. Während der Fahrt laßt sie mir unter dem Deck und bewacht sie mir wie ein Kleinod!«

»Wohl, Herr! Das alles wird der Ordnung gemäß vollführt werden.«

»Um so besser für dich. Hier dieser Beutel mit Gold sei einstweilen dein Handgeld. Sobald wir die erste zuversichtliche Nachricht von der Verwaltung der Staatsbergwerke erhalten, daß sie an Ort und Stelle gelangt ist, zahlt man dir in Savona, wo ihr zunächst einlauft, dreimal so viel, – und den gleichen Betrag zur Verteilung an deine Leute. Aber unverbrüchliches Schweigen – oder ihr seid verloren bis auf den letzten Mann!«

»Sei unbesorgt, Herr!«

»Leb wohl! Aphrodite Euploia schenke euch glückliche Fahrt!«

Eine kreischende Seemöwe schoß bei diesen Worten von links her über die Kielspitze.

»Das sei kein Vorzeichen!« sagte der Obersteuermann, im Sinne des römischen Aberglaubens.

»Kein Vorzeichen!« versetzte auch Pallas.

Und somit stieg er wieder hinab in den Kahn.

Nachdem er mit seinem Gefolgsmann wieder gelandet war, ging es geraden Weges nach Antium. Die kurze Strecke war bald zurückgelegt. Unerkannt erreichte man das Haus eines Günstlings der Agrippina, wo man sich von den Strapazen dieser bewegten Nacht durch ein reichliches Frühstück und einen langen, ausgiebigen Schlaf gründlich erholte.


 << zurück weiter >>