Ernst Eckstein
Nero
Ernst Eckstein

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Sechstes Kapitel.

Anderthalb Stunden später herrschte vor dem Vestibulum des Kaiserpalastes ein großes Gedränge. Die Soldaten der Leibwache, die hier, den Speer im Arme, aufgepflanzt waren, hielten die neugierbeseelte Volksmasse nur mit Mühe zurück. Die Stufen und Sockel der benachbarten Tempel waren dicht mit Menschen besät; halbwüchsige Gesellen hatten die vergoldeten Standbilder erklettert; sogar zwischen den hohen Kolonnen der palatinischen Vorhalle tauchten schaulustige Gesichter auf.

»Sie kommen!« rief plötzlich eine jubelnde Knabenstimme.

Nun ging ein Murmeln durch die erregte Menge, wie unmittelbar vor dem Beginn eines sehnlichst erwarteten Schauspiels.

Zum erstenmal seit seiner Verbindung mit der jugendlichen Octavia sollte der Kaiser in feierlichem Gepränge durch die Straßen der Siebenhügelstadt ziehen: der Senator Flavius Scevinus gab zu Ehren des hohen Paares ein glänzendes Festgelage.

Zwei Militärtribunen in silbernen Harnischen ritten langsam vorauf. Dann folgte eine halbe Manipel prätorianischer Krieger, flammrote Federbüsche über den blitzenden Helmfirsten; hiernach dreißig Sklaven in goldgestickten Gewändern, jeder zwei unangezündete Fackeln tragend. Die Speere der Krieger wie die Fackeln der Sklaven waren mit Rosen umwunden.

»Die Kaiserin-Mutter!« ging es durch die Reihen des Volkes . . .

Allgemeines Erstaunen.

»Wie? Auch hier beansprucht Agrippina den Vortritt?«

»Unglaublich!«

»Das mochte wohl angehen, solange der Cäsar noch unvermählt war.«

»Es ist verletzend für die erlauchte Octavia.«

»Hüte dich, Cajus! Und du vor allem, kecker Sempronius! Es wimmelt hier von Spionen.«

»Spione! Was soll das uns? Wir verteidigen nur die Rechte des Imperators.«

»Und die römische Sitte.«

»Der verklärte Augustus hätte das niemals geduldet.«

»Nero liebt seine Mutter.«

»Beim Herkules, wenn er wüßte –«

»Still doch! Willst du dich um den Kopf bringen?«

So oder ähnlich raunte man beim Erscheinen der Prunksänfte, die auf den Schultern der allbekannten Sigambrer würdevoll und elastisch zugleich einherschwebte.

In den üppigen Polstern lehnte, außer der Fürstin, ihre Hofdame, die Hispanierin Acerronia.

Kaum zwanzig Jahre alt, schien dieses eigentümliche Mädchen die Welterfahrung einer Matrone mit der harmlosen Albernheit eines Kindes zu paaren. Bald glänzte in ihren meergrünen Augen die bedenklichste Pfiffigkeit; bald wußte sie ihren breiten, sinnlichen Mund so dummschmollend aufzuwerfen, daß selbst ein Skeptiker an ihre Unschuld geglaubt hätte. In ihrem Verkehre mit Agrippina sprang sie vom Ton einer Freundin ganz unvermittelt in den der unterwürfigsten Sklavin über; dabei hatte man das Gefühl, als sei es ihr weder Ernst mit der Sklavin, noch mit der Freundin. Das Schönste an ihr waren die wallenden, brandroten Haare, die schneeige Hautfarbe und die glänzenden Zähne, die, wenn sie lachte, ihrem Gesichtchen etwas Angenehm-Pantherartiges liehen. Jedenfalls war die Kaiserin-Mutter von ihrem Umgang höchlich erbaut: die Hispanierin Acerronia war wohl die einzige, die noch niemals ein ungnädiges Wort von ihrer Herrin vernommen hatte.

Agrippina, wie sie so in den Polstern zurücklag, und das perlengeschmückte Haupt in die Hand stützte, sah hoheitsvoller, gebieterischer und zuversichtlicher aus, denn je. Die Selbständigkeitsgelüste Neros, der sie vor einigen Monaten mit dem Duldungsedikte so unangenehm überrascht hatte, schienen mehr und mehr wieder zu ebben. Seit lange hatte er nichts Ernstliches unternommen, ohne sie einzuweihen, ihren Rat zu begehren, ihre Ansicht fast wie Befehle zu achten. Das Edikt war offenbar eine flüchtige Laune gewesen; sie wollte nicht daran rütteln; ein erneuter Versuch ihrerseits hätte den fast schon erstorbenen Gegentrieb vielleicht wieder wachgerufen. So, wie die Dinge jetzt lagen, durfte sie gründlich zufrieden sein. Die Ehrerbietung des Sohnes vor ihrer geistigen Ueberlegenheit war kaum erschüttert . . . Selbst Seneca schien wieder die Thatsache anzuerkennen, daß eine heilsame Politik ohne das unbestrittene Primat der Kaiserin-Mutter unmöglich sei, – und vor allem hatte sie ja den Führer der Prätorianer auf ihrer Seite, den redlichen Burrus, der da im Notfall ein energisches Wort mitreden konnte. Burrus war in der letzten Zeit noch tiefer in ihre Netze verstrickt worden; sie meinte, er sei jetzt geradezu toll verliebt in seine Gebieterin, obgleich sie ihn mit wirklichen Huldbezeigungen äußerst knapp hielt.

Unmittelbar hinter der Sänfte der Kaiserin-Mutter schritt ihr Verwalter und Privatsekretär Pallas, von zahlreichen Sklaven umringt.

Er trug um den Hals eine kostbare Ehrenkette, das jüngste Geschenk seiner mächtigen Gönnerin.

Was man dem weltverachtenden Weibe auch vorwerfen konnte: Undankbarkeit gehörte nicht zu ihren Sünden und Fehlern.

Pallas war es gewesen, der dem verwitweten Kaiser Claudius den Rat erteilt hatte, Agrippina zum Weibe zu nehmen.

Der überängstliche Fürst, dem die grauenhaften Exzesse seiner vor kurzem erst hingerichteten Ehefrau Messalina noch wie frisch erduldete Schand- und Brandmale auf der Stirne glühten, sträubte sich anfangs von Herzen: Pallas jedoch ließ nicht nach; denn Agrippina, damals von scheinbarer Sittenstrenge, dünkte ihm wirklich die geeignetste Gattin für den haltlosen Kaiser – und zudem hatte sie ihm so wunderherrlichen Lohn verheißen, daß er nicht nur die Heirat durchsetzte, sondern auch die feierliche Adoption ihres Sohnes aus erster Ehe: des damals noch im Knabengewande spielenden Nero.

Diese Liebesdienste vergaß sie ihm nicht. Pallas, von den Aristokraten seiner unfreien Geburt wegen heimlich mißachtet, auch dem Nero wenig sympathisch, spielte gleichwohl durch die Gnade der Kaiserin-Mutter eine gewaltige Rolle.

Der Senat knirschte zwar vor Entrüstung, aber er fügte sich und erkannte dem Gunstbestrahlten bei mehr als einer Gelegenheit glänzende Ehren zu, amtliche Danksagungen für Dienste, die er dem Staate geleistet, ja einmal sogar, als er erkrankt war, öffentliche Gebete für seine Genesung.

Agrippina vollends beglückte ihn mit dem reichsten Schatz ihrer Huld. Sie schenkte ihm Landgüter, Villen, Paläste, Sklaven, Kleinodien, – und was ihm jetzt so gülden um den nervigen Hals gleißte, war vielleicht die zarteste und schmeichelhafteste ihrer Gaben: denn jedes Glied dieser Prachtkette trug in verschiedenartiger Auffassung das Bildnis der Spenderin.

Pallas galt für einen der wenigen Männer am Hofe, deren Lebenswandel so ziemlich untadelhaft war.

Sein Verhältnis zur Kaiserin blieb frei selbst von den oberflächlichen Galanterien, wie sie Afranius Burrus in Scene setzte.

Vor Jahren war Pallas vermählt gewesen; sehr bald aber hatte er seine Frau, eine sanfte, schmiegsame Griechin, durch einen schrecklichen Tod verloren.

Von da ab lebte er nur noch seinem Berufe, der darin bestand, die Interessen der Kaiserin-Mutter nach allen Richtungen hin zu vertreten.

Ein Versuch der Fürstin, ihren getreuen Pallas mit der Hofdame Acerronia zu verheiraten, scheiterte mehr noch an der ruhigen Abneigung des besonnenen Mannes, als an der leidenschaftlichen Unart der rothaarigen Pantherkatze, die als Tochter eines cordubanischen Ritters mit Geringschätzung auf den Freigelassenen herabsah, und dreist genug war, ihm in Gegenwart Agrippinas die unverbindlichsten Dinge zu sagen.

Auch im übrigen blieb der Vertraute der Kaiserin unberührt von allem, was sich ihm nahen mochte; denn nicht sämtliche junge Mädchen von freier Geburt teilten die Anschauungen Acerronias. Pallas jedoch sehnte sich ganz und gar nicht nach einer neuen Verbindung. Seine sanfte Andromeda hob sich zu schroff ab gegen die klug berechnenden Römerinnen.

Diese Stimmung beherrschte ihn, bis er an jenem Nachmittage die blondrosige Acte erblickte.

Nun plötzlich schien der kaum für möglich gehaltene Ersatz gefunden. Noch einmal erwachte im Herzen des Dreiundvierzigjährigen ein volltöniger Nachklang jener Begeisterung, die ihn damals ergriffen, als er am Strande von Stabiä zum erstenmal die wunderholde Gestalt der jungen Hellenin gewahrte. »Jetzt oder nie!« rief es in seiner Seele. Er entsann sich des altetrurischen Liedchens vom Dornbusch, der längst an sich verzweifelt hatte und dennoch Rosen trug . . . Und er lächelte nicht ob dieser poetischen Anwandlung, sondern gestand sich, daß er erst jetzt den Sinn dieser oft gesungenen Verse richtig erfaßt habe.

Er sah dann Acte wieder – ohne daß sie die Gegenwart eines Bewunderers ahnte – bei Nicodemus; und hiernach zwischen den Lorbeerhecken des Marsfeldes, wo er seine Empfindungen offenbarte. Dann mit einemmal war sie verschwunden – Proserpina, die plötzlich von dem Herrscher der Finsternis hinab in die Tiefe gezogen wird . . .

Ihre Ablehnung war deutlich genug gewesen. Pallas konnte nur annehmen, daß sie um seinetwillen die Flucht ergriffen. ›Der Gefürchtete‹ – so hatte sie ihn gleich zu Anfang genannt – und daß sie Angst vor ihm hegte, sinnlose Angst, das bewies sie jetzt durch die That.

Unsägliche Bitternis war ihm ins Herz gezogen.

Von der weiblichen Hoheit ihres Wesens besiegt, hatte er, der gewaltige Pallas, dieser unglaublichen Thörin sofort Hand und Herz zum dauernden Bündnis geboten, anstatt, wie sie selbst dies vorausgesetzt hatte, nur ihre Gunst zu erstreben: sein ehrenhaftes Verlangen jedoch wirkte so abscheuerregend, daß sie das Weite suchte wie vor dem Hauche eines Verpesteten!

Sie floh vor ihm, sie ließ alles im Stich, weil sie besorgte, er möchte Gewalt brauchen!

Erbärmliche Niederlage! Qualvolle, unbeschreibliche Demütigung!

Der Gedanke an dieses Erlebnis hatte ihm wochenlang die Brust zusammengeschnürt. Diese lichtstrahlende Acte verlieren zu müssen, – und sie so zu verlieren. es überstieg alles erträgliche Maß!

Von Actes wahren Beweggründen hatte er nicht die leiseste Ahnung. Denn daß der Cäsar mit so energischem Eifer nach ihr geforscht hatte, hielt er für eine Rücksicht auf Nicodemus, der mit Seneca fast ja befreundet war. Hätte Pallas die Wahrheit gewußt, er würde gerast haben wie Ajax, da ihm die Götter den Geist umnachteten.

Jetzt, hinter der Sänfte seiner Fürstin einherschreitend, von dem prunkenden Troß der palatinischen Sklaven umringt, ein Gegenstand offenen und heimlichen Neides für so viele Tausende, hatte sich Pallas mit der Enttäuschung zurecht gefunden. Er trug das ausdrucksvolle, energische Haupt hoch; er fühlte sich ganz und gar in der Rolle als Schöpfer der agrippinisch-neronischen Dynastie. Dennoch schien er etwas gealtert. Wenn ein tüchtiger Mann, der Jahre hindurch nichts gefühlt hat, als die Lust am Gedeihen seiner Arbeit, plötzlich von einer unüberwindlichen Neigung und gleich darauf vom Weh über den Untergang jeder Hoffnung ergriffen wird, so läßt das tiefere Spuren zurück, als selbst die leidenschaftlichsten Stürme des Jünglingsalters.

Der Geleitschaft der Kaiserin-Mutter folgte die goldene Lectica des Imperators und seiner Gattin Octavia.

Auch dieser Sänfte schlossen sich dreißig Fackelträger und eine halbe Manipel der Leibgarde an, befehligt von dem Agrigentiner Sophonius Tigellinus.

Auf seinem prachtvollen kappadocischen Rapphengst ritt der zündende Kavalier unmittelbar neben der jungen Gebieterin. Das Pferd war, angesichts der brausenden Menschenmenge, ein wenig unruhig, was dem Agrigentiner nicht nur die erwünschte Gelegenheit gab, seine ausgezeichnete Meisterschaft als Reiter und Bändiger ins gehörige Licht zu setzen, sondern auch ab und zu unter den tiefschwarzen Wimpern hervor nach Octavia zu blicken, die leise errötend ihr Antlitz neigte, zum Gegengruß für die begeisterten Volksmassen.

»Sie ist schön,« dachte der Herzenseroberer aus Agrigentum, »schön wie Diana; aber ich fürchte, auch ebenso streng . . . Und er liebt sie nicht, mein weltbeherrschender Nero! Unbegreiflich! Einfach absurd! Ich glaube, hätt' ich im Anbeginn meiner Lebensreise ein Mädchen geschaut wie diese Octavia – ich wäre niemals der unersättliche Sünder geworden, der jetzt hier so brillant seinen Rappen zügelt. Eine tolle Geschichte, die Biographie des würdigen Tigellinus, – und im Grunde: ewig die nämliche Leier! So in jeder blühenden Frauengestalt die himmlische Aphrodite zu suchen und doch nur immer ein klägliches Bruchstück zu finden, ein schwaches Echo der göttlichrauschenden Melodie – das wirkt nachgerade ermüdend. Bei der Epona, mir kommt so manchmal die dumme Idee, als spiele man bei der Komödie eine recht lächerliche Figur! Hier zum erstenmal . . .! Dreister, titanenhafter Geselle, kennst du deinen Homer nicht? Nun, König Ixion hatte die Sache wohl etwas ungeschickt angefangen . . . und . . . Pah, sie ist wirklich die babylonische Rose – nicht zu vergleichen mit all den Blumen und Blümchen, die ich bis dahin vom Strauche gepflückt – und den Helden lockt Heldenhaftes!«

Die junge Kaiserin war in der That eine Frauenerscheinung, wie sie den leicht entbrannten Agrigentiner verblüffen durfte. Früher von heiterer, lebensfroher Gemütsart, schaute sie jetzt – im Widerspruch zu ihrer milden, weichen Gesichtsbildung – außerordentlich ernst und gemessen drein. Ueber den langen bräunlichen Wimpern, die sie meistens gesenkt hielt, lag ein Schatten von Trauer. Schweigsam lehnte sie neben dem jungen Gemahl, dessen bleiches, marmornes Antlitz ihr eigenes geheimstes Wesen seltsam zu spiegeln schien.

Diese plastische Ruhe der beiden Ehegatten und der eigentümliche Hauch innerer Fremdheit, der sie umschwebte, mußte ein tiefer blickendes Auge geradezu peinlich berühren. Offenbar hatte das Schicksal hier zwei Herzen aneinander geknüpft, die, beide von edler Veranlagung, sich gleichwohl in ihrem Denken und Fühlen durchkreuzten. Nero, die phantastisch lebenswilde Natur, deren Uebersprudeln nur auf künstlichem Wege zurückgedrängt wurde, Nero, der Abtrünnige, Nero, der Mann der inneren Stürme und Kämpfe – wie paßte er zu der klar-gefesteten, frommen Octavia, deren Gemüt in dem altvererbten Glauben der Väter selig ward, die jeden Zweifel ihres Gemahls mit einem Seufzer des Mitleids, einem Lächeln der Zuversicht und der Hoffnung beantwortete?

Wenn Claudius Nero einen schweren Entschluß gefaßt, Großmut geübt oder sonst einen Sieg über sich selber errungen hatte, so fand Octavia das alles nur selbstverständlich.

Wie konnte man schwanken, wo die Dinge so hell und so offen dalagen? Ein edler Mensch fand hier den Weg ja im Dunkeln . . .

Nero fühlte bei solchen Reden seiner Gemahlin ein sonderbares Gemisch widerspruchsvoller Empfindungen: Groll, Bewunderung, Scham – vor allem aber ein trotziges Mißbehagen, das zuweilen die Färbung eines beginnenden Hasses annahm.

»Heil dem Kaiser!« klang es jetzt von neuem durch die jauchzende Menge. »Heil der Kaiserin, unsrer süßen Octavia!«

Nero, tief Atem holend, blickte zu seiner jugendlichen Gefährtin hinüber. Er versuchte zu lächeln . . . Sie schaute eine Sekunde lang auf, um wieder den träumerisch-müden Blick seufzend niederzuschlagen.

In der That, sie schien gleichgültig zum Erschrecken.

Und so war sie von je, dachte der Kaiser.

Nicht einmal am Tage der Hochzeit hatte sie jene holde Erregung gezeigt, die selbst ein unschönes Mädchen bräutlich verklärt. Starr und stumm war sie geblieben, die Statue Pygmalions vor ihrer Beseelung durch Aphrodite.

Wie anders Nero! Beim Zeus, er hatte sie niemals geliebt; – und dennoch, als nun die Thüre des Thalamus friedlich geschlossen war, als er das jugendblühende Weib vor sich erblickte, zauberisch vom Purpurschimmer der Ampel umflossen: da hielt er seine bisherige Gleichgültigkeit für ein Märchen, da schien sie ihm hold und begehrenswert, wie kaum die Helena dem zärtlichen Alexandros. Er setzte sich auf den löwenfüßigen Goldsessel, zog sie stürmisch zu sich heran und flüsterte sehnsuchtsvoll: »Laß uns glücklich sein, süße Octavia, glücklich ein langes Leben hindurch!«

Mit flammenden Küssen überflutete er das liebliche Angesicht, die kostonduftigen Haare, die schneeigen Schultern . . .

Sie aber, von der ihm die Freigelassene Rabonia – ihre Vertraute – so oft beteuert hatte, daß sie vor Liebe zu ihm vergehe, sie, die ›zärtliche Braut mit den leuchtenden Rehaugen‹, schien bei all seinen trunkenen Beteuerungen nach wie vor das leblose Marmorbild.

Wenn sie sich noch gesträubt hätte! Aber sie wehrte ihm nicht; sie that nicht verschämt; – sie erlaubte nur seine Liebkosung, ohne Gefühl, ohne den leisesten Hauch von Glückseligkeit.

Nero verlor so gleich am Anfang den Glauben an ihre Neigung. Sie schien ihm höchstens die Empfindung einer Schwester zu hegen. Er war nicht Heuchler genug, um ihr seinerseits auf die Dauer verbergen zu können, daß er noch weniger fühlte. Der Riß war unheilbar. Nur nach außen hin wahrte man noch den Schein.

Auf die Geleitschaft des Kaiserpaares folgte der angesehenste und vertrauteste Sklave des Imperators, der sechsunddreißigjährige Phaon. Um den wohlgebildeten, sympathischen Mund spielte ein Zug von Keckheit, der dem stattlichen Manne etwas Jünglingshaftes verlieh. Dieser Phaon schien die großen Fragen der Existenz nicht allzu düster zu nehmen. Seine Philosophie mochte die des Horaz sein: »Pflücke das Heute und hoffe möglichst wenig von dem, was da kommen soll!«

Neben dem Obersklaven schritten fünf oder sechs andre Bedienstete, perlengeschmückte Kästchen von Citrusholz vor sich her tragend. In diesen Behältnissen waren allerlei Kostbarkeiten verpackt – Geschenke des Kaisers für die Gemahlin und die Töchter des Flavius Scevinus.

Den Schluß des Zuges machte die Sänfte des Seneca. Zahlreiche Hofbeamte und Prätorianer umringten sie. In ihren Polstern saß, außer dem Staatsminister, der Oberst der Leibwache, Afranius Burrus.

Das Volk begrüßte die allbeliebten Männer mit jubelnden Zurufen.

»Heil den Dioskuren des Reiches!« klang es vielhundertstimmig.

»Seneca lächelt!« sagte ein greiser Klient. »Seht, er lächelt wie einer, der im Triumphe einherzieht! Kein Zweifel, er hat günstige Nachrichten von der Grenze! Die Chatten sind seiner Staatskunst erlegen, die Chatten, die das Schwert nicht besiegen konnte.«

»Glaube das nicht!« versetzte ein Hüne mit flachsblondem Haupthaar. »Die Chatten sind ebenso klug im Rate, wie tapfer im Kampf. Aber Freundschaft wollen sie halten mit Rom und Frieden, und deshalb entsenden wir nächstens die vornehmsten unsrer Edelinge, auf daß sie den Cäsar begrüßen und im Namen der übrigen mit ihm verhandeln.«

»Das ist auch Triumph,« sagte der Römer. »Ich wußte es ja: Seneca lächelt. O, diese Blüte der Philosophie! Wahrlich, die Toga ist immer noch mächtiger als die Waffen!«

»Denkst du?« fragte der Germane. »Burrus, wie er so dreinschaut, mahnt mich ans Gegenteil.«

Die beiden Charakterköpfe – der unüberwindliche Denker und der straffe, entschlossene Kriegsmann – gaben dem ernsten Beobachter wirklich ein Rätsel auf. Seneca – blaß, ruhig, die gewaltige Stirne kahl und gefurcht; Burrus, das Antlitz gerötet, wie nach dem zwanzigsten Becher, muskelstark, beinahe derb –: welcher von diesen zweien hielt das Schicksal des Reiches zwischen den Händen? Seneca, der die jahrtausendalte Vergangenheit stürzen wollte? Burrus, der sie als Kampfgenosse der Agrippina verteidigen mußte?

Oder stand es vielleicht in den Sternen geschrieben, daß keiner von beiden für die Entwickelung der Dinge den Ausschlag gab? Für denjenigen, der solches vorausgesehen hätte, wäre die selbstbewußte, beinahe welthistorische Sicherheit in den Mienen des ungleichen Paares über alle Beschreibung komisch gewesen.

. . . So bewegte sich der festliche Kaiserzug langsam und feierlich über die Via Sacra, dem querquetulanischen Thore zu . . . Ein Blühen und Leuchten ging durch die Luft, ein Odem des Frühlings, als huldige selbst der allgütige Jupiter dem irdischen Abbild seiner unendlichen Herrschergewalt.


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