Ernst Eckstein
Nero
Ernst Eckstein

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Sechstes Kapitel.

Während der ersten Stunden nach dem Wiedersehen mit Octavia zeigte sich Nero von ernster und wahrhaftiger Reue erfüllt. Die Leiden seiner jungen Gemahlin rührten ihn tief. Er machte sich leidenschaftliche Vorwürfe, daß er dem Scheine so über Gebühr Glauben geschenkt. Es jammerte ihn dieses verfehlten, hundertfältig gebeugten Daseins . . .

»Octavia,« sprach er, da sie erschöpft auf den Polstern ihres Gemachs ruhte, »du sollst nun sehen, wie sich alles zum Guten fügt. Ich ahnte ja nicht, was für ein süßes, holdes Geschöpf du bist! Weine nicht, arme Octavia! Doch, du weinst! Ganz wie von selber rinnt's dir in leisen Tropfen hier an der Wange herab. Du leidest, Octavia! Sieh', bei allen Göttern schwöre ich dir: Diese Hand hier wollt' ich vom Henker zerschmettern lassen, wenn ich das Elend, das ich dir zugefügt, wieder gut machen könnte. Soweit dies irgend noch möglich ist, soll es geschehen. Tigellinus hat bereits vier jener schmählichen Delatoren in Haft genommen. Sie werden am Kreuze verbluten. Octavia, vergib mir! Ich kann ja nicht leben, wenn du mir gram bist.«

Sie verzieh ihm von Herzen. Aber noch wühlte das Vorgefallene zu furchtbar in ihrer Brust, als daß sie ganz ohne weiteres diese Jahre der Trauer mit dem entsetzlichen Gipfelpunkt der Gerichtsverhandlung hätte verwinden können.

»Laß uns abwarten,« sagte sie, »ob dein Gemüt sich nicht täuscht! Das Opfer, das du zu bringen gedenkst, übersteigt vielleicht deine Kräfte. Nicht als lastende Pflicht sollst du empfinden, was für mich eine Gnade der Gottheit wäre. Prüfe dich, ob du noch fähig bist, einem Glück zu entsagen, das trotz alledem . . . doch dein Glück war!«

Claudius Nero erging sich in heißen Beteuerungen. Die Selbstlosigkeit dieses jungen Weibes, der Gram, der aus ihrem holden Gesichte so tief zur Seele sprach, erschütterte ihn bis in das Mark. Zaghaft wie ein Verbrecher, der solche Gunst nicht verdient, ergriff er die schlanken Finger und küßte sie. Dann versank er in dumpfes Brüten, bis der Tricliniarch ihm vermeldete, daß die Coena bereit stehe.

Der Kaiser erhob sich und wandte den Blick auf Octavia. Sie war entschlummert. Ihre Wangen hatten sich leise gerötet. An den Wimpern glänzte die letzte Spur einer Thräne.

Er weckte sie auf und sah ihr brünstig ins Auge, als flehe er nochmals ihre Verzeihung an. Sie lächelte. Dann schob sie das Haar zurecht, drapierte sich mit wenigen Griffen die Palla, und folgte ihrem Gemahl nach einem der abgelegenen kleinen Eßzimmer. Auch er, der sonst doch mindestens dreimal täglich seine verschwenderischen Kostüme wechselte, vergaß heute das Umkleiden.

Nero speiste mit ihr ganz allein, nur von wenigen Sklaven bedient, wie ein Kleinbürger. Weder er noch Octavia sprachen mehr als das Nötigste: sie vor tiefster Ermattung, er aus schmerzlich-beklommener Scheu vor dem Weibe, an der er – die Götter mochten es wissen, warum! – so maßlos gesündigt hatte. Octavia genoß nur wenige Bissen. – Auch dem Cäsar, dem die Freuden der Tafel sonst ebenso lockend erschienen, wie irgend ein andrer Lebensgenuß, wollten die köstlichen Perlhühner und die duftigen Früchte von Capua nicht munden.

Frühzeitig trennte man sich. Octavia begab sich sofort in ihr Schlafgemach. Trotz der unleugbaren Wandlung, die im Verhalten des Kaisers zu Tage trat, war's ihr so schwer ums Herz, daß sie gleich hätte sterben mögen. Ja, sie meinte, als sie unter dem Druck jenes schmachvollen Rechtsspruches in der Carruca nach Antium gefahren, sei ihre Seele ruhiger gewesen, gefaßter und klarer. Sie ahnte nichts Gutes von dieser unverhofften Versöhnung; sie fühlte, daß die Entschlüsse Neros nicht frei gewesen, mochte nun Furcht vor den lärmenden Volksmassen, oder Gewissensangst, oder selbst Mitleid ihn zum Handeln bestimmt haben. Liebe, Liebe, das einzige, was ihr das Herz hätte heilen können, war es gewiß nicht. Dennoch: der nazarenische Weise, von dem ihr Acte geredet, hatte den schönen Wahlspruch: ›Harret aus bis zuletzt!‹ Sie wollte ausharren, sie wollte nichts unversucht lassen, was in ihrer Gewalt lag. Mochte dann alles sich fügen, wie es der Gottheit gefiel.

Nero, sich selbst überlassen, spürte sofort ein ungewisses Gefühl der Oede, das nach kurzer Frist eine bestimmte Gestalt annahm. Ihn beschlich die Sehnsucht nach Poppäa Sabina.

Alle Unbeständigkeit, alle Ausschweifungen, die er in Scene gesetzt, konnten die eine Thatsache nicht verdunkeln: daß er in diese reizende Gauklerin bis zur Tollheit verliebt war.

Der leise Zug um Augen und Lippen, den Poppäa mit der unvergeßlichen Acte gemein hatte, war der unbewußte Grund dieser dämonischen Leidenschaft.

Der Gedanke, Poppäa verlieren zu sollen – und darüber war er sich klar, daß ein Weib wie Octavia nicht teilen würde – dieser Gedanke regte ihn wahnwitzig auf. Nachdem er sich kaum erst Octavias Verzeihung erfleht hatte, bebte er schon bis ins innerste Mark vor den logischen Folgen. Alle Vernunft, alle Gerechtigkeit, die er aufbot, löste ihn nicht vom Banne dieser Empfindungen.

Seine Gemahlin war schön, jung, edel, das Urbild einer hochgemuteten Frau: aber für ihn blieben all diese zauberischen Reize tot – im Vergleich mit jenem einen unbeschreiblichen Zug, den Acte in ihrer kindlichen Unschuld mit der abgefeimten Poppäa gemein hatte, und der in dem Antlitz Octavias fehlte.

Dieser Zug war für ihn die Verkörperung süßer, schmiegsamer, liebeglühender Weiblichkeit: alles andre bedünkte ihm Starrheit, kalte, sang- und klanglose Monotonie, – und so kam es ihm vor, als stehe er jetzt, nach seiner Wiedervereinigung mit Octavia, an dem Trennungspunkte zwischen Jugend und Alter.

Vier Tage lang kämpfte der Kaiser diesen verzweifelten Kampf zwischen Liebe und Pflicht. Er schien zu jeder Thätigkeit unfähig. Keiner der Freunde ward vorgelassen. Tigellinus sogar und Phaon, der über die neue campanische Villa berichten wollte, mußten sich unverrichteter Sache wieder zurückziehen. Der ganze Verkehr des Kaisers beschränkte sich auf Octavia. Es war, als wolle er thunlichst rasch sich ins Unvermeidliche einleben und dies lichtlose Dasein ohne Poppäa ertragen lernen.

Octavia durchschaute ihn. Am fünften Tage trat sie zu ihm heran, blickte thränenlos zu ihm auf und sagte mit fester Stimme: »Ich weiß nun, daß du mir ewig verloren bist. Ich zürne dir nicht: die Gottheit hat es gewollt. Laß mich – das ist mein einziger Wunsch – ruhig nach meiner antianischen Villa zurückkehren und dort meine Tage beschließen, so gut es gehen will. Möchte Poppäa dich lieben, wie ich dich geliebt habe!«

Sie wollte hinzufügen: »Traue ihr nicht zu sehr! Sie liebt nur die Macht, und die Herrlichkeit des Palatiums!« Aber sie schwieg.

Trotz der Rührung, die ihn ergriff, und trotz der Bewunderung vor der heroischen Größe dieser trauernden Dulderin konnte der Cäsar bei dem unerwarteten Vorschlag Octavias kaum seine Freude verbergen. Sie sprach ja aus, was er längst schon als wahr erkannt. Sie begriff, daß die Liebe sich nicht erzwingen läßt.

Der Form wegen sträubte er sich.

Er rief Seneca und seinen Vertrauten Phaon herzu, auf daß sie ihm bitten hülfen.

Aber Octavia blieb fest.

Ihrer letzten schüchternen Hoffnung, die kaum noch Hoffnung genannt werden konnte, beraubt, kehrte sie noch desselbigen Tages geräuschlos und ohne Aufsehen nach Antium zurück.

Es war nun alles vorbei, und für immer; – das sagte ihr wortloser Scheidegruß, ihr schmerzliches Lächeln, das keinen Vorwurf enthielt, nur unsägliche Traurigkeit.

Langsam, als ob er eine Tote beherberge, rollte ihr Wagen über die abendbetaute Heerstraße. Verdorrtes Weinlaub raschelte von den Terrassen der Landhäuser auf die Böschung herab; der kühle Dezemberwind stöhnte in langgezogenen Klagelauten durch die vereinsamten Vorhallen. Einmal noch schaute sie um. Hinter ihr, eine schwarzverdämmernde Masse, lag Rom, das Grab ihrer einst so rosig geträumten Glückseligkeit. Dunkles Gewölk ballte sich drohend am Gehänge des Mons Janiculus. Ein Seufzer noch, ein heimliches Aechzen, und dann die Blicke vorwärts gerichtet in die öde Zukunft. Wider das Schicksal und seine zerschmetternden Fügungen ließ sich nicht ankämpfen. So war's ihr von Urbeginne bestimmt gewesen: sie mußte ihr Los ertragen, stumm, ohne Haß und Groll, wie es den Göttern gefiel.

Die Fackeln ihrer Begleiter brannten heller und heller. Ein Funkenregen umsprühte blendend ihre Carruca. Es ward ihr zu Mute, als sei dies rollende Fuhrwerk ihr Holzstoß, dessen Flammen ihr den ermatteten Leib verzehrten. Ach, wenn es so mild sich stürbe, so ruhevoll . . .! Da plötzlich, als sie des Sterbens gedachte, ergriff sie ein jähes Schauern, eine wühlende Angst. Es war wie ein Nachklang jener furchtbaren Ueberreizung, die ihr damals mit so grausenhaften Visionen den Geist umnachtet. Sie schloß die Augen. Sie zwang sich mit übermenschlicher Anstrengung zur Gleichmütigkeit. Endlich ebbte der unheimlich-drohende Anfall. Unter dem einförmigen Rollen der Räder war sie entschlummert.

Ebenso ohne Aufsehen nahm Poppäa Sabina wieder den alten Platz im Palatium ein, voll überströmender Wonne von dem begrüßt, der noch vor wenigen Tagen beim Anblick der totenbleichen Octavia geschworen hatte, er würde mit tausend Freuden sich blutig verstümmeln lassen, wenn er dadurch die Schuld seiner Vergangenheit wieder gut machen könnte.

Octavia selber hatte die Nachricht verbreitet, sie verlasse die Hauptstadt aus eigener Entschließung.

Zudem wußte jetzt Tigellinus die Leibwache durch erneute Millionenspenden dergestalt an sich zu fesseln, daß die Soldaten und die Mehrzahl der Offiziere ihn stürmisch zum Kommandanten begehrten, nachdem der jüngsthin erkrankte Burrus plötzlich verstorben war.

Somit wäre denn alles wieder im ruhigen Geleise gewesen.

Die Besatzung des Kaiserpalastes wurde verstärkt. Der neu ernannte Befehlshaber Tigellinus erklärte es für eine Kleinigkeit, den Pöbel, und brülle er noch so übermütig, zu Paaren zu treiben, falls er sich wieder erdreisten sollte, dem Imperator Gesetze zu geben. Neue Manipeln, zum größten Teil aus germanischen Söldlingen zusammengesetzt, waren bereits in der Bildung begriffen.

Nero, der sich jetzt sagen durfte, der Wegzug Octavias aus den Räumen der Hofburg sei ja ihr freier Wille, hatte sich mit den letzten Regungen seines Gewissens vollständig abgefunden.

Auch das Volk schien beruhigter. Denn die Hauptsache, die es erstrebt hatte: die Sühne für die unerhörte Verurteilung war ja dem übermütigen Tigellinus abgetrotzt worden.

Was schließlich Poppäa betraf, so durfte sie, der Meinung kaltblütiger Beurteiler zufolge, mit dem Gang der Ereignisse vollauf zufrieden sein. Daß sie, nach Vernichtung jenes Verdiktes, welches die Ehescheidung zwischen Octavia und Nero aussprach, nicht tatsächlich Kaiserin ward, fiel ja nicht so schwer ins Gewicht. Den Cäsar, der nach ihrer schmeichelnden Liebe fast verhungert war, beherrschte sie unumschränkter als je. Später konnte man schon die Angelegenheit wieder einmal in die Hand nehmen. Vielleicht war die gänzlich gebrochene Octavia auf gütlichem Weg zu veranlassen, völlig und in gesetzlicher Form auf die Seite zu treten . . .

Die Leute indessen, die so gleichmütig-praktische Erwägungen bei Poppäa unterstellten, irrten sich gründlich. Poppäa erwog nicht, sie fühlte nur. Jeder Nerv an ihr schnaubte nach Rache. Sie hatte niemals geglaubt, daß diese armselige Schein-Kaiserin im stande sei, ihr gefährlich zu werden.

Nun war das Unerhörte geschehen. Octavia hatte, wenn auch für Tage nur, über das schönste Weib der Siebenhügelstadt triumphiert.

Hiermit war das Schicksal der Unglücklichen besiegelt. Sie mußte sterben, und wenn ihr Poppäa selber den Dolch in die Brust bohren sollte.

Zunächst suchte Poppäa sich vor dem Volke wieder in Ansehen zu bringen.

Die Trabanten des Tigellinus rissen die Kränze von den Standbildern der geflüchteten Kaiserin fort, während sie die gestürzten Statuen Poppäas wiederum aufrichteten, über und über mit Blumen bestreuten oder durch Opferbrände verehrten. Alle Künstler der Weltstadt erhielten Aufträge, neue Büsten in Marmor und Erz zu fertigen – eine trotzige Antwort auf die Beleidigungen des Pöbels. Starke Abteilungen von Prätorianern durchzogen die Stadt; ihnen zur Seite schritten je drei Dutzend stämmige Sklaven des Imperators, die außer dem Kurzschwert festgeknotete Peitschen trugen. So wurden neue Ansammlungen und neue Injurien im Keime erstickt.

Der Senat, dem der Cäsar drei Tage später von dem Entschlusse der jungen Kaiserin Mitteilung machen ließ, setzte sofort eine klägliche Miene auf, als bedaure er jetzt ebenso sklavisch die Vernichtung seines Erkenntnisses, wie er vor kurzem jenes Erkenntnis selber bedauert hatte.

Diese unglaubliche Haltung der hohen Körperschaft flößte der zornerfüllten Poppäa für kurze Zeit den Gedanken ein, sich nochmals des Senats zu bedienen, um ihre tödlich gehaßte Gegnerin endgültig aus dem Wege zu räumen. Wenn sie es klug begann, würden die Knechte vom Kapitol abermals umsatteln und ein drittes Verdikt fällen, wonach die Kaiserin dennoch und trotz alledem jeder beliebigen Niedertracht schuldig sei.

Aber nein, dieses Gesindel ehrte man doch zu hoch, wenn man bei so gewichtigen Fragen überhaupt seine Mitwirkung heischte. Sie verwarf ihren Einfall. Sie selber wollte nun handeln, sie ganz allein. Und diesmal sollte ihr Tigellinus nicht wieder mit seiner albernen Weisheit die Pfade kreuzen.

Sie hatte ihm gleich zu Anfang bedeutet, seine Erfindung mit dem Verhältnis der Kaiserin zu Abyssus sei eine Thorheit, – einmal, weil dieser Erfindung kein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit innewohne, dann aber auch, weil nach römischem Recht ein Sklave im Prozeß gegen Freigeborene kein Zeugnis ablegen konnte.

Tigellinus stellte ihr freilich vor, sie zermalme die Feindin durch die ihr aufgebürdete Liebschaft mit einem Sklaven gründlicher, als wenn der Verführer dem Ritterstand oder den stolzen Adelsfamilien des Senats angehöre.

Ja, diese Thatsache war nicht zu bestreiten: aber der Agrigentiner hatte durch die Wahl eines Sklaven, dessen Eingeständnis juridisch ohne Belang blieb, die Notwendigkeit der Tortur veranlaßt, und das Ergebnis dieses abgeschmackten Verfahrens war für die Schuldlosigkeit Octavias glänzend gewesen.

Der Mißgriff hatte sie, die sieggewohnte Poppäa, fast ins Verderben gestürzt. Sie dankte für solche Ratgeber.

Der Streich, den sie jetzt plante, würde zertrümmern, zu Staub zermalmen, wie ein Strahl aus dem jovischen Donnerkeil.


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