Ernst Eckstein
Nero
Ernst Eckstein

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Zwölftes Kapitel.

Der Sommer zu Bajä schloß in der nämlichen Tonart, in der er begonnen hatte.

Ein Fest jagte das andre, dank den wohlerwogenen Plänen des Tigellinus und der Poppäa, die sich's zum Ziele gesetzt, den Imperator nicht zur Besinnung kommen zu lassen. Dabei wußten sie die Sache doch so einzurichten, daß keinerlei Uebersättigung eintrat.

Nervenerquickende Lustfahrten über den nächtlichen Golf, wo außer dem Klang der Ruder kein Laut ans Ohr schlug, unterbrachen häufig genug die lange Reihe der prunkvollen Schaustellungen, Spiele und Wettkämpfe.

Auch hatte Poppäa jetzt, nachdem sie den Kaiser völlig ins Garn gelockt, wohl dafür Sorge getragen, daß ihm nicht übermäßig der Schlaf gekürzt wurde. Ohne weniger üppig und wild zu sein, schlossen doch die Gelage schon eine Stunde vor Mitternacht.

Zwei Abende in der Woche wurden damit gefüllt, daß Nero selbst – scheinbar auf das dringliche Zureden seiner Freunde – deklamatorische Vorträge hielt, zur Leier sang, oder, dem Vorbilde gefeierter Modekünstler nacheifernd, pantomimisch Scenen aus dem Bereich der altgriechischen Sage vorführte, – die Opferung Iphigeniens, die Leiden des Philoktetes, die Heimkehr des Laërtiaden.

Früher war dies außerordentlich selten und nur im engsten Kreis der Vertrauten geschehen. Jetzt lud man halb Bajä zu Gaste, – und so sehr sich das römische Anstandsgefühl durch diese künstlerischen Excesse beleidigt fühlte: man klaschte dem Weltbeherrscher doch Beifall, und zwar mit verdoppeltem Eifer, seitdem ein alter Senator, der beim verzweifeltsten Händeringen des Philoktetes friedlich entschlummert war, von einem der dienstthuenden Prätorianer einen ermunternden Stoß mit dem Lanzenschaft in den Rücken bekommen.

Auch den Frühherbst verbrachte man noch in Bajä, ›leider‹ – wie Tigellinus heuchlerisch seufzte – ›ohne die allbelebende Gegenwart Othos‹, den die Gnade des Kaisers zum Proprätor in Lusitanien ernannt hatte.

Das war ein Umarmen und Händedrücken, ein Winken und Wehen mit den flammroten Schleiern, als der betrogene Gemahl der schlauen Poppäa ›eingedenk seiner patriotischen Pflichten‹ am Kap von Misenum sich einschiffte! Der Flottenbefehlshaber Anicetus in eigener Person kommandierte das buntbewimpelte Fahrzeug, das den überflüssigen Eheherrn durch die felsgetürmten Säulen des Herkules nach dem Westgestade der Iberischen Halbinsel bringen sollte, denn: ›Ehre wem Ehre gebührt!‹

Merkwürdig! Dieser Otho, ursprünglich von so rasender Eifersucht, und so leidenschaftlich erregt, war seit einiger Zeit ganz still und ruhig geworden, so unheimlich still, daß Nero im Verkehre mit ihm sich nicht mehr behaglich fühlte. Schon aus diesem Grund hatte der Imperator für die ›ruhmreiche Verbannung‹ des Unbequemen das abgelegene Lusitanien erwählt.

Der Vorsicht halber gab er dem neuen Proprätor in der Person eines jungen germanischen Offiziers einen persönlichen Adjutanten mit, der die amtlichen wie die außeramtlichen Handlungen Othos insgeheim überwachen sollte.

Dieser germanische Offizier war der Militärtribun Giso, der Sohn des Chattenfürsten Lollarius.

Nero hielt ihn für ebenso zuverlässig als klug, ohne zu ahnen, daß Giso, von dem verwerflichen Treiben in Bajä gründlich angewidert, längst schon im stillen Partei für Otho ergriffen.

Auch Poppäa verspürte bei der unbegreiflichen Wandlung ihres Gemahls ein Gefühl der Beklommenheit.

Sie hatte schon eine offene Entzweiung gefürchtet, als sie erklärte, sie müsse zu ihrem größten Leidwesen hier in Italien zurückbleiben, weil der Arzt ihr bedeutet habe, das lusitanische Klima werde sie töten.

Otho jedoch ging so ganz ohne Widerspruch auf ihre Absicht ein, daß sie stutzte.

War sein eifersüchtiges Gebaren von ehedem nur Heuchelei gewesen? Hatte er aufgehört, sie zu lieben?

Oder hielt er in seinem wachsenden Selbstgefühl eine ernstliche Treulosigkeit für unmöglich?

Fast bedünkte es ihr, – und die Abschiedsworte des Gatten schienen diese Auffassung zu bestätigen.

Nämlich zuletzt noch, beim Einsteigen in die Barke, die ihn an Bord bringen sollte, sprach Salvius Otho mit seltsam bewegter Stimme zum Imperator: »Liebster, nimm dich meiner getreuen Poppäa an und sorge dafür, daß ihr die Zeit bis zu meiner demnächstigen Rückkehr nicht zu beschwerlich deucht!«

Nero meisterte seine Verwirrung, so gut es gehen wollte.

»Reise nur!« sagte er höflich, und winkte ihm mit der Hand. »Ich werde mich dieses Auftrags erinnern.«

Hiernach bemerkte der Agrigentiner: »Ich kenne den Cäsar in seiner ganzen unermeßlichen Huld. Mit meinem Kopfe bürg' ich dafür, daß er deiner verwaisten Gemahlin, wenn dir's genehm ist, ein Asyl im Palatium gewährt.«

»Das überträfe ja meine kühnsten Erwartungen,« lächelte Otho.

Nicht der leiseste Hauch von Bitternis oder Selbstironie glitt über sein vornehm-blasses Gesicht. Noch einmal nickte er mit gewinnender Freundlichkeit. Dann schritt er ins Boot, während die Umstehenden sich bedeutsame Blicke zuwarfen.

Die Liebschaft zwischen Poppäa und Nero war für jeden, der Augen hatte, die unbezweifeltste Thatsache, wenn auch niemand gewagt hätte, öffentlich darauf anzuspielen. Höchst klüglich hatte Poppäa den Schein gewahrt, um desto sicherer sich festzunisten. Daß aber Otho so ganz und gar nichts gemerkt haben sollte, das ging ihr denn doch auf die Dauer nicht völlig ein. Bei der Erinnerung an die lächelnde Ruhe des Scheidenden schwante ihr etwas wie Unheil . . .

Otho war abgesegelt. Die zweite Hälfte des Monats September brachte schon kühlere Nächte. Trotz der unvergänglichen Reize Campaniens sehnten sich die verwöhnten Großstädter nach dem Mittelpunkt der bewohnten Erde, nach Rom zurück.

Mitte Oktober bestieg man die Reisewagen, – viele Hunderte an der Zahl: denn Poppäa allein hatte ein riesenhaftes Gefolge.

Die purpurfarbenen Kaleschen, je mit vier, sechs oder acht goldüberladenen Vollblutrossen bespannt; die geräumigen Schlafkutschen; die Flachfuhrwerke mit ihren kunstvollen Mosaikböden und zusammengerollten Zeltdächern, aus denen man jederzeit so und so viele Speisezimmer herstellen konnte; die breiten Gepäckwagen; die hochgeräderten Cisien mit dem Tafelgeschirr; dies alles machte in seiner unendlichen Fülle und Ueppigkeit fast schon den Eindruck altpersischen Königsprunks.

Dazu kamen die harnischblitzenden Prätorianer, die, in zwei Abteilungen gesondert, auf schneeigen Kappadociern dem Zuge voransprengten.

Abenteuerlich und grotesk vollends wirkten die zwanzig Kamele mit den wallenden, gelbquastigen Scharlachdecken, von ringgeschmückten kohlschwarzen Afrikanern geritten, – eine Laune des Tigellinus, der am Strande von Bajä zur Abwechslung einmal ein feierliches Kamelsrennen veranstaltet hatte und diesen Scherz im großen Cirkus zu wiederholen wünschte.

Den Kamelen des Tigellinus folgten, als Schluß des unabsehbaren Zuges, die allbekannten fünfhundert Eselinnen, prächtige mauritanische Exemplare, in deren Milch die schöne Poppäa Sabina jeden Morgen ein viertelstündiges Bad nahm, um sich die unvergleichliche Frische und Jugendlichkeit ihres ambrosischen Leibs zu erhalten.

Wie betäubt starrten die armen Landleute rechts und links von der Via Appia diesem phantastischen Chaos von Wagen, Menschen und Tieren nach, bis das letzte Gefunkel des Sonnenlichts auf den goldbeschlagenen Hufen der Eselinnen verschwunden war.

Von diesem glänzenden Hufbeschlag unterhielt man sich bereits in Hispanien und Gallien.

Er war das erste Geburtstagsgeschenk des Kaisers an seine Geliebte und kostete elf Millionen Denare.

Inzwischen war auch Octavia, ohne daß sie von Neros Beziehungen zu Poppäa etwas geahnt hätte, – denn keiner der Hausgenossen war dreist oder grausam genug, dergleichen ihr mitzuteilen – in das Palatium zurückgekehrt. Abyssus der Arzt, Rabonia und drei ihrer übrigen Freigelassenen begleiteten sie.

Acte, in den Augen Octavias die reuigste Sünderin, die sich jemals einem beleidigten Weibe zu Füßen geworfen, war unter dem Namen Ismene zu Antium in der Villa verblieben. Niemand wußte dort um Actes Vergangenheit; nur Abyssus und die ernste Rabonia hatten's am Krankenlager des Mädchens vernommen, – und beiden brauchte man nicht erst zu sagen, wo sie zu schweigen hatten.

Acte-Ismene sollte dem greisen Verwalter, dessen Ehefrau kürzlich gestorben war, die Haushaltung führen, ihm die früh schon verwaisten Enkelkinder erziehen und sich sonst nach Fähigkeit nützlich machen.

Diese Vereinbarung entsprach dem dringenden Wunsche, den sie selber geäußert hatte.

In Wahrheit nahm sie an nichts Interesse.

Sie hatte nur den einen Gedanken: sich vor der Welt zu verbergen, den Cäsar, welchem sie jetzt, nachdem Octavia ihre Wohlthäterin geworden, noch weniger angehören durfte als je, um keinen Preis wieder zu sehen, und die Erinnerung an ihr sündiges Glück ein für allemal zu vernichten.

Oft genug, wenn sie der Großmut und der Hochherzigkeit der jungen Fürstin gedachte, und jenes heiligen Schmerzes, der so bittere Thränen in diese jugendstrahlenden Augen gelockt hatte, meinte sie obgesiegt und jedes eigene Verlangen getilgt und verwunden zu haben.

Dann aber kamen Momente der Sehnsucht, die alles, was Selbstverleugnung, ehrliche Willenskraft und heißes Gebet aufgebaut hatten, wieder in Trümmer warfen. Ihr Herz war zerklüftet, ihr ganzes Wesen grausam zerrissen. Sie konnte dann nicht begreifen, wie das eine Sünde sein sollte, was ihr so süß gedünkt, so himmlisch und rein, was ihr das unverstandene Dasein erst zum Leben gemacht hatte. Ja, sie liebte ihn, nach wie vor, heiß, unauslöschlich – obschon sie um dieser Liebe willen sich mitleidsloser verdammte, als Jesus von Nazareth in eigener Person es gethan hätte . . .

Dazu kam, daß ihr die Kunde von dem Triumph der Poppäa nicht fremd geblieben war, wie der jungen Kaiserin selber.

Ein unendliches Weh beschlich sie bei dieser Botschaft; nicht fiebernde Eifersucht, wie sie ein hohler geartetes Herz wohl empfunden hätte, sondern unsägliches Mitleid.

Sie beweinte Octavia, die noch einmal die Funken ihrer verlöschenden Hoffnungen angefacht hatte, und mit dem scheuen Gedanken, es könne sich dennoch alles zum guten wenden, in die Hofburg zurückgekehrt war.

Sie beweinte den Kaiser, der doch über alle Beschreibung elend sein mußte, wenn er bei einer Poppäa Sabina Trost suchte für das Ewig-Verlorene. Früher bereits hatte sie durch den Freigelassenen Artemidorus von dem ›schönsten Weibe der Siebenhügelstadt‹, ihrer öden Gefallsucht, ihrem tückischen Egoismus gehört. Sie wußte, daß diese Poppäa das glückverlangende Herz des Kaisers nie würde ausfüllen können. Seine Sinne berauschen, seinen Schmerz um das Einst für einige Augenblicke betäuben, das vermochte sie wohl: aber volle Heilung – wenn Heilung von dem Weh der Liebe überhaupt möglich war – hätte er nur bei Octavia gefunden. Dieses liebliche, jungfräulich-reine, ach, und doch so glut-erfüllte Geschöpf, diese Kaiserin mit der Dornenkrone: sie allein war befähigt, ihm Balsam in die blutenden Wunden zu gießen und seiner verfinsterten Seele das Licht zu bringen. Einmal nur mußte sie ihm beweisen, daß sie ihn wahrhaft liebte, daß ihre Neigung stärker war als ihr Stolz und ihr schmählich gekränktes Rechtsgefühl.

Schien dies möglich? Oder hatte das Unglück sie völlig verschlossen gemacht? Dann wehe ihr, – und wehe dem Imperator!

Es war Agrippina, die der Gemahlin des Kaisers unmittelbar nach ihrer Zurückkehr von Antium die Augen öffnete, – nicht etwa feierlich und im Tone einer gewichtigen Offenbarung, sondern ganz im Vorübergehen, gesprächsweise. Denn die Kaiserin-Mutter glaubte, Octavia wisse bereits um die bajanischen Vorfälle.

Der Ausdruck wilder Verstörtheit in dem blutlosen Angesicht der Enttäuschten war fürchterlich.

Agrippina selber, sonst doch gefeit gegen alle weichlichen Regungen, verlor gänzlich die Haltung.

Sie fing die Zusammenbrechende mit den Armen auf, trug sie nach jenem Cubiculum, dessen Rückwand das Mordarsenal der Tyrannin beherbergte, und legte sie vorsichtig auf die Polster.

Dann holte sie aus dem Schubfach – dicht neben jener verborgenen Lade, wo die entsetzlichen Gifte Locustas in Reih und Glied standen – ein lebenspendendes Wasser, halb nach Rosen und halb noch Zitronen duftend.

Wie eine Mutter um ihr erkranktes Kind, mühte sie sich um die Bewußtlose, ohne nach Hilfe zu rufen, ohne nur den Gedanken zu fassen, als könne ein andrer hier Besseres und Sachgemäßeres leisten.

Endlich schlug Octavia die Augen auf. Gleich darauf aber begann sie zu delirieren. Sie kleidete ihr unermeßliches Elend in herzzerreißende, wüste Naturlaute.

»Arme Octavia!« murmelte Agrippina ein um das andre Mal. Und dann küßte sie ihr die Stirne, und für Augenblicke trug jener tiefgeheime sympathische Zug, der allerorten das Weib zum leidenden Weibe drängt, über die starre Selbstsucht ihres Charakters den Sieg davon. Die Augen dieser stolzen Menschenverächterin, die seit Jahren nur aus verwundeter Eitelkeit oder aus Zorn geweint hatten, opferten eine Thräne des Mitleids am Pfühl der grausam zertretenen Dulderin.

»Acte! Poppäa! Chloris!« schluchzte Octavia, die Hände ringend. »Habt ihr euch alle verschworen? Ihr wollt mir ihn wegschleppen? Ach, und ich hatte ihn doch so namenlos lieb! Ihr macht mir ihn unglücklich! Ja, ich seh' es, ich seh' es . . .! Dort . . .! Dort . . .! O, wie er bleich ist! Was wollen denn die gespenstischen Reiter, die ihn verfolgen? Sein Blut! Ihr ewigen Götter, sein Blut! Helft! Helft! Rettet ihn! Acte! Süße Acte! Wenn du ihn wahrhaft geliebt hast – wirf dich doch ihren gräßlichen Lanzen entgegen! Sie durchbohren ihn sonst! Sie zermalmen ihn! Halt! Beim allmächtigen Jupiter, halt! Hier ist meine Brust! Tötet mich! Ach, ich kann ja nicht leben, wenn ihr mein Alles dahin rafft!«

Mit zuckenden Fingern zerrte sie an der Tunica und entblößte in ihren schrecklichen Wahnvorstellungen den alabasternen Busen.

»Hier! Stoßt zu! Hier!« ächzte sie unaufhörlich, während die linke Hand sich krampfhaft unter die linke Brust stemmte, als wolle sie dort einen qualvollen Druck beiseite schieben.

Agrippina eilte nun doch in das Vorgemach.

»Lauf!« sagte sie zu der nächsten Sklavin, deren sie ansichtig wurde. »Abyssus, der Arzt der erlauchten Octavia, soll unverzüglich hier eintreten.«

Abyssus erschien. Tiefen Schmerz in dem klugen, männlich-schönen Gesicht, schritt er aufs Lager zu.

Er fühlte der Kranken den Puls, schob ihr mit der Spitze des linken Daumens die halbgeschlossenen Lider zurück und sah ihr – seine rechte Hand bald über das Auge legend, bald sie rasch wieder hinwegziehend – forschend in die Pupille.

Nachdem er unmerklich genickt hatte, drückte er sein Ohr wider die Brust der Patientin, um ihre Herzthätigkeit zu beobachten.

Octavia indes klagte und jammerte unbeirrt weiter.

Neue Visionen schienen ihre umnachtete Seele jetzt heimzusuchen.

»Ja, du bist unglücklich!« stöhnte sie, das Antlitz in den Kissen verbergend. »Dieser erbärmliche Phaon! Hast du ihm dafür das entzückende Landhaus geschenkt? Phaon hat sie beschützen sollen, – und Phaon hat zugegeben, daß sie geraubt wurde! Der Elende! Dir so das Herz zu zerreißen! Weine nicht, Nero! Ich kann's ja nicht sehen, wenn du weinst. Ich will sie dir suchen helfen. Ganz gewiß! Und ich finde sie! Nein, nein! Fort mit dem Dolche! Du sollst dich nicht töten! Leben sollst du, leben – mit ihr, mit deiner unvergeßlichen Acte! Glaube mir doch, sie liebt dich ganz ohne Maßen! Und ich weiß, wo sie ist . . . Ach, ihr Blondhaar, das dich so süß umstrickte, schimmert ja dort durch das Myrtengesträuch! Ist das die Villa des Phaon? O, die entsetzliche Klinge! Phaon! Acte! Fallt ihm doch in den Arm! Hilfe! Nero! Da . . . Er stößt zu . . . Nero! Nero! Zu spät!«

Ihre Stimme klang wild gellend, wie die einer Rasenden.

Dann schluchzte sie eine Minute lang still vor sich hin.

Plötzlich fuhr sie empor.

»Laß mich hinaus!« schrie sie verzweiflungsvoll. »Ich will zu ihm! Ich schwöre es euch: er bohrt sich sonst den Stahl in die Kehle! Er hat's ja vor dem Senate gelobt! Die eigene Mutter hat es ihm vorgeschrieben! Agrippina! Ruft mir doch Agrippina! Hört ihr denn nicht! Hat mich denn alles verlassen?«

»Hier bin ich,« stammelte Agrippina, sich niederbeugend.

Octavia schlang ihr den rechten Arm um den Hals und wiederholte voll Inbrunst: »Thu mir die Liebe an! Ruf mir die Agrippina! Agrippina, das weiß ja die ganze Welt, hat großen Einfluß auf Nero! Weit größeren als ich! Und so gehört sich's auch! Siehst du, ich bin ja viel zu gering für Nero! Ein so schlechtes Geschöpf kann er nicht lieben, wenn er auch wollte! Sag das der Agrippina! Wenn er mit Acte sich einließ: – ich allein war die Schuldige! Auch Poppäa ist hundertmal besser als ich! Tragt ihr das alles nicht nach, ich bitte euch flehentlich! Agrippina soll ihr verzeihen! Allmutter Juno, ich bin die Verworfenste unter den Weibern! Ach, Nero kann mir ja nicht vergeben! Nie und nimmer! Kein Gott wird die arme Octavia erlösen, nicht einmal Jesus der Galiläer, der zu Acte gekommen ist, um sie selig zu machen! Selig, selig . . .! Das ist sie gewesen! Mich aber sollt ihr ans Kreuz schlagen, an den Galgen der Ehrlosen! Fort! Ihr durchbohrt mir die Hände! Noch nicht, noch nicht! Ich lebe ja noch! O, so wartet doch nur einen einzigen Tag! Ich sehe ja schon, wie der gräßliche Tod kommt, der unbarmherzige Tod mit dem Stundenglas! Da – nun ist das letzte Sandkorn hinabgerollt! Nun bin ich gestorben! Gestorben! Und Nero hat seine arme Octavia nicht wiedergesehen!«

Erschöpft löste sie ihren Arm von dem Nacken der Kaiserin-Mutter und sank zurück.

Abyssus, dem die funkelnden Thränen über die Wangen liefen, eilte von dannen.

Zehn Minuten später kam er zurück. Er trug in metallener Schale einen milchweißen Trank.

»Herrin,« flüsterte er mit einem flehenden Blick in Octavias verstörte Augen, »nimm dies: dann wirst du Ruhe finden!«

Beim Klange seiner weichtönigen Stimme horchte sie auf.

»Wer sprach zu mir?« fragte sie lächelnd. »Ach so mild, so unsagbar freundlich? Das war Nero, mein teurer Gemahl. Tritt doch heran! Noch näher! Aber ich sehe dich nicht. Bin ich denn blind? Mir liegt's wie ein Schleier über den Augen.«

Abyssus schob ihr den rechten Arm unter den Rücken, hob sie sanft in die Höhe und bot ihr mit der Linken die Schale.

Sie schürfte einige Tropfen, bäumte sich jählings zurück und schrie so laut, daß rings die Wände erdröhnten: »Gift! Gift! Ihr wollt mich ermorden!«

»Beruhige dich, Herrin! Ich bin's, Abyssus, dein getreuester Knecht, der dich hüten möchte wie seinen Augapfel.«

Sie schaute ihm blinzelnd ins Angesicht.

»Ja, ich erkenne dich! Alle Unsterblichen seien gelobt, daß du da bist! Komm, du Geliebter! Küsse mich! Warum sträubst du dich nur? Denkst du noch immer an Acte? Nein, du nimmst mich wieder ans Herz, wie ehedem! Weißt du noch – damals? Ach, hier über der Stirn sitzt mir ein Goldschmuck, der ist noch glühend vom Schmelzofen . . . Wie das hämmert und brennt! Gebt mir doch Schnee . . . Ich vergehe sonst!«

»Trinke nur!« sagte Abyssus erschüttert.

Sie leerte die Schale jetzt ohne Widerrede.

Inzwischen hatte sich Agrippinas Vertraute, die meergrünäugige Acerronia, von ihrer Sklavin Olbia begleitet, in das Gemach geschlichen.

Abyssus, kraft seiner Machtvollkommenheit als Arzt, gab ihr einen höflichen, aber energischen Wink, sich zurückzuziehen.

»Völlige Ruhe,« setzte er flüsternd hinzu, »ist das einzige Mittel, die entsetzliche Ueberreizung, wie sie hier vorliegt, nach und nach zu beschwichtigen.«

Die flammhaarige Cordubanerin willfahrte nur zögernd. Unter den gelblichen Wimpern zuckte es ihr wie Haß und Erbitterung.

Das war nun das zweite Mal, daß Meister Abyssus die Pflichten des Arztes über die der Ehrerbietung und der höfischen Rücksicht stellte! Im vorigen Winter bereits, da die Kaiserin-Mutter plötzlich von heftigem Kopfschmerz befallen wurde, und ihr eigener Leibarzt erkrankt war, hatte sich dieser dreiste Abyssus erfrecht, ihr gleichsam die Thüre zu weisen! Es war unglaublich! Ein Sklave nahm sich's heraus, ihr, der Tochter eines römischen Vollbürgers, eines Ritters, Befehle zu geben! Der Laffe! Der dünkelvolle, unverschämte Gesell! Freilich, es war ihm vielleicht bequemer, keine Zeugen zu haben, wenn er so seinen schwarzlockigen Kopf wider die schneeige Brust seiner Patientin drückte, oder sie, wie ein zärtlicher Bräutigam, weich um die Hüften faßte!

Mit solchen Reden machte sie ihrem Verdrusse Luft, während Olbia ihr gewohnheitsgemäß recht gab.

Sie war allerdings äußerst gereizt, die rotumloderte Acerronia. Ihre Ehe mit Pharax schien sich unglücklich anzulassen. Kaum verheiratet, wohnten die beiden schon wieder getrennt; sie im Palatium, er in der großen Kaserne der Prätorianer. Agrippina hatte ihm freigestellt, die Legion zu verlassen und als persönlicher Adjutant der Kaiserin-Mutter in der Hofburg zu bleiben. Der kurze Versuch einer häuslich-ehelichen Gemeinschaft mit Acerronia war jedoch fehlgeschlagen, da Pharax, so kühn er auch seiner Zeit dem Rebstock der Centurionen getrotzt, den Krallen seiner mähnenumflatterten Pantherkatze durchaus nicht gewachsen war. Auch hatte er die Entdeckung gemacht, daß Acerronias Vorleben nicht ganz so tugendhaft war, als man auf Grund der Ohrfeige, die sie dem Tigellinus gespendet, hätte vermuten können.

Abyssus wandte sich nun, den Wutblick der Cordubanerin vollständig übersehend, zu Agrippina. Er zeigte ihr den halb schon gerinnenden Rest, der in der Schale verblieben war, und raunte ganz leise: »Es ist ein Schlaftrunk, hauptsächlich aus Mohn bestehend. Wirkt dieses Mittel, so kann die fürchterliche Erregtheit schon vielleicht morgen beseitigt sein. Befiehl nur, daß niemand unsre Patientin zu stören kommt.«

»Ich danke dir,« sagte die Kaiserin-Mutter. Sie bot ihm die Hand zum Kuß. »Niemand soll diese Schwelle betreten, außer mir und der Freigelassenen Rabonia.«

Abyssus entfernte sich.

Fast eine Stunde noch hielt die qualvolle Unruhe Octavias, ihr plötzliches Aufspringen, ihr Klagen und Schreien an. Nach und nach ward sie stiller. Zuletzt überkam sie ein bleischwerer Schlaf, der von der ersten Nachtstunde bis zum folgenden Mittag währte.

Als sie die Augen aufschlug, war sie vollständig klar. Nur von dem, was sich seit ihrem Zwiegespräch mit der Kaiserin-Mutter ereignet hatte, wußte sie nicht das geringste. Auch fühlte sie sich über alle Beschreibung matt.

»Wir haben gesiegt,« sagte Abyssus zu Agrippina. »Nun gilt's eine sorgsame Pflege, eine kunstgerechte Ernährung und die strengste Vermeidung gewisser Anklänge. Du verstehst mich, Gebieterin!«

Acht Tage lang war Octavia unfähig, das Bett zu verlassen. Noch weitere acht Tage verstrichen, bis sie kräftig genug war, um durch die Gärten des Kaiserpalastes eine halbe Stunde lang auf und nieder zu wandeln . . .

In diese Zeit nun fiel die Rückkehr des Imperators und der Einzug der Poppäa Sabina in die cäsarische Hofburg.

Als Freundin, als ein Vermächtnis des vortrefflichen Otho, ward sie von Nero eingeführt. Wohlweislich hatte man ihm von Octavias Erkrankung nichts mitgeteilt. Der Ueberbringer der Botschaft wäre keine Sekunde lang vor dem tödlichen Grimm der Poppäa sicher gewesen; gefruchtet aber hätte die Botschaft doch nichts; denn Poppäa hatte sich der glühenden Phantasie des Kaisers so völlig bemächtigt, daß nur ein Ereignis sie daraus hätte verdrängen können: das Wiedererscheinen Actes.

Agrippina versuchte den Cäsar auf die richtigen Wege zu lenken. Sie beschwor ihn, das Weib des Otho nach Lusitanien oder doch in ihr eigenes römisches Heim zu senden, nicht aber der jungen Kaiserin das anzuthun, was selbst die ärmlichste Kleinbürgerin nicht zu dulden brauchte: die Beherbergung der Geliebten unter dem Dache der Ehegattin.

Nero bestritt sein Verhältnis zu Poppäa Sabina und verharrte erst recht auf seiner tollen Idee, weil er der Mutter mißtraute und neue Herrschergelüste vermutete, wo in der That nur die berechtigte Mahnung einer weltklugen Frau vorlag.

Seltsamerweise gab sich Octavia den Anschein, als glaubte sie, was ihr Gemahl ihr vorlog. Sie benahm sich wie Otho, wenn auch aus andern Beweggründen. Sie war zu ohnmächtig, zu völlig gebrochen, um den Kampf mit ihrer schnöden Rivalin auch nur zu erwägen. Ein Kampf überhaupt – das erkannte sie klarer als je – war auf diesem Gebiet eine fruchtlose Thorheit. Nicht der Ernst und der Eifer der Leidenschaft konnte zum Siege führen, noch gar eine verdienstliche Handlung: hier gab es lediglich eine Gnade der Götter.

Sie schwankte anfangs, ob sie der Gegnerin nicht einfach das Feld räumen und sich für immer nach dem antianischen Landhaus zurückziehen sollte.

Dann aber verwarf sie diesen Gedanken. »Die Pflicht« – so meinte sie – »gebietet mir auszuharren. Wenn der allmächtige Jupiter will, so kann er schon morgen das Herz meines Gatten mit Sehnsucht erfüllen nach der Verstoßenen, die ihm jetzt nur ein lästiges Hemmnis bedünkt. Dann will ich zur Stelle sein.«

Gegen den Kaiser war Octavia die Sanftmut und Güte selber. Ja, sie ertrug es sogar, mit Poppäa Sabina höflich, wenn auch mit großer Förmlichkeit zu verkehren und sich blind zu stellen, wenn es der Uebermütigen manchmal wie triumphierender Hohn um die Lippen spielte.

Diese stille Resignation wirkte wunderthätig auf ihr Gemüt. Sie erholte sich trotz der unmittelbaren Nähe des Weibes, das ihr den Herd entweihte.

Ein Kraftgefühl kehrte ihr wieder, eine Frische des Wesens, die sie seit ihrer Mädchenzeit nicht mehr gekannt hatte. Mit heimlichen Wonneschauern gewahrte sie, daß sie voller ward, blühender, lebhafter als jemals zuvor.

Nun begann sich auch die Hoffnung zu regen, die wirkliche, echte Hoffnung, nicht jene haltlose Schwärmerei, die von den Göttern ein Wunder erwartet . . .

Octavia erschrak bei dieser Entdeckung. Mit aller Macht ihres Willens unterdrückte sie, was da so trügerisch lockend emporkeimte. Hatte sie nicht genug an dem Jammer früherer Enttäuschungen? Sie wollte nicht hoffen, sie wollte nur abwarten wie eine unbeteiligte Zuschauerin.

So verstrich ihr der Winter. Nero schwelgte und prunkte mit Poppäa Sabina, ohne sich mehr um Octavia zu kümmern, als die strengste Notwendigkeit dies erheischte.

Nur in den seltensten Fällen trat die junge Kaiserin an die Oeffentlichkeit. Die Gärten der Hofburg, die Unterhaltungen mit der welterfahrenen Rabonia und die traulichen Stunden, in denen Abyssus ihr die Fahrten und Abenteuer des Laërtiaden Odysseus vortrug, – das waren die Glanzpunkte dieses einsamen Daseins.

Selbst den Verkehr mit der antianischen Villa hatte die Fürstin abgebrochen, da ihr die Briefe des wackeren Verwalters die Ruhe störten.

Der Villicus nämlich schrieb gar zu begeistert von den häuslichen Tugenden Actes, von ihrer freundlichen, liebenswürdigen Art, die seinem Herzen so wohl thue und seinen Enkelkindern die natürliche Zärtlichkeit einer Mutter ersetze.

Octavia, so wenig sie eines verwerflichen Neides fähig war, hatte dann jedesmal das Gefühl: ›Diese Acte ist dennoch von den Göttern bestimmt gewesen, ihn, den einzigen, wahrhaft glücklich zu machen.‹ Solche Betrachtungen aber sollten einstweilen vermieden werden.

Im Anfang des Monats April nahm Octavia auf den Rat des Abyssus wieder zu Antium Wohnung.

Das Wiedersehen mit der Freigelassenen des Nicodemus verlief, dank dem Zartgefühle des jungen Mädchens, ohne tiefere Erschütterung. Nach kurzer Frist war die Gesellschaft Acte-Ismenes für Octavia so unentbehrlich geworden, wie die Luft und das Sonnenlicht.


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