Ernst Eckstein
Nero
Ernst Eckstein

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Drittes Buch.

Erstes Kapitel.

Mehrere Stunden lang hielt Agrippina den Pfeiler umklammert, der die Ermüdende von der ewigen Nacht in der Tiefe trennte. Sie hatte sich ihres Opfers, der unglückseligen Acte, erinnert. Und siehe, es war, als ob die Götter dieses Reuegedankens wegen sich ihrer erbarmen wollten. In der gleichen entsetzlichen Lage widerfuhr ihr ein Aehnliches wie der Freigelassenen des Nicodemus.

Schon war ihr Leib von der Kühle des Meerwassers beinah erstarrt; sie fühlte nur noch das pochende Haupt und die beiden Arme, die sich mit letzter entschwindender Kraft ihrer Muskeln um das geschnitzte Holz spannten. Da kam aus der Richtung des misenischen Vorgebirgs eine Barke, die, mit Blumen beladen, von Cajeta nach Puteoli fuhr. Agrippina rief mit der Volltönigkeit der Verzweiflung über die mondscheinbeglänzte Fläche, – sechs, achtmal, bis ein flatterndes Tuch und ein lautes ›Harre noch aus!‹ ihr die Antwort gab. Fünf Minuten später war sie in Sicherheit.

Dem eigenen Auge nicht trauend, wortlos vor Staunen, beugten sich die ehrlichen Schiffsleute vor der ungeahnten Erscheinung. Agrippina, die Kaiserin! Jeder von ihnen kannte die ernsten, charakteristischen Züge – wenn nicht aus eigener Anschauung, so doch aus den unzähligen Büsten und Statuen, die überall, wo römisch geredet wurde, die Plätze der Städte und selbst der kleineren Municipien schmückten. Niemand wagte zu sprechen. Man führte die Tödlich-Ermattete unter Deck, reichte ihr Tücher und Teppiche und ein trockenes Gewand, wobei es zu statten kam, daß die Tochter des Gärtners, ein hochgewachsenes neunzehnjähriges Mädchen, zufällig mit an Bord war.

Kaum hatte sich Agrippina halbwegs erholt, als die unbeschreibliche Wut, die der Kampf mit der Meerflut zurückgedrängt hatte, in dreifacher Heftigkeit wieder hervorquoll. Der elende Mordbube! Seine zärtlichen Worte, die warmen Händedrücke, die weichen Umarmungen, das sehnsuchtsvolle › Glykeia mater‹ – kurz, die ganze Aufnahme in der götterverhaßten Villa zu Bajä war also schnöde, feile, schurkenhafte Komödie! Und sie, Agrippina, die sonst alles durchschaute, – sie hatte sich täuschen lassen! Diese Beschämung drückte sie fast noch schwerer zu Boden, als die fürchterliche Enttäuschung des Mutterherzens.

Sie bezwang ihren rasenden Grimm. Die volle, die zerschmetternde Rache konnte nur dann gelingen, wenn das empörte Blut ruhig und ebenmäßig dahinfloß. Ihr Verstand mußte zum Wort kommen, unbeeinträchtigt vom Getöse ihrer Empfindungen. Nach kurzer Frist schon war sie mit ihrem Schlachtplan im reinen.

»Ihr wackeren Männer,« sprach sie, die Schiffsleute um sich versammelnd, »ich danke euch! Ja, ich bin's, die Kaiserin Agrippina. Wir fuhren im Lustschiff über den Golf, – denn die mondhelle Nacht schien so fromm und friedsam. Ein plötzlicher Wirbelwind hat uns den Nachen zertrümmert. So unbeständig sind die Lose der Menschen. Ich bitt' euch indessen: schweigt mir über den Vorfall, als ob euch selber die Schuld träfe. Wollt ihr?«

»Herrin, wie du gebietest!«

»Ihr werdet es nicht zu bereuen haben. Jetzt aber führt mich schleunigst nach Bauli! Was der Gärtner verliert, soll ihm hundertfältig ersetzt werden.«

Die Leute gehorchten. Es war leuchtender Tag, als sie den Strick um die Pflöcke warfen. In majestätischer Gleichmütigkeit schritt Agrippina ans Land.

»Wartet!« sagte sie, Abschied nehmend.

Gleich danach kam ihr Obersklave ans Ufer, und behändigte jedem der Schiffsleute tausend Denare, dem Steuermann aber und der Gärtnerstochter je fünftausend.

Ihren Hausgenossen verriet sie gleichfalls mit keiner Silbe, was vorgefallen. Dem Obersklaven, der sie befragte, weshalb sie allein komme, erteilte sie eine Antwort, die ihm die Lust benahm, weiter zu forschen.

Sie genoß einige Bissen, trank eine Schale gewässerten Fruchtsaftes, und begab sich dann in ihr Cubiculum, wo sie nach kurzer Frist in einen todähnlichen Schlaf versank.

Gegen Mittag wachte sie auf. Sie strich sich über die Stirne, als ob sie erst die Erinnerung an das Erlebte wieder zurückrufen müßte. Ein grimmiges Hohngelächter schrillte plötzlich von ihren Lippen.

»Es ist wie im Brettspiel,« dachte sie, krampfhaft die Finger bewegend. »Wir stehen vor dem letzten entscheidenden Augenblick . . . Schon müßt' ich geschlagen sein: da wendet sich die Partie noch im Handumdrehen. Gerade der eine Zug, der mich verderben sollte, bringt mich in eine Stellung, die mich gewinnen läßt. Wartet, ihr Hunde, jetzt sollt ihr erfahren, was Agrippina vermag, wenn es um Leben und Tod geht! Mein vortrefflicher Burrus wird nun wohl endlich aus seiner Vertrauensseligkeit aufschrecken.«

Sie ballte die Faust.

»Bube!« raunte sie qualverzerrt. »Da ich den Claudius getötet – um deinetwillen –: beim Styx, ich bangte, ich fühlte etwas wie Reue . . . Und Claudius war ein Tropf, den ich haßte! Du aber . . . ist's denn im Leben nur auszudenken? Wenn es Götter gäbe, sie müßten dich foltern in alle Ewigkeit!«

Heißer als jemals stürzten ihr die Thränen über das Antlitz. Dann ermannte sie sich.

»Fluch über die Schwäche dieses erbärmlichen Mutterherzens!« dachte sie zähneknirschend. »Die halb schon Gemordete weint über den elenden Wegelagerer, statt ihn lächelnd zu züchtigen! Aber ich werde die Thränen mir abgewöhnen. Ich werde ihn treffen, – unabweislich, – sobald die Stunde gekommen ist.«

Nun warf sie die Palla über, eilte ins Nebengemach und schrieb mit fester, markiger Hand, wie folgt:

»Die Kaiserin Agrippina grüßt ihren herrschergewaltigen Sohn Claudius Nero.

Die Götter sind neidisch, mein lieber Sohn! Wo sie das Glück in seiner vollendetsten Fülle gewahren, da senden sie die Kinder Latonas mit den tödlichen Pfeilen.

Nero Cäsar, Deine Mutter fleht Dich um Rache an für einen fluchwürdigen Frevel. Du bist von Verrätern umringt, von ehrlosen Meuchlern, die mir, und vielleicht auch Dir, nach dem Leben trachten.

Das Schiff, das der elende Anicetus Dir zum Geschenk gemacht, war eine Falle. Mitten im Golfe barst es entzwei, wie ein schlaugezimmertes Spielzeug, mit dem man die Kinder beim Feste der Saturnalien erschreckt. Ich, mitsamt meinen treuen Begleiterinnen, stürzte ins Meer. Nur durch ein Wunder bin ich dem Tode entronnen. Schütze mich, Nero! Oeffne die Augen, und strebe zu unterscheiden zwischen den wahren, erprobten Freunden und den selbstsuchtkranken, geld- und machtbegierigen Schurken, die den heiligen Namen der Freundschaft mißbrauchen, um Dich und das römische Staatswesen desto sicherer in den Abgrund zu stoßen!

Meinen Hausgenossen hab' ich aus Scham verhehlt, was ich erdulden mußte. Die Schiffer dagegen, die mich gerettet haben, schienen zu ahnen, daß eine Missethat vorliegt. Die Kunde davon wird sich rasch über ganz Italien verbreiten. Sorge dafür, daß ihr die Botschaft von der Züchtigung der Verbrecher nicht allzusehr nachhinke!

Trotz der entsetzlichen Aufregung dieser Schreckensnacht bin ich gesund.

Du, so hoffe ich, auch.«

Diesen Brief übergab sie einem alterprobten Colonen mit dem Befehl, ihn dem Kaiser persönlich zu überreichen, und sich durch keinerlei Schwierigkeiten, die sich allenfalls darböten, einschüchtern zu lassen.

Nero, obgleich in seinem dichtverhangenen Cubiculum die tiefste Finsternis herrschte, war seit dem Weggang des Tigellinus doch nicht im stande gewesen, auch nur minutenlang Schlaf zu finden.

›Muttermörder!‹ klang es ihm unaufhörlich im Ohre. Bald war es die Stimme des unglückseligen Opfers, bald seine eigene, die er zu hören glaubte. Dazwischen brauste die Meerflut in turmhohen Wellen, und gräßliche Nachtgebilde, hagere Dämonen, die Züge verzerrt, hoben sich in blutbeträuften Gewändern lang und langsam aus dem gähnenden Wogenschlund. Er suchte sie zu verscheuchen; er rang; er kämpfte wie ein Verzweifelter. Alles umsonst. Neue todesbleiche Gesichter quollen aus jeder Schaumperle – viele Tausende, viele Millionen. Der ganze Weltraum war von ihnen erfüllt, ein unabsehbar-grausiges Chaos . . .

Zuweilen, wenn dieser entsetzliche Zustand den äußersten Grad erreicht hatte, jenseits dessen nur noch der Wahnsinn lag, stieg aus all dem schauderhaften Getümmel die süße Blumengestalt Actes empor, schaute ihn bleich und vorwurfsvoll an und seufzte schmerzlich: ›Nero, mein Glück, mein Abgott, ach, wie anders hast du mir damals in die Augen geschaut, da deine Hände noch rein von Blut waren! Diese Hände haben mein Haar geliebkost, meine Wangen gestreichelt, mich wonnetrunken umklammert . . . Damals gab sich mein Herz dir zu eigen, wie das der Io dem Zeus. Jetzt aber – wehe mir! Nicht um alle Schätze der Welt möchte ich je deine Finger berühren!‹

Er preßte sein glühendes Angesicht in die Kissen.

Horch! War das nicht ein verzweifelter Hilferuf? Glänzte dort nicht die weiße Palla der Kaiserin? Jetzt, jetzt . . . o, wie zog das Bleigewicht sie hernieder –! Sie hob die Hände empor . . .

›Nero, mein Sohn!‹

Dumpf gurgelnd schloß sich das Wasser über dem Haupt der Ertrinkenden . . .

Die Sonne stieg höher und höher und goß ihr lebenspendendes Licht breiter und voller über die menschenwimmelnde Golfstadt. Drunten am Ufer, die herrliche Hafenstraße entlang, brauste das altgewohnte farbenprächtige Treiben. Hunderte von Singvögeln schmetterten in den Zweigen des Parks. Von der See her wehte ein erfrischender Wind, der eine Heerschar leuchtender Segel blähte. Kurz, es war ein Tag wie geschaffen zur irdischen Seligkeit. Der Kaiser nur, wie er jetzt heraustrat ins Peristyl, spürte nichts von der erlösenden Kraft des Lichts. Die Augen schmerzten ihm; das glühende Blut pochte ihm hart in den Stirnadern.

So schritt er nur zweimal auf und ab, eilte dann in die Exedra, und warf sich dort auf die Bronzebank. Endlich sank ihm ein schwerer, unerquicklicher Schlaf über die Seele.

Als der Botschafter Agrippinas die Villa betrat, war der Cäsar noch nicht erwacht. Cassius und die übrigen Kammersklaven weigerten sich, ihn zu stören. Schon machte der muskelstarke Colone Anstalten, kurzerhand vorzudringen, als Tigellinus des Wegs daher kam, und sich erkundigte, was hier vorgehe.

»Herr,« gab ihm Cassius zurück, »ein Fremdling, der ein dringliches Schreiben für den Gebieter hat.«

»Gib her!« sagte der Adjutant zu dem Sendling.

»Unmöglich. Was ich hier bringe, ist nur für den Cäsar bestimmt.«

»Ich will es ihm zustellen.«

»Das verwehrt mir mein Auftraggeber.«

»Wer ist der?«

»Ein Freund des Erlauchten, der sich nicht nennen will. Hindere mich nicht! Der Kaiser würde dir grollen, wenn du mich länger aufhieltest.«

Der Agrigentiner fühlte sich plötzlich von einem Unbehagen ergriffen, das unerklärlich schien.

»Wohl!« sagte er gleichmütig. »Tritt in den Oecus hier! Ich eile, den Imperator zu wecken.«

Der biedere Colone schritt hocherfreut über die Schwelle. Tigellinus jedoch gab den Sklaven ein Zeichen. Sie folgten dem Boten, warfen sich über ihn her, und rissen ihm den Brief aus der Tunica.

Der Agrigentiner war jetzt gleichfalls in den Oecus getreten.

»Schweig!« raunte er dem Colonen zu, da dieser zu lärmen begann. »Ich lass' dich zusammenhauen, wenn du noch mit der Lippe zuckst!«

Er nahm das Schreiben und überflog es. Zwei Sekunden lang schien er nahezu fassungslos.

Dann sagte er frostig: »Ihr knebelt mir diesen Burschen und schafft ihn unverzüglich in's Kellergewölbe! – Dort bewacht ihr ihn strengstens, bis ich euch Nachricht gebe! Sträubt er sich, so stoßt ihm einfach den Griffel ins Herz! Nicht du, Cassius! Der Kaiser würde dich bald vermissen. Ihr aber – gut! Packt ihn straff in die Mitte! So! Und nun: keine Silbe von all dem geredet! Auch nicht vor dem Cäsar! Wer nicht zu schweigen versteht, der stürze sich lieber sofort in den Fischteich: denn ich verspreche ihm eine schreckliche Todesart.«

Nachdem dies erledigt war, eilte der Agrigentiner, von zwei Soldaten begleitet, zu Anicetus, und hielt ihm schweigend das Pergament unter die Augen.

Der Flottenführer las und erbleichte.

»Wähle!« sagte Sophonius Tigellinus auf griechisch. »Entweder fällst du nun selber als Opfer deiner pfiffigen Anzettelung – oder du wirst genötigt sein, das gestern mißglückte Werk noch heute auf bessere Manier zu vollenden.«

»Verwünscht!« murmelte Anicetus. »Die Löwin hat doch ein zäheres Leben, als wir voraussetzten! In einigen Stunden vielleicht bin ich verloren. Denn du, edler Sophonius, wirst mich natürlich im Stich lassen.«

Tigellinus zuckte die Achseln.

»Jeder für sich,« sprach er mit diplomatischer Kaltblütigkeit. »Kömmt es zum öffentlichen Skandal, so lass' ich dich fallen: das versteht sich von selbst. Wenn du dich aber mit gutem Erfolg aus der Klemme ziehst – wohl: so sei dir der Lohn für deine Arbeit verdoppelt.«

Anicetus sann einen Augenblick nach.

»Ist der Bote schon wieder fort?«

»Nein. Ich hab' ihn für alle Fälle hier in Gewahrsam genommen.«

»Vortrefflich! Wenn du mir halbwegs beistehst, hoff' ich die Sache noch rund zu kriegen. Wir müssen jetzt Schulter an Schulter kämpfen . . . Denn schließlich –: ganz ohne Verdacht wirst du nicht durchschlüpfen, da man uns letzthin häufig miteinander verkehren sah. Auch jenes liebenswürdige, in meinem Besitz befindliche Schreiben, durch das du mich huldvoll zu Gaste ludest, zeugt nur allzu beredt für die innere Verwandtschaft unsrer Bestrebungen.«

»Glaube das ja nicht!« erwiderte Tigellinus. »Wenn mir's beliebt, so bist du in zwei Minuten ein toter Mann. Ich lass' dir den Kopf abschlagen, und melde der Agrippina, dein Mordanschlag sei gesühnt. Meinst du, es werde dann irgend jemand vermuten, ich, dein Bestrafer, hätte mit dir gemeinsame Sache gemacht?«

Anicetus zwang sich zur Ruhe.

»Vielleicht dennoch,« sagte er kalt lächelnd. Er hatte jetzt das Gefühl, als ahme er sein leuchtendes Vorbild, den Adjutanten, bis zur Vollkommenheit nach. »Vielleicht dennoch! Aber beiseite mit diesen Scherzen! Selbstverständlich bin ich entschlossen, mein Werk zu Ende zu führen. Die Erhöhung der vereinbarten Summe scheint mir nicht unbillig: auch die Gefahr hat sich verdoppelt. Höre also, was ich für gut halte! Laß den Boten, den du so klüglich in Verwahrung genommen, augenblicklich vom Leben zum Tode bringen! Verbreite die Nachricht, er habe im Auftrag der Agrippina den Cäsar ermorden sollen! Für tüchtige Zeugen, die sein Geständnis mit angehört haben, wirst du schon Sorge tragen. Du bist ja nicht ganz und gar ohne Uebung.«

»Gut! Was weiter?«

»Das weitere gibst du dann mir anheim. Ehe der Tag verstreicht, ist die unangenehme Arbeit gethan.«

»Du machst mich neugierig,« sagte der Adjutant.

»Zweifle nicht! Schicke sofort nach meinen Triremen! Fünfzig Mann entbiete ich zu den zwanzigen, die das Prunkschiff gerudert. Ich will sicher gehn. Fünfzig aus der Schar der Erlesenen, die ich als ›Möwen‹ bezeichne. Kann vielleicht einer von diesen Soldaten hier abkommen?«

Tigellinus bejahte.

Anicetus schrieb nun einige Worte in seine Wachstafel. Im Sturmlauf rannte der leichtfüßige Prätorianer dem Strande zu, wo die beiden Triremen ›Samos‹ und ›Herakleia‹ vor Anker lagen.

»So!« murmelte Anicetus. »Ich hoffe, mein kühner Entschluß wird euch derb überraschen. Nein, nein, ich verrate nichts!«

»Beim Zeus, spiele doch nicht den Geheimnisvollen! Wirklich, mein trefflicher Anicetus: in Schiffsangelegenheiten magst du ein Gott sein, – aber zu Lande scheinst du mir schwerfällig, wie die nordische Fettgans. Denkst du, ich bilde mir ein, du willst deine Seesoldaten hier im Atrium exerzieren lassen? Oder den Cäsar und mich aus dem Sattel heben?«

»Höre mich nur! Alles durchschaust du mir doch nicht. Ja, in der That, ich will die Kaiserin überfallen. Heute noch muß sie hinab in den Tartarus, – oder mein Kopf und vielleicht auch der deine sind keinen halben Denar wert. So weit hast du's enträtselt. Was ich mir sonst jedoch vorgesetzt, ahnst du gewiß nicht. Nun, am Ende ist's besser, ich weihe dich ein . . .«

»Rede!«

»Ich habe bemerkt,« fuhr Anicetus fort, »wie es dem Kaiser das Herz zerriß, das Todesurteil der eigenen Mutter zu sprechen. Ich werde also erzählen, ich selber hätte, von Mitleid bewältigt, ihre Ertränkung verhindert, um späterhin dich und den Cäsar für die Verurteilte um Erbarmen zu bitten. Agrippina jedoch habe dies Mitleid übel gelohnt. Sonach zieh' ich hinaus, um die Verbrecherin, ihres erneuten Mordanschlags wegen, in Haft zu bringen, nicht sie zu töten; denn die Tötung der Kaiserin-Mutter widerstrebt meinem Zartgefühl. Natürlich töt' ich sie dennoch: aber dem Kaiser wird dann glaubhaft berichtet, sie selber habe sich bei der Verhaftung den Tod gegeben . . .«

Tigellinus trat einen Schritt zurück. »Anicetus,« sprach er, »ich widerrufe nun mein verletzendes Gleichnis. Du bist doch keine Fettgans zu Lande. Bei der stolzen Epona, diese Findigkeit weckt mein Erstaunen! Sie ist ganz danach angethan, unserm Nero die frühere Leichtblütigkeit wiederzugeben; denn in der That: sogenannte Gewissensbisse können wir auf dem Thron nicht gebrauchen.«

»Auch Poppäa hat einen besseren Stand, falls die Sache wie Selbstmord aussieht,« fuhr Anicetus fort. »Oder glaubst du nicht auch, daß Poppäa mit dem Gedanken umgeht . . .?«

Er unterbrach sich . . .

»Mit dem Gedanken . . .? Sprich weiter!« drängte der Agrigentiner.

»Herrlicher Tigellinus, ich zögere! Man weiß ja niemals, ob man sich hier in Bajä nicht die Zunge verbrennt.«

»Pah! Mir gegenüber kannst du so offen sein, wie ein Trunkener. Du unterstellst, daß Poppäa den Wunsch hegt, Kaiserin zu werden und Mitregentin über das Weltreich?«

»Diese Vermutung liegt außerordentlich nahe. Nun wirst du mir zugeben: wenn der Tod Agrippinas zum Drittel auf ihre Rechnung käme, – das könnte den Cäsar, bei der Befremdlichkeit seiner Anwandlungen, dergestalt gegen sie einnehmen . . .«

»Ausgezeichnet!« sagte der Adjutant. »Ich begreife nicht, daß wir nicht früher auf diesen Selbstmord verfallen sind. Horch! Was ist das?«

»Der Marschtritt meiner Soldaten!« versetzte der Flottenführer. »Ja, die ›Möwen‹ sind pünktlich, wenn Anicetus den Hammer schwingt. Gehab dich wohl, Tigellinus, und verabsäume nicht die sofortige Tötung des Eingesperrten!«

»Sei unbesorgt! Eh' ihr die Straße erreicht, ist er ein Leichnam. Alles Glück auf den Weg! Wirfst du diesmal den Hund statt der Venus, so kannst du dir nur getrost selber das Schwert in die Gurgel bohren!«


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