Georg Ebers
Uarda
Georg Ebers

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Sechzehntes Kapitel.

Uarda folgte ihrem Großvater und Praxilla in ihre Zelte am jenseitigen Ufer des pelusinischen Nilarmes, um am folgenden Morgen noch einmal das ägyptische Lager zu besuchen, von ihren Freunden Abschied zu nehmen und für die Bestattung ihres Vaters Sorge zu tragen.

Sie versäumte es auch nicht, der letzten Bitte der alten Hekt zu gedenken, und Bent-Anat bestimmte leicht ihren Vater, die Zauberin, der er, wie er nun erfuhr, zu Dank verpflichtet war, wie eine Edelfrau balsamiren zu lassen.

Ehe Uarda das Lager des Königs verließ, wurde sie von Pentaur ersucht, ihrem sterbenden Retter Nebsecht eine letzte Freude zu bereiten, indem sie sich ihm noch einmal zeige.

Erröthend gewährte die Jungfrau diese Bitte.

Der Dichter, welcher die ganze Nacht bei dem Arzte zugebracht hatte, ging ihr voraus, um den Kranken auf ihren Besuch vorzubereiten.

Nebsecht's Brandwunden und eine schwere Verletzung, die er am Kopf erlitten, verursachten ihm große Schmerzen. Seine Wangen glühten im Fieber und die Aerzte theilten Pentaur mit, sein Tod sei unabwendbar und könne schon in der nächsten Stunde eintreten.

Der Dichter legte dem Freunde seine kühle Hand auf die brennende Stirn und sprach ihm freundlich zu; aber Nebsecht lächelte mit der ihm eigenen Miene des Besserwissens zu diesen Worten und sagte leise und mit sichtlicher Anstrengung: »Noch wenige Athemzüge und es kommt zur Ruhe hier und hier.« Dabei zeigte er auf sein Herz und seine Stirn.

»Zur Ruhe,« sagte Pentaur, »kommen wir Alle, aber vielleicht nur, um uns jenseits der Todesstunde rüstiger und ohne Ermüdung zu rühren. Wenn etwas, so lohnen die Götter ein redliches Ringen nach Wahrheit und ernste Arbeit, und wenn einer, so wird Dein Geist mit der Weltseele Eins werden und mit den Augen der Gottheit den Schleier durchdringen, der ihm hier das Geheimniß des Seins verhüllte.«

»Ich habe daran gezerrt und gezogen,« seufzte Nebsecht, »und nun mein Auge einen Theil der Wahrheit erfaßt zu haben meinte, kommt die plumpe Hand des Todes und schließt es. Was nützt es mir, mit dem Auge der Gottheit zu sehen und ihre Allwissenheit zu theilen? Nicht das Schauen, das Finden ist reizvoll, so reizvoll, daß ich dafür noch ein anderes Leben hier und dort auf's Spiel setzen möchte.«

Er schwieg, denn seine Kraft versagte und Pentaur bat ihn, zu ruhen und der freundlichen Stunden still zu gedenken, die das Leben ihm gewährt habe.

»Es waren wenige,« sagte der Arzt. »Wenn die Mutter mich küßte und mir Datteln schenkte, wenn ich ungestört allein beobachten und arbeiten durfte, wenn Du mir Blicke eröffnetest in Deine bunt geschmückte Welt, – das war schön!«

»Und vieler Menschen Schmerzen,« sagte Pentaur, »hast Du gelindert und Keinem ein Leid zugefügt.«

Nebsecht schüttelte den Kopf und murmelte: »Den alten Paraschiten hab' ich in Wahnsinn und Tod getrieben.«

Lange schwieg er; dann blitzten seine Augen auf und lebhafter fuhr er fort: »Aber nicht um ihm weh zu thun, nicht vergeblich. In Syrien, in Megiddo habe ich ungehindert gearbeitet. Jetzt kenn' ich das Organ, mit dessen Hülfe wir denken. Das Herz! Was ist das Herz? Ein Hammelherz und ein Menschenherz verrichten dieselben Dienste. Sie drehen beide das Rad des thierischen Lebens, sie schlagen beide schneller in Angst und Lust, denn Furcht und Freude theilen wir mit den Thieren. Das Denken aber, die göttliche Kraft, die an das Unbegrenzte und Unendliche reicht und uns befähigt, zutreffende Schlüsse zu ziehen, hat hier, hat im Kopfe, hat hier seinen Sitz, hier hinter der Stirn, im Gehirne!«

Erschöpft und von Schmerz überwältigt hielt er inne.

Pentaur glaubte, er rede im Fieber, reichte ihm einen erfrischenden Trank, während zwei Aerzte, Beschwörungen singend, sein Lager umwandelten, und sagte, als der Kranke sich gestärkt aufrichtete:

»Das freundlichste Bild Deines Lebens war doch wohl das des reizenden Kindes, dessen Antlitz einst, wie Du mir gestandest, das Organ für das Schöne in Dir eröffnet hat, und das Du wie ein Held mit dem Opfer des eigenen Lebens dem Tode aus den Armen gerissen. Du weißt, Uarda hat ihre Angehörigen wiedergefunden, ist glücklich und ihrem Retter dankbar und möchte ihn noch einmal begrüßen, bevor sie mit ihrem Großvater in die Ferne zieht.«

Der Kranke zauderte, ehe er leise antwortete: »Laß sie kommen. Aber nur von fern will ich sie anschauen.«

Pentaur ging hinaus und kehrte bald darauf mit Uarda zurück, die erröthend und mit Thränen in den Augen an der Thür des Zeltes stehen blieb.

Der Arzt blickte sie lange bittend und liebreich an und sagte: »Nimm meinen Dank und sei glücklich.«

Das Mädchen wollte ihm nahen, um ihm die Hand zu reichen, er aber wehrte ihr beunruhigt mit der verbundenen Rechten und bat: »Tritt mir nicht näher, aber bleibe noch einen Augenblick stehen. Ach, Du hast Thränen im Auge! Gelten sie mir oder nur meinen Schmerzen?«

»Dir, Du guter edler Mann, meinem Freund und Retter,« sagte Uarda, »Dir, Du lieber, armer Nebsecht!«

Der Arzt schloß die Augen, während sie innig bewegt diese Worte sprach.

Als sie schwieg, erhob er noch einmal den Blick, schaute sie lange freundlich und mit Bewunderung an und sagte leise: »Nun ist es genug! Jetzt will ich sterben.«

Uarda verließ das Zelt, Pentaur blieb bei ihm und lauschte auf seine röchelnden Athemzüge.

Plötzlich richtete sich der Kranke höher auf und sagte: »Lebe wohl, Freund. Die Reise beginnt; wer weiß wohin?«

»Nur nicht in das öde Nichts!« rief Pentaur mit Wärme.

Der Arzt schüttelte den Kopf und sagte: »Ich war ja Etwas und aus Etwas kann niemals Nichts werden. Sparsam und haushälterisch ist die Natur und auch das Kleinste benützt sie. Auch mich wird sie aufbrauchen nach Bedarf. Nach Maß und Zahl führt sie Alles zum Ziel und so auch mein Dasein hier und jenseits des Todes. Es gibt kein Entrinnen. Aus jedem Dinge wird das, was daraus werden muß; – nach unserem Wunsch und Willen fragt Niemand. – Mein Kopf! – Sobald es hier oben drückt, ist es aus mit dem Denken! Könnt' ich nur ergründen – ergründen . . . .«

Die letzten Worte hauchten seine Lippen leise und leiser, sein Athem stockte und wenige Minuten später schloß ihm Pentaur, tief ergriffen, die Augen zu. –

Vor dem Zelte des Verstorbenen traf der Dichter den Oberpriester Ameni, welcher ihn bei seinem Freunde zu finden erwartet hatte.

Nun kehrte Pentaur mit dem Leiter des Setihauses zu dem Verstorbenen zurück.

Ameni sprach eilig und erregt einige Gebete für das Heil seiner Seele und bat dann Pentaur, ihm ungesäumt in seine Wohnung zu folgen.

Unterwegs bereitete er den Dichter mit der ihm eigenen Feinheit schonungsvoll auf eine seiner wartende Begegnung vor, die ihm mehr traurige als freudige, jedenfalls tief erregende Stunden zu bringen verspreche.

Die Richter in Theben, welche gezwungen waren, Frau Setchem, als Mutter eines Hochverräters, zur Fortführung in die Bergwerke zu verurtheilen,Agatharchides bei Diodor III. 12 berichtet, daß manchmal nicht nur die schuldig befundenen, sondern auch ihre Angehörigen zur Zwangsarbeit in den Bergwerken verurtheilt worden wären. Bei dem Auslieferungsvertrage, welchen der König der Cheta mit Ramses II. schloß, wird ausdrücklich vorgesehen, daß der nach Aegypten zurückgeführte Flüchtling straflos bleiben, daß man weder seinem Hause, noch seinem Weibe, noch seinen Kindern Schaden thun, noch » seine Mutter tödten solle«. hatten der vornehmen und verehrungswürdigen Matrone ungebeten gestattet, unter der Aufsicht von Sicherheitswächtern dem Könige entgegenzufahren und ihm bei seinem Eintritt in Aegypten ein Gnadengesuch für ihre eigene Person, nicht, wie ausdrücklich verfügt ward, für Paaker, zu überreichen, und sie war aufgebrochen mit dem heimlichen Vorsatze, nicht für sich, sondern für ihren Sohn zu bitten.

Ameni war schon von Theben entfernt gewesen, als dieses Urtheil gesprochen ward; er würde es sonst durch seine Mittheilung der wahren Herkunft Paaker's an die Richter hintertrieben haben. Nachdem er des Statthalters Sache aufgegeben, brauchte er das Geheimniß der alten Hekt nicht länger zu hüten.

Frau Setchem's Reise hatte durch die Beschädigung ihres Schiffes bei einem Sturm auf dem Nil Aufschub erlitten und so kam es, daß sie erst nach dem König in Pelusium eintraf.

Der bei dieser Festung sich mit dem Meere vereinigende Mündungskanal des Nils war so überfüllt von Schiffen des Statthalters und seines Gefolges, der Festgesandten und der aus allen Theilen des Landes zum Empfange des Königs und der Truppen herbeigeströmten Edlen und Bürger, daß das Boot der Matrone in großer Entfernung von der Stadt vor Anker gehen mußte und es ihrem sie begleitenden treuen Haushofmeister erst vor wenigen Stunden gelungen war, den Oberpriester zu sprechen.

Frau Setchem hatte sich sehr verändert. Müde und leblos erschien das Auge, das noch vor wenig Monaten den größten Hausstand in Theben rüstig überblickt und regiert hatte, und wenn auch die Fülle ihres Körpers nicht geschwunden war, so erschien sie doch nicht mehr stattlich, sondern schlaff und krankhaft. Ihre Lippen, die sich zu manchem klugen Worte geöffnet hatten, waren fest aufeinander gepreßt und bewegten sich nur, um zu beten oder wenn ein Freund den Namen ihres unglücklichen Sohnes nannte.

Verabscheuungswürdig, das wußte sie, war seine That und sie suchte nicht nach Entschuldigungsgründen für dieselbe; die Mutterliebe vergab sie auch ohne solche.

So oft sie seiner gedachte, und dieß geschah unablässig bei Tag und in ihren schlaflosen Nächten, schwammen ihre leicht überfließenden, jetzt schon leidenden Augen in Thränen.

Ihr Boot ging bei Pelusium in derselben Stunde vor Anker, in der die Flammen des brennenden Palastes die Nacht zu erhellen begannen.

Der Feuerschein und das Geschrei auf den das ihre umgebenden Schiffen rief sie auf das Deck.

Sie hörte, das brennende Haus sei der von dem Statthalter für Ramses errichtete Prachtbau; der König, hieß es, schwebe in Todesgefahr und Verräther hätten das Feuer angelegt.

Als es Tag geworden, klangen unter Flüchen die Namen ihres Sohnes und ihrer Schwester an ihr Ohr.

Sie fragte nicht, sie wollte nichts hören, aber sie ahnte das Rechte.

So oft man, als sie sich in die Kajüte zurückgezogen, das Wort »Verrath« über ihr aussprach, fühlte sie in ihrem schwindelnden Haupte einen schmerzlichen Stich, ward sie von einem kalten Schauder ergriffen.

Während des ganzen folgenden Tages nahm sie weder Speise noch Trank zu sich und lag mit geschlossenen Augen auf ihrem Diwan, während der Haushofmeister, der bald erfuhr, welcher traurige Antheil seinem einstigen Herrn an der Feuersbrunst zukam und nun auch Frau Setchem's Sache verloren gab, Ameni aufsuchte; aber der Oberpriester gehörte zu der nächsten Umgebung des Königs und es gelang ihm erst am folgenden Tage, ihn zu sprechen.

Ameni flößte dem besorgten und bekümmerten treuen Beamten neuen Muth ein, führte ihn auf seinem eigenen Wagen zum Hafen, bestieg das Schiff der Frau Setchem und versuchte es, sie auf die ihrer nach so großem Kummer wartende Freude vorzubereiten. Aber er war zu spät gekommen, denn der Geist der Matrone war umschleiert, und theilnahmlos hörte sie ihm zu, als er sich bemühte, ihren Muth und ihre Fassung zu beleben. Nur manchmal unterbrach sie ihn mit der Frage: »Hat er es gethan?« oder: »Ist er am Leben?«

Endlich veranlaßte sie Ameni, ihm in ihrer Sänfte in sein Lager zu folgen, wo sie ihren Sohn finden werde.

Pentaur glich wunderbar ihrem verstorbenen Gatten und sein Anblick, dachte der Seelenkenner, würde die schlummernden Kräfte ihres Geistes neu erwecken.

In seinem Zelte erzählte er ihr mit schonender Vorsicht die Geschichte von der Vertauschung ihres Sohnes Pentaur mit Paaker.

Sie folgte ihm mit scheinbarer Aufmerksamkeit, aber doch nur so, als hörte sie von den Schicksalen eines Fremden erzählen. Als Ameni des Dichters Geist und Gaben und seine Aehnlichkeit mit ihrem verstorbenen Gatten hervorhob, murmelte sie: »Ich weiß, ich weiß. den Redner meinst Du vom Feste des Thales.« Dann fragte sie wieder, obgleich sie schon mehrmal gehört hatte, ihr Sohn sei umgekommen, ob Paaker noch lebe.

Endlich verließ sie der Oberpriester, um Pentaur zu rufen.

Wir wissen, daß er ihn vor dem Zelt fand, in dem sein Freund Nebsecht zur Ruhe gegangen war.

Als er mit dem auf das Wiedersehen seiner rechten, schwer erkrankten Mutter vorbereiteten Dichter sein Zelt betrat, fand er es verlassen. Seine Diener theilten ihm mit, Frau Setchem habe sich von dem alten, leicht zu rührenden Gagabu zu der Leiche Paaker's führen lassen.

Ameni ergrimmte, denn er fürchtete, daß Frau Setchem nun verloren sei, und bat den Dichter, ihm zu ihr zu folgen.

In einem neben der Brandstätte aufgeschlagenen Zelte lagen des Wegeführers sterbliche Reste. Sein Körper war mit einem Tuche verhüllt, das die breiten, bei dem Falle unbeschädigt gebliebenen bleichen Züge seines Angesichts unverhüllt ließ. Neben ihm kniete die unglückliche Matrone.

Der Oberpriester berührte, da sie seinen Ruf nicht vernahm, ihre Schulter und sagte, auf den Leichnam zeigend: »Dieser war der Sohn eines Gärtners. Du hast ihn wie Deinen eigenen mit Treue erzogen; aber Deines edlen Gatten echter Erbe, das Kind, das Du unter Deinem Herzen getragen, ist dieser Jüngling, ist Pentaur, dem die Götter nicht nur die Gestalt, sondern auch den Geist und die Gaben seines Vaters schenkten. Verziehen sei diesem Todten – um Deiner Güte willen, aber Deine Liebe schuldest Du dem echten Sohne Deines Gatten, diesem edlen Manne, dem Redner vom Feste des Thales, dem Lebensretter des Königs.«

Da erhob sich Frau Setchem, trat auf Pentaur zu, lächelte ihn an, befühlte seine Brust und sein Antlitz und sagte: »Er ist es, die Götter mögen ihn segnen!«

Pentaur wollte sie in seine Arme schließen, aber sie wich ihm aus, als fürchte sie sich eines Treubruchs schuldig zu machen, wandte sich schnell der Bahre zu und murmelte: »Armer, armer Paaker!«

»Mutter, Mutter, erkenne doch Deinen Sohn!« rief Pentaur tief ergriffen.

Da wandte sie sich abermals um und sagte. »Das ist seine Stimme, das ist er!«

Sie näherte sich Pentaur, lehnte sich an ihn, erfaßte sein zu ihr herniedergebeugtes Haupt, küßte ihn herzlich auf die Lippen und rief abermals: »Die Götter sollen Dich segnen!« Dann stürzte sie wiederum, als habe sie ein Unrecht gegen Paaker begangen, zu dem Leichnam zurück, neben dem sie zusammensank.

Hier blieb sie sprach und regungslos, bis man sie in ihr Boot zurücktrug. Dort legte sie sich nieder und wies alle Nahrung zurück.

Von Zeit zu Zeit murmelte sie: »Armer Paaker,« und ehe Pentaur, der nicht von ihr wich, den sie aber nicht mehr erkannte, sie verließ, war sie ihrem rauhen Liebling in das Jenseits gefolgt.


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