Georg Ebers
Uarda
Georg Ebers

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Fünftes Kapitel.

Die Nacht, in welcher die Prinzessin Bent-Anat mit ihren Begleitern an die Pforte des Setihauses geklopft hatte, war vorüber.

Die würzige Frische der Frühstunden wich der Glut, welche das tiefblaue, wolkenlose Himmelsgewölbe wie eine erhitzte Stahlglocke auszustrahlen begann. Das Menschenauge scheute sich zu dem überkräftigen Lichtball in der Höhe aufzuschauen, dessen Strahlen sich in dem feinen, weißlichen Staube brachen, der den gräberreichen Abhang des Gebirges überwehte, welcher die Todtenstadt nach Westen hin abschloß. Blendend hell strahlten die Kalkfelsen, die Atmosphäre zitterte wie die über Leuchtgasflammen schwebende, erhitzte Luft, die Schatten wurden immer kleiner, aber ihre Umrisse um so schärfer.

All' jene Thiere, die wir am Abend die Nekropolis bevölkern sahen, hatten sich in ihre Schlupfwinkel zurückgezogen. Nur der Mensch trotzte der Glut des Sommertages. Unbeirrt verrichtete er sein Tagewerk und legte nur aufathmend sein Handwerkszeug auf kurze Augenblicke nieder, wenn vom hochangeschwollenen Strome her ein kühlender Lufthauch seine Stirn berührte.

Der Hafen, in welchem die vom östlichen Theben kommenden Fahrzeuge landeten, war überfüllt mit reichen Festbarken und dem Verkehr gewidmeten Booten.

Die Mannschaft der ersteren, priesterlichen Genossenschaften und vornehmen Häusern angehörende Ruderknechte und Schiffsführer, pflegte der Ruhe, denn die Fahrgäste, welche sie über den Nil gesetzt hatten, zogen jetzt in langen Aufzügen den Gräbern entgegen.

Unter einer weithin schattenden Sykomore hatte ein Verkäufer von Eßwaaren, geistigen Getränken und Essig zur Kühlung des Wassers, seinen Tisch aufgestellt, und in seiner Nähe schrieen und stritten Schiffer und Aufseher, die das MoraspielDas lateinische «micare digitis». Heute noch in Südeuropa häufig gespieltes Fingerspiel, das die alten Aegypter liebten und mehrmals abbildeten. Die auf den Denkmälern dargestellten Spiele finden sich zusammengestellt von Minutoli in der Leipziger Illustr. Zeitung 1852, S. 331 ff. mit Eifer betrieben.

Viele Matrosen lagen auf dem Verdeck der Schiffe, andere aber am Ufer, hier unter dem undichten Blätterdach einer Palme, dort mitten in der Sonne, vor deren glühenden Strahlen sie sich schützten, indem sie das baumwollene Tuch, welches ihnen als Mantel diente, über ihr Angesicht breiteten.

Zwischen diesen Schläfern hindurch wanderten in langen Reihen, Einer hinter dem Andern, braune und schwarze, unter dem Drucke von schweren Lasten gebeugte Hörige und Sklaven, welche die Lieferungen an die Tempel, die Opfergaben und die von den Händlern in der Nekropole bestellten Waaren ihrer Bestimmung entgegenzuführen hatten. Bauleute zogen auf Schlitten aus den Steinbrüchen von Chennu und Suan angelangte Quadern einer neu entstehenden Tempelanlage entgegen. Einige Handlanger gossen Wasser unter die Kufen, damit die Reibung nicht das belastete und ausgedörrte Holz entzünde.

All' diese thätigen Leute wurden von ihren Aufsehern mit Stöcken angetrieben und sie sangen bei ihrer Arbeit; aber auch die Stimmen ihrer Chorführer, die sich am Abend, wenn nach der schlichten Mahlzeit die Zeit der Erholung gekommen war, laut genug vernehmen ließen, klangen jetzt gedämpft und heiser. Die vertrockneten Stimmbänder versagten in der Mittagszeit ihren Dienst.

Dichte Mückenzüge folgten diesen geplagten Schaaren, die stumpf und mit gebrochener Widerstandskraft die Stiche der Insekten wie die Schläge der Vögte hinnahmen, und begleiteten sie bis in das Herz der Todtenstadt, wo sie sich zu Fliegen und Wespen gesellten, welche in unvertilgbaren Mengen die Schlächtereien, Garküchen, Fischbrätereien und Buden mit Fleisch, Gemüse, Honig, Backwaaren und Getränken umschwärmten, bei denen es, trotz der Glut des Mittags und der schwer zu athmenden, mit vielerlei Gerüchen und Staub gesättigten, erhitzten Lust, lebhaft genug herging.

Je mehr man sich den libyschen Bergen näherte, je stiller ward es und über dem nordwestlichen, breiten Thal, in dessen südlichem Abhang der Vater des regierenden Königs seine tiefe Gruft hatte einhauen lassen und die Steinmetzen des Pharao ein Felsengrab für diesen Letzteren herstellten, herrschte die Ruhe des Todes.

Eine neu angelegte Fahrstraße führte in diese felsige Schlucht, deren steile, gelben und braunen Wände, an manchen schwärzlichen Stellen von dem Brande der Sonne versengt und wie die in nächtlicher Stunde den Grüften entsteigenden Geisterheere des Schattens beraubt zu sein schienen.

Am Eingange dieses Thales bildeten Felsblöcke eine Art von Thor und durch dieses zog, unbekümmert um die Hitze des Tages, eine kleine aber glänzend geschmückte Menschenschaar.

Vier schmächtige, nur mit einem Schurze und einem bis auf ihre Rücken herabfließenden Kopftuche von Goldbrokat bekleidete Stabträger, halb Knaben, halb Jünglinge, liefen dem Zuge voraus. Die Mittagssonne spiegelte sich in ihrer glatten, rothbraunen, feuchten Haut und ihr elastischer nackter Fuß berührte kaum die Steine des Bodens.

Ihnen folgte ein zierlicher zweirädriger Wagen, vor dem zwei braune Pferde tänzelten, welche rothe und blaue Federbüsche auf ihren feinen Köpfen wiegten, und durch die Haltung ihrer schön gebogenen Hälse und wallenden Schweife anzudeuten schienen, daß sie stolz wären auf die reichgestickten Schabracken in Silber, Blau und Purpur und den goldenen Zierat, der sie schmückte, mehr aber noch auf ihre schöne königliche Lenkerin, Bent-Anat, die Tochter des Ramses, auf deren leisesten Ruf sie ihre feinen Ohren spitzten und deren kleine Hand sie mit kaum wahrnehmbaren Bewegungen leitete.

Zwei wie die Vorläufer gekleidete junge Männer folgten dem Wagen und hielten mit großen, an langen Stäben befestigten Wedeln von schneeweißen Straußenfedern die Sonnenstrahlen von dem Antlitz ihrer Gebieterin fern.

Neben Bent-Anat wurde, so lange der Weg es gestattete, Nefert, die Gattin des Mena, in ihrer vergoldeten Sänfte von acht rothbraunen Leuten getragen, die in schnellem und taktmäßig eingeübtem Laufe nicht hinter den trabenden Rossen der Prinzessin und ihren schlanken Wedelträgern zurückzubleiben gewöhnt waren.

Beide Frauen, die uns hier zum ersten Mal im vollen Lichte des Tages begegnen, waren von seltener, aber durchaus verschiedener Schönheit.

Die Gattin des Mena hatte durchaus das Ansehen eines Mädchens behalten. Ihre großen, mandelförmigen Augen blickten erstaunt und träumerisch aus langen Wimpern hervor, aber ihre kaum mittelgroße, wohlgebildete Gestalt hatte sich, ohne ihre frühere Zierlichkeit einzubüßen, leicht gerundet. Kein Tropfen unägyptischen Blutes floß in ihren Adern, das lehrte die dunklere Farbenhaltung ihrer Haut, jenes warme, zwischen hellem Goldgelb und Bronzebraun in der Mitte stehende, frische und gleichmäßige Incarnat, das heute noch den abessinischen Mädchen so reizend steht, das zeigte ihre gerade Nase, ihre wohlgebildete Stirn, ihr schlichtes, aber starkes, rabenschwarzes Haar, und die Feinheit ihrer mit goldenen Reifen geschmückten Knöchel an Hand und Fuß.

Die jungfräuliche Königstochter neben ihr hatte kaum ihr neunzehntes Lebensjahr erreicht und doch breitete sich über ihr Wesen etwas frauenhaft Selbstbewußtes. Ihr hoher Wuchs überragte den ihrer Freundin beinahe um eines Hauptes Länge, ihre Haut war heller, der Blick ihrer guten und klugen, blauen Augen ohne Schwärmerei, aber klar und entschieden, ihr Profil war edel, aber scharf geschnitten und dem ihres Vaters so ähnlich, wie eine schöne Landschaft im milden, alle Härten glättenden Scheine des Mondes der gleichen Landschaft im hellen Glanze des Mittags. Ihre kaum merklich gebogene Nase war das Erbtheil ihrer semitischen VorelternViele Porträts des Ramses sind bis auf uns gekommen; das schönste ist seine herrliche, zu Turin konservirte Statue, in deren seinem Profil mit der leicht gebogenen Nase man eine gewisse Aehnlichkeit mit dem des ersten Napoleon gefunden haben will. und das Gleiche galt wohl von der leichtgelockten Fülle ihres braunen Haares, über welche sich jetzt ein blau und weiß gestreiftes seidenes Kopftuch legte, dessen sorgfältig gelegte Falten durch einen goldenen Reifen zusammengehalten wurden, in dessen Mitte sich das mit einer Scheibe von Rubin gekrönte Haupt einer gehörnten UräusschlangeGefährliche ägyptische Giftschlange, welche wegen ihrer schnellen Macht über Leben und Tod als Symbol des Königthums gewählt ward. Sie fehlt an keinem Diadem der Pharaonen. erhob. Von ihrer linken Schläfe aus hing eine starke, mit Goldfäden durchwebte Flechte, das Zeichen ihrer königlichen Geburt, bis auf ihre Brust herab. Sie trug ein purpurnes Kleid von beinahe durchsichtig feinem Gewebe, das von einem goldenen Gürtel und breiten Tragebändern festgehalten wurde. An ihrem Halse war wie ein breiter Kragen ein Halsband von Perlen und kostbaren Steinen befestigt, das bis auf ihre edelgeformte Brust herab reichte.

Hinter der Prinzessin stand ihr Rosselenker, ein alter Offizier von vornehmer Herkunft.

Den Wagen der fürstlichen Frauen folgten drei Sänften, in denen je zwei Hofbeamte saßen, sodann ein Dutzend zu jedem Dienste bereiter Sklaven, und endlich eine Schaar von Stockträgern zur Antreibung der Säumigen und von leicht bewaffneten Soldaten, welche, nur mit Schurz und Kopftuch bekleidet, ein dolchartiges Schwert im Gürtel, ein Beil in der rechten und zum Zeichen ihres friedlichen Dienstes einen Palmenzweig in der linken Hand trugen.

Den ganzen in raschem Trab vorwärts eilenden Zug umschwärmten, wie die Delphine ein Meerschiff, kleine Mädchen in langen, hemdenartigen Kleidern, die Wasserkrüglein auf den klugen Köpfen trugen und auf den Wink jedes Durstenden zur Hand waren, um ihn zu tränken. Mit Gazellenfüßen jagten sie oft den trabenden Rossen voran, und besonders zierlich erschien bei den größeren unter ihnen die Biegung des den Krug im Gleichgewicht haltenden Armes.

Die Höflinge redeten unter einander, gekühlt und beschattet von duftenden Wedeln, kaum berührt von der Hitze des Mittags, in behaglicher Breite über gleichgültige Dinge und die Prinzessin beklagte ihre armen Pferde, welche fortwährend von lästigen Bremsen beunruhigt wurden, während die Vorläufer und Soldaten, die Sänften- und Wedelträger, die Kinder mit ihren Krüglein und die keuchenden Haussklaven unter den Strahlen der Mittagssonne ihre Kräfte im Dienste ihrer Gebieter so rücksichtslos anzuspannen gezwungen wurden, daß ihre Sehnen zu springen und ihre Lungen zu zerreißen drohten.

Bei einer Erweiterung des Weges, von deren rechter Seite das kühn gebogene Querthal ausging, in welchem die letzten Könige des entthronten Herrscherhauses bestattet waren, hielt der Zug auf ein Zeichen des der Prinzessin entgegenfahrenden Paaker, welcher seine feurigen syrischen Rappen mit so harter Faust lenkte, daß blutiger Schaum von ihren Gebissen herniederfiel.

Nachdem der MoharS. Anmerkung 29. die Zügel in die Hand eines Dieners gelegt hatte, sprang er vom Wagen und sagte nach den üblichen Begrüßungsförmlichkeiten;

»In diesem Thale befindet sich das widerliche Nest der Leute, denen Du, Prinzessin, so hohe Gnade zu erweisen gedenkst. Erlaube mir, daß ich Deinem Zuge als Führer voranfahre. In wenigen Minuten sind wir am Ziele.«

»So gehen wir zu Fuße,« sagte die Prinzessin, »und lassen unser Gefolge hier zurück.«

Paaker verneigte sich, Bent-Anat warf ihrem Rosselenker die Zügel zu und schwang sich von dem Wagen, die Gattin des Mena und die Höflinge verließen ihre Sänften, und schon schickten sich die Wedelträger und Kammerherren an, ihre das Querthal betretende Herrin zu begleiten, als diese sich umwandte und befahl; »Ihr bleibt Alle zurück; nur Paaker und Nefert gehen mit mir.«

Die Prinzessin eilte rüstig auf dem ebenen Boden der von der Mittagsglut erhitzten Schlucht dahin, mäßigte aber ihre Schritte, sobald sie bemerkte, daß es der zarteren Nefert schwer wurde, ihr zu folgen.

An einer Krümmung des Weges blieb der Mohar stehen und mit ihm Bent-Anat und Nefert.

Keines von ihnen hatte während ihrer Wanderung ein Wort gesprochen.

Das Thal war ganz still und ganz öde.

Auf den höchsten Zinnen der Bergwand, die sich zu seiner Rechten senkrecht erhob, saß eine lange Reihe von Geiern, regungslos und als hätte die Hitze des Mittags die Kraft ihrer Schwingen gelähmt.

Paaker verneigte sich vor ihnen, als vor den heiligen Thieren der großen Göttin von ThebenDie mit Amon und Chunsu eine Trias bildende Muth. Ihnen war das große Reichsheiligthum (der Tempel von Karnak) geweiht. und die beiden Frauen thaten es ihm schweigend nach.

»Dort,« sagte der Mohar, und zeigte mit dem Finger auf zwei hart an der linken Thalwand aus Ziegeln von getrocknetem Nilschlamm aufgeführte Hütten; »dort die besser erhaltene neben der Höhle im Felsen.«

Bent-Anat schritt dieser einsamen Niederlassung mit klopfendem Herzen entgegen. Paaker ließ den Frauen den Vortritt. Noch wenige Schritte, und sie standen vor einem kunstlos zusammengeflochtenen Zaune von Rohrstäben, Palmenzweigen, Dornen und Stroh. Ein herzzerreißendes, von der Hütte ausgehendes Jammergeschrei durchzitterte die Luft und hemmte den Fuß der Frauen. Nefert erbebte und schmiegte sich an ihre stärkere Gefährtin, deren Herzschlag sie zu vernehmen glaubte. Beide standen während einiger Minuten wie gebannt, dann rief die Prinzessin den Mohar und sagte. »Geh' Du uns voran in die Hütte.«

Paaker verneigte sich tief und sagte. »Ich werde den Mann rufen, aber wie dürften wir seine Schwelle überschreiten? Du weißt, daß uns solches Unterfangen verunreinigen würde.«

Nefert schaute Bent-Anat bittend an, diese befahl aber: »Geh' mir voran; ich fürchte die Verunreinigung nicht!«

Der Mohar zauderte noch immer und rief: »Willst Du die Götter erzürnen und Dir selbst . . .«

Aber die Prinzessin ließ ihn nicht aussprechen, winkte Nefert, welche entsetzt und abwehrend die Hände erhob, zuckte die Achseln, ließ ihre Gefährtin bei dem Mohar zurück und trat durch eine Oeffnung des Zaunes in einen kleinen Hof, woselbst zwei braune Ziegen lagen, ein Esel mit gekoppelten Vorderbeinen stand und einige Hühner, die vergeblich nach Futter suchten, Staub aufscharrten.

Bald stand sie allein vor der geöffneten Thür der Hütte des Paraschiten. Niemand bemerkte sie, sie aber vermochte ihre an Pracht und Ordnung gewöhnten Augen nicht abzuwenden von dem düstern, aber wunderbar eigentümlichen Bilde, das ihr hier Herz und Sinn fesselnd entgegentrat. Endlich näherte sie sich der Thür, die zu klein war für die Höhe ihres Wuchses. Ihr Herz zog sich krampfhaft zusammen und sie hätte gewünscht, sich selbst verkleinern zu können und statt in prächtigem Schmuck zu glänzen, von einem Bettlergewand verhüllt zu sein.

Mit Gold und Edelsteinen behängt sollte sie in diese Hütte treten wie zum Hohn, wie ein Tyrann, der, während er an brechenden Tafeln schmaust, verhungernde Bettler zwingt, seiner Mahlzeit zuzuschauen. Ihre fein empfindende Seele fühlte, in wie schneidender Disharmonie ihre Erscheinung zu demjenigen stand, was sie hier umgab, und dieser Mißklang schmerzte sie, denn sie konnte sich nicht verhehlen, daß hier Elend und äußere Kleinheit den Ton anzugeben berechtigt wären und daß ihre Herrlichkeit sich nicht besonders erhaben ausnehme unter all' diesen winzigen Dingen, unter Staub, Dunst und Jammer, sondern disproportionirt und häßlich, wie eine Riesengestalt unter Zwergen.

Schon war sie zu weit gegangen, um umkehren zu können, aber sie hätte es gern gethan. Sie fühlte, je länger sie in diese Hütte schaute, tiefer und tiefer die Ohnmacht ihres fürstlichen Vermögens, die Nichtigkeit der reichen Gaben, mit denen sie nahte, und daß sie den staubigen Boden dieser armen Hütte nicht anders betreten dürfe, als in aller Demuth und als eine um Vergebung Bittende.

Der Raum, welchen sie übersah, war niedrig, aber nicht gerade klein, und empfing durch zwei einander kreuzende Lichtströmungen eine seltsame, ungleichmäßige Beleuchtung. Die eine fand ihren Eingang durch die Thür, die andere durch eine Oeffnung in der altersschwachen Decke des Zimmers, welches noch niemals so viele und so verschiedenartige Gäste beherbergt hatte als heute.

Aller Aufmerksamkeit richtete sich auf eine von dem Thürlichte hell beleuchtete Gruppe.

Auf dem staubigen Boden des Gemachs kauerte ein altes Weib mit verwitterten, dunklen Zügen und wirren, längst ergrauten Haaren. Ihr schwarzblaues, hemdenartiges Baumwollenkleid war geöffnet und ließ auf ihrer verdorrten Brust einen blauen, ihr eintätowirten Stern sehen.

In ihrem Schooße lag das von ihren Händen gestützte Haupt eines Mädchens, dessen schlanker Leib auf einer schmalen, zerrissenen Matte regungslos ruhte. Die kleinen, weißen Füße der Kranken berührten beinahe die Schwelle der Thür. Neben ihnen hockte ein alter, freundlicher Mann, der nur mit einem groben Schurze bekleidet und in sich zusammengesunken, sich dann und wann vorbeugte, um die Fußsohlen des Mädchens mit seinen mageren Händen zu reiben und leise Worte vor sich hin zu murmeln.

Die Leidende trug nichts als ein kurzes Röckchen von grobem, hellblauen Stoff. Ihr im Schooße der Alten ruhendes Antlitz war zart und ebenmäßig geformt, ihre Augen waren halb geschlossen, wie die der Kinder, deren Seele ein süßer Traum umfängt, aber an ihren schön geschnittenen Lippen zeigte sich von Zeit zu Zeit ein schmerzliches, fast krampfhaftes Zucken.

Volles weiches, aber ungeordnetes, rothblondes Haar, in dem einige verdorrte Blumen hingen, floß von ihrem Scheitel über den Schooß der Alten und die Matte hin, auf der sie lag. Ihre Wangen waren weiß und rosenroth, und wenn der junge Arzt Nebsecht, der neben seinem blinden, dumpfe Litaneien singenden Gefährten an ihrer Seite saß, das zerrissene Tuch, welches man über ihren jungfräulichen, von dem Rade des Wagens verletzten Busen gelegt hatte, lüftete, oder wenn sie ihren zarten Arm erhob, so zeigte es sich, daß sie an schimmernder Weiße jenen Töchtern des Nordlandes glich, die unter den Kriegsgefangenen des Königs nicht selten nach Theben kamen.

Zur linken Seite des Mädchens saßen auf einem kleinen Teppich die beiden aus dem Setihause hieher gesandten Heilkünstler. Von Zeit zu Zeit legte der eine oder der andere seine Hand auf die Stelle des Herzens der Leidenden, oder behorchte ihren Athem, oder öffnete seinen Arzneikasten, um den Umschlag auf ihrer leidenden Brust mit einem weißlichen Heilmittel zu befeuchten.

In weiterem Kreise, in der Nähe der Wände des Raumes hockten mehrere jüngere und ältere Weiber, Freundinnen des Paraschitenhauses, die von Zeit zu Zeit durch ein gellendes Jammergeschrei der Tiefe ihres Mitgefühls Ausdruck gaben. Eine von ihnen erhob sich in regelmäßigen Zwischenräumen und füllte das irdene Becken zur Seite der Aerzte mit frischem Wasser. So oft die Kühle eines neuen Umschlags die heiße Brust der Kranken erschreckte, öffnete sie die Augen und wandte sie sodann, – immer nur, um sie bald wieder auf längere Zeit zu schließen, – erst überrascht, dann aber mit frommer Ehrfurcht nach einem bestimmten Punkte hin.

Diese Blicke waren bisher unbemerkt geblieben von Demjenigen, auf den sie sich richteten.

An die rechte Wand des Zimmers gelehnt, stand in seinem langen, schneeweißen Priesterkleide der auf die Prinzessin harrende Pentaur. Sein Scheitel berührte die Decke des Zimmers und der durch die Oeffnung in der letzteren strömende schmale Lichtstreifen umfloß sein schönes Haupt und seine Brust, während Alles, was ihn umgab, von dämmerndem Dunkel bedeckt war.

Wieder erhob sich der Blick der Kranken und begegnete dießmal dem Auge des jungen Priesters, der alsbald seine Hand erhob und halb mechanisch mit leiser Stimme einige Worte des Segens sprach, dann aber von Neuem unverwandt auf den dunklen Boden der Hütte herniederschaute, um seinen eigenen Gedanken nachzuhängen.

Vor mehreren Stunden war er gekommen, um, gehorsam dem Befehle des Oberpriesters Ameni, der Prinzessin einzuschärfen, daß sie sich durch die Berührung des Paraschiten beflecke und nur durch die Hand der Priester die Reinheit zurückzuerlangen vermöge.

Ungern hatte er die Schwelle des Paraschiten betreten und wie ein Unglück bedrückte ihn der Gedanke, daß gerade er auserlesen worden sei, um eine Handlung edler Menschlichkeit zu brandmarken und ihre Thäterin dem strafenden Richter zu überweisen.

Pentaur hatte im Verkehr mit seinem Freunde Nebsecht manche geistige Fessel abgeworfen und manchem Gedanken Raum gegeben, den seine Meister für sündhaft und aufrührerisch erklärt haben würden, und dennoch erkannte er die Heiligkeit der alten Satzungen an, welche diejenigen schirmten, die er als die von Gott bestellten Hüter des geistigen Besitzes seines Volkes anzusehen gelernt hatte; auch war er nicht frei von jenem Kastenstolz und geistigen Hochmuth, die den Priestern mit klugem Vorbedacht anerzogen wurden. Er stellte den gemeinen Mann, der seine Kräfte einsetzt, um in redlicher, körperlicher Arbeit den Unterhalt für die Seinen zu erringen, den Kaufmann, Handwerker und Bauer, ja selbst den Krieger und vor Allem den der Sinnenlust ergebenen Müßiggänger tief unter die nach geistigen Zielen strebenden Standesgenossen.

Die durch das Gesetz Gebrandmarkten hielt er für unrein, und wie hätte er auch anders gekonnt!

Diese Leute, welche bei der Mumisirung der Todten den Leib des Leichnams öffneten, waren wegen dieses ihres, das heilige Gefäß der Seele schädigenden Berufs geächtet wordenDiodor I, 91.; aber kein Paraschit wählte freiwillig seinen sich vom Vater auf den Sohn vererbenden Stand, und wer als Paraschit geboren wurde, der hatte, so war er belehrt worden, – eine alte Schuld zu büßen, mit der sich seine Seele, welche damals von einem andern Körper umhüllt gewesen war, vor einer langen Zeitperiode belastet und der Seligsprechung im Jenseits beraubt hatte. Durch viele Thierleiber war sie gewandelt, um nun in dem Paraschitenkind eine neue Laufbahn zu beginnen und sich nach dem Tode von Neuem den Richtern in der Unterwelt zu stellen.

Mit Widerwillen hatte er die Schwelle des Geächteten überschritten, der schon, als er sich seiner Hütte nahte, zu Füßen des leidenden Mädchens gesessen und bei seinem Eintritt ausgerufen hatte:

»Noch ein Weißgekleideter. Wäscht denn das Unglück den Unreinen rein?«

Pentaur hatte dem Alten nichts erwiedert und dieser berücksichtigte ihn nicht weiter, denn er rieb die Fußsohlen der Kranken auf Befehl des Arztes und seine Hände blieben, von zärtlicher Besorgniß getrieben, ohne zu ermüden in steter Bewegung, wie das Schöpfrad im Nil durch den Strom ohne Unterlaß im Gang erhalten wird.

»Wäscht das Unglück den Unreinen rein?« fragte sich Pentaur. »Wohl besitzt es reinigende Gewalt und sollte die Gottheit, die dem Feuer die Kraft gab, das Metall zu läutern, und dem Winde, den Himmel von Gewölk zu befreien, es gewollt haben, daß ein Ebenbild ihres eigenen Wesens, ein Mensch von seiner Geburt bis zu seinem Ende mit einem unvertilgbaren Makel behaftet sei?«

Er schaute auf den Paraschiten und das Antlitz desselben schien ihm dem seines Vaters zu gleichen.

Das erschreckte ihn.

Als er aber wahrnahm, wie sich die Frau, in deren Schooß das Haupt der Kranken ruhte, so ängstlich wie eine Taube, auf die ein Habicht herniederschießt, über die wunde Brust des Mädchens beugte, um seinen Athem zu belauschen, der ihr zum Stillstand gelangt zu sein schien, da erinnerte er sich an eine Stunde aus seiner eigenen Kinderzeit, in der er, von Fieber geschüttelt, auf seinem Bettchen gelegen hatte. Was damals mit ihm selbst und in seiner Umgebung vorgegangen war, hatte er längst vergessen, aber ein Bild hatte sich tief in seine Seele geprägt und dieß war das des über ihm schwebenden, mit Todesangst erfüllten Antlitzes seiner Mutter, deren Augen doch nicht zärtlicher und besorgter auf ihren kranken Sohn geblickt hatten, als die des geächteten Weibes auf ihr leidendes Kind.

»Es gibt nur eine ganz selbstlose, ganz reine, ganz göttliche Liebe,« sagte er sich, »und das ist die der Isis zum Horus, der Mutter für ihr Kind. Wären diese Menschen wirklich so unrein, daß sie Alles schändeten, was sie berührten, wie konnten dann diese so lauteren, so zarten, so heiligen Triebe auch in ihnen ihre Reinheit und Schönheit bewahren?

»Aber,« so fuhr er zu denken fort, »die Himmlischen legen ja auch in die Brust der Löwin und des typhonischen Nilpferds die Mutterliebe!«

Bedauerlich schaute er auf die Paraschitenfrau.

Da sah er, wie sich ihr dunkles Gesicht von der Kranken abwandte. Sie hatte deren Athem vernommen und ein glückseliges Lächeln verklärte ihre gealterten Züge und sie nickte erst dem Arzt und dann mit einem tiefen Athemzug ihrem Manne zu, und dieser Letztere ließ seine linke Hand an der Sohle der Kranken nicht ruhen, die rechte hob er aber betend in die Höhe und sein Weib that das Gleiche.

Es war Pentaur, als schaue er die Seelen der Beiden in heiliger Gemeinschaft über dem jungen Wesen schweben, das ihre Hände verband, und wiederum dachte er an sein elterliches Haus und die Stunde, in der ihm sein süßes, einziges Schwesterchen gestorben war. Da hatte seine Mutter sich weinend über das bleiche Kind geworfen, der Vater aber hatte mit dem Fuße gestampft, den Kopf schluchzend zurückgeworfen und sich mit der Faust die Stirn geschlagen.

»Wie fromm ergeben und dankbar diese Unreinen sind!« dachte Pentaur und Unwillen gegen die alte Satzung begann in seinem Herzen Wurzel zu fassen. »Mutterliebe ist auch der Hyäne eigen, aber Gott suchen und finden, kann nur der edlen Zwecken zugewandte Mensch. Bis zu den Grenzen der Unendlichkeit, und die Gottheit ist ewig, – bleibt es den Thieren zu denken versagt; ja sie können nicht einmal lächeln. Das vermögen die Menschen auch nicht in den ersten Tagen, denn dann wohnt ihnen nur die Lebenskraft, die Thierseele inne, bald aber wird ein Theil der Weltseele, der leuchtenden Intelligenz in ihnen wirksam und kommt zum ersten Male zur Erscheinung im Lächeln des Kindes, das nicht weniger rein ist, als das Licht und die Wahrheit, von denen es herstammt. Das Paraschitenkind lächelt wohl auch wie jedes andere, von einem Weibe geborene Wesen, aber wie wenige alternde Menschen gibt es selbst unter den »Eingeweihten«, die noch so rein und verklärt zu lächeln vermögen, wie diese in lauter Bitternissen gealterte Frau!«

Ein tiefes Mitgefühl begann sein Herz zu erfüllen und er kniete zur Seite des armen Kindes nieder, erhob seine Arme und betete inbrünstig zu dem Einen, der den Himmel geschaffen hat und die Welt regiert, dem Einen, den das Mysterium ihm zu nennen verbot, und nicht zu den zahllosen Göttern, die das Volk verehrte, und die ihm nichts waren als vermenschlichte und so dem Verständniß der Laien näher gerückte Eigenschaften des einen und einzigen Gottes der Eingeweihten, zu denen auch er gehörte.

In leidenschaftlicher Erregung wandte er die Seele zu Gott; aber er bat nicht für das Paraschitenkind und seine Genesung, sondern für das ganze geächtete Geschlecht und seine Erlösung aus dem alten Bann, um Erleuchtung für seine von Zweifeln befangene Seele und um die Kraft, seine schwierige Aufgabe mit Einsicht zu lösen.

Die Blicke der Kranken folgten ihm, als er wieder seinen alten Platz einnahm.

Das Gebet hatte ihn erfrischt und ihm die Freudigkeit seines Geistes zurückgegeben. Er begann zu erwägen, welches Verhalten er der Prinzessin gegenüber zu beobachten haben werde.

Bent-Anat war ihm gestern nicht zum ersten Male begegnet; vielmehr hatte er sie häufig bei feierlichen Aufzügen und hohen Festen in der Nekropole gesehen und, wie all' seine jungen Standesgenossen, ihre stolze Schönheit bewundert, bewundert wie den unnahbaren Glanz der Sterne oder das Abendglühen am fernen Horizonte.

Jetzt sollte er sich dieser Frau mit strafender Rede nahen.

Er stellte sich den Augenblick vor, in dem er ihr entgegentreten werde, und konnte sich dabei nicht enthalten, an seinen kleinen Lehrmeister Chufu zu denken, den er schon als Knabe um zweier Häupter Länge überragt hatte, wenn er ihm von »unten her« seine Zurechtweisungen zurief. Zwar war er groß und schlank, aber es war ihm doch, als sollte ihm heute Bent-Anat gegenüber die Rolle des vielbelachten Männchens zufallen.

Sein für das Komische empfindlicher Sinn fühlte sich angeregt und verlangte sein Recht nach so ernsten Stunden und in so trauriger Umgebung. Das Leben ist reich an Gegensätzen und eine empfängliche und volle Menschennatur würde wie eine Brücke unter dem gleichmäßigen Taktschritte der Soldaten zusammenbrechen, wenn es ihr gestattet wäre, die Wucht der schwersten Gedanken und mächtigsten Gefühle in ungestörter Gleichmäßigkeit auf sich wirken zu lassen. Aber wie jeder Grundton in der Musik seine Nebentöne besitzt, so schwingen, wenn wir eine Saite unseres Herzens zum langen Ausklingen veranlassen, allerlei fremde Klänge mit und oft solche, die wir am wenigsten erwarten möchten.

Pentaur's Augen überflogen den einzigen dumpfen, mit Menschen überfüllten Raum der Paraschitenhütte und wie ein Blitz durchflog der Gedanke: »Wie wird die Prinzessin mit ihrem Gefolge hier Platz finden?« sein Gehirn.

Seine Phantasie ward lebendig und zeigte ihm mit heiterer Geschäftigkeit, wie die Pharaonentochter mit einer Krone auf dem stolzen Haupt in dieß stille Gemach hineinrauschen, wie ihre Höflinge ihr schwatzend folgen und die Frauen von den Wänden, die Aerzte von der Seite der Kranken, die glatte weiße Katze von der Truhe, auf der sie saß, drängen würden. Es mußte ein ungeheures Durcheinander geben! Dabei stellte er sich vor, wie die geputzten Herren und Frauen sich ängstlich von dem »Unreinen« fern halten, die zarten Hände vor Mund und Nase pressen und dem Alten zuraunen würden, wie er sich gegen das ihn beglückende Königskind zu benehmen habe. Die Greisin mußte das in ihrem Schooße ruhende Haupt, der Paraschit die Füße, die er so sorgfältig gerieben hatte, zu Boden fallen lassen, aufstehen und den Staub vor Bent-Anat küssen. Dabei, – das Alles zeigte sich dem innern Auge des jungen Priesters –, stießen sich die Höflinge, die vor ihm flohen und sich in eine Ecke zusammendrängten, und endlich warf die Prinzessin dem Vater, der Mutter und vielleicht auch dem Mädchen einige silberne oder goldene Ringe in den Schooß, und es war ihm, als hörte er die Höflinge drinnen rufen: »Heil der Gnade der Tochter der Sonne!« als vernehme er das Jubelgeschrei der aus der Hütte gedrängten Weiber, als sähe er den glänzenden Spuk die Wohnung des Geächteten verlassen und dann statt der immer hörbarer athmenden, lieblichen Kranken eine stille Leiche auf der verschobenen Matte liegen und an Stelle der beiden Pfleger zu ihren Füßen und bei ihrem Haupte zwei jammererfüllte, lautklagende Unglückliche.

Pentaur's feurige Seele erfüllte sich mit Zorn. Sobald sich der lärmende Zug in Wirklichkeit nahen würde, wollte er sich vor die Thür der Hütte stellen, der Prinzessin den Eingang verwehren und sie mit strengen Worten empfangen.

Menschenliebe konnte sie schwerlich hieher führen!

»Man braucht eine Abwechslung,« sagte er sich, »etwas Neues bei Hofe, denn es geht da wenig vor, wenn der König bei den Truppen im fernen Auslande weilt, es kitzelt die Eitelkeit der Großen, sich einmal neben den Kleinsten zu stellen, und man läßt die Leute gern von seiner Herzensgüte reden. Da kommt so ein kleiner Unfall gelegen, es lohnt nicht die Mühe, zu erwägen, ob die Form unserer Gnade so armselige Leute beglücken oder beschädigen wird.«

Er biß die Zähne ingrimmig zusammen und dachte nicht mehr an die Verunreinigung, die Bent-Anat von Seiten des Paraschiten drohe, sondern ausschließlich an die Entweihung, welche von ihrer Seite den heiligen, in diesem stillen Raume lebendigen Gefühlen bevorstand.

Schwärmerisch erregt wie er war, konnte es seinen beredten Lippen nicht an ergreifenden Worten fehlen.

Wie ein Geist des Lichts, der die Waffe erhebt, um einen Dämon der Finsterniß zu vernichten, stand er hoch aufgerichtet und tief athmend da und lauschte in das Thal hinaus, um den Ruf der Läufer und das Gerassel der Räder des Prunkzuges, den er erwartete, bei Zeiten zu vernehmen.

Da sah er, wie sich die Thüröffnung verdunkelte und eine tief gebückte Gestalt mit über der Brust gekreuzten Armen das Zimmer betrat, um sich schweigend neben der Kranken niederzulassen. Die Aerzte und die Alten regten sich und wollten sich erheben; sie aber winkte ihnen, ohne die Lippen zu öffnen, mit ausdrucksvollen, feuchten Blicken, an ihrem Platz zu verbleiben, schaute der Kranken lang und liebreich in's Gesicht, streichelte ihren weißen Arm und wandte sich an die Alte, um ihr leise zuzuflüstern: »Wie schön sie ist!«

Die Paraschitenfrau nickte zustimmend und das Mädchen lächelte und bewegte die Lippen, als habe es diese Worte verstanden und begehre zu sprechen.

Da löste Bent-Anat eine Rose aus ihrem Haar und legte sie ihr auf die Brust.

Der Paraschit hatte die Füße der Kranken nicht aus der Hand gelassen, war aber jeder Bewegung der Prinzessin gefolgt und flüsterte jetzt: »Das vergelte Dir Hathor, die Dir Deine Schönheit gegeben.«

Die Königstochter wandte sich ihm zu und sagte, noch immer neben dem Mädchen knieend. »Vergib mir den Schmerz, den ich euch ungern bereitet.«

Da richtete sich der Alte auf, ließ die Füße der Kranken fallen und fragte mit lauter, klangvoller Stimme.

»Bist Du Bent-Anat?«

»Ich bin es,« erwiederte die Prinzessin tief gebückt und so leise, als habe sie sich ihres stolzen Namens zu schämen.

Des Alten Augen flammten auf. Dann sagte er leise, aber bestimmt: »So verlaß meine Hütte, denn sie wird Dich verunreinigen.«

»Nicht, eh' Du mir vergeben hast, was ich ungern gethan.«

»Was Du ungern gethan,« wiederholte der Paraschit, »das glaub' ich! Die Hufe Deiner Pferde wurden unrein, als sie auf diesen weißen Busen traten! Sieh' her,« – und er nahm das Tuch von der Brust der Kranken und zeigte auf die schwere rothe Wunde. »Sieh' her; das ist die erste Rose, die Du meiner Enkelin auf die Brust gelegt hast, und die zweite da, da –«

Der Paraschit erhob seinen Arm, um die Blume durch die Thür seiner Hütte zu schleudern. Aber Pentaur hatte sich ihm genähert und hielt mit einem eisernen Griff die Hand des Alten fest.

»Halt!« rief er dabei mit bebender, aber um der Kranken willen gedämpfter Stimme. »Die dritte Rose, welche diese edle Hand Dir reichte, hat sie Dein gekränktes Herz und Dein blöder Sinn nicht wahrzunehmen vermocht? Und doch! Du müßtest sie kennen, und wär' es nur durch Dein Bedürfniß, durch Deine Sehnsucht nach ihr. Die holde Blume der reinen Menschlichkeit legte diese stolze Fürstin Deinem Kind auf's Herz und Dir zu Füßen. Nicht mit Gold, sondern mit Demuth kam sie zu Dir, und wem die Tochter des Ramses also naht, als wäre er ihresgleichen, der neige sein Haupt und wäre er der erste Fürst dieses Landes! Wahrlich, die Götter werden Bent-Anat solches Thun nicht vergessen; Du aber vergib, wenn anders Du willst, daß Dir die Schuld vergeben werde, die Du als Erbtheil Deiner Väter und durch Deine eigenen Sünden trägst!«

Der Paraschit neigte sein Haupt bei diesen Worten, und als er es wieder erhob, war der Zorn aus seinen fein geformten Zügen verschwunden. Er rieb sein Handgelenk, das Pentaur's eiserne Finger gequetscht hatten, und sagte mit einer Stimme, aus der die ganze Bitterkeit seiner Empfindungen wiedertönte;

»Deine Faust ist hart, Priester, und Deine Worte treffen wie Hammerschläge. Diese schöne Frau ist auch gut und liebreich und sie hat ihre Pferde, das weiß ich, nicht mit Fleiß über die Kleine getrieben, die mein Enkelkind ist und nicht meine Tochter. Wäre sie Dein Weib oder das des Arztes dort, oder das Kind der armen Frau da drüben, die ihr Leben fristet, indem sie die Federn und Füße des Geflügels sammelt, das man bei den Opfern schlachtet, ich würde ihr nicht nur verzeihen, sondern sie trösten, denn sie wäre mir ja ähnlich geworden; das Schicksal hätte sie ohne ihre Schuld zur Mörderin gemacht, wie es mir schon als Säugling den Stempel der Unreinheit aufdrückte. Ja, ich wollte sie trösten! Und ich bin ja auch wenig empfindlich! Heilige Dreiheit von Theben, wie sollt' ich es sein! Groß und Klein geht mir aus dem Weg, um nicht von mir berührt zu werden, täglich wirft man mich, wenn ich verrichtet habe, was meines Amtes ist, mit Steinen.»Alsdann schneidet der Paraschit mit einem äthiopischen Steine so weit durch das Fleisch der Leiche, als das Gesetz es vorschreibt; aber er entflieht sofort in Eile und die Verwandten des Verstorbenen verfolgen ihn mit Steinwürfen und Flüchen, als ob sie die Schuld auf ihn wälzen wollten.« Diodor I. 91. Die Erfüllung der Pflichten, welche Andere nährt, macht ihnen Freude und bringt ihnen Ehre zugleich, mir aber täglich neue Schmach und schmerzende Beulen. Aber ich grolle keinem Menschen und habe vergeben – vergeben – vergeben müssen, bis mir endlich Alles, was man mir anthat, natürlich schien und unvermeidlich und ich's hinnahm wie den Sonnenbrand im Sommer oder den Staub, den mir der Westwind in's Gesicht treibt. Es freute mich nicht, aber was konnt' ich dagegen thun? Allen verzieh ich . . « Die Stimme des Paraschiten war weich geworden und Bent-Anat, die mit Rührung auf ihn herniedersah, unterbrach ihn, indem sie mit Innigkeit rief:

»Und so verzeihe auch mir, Du armer Mann!«

Der Alte schaute geflissentlich nicht auf sie, sondern auf Pentaur hin, als er erwiederte: »Armer Mann! Ja wohl, armer Mann. Ihr habt mich aus der Welt gestoßen, in der ihr lebt. und so gestaltete ich mir in dieser Hütte meine Welt für mich. Ich gehöre nicht zu euch und wenn ich das vergesse, so verjagt ihr mich wie einen ungebetenen Gast, ja wie den Wolf, der in eure Hürden bricht; aber ihr gehört eben so wenig zu mir, nur muß ich's eben dulden, wenn ihr den Wolf spielen und mich überfallen wollt.«

»Als Bittende und mit dem Wunsch, euch wohlzuthun, betrat die Prinzessin Deine Hütte,« sagte Pentaur.

»Das,« rief der Alte, »sollen die strafenden Götter ihr zugute schreiben, wenn sie an ihr heimsuchen, was ihr Vater an mir verbrochen hat. Vielleicht bringt mich's in die Steinbrüche, aber gesagt muß es werden. Sieben Söhne waren mein und alle hat Ramses mir genommen und in den Tod geschickt; das Kind des Jüngsten, dieß Mädchen, den Sonnenschein meiner dunklen Hütte, mordet jetzt seine Tochter. – Drei von meinen Knaben ließ der König bei den Zwangsarbeiten unten am Tenat,Wörtlich »der Durchstich«; der von Seti I., dem Vater des Ramses, angelegte erste »Suezkanal«, von dem sich eine Darstellung an der nördlichen Außenwand des Tempels von Karnak findet. Er hielt ungefähr die Richtung des v. Lesseps'schen Süßwasserkanals und gab der Landschaft Gosen ihre Fruchtbarkeit. Vielleicht verband er auch nach Norden hin die Seen auf der Landenge von Suez. der den Nil mit dem Schilfmeere verbinden soll, verdursten, drei von den Aethiopiern erschlagen und den letzten, den Stern meines Auges, fressen jetzt wohl die Hyänen des Nordlands.«

Bei diesen Worten brach die Alte, in deren Schooß das Haupt der Kranken ruhte, in ein Klagegeschrei aus, in welches die anderen Weiber einstimmten.

Die Leidende fuhr erschrocken auf und öffnete die Augen.

»Um wen klagt ihr?« fragte sie leise.

»Um Deinen armen Vater,« sagte die Alte.

Da lächelte das Mädchen wie ein Kind, welches wahrnimmt, daß man ihm eine wohlwollende Täuschung bereitet, und sprach: »Mein Vater wäre noch nicht bei euch gewesen? Er ist aber hier in Theben und hat mich gesehen und geküßt, und gesagt, daß er Beute mitbringt und daß ihr es von nun an gut haben solltet. Den goldenen Ring, den er mir schenkte, band ich in mein Kleid, als der Wagen auf mich zubrauste. Ich zog noch an dem Knoten, da wurde es schwarz vor meinen Augen und ich sah und hörte nichts mehr. Mach' ihn nur auf, Großmutter, der Ring ist Dein. Ich wollte ihn Dir bringen. Du sollst ein Opferthier dafür kaufen und Wein für den Großvater und AugensalbeAegyptisch Mestem, d. i. stibium oder Spießglas, das schon sehr früh von Asiaten in Aegypten eingeführt und allgemein gebraucht ward. für Dich und Mastixzweige,Werden heute noch des angenehmen Geschmackes wegen von den Aegypterinnen gern gekaut. Die alten Aegypter brauchten verschiedenartige Mundpillen. Rezepte für solche finden sich im Papyrus Ebers. die Du Dir schon lange nicht gönnen konntest.«

Der Paraschit sog diese Worte von dem Munde seiner Enkelin. Wieder erhob er betend seine Rechte, wieder bemerkte Pentaur, daß sich sein Blick mit dem seines Weibes verschmolz, und ein schwerer, warmer Tropfen rann aus seinen alten Augen auf seine schwielige Hand. Dann schrak er zusammen, denn er dachte, die Kranke sei von einem Traumgesichte getäuscht worden. Aber da war der Knoten in ihrem Röckchen.

Mit zitternder Hand öffnete er ihn und ein goldenes Ringlein rollte zu Boden.

Bent-Anat hob es auf, reichte es dem Paraschiten und sagte.

»In glücklicher Stunde kam ich zu Dir, denn Du hast einen Sohn zurückgewonnen und Deine Enkelin wird leben!«

»Sie wird leben,« wiederholte der Arzt, welcher ein stummer Zeuge des Geschehenen gewesen war.

»Sie wird uns bleiben,« murmelte der Paraschit und sagte, indem er sich aus seinen Knieen der Prinzessin näherte und sie flehend mit seinen feuchten Augen ansah:

»Vergib mir, wie ich Dir vergebe, und wenn ein frommer Wunsch nicht zum Fluche wird auf den Lippen eines Geächteten, so laß Dich segnen.«

»Ich danke Dir,« sagte Bent-Anat, gegen die der Alte die Hände segnend erhob.

Dann wandte sie sich an den Arzt, befahl ihm, die Kranke sorgsam zu pflegen, neigte sich über sie, küßte ihre Stirn, legte ihr goldenes Armband neben sie hin und winkte Pentaur, der mit ihr die Hütte verließ.


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