Georg Ebers
Uarda
Georg Ebers

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Drittes Kapitel.

Während des Gespräches der beiden Freunde vom Setihause ging Frau Katuti in der offenen Halle am Hause ihres Schwiegersohnes, in der wir sie kennen gelernt haben, unruhig auf und nieder. Ein schneeweißes Kätzchen folgte ihr bei dieser Wanderung, bald mit der Schleppe ihres langen, schlichten Gewandes spielend, bald sich einem Postamente zuwendend, das früher eine vor wenigen Monden verkaufte silberne Bildsäule getragen hatte und auf dem jetzt der Zwerg Nemu hockte.

Er liebte diesen Platz, welcher ihm die Möglichkeit gewährte, seiner Herrin und anderen ausgewachsenen Menschen von oben herab in die Augen zu sehen.

»Wenn Du mich betrügst, wenn Du mich getäuscht hast!« sagte Katuti mit drohender Geberde, als sie an seinem Sitze vorbeikam.

»So steck' mich an einen Haken und angle mit mir ein Krokodil. Ich bin nur neugierig, in welcher Weise er Dir das Geld anbieten wird.«

»Du schwörst zum andern Male,« unterbrach ihn seine Herrin mit fieberhafter Unruhe, »daß Du Paaker nicht in meinem Namen gebeten hast, uns zu retten?«

»Tausend Eide,« sagte der Kleine. »Soll ich Dir unser Gespräch von gestern wiederholen? Ich sage Dir, er gibt auch seine Aecker her und sein Haus mit dem hohen Thore für einen freundlichen Blick aus Nefert's Augen.«

»Wenn Mena sie lieben wollte wie er!« seufzte Katuti und durchmaß wiederum schweigend die Halle, während der Zwerg nach dem Eingange des Gartens schaute. Plötzlich blieb sie vor Nemu stehen und sagte so düster, daß es ihn kalt überlief:

»Ich wollte, sie wäre Wittwe.«

Der Kleine machte eine Handbewegung, als gälte es, sich vor dem bösen Blicke zu schützen, ließ sich aber gleich darauf von seinem Postamente auf den Boden nieder und rief:

»Da hält ein Wagen und ich höre das tiefe Gebell seiner großen Dogge. Er ist es. Soll ich Nefert rufen?«

»Nein!« sagte Katuti leise und griff nach der Lehne eines Stuhles, als suche sie an ihr einen Halt.

Der Zwerg zog sich achselzuckend hinter eine Gruppe von Blattpflanzen zurück und wenige Minuten später stand Paaker vor seiner Herrin, die den Mohar mit ruhiger und selbstbewußter Würde empfing.

Kein Zug in ihrem fein geschnittenen Antlitz verrieth die Erregung ihres Innern, und nachdem der Wegeführer sie begrüßt hatte, sagte sie mit gönnerhafter Freundlichkeit:

»Ich dachte, daß Du kommen würdest. Nimm Platz! Dein Herz gleicht dem Deines Vaters. Nun Du uns wieder befreundet bist, bist Du es ganz.«

Paaker war gekommen, um seiner Base die Summe anzubieten, deren sie zur Einlösung der Mumie ihres Gatten bedurfte.

Er war lange mit sich zu Rathe gegangen, ob er dieß nicht seiner Mutter überlassen sollte, aber davon hatte ihn theils eine innere Scheu, theils seine Eitelkeit abgehalten

Er liebte es, mit seinem Besitze zu prunken, und Katuti sollte erfahren, was er vermöge und welchen Schwiegersohn sie abgewiesen habe.

Am liebsten hätte er das Gold, welches er zu verschenken entschlossen war, sogleich seiner Schatzkammer entnehmen und es von seinen Sklaven vor sich her tragen lassen, wie die unterworfenen Fürsten ihre Tribute. Das ging nicht und so steckte er den großen mit einem kostbaren Edelsteine gezierten Ring, welchen König Seti dereinst seinem Vater geschenkt hatte, an den Finger und schmückte sich mit vielen Spangen und Reifen.

Als er sich, bevor er sein Haus verließ, in dem Spiegel sah, sagte er sich mit Befriedigung, daß er, wie er da ging und stand, so viel werth sei wie das ganze Erbgut des Mena.

Seit seiner Unterredung mit dem Zwerge und dessen Deutung seines Traumes lagen die Wege, welche er zur Erreichung seines Zieles zu wandeln hatte, scharf begrenzt vor ihm. Nefert's Mutter mußte vor Schande bewahrt, mit Gold gewonnen, und Mena in jene Welt gesendet werden. Als Bundesgenossen betrachtete er seine rücksichtslose Gewaltthätigkeit, die er »feste Entschlossenheit« zu nennen liebte, die Klugheit des Zwerges Nemu und den Liebestrank.

Jetzt nahte er Katuti, siegesgewiß wie ein Kaufmann, der eine kostbare Waare zu erwerben geht und sich reich genug fühlt, sie zu zahlen.

Die würdige und stolze Art seiner Base verwirrte ihn.

Er hatte sie anders, – gebrochen und um Hülfe flehend zu finden erwartet und gehofft, nach seiner großmüthigen That Nefert's Dank zugleich mit dem ihrer Mutter zu ernten. Aber die schöne Gattin des Mena war abwesend und Katuti ließ sie nicht rufen, auch nicht nachdem er sich nach ihrem Befinden erkundigt hatte.

Keinen Schritt kam die Wittwe ihm entgegen und so verging geraume Zeit mit gleichgültigen Gesprächen, bis Paaker ihr unvermittelt, aber mit einer Derbheit, die sie für Biederkeit hielt und um derentwillen sie ihm seinen gerade unter den obwaltenden Umständen schlecht gewählten Prunk verzieh, mittheilte, daß er von der unverantwortlichen That ihres Sohnes gehört und beschlossen habe, sie und die Ihren als die nächsten Verwandten seiner Mutter vor der Ehrlosigkeit zu bewahren.

Katuti dankte ihm mit würdigen, aber herzlichen Worten, mehr noch um ihrer Kinder als um ihrer selbst willen; denn vor jenen, sagte sie, öffne sich das Leben, welches abgeschlossen hinter ihr liege.

»Du bist in guten Jahren,« sagte Paaker.

»Vielleicht in den besten,« erwiederte die Wittwe, »wenigstens für mich, die ich das Dasein als ein Amt betrachte, ein schweres Amt.«

»Die Verwaltung dieses verschuldeten Gutes muß sorgenvolle Stunden bringen, das glaub' ich.«

Katuti nickte und sagte dann traurig:

»Das Alles ließe sich ertragen, wenn ich nicht verdammt wäre, das arme Kind, ohne helfen, ohne rathen zu können, elend verkommen zu sehen. Du hast sie einst gern gehabt und ich frage Dich; gab es ein Mädchen in Theben, ja in Aegypten, das ihr gleichkam an Schönheit? War sie liebenswerth und ist sie es nicht noch? Verdient sie es, daß ihr Gatte sie einsam darben läßt, sie vernachlässigt und, als hätt' er sie verstoßen, ein fremdes Weib an ihrer Stelle in sein Zelt nimmt? Ich sehe Dir an, was Du sinnst. Du schiebst mir die Schuld des Geschehenen zu, Dein Herz fragt: ›Warum brachen sie das Verlöbniß?‹ und Dein redlicher Sinn antwortet, daß Du ihr ein besseres Loos bereitet haben würdest.«

Bei diesen Worten ergriff die Wittwe ihres Neffen Hand und fuhr mit steigender Wärme fort:

»Als großmüthigsten Mann in Theben haben wir Dich heute kennen gelernt, denn mit ungeheuren Wohlthaten hast Du schweres Unrecht vergolten; aber schon als Knabe warst Du uns lieb und werth. Der Wunsch Deines Vaters, der gegen uns wie ein liebreicher Bruder gehandelt hat, so lange er lebte, ist mir heilig und theuer gewesen, und lieber hätt' ich mir selbst, als Deiner guten Mutter, meiner Schwester, Schmerzen bereitet. Ich hütete und zog mein Kind mit aller Sorgfalt heran für den jungen, seine Kraft im fernen Asien bewährenden Helden, für Dich, und nur für Dich. Da starb Dein Vater und mit ihm mein Halt und mein Beschützer.«

»Ich weiß Alles,« unterbrach sie Paaker und schaute düster zu Boden.

»Wer sollte es Dir berichtet haben?« fragte die Wittwe, »da mir Deine Mutter, nachdem das Unglaubliche geschehen war, ihr Haus verbot und ihr Ohr verschoß. Der König selbst warb für Mena, der ihm mehr ist als seine Söhne; und als ich auf Deine älteren Rechte hinwies, da befahl er, und wer dürfte sich dem Befehle des Herrn beider Welten, der sich den Sohn der Sonne nennt, widersetzen! Die Könige vergessen schnell! Wie oft schlug Dein Vater sein Leben für ihn in die Schanze, wie viele Wunden hat er in seinem Dienste davongetragen. Um Deines Vaters willen hätte er Dir solchen Schimpf und solches Leid ersparen müssen.«

»Und hab' ich selbst ihm gedient oder nicht?« fragte Paaker, und tiefe Röthe bedeckte seine Wangen.

»Er kannte Dich wenig,« gab Katuti im Tone der Entschuldigung zurück. Dann nahm ihre Stimme eine neue Färbung an und teilnehmend fragte sie:

»Womit hast Du schon damals, jung wie Du warst, seine Unzufriedenheit erweckt, seine Abneigung, ja seine . . .«

»Was?« fragte der Wegeführer und seine Glieder bebten.

»Laß das,« fiel die Wittwe begütigend ein. »Der Könige Gunst und Ungunst ist wie die der Gottheit. Man freut sich ihrer, oder man beugt sich vor ihr.«

»Was hab' ich in Ramses erweckt außer Unzufriedenheit und Abneigung? Ich will es wissen.« rief Paaker mit steigender Heftigkeit.

»Du ängstigst mich,« begütigte die Wittwe. »Indem er Dich erniedrigte, beabsichtigte er wohl nur seinen Günstling in Nefert's Augen zu heben.«

»Was hat er gesagt?« rief der Wegeführer und dabei troff kalter Schweiß von seiner braunen Stirn und man sah nur das Weiße seiner rollenden Augen.

Katuti wich vor ihm zurück, er aber folgte ihr, faßte ihren Arm und fragte heiser:

»Was hat er gesagt?«

»Paaker!« rief die Wittwe klagend und vorwurfsvoll. »Laß mich los. Es ist zu Deinem Besten, wenn ich die Worte verschweige, mit denen Ramses Nefert's Herz von Dir abzuwenden suchte. Laß mich los und bedenke, mit wem Du redest!«

Aber Paaker schloß seine Hand nur fester um ihren Knöchel und wiederholte dringender seine Frage.

»Schäme Dich!« rief Katuti. »Du thust mir weh. Laß mich los! Du willst nicht, bis Du weißt, was er sagte? So mag Dein Wille geschehen; aber nur gezwungen kommen diese Worte über meine Lippen. Er sagte, wenn er nicht wüßte, daß Deine Mutter Setchem eine brave Frau wäre, so würde er Dich nicht für den Sohn Deines Vaters halten, denn Du glichest ihm so wenig wie die Eule dem Adler.«

Paaker entfernte sogleich die Hand von dem Arme der Wittwe und seine bleichen Lippen murmelten. »So – so – – –«

»Nefert hat Dich vertheidigt und ich mit ihr, aber vergebens. Nimm das schlimme Wort nicht zu schwer. Dein Vater war ein Mann sonder Gleichen und Ramses vergißt nicht, daß wir dem alten Königshause verwandt sind. Sein Großvater, sein Vater und er sind Emporkömmlinge und Einer lebt noch, der ein besseres Recht auf den Thron der Pharaonen besitzt, als er.«

»Der Statthalter Ani,« sagte Paaker fest.

Katuti nickte zustimmend, trat dem Wegeführer näher und sagte leise:

»Ich gebe mich in Deine Hand, obgleich ich weiß, daß sie sich gegen mich erheben könnte. Aber Du bist mein natürlicher Bundesgenosse, denn dieselbe That des Ramses, die Dich schändete, hat mich zur Genossin der Pläne des Statthalters gemacht. Dir stahl der König die Braut, mir die Tochter; Dir erfüllte er die Seele mit Haß gegen den übermüthigen Nebenbuhler, mir goß er Feuer in's Herz, denn er hat das Lebensglück meines Kindes vernichtet. Ich fühle etwas von dem Blute Hatasu's in meinen Adern und mein Geist ist stark genug, um Männer zu lenken. Ich war es, die die schlummernden Wünsche im Busen des Statthalters wachrief, die seine Augen dem Throne zuwandte, für den ihn die Götter bestimmten. Die Diener der Himmlischen, die Priester, sind uns geneigt, wir haben . . .«

In diesem Augenblicke ward es lebendig im Garten, athemlos stürzte ein Sklave in die Halle und rief:

»Der Statthalter hält vor der Pforte!«

Paaker war wie betäubt, aber bald faßte er sich und wollte sich entfernen, Katuti aber hielt ihn zurück und sagte:

»Ich gehe Ani entgegen; er wird sich freuen, Dich zu sehen, denn er schätzt Dich hoch und war ein Freund Deines Vaters.«

Sobald Katuti die Halle verlassen hatte, trat der Zwerg Nemu aus den Blattpflanzen hervor, stellte sich Paaker gegenüber und fragte dreist:

»Nun? Hab' ich Dich gestern gut unterrichtet oder nicht?«

Aber Paaker antwortete ihm nicht, sondern schob ihn mit einem Fußstoße zur Seite und ging nachdenklich auf und nieder.

Katuti begegnete dem Statthalter in der Mitte des Gartens. Er hielt eine Schriftrolle in der Hand und begrüßte sie schon von ferne mit einer freudigen Handbewegung.

Die Wittwe betrachtete ihren Freund mit Erstaunen.

Es schien ihr, als sei er gewachsen und jünger geworden, seitdem sie ihn zum letzten Male gesehen.

»Heil über Dich,« rief sie ihm halb vertraulich, halb ehrerbietig zu und erhob ihre Hände anbetend gegen ihn, als trüge er bereits die Doppelkrone von Ober- und Unterägypten. »Ist Dir die Neunzahl der Götter begegnet,Die Aegypter lassen ihre Götter gewöhnlich in Cyclen: zu dreien (Triaden) und zu neunen, aber auch zu 8, 13 und 15 auftreten. Im Märchen von den beiden Brüdern begegnet die Neunheit der Götter dem einsamen Batau und bildet ihm ein Weib. haben die Hathoren Dich im Schlafe geküßt? Ein weißer Tag ist dieses, ein Glückstag; das les' ich aus Deinen Zügen.«

»Schriftkundige!« gab Ani munter, aber würdig zurück. »So lies auch diese Botschaft!«

Katuti nahm die Papyrusrolle aus seiner Hand entgegen, überlas sie, gab sie ihm zurück und sagte ernst:

»Die von Dir ausgerüsteten Truppen haben die verbündeten Kuschitenschaaren geschlagen und bringen ihre gefangenen Fürsten mit unermeßlichen Schätzen und zehntausend Gefangenen nach Theben! Den Göttern sei Dank!«

»Und Dank vor Allem,« fügte Ani hinzu, »weil mein Feldherr Scheschenk, mein Milchbruder und Freund, wohlbehalten und unverwundet unsere Krieger heimführt. Ich glaube, Katuti, daß unsere Traumgestalten am heutigen Tage Fleisch und Blut gewinnen.«

»Sie erwachsen zu Helden!« rief die Wittwe. »Und Dich selbst, mein Gebieter, hat der Odem der Gottheit berührt. Wie ein echter Sohn des Ra schreitest Du an meiner Seite, der Muth des Menth strahlt aus Deinen Augen und um Deinen Mund schwebt das Lächeln des siegreichen Horus.«S. Anmerkung 62.

»Geduld, Geduld, Freundin,« sagte Ani, den Eifer der Wittwe mäßigend. »Jetzt gilt es mehr denn je an meinem alten Grundsatze festzuhalten, die Kraft des Gegners zu überschätzen und die eigene geringer zu achten, als sie es verdient. Nichts ist mir geglückt, dessen sicheres Gelingen ich erwartet, Vieles dagegen, dessen Fehlschlag ich gefürchtet habe. Noch hat der Anfang des Erfolges kaum begonnen!«

»Aber wie das Unglück, so kommt das Gute niemals allein,« fügte Katuti hinzu.

»Ich pflichte Dir bei,« sagte Ani. »Die Ereignisse des Lebens treten, das glaube ich bemerkt zu haben, paarweise auf. Jedes Uebel hat seinen Gefährten wie jedes Glück. Kannst Du mir einen zweiten Sieg verkünden?«

»Weiber gewinnen keine Schlachten,« lächelte die Wittwe, »aber sie werben Freunde und ich habe einen mächtigen Bundesgenossen gewonnen!«

»Einen Gott oder ein Heer?« fragte der Statthalter.

»Etwas zwischen den Beiden,« entgegnete sie. »Paaker, der Wegeführer des Königs, hat sich uns verschrieben. Höre!« Und sie erzählte dem Statthalter die Geschichte der Liebe und des Hasses ihres Neffen.

Ani hörte ihr schweigend zu, dann sagte er mit dem Ausdruck der Unruhe und Besorgnis:

»Dieser Mann ist ein Diener des Ramses und wird bald zu ihm zurückkehren. Manche mögen unsere Pläne ahnen, aber jeder neue Wisser kann zum Verräther werden. Du drängst mich, Du treibst mich vorzeitig vorwärts! Tausend rüstige Feinde sind weniger gefährlich als ein unsicherer Bundesgenosse . . .«

»Paaker ist uns gewiß,« sagte Katuti entschieden.

»Wer bürgt Dir für ihn?« fragte der Statthalter.

»Er soll in Deine Hand gegeben werden,« erwiderte Katuti ernst. »Mein kluger Zwerg Nemu weiß, daß er eine geheime That begangen, welche das Gesetz mit dem Tode bestraft.«

Des Statthalters Antlitz klärte sich auf und beruhigt sagte er: »Das ändert die Sache. Hat er gemordet?«

»Nein,« gab Katuti zurück. »Der Zwerg hat geschworen, Dir, und Dir allein mitzutheilen, was er weiß. Er ist uns völlig ergeben.«

»Wohl, wohl,« sagte Ani bedenklich; »aber auch er ist unvorsichtig, viel zu unvorsichtig! Ihr seid wie die Reiter, die, um eine Wette zu gewinnen, ein Roß zum Sprunge über Lanzen antreiben. Fällt es in die Spitzen, so ist das sein Schade! Ihr laßt es liegen und geht zu Fuß eurer Wege.«

»Oder werden zugleich mit dem edlen Rosse von den Lanzen durchbohrt,« sagte Katuti ernst. »Du hast mehr zu gewinnen und darum auch mehr zu verlieren, als wir; aber auch der Kleinste liebt das Leben und, Ani, brauch' ich Dir's zu sagen, daß ich nicht für Dich arbeite, um durch Dich zu gewinnen, sondern weil Du mir theuer bist wie ein Bruder und weil ich in Dir die Verkörperung des zertretenen Rechtes meiner Väter sehe.«

Ani reichte ihr die Hand und sagte:

»Du hast auch mit Bent-Anat als meine Freundin geredet? Versteh' ich Dein Schweigen recht?«

Katuti nickte schmerzlich mit dem Kopfe; Ani aber sagte:

»Das hätte mich gestern bewogen, von ihr abzustehen, aber heute ist mir der Muth gewachsen und wenn die Hathoren mir beistehen, so gewinn' ich sie dennoch!«

Mit diesen Worten ging er der Wittwe voran zu der Halle, in welcher Paaker noch immer unruhig auf und nieder wandelte.

Der Wegeführer verneigte sich tief vor dem Statthalter, der seinen Gruß mit einer halb stolzen, halb freundlichen Handbewegung zurückgab und nachdem er sich auf einen Lehnsessel niedergelassen hatte, Paaker als Sohn eines Freundes und als einen Verwandten seines Hauses bewillkommnete.

»Alle Welt,« sagte er, »rühmt Deine rücksichtslose Thatkraft. Männer wie Du sind selten; mir fehlen sie ganz. Ich wollte, Du stündest mir näher; aber Ramses wird Dich nicht missen wollen, obgleich – obgleich – – freilich, Dein Amt hat ein doppeltes Antlitz; es verlangt Kühnheit und Schreibfertigkeit. Die erstere wird Dir nicht abgesprochen, aber die letztere. Schwert und Rohrfeder sind eben verschiedene Waffen, diese verlangt zarte Finger und jenes Deine derbe Faust. Der König tadelte früher Deine Berichte; ist er jetzt besser mit ihnen zufrieden?«

»Ich hoffe es,« antwortete der Wegeführer. »Mein Bruder Horus ist ein geübter Schreiber und begleitet mich auf meinen Fahrten.«

»Das ist das Rechte!« rief der Statthalter. »Hätt' ich zu befehlen, ich verdreifachte Deine Mannschaft und gäbe Dir vier, fünf, sechs Schreiber mit, denen Du unbedingt zu befehlen und den Stoff für die einzusendenden Berichte zu liefern haben würdest. Dein Amt erfordert Muth und Umsicht, diese Eigenschaften finden sich selten vereint; Federhelden gibt es zu Hunderten in den Tempeln.«

»So meine auch ich,« sagte Paaker.

Ani schaute nachdenklich zu Boden und fuhr dann fort:

»Ramses liebt es, Dich mit Deinem Vater zu vergleichen. Das ist Unrecht, denn der Gerechtfertigte war einzig in seiner Art, der tapferste Held und der feinste Schreiber in einer Person. Du wirst falsch beurtheilt! Das ist mir leid, ja mehr als das, denn Du gehörst durch Deine Mutter zu meinem armen, aber hohen Hause. Wir wollen sehen, ob ich Dich an den rechten Platz zu stellen vermag. Einstweilen bedarf man Deiner in Syrien und zur Noth, ihr ewigen Götter, ziehst Du Dich auf Dein Erbgut zurück! Du hast gezeigt, daß Du ein Mann bist, der den Tod nicht fürchtet und zu dienen versteht, und magst Deinen Reichthum mit Deinem Weibe genießen.«

»Ich stehe allein,« sagte Paaker.

»So laß Katuti, wenn Du heimkehrst, die Schönste im Lande für Dich aussuchen,« lächelte der Statthalter. »Sie sieht sich täglich im Spiegel und versteht sich darum auf die Anmuth des Weibes.«

Mit diesen Worten erhob sich Ani, begrüßte Paaker mit ausgesuchter Freundlichkeit, reichte der Wittwe die Hand und sagte, indem er die Halle verließ:

»Sende mir heute noch das – das Tuch durch den Zwerg Nemu!«

Als er schon den Garten betreten hatte, wandte er sich nochmals um und rief Paaker zu:

»Es speisen heut einige Freunde mit mir zu Nacht und ich bitte auch Dich, zu erscheinen!«

Der Wegeführer verneigte sich. Er empfand dunkel, daß er von unsichtbaren Fäden umgarnt werde. Bis zu dieser Stunde war er stolz gewesen auf seine Hingabe an seinen Beruf, auf seine Leistungen als Mohar, und nun erfuhr er, daß derselbe König, dessen Ehrenkette seinen Hals schmückte, ihn mißachte und vielleicht nur um seines Vaters willen in seinem mühseligen und gefährlichen Amte dulde, welches er trotz seiner ihn nach Theben lockenden Reichthümer freiwillig und uneigennützig auf sich genommen hatte. Er wußte, daß er die Rohrfeder ungeschickt führe, aber das war kein Grund, ihn gering zu schätzen. Hundertmal hatte er seine Stellung so zu gestalten gewünscht, wie Ani sie ihm malte. Seine Bitte, sich Schreiber halten zu dürfen, war von Ramses abgewiesen worden. Was er erspähe, wurde ihm erwiedert, wäre geheim zu halten und Niemand vermöge für die Verschwiegenheit eines Zweiten zu bürgen.

Als sein Bruder Horus herangewachsen war, folgte er ihm, als sein gehorsamer Gehülfe, auch noch nachdem er ein Weib genommen, das in Theben mit ihrem Kinde bei Frau Setchem zurückblieb.

Jetzt vertrat er Paaker's Stelle in Syrien, schlecht, wie der Wegeführer meinte, und doch von Beifall belohnt, weil der Wicht glatte Worte mit schnellem Rohre zu schreiben verstand.

Der an Einsamkeit gewöhnte Mann zog sich in sich selbst zurück und vergaß seine Umgebung, auch die Wittwe, welche sich auf ein Polster niedergelassen hatte und ihn schweigend beobachtete.

Er schaute in's Leere, während ungeordnete Gedanken sein Hirn kreuzten. Er fühlte sich grausam gemißhandelt und daß es ihm obliege, ein furchtbares Schicksal über Andere zu verhängen. Unklar und nebelhaft war Alles, was er empfand, die Liebe verschmolz sich in ihm mit dem Hasse, aber mit entschiedener, von keinem Zweifel getrübter Sicherheit hoffte er auf Nefert's Besitz.

Die Götter waren tief in seiner Schuld! Wie viel hatte er für sie aufgewandt, – und wie spärliche Gegengaben dankte er ihnen! Er kannte nur einen Ersatz für sein verwüstetes Leben, und auf diesen glaubte er so sicher rechnen zu dürfen wie auf ein Kapital, das er gegen gute Verschreibungen ausgeliehen.

In diesem Augenblicke vergällten die bitteren Empfindungen die süßen Hoffnungsgedanken und vergeblich rang er nach Ruhe und Klarheit.

Bei solchem Scheidewege konnte er von keinem Amulet und keinem Fragespiele die Antwort erwarten; hier galt es zu sinnen und Pläne zu schmieden und doch vermochte er keinen Gedanken auszudenken und keinen Anschlag zu erfinden.

Heftig griff er an seine brennende Stirn und aufgeschreckt aus seinem Brüten erinnerte er sich des Ortes, an dem er sich befand, und der Mutter seiner Geliebten und seines Gespräches mit ihr und ihres Wortes, sie verstünde es, Männer zu leiten.

»So möge sie für mich denken,« murmelte er vor sich hin, »das Handeln sei meine Sache.«

Langsam schritt er ihr entgegen und sagte:

»Es bleibt dabei, wir sind Verbündete.«

»Gegen Ramses und für Ani,« erwiederte sie und reichte ihm ihre schlanke Rechte.

»In wenigen Tagen brech' ich auf nach Syrien; indessen magst Du bedenken, welche Aufträge Du mir zu ertheilen hast. Das Geld für Deinen Sohn soll heute nach Sonnenuntergang bei Dir niedergelegt werden. Kann ich Nefert begrüßen?«

»Nicht jetzt, denn sie ist im Tempel und betet.«

»Aber morgen?«

»Gern, mein Lieber. Sie wird sich freuen, Dich zu sehen und Dir zu danken.«

»Lebewohl, Katuti.«

»Nenne mich Mutter,« sagte die Wittwe und winkte dem sich Entfernenden mit dem Schleier nach.


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