Georg Ebers
Uarda
Georg Ebers

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Dritter Band.

Erstes Kapitel.

Drei Tage waren seit des Wegeführers Aufbruch vergangen und obgleich es noch früh war, so regte sich doch schon emsige Thätigkeit in den Arbeitssälen Bent-Anat's.

Schlaflos hatten die Freundinnen die stürmische Nacht, welche dem an Erregungen reichen Festabend gefolgt war, zugebracht.

Nefert fühlte sich am andern Morgen schlaff und müde und bat die Königstochter, sie erst am nächsten Tage in ihre neue Thätigkeit einzuführen, die Prinzessin sprach ihr aber ermunternd zu, weil man das Gute nie von heute auf morgen verschieben dürfe, und bewog sie, ihr in ihre Werkstätten zu folgen.

»Wir müssen Beide auf andere Gedanken kommen,« sagte sie. »Ich schaudere manchmal unwillkürlich zusammen; es ist mir als trüg' ich ein Brandmal, als schändete mich ein Schmutzfleck hier an der Schulter, die Paaker's rohe Hand berührt hat.«

Am ersten Arbeitstage gab es für Nefert Manches zu überwinden, am zweiten reizte sie schon das begonnene Werk und am dritten freute sie sich an kleinen Erfolgen

Bent-Anat hatte sie an den rechten Platz gestellt, indem sie ihr die Leitung einer großen Zahl von kleinen Mädchen und Frauen, den Töchtern, Weibern und Wittwen von im Felde stehenden oder gefallenen Thebanern übertrug, die heilkräftige Kräuter zu sichten und zu ordnen hatten.

Ihre Gehilfinnen kauerten in kleinen Kreisen am Boden; in der Mitte eines jeden lag ein größeres Häuflein von frischen und trockenen Pflanzen und vor jeder Arbeiterin eine Zahl von Päckchen mit den ausgelesenen Wurzeln, Blättern und Blumen.

Ein alter Heilkünstler leitete das Ganze und hatte Nefert am ersten Tage mit den einzelnen Pflanzen, deren er bedurfte, bekannt gemacht.

Die den Blumen holde Gattin des Mena hatte Alles schnell behalten und lehrte gern, denn sie liebte die Kinder.

Bald hatte sie sich auch Lieblinge unter den Kleinen ausgesucht und einige als emsig und sorgsam, andere als träge und flüchtig erkannt.

»Ei, ei,« sagte sie, indem sie sich zu einem kleinen, halbnackten Mädchen mit großen mandelförmigen Augen herniederbeugte, »Du wirfst ja Alles durch einander! Dein Vater, so hast Du mir gesagt, wäre im Kriege. Denke nur, wenn ein Pfeil ihn träfe und man legte ihm dieses Kraut, das ihm schaden, statt jenes dort, das ihm helfen würde, auf die brennende Wunde, das wäre doch schmerzlich!«

Das Mädchen nickte mit dem Kopfe und sah ihre Arbeit noch einmal durch; Nefert aber wandte sich an einen kleinen Faulpelz und sagte. »Da plauderst Du wieder und thust nichts, und doch ist auch Dein Vater im Felde! Wenn er nun krank ist und er hat keine Arznei und schläft in der Nacht und träumt dann von Dir und sieht Dich so sitzen, dann sagt er sich wohl: Nun könnt' ich gesund sein, aber mein Töchterchen liebt mich gar nicht, denn sie legt ja lieber die Hände in den Schooß, als daß sie für ihr krankes Väterchen Arznei bereitet.«

Dann wandte sich Nefert einem größern Kreise von Kräuter lesenden Mädchen zu und fragte sie. »Kennt ihr Kinder die Herkunft von all' diesen freundlichen, heilbringenden Kräutern? Der gute Horus war in den Krieg gezogen gegen Seth, den Mörder seines Vaters, und in dem Kampfe schlug der grimmige Feind dem Horus ein Auge aus; aber der Sohn des Osiris siegte, denn das Gute besiegt immer das Böse. Als aber Isis das arme wunde Auge sah, da drückte sie ihres Sohnes Haupt an ihre BrustIsis heilt das Auge des Horus nach den Todtenbuchtexten und der Einleitung zum Papyrus Ebers. und es war ihr so weh im Herzen, wie einer armen Menschenmutter, die ihr leidendes Kind in den Armen hält, und sie dachte: ›Wie leicht ist es doch, Wunden zu schlagen, und wie schwer, sie zu heilen!‹ Und sie weinte dabei. Eine Thräne nach der andern fiel zur Erde und überall wo sie den Boden benetzten, da erwuchs solch' freundliches Heilungskraut.«Die Aegypter legten dem Blut und den Thränen der Götter schöpferische Kräfte bei. Darüber handelt am besten Lefébure in «Le mythe osirien. Première partie: les yeux d'Horus». In den von Naville edirten »Lobpreisungen des Ra« wird der Gott in der 21. Anrufung »Remi«, d. i. »der Weinende« genannt, und in den die Bilder der vier Menschengeschlechter im Grabe Seti I. zu Biban el Muluk begleitenden Texten findet sich eine Stelle, aus der hervorgeht, daß auch die Menschen aus göttlichen Thränen erwachsen sein sollten, denn es redet der Gott die Völker folgendermaßen an: »Ihr seid eine Thräne aus meinen Augen, ihr die ihr Menschen heißt.«

»Isis ist sehr gut,« rief darauf ein Mädchen ihr gegenüber. »Die Mutter sagt, Isis hätte die Kinder auch lieb, wenn sie brav wären.«

»Deine Mutter hat Recht,« erwiederte Nefert. »Isis hat ja selbst ihr liebes Horuskindchen und jeder Mensch, der stirbt und der gut war, der wird wieder zum Kinde und die Göttin macht ihn sich zu eigen und nimmt ihn an ihre Brust und pflegt ihn mit ihrer Schwester Nephthys,Wie Isis als Mutter, so wird Nephthys als Amme und Erzieherin des Horus dargestellt. Auf der Insel Philä sehen wir einen als jungen Gott gebildeten Ptolemäer von der Nephthys Unterricht im Harfenspiel empfangen. Osiris liebt beide Göttinnen und beide werden jammernd zu Häupten und zu Füßen seiner Bahre dargestellt. Ihr Klagegesang blieb auf einem im berliner Museum konservirten und von de Horrak behandelten Papyrus erhalten. bis er groß wird und kämpfen kann für seinen Vater.«

Nefert bemerkte, daß eine Frau bei ihrer Erzählung weinte. Sie näherte sich ihr fragend und erfuhr, daß ihr Mann und ihr Sohn, jener in Syrien, dieser nach seiner Heimkehr in Aegypten gestorben wäre.

»Du Arme,« sagte Nefert. »Nun sorge erst recht, daß die Wunden der Anderen zur Heilung kommen. Ich möchte Dir noch etwas von der Isis erzählen. Sie hat ihren Gatten Osiris sehr geliebt, so wie Du wohl Deinen verstorbenen Mann und ich meinem Mena, aber er war der Tücke des Seth zum Opfer gefallen. Sie wußte nicht einmal den Leichnam des ihr Geraubten zu finden und Du kannst doch Deinen Gatten an seinem Grabe besuchen. Da durchzog nun Isis klagend das Land und ach! was war aus Aegypten geworden, das alle Fruchtbarkeit von Osiris empfängt! Der heilige Nil lag trocken und kein Halm grünte an seinen Ufern. Das jammerte die gute Göttin unaussprechlich und sie weinte eine Thräne in das Bett des Flusses und sogleich begann er von Neuem zu steigen. Ihr wißt es ja, jede Ueberschwemmung erwächst aus einer Thräne der Isis.Unter den Arabern hat sich der alte Glaube erhalten, daß der Nil durch eine göttliche, in den Strom fallende Thräne wachse. »Nacht des Tropfens« wird heute noch die Nacht des 11. Baûneh genannt, in der der Nil seinen tiefsten Stand verläßt, um langsam zu steigen. So wurde der Schmerz einer Wittwe zum Segen für viele Millionen Geschlechter.«

Die Frau hatte ihr aufmerksam zugehört und sagte, als Nefert schwieg: »Aber ich habe nun auch die drei kleinen Würmer meines Sohnes zu ernähren, denn sein Weib, das eine Wäscherin war, ist bei der Arbeit von einem Krokodile überfallen worden. Bei uns gilt es, für sich selbst und nicht für Andere zu sorgen. Bezahlte uns die Prinzessin nicht, wie könnte ich an die Wunden der Krieger denken, die mich nichts angehen! Ich bin nicht mehr stark und habe vier Mäuler zu füttern!«

Nefert schauderte, wie schon oft bei ihrer neuen Thätigkeit, und bat dann Bent-Anat, den Lohn der Frau zu erhöhen.

»Gern,« sagte die Prinzessin. »Was könnte ich solcher Helferin abschlagen! Komm' jetzt einmal mit in meine Küche. Ich ließ Früchte einpacken für den Vater und die Brüder; da muß doch wohl auch eine Kiste für Mena dabei sein.«

Nefert folgte ihrer fürstlichen Freundin und sah, wie man eben in eine Kiste goldgelbe Datteln von der Oase des AmonDie heutige Oase Siwah, auf der die Dattelbäume noch immer weitberühmte Früchte tragen. und in eine andere dunkle von Nubien, die Lieblingsarten des Königs, legte.

»Laß mich das packen!« rief Nefert, befahl der bei den Früchten thätigen Dienerin die Schachteln wieder zu leeren und legte nun die verschiedenfarbigen Datteln mit einigen anderen in Zucker gekochten Früchten zu zierlichen Figuren zusammen.

Bent-Anat schaute ihr zu, reichte ihr die Hand, als sie fertig war, und sagte: »Was Deine Finger berühren, gewinnt ein erfreuliches Ansehen. Gib diesen Zettel! Ich leg' ihn hier in die Schachtel und schreibe darauf: Dieß packte für König Ramses die tüchtige Helferin seiner Tochter Bent-Anat, die Gattin des Mena.«

Nach der Mittagsruhe wurde die Prinzessin abgerufen und Nefert blieb noch einige Stunden allein mit ihren Arbeiterinnen.

Als die Sonne unterging und die fleißige Schaar aufbrechen wollte, hielt sie Nefert zurück und sagte: »Die Sonnenbarke verschwindet dort bei den Bergen des Westens. Kommt, laßt uns nun gemeinsam beten für den König und unsere Lieben im Felde. Denke Jeder an die Seinen; ihr Kinder an eure Väter, ihr Weiber an eure Söhne und wir Ehefrauen an unsere fernen Gatten, und bitten wir Amon, daß sie uns so sicher wiederkehren mögen, als sich uns die Sonne, die jetzt von uns scheidet, morgen in der Frühe von Neuem zeigen wird.«

Nefert kniete nieder und mit ihr die Kinder und Weiber.

Als sie aufstanden, näherte sich ein kleines Mädchen der Gattin des Mena, zupfte schüchtern ihr Kleid und sagte: »Du hast uns gestern schon hier knieen lassen und gewiß geht es heute meiner Mutter wieder besser, weil ich für sie gebetet.«

»Gewiß,« sagte Nefert und streichelte das schwarze Haar des Kindes.

Sie fand Bent-Anat auf dem Altane, gedankenvoll zu der sich mehr und mehr in Dunkel hüllenden Nekropole hinüber schauend. Als sie hinter sich die leisen Schritte ihrer Freundin vernahm, schrak sie zusammen.

»Ich störe Dich,« sagte Nefert und trat zurück.

»Nein, bleibe,« bat Bent-Anat. »Ich danke den Göttern, daß ich Dich habe, denn weh ist mir um's Herz, grausam weh.«

»Ich weiß, woran Du dachtest,« sagte Nefert leise.

»Nun?« fragte die Prinzessin.

»An Pentaur.«

»Ich denke an ihn und immer an ihn,« erwiederte die Prinzessin, »und doch bewegt mir auch noch Anderes das Herz. Ich bin nicht mehr ich selber. Was ich denke, sollt' ich nicht denken, was ich fühle, nicht fühlen, und doch kann ich es nicht fortmeistern und ich glaube, mein Herz würde verbluten, wollt' ich es heraustilgen. Ungewöhnlich, ja unziemlich hab' ich gehandelt und nun wird schwer zu Ertragendes über mich verhängt, Seltsames, das Dich vielleicht von mir zu Deiner Mutter zurückführt.«

»Ich theile Alles mit Dir!« rief Nefert. »Was will man von Dir? Bist Du denn nicht mehr die Tochter des Ramses?«

»Als Bürgersfrau zeigte ich mich dem Volk,« entgegnete Bent-Anat, »und habe nun die Folgen zu tragen. Bek en Chunsu, der Oberpriester des Amon von Theben, war eben bei mir und lange hab' ich mit ihm verhandelt. Der ehrwürdige Mann ist mir gut, ich weiß es, und der Vater hat mir geboten, vor Allem seinem Rathe zu folgen. Er zeigte mir, daß ich mich schwer vergangen. Im Stande der Unreinheit ging ich in einen Tempel der Nekropole, und nachdem ich schon einmal den Hof des Paraschiten betreten und Ameni's Tadel erfahren hatte, that ich's doch zum andern Male. Sie wissen dort Alles, was uns beim Feste begegnet ist! Nun soll ich mich reinigen lassen, entweder vor allen Priestern und Großen von Ameni selbst im Setihause mit großem Gepränge, oder indem ich eine Pilgerfahrt unternehme zur Smaragden-Hathor,Die Hathor des Mafkat war die auf der Sinaihalbinsel vorzüglich verehrte Göttin. Nach Lepsius' gründlicher Abhandlung über die Metalle bei den alten Aegyptern steht es fest, daß Mafkat weder Kupfer ist, noch Türkis, sondern ein grünes Gestein. Wird das Mafkat »echt« genannt, so meint man Smaragd; sonst Malachit, Berggrün und grüne Glasflüsse, die sich häufig in den Grüften finden. Schmucksachen aus Malachit kommen selten vor. Wir machen hier auf eine allerliebste Figur des Gottes Ptah (Anmerkung 57) von diesem Stein aufmerksam, welche im japanischen Palais zu Dresden konservirt wird. unter deren Schutze man die edlen Steine aus den Felsen schlägt, die Erze erbeutet und durch Schmelzung läutert. Die Göttin, die das Echte von dem Unechten scheidet, solle, so sagen sie, wie von dem Erze die Schlacken, von mir die Unreinheit sondern. Eine Tagereise und mehr entfernt von den Gruben fließt von dem heiligen Berge des Herrn, dem Sinai,Wir halten nicht den Sinai der Mönche, sondern den heute Serbal genannten Bergriesen für den Sinai der Schrift und haben diese Ansicht in unserem »Durch Gosen zum Sinai, aus dem Wanderbuche und der Bibliothek« ausführlich begründet. wie die Mentu ihn nennen, ein voller Bach und bei diesem steht der Göttin Heiligthum, in dem Priester Reinigung gewähren. Die Fahrt ist weit, führt durch die Wüste und über das Meer, aber Bek en Chunsu räth, ich solle sie wagen. Ameni, sagt er, sei mir nicht freundlich gesinnt, weil ich die Satzungen verletzt, die er vor allen Anderen hoch hält. Doppelte Strenge, meint er, müßt' ich mir gefallen lassen, denn das Volk sähe zuerst auf Den, der am höchsten stünde, und wenn ich die Satzungen ungestraft mißachte, so würden sich in der Menge Nachahmer finden. Er handelt im Namen der Götter und diese messen die Herzen mit gleichem Maße. Die Elle gehört der Göttin der Wahrheit.Der Name der Göttin der Wahrheit (Ma) wird auch mit der Hieroglyphe geschrieben, welche die Elle darstellt. Von den alten, heiligen Ellenmaßen blieben mehrere erhalten. Zusammengestellt in Lepsius' Abhandlung: Die altägyptische Elle und ihre Eintheilung. Aus den Abhandlungen der k. Akademie der Wissenschaften. Berlin, 1865. S. 33. Ich fühle, daß das Alles nicht unrichtig ist, und doch füg' ich mich schwer dem Spruche des Priesters, denn ich bin die Tochter des Ramses!«

»Das bist Du!« rief Nefert, »und ein Gott ist Dein Vater!«

»Mich aber,« unterbrach sie die Prinzessin, »hat auch er gelehrt, die Satzung zu ehren, und ich habe mit Bek en Chunsu noch Anderes erwogen! Du weißt, daß ich des Statthalters Werbung zurückwies. Im Stillen soll er mir grollen. Das würde mich zwar nicht schrecken, aber er ist der mir vom Vater bestellte Vormund und Schützer und kann ich ihn denn noch vertrauensvoll um Rath und Hülfe bitten? Nein! Ich bin doch nur ein Weib und dabei des Ramses Tochter. Eher zieh' ich durch tausend Wüsten, als daß ich den Vater in seinem Kinde demüthigen lasse. Bis morgen soll ich mich entscheiden; aber ich bin schon jetzt entschlossen, die Reise anzutreten, so schwer es mir auch wird, so Manches hier zu verlassen. Fürchte nichts, Lieb, Du bist zu zart für solche Fahrt in die Ferne; ich möchte . . .«

»Nein, nein,« rief Nefert, »ich ziehe mit Dir und ging' es bis zu den vier Stützen des HimmelsDie Stützen des Himmels («sechent pet») werden in verschiedenen Verbindungen erwähnt. Aus der schönen Siegesstele Thutmes III. zu Bulaq heißt es: »Ich (Amon) verbreite . . . . die Furcht vor Dir bis zu den vier Stützen des Himmels«. Man dachte diese Stützen als stehend an den äußersten Punkten des Südens, Nordens, Westens und Ostens, und es wird darum in vielen Texten geradezu statt der vier Himmelsgegenden »die vier Stützen des Himmels« gesagt. an den Grenzen der Erde. Du hast mir ein neues Leben geschenkt, und was jetzt frisch in mir aufkeimt, würde wieder verdorren, wenn ich zu der Mutter zurückkehren wollte. Nur sie oder ich kann schalten in unserem Hause und nur mit Mena betret' ich es wieder!«

»So ist es beschlossen, ich reise!« sagte die Prinzessin. »O wäre der Vater nur nicht so fern; könnt' ich ihn doch fragen und hören!«

»Ja der Krieg und der ewige Krieg!« seufzte Nefert. »Warum begnügen die Männer sich nie mit dem, was sie haben, und ziehen den eitlen Ruhm dem stillen Frieden vor, der das Leben schmückt!«

»Wären sie Männer? – möchten wir sie lieben,« rief Bent-Anat lebhaft, »wenn sie anders wären? Ist denn nicht auch der Sinn der Götter auf Kampf gerichtet? Sahst Du je ein erhabeneres Bild, als an jenem Abend Pentaur, wie er den ungefügen Pfahl hoch aufschwang und sein Leben preisgab, um die gefährdete Unschuld zu schützen?«

»Ich wagte nur einmal nach dem Hofe hinzuschauen,« sagte Nefert, »denn ich ängstigte mich so sehr. Aber sein lautes Rufen klingt mir noch in den Ohren.«

»So tönt das Schlachtgeschrei der Helden, vor dem die Feinde erbeben!« rief Bent-Anat.

»Ja gewiß, so tönt es!« fiel der Prinz Rameri, der unbemerkt von den Frauen das halbdunkle Gemach seiner Schwester betreten hatte, in ihre Rede ein.

Die Prinzessin wandte sich dem Jünglinge zu und sagte: »Wie Du mich erschrecktest!«

»Dich?« fragte der Prinz verwundert.

»Ja, mich! Früher hatte ich wohl ein festes Herz, aber seit jenem Abend erbebe ich häufig und es überkommt mich eine marternde Angst, ich weiß selbst nicht wovor. Ich glaube, ein Dämon beherrscht mich.«

»Du herrschest, wo Du Dich zeigst, und Dich beherrscht gar nichts,« rief Rameri. »Die Erregung und der Verdruß im Thale und an der Landungstreppe stecken Dir nur noch in den Gliedern. Mir knirschen auch die Zähne, wenn es mir einfällt, wie sie mich aus der Schule wiesen oder wie Paaker den Hund auf uns hetzte. Ich habe heute Manches erfahren!«

»Wo warst Du so lange?« fragte Bent-Anat; »der Oheim Ani hat doch befohlen, Du solltest den Palast nicht verlassen.«

»Ich werde im nächsten Monat achtzehn Jahre,« rief der Prinz, »und brauche keinen Vormund!«

»Aber der Vater . . .« mahnte Bent-Anat.

»Der Vater,« unterbrach sie Rameri, »kennt den Statthalter schlecht. Aber ich werde ihm schreiben, was ich heute Alles von den Leuten erzählen hörte. Sie sollen Ani beim Feste des Thales geradezu gehuldigt haben, und ganz offen erzählt der Eine dem Andern, daß der Statthalter nach dem Throne strebt und den König vom Throne zu stürzen gedenke. Du hast Recht, das ist Unsinn, aber etwas muß doch dahinter stecken!«

Nefert erbleichte und Bent-Anat fragte nach Einzelheiten. Der Prinz erzählte, was er vernommen hatte, und sagte dann lachend: »Ani den Vater stürzen! Das ist, als wollt' ich den Isisstern da oben vom Himmel reißen, um damit die Lampen anzustecken, die hier noch immer fehlen!«

»Ich find' es traulicher im Dunkeln,« sagte Nefert.

»Nein, laß das Licht kommen,« erwiederte Bent-Anat. »Es spricht sich besser, wenn man Denen, mit welchen man redet, in's Auge schauen kann. Ich glaube nicht an das thörichte Gerede des Volkes; aber Du hast Recht, man muß den Vater davon in Kenntniß setzen.«

»In der Todtenstadt hörte ich das tollste Geschwätz,« sagte Rameri.

»Du wagtest Dich hinüber? Wie unrecht das ist!«

»Ich war wieder ein bischen verkleidet und habe auch Gutes zu erzählen. Der hübschen Uarda geht es viel besser. Sie hat Deine Geschenke bekommen und wohnt wieder im eigenen Hause. Neben der abgebrannten stand eine verfallene Hütte, die ihr Vater, ein bärtiger Soldat, der ihr so ähnlich sieht wie ein Igel einer weißen Taube, mit einigen Gefährten schnell wieder hergestellt hat. Ich bot ihr an, sie möge mit den anderen Mädchen gegen guten Lohn im Palast für Dich arbeiten, sie wollte aber nicht, denn sie hat ihre kranke Großmutter zu pflegen und ist stolz und mag Niemand dienen.«

»Es scheint, als wärst Du lange bei der Unreinen geblieben,« sagte Bent-Anat vorwurfsvoll. »Ich dächte doch, das, was mir widerfahren, hätte Dir zur Warnung dienen sollen!«

»Ich will nicht besser sein als Du!« rief der Prinz. »Außerdem ist ja der Paraschit gestorben und Uarda's Vater ein ehrlicher Soldat, der Niemand verunreinigt. Von der Alten hab' ich mich fern gehalten. Morgen geh' ich wieder hinüber; ich hab' ihr's versprochen.«

»Wem?« fragte Bent-Anat.

»Wem sonst als Uarda? Sie liebt die Blumen, und seit der Rose, die Du ihr schenktest, hat sie keine gesehen. Ich habe schon dem Gärtner befohlen, mir für morgen einen Korb voll Rosen zu schneiden, und bring' ihn ihr selbst.«

»Das thust Du nicht!« rief Bent-Anat. »Du bist noch ein halbes Kind, und doch, schon um des Mädchens willen, wirst Du es unterlassen.«

»Wir plaudern ja nur zusammen,« sagte der Prinz erröthend, »und Niemand soll mich erkennen. Aber freilich, wenn Du meinst, so lass' ich das mit dem Korb voll Rosen und gehe allein zu ihr. Nein, Schwester, das laß ich mir nicht verbieten! Sie ist so reizend, so weiß, so zart und ihre Stimme klingt so lieblich und weich. Und Füßchen hat sie, ja wie soll ich nur sagen, wie Nefert's Hand so klein und zierlich! Am meisten haben wir von Pentaur geredet. Sie kennt seinen Vater, der ein Gärtner ist, und weiß Vieles von ihm. Denke nur, sie sagt, der Dichter sei gar nicht seiner Eltern Kind, sondern ein guter Geist, der zur Erde gekommen, vielleicht auch ein Gott. Erst war sie sehr schüchtern, aber als ich von Pentaur anfing, ward sie lebendig! Abgöttisch fast ist ihre Verehrung, und das hat mich geärgert.«

»Du möchtest lieber, daß sie Dich so verehrte,« lächelte Nefert.

»Gar nicht!« rief Rameri. »Aber ich habe sie mit gerettet, es ist mir so wohl, wenn ich bei ihr sitze, und morgen, das hab' ich mir vorgenommen, steck' ich ihr selbst eine Blume in's Haar. Das ist zwar roth, aber so voll wie Deines, Bent-Anat, und es muß reizend sein, es anfassen und streicheln zu dürfen!«

Die Frauen schauten einander verständnisvoll an und die Prinzessin sagte entschieden: »Du gehst morgen nicht in die Todtenstadt, mein Pflegesohn.«

»Das wollen wir sehen, mein Pflegemütterchen!«

Scherzend rief er dieß. Dann wurde er ernst und sagte: »Ich hab' auch meinen Schulfreund Anana gesprochen. Im Setihause herrscht die Ungerechtigkeit! Pentaur sitzt im Gefängniß und gestern Abend haben sie Gericht über ihn gehalten. Der Oheim war mit dabei und hat den Dichter heftig angegriffen, aber Ameni soll ihn in Schutz genommen haben. Was endlich zum Beschluß gelangt ist, konnten die Schüler nicht erfahren, aber es muß etwas Schlimmes gewesen sein, denn der Sohn des Schatzmeisters hörte, wie Ameni nach der Sitzung zum alten Gagabu sagte: ›Strafe verdient er, aber untergehen laß ich ihn nicht!‹ Er konnte nur Pentaur meinen. Morgen geh' ich hinüber und werde noch mehr erfahren; Schreckliches, glaube ich. Mehrere Jahre Gefängniß bekommt er mindestens.«

Bent-Anat war sehr bleich geworden.

»Was sie ihm anthun,« rief sie, »das leidet er um meinetwillen! O ihr allmächtigen Götter, helft ihm, helft mir und seid uns gnädig!«

Sie schlug ihre Hände vor ihr Angesicht und verließ das Gemach; Rameri aber fragte Nefert:

»Was kann nur der Schwester begegnet sein, sie kommt mir ganz seltsam vor und auch Du bist anders als sonst!«

»Wir haben uns Beide in etwas Neuem zurechtzufinden.«

»Was ist das?«

»Das läßt sich nicht erklären, aber es sieht mir aus, als solltest Du bald etwas Aehnliches an Dir selbst erfahren. Geh' nicht wieder zu den Paraschiten, Rameri!«


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