Georg Ebers
Uarda
Georg Ebers

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Achtes Kapitel.

Die Nachricht von dem Ende des heiligen Widders des Amon zu Theben und dem Tode des Apisstieres von Memphis war auch in das Setihaus gelangt und dort mit Klagen empfangen worden, in welche alle seine Bewohner, von dem ersten Horoskopen bis zu dem kleinsten Knaben in der untersten Schulklasse, einstimmten.

Der Leiter der Anstalt, Ameni, befand sich seit drei Tagen in Theben und ward erst heute zurückerwartet. Mit Erregung und Besorgniß wurde seiner Heimkehr von Vielen entgegengesehen. Der erste der Horoskopen brannte darauf, ihm die eingefangenen Schüler zur Bestrafung zu überweisen und Pentaur und Bent-Anat bei ihm anzuklagen; die Eingeweihten wußten, daß wichtige Verhandlungen am jenseitigen Nilufer gepflogen worden wären, und die ausgebrochenen Zöglinge, daß nun strenges Gericht über sie gehalten werden würde.

Die aufrührerische Schaar war bei Wasser und Brod in einen offenen Hof eingeschlossen worden und hatte, da der gewöhnliche Gefängnißraum der Anstalt für sie alle zu klein war, zwei Nächte lang in einem Speicher auf dünnen Strohmatten schlafen müssen. Die jungen Gemüther waren auf's Höchste erregt, aber das, was in ihnen vorging, äußerte sich in gar verschiedener Weise.

Bent-Anat's Bruder, der Ramsessohn Rameri, hatte die gleiche Behandlung erfahren wie seine Genossen, die gestern noch mit ihm allerlei Kurzweil getrieben und sich dabei weit übermütiger als gewöhnlich gezeigt hatten, heute aber die Köpfe hängen ließen.

In einer Ecke des Hofes saß der junge Anana, Pentaur's Lieblingsschüler, und verbarg sein Gesicht in seinen auf seinen Knieen ruhenden Händen. Rameri schritt auf ihn zu, berührte seine Schulter und sagte:

»Wir haben den Streich nun einmal begangen und müssen wohl oder übel seine Folgen tragen. Aber schämst Du Dich nicht, Alter, Deine Augen sind naß und die Tropfen hier auf Deinen Händen kommen auch nicht aus den Wolken. Das will ein Siebzehnjähriger und in wenigen Monaten ein Schreiber und fertiger Mann sein!«

Anana blickte zu dem Königssohn auf, trocknete schnell seine Augen und sagte:

»Ich war euer Anführer. Ameni wird mich aus der Anstalt weisen und mit Schande muß ich zu meiner armen Mutter zurückkehren, die nichts auf der Welt hat wie mich.«

»Armer Kerl,« sagte Rameri weich. »Es ist auch zum Dreinschlagen! Und wenn unser Streich nur wenigstens dem Pentaur genützt hätte!«

»Geschadet haben wir ihm,« gab Anana lebhaft zurück, »und wie die Unsinnigen gehandelt.«

Rameri nickte zustimmend, schaute eine Minute nachdenklich vor sich hin und sagte dann:

»Weißt Du, Anana, daß Du gar nicht unser Anführer gewesen bist? In diesem Kopfe hier ist der närrische Streich, den ihr mir nur auszuführen halft, geplant worden, und ich nehme darum Alles auf meine Schultern. Ich bin der Sohn des Ramses und Ameni faßt mich weicher an als euch!«

»Er wird uns verhören,« sagte Anana, »und lieber laß ich mich strafen, als daß ich lüge.«

Rameri erröthete und rief:

»Und hast Du meine Zunge jemals gegen die lichte Tochter des Ra sündigen sehen? Aber he da! Antef, Hapi, Sent und ihr anderen Alle! gebt Antwort; Hab' ich euch aufgehetzt oder nicht? Wer anders als ich hat euch gerathen, Pentaur aufzusuchen? Hab' ich gedroht, meinen Vater zu bitten, mich aus dem Setihause zu nehmen oder nicht? Hab' ich euch angefeuert, das Gleiche zu thun? Ja oder nein? Da habt ihr's, da hast Du's, Anana! Ich bin der Anstifter dieses Streiches, ich bin der Rädelsführer, und wenn wir gefragt werden, so laßt mich zuerst reden. Keiner nennt Anana's Namen, hört ihr, Keiner, und wenn sie euch mit Stöcken schlagen und wenn sie uns die Nahrung entziehen, wir bleiben dabei, daß ich an dem ganzen Unheil Schuld sei!«

»Braver Junge,« sagte der Sohn des ersten Propheten des Amon von Theben und drückte Rameri die Rechte, während Anana ihm die Linke schüttelte.

Der Prinz befreite sich lachend ans den Freundeshänden und rief:

»Nun mag der Alte heimkommen, denn wir sind gerüstet. Aber es bleibt dabei, ich bitte den Vater, so wahr ich Rameri heiße, daß er mich nach Chennu schickt, wenn sie Pentaur nicht zurückrufen.«

»Er hat uns wie Schulbuben behandelt,« sagte der größte unter den jungen Uebelthätern.

»Und mit Recht,« entgegnete Rameri. »Ich achte ihn deßwegen nur um so höher. Ihr denkt, ich sei ein leichtsinniger Bursch; aber ich habe meine eigenen Gedanken, und will euch meine Weisheit künden.«

Bei diesen Worten schaute er seine Genossen mit komischem Ernste an und fuhr fort, indem er Ameni's Stimme nachahmte: »Der größere Mensch unterscheidet sich dadurch vom kleineren, daß er das, was seiner Eitelkeit schmeichelt und ihm für den Augenblick wünschenswerth, ja auch nützlich erscheint, verachtet und unberücksichtigt läßt, wenn es sich mit Gesetzen, die er anerkennt, und mit größeren Zielen, die er sich vorsteckte und die vielleicht erst nach seinem Tode zur Ausführung kommen können, nicht verträgt. – Solches habe ich theils aus dem Munde meines Vaters vernommen, theils selber erdacht und frage euch nun: Konnte Pentaur als ›größerer Mensch‹ uns besser behandeln?«

»Du sprichst aus, was mir mein Herz schon seit gestern sagte,« rief Anana. »Wie die Wichte haben wir gehandelt und statt unsern Willen durchzusetzen, uns und Pentaur in Schaden gebracht.«

Das Rasseln eines nahenden Wagens ließ sich vernehmen und Rameri rief, Anana unterbrechend:

»Er ist es. Muth, Kinder! Ich bin der Schuldige. Mit dem Stocke darf er mich nicht schlagen lassen, aber mit seinen Augen wird er mich prügeln!«

Ameni stieg schnell aus seinem Wagen. Der Pförtner theilte ihm mit, daß der erste Kolchyt und der Vorsteher der Opferschlächter vom Tempel des Amon zu Theben ihn zu sprechen begehrten.

»Sie mögen warten,« gab der Prophet kurz zurück. »Führe sie einstweilen in die Gartenhalle. Wo ist der erste der Horoskopen?«

Noch hatte er nicht ausgesprochen, als der Greis, nach dem er fragte, ihm rüstig entgegentrat, um ihn von dem in seiner Abwesenheit Geschehenen in Kenntniß zu setzen. Aber der Oberpriester hatte schon in Theben Alles erfahren, was der Alte ihm mitzutheilen begierig war.

Ameni ließ sich, wenn er das Setihaus verließ, jeden Morgen genau hinterbringen, was sich dort ereignete. Als nun der Alte Bericht zu erstatten begann, unterbrach er seine leidenschaftlichen Anklagen und sagte:

»Ich weiß Alles. Die Schüler hängen an Pentaur und haben um seinetwillen eine Thorheit begangen und Du bist der Prinzessin Bent-Anat mit ihm im Hatasu-Tempel, zu dem er einem geringen Weibe, eh' es gereinigt war, den Einlaß gestattete, begegnet. Das sind schlimme Dinge, die ernstlich geahndet werden müssen; aber nicht heute. Beruhige Dich! Pentaur wird seiner Strafe nicht entgehen, doch werden wir ihn sofort in das Setihaus zurückberufen müssen, denn wir bedürfen seiner morgen bei der Feier des Festes des Thales. Eh' er verurteilt ist, soll Keiner ihm unfreundlich begegnen; ich bitte darum und trage Dir auf, das auch den Anderen zu sagen.«

Der Horoskop versuchte es, seinem Vorgesetzten das Aergerniß auszumalen, welches solche unzeitige Milde verursachen würde; Ameni aber ließ ihn nicht ausreden, sondern forderte seinen Ring von ihm zurück, rief einen jungen Priester, übergab demselben den kostbaren Reifen und befahl ihm, auf seinen an der Pforte harrenden Wagen zu steigen und Pentaur in seinem Namen den Befehl zu überbringen, in das Setihaus zurückzukehren.

Der Horoskop fügte sich, innerlich verdrossen, und fragte: »Sollen auch die verbrecherischen Buben straflos bleiben?«

»So wenig wie Pentaur,« gab Ameni zurück; »aber wie magst Du diesen Knabenstreich ein Verbrechen nennen! Laßt doch den Jungen ihre Heiterkeit und ihren Uebermuth! Der Erzieher wird zum Verderber, wenn er seine Augen nur immer offen hält und sie nicht zur rechten Zeit zu schließen versteht. Ehe das Leben die Uebung ernster Pflichten von uns verlangt, verfügen wir über einen gewaltigen Ueberschuß an Kräften und das Kind verwerthet diese im Spiel, der Knabe, indem er sich mit dem Hammer und Meißel der Phantasie Wunderwelten erbaut und Thorheiten begeht. Du schüttelst Deinen Kopf, Septah, ich aber sage Dir: Der übermüthige Streich des Knaben ist der Vorläufer der That des Mannes! Ich werde das Geschehene nur Einen unter den Knaben büßen lassen und auch dieser würde straflos ausgehen, wenn mich nicht besondere Gründe veranlaßten, ihn von unserem Feste fern zu halten.«

Der Horoskop widersprach nicht seinem Meister, denn er wußte, daß, wenn Ameni's Augen so jäh aufblitzten und seine sonst so gemessenen Bewegungen so unruhig waren wie heute, Wichtiges im Werke sei.

Der Oberpriester bemerkte, was in dem Horoskopen vorging, und sagte:

»Jetzt verstehst Du mich nicht; aber heute Abend in der Versammlung der Geweihten sollst Du Alles erfahren. Es gehen große Dinge vor! Die Genossen im Amonstempel am andern Ufer fallen ab von dem, was uns Weißgekleideten allen das Heiligste sein sollte, und werden sich uns in den Weg stellen, wenn die Zeit zum Handeln gekommen ist. Beim Feste des Thales werden wir den Genossen von drüben gegenüberstehen. Ganz Theben wird der Festfeier beiwohnen und es wird zu zeigen gelten, wer der Gottheit würdiger zu dienen versteht, sie oder wir. Es werden all unsere Kräfte aufgeboten werden müssen und Pentaur können wir am wenigsten entbehren. Er muß morgen als CherhebFestredner. Wir können uns Denen nicht anschließen, welche den Namen dieses Recitators unter den Priestern mit dem der Kolchyten zusammenbringen. fungiren, morgen nur; übermorgen stellen wir ihn vor Gericht. Unter den unbotmäßigen Knaben sind unsere besten Sänger, ist auch der junge Anana, der die Stimmen des Jünglingschores führt; ich werde die unbesonnenen Burschen sogleich verhören. Der Ramsessohn Rameri war mit unter den Uebelthätern?«

»Er scheint einer der Rädelsführer gewesen zu sein,« antwortete der Horoskop.

Ameni blickte den Alten mit einem bedeutungsvollen Lächeln an und sagte:

»Die Sippe des Königs bedeckt sich mit Ehren! Seine älteste Tochter muß als Verunreinigte und Widerspenstige fern gehalten werden von den Frommen und dem Tempel und wir werden doch wohl genöthigt sein, seinen Sohn aus der Anstalt zu verweisen. Du siehst mich erschrocken an? Aber ich sagte Dir ja, die Zeit des Handelns sei gekommen. Doch davon heute Abend. Jetzt noch eine Frage. Ist die Kunde vom Tode des heiligen Amonswidders zu euch gelangt? Ja? Ramses schenkte ihn selbst dem Gotte und sie hatten ihm seinen Namen ertheilt. Ein schlechtes Vorzeichen!«

»Auch der Apis starb dahin,« sagte der Horoskop und erhob klagend seine Arme.

»Seine göttliche Seele kehrte zurück zu Gott,« gab Ameni zurück. »Wir haben jetzt viel zu thun; vor Allem, uns jenen da drüben ebenbürtig zu zeigen und Theben für uns zu gewinnen. Die von uns auszurüstende Panegyrie am morgenden Tage muß nie Gesehenes bieten. Der Statthalter Ani gewährte mir reiche Zuschüsse und . . .«

»Und,« unterbrach ihn der Horoskop, »unsere Wunderthäter verstehen ganz andere Dinge, als die vom Amonshause, welche schmausen, während wir uns üben.«

Ameni nickte beistimmend und sagte lächelnd:

»Wir sind auch dem Volke unentbehrlicher als sie. Die da drüben geleiten es im Leben, wir ebnen ihm die Pfade des Todes, und im Lichte wandert man leichter ohne Führer, als im Dunkeln. Wir sind den Amonspriestern gewachsen!«

»So lange Du uns führst, sicherlich!« rief der Horoskop.

»Und so lange es diesem Hause nicht an Männern fehlt von eurem Geiste,« fügte Ameni hinzu und wandte sich dabei halb an den Horoskopen, halb an den zweiten Propheten des Setihauses, den alten derben Gagabu, welcher zu ihnen hingetreten war.

Beide begleiteten ihn in den Garten, woselbst die beiden Priester mit dem wunderbaren Herzen auf ihn warteten.

Ameni begrüßte den Vorsteher der Schlachtopfer vom Amonshause mit würdiger Freundlichkeit, den Kolchytenoberen mit vornehmer Zurückhaltung, ließ sich von ihnen Bericht erstatten, betrachtete mit dem Horoskopen und Gagabu das in dem Kästchen ruhende Herz, faßte es mit seinen schlanken spitzen Fingern zaghaft an, blickte nachdenklich auf das mit Spezereien begossene weithin duftende Organ und sagte ernst:

»Wenn dieß, wie Du, Kolchyt, behauptest, kein Menschenherz, sondern wie Du, mein Bruder vom Amonshause, versicherst, ein Widderherz ist und es in der Brust des Osiris Rui gefunden ward, so stehen wir hier vor einem Räthsel, das nur die Gottheit zu lösen vermag. Folgt mir in den großen Hof! Laß Du das Blech schlagen, Gagabu, viermal, denn ich möchte die Genossen alle zusammenrufen.«

In kräftigen Schwingungen wogte der Schall des Tamtam bis in die fernsten Theile der weitausgedehnten Gebäudegruppe. Die Eingeweihten, heiligen Väter, Tempeldiener und Schüler strömten in wenigen Minuten zusammen. Kein Gesunder fehlte, denn auf den nur selten erklingenden viermaligen Ruf war ein jeder Bewohner des Hauses verpflichtet, im ersten großen Hofe des Tempels zu erscheinen. Auch der Arzt Nebsecht war gekommen, denn er fürchtete, als er den ungewöhnlichen vierten Ton vernahm, ein Feuer sei ausgebrochen.

Ameni gab den Versammelten den Befehl, sich in Prozession zu ordnen, theilte seinen erstaunten Hörern mit, daß sich in der Brust des verstorbenen frommen Vorstehers des Hatasutempels ein Widderherz statt eines Menschenherzens gefunden habe, und forderte sie auf, ihm zu folgen. Ein Jeder, gebot er, möge auf die Kniee sinken und beten, während er das Herz in das Allerheiligste tragen und die Götter befragen wolle, was dieses Wunder ihren Getreuen bedeute.

Ameni trat, mit dem Herzen in der Hand, an die Spitze des langen Zuges und verschwand hinter dem Vorhange des Sanktuariums, die Eingeweihten beteten in der von sechs Säulen getragenen Halle vor demselben, die Priester und Schüler in dem weiten Hofe, den nach Westen zu der stattliche Säulengang mit dem Eingangsthore des Tempels abschloß.

Wohl eine Stunde blieb Ameni in dem stillen Sanktuarium, aus dem dichte Weihrauchswolken hervorquollen, dann zeigte er sich wieder mit einer goldenen mit Edelsteinen besetzten Vase.

Seine hohe Gestalt prangte jetzt in reichem Ornate und ein vor ihm her schreitender Priester hielt das Gefäß mit beiden Händen so hoch, daß es seinen Scheitel weit überragte.

Ameni's Augen schienen von der Vase gebannt zu sein und er folgte ihr, sich auf seinen Krummstab stützend, in demüthiger Beugung.

Die Eingeweihten neigten ihre Stirn bis auf die Steinfliese der Halle und die Priester und Schüler berührten den Boden mit dem Angesichte, als sie ihren stolzen Meister so demuthsvoll und andächtig einherschreiten sahen. Erst nachdem Ameni die Mitte des Hofes und die Stufen des Altars betreten, auf dem nun die Vase mit dem Herzen Platz gefunden hatte, erhoben sich die Beter und lauschten auf die Worte des Oberpriesters, welcher mit weithin vernehmbarer Stimme gemessen und feierlich ausrief:

»Fallet nieder zum andern Male! Staunet, betet an und danket! Den edlen Vorsteher der Opferschlächter vom Tempel des Amon in Theben hat seine Kunst nicht betrogen, denn ein Widderherz ward gefunden in unseres Rui frommer Brust. Deutlich vernahm ich im Allerheiligsten die Stimme der Gottheit, und wunderbar war die Rede, welche dieses Ohr vernahm. Wölfe zerrissen den heiligen Widder des Amon in seinem Heiligthum am andern Ufer des Stroms; das Herz des göttlichen Thieres aber fand seinen Weg in die Brust des frommen Rui. Ein großes Wunder ist geschehen und ein seltenes Zeichen ließen die Götter uns schauen. Ungenehm war der Seele des Höchsten die Wohnung im Leibe dieses nicht völlig heiligen Widders und sie suchte ein reines Gesäß und fand es in unseres Rui edler Brust und in diesem geweihten Gefäße. Darin wird das Herz aufbewahrt bleiben, bis ein neuer Widder, von würdiger Hand gestiftet, die Hürde des Amon betritt. Zu den heiligsten Reliquien werde dieses Herz gestellt, es besitzt die Kraft, gar manchen Kranken zu heilen; und günstig zu sein scheint der vorbedeutende Spruch, der im Dampfe des Weihrauchs geschrieben stand und welchen ihr hören sollt Wort für Wort: ›Das Hohe steigt höher, und was sich erhöhte, bald stürzt es hernieder.‹ Auf, Pastophoren! Eilt zu den heiligen Bildern, tragt sie heraus, stellt das göttliche Herz an die Spitze des Zuges und laßt uns mit Lobgesängen den Tempel umwallen. Ihr Neokoren, ergreift die Stäbe und kündet in allen Theilen der Stadt das hohe Wunder, mit dem uns die Gottheit begnadigt!«

Nachdem die Prozession den Tempel umgangen und sich aufgelöst hatte, verabschiedete sich der Vorsteher der Opferschlächter von Ameni, verneigte sich tief und förmlich vor ihm und sagte mit beinahe feindseliger Kühlheit:

»Wir werden im Amonstempel das, was Du im Allerheiligsten vernahmst, zu achten wissen. Das Wunder ist geschehen und auch der König soll erfahren, wie es verlief und mit welchen Worten es verkündigt wurde.«

»Mit den Worten des Höchsten,« entgegnete der Oberpriester würdevoll, neigte sich vor dem Andern und wandte sich einer Gruppe von Priestern zu, die sich über das große Ereigniß des Tages unterredeten.

Ameni erkundigte sich bei ihnen nach den Vorbereitungen zum morgenden Feste und befahl dann den ersten der Horoskopen zu rufen und die aufrührerischen Zöglinge in ihren Schulhof zu führen.

Der Greis berichtete, daß Pentaur zurückgekehrt sei, und folgte dem Leiter der Anstalt zu den befreiten Gefangenen, die, auf das Schlimmste gefaßt und schwerer Strafen gewiß, sich vor Lachen schüttelten, als der Prinz Rameri den Vorschlag machte, wenn sie etwa auf Erbsen zu knieen verurtheilt werden sollten, diese zuerst kochen zu lassen.

»Es gibt lange Spargel,Waren den Aegyptern bekannt. Nach Plinius nahmen sie Wein, in dem man Spargeln abgekocht hatte, als Mittel gegen Zahnschmerzen in den Mund. nicht Erbsen,« sagte ein anderer Schüler, machte eine schlagende Bewegung und wies auf seinen Rücken.

Von Neuem erscholl helles Gelächter; aber es verstummte, sobald Ameni's wohlbekannter Schritt sich hören ließ. –

Jeder fürchtete das Schlimmste, und als ihnen der Oberpriester gegenüberstand, war selbst Rameri das Lachen völlig vergangen, denn obgleich Ameni weder empört noch drohend dreinschaute, so war doch seine Erscheinung so Achtung gebietend, daß Jeder in ihm ohne Weiteres seinen Richter, gegen dessen Urtheil kein Widerspruch denkbar erschien, anerkannte.

Zu ihrem Erstaunen redete Ameni die unbedachtsamen Jünglinge gütig an, lobte den Beweggrund zu ihrer That, die Anhänglichkeit an einen hochbegnadigten Lehrer, führte ihnen aber dann klar und maßvoll vor die Seele, mit wie thörichten Mitteln und um welchen Preis sie ihr Ziel zu erreichen versucht hätten. »Denke nur,« wandte er sich an den Prinzen, »Dein hoher Vater versetzte einen General, der ihm dort besser am Platze zu sein schien, von Syrien nach Kusch, und seine Truppen wollten deßwegen zum Feinde übergehen! Wie würde Dir das gefallen?«

So fuhr er einige Minuten lang zu tadeln und zu ermahnen fort und schloß dann seine Rede mit der Verheißung, wegen des großen Wunders, das diesem Tage eine besondere Weihe gäbe, ungewöhnliche Milde walten zu lassen. Um des Beispieles willen, sagte er, dürfe volle Straflosigkeit nicht gewährt werden, und er frage sie nun selbst, wer der Anstifter ihrer That gewesen sei. Dieser und nur dieser allein solle der Strafe verfallen.

Kaum hatte er ausgeredet, als der Prinz Rameri hervortrat und bescheiden sagte:

»Wir sehen ein, heiliger Vater, daß wir einen thörichten Streich begangen haben, und ich bedaure ihn doppelt, weil ich ihn ersann und die Anderen mir zu folgen verführte. Pentaur ist mir sehr lieb und nach Dir gibt es Keinen, der ihm gleich wäre im Setihause.«

Ameni's Antlitz verfinsterte sich und unwillig erwiederte er.

»Den Schülern steht kein Urtheil zu über ihre Lehrer, auch Dir nicht. Wärest Du nicht der Sohn des Königs, der über Aegypten herrscht wie Ra, so würd' ich Deine Unbesonnenheit mit Schlägen bestrafen lassen. Die Hände sind mir gebunden Dir gegenüber, und doch muß ich sie überall und zu jeder Stunde regen können, wenn die Hunderte, welche mir anvertraut sind, nicht zu Schaden kommen sollen.«

»Strafe mich nur!« rief Rameri. »Wenn ich eine Thorheit begehe, so bin ich auch bereit, ihre Folgen zu tragen!«

Ameni schaute den lebhaften Jüngling mit Wohlgefallen an und würde ihm gern die Hand geschüttelt und seinen Krauskopf gestreichelt haben, aber die Rameri zugedachte Strafe sollte größere Zwecke fördern und Ameni räumte keiner Aufwallung des Gemüths das Recht ein, ihn bei der Ausführung eines wohlerwogenen Vorhabens zu hindern. Darum antwortete er dem Prinzen mit strengem Ernste:

»Ich muß und werde Dich strafen und thu' es, indem ich Dich bitte, noch am heutigen Tage das Setihaus zu verlassen.«

Der Prinz erbleichte. Ameni aber fuhr begütigend fort:

»Ich verweise Dich nicht mit Schande aus unserer Mitte, sondern sage Dir freundlich Lebewohl. In wenigen Wochen würdest Du die Anstalt ohnehin verlassen und, so befahl es der König, dem Leben blühe, Heil und Kraft, das Uebungslager der Wagenkämpfer bezogen haben. Mir steht für Dich keine andere Strafe zu Gebot als diese. Nun reiche mir die Hand; Du wirst ein tüchtiger Mann und vielleicht ein großer Kriegsheld werden.«

Der Prinz stand Ameni überrascht gegenüber und schlug nicht in die ihm dargebotene Rechte ein. Da näherte sich ihm der Priester und sprach:

»Du hast gesagt, Du wärest bereit, die Folgen Deiner Thorheit auf Dich zu nehmen, und eines Königssohnes Wort bleibt stehen. Vor Sonnenuntergang geleiten wir Dich aus dem Tempel.«

Der Priester wandte den Jünglingen den Rücken und verließ den Schulhof.

Rameri schaute ihm nach. Tiefe Blässe überzog sein frisches Gesicht und das Blut war aus seinen Lippen geschwunden.

Keiner seiner Genossen näherte sich ihm, denn Jeder sagte sich, daß Das, was in der Seele dieses Jünglings vorging, keine leichtfertige Störung vertrage.

Niemand sprach ein Wort, aber Alle schauten auf ihn.

Dieß bemerkte er bald, suchte sich zu fassen und sagte dann weich, indem er Anana und einem andern Freunde die Hand hinhielt.

»Bin ich denn so schlecht, daß man mich so aus eurer Mitte stoßen und meinem Vater solchen Kummer bereiten muß?«

»Du weigertest Ameni die Hand,« sagte Anana. »Geh' hin, reiche ihm die Deine, bitte ihn, daß er weniger streng sein möge und er läßt Dich vielleicht in der Anstalt.«

Rameri erwiederte nichts als »Nein.« Aber dieses »Nein« klang so entschieden, daß Alle, die ihn kannten, wußten, daß es unabänderlich sei.

Ehe die Sonne unterging, verließ er die Schule. Ameni segnete ihn, sagte ihm, er werde, wenn er selbst zu befehlen haben werde, seine Strenge begreifen, und gestattete den anderen Schülern, ihn bis zum Nil zu begleiten. Pentaur verabschiedete sich an der Pforte herzlich von ihm.

Als Rameri in dem Kajütenhause seiner vergoldeten Barke mit seinem Hofmeister allein war, fühlte er, daß seine Augen in Thränen schwammen.

»Mein Prinz weint doch nicht?« fragte der Beamte.

»Warum?« gab der Königssohn barsch zurück.

»Ich glaubte Thränen auf den Wangen meines Prinzen bemerkt zu haben,« entgegnete jener.

»Freudenthränen, daß ich heraus bin aus der Falle,« rief Rameri, sprang an's Land und war wenige Minuten später im Pharaonenpalaste bei seiner Schwester Bent-Anat.


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