Georg Ebers
Uarda
Georg Ebers

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Neuntes Kapitel.

Die Sonne stand in der Mittagshöhe. Ihre Strahlen fanden keinen Eingang in die engen und schattigen Straßen der Wohnstadt Theben, aber sie brannten sengend hernieder auf den breiten zum Königsschlosse führenden Dammweg, welcher sonst zu dieser Stunde wenig bevölkert war.

Heute drängten sich auf ihm die Fußgänger und Wagen, die Reiter und Sänftenträger.

Hie und da gossen nackte Neger aus Lederschläuchen Wasser auf den Weg, aber der ihn bedeckende Staub war so hoch, daß er trotzdem wie ein trockener Nebel die Straße und die Wanderer verhüllte, welche nicht nur aus der Stadt, sondern auch von dem Hafen herkamen, in welchem die Boote der Bewohner der Nekropole zu landen pflegten.

Die Pharaonenresidenz befand sich in ungewöhnlicher Erregung, denn der sturmschnelle Hauch des Gerüchtes hatte eine Kunde verbreitet, welche gleiche Befürchtungen und Hoffnungen in den Hütten der Armen wie in den Palästen der Großen erweckte.

Am frühen Morgen waren drei reitende, aus dem Lager des Königs kommende Boten mit schweren BriefsäckenDie schreibseligen Aegypter schrieben viele Briefe, von denen eine große Zahl bis auf uns gekommen ist, und besaßen sogar das Institut der Briefträger und ein eigenes Wort in ihrer Sprache; »fat schat«, für dieselben. Vortrefflich handelt über die Briefe der Aegypter Maspero in seiner Schrift: «du genre épistolaire chez les anciens Égyptiens de l'époque pharaonique». vor dem Palaste des Statthalters abgestiegen.

Wie nach langer Dürre die Bewohner eines Dorfes zu der schwarzen Gewitterwolke aufschauen, die sich zu ihren Häupten zusammenzieht und die erquickenden Regen schenken, aber auch zündende Blitze und vernichtenden Hagelschlag senden kann, so richteten sich die Hoffnungen und Befürchtungen der Bürger auf die selten und in unregelmäßigen Zwischenräumen vom Kriegsschauplatz anlangenden Nachrichten; gab es doch kaum ein Haus in der Riesenstadt, welches nicht einen Vater, einen Sohn oder einen Blutsverwandten zu dem im fernen Nordosten kämpfenden Heere des Königs entsandt hätte.

Waren auch die Boten aus dem Feldlager weit öfter Thränenwecker als Freudenbringer, erzählten auch die Schriftrollen, welche sie brachten, weit häufiger von Tod und Verwundung als von Beförderungen, königlichen Gnadengeschenken und errungener Beute, so wurden sie doch mit inbrünstiger Sehnsucht erwartet und mit Jubel empfangen.

Groß und Klein eilte nach ihrer Ankunft zu dem Palaste des Statthalters und dicht umlagert waren die Schreiber, welche die eingelaufenen Briefe verteilten und die für die öffentliche Mittheilung bestimmten Berichte und die Listen der Gefallenen und Umgekommenen verlasen.

Der Mensch vermag nichts schwerer zu tragen, als die Ungewißheit, und gemeinhin sieht er der schlimmen Nachricht mit größerer Spannung als der guten entgegen. Auch reiten die Unglücksboten schneller als die Künder des Heils.

Der Statthalter Ani residirte in einem Nebenbau des königlichen Palastes. Seine Geschäftsräume umgaben einen unübersehbar weiten Hof und bestanden aus einer großen Anzahl von nach diesem letztern hin geöffneten Sälen, in denen zahlreiche Schreiber mit ihren Vorstehern arbeiteten und an dessen Hinterseite sich eine überdachte, von Säulen getragene und an ihrer Vorderseite unverschlossene, verandaartige Halle erhob.

Hier pflegte Ani Gericht zu halten, Beamte, Boten und Bittsteller zu empfangen.

Auch heute saß er, für alle Anwesenden sichtbar, umgeben von einem zahlreichen Gefolge, auf einem kostbaren Thron in dieser Halle und überschaute die Volksmenge, welche schaarenweis von lange Stäbe führendem Sicherheitswächtern in den Hof der »hohen Pforte« eingeladen und wieder aus ihr hinausgeführt wurde.

Was er sah und hörte, war nichts Freudiges, denn aus jeder einen Schreiber umgebenden Gruppe ertönt Wehegeschrei. Vereinzelt waren die Leute, welche von der reichen, den Ihrigen zugefallenen Beute zu erzählen hatten.

Ein unsichtbares, aus Jammer und Thränen gewobenes Netz schien die Mehrzahl der hieher Gekommenen zu verbinden.

Hier klagten Männer und bestrichen ihre Stirn mit Staub, dort zerrissen Weiber ihre Gewänder, zeterten jammernd auf und riefen, ihre Schleier schwingend: »Ach mein Gatte! Ach mein Vater! Ach mein Bruder!«

Eltern, welche die Kunde von dem Tod ihres Sohnes empfangen hatten, fielen einander weinend um den Hals, Greise rauften sich Haar und Bart, junge Frauen schlugen sich Stirn und Busen oder überfielen die vorlesenden Schreiber, um den Namen des geliebten Menschen, der ihnen für immer entrissen sein sollte, selbst zu sehen.

Die leidenschaftliche Erregung der Seele, mag sie ein Kind sein der Freude oder des Leids, bedeckt unter uns ihr Antlitz mit dem Schleier, dessen sie unter den Alten nicht bedurfte.

Da wo die lauteste Klage erscholl, zeigte sich ein rastlos von einer Gruppe zur andern eilendes Männchen, Nemu, der Zwerg Katuti's, den wir kennen.

Jetzt stand er neben einer in Thränen zerfließenden Frau aus den besseren Ständen, deren Gatte in der letzten Schlacht gefallen war.

»Kannst Du lesen?« fragte er sie. »Da oben an dem Architrav steht der Name des Ramses mit all' seinen Titeln. ›Spender des Lebens‹ nennt er sich. Nun ja! Er weiß Neues zu schaffen; ›Wittwen‹ meine ich, denn die Männer läßt er hinschlachten.«

Ehe das erstaunte Weib ihm zu antworten vermochte, stand er neben einem in Trauer versunkenen Mann und sagte, indem er an seinem Gewande zog: »Frischere Burschen als Deine gefallenen Söhne hat man nie gesehen in Theben. Laß Deinen Jüngsten hungern oder schlage ihn zum Krüppel, sonst schleppen sie auch ihn nach Syrien, denn Ramses braucht viel gesundes ägyptisches Fleisch für die syrischen Geier.«

Der Alte, welcher bisher still ergeben dagestanden hatte, ballte die Faust; der Zwerg aber sagte, indem er auf den Statthalter wies: »Wenn Der da das Szepter führte, so gäb' es weniger Waisen und Bettler am Nil. Heut ist sein heiliges Wasser noch süß, aber bald wird es salzig schmecken wie das Nordmeer, von all' den Thränen, die an seinen Ufern vergossen werden.«

Es war, als hätte der Statthalter diese Worte vernommen, denn er stand von seinem Thron auf und erhob wie ein Wehklagender seine Hände.

Viele unter den Anwesenden bemerkten diese Bewegung, und lautes Jammergeschrei erfüllte den weiten Hof, welcher bald darauf von Soldaten gesäubert wurde, um anderen herandrängenden Volksschaaren Platz zu machen.

Während diese sich um die Schreiber sammelten, saß der Statthalter Ani mit ruhiger Würde, von seinem Gefolge und seinen Schreibern umgeben, auf dem Throne und ertheilte Audienzen.

Er war ein Mann am Ende der vierziger Jahre und des Königs leiblicher Vetter.

Ramses I., des regierenden Pharao Großvater, hatte die legitime Königsfamilie gestürzt und sich mit Gewalt des Pharaonenszepters bemächtigt. Er entstammte einer semitischen Familie, die nach der Vertreibung der HyksosVon Osten herkommende Stämme, welche, bei einer asiatischen Völkerwanderung nach Aegypten gedrängt, sich des untern Nilthals bemächtigten und es beinahe 500 Jahre lang beherrschten, bis sie von den auf Oberägypten beschränkten Nachkommen des alten, legitimen Pharaonenhauses nach langen Kämpfen verjagt wurden. in Aegypten zurückgeblieben war und sich unter den Thatmes und Amenophis durch kriegerische Begabung ausgezeichnet hatte. Nach seinem Tode folgte ihm sein Sohn Seti, welcher sich ein legitimes Anrecht auf den Thron zu erwerben suchte, indem er die Enkelin Amenophis III., Tuaa, heimführte. Sie schenkte ihm einen einzigen Sohn, den er nach seinem Vater Ramses nannte. Dieser Prinz durfte durch seine dem rechtmäßigen Herrscherhause entstammende Mutter die volle Legitimität für sich in Anspruch nehmen, denn in Aegypten konnte sich eine edle Familie, selbst die pharaonische, durch Frauen fortpflanzen.

Seti ernannte Ramses zu seinem Mitregenten,Und zwar schon bei seiner Geburt. Aus einer von Mariette edirten und zuerst von Maspero behandelten Inschrift zu Abydos rühmt sich Ramses, er sei »König gewesen schon im Ei«. Er ist der Sesostris der Griechen. Sein Beiname Sesesu-Ra hat sich auf den Denkmälern erhalten. Wenn die Griechen von den Großthaten des Sesostris sprechen, so meinen sie das, was Seti und Ramses zusammen verrichteten. um dadurch jeden Zweifel an der Rechtmäßigkeit seiner Stellung zu beseitigen. Den jungen Neffen seiner Gemahlin Tuaa, den Statthalter Ani, welcher um wenige Jahre jünger war als Ramses, ließ er im Setihause erziehen und hielt ihn wie seinen eigenen Sohn, während andere Mitglieder der entthronten Königsfamilie ihrer Güter beraubt oder beseitigt wurden.

Ani erwies sich als sein und seines Sohnes treuer Diener, dem der kriegerische und großmüthige Ramses wie einem Bruder vertraute, obgleich er sich nicht verhehlte, daß in seinen eigenen Adern weniger reines Königsblut als in denen seines Vetters fließe.

Das Pharaonenhaus von Aegypten sollte dem Sonnengotte Ra entstammen, und der Pharao konnte sich nur durch die Mutter, Ani dagegen durch beide Eltern so hoher Abkunft rühmen.

Aber Ramses saß auf dem Throne, hielt das Szepter in fester Hand und dreizehn junge Söhne sicherten seinem Hause die Herrschaft über Aegypten für alle Ewigkeit.

Als er nach seines kriegerischen Vaters Tode zu neuen Waffenthaten gen Norden zog, ernannte er Ani, der sich als Gouverneur der Provinz Kusch bewährt hatte, zum Statthalter des Reiches.

Der Heftigere überschätzt oft den mit ruhigerer Sinnesart begabten Mann, in dessen Wesen er sich nicht hineinzuversetzen und dessen Vorzüge er sich nicht anzueignen vermag, und so kam es, daß dem kriegerischen und feurigen Ramses die gemessene und leidenschaftslose Natur seines Oheims imponirte.

Ani schien ohne Ehrgeiz und Unternehmungsgeist zu sein, übernahm die ihm angetragene Würde mit äußerstem Widerstreben und erschien besonders ungefährlich, weil er Weib und Kind verloren und sich keiner Nachkommen zu rühmen hatte.

Er war ein Mann von mehr als mittlerer Größe, mit außerordentlich ebenmäßig, ja schön geschnittenen, aber glatten, wenig beweglichen Zügen. Seine hellgrauen Augen und die schmalen Lippen seines Mundes gaben keiner der sein Herz erfüllenden Regungen Ausdruck; vielmehr hatte er seinem Antlitz ein sanftes Lächeln anerzogen, das der Steigerung, der Verminderung und einer verschiedenartigen Färbung fähig, niemals aber gänzlich von seinem Angesichte zu bannen war.

Mit leutseliger Freundlichkeit hatte er der Klage eines Grundbesitzers zugehört, dem sein Vieh für das Heer des Königs fortgetrieben worden war, und ihm die Untersuchung seiner Angelegenheit zugesichert. Hoffnungsvoll entfernte sich der Beraubte; als aber der zu Füßen des Statthalters sitzende Schreiber fragte, wem die Untersuchung dieses Uebergriffes der Behörden anvertraut werden solle, sagte Ani: »Ein Jeder hat für den Krieg sein Opfer zu bringen; es bleibt bei dem Geschehenen.«

Der Nomarch von Suan im südlichsten Theile des Reichs verlangte die Mittel zu neuen, notwendigen Uferbauten. Der Statthalter hörte seiner lebhaften Schilderung mit Freundlichkeit, ja mit dem Ausdrucke der Rührung zu, versicherte aber, der Krieg verschlinge alle Mittel des Staates, die Kassen wären leer, doch sei er geneigt. wenn diese nicht auch ausblieben, einen Theil seiner eigenen Einkünfte zu opfern, um das gefährdete Ackerland seines getreuen Gaues von Suan, dem er seinen Gruß entbiete, zu schützen.

Sobald der Nomarch ihn verlassen hatte, befahl er, dem Schatz eine beträchtliche Summe zu entnehmen und sie dem Bittsteller nachzusenden.

Mitten im Gespräche erhob er sich von Zeit zu Zeit und nahm die Stellung eines Wehklagenden an, um den im Hofe versammelten Leidtragenden zu zeigen, daß er theilnehme an den Verlusten, die sie betroffen.

Schon hatte die Sonne ihre Mittagshöhe überschritten, als sich der in dem Palasthofe die Schreiber umstehenden Volkshaufen eine von lauten Kundgebungen begleitete Unruhe bemächtigte.

Viele Männer und Weiber strömten an einer Stelle zusammen und auch die am wenigsten beweglichen unter den anwesenden Thebanern wandten ihre Aufmerksamkeit dem an dieser Stelle ungewöhnlichen Vorfalle zu.

Eine Scharwache trieb die schreiend zusammenlaufende Menge auseinander und eine andere Abtheilung von libyschen Polizisten führte einen Gefangenen ab und einer Seitenpforte des Hofes entgegen. Ehe sie dieselbe erreichen konnte, langte ein Bote des Statthalters bei ihr an, welcher Auskunft über das Geschehene verlangte.

Der Oberste der Sicherheitsbeamten folgte ihm und berichtete dem ihn erwartenden Ani in lebhafter Erregung, ein winziger Wicht, der Zwerg der Herrin Katuti, habe sich schon seit mehreren Stunden im Hofe umhergetrieben und sei bemüht gewesen, die Herzen der Bürger mit aufrührerischen Reden zu vergiften.

Ani befahl, »den Verblendeten« in den Kerker zu werfen; sobald sich aber der Oberste entfernt hatte, gebot er seinem Schreiber, den Zwerg vor Sonnenuntergang zu ihm führen zu lassen.

Während er diesen Befehl ertheilte, bemächtigte sich eine Bewegung von anderer Art der zusammengeströmten Menge.

Wie das Meer zur Rechten und Linken der Hebräer auswich, damit keine Woge den Fuß der Verfolgten netze, so trat das versammelte Volk freiwillig, aber wie auf höhern Befehl in ehrerbietiger Neigung auseinander und bildete eine breite Gasse, durch welche der Oberpriester des Setihauses, welcher in vollem Ornat in Begleitung einiger heiligen Väter den Hof betreten hatte, die Menge segnend, dahinschritt.

Der Statthalter kam ihm entgegen, neigte sich vor ihm und zog sich bald darauf mit ihm allein in den Hintergrund der Halle zurück.

»So ist das Undenkbare dennoch geschehen,« sagte Ameni. »Unsere Hörigen sollen dem Heerbanne folgen.«

»Ramses braucht Soldaten, um zu siegen,« erwiederte der Statthalter.

»Und wir Brod, um zu leben,« rief der Priester.

»Dennoch ward mir befohlen, sogleich, also vor der Saatzeit, die Tempelbauern auszuheben. Ich bedaure diesen Befehl, doch gleicht der König dem Willen und ich nur der Hand.«

»Der Hand, deren er sich bedient, um Jahrtausende alte Rechte zu verkümmern und der Wüste den Weg in das Fruchtland zu öffnen.«»Bei einer guten Verwaltung,« sagte der erste Napoleon, »erreicht der Nil die Wüste, bei einer schlechten die Wüste den Nil.«

»Eure Aecker werden nicht lang unbestellt bleiben. Ramses wird neue Siege erfechten mit dem vergrößerten Heer und der Hülfe der Götter.«

»Der Götter, die er beleidigt!«

»Nach dem Friedensschluß versöhnt er wohl die Himmlischen durch doppelt reiche Gaben. Er hofft sicher auf ein baldiges Ende des Kriegs und schreibt mir, daß er nach der ersten gewonnenen Schlacht den Cheta ein Bündniß anzutragen gedenke. Man spricht auch von dem Plane des Königs, sich nach dem Friedensschluß wieder zu verheirathen und zwar mit der Tochter des Cheta-Königs Chetasar.«

Bis dahin hatte der Statthalter seine Augen niedergeschlagen. Jetzt erhob er sie lächelnd, als wollte er sich an der Freude Ameni's weiden, und fragte.

»Was sagst Du zu diesem Plane?«

»Ich sage,« gab Ameni zurück und seine sonst so ernste Stimme gewann einen Anklang von Schalkheit, »ich sage, daß Ramses das Blut Deiner Base und seiner Mutter, das ihm ein Anrecht auf den Thron dieses Landes gibt, für untrübbar rein zu halten scheint.«

»Es ist das Blut des Sonnengottes.«

»Welches halb in seinen und ganz in Deinen Adern fließt.«

Der Statthalter machte eine abweisende Bewegung und sagte leise und mit einem Lächeln, das dem eines Todten glich. »Wir sind nicht allein.«

»Niemand ist hier,« erwiederte Ameni, »der uns hören könnte, und was ich sagte, ist jedem Kinde bekannt.«

»Aber käm' es dem Könige zu Ohren,« flüsterte der Statthalter, »so . . .«

»So würde er wahrnehmen, wie unweise es ist, die alten Rechte Derjenigen zu schmälern, denen es zusteht, die Reinheit des Blutes der Beherrscher dieses Landes zu prüfen. Noch sitzt Ramses auf dem Throne des Ra, Leben blühe ihm, Heil und Kraft.Formel, welche selbst in Privatbriefen der Aegypter dem Namen des Pharao zu folgen pflegt.

Der Statthalter verneigte sich und fragte sodann:

»Gedenkt ihr dem Verlangen des Pharao ungesäumt zu gehorchen?«

»Er ist der König. Unser Rath, welcher in wenigen Tagen zusammentritt, wird nur entscheiden können, wie, nicht ob wir uns seinem Befehle zu fügen haben.«

»Ihr wollt die Absendung der Hörigen verzögern und doch braucht sie Ramses sofort. Das blutige Handwerk des Krieges fordert neue Werkzeuge.«

»Und der Frieden vielleicht einen neuen Meister, der die Söhne dieses Landes zu seinem Besten zu brauchen versteht; einen echten Sohn des Ra.«

Der Statthalter stand dem Oberpriester starr, wie aus Erz gegossen, gegenüber und schwieg; Ameni aber senkte seinen Krummstab vor ihm, wie vor einem Gott, und trat dann in den Vordergrund der Halle.

Als Ani ihm folgte, umspielte wie immer ein sanftes Lächeln sein Angesicht, und würdevoll ließ er sich auf den Thron nieder.

»Bist Du mit Deinen Mittheilungen zu Ende?« fragte er den Oberpriester.

»Es bleibt nur zu berichten,« gab dieser mit lauter, den versammelten Würdenträgern verständlicher Stimme zurück, »daß sich des Königs Tochter Bent-Anat am gestrigen Tage schwer versündigt hat und in allen Tempeln des Landes die Götter mit Opfern angefleht werden sollen, die Unreinheit von ihr zu nehmen.«

Wiederum zog ein Schatten über das Lächeln im Antlitze des Statthalters. Nachdenklich schaute er zu Boden und sagte sodann; »Ich werde morgen das Setihaus besuchen; bis dahin aber bitte ich Dich, diese Angelegenheit ruhen zu lassen.«

Ameni verneigte sich und der Statthalter verließ die Halle, um sich in den Flügel des Königsschlosses, welchen er bewohnte, zurückzuziehen.

Auf seinem Arbeitstische lagen versiegelte Schriftrollen. Er wußte, daß sie wichtige Nachrichten für ihn enthielten; aber er liebte es, seinen Begierden Zwang anzuthun, seine Enthaltsamkeit zu prüfen und als Feinschmecker das beste Gericht zuletzt auftragen zu lassen.

Jetzt überlas er zuerst unwichtigere Briefe.

Ein stummer, zu seinen Füßen hockender Diener verbrannte die Papyrusrollen, welche sein Herr ihm reichte, auf einem Kohlenbecken; ein Beamter notirte die kurzen Sätze, welche Ani ihm zurief und die der Beantwortung der verschiedenen Schreiben zu Grunde zu legen waren.

Der Statthalter winkte, der Beamte verließ das Gemach und langsam öffnete der Erstere einen Brief des Königs, welcher, wie seine Aufschrift »an meinen Bruder Ani« lehrte, keine öffentlichen, sondern private Angelegenheiten enthielt.

Von diesen Zeilen, das wußte der Statthalter, hing es ab, welchen Weg sein künftiges Leben zu nehmen habe.

Mit einem Lächeln, das seine innere Aufregung vor ihm selbst zu verbergen bestimmt war, öffnete er das Siegelwachs, welches das kurze königliche Handschreiben verschloß.

»Was Aegypten anbetrifft und meine Sorge für mein Land und den glücklichen Ausgang des Krieges,« schrieb der Pharao, »so ließ ich Dich davon durch meine Schreiber unterrichten; aber diese Worte gelten dem Bruder, der mein Sohn zu werden begehrt, und ich schreibe sie selbst. Der göttliche Herrschergeist, der in mir lebt, legt gern ein schnelles ›ja‹ oder ›nein‹ auf meine Lippen und er entscheidet zum Besten. Nun verlangst Du mein Lieblingskind Bent-Anat zum Weib und ich wäre nicht Ramses, wenn ich nicht frei gestünde, daß, ehe ich das letzte Wort Deines Briefes gelesen, sich ein heftiges ›nein‹ auf meine Lippen drängte. Ich ließ die Sterne befragen und die Eingeweide der Opferstiere prüfen und sie waren Deiner Bitte entgegen, und doch vermag ich sie nicht abzuweisen, denn Du bist mir theuer und Dein Blut ist so königlich wie das meine. Es sei noch königlicher, sagte ein alter Freund und warnte mich vor Deinem Ehrgeiz und Deiner Erhöhung. Da wandelte sich mein Herz, denn ich wäre nicht Seti's Sohn, wenn ich aus eitler Besorgniß einen Freund zu kränken vermöchte, und wer so hoch steht, daß Männer fürchten, er könnte es versuchen, über Ramses hinaus zu wachsen, der scheint mir Bent-Anat's würdig zu sein. Wirb um sie, und willigt sie freiwillig ein, Dein Weib zu werden, so mag am Tage meiner Heimkehr die Hochzeit gefeiert werden. Du bist jung genug, um ein Weib zu beglücken. Deine Reife und Weisheit werden mein Kind vor Unglück bewahren. Bent-Anat soll wissen, daß ihr König und Vater Deine Werbung unterstützt; Du aber opfere den Hathoren, damit sie Dir das Herz Bent-Anat's, dessen Entscheidung wir uns Beide unterwerfen wollen, zuwenden.«

Der Statthalter hatte mehrmals die Farbe gewechselt, während er diesen Brief las. Jetzt legte er ihn achselzuckend auf den Tisch, stand auf und lehnte sich mit auf dem Rücken gekreuzten Armen und nachdenklich zu Boden schauend an eine der die Deckenbalken seines Zimmers tragenden Säulen.

Je länger er sann, je weniger freundlich wurden seine Züge. »Eine Pille mit Honig versüßt, wie man sie den Weibern reicht!«In den medizinischen Papyrus haben sich zweierlei Rezepte für Mundpillen erhalten; ohne Honig für Männer, mit Honig für Frauen. murmelte er vor sich hin. Dann ging er zu dem Tische zurück, durchlas das königliche Schreiben zum andern Male und sagte: »Man kann von ihm lernen, wie man gewährend versagt und dabei nicht vergißt, seinen Edelmuth leuchten zu lassen. Ramses kennt seine Tochter. Sie ist ein Mädchen wie die anderen auch, und wird sich hüten, einen Mann zu wählen, der doppelt so alt ist wie sie und ihr Vater sein könnte. Ramses will sich ›unterwerfen‹, ich soll mich ›unterwerfen‹! Wem denn? Dem Urtheil und der Wahl eines eigensinnigen Kindes!«

Mit diesen Worten schob er den Brief so heftig auf den Tisch, daß er fortgleitend zu Boden fiel.

Der stumme Sklave hob ihn auf und legte ihn behutsam auf die Tafel zurück, während sein Herr eine Kugel in ein silbernes Becken warf.

Mehrere Beamte stürzten in das Gemach und Ani befahl ihnen, ihm den gefangenen Zwerg der Frau Katuti vorzuführen. Seine Seele grollte dem Könige, der in seinem fernen Lagerzelt ihn durch den Beweis seiner höchsten Gunst beglückt zu haben wähnte.

Wem man selbst Uebles sinnt, den ist man für seinen Feind zu halten geneigt, und wenn uns ein solcher eine Rose beut, so glauben wir, er reiche sie uns nicht um ihres Duftes, sondern um ihrer Dornen willen.

Der Zwerg Nemu wurde dem Statthalter vorgeführt und warf sich vor ihm zu Boden.

Ani befahl den Beamten, ihn zu verlassen, und rief dem Kleinen zu: »Du hast mich gezwungen, Dich in's Gefängniß zu setzen. Steh auf!«

Der Zwerg erhob sich und sagte. »Habe Dank; auch für meine Haft!«

Der Statthalter sah ihn verwundert an; Nemu aber fuhr halb schalkhaft, halb demüthig fort: »Mir bangte für mein Leben, Du aber hast es nicht nur nicht verkürzt, sondern verlängert, denn in dem einsamen Kerker ist mir die Zeit lang und die Minuten sind mir zu Stunden geworden.«

»Spare Deine Späße für die Frauen,« erwiederte der Statthalter. »Wüßt' ich nicht, daß Du's gut meintest und in Frau Katuti's Sinne handeltest, so würde ich Dich in die Steinbrüche schicken.«

»Meine Hände,« schmunzelte der Zwerg, »könnten doch nur Steine für ein Brettspiel brechen; aber meine Zunge, die ist wie das Wasser, das den einen Bauern reich machen und dem andern seinen Acker fortreißen kann.«

»Man wird sie einzudämmen wissen.«

»Für meine Herrin und für Dich geht sie ohnehin den rechten Gang,« sagte der Zwerg. »Ich zeigte den klagenden Bürgern, wer ihr Fleisch und Blut hinschlachtet, und von wem sie Frieden und Glück zu erwarten haben. Ich goß Lauge in die Wunden und lobte den Arzt.«

»Aber unberufen und unbedachtsam!« unterbrach ihn der Statthalter. »Sonst hast Du Dich brauchbar gezeigt und ich möchte Dich für künftige Zeiten aufsparen. Uebereifrige Freunde freilich sind schädlicher als erklärte Feinde. Wenn ich Deiner bedarf, so werd' ich Dich rufen. Bis dahin meide das Gerede. Geh jetzt zu Deiner Herrin und überbring' Katuti dieses Schreiben, das für sie eingelaufen ist.«

»Heil dem Sohne der Sonne, Ani!« rief der Zwerg und küßte den Fuß des Statthalters. »Hab' ich meiner Gebieterin Nefert keinen Brief zu überbringen?«

»Entbiete ihr meinen Gruß,« antwortete der Statthalter. »Sage Katuti, ich würde sie nach der Mahlzeit aufsuchen. Der Rosselenker des Königs hat nicht geschrieben, doch ist er wohlauf, wie ich höre. Fort jetzt und hüte Deine Zunge.«

Der Zwerg verließ das Gemach und Ani begab sich in eine luftige Halle, in welcher ihm sein üppiges, aus vielen mit besonderer Sorgfalt bereiteten Gerichten bestehendes Mahl aufgetragen wurde. Die Eßlust war ihm verdorben, aber er kostete von allen Schüsseln und gab über jede dem ihn bedienenden Hausmeister ein Urtheil ab.

Dazwischen dachte er an den Brief des Königs, an Bent-Anat und ob es gerathen sei, sich einer Abweisung von ihrer Seite auszusetzen.

Nach der Mahlzeit überließ er sich seinem Kammerdiener, der ihn sorgfältig rasirte, schminkte, ankleidete, schmückte und ihm dann den Spiegel vorhielt. Er betrachtete sein Bild mit gespannter Aufmerksamkeit und als er sich in die Sänfte setzte, um sich zu seiner Freundin Katuti tragen zu lassen, sagte er sich, daß er immer noch den Namen eines schönen Mannes verdiene.

Wenn er um Bent-Anat warb, wenn sie ihn erhörte, was dann?

Es trieb ihn zu Katuti, die stets ein treffendes Wort zu finden wußte, wenn er selbst von hunderterlei »für« und »wider« befangen, den entscheidenden Entschluß zu fassen zauderte.

Auf ihren Rath hatte er die Prinzessin zum Weibe begehrt wie eine neue Ehrenbezeigung, eine Erhöhung seines Einkommens, ein seine Person schützendes Pfand. Bent-Anat hatte seinem Herzen niemals näher oder ferner gestanden, als jedes andere schöne Weib in Aegypten. Jetzt trat ihre stolze und edle Persönlichkeit vor sein inneres Auge und es war ihm, als müßte dieses zu ihr aufschauen wie zu einer ihm hoch überlegenen Erscheinung. Es verdroß ihn, Katuti's Rath gefolgt zu sein, und er begann die Ablehnung seiner Werbung zu wünschen. Die Ehe mit Bent-Anat erschien ihm hart. Ihm war zu Sinne wie einem Manne, der sich um ein glänzendes Amt bewirbt, von dem er doch weiß, daß seine Anforderungen für seine Kräfte zu hoch sind, wie einem Ehrgeizigen, dem die Königswürde angetragen wird unter der Bedingung, eine schwere Krone niemals vom Haupte zu lassen. Wenn freilich ein Anderes gelänge, wenn – und seine Augen blitzten lebhaft auf, – wenn das Geschick ihn an die Stelle des Ramses setzte, dann verlor der Bund mit ihr seine Schrecken, dann war er auch ihr unbeschränkter König und Herr und Gebieter, und Niemand hatte Rechenschaft von ihm zu fordern, was er ihr sei und gewähre.


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