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Ungarns Nationalbewegung.

Es war am 11. September, als Maria Theresia, in ungarische Nationaltracht gekleidet, im Schlosse zu Preßburg in Mitten der Reichsstände erschien, welche sich auf ihre Einladung daselbst versammelt hatten. Nachdem sie sich auf dem Throne niedergelassen, nahm der Kanzler das Wort und sprach: »Wie die Königin nach ihrer ersehnten und mit allgemeiner Freude glücklich vollendeten Krönung keinen höheren Wunsch gehabt, als daß Ungarn in Frieden, Rechten und Freiheiten für alle Zeit erhalten und zu noch reicherer Fülle alles Segens gebracht werde, so habe sie mit fester Zuversicht gehofft, daß auch ihre übrigen Erbstaaten erwünschter Ruhe sich fortdauernd erfreuen würden. Diese Hoffnung wurde jedoch getäuscht, und weder die Bande des Blutes, noch unzweifelhaftes Erbrecht, noch Verträge schützten vor Angriffen; der ganzen seit so vielen Jahrhunderten blühenden Monarchie drohe gleichsam in Einem Augenblick Gefahr, selbst die Residenz der Königin sei nicht mehr sicher, und der Kurfürst von Bayern habe alle Erbstaaten und darunter auch Ungarn mit ungerechten Ansprüchen verletzt. Alles dieses habe die Königin ihren versammelten getreuen Ständen nicht verbergen, sondern sie vielmehr sicher stellen wollen, daß sie in solcher Bedrängniß ihr theures ungarisches Reich nicht zu verlassen gedenke; für jeden, selbst den unverhofften Ausgang der Dinge wolle sie ihre Person, ihren Hof und ihre heilige Krone der Treue und dem erprobten Eifer, dem Ruhm der Ungarn anvertrauen. Sie gebe sich der festen, unzweifelhaften Hoffnung hin, daß die Stände mit Einstimmigkeit der Beschlüsse und vereinten Kräften Alles anwenden würden, um den feindlichen Angriffen rasch zu begegnen und ihre, des Hofs und der Krone Sicherheit auch für den äußersten Fall zu vertheidigen.« Nach diesem Vortrag richtete Maria Theresia selbst folgende Worte (in lateinischer Sprache) an die Versammlung: »Die betrübte Lage Unserer Angelegenheiten ist von der Art, daß Uns von allen Seiten Gefahren umgeben; da nun diese auch insbesondere Unserem theuren Königreich Ungarn Verderben drohen, so wollten Wir dies den edlen Ständen desselben nicht unverborgen lassen. Es handelt sich um die Sicherheit der Krone dieses Reiches; es handelt sich um Unsere Person und um Unsere Kinder. Von Allen verlassen wenden Wir Uns deßhalb an die Waffen, an die alte Tugend und die kampfmuthige, in so vieler Geschichten Denkmalen berühmte Treue der Ungarn. Ihr vertrauen wir Uns und Unsere Kinder an; auf die Ungarn setzen Wir all Unsere Hoffnung, und sind der festen Zuversicht, daß sie bei diesen Zeitumständen, die keine Säumniß gestatten, bei dieser Gefahr Uns Rath und alle mögliche Hülfe nicht versagen werden.«

Wie schlicht diese Worte auch waren, mächtig bewegten sie die Versammlung der Stände. Da standen die Zierden, die Vertreter einer großen herrlichen Nation, diese Männer, deren Namen seit uralten Zeiten geschichtliche Bedeutung hatten; was die Nation je Herrliches gethan, die Ahnen dieser Männer hatten es mit vollbracht, an deren Vertrauen jetzt die Königin appellirte, deren Arme zur Abwehr schnöder Unbill, zur Vertheidigung der Kinder jetzt die schöne verlassene Frau, die Mutter, welche eine neue Hoffnung ihrer Völker unter dem Herzen trug Die Erzherzogin Christina., in Anspruch nahm. Als sie bei den letzten Worten die Thränen nicht zurückhalten konnte, – ein kurzer Moment, dann hatten ihre Züge wieder den Ausdruck vollkommner Ruhe, es war der Abglanz des Seelenadels, die Sicherheit eines großen Gemüthes, – da blieben auch die Männeraugen nicht trocken, da riefen Alle begeistert aus Einem Herzen und wie aus Einem Munde: »Blut und Leben für die Königin!« und blitzend flogen alle Säbel aus der Scheide. In kurzer, feuriger, gewichtiger Rede sprach darauf der Primas im Namen des Reichs: »das Reich« sagte er, »ist der Körper, als dessen Seele gilt Ew. Majestät; sie kann von jenem nicht getrennt werden; alle Kräfte und Fähigkeiten, Wesen, Blut, Sinne, Verstand, Rath, Hülfe und Leben der Königin hinzugeben sind die Stände bereit.« So leidenschaftlich war die Erregung, daß in der Versammlung sogar Verwünschungen gegen die deutschen Minister laut wurden, »welche die beste Königin durch falschen Rath so bis zum äußersten Rande des Unglücks gebracht, indem sie dieselbe zu überreden gesucht, daß sie die Ungarn nicht für sich bewaffne; denn hätte man diesen gleich die ersten Anzeichen des drohenden Sturmes mitgetheilt, so wäre man dem Feinde rasch mit um so gewisserer Siegeshoffnung entgegengetreten.«

In dieser Stimmung war es, daß der Reichstag (hauptsächlich durch Vermittlung des Primas und des Palatinus) den Wunsch Marien Theresiens in Betreff der Mitherrschaft Franz Stephans erfüllte. Zu glücklicher Stunde kam am Tage, bevor der Großherzog von Toskana der Nation den Eid als Mitregent leisten mußte, der junge Thronerbe Joseph in Preßburg an (20. Septbr.). Franz Stephan gelobte, indem er im großen Rittersaale den vorgeschriebenen Eid, dessen Formel ihm der Primas vorgelesen, abgelegt, der Königin und dem Reiche Blut und Leben zu weihen. Ein Lebehoch erscholl, als sie plötzlich den Erzherzog Joseph in ihren Armen erhob und der Versammlung zeigte.

Diese Begeisterung belebte Maria Theresia fortwährend durch persönliche Auszeichnung der verdienstvollsten Männer Ungarns. So nannte sie den würdigen Palatinus Palfy »Vater«; fast jeden Vormittag und Nachmittag zog sie ihn zu Rath, nöthigte ihn zu sitzen, und ließ den jungen Erzherzog Joseph bringen, den dann der Greis auf den Schooß nahm.

Schnell zeigten sich die Folgen der Begeisterung, welche Maria Theresia für sich erweckt. Die Stände erklärten: »sie hätten keinen Mangel an Geld, fehlte es aber daran, so wären sie bereit, ihr Silbergeschirr in die königliche Münze zu liefern und wenn dies nicht hinreiche, so würde man im Fall der äußersten Noth die Kirchenschätze zu Hülfe nehmen.« Zum Schutz der geliebten Königin erhob sich, von den Ständen bewilligt, die Insurrektion im ganzen Reich; ein alterthümliches Institut in dem Lande, wo Gold wächst und Eisen gilt, wo der Adel im Waffendienst Ehre sieht, persönliche Tapferkeit einsetzt und seinen ganzen Stolz drauf stellt, seine pflichtigen Haufen voll wilder Kampflust in's Feld zu führen. Wie zäh die Stände, an ihren alten Rechten hängend, jeden Buchstaben prüfend und leidenschaftlich verteidigend, die einzelne Persönlichkeit beim gemeinsamen Werk schroff ausprägend, bei der Berathung im Reichstag waren, – so unglaublich rasch gedieh, als einmal der Beschluß gefaßt, jetzt das Werk der Insurrektion und die verlassene junge Fürstin, welche von ihren Feinden nur noch »Großherzogin von Toskana« genannt wurde, welche nicht wußte, an welchem Orte sie sicher vor ihren Feinden und ruhig ihre Niederkunft erwarten sollte So schrieb sie ihrer Schwiegermutter, der Herzogin von Lothringen., welcher kein tüchtiger Minister, kein hinreichender Schatz zu Gebote standen, – sie hatte jetzt plötzlich ein wie aus der Erde gestampftes Heer zur Verfügung, voll roher Urkraft, fremd an Tracht, wild von Aussehen, zusammengeweht von allen Strömen her, welche Ungarn durchrinnen, aus allen Stämmen, die es bewohnen, zwei und zwanzig tausend Mann Fußvolk, von der Bauernschaft gestellt, vierzehn tausend Serbier, sechstausend Siebenbürger, dann fünfzehntausend Mann zu Roß, (lauter Edelleute oder deren Stellvertreter), dazu nun noch die wilde Freischaar der Panduren, Gesellen, bis an die Zahne bewaffnet, wie Räuber von Ansehn, Lust und Art, ohne Zucht und Erbarmen, Schrecken vor ihnen und Verderben hinter ihnen als Spur.

Es konnte nicht fehlen, daß die großartige Nationalbewegung die Aufmerksamkeit von Marien Theresiens Feinden auf sich zog, daß diese dieselbe zu entkräften suchten. So sandte Friedrich II. den Grafen Marwitz an die Ungarn, mit Versicherungen, wie hoch er den treuen Heldensinn derselben schätze, wie er aber auch unter den obwaltenden Verhältnissen ihre Bewaffnung für unangemessen und zweckwidrig halte; hiebei ließ er die Drohung einfließen, wie sehr er es beklagen würde, wenn er sich genöthigt fände, seine vom Glück gekrönten Waffen gegen eine so edle Nation zu wenden. Die Sendung Marwitzens hatte indessen nicht den geringsten Erfolg. Im Interesse Kurbayerns erschien pseudonym eine Schrift: »Schreiben Irenici von C., eines ungarischen Edelmanns, an die Großen des Königreichs Ungarn, um sie freundschaftlich zu ermahnen, wider den Kurfürsten von Bayern und die mit ihm verbundenen Könige und Prinzen nicht unbedachtsamer Weise die Waffen zu ergreifen«; Eine Entgegnung erschien später unter dem Namen eines Stephan Jagazhazy von Szabadszawa. es gelang derselben jedoch nicht, die Theilnahme der Nation für Maria Theresia zu schwächen und statt deren eine für Bayern zu erwecken, dessen Kurfürst den Ungarn zum König empfohlen wurde, mit der Aussicht daß ihnen dann das deutsche Reich, dessen Krone Karl Albrecht bestimmt sei, im Falle der Noth beistehen würde. Im Falle der Noth haben die Ungarn immer sich selbst zu helfen gewußt, weil Deutschland – schmählich genug! – es stets vergaß und verabsäumte, seine natürliche Vormauer gegen seine natürlichen Feinde im Osten zu stützen und zu vertheidigen.

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