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Die böhmische Kurstimme.

Der zweite Schritt zu dem beabsichtigten Ziele hin verfehlte geradezu die gehoffte Wirkung und brachte vielmehr eine entgegengesetzte hervor. Nachdem Maria Theresia ihren Gemahl zum Mitregenten ernannt hatte, übertrug sie »für sich und ihre Descendenten beiderlei Geschlechts, jetzige und zukünftige«, ihm auch die Ausübung der böhmischen Kurstimme »auf den Wahl-, Reichs-, Deputations-, Kollegial- und anderen Tagen«, – »also vollkommentlich, als nur immer sothane Stimme und was der königlich böhmischen Kurwürde sonst anklebt, von Uns oder einem jeweiligen gekrönten König von Böhmen versehen werden könnte.«

Zur Rechtfertigung dieser Maßregel, von der sich voraussehen ließ, daß sie ungewöhnliches Aufsehen veranlassen würde, wurden in einer offiziellen Denkschrift (»politische und historische Anmerkungen«) mehrfache Gründe angeführt. »Kein anderes Kurfürstenthum«, hieß es, »sei der weiblichen Erbfolge fähig als Böhmen, dessen besondere Freiheiten und Rechte in der goldenen Bulle selbst und zwar namentlich in dem von der Nachfolge in die Kurfürstenthümer handelnden Titel verwahrt worden.« Auch habe sich »vor und nach derselben schon dreimal der Fall der weiblichen Erbfolge ereignet, ohne daß derenthalben die dem Königreich selbst nach ausdrücklichster und zu mehrmalen wiederholter Verordnung der goldenen Bulle anklebende Kurwürde in den mindesten Zweifel gezogen, sondern dieselbe vielmehr ruhig jedesmal durch den Gemahl der Erbin des Königreiches ausgeübt worden. Diese drei angezogenen Fälle betrafen die Uebertragung Böhmens an die luxemburgische Dynastie durch die Vermählung des Königs Johann, (Sohns Kaiser Heinrichs VII.) mit Elisabeth, der Schwester des letzten Przemisliden Wenzeslav III. († 1306), dann vom luxemburgischen Hause an das habsburgische durch die Vermählung Elisabeths, der Tochter Kaiser Sigismunds mit Albrecht V. (als Kaiser Albrecht II.; † 1439), und endlich von den Jagellonen abermals an Oesterreich, durch die Vermählung Anna's, der Erbtochter Wladislav's II., († 1516) mit Ferdinand I.

Der Widerspruch, welcher sich gegen die genannte Maßregel erhob, beschränkte sich hauptsächlich darauf, daß man einer Frau nicht das Recht zugestehen wollte, die Kurwürde, welche sie selbst nicht ausüben konnte, einem Andern zu übertragen. Und allerdings war kein Rechtsgrund vorhanden, auf welchen sie jene Handlung stützen konnte, wenn gleich die Bestimmung der goldenen Bulle, daß die Kurwürde auf dem Kurlande hafte, eben so wenig bestritten werden konnte, als die Thatsache, daß sich Maria Theresia im Besitze des Kurlandes befand. Gleichwohl fand sie den Kurfürsten von Mainz bereit, ihre Verfügung durch die That gut zu heißen. Er hatte bekanntlich, gemäß der goldnen Bulle, nach Erledigung des Kaiserthrones die übrigen Kurfürsten binnen drei Monaten zur Wahl eines neuen Kaisers zu berufen; und er machte in Beziehung auf Böhmen keine Ausnahme von der reichsgesetzlichen Berufung. Am 9. Dezember 1740 erschien der kurmainzische Gesandte Baron Erthal im Königsschlosse zu Prag und eröffnete nach herkömmlicher Weise der königlichen Statthalterei, für welche der Oberstburggraf das Wort führte, den Tod des Kaisers, sowie die Einladung zur Wahl nach Frankfurt. Maria Theresia glaubte somit für die Erhebung ihres Gemahls der böhmischen Kurstimme gewiß zu sein; auf die Stimmen von Mainz und Hannover konnte sie fest rechnen, auf die von Trier und Brandenburg hoffte sie; aber vier Stimmen waren entschieden dagegen, Kurbayern mit Kurpfalz (beide übten gemeinschaftlich in Folge geheimer Übereinkunft von 1724 das Reichsvikariat Der Bestimmung der goldnen Bulle zuwider, nach welcher, während der Thronerledigung, in den Ländern des fränkischen Rechts der Pfalzgraf bei Rhein und in jenen des sächsischen der Herzog von Sachsen Reichsverweser sein sollte., Kursachsen und Kurköln, welches letztere dem Gesandten Marien Theresiens den Bescheid ertheilte, daß der Kurfürst zwar alle Ergebenheit gegen das Erzhaus Oesterreich hege, daß man ihm aber nicht wohl zumuthen könne, zum Nachtheil seines eigenen Stammhauses Bayern den ersten Schritt zu thun. Die Uebertragung der böhmischen Kurstimme an Franz Stephan war den Gegnern der Dynastie Habsburg-Lothringen weniger ein Gegenstand der Besorgniß, als vielmehr ein willkommener Anlaß, um ihren wahren Gesinnungen unter gutem Schein des Rechtes einen offenen Ausdruck geben zu können.

Die Dynastie Wittelsbach wollte nämlich nicht blos die habsburgische Erbschaft, sondern auch die deutsche Kaiserkrone für den Kurfürsten Karl Albrecht, einen Mann, welcher weder befähigt noch würdig war, dieselbe zu tragen. Eigentlich diente er, der deutsche Reichsfürst, dabei nur der Eitelkeit von ein paar Franzosen, der Brüder Belleisle (des Marschalls und des Ritters), sowie des Herzogs von Broglio, welche in Deutschland bei der Kaiserwahl und im Kriege eine Autorität annehmen zu können hofften, welche sie am liederlichen Hofe ihres schwachgeistigen und von seinen Maitressen beherrschten Königs nie erreichen konnten. Diese drei Männer legten ein entscheidendes Gegengewicht ein wider die Ansicht und Willensmeinung des friedliebenden Ministers, des greisen Kardinals Fleury. Die alten Pläne Richelieu's tauchten nun wieder auf; die alte Zuthunlichkeit Frankreichs, die deutschen Fürsten vor dem Uebergewicht Habsburgs zu warnen, erneuerte sich. Man erinnerte von Frankreich aus die Deutschen, daß ihr Reich ein Wahlreich, – und doch sollte der Marschall Belleisle bei der Wahl eines deutschen Kaisers mitwirken! Fast noch empörender als diese Anmaßung von außen in Bezug auf deutsche Angelegenheiten – der grellste Beweis, wie durch und durch reif zum Untergang und dessen Werth die Reichsverfassung bereits war! – wahrlich noch empörender war Karl Albrechts Selbsterniedrigung vor dem Ausland. Er erröthete nicht, dem Kardinal Fleury eigenhändig zu schreiben: »So ist denn der Augenblick gekommen, der über das Schicksal des treuesten Verbündeten des Königs entscheiden und den Ruhm der Regierung des Letzteren unsterblich machen muß, indem er ihm Gelegenheit gibt, die Kaiserkrone einem Fürsten zu verschaffen, der sich aus Neigung und Dankbarkeit stets bestreben wird, die Interessen des Reichs mit jenen Frankreichs zu vereinigen!« – »Der Tag meiner Erhöhung«, schrieb er dem Kardinal weiter, »wird der glorreichste Ihres Ministeriums sein!« Und in einem späteren Briefe: »Der erste Schritt, den er zu thun habe, sei: sich gänzlich in die Arme des Königs von Frankreich zu werfen, den er stets als seinen einzigen Halt und Hort betrachten würde.« So tief konnte ein deutscher Fürst sinken, der die Kaiserkrone aus keinem anderen Beweggrund als zur Befriedigung seiner Eitelkeit suchte, und, sogar nicht einmal im Besitze des nöthigen Geldes, sich auch in dieser letzteren Hinsicht an die Großmuth Frankreichs wegwarf! – Auch an Spanien wandte er sich, dessen König Philipp V. auf den Grund hin, daß er in weiblicher Linie von einer Habsburgerin (Anna, der Tochter des Kaisers Maximilian II., Gattin Philipps II.) abstammte, Ansprüche auf das ganze österreichische Erbe zu haben glaubte. Von immer mehreren Seiten zogen sich Wetterwolken gegen Maria Theresia zusammen; aber gerade von jener Seite erwartete sie keinen Schlag, von welcher sie der schwerste treffen sollte.

Was die böhmische Kurstimme betrifft, so wird man späterhin sehen, daß die Bemühungen Marien Theresiens fruchtlos blieben.

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