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Fünftes Kapitel.
Auf der Landsuche

Am nächsten Morgen rollten auf der von Edson aus in westlicher Richtung führenden Straße zwei Autos dahin. In dem ersteren saßen Schönberner und Burkhart mit seiner Frau und Mathilde, im zweiten – es war dasjenige, das Burkhart in Edmonton gekauft hatte – die drei andern Kinder und Sauberts. Während Schönberner das erste führte, saß Valeska, die bereits in Deutschland eine gute Fahrerin gewesen war, am Rade des anderen.

Schönberner war, wie Bellack bereits erwähnt hatte, ein Deutsch-Amerikaner, der eine Amerikanerin geheiratet hatte. Die deutsche Sprache war bei ihm deshalb so ziemlich in Vergessenheit geraten, und wenn er sich darin auch noch verständlich machen konnte und noch mehr von dem verstand, was gesprochen wurde, zog er doch immer das Englische vor, da es ihm allmählich geläufiger geworden war. Er war in Amerika schlecht vorangekommen und schließlich nach Canada ausgewandert, wo es ihm gut gegangen war. Er besaß eine Sektion Land auf der andern Seite von Edson, vierzehn Pferde, Kühe und anderes lebendes Inventar, Dreschmaschine, mit der er während der Erntezeit auch auf anderen Farmen das Getreide drosch, und natürlich alle anderen nötigen landwirtschaftlichen Geräte. Außer seinem Sohne, der bereits erwachsen und eine volle Arbeitskraft war, beschäftigte er noch zwei Arbeiter; nur während der Dreschzeit stellte er außerdem Hilfskräfte ein.

Burkhart hatte keine Stunde unnötig verlieren wollen, sich Land auszusuchen, denn das Leben im Hotel für sechs Personen war kostspielig. Sauberts hatten sich angeschlossen, da auch ein Besuch bei Finsterbusch geplant war und ihnen die Besichtigung des verkäuflichen Landes und dieser Besuch vielleicht wertvolle Aufschlüsse geben konnte.

Es war ein wunderschöner Morgen, Wald zu beiden Seiten der Straße, aber jüngerer Bestand, der dem Farmer nicht viel zu schaffen machen würde. In den Baumkronen flatterten Rotkehlchen und Drosseln; Sperlinge von wenigstens einem halben Dutzend Arten zankten sich überall herum und versuchten, sich Beeren und andere Leckerbissen gegenseitig wegzustibitzen. Schwarzköpfige Meisen, bunte Eisvögel, Eichelhäher und rote Eichhörnchen, die sich nicht einmal durch das Herannahen der Autos stören ließen, funkelten in dem grünen Schatten wie farbige Edelsteine. Einmal flog ein Habicht über den Weg, verfolgt von einem Paare Königsvögel, auch Tyrannische Fliegenfänger genannt. Sie sind viel kleiner als Krähen oder Habichte, vertreiben aber kleine und große Störenfriede aus der Nähe ihrer Nester, indem sie sie während des Fluges von hinten angreifen und erbarmungslos zerhacken. Einen Gegner, namentlich wenn er größer und stärker ist, von vorn anzugreifen, vermeiden sie klugerweise.

Die Luft war erfüllt von Musik, von Stimmen, vielfach zu fein, um von dem menschlichen Ohr gehört zu werden; nur wenn manchmal die Vögel schwiegen, war es, als ob riesige Chöre winziger Trompeten einen Weckruf bliesen, um Wurzeln und Samen und schlafende Insekten wachzurufen, und wo immer die Sonnenstrahlen in den Wald brachen, gab es einen Tusch von Zimbeln, leise und mehr geahnt als hörbar, aber unbeschreiblich lebensfroh.

Der Waldgrund, der manchmal zu beiden Seiten des Weges hügelig anstieg, war mit Veilchen, Vergißmeinnicht und Sternblumen bedeckt, und an anderen Stellen zogen sich farbige Streifen wie blühende Regenbogen die Abhänge hinunter. Hier und dort huschten junge Kaninchen durch die Büsche, und Wachteln, Präriehühner und Wildenten waren in Mengen zu sehen. Zweimal bekamen die Ankömmlinge Rehe in Sicht, die aber zwischen den Bäumen verschwanden, als die Autos sich näherten.

An einzelnen Stellen der Straße trafen sie Gruppen von Arbeitern mit ihren Geräten und Wohnwagen. Die Leute waren mit der Verbesserung der Straße beschäftigt.

Nach einer halben Stunde lenkte Schönberner vom Wege ab und in einen Farmhof ein und brachte das Auto vor einem aus selbstgefertigten Backsteinen erbauten, weißgestrichenen Wohngebäude zum Halten.

»Hier sind wir,« sagte er.

Man stieg aus und begab sich zunächst in das Haus zur Besichtigung. Der Eingang führte zuerst in die Küche, in der anscheinend auch die weniger wichtigen Besuche angenommen und abgefertigt wurden. Außer einem eisernen Kochherd und einigen wackligen Stühlen befanden sich hier nur noch einige Bretter an den Wänden, auf denen mehrere Kochgeräte standen, die der frühere Besitzer des Mitnehmens offenbar nicht für wert erachtet hatte. Frau Burkhart und ihre Töchter besahen sich diese mit erheblichem Mißtrauen.

»Die gebrauchen wir nur Sonntags,« sagte Valeska.

Das eigentliche Haus – denn die Küche stellte eine Art Anbau dar – bestand aus vier Zimmern von mäßiger Größe, die aus einem großen Raum durch tapezierte Bretterwände abgeteilt waren. In zweien von ihnen standen weiß-emaillierte eiserne Bettstellen mit Sprungfedermatratzen und Waschstände gleicher Art mit Spiegeln darüber an den Wänden. Auch ein Stuhl war in jedem vorhanden. Die Einrichtung der zwei anderen Zimmer war ebenso unvollständig. Alles, was irgendeinen Wert gehabt haben mochte, hatte der frühere Besitzer bei seinem Wegzuge mitgenommen. Ein gut angelegter Keller, in dem man bequem aufrecht stehen konnte, und ein Boden, der die volle Ausdehnung des Hauses hatte, vervollständigten die Räumlichkeiten.

»Hier könnte man sich schon einrichten,« meinte Frau Burkhart. »Rudolf müßte im Sommer eben auf dem Boden schlafen.«

Darauf wurde der Stall besichtigt, der ziemlich mangelhaft aus Baumstämmen erbaut und mit einem Dach aus Teerpappe versehen war. Er hatte Abteilungen, die allerdings nicht durch Wände, sondern nur durch lange Stangen abgetrennt waren, für acht Pferde. Ihnen gegenüber lagen ebensolche für die Kühe.

»Für den Sommer mag der Stall ja gehen,« bemerkte Burkhart, indem er die lückenhaften und unvollständig verschmierten Wände musterte. »Für den Winter aber muß hier viel verbessert werden.«

Außerdem war noch eine Grainerie, ein Bretterschuppen zur Aufbewahrung von Erntevorräten und Saatgetreide, vorhanden. Um sie herum standen und lagen, verschmutzt, aber in brauchbarem Zustande, eine Anzahl landwirtschaftlicher Maschinen und Geräte. Das war kein Beweis einer Vernachlässigung, denn nur wenige Farmer bringen in den ersten Jahren ihre Geräte unter Dach und Fach. Es ist nicht erforderlich, da sie im Freien nicht rosten. Die Winter sind kalt, sehr kalt, aber so trocken (und infolgedessen gesund), daß der Schnee wie Staub auf diesen Geräten liegt und im Frühjahr wie Staub weggefegt werden kann, denn es taut im Winter nicht. Es ist daher auch nicht möglich, aus diesem Schnee Schneebälle zu formen.

Auf die Besichtigung der Baulichkeiten folgte die Besichtigung des Landes. Die Ernte stand gut. Alles hing aber davon ab, daß bis zu ihrer Reife noch genügend Regen fiel, dann konnte man mit einem guten Ertrage rechnen.

»Auf Trockenheit müssen wir hier immer gefaßt sein,« erklärte Schönberner. »Sie ist aber, wenn sie nicht über das gewöhnliche Maß hinausgeht, nur ein Vorteil für Canada, denn sie gibt eine bessere Qualität Weizen. Ein feuchtes Klima gibt weichen Weizen. Der canadische Weizen aber als Nummer 1 hart bringt den höchsten Preis auf dem Weltmarkt. Übrigens sind wir hier in der Waldgegend durch große und andauernde Trockenheit nicht so gefährdet wie die Farmer in der Prärie. Der Boden hält die Feuchtigkeit länger, und es gibt hier auch etwas mehr Regen.«

Der Umstand, daß der Weizen für diese Jahreszeit so vorzüglich stand, bewies eigentlich schon, daß der Boden gut war. Eine an verschiedenen Stellen vorgenommene eingehendere Prüfung überzeugte Burkhart aber auch davon, daß er die richtige Beschaffenheit hatte: schwarzer Lehm mit Sand vermischt, also ein mittelschwerer Boden, mit einer reichlichen Humusschicht. Er wußte, daß es sich für einen Farmer nicht lohnt, auf Land mit weniger als dem besten Boden zu gehen. Nur der ist gerade gut genug, denn er erfordert nicht mehr Arbeit, nicht mehr Saat, lohnt aber besser durch reichlichere Erträge. Und in dieser Beziehung wollte er sicher sein, alles andere kam erst in zweiter Linie.

»Wie lange ist das Land hier unter Kultur?« fragte er.

»Lassen Sie sehen,« antwortete Schönberner und begann zu rechnen. »Fünf Jahre,« sagte er dann.

»Somit kann ich mir noch für zehn Jahre die Düngung ersparen.«

»Länger.«

»Höchstens,« bestand Burkhart auf seiner Meinung. »Ich will es nicht so machen, wie viele Farmer hier, die überhaupt nicht düngen, und wenn der Boden ausgenützt ist, lieber weiterziehen, um sich weiter im Westen Neuland zu suchen. Es könnte sein, daß nach zehn Jahren nicht mehr viel davon vorhanden ist. Freilich, das Düngen kostet Geld und erhöht die Gestehungskosten. Das ist aber eine Zukunftsfrage, um die wir uns jetzt noch nicht zu kümmern brauchen. Wenn die Zeit dazu gekommen ist, wird sie auch ihre Lösung finden.«

Die weitere Besichtigung ergab, daß noch etwa hundert Acker mit leichtem Pappelbestand vorhanden waren. Das war ein weiterer Beweis für die Güte des Bodens, denn wo Pappeln wachsen, ist der Boden immer gut, während er dort, wo er mit Tannen besetzt ist, meist zu sandig und für einen erfolgreichen Farmbetrieb ungeeignet ist. Pappelbestand ist auch leicht hinwegzuklären, denn die Wurzeln sind weich und ihre Hauptstränge liegen flach im Boden und können ohne Schwierigkeit durchgehackt werden. Hier waren also noch viele Acker brauchbaren, guten Landes. Der Rest bestand aus kräftigerem gemischtem Wald, mit Bäumen von oft mehr als zwei Fuß Durchmesser und hundert Fuß Höhe. Die Klärung dieses Teils würde schwieriger sein, aber es war gutes Bauholz und daher willkommen.

Rudolf war stolz darauf, daß er auf Aufforderung seines Vaters hin zur Besichtigung hinzugezogen worden war. Er sollte einmal ein tüchtiger Farmer werden und konnte nicht früh genug damit beginnen, zu lernen. Später, wenn es möglich war, würde er ja auch während der Wintermonate eine Landwirtschaftliche Schule besuchen.

Nach der Besichtigung, während die Männer und Frauen noch beisammen standen und miteinander sprachen, beschäftigte er sich damit, seine Geschicklichkeit im Steinwerfen zu erproben. Ein paar Sperlinge, die vor dem Wohnhause herumhüpften und den Boden nach Futter absuchten, gaben ihm ein willkommenes Ziel. Er warf nach ihnen, aber mit dem einzigen Erfolg, daß sie erschreckt davonflatterten.

»Weißt du denn nicht noch aus der Schrift,« sagte eine Stimme in feierlichem Tone hinter ihm, »daß nur derjenige, der sich selber frei von Sünde weiß, versuchen soll, zwei Sperlinge mit einem Schlage zu treffen?«

Er wandte sich um und sah seiner Schwester Valeska in das lachende Gesicht.

»Was soll der Unfug überhaupt?« rief Mathilde in verweisendem Ton. »Man tötet kein Tier unnütz. Was haben dir die Sperlings getan? Es sind nützliche Tiere. Sie vertilgen eine Unmenge Moskitos, die jetzt zum Vorschein kommen.«

»Die Weisheit meiner großen Schwester ist zum Erstaunen,« entgegnete der Junge lachend. »Aber sie hat recht, Valeska. Da die Sperlinge zu den Körnerfressern gehören und die Moskitos von jeher unter die Körner gerechnet wurden, so ist es klar, daß uns die Moskitos ohne die Sperlinge bald auffressen würden.«

Fräulein Mathilde hatte offenbar kein Glück mit ihren Einwürfen, aber noch bevor sie sich darüber klar war, ob sie sich über den kleinen Bock, den sie geschossen, ärgern oder darüber lachen solle, rief der Vater: »Einsteigen! Wir wollen jetzt mal zu Finsterbusch hinüberfahren.«

Er hatte Schönberner erklärt, daß ihm die Farm ganz gut gefalle und er dem Kaufe auch nicht abgeneigt sei, nur solle er ihm noch ein paar Tage Zeit zu einer endgültigen Entscheidung lassen.


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