Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Kapitel.
Auf hoher See

Am nächsten Tage hatte die »Köln« die Hebriden passiert, und ihr Bug warf jetzt die Wellen des Atlantik auf. Die Hoffnung, daß man, nachdem man die Nordküste von Schottland umfahren, nunmehr in wärmere Breiten gelangen würde, hatte sich bisher noch nicht erfüllt. Das Wetter war womöglich noch rauher geworden, von Südwesten stand eine schwere Dünung, und die Schiffsschraube arbeitete fast die Hälfte der Zeit außer Wasser. Niemand hielt es lange auf Deck aus, sondern suchte in den Gesellschaftsräumen oder sonstwo eine Unterkunft.

Eine Gruppe junger Mädchen und Männer war trotzdem noch in einem Deckspiel begriffen, das in einem Hinundherschieben von Holzscheiben in gewisse, mit Kreide gezeichnete Vierecke bestand, man merkte es ihnen aber an, daß es mehr ein krampfhafter Versuch war, sich unter allen Umständen Unterhaltung zu verschaffen.

Im Rauchzimmer befanden sich andere Gruppen, darunter auch der gesprächige Herr Presser mit seinen Freunden Mühlberg, Weckerle und Werner. Diesmal hatte sich ihnen aber noch Karl Schwerla, ein junger Sportschriftsteller aus München, zugesellt, der sich mit zwei Faltbooten auf der Reise nach Canada befand, wo er in Britisch-Kolumbien auf den Flüssen nach der pazifischen Küste hinunterzufahren gedachte, um Material für seine journalistischen Arbeiten und Vorträge zu sammeln.

Der Decksteward hatte eben das zweite Frühstück, bestehend aus Fleischbrühe und belegten Brötchen, herumgereicht, und man war beschäftigt, es einzunehmen. Seekranke, die darauf verzichten mußten, waren nur wenige vorhanden, denn das Schiff lag gut im Wasser, rollte überhaupt kaum und stampfte nur mäßig.

»Kennen Sie das junge Mädchen dort?« fragte Schwerla, verstohlen nach einer Gruppe von Frauen und jungen Mädchen blickend, die auf der gegenüberliegenden Seite an Tischen saßen.

»Sie meinen die mit dem Wuschelkopf?« fragte Presser.

»Ja.«

»Das ist Fräulein Wrobel. Hübsches Mädchen, aber ein unverbesserlicher Flirt. Bei den Passagieren hat sie nur wenig Entgegenkommen gefunden. Wir sind wohl alle zu sehr mit der Sorge für unsre nächste Zukunft beschäftigt, um dafür viel übrig zu haben. Dafür setzt sie aber den Offizieren heillos zu. Die können sich schon aus Höflichkeit einem Passagier gegenüber nicht so ablehnend verhalten, und das nützt sie aus. Ich glaube, es kommt ihr nur auf die Eroberung an. Wenn ihr die gelungen ist, hört der Mann auf sie zu interessieren, und sie versucht ihr Spiel mit einem anderen. Nur bei dem Doktor sind alle ihre Künste bisher vergeblich gewesen, obwohl sie sich viel Mühe gegeben hat. Sie ist übrigens Braut und geht nach Canada, um zu heiraten. Ihr Bräutigam ist Architekt in Montreal und verdient fünfundachtzig Dollar die Woche. Sie hat ihn seit vier Jahren nicht gesehen, und in ihren Briefen haben sie sich stets herumgestritten. Wenn die Dinge nicht so gehen sollten, wie sie hofft und er wahrscheinlich auch, läßt sie sich wieder scheiden und verlangt hundert Dollar im Monat Unterhaltsgeld. Mit dieser regelmäßigen Einnahme wird sie dann irgendwie und irgendwo versuchen, das Leben zu meistern, und soweit ich sie bisher kennengelernt habe, wird ihr das keine allzu großen Schwierigkeiten bereiten.«

»Geht das so leicht mit den Scheidungen in Canada?« wandte sich Schwerla an Mühlberg.

»Keineswegs,« entgegnete dieser. »Canada hat im ganzen sehr vernünftige Gesetze. Aber Amerika ist ja nicht weit, und dort wird es den Leuten leicht gemacht. Es gibt Staaten und Städte, die darin geradezu wetteifern. Übrigens ist das jetzt die gewöhnliche Art zu heiraten – wenigstens in den besseren Kreisen, worunter ich die mit den besseren Einkommen verstehe. Es hat auch schon dazu geführt, daß die jungen Mädchen vielfach ganz verantwortungslos in die Ehe laufen. Wenn es nicht geht, lassen sie sich wieder scheiden, verlangen eine möglichst hohe Unterhaltssumme und sind dann für ihr ganzes Leben versorgt. Die Richter wissen das recht gut, was wollen sie aber machen? Sie sind nicht lebenslänglich angestellt, sondern werden für jede Wahlperiode gewählt. Wenn sie auf ihre Wiederwahl bedacht sind, müssen sie dafür sorgen, daß den Bürgern ihrer Stadt, zu denen auch die Rechtsanwälte gehören, Einnahmen zufließen. Es gibt Städte, die durch besondere Industrien bekannt sind; in Amerika gibt es welche, die die Scheidungsindustrie betreiben.«

Er lehnte sich in seinem Stuhle zurück und schlug die Beine übereinander.

»Ihre Schwester, es ist die mit dem glattgescheitelten Haar, die neben ihr sitzt, ist übrigens ganz anders,« nahm Presser wieder das Wort. »Viel gemütvoller. Sie glaubt noch an das Leben, ich meine, an die Dinge, die das Leben auch abseits von Tanztees und Jazzmusik wertvoll machen. Ich habe kaum jemals zwei Schwestern gesehen so verschieden voneinander. Sie wird übrigens auch von einem Bräutigam erwartet.«

»Und die auf der anderen Seite?« fragte Schwerla.

»Das ist Fräulein Richter. Nicht schön, aber ebenfalls Braut. Sie hat ihren Bräutigam nur dreiundeinehalbe Stunde in Deutschland gekannt. Jetzt hat er ihr das Reisegeld gesandt. Wenn die Sache nicht gehen sollte, wird sie inzwischen von Fräulein Wrobel über die Scheidungsmöglichkeiten aufgeklärt worden sein.«

»Und die anderen? Sie reisen alle allein, wie ich glaube.«

»Die gehen hinüber, um in Canada ›ihr Glück zu machen‹. Für ein junges Mädchen heißt das immer Heirat. Sie sind noch keine Bräute, hoffen aber, es in Canada bald zu werden.«

Die Unterhaltung wandte sich jetzt wieder allgemeineren Dingen zu, und da der Aufenthalt auf dem Deck wenig verlockend war, so fanden sich einige Gruppen von Damen und Herren im Kartenspiel zusammen.

Mühlberg, Presser und Schwerla zogen es trotzdem vor, auf das Deck zu gehen. Es war fast leer. Nur auf dem abgeteilten Achterdeck, wie auch im Bug des Schiffes hatte sich eine Anzahl Passagiere der dritten Klasse eingefunden. Sie boten ein sehr gemischtes Bild. Vorherrschend waren die Angehörigen der osteuropäischen Länder: Polen, Galizier, Tschechoslowaken und andere, Gestalten, wie man sie in den Auswandererhallen der größeren Bahnhöfe, wie Breslau, Berlin, Hamburg und Bremen, täglich sehen kann. Es waren meist Frauen und Kinder, die ihren vorangegangenen Männern nachreisten; aber auch Männer, die ihren einstweilen noch in dem heimatlichen Dorfe zurückgelassenen Familien vorausreisten, weil ihnen ein Bruder oder Schwager oder guter Freund geschrieben hatte, sie möchten nur kommen, denn sie seien in Canada freie Bürger eines freien Landes, das jedem, der arbeiten könne und wolle, eine neue Heimat biete, besser als die, in der sich ihr Leben bisher abgespielt.

Man sah deshalb auch keineswegs sorgenvolle, verdüsterte Gesichter, den Ausdruck stumpfsinnigen Ergebens in eine Zukunft, von der man höchstens eine Änderung, aber keine Besserung der Lage erwarten konnte. Die Leute verleugneten in nichts ihr polnisches oder ruthenisches Dorf, aber sie waren zuversichtlich, hoffnungsfroh. Der Mann, der Bruder, Schwager oder gute Freund hätte ihnen sicher nicht geschrieben, sie sollten kommen, wenn es in dem neuen Lande nicht besser wäre als zu Hause.

Und man konnte sicher sein, daß diese zum wenigsten auch nicht enttäuscht sein würden, denn sie gingen in die gleichen Verhältnisse, aus denen sie kamen, nur daß in Canada alles aussichtsreicher, freundlicher und besser war und sie selbst freie Menschen, genau so gut und geschätzt wie alle anderen. Sie würden dort ihre Scholle beackern, ihr Vieh auf die Weide treiben und sich mit Landsleuten in ihrer eigenen Sprache unterhalten können, ganz so wie sie es ihr Leben hindurch in Polen oder Galizien getan hatten. Es war mit ihnen nicht wie mit so vielen Deutschen, die aus den Städten kamen und sich nun in das Farmleben eingewöhnen sollten, das doch schließlich ganz anders ist, als sie es sich vorstellen. Sie waren auch keineswegs ähnlich gekleidet, wenn ihre Kleider auch den dörflichen Schnitt ihrer Heimat zeigten, denn mittellose Auswanderer gibt es heute nicht mehr. Nur die Wohlhabenderen können sich eine Auswanderung leisten.

Die Deutschen, die man schon an ihrer mehr städtischen Kleidung und dem intelligenteren Gesichtsausdruck erkennen konnte, waren ihnen gegenüber in der Minderzahl. Jede Altersstufe von zwanzig bis fünfzig schien vertreten zu sein, und dem Berufe nach mochten sie dem Kaufmanns- und Handwerkerstande angehören, mit zwei oder drei Landwirten darunter. Auch ein junges Ehepaar befand sich unter ihnen. Der Mann war bisher Buchhalter in einer westfälischen Industriestadt gewesen, und die Aussichtslosigkeit dieses Berufes hatte ihm das unabhängige Leben auf einer Heimstätte in Canada um so verführerischer erscheinen lassen. Er war vernünftig genug, sich dieses Leben nicht als sorgenlos vorzustellen. Aber es war doch eine Selbständigkeit mit der Aussicht einer gesicherten Existenz nach einer Anzahl entbehrungsreicher Jahre. Er schien auch energisch und zu jeder Arbeit bereit, aber er hatte Ideen über das Leben eines Farmers. Soweit er in Frage kam, sollte es keineswegs stumpfsinnig verlaufen. Im allgemeinen ist das wohl der Charakter des Farmerlebens, aber er wollte sich dagegen wehren, bei ihm mußte die Bildung zu ihrem Rechte kommen. Kein Tag sollte bei ihm beginnen ohne eine Vorlesung aus einem guten Buche, mit seiner Frau als Zuhörerin. Bücher, die er wie persönliche Freunde verehrte, führte er in genügender Anzahl mit sich. Einstweilen hatte er aber das Studium der Edda zugunsten der Erlernung der englischen Sprache nach der Methode Toussaint-Langenscheidt, wobei er und seine Frau sich gegenseitig überhörten, zurückgestellt. Sie schienen nur bescheidene Mittel zu haben, lange nicht genug zum vollwertigen Betrieb einer Heimstätte. Er hatte deshalb auch die Reise in der dritten Klasse unternommen, denn, wie er sagte, würden sie jetzt ja doch das Leben von Pionieren führen müssen, und es war schließlich gleichgültig, ob sie schon in Bremen damit anfingen oder erst in Quebeck.

Dann war da noch eine Familie aus einer sächsischen Kleinstadt, mit vier erwachsenen Kindern, drei Mädchen und einem Jungen von fünfzehn Jahren. Sie hatten auch die Reise in der dritten Klasse gewählt, zum Teil wohl aus dem gleichen Grunde wie das junge Ehepaar, zum andern Teil aber, weil der Unterschied im Fahrpreise bei sechs Personen eine erhebliche Summe ausmachte.

Der Mann stand mit dem Jungen an der Reling und schaute den Möwen nach, die das Schiff noch immer begleiteten.

»Well, Herr Burkhart, wie geht's? Seekrankheit überwunden?« redete ihn Mühlberg an.

»Ja, es geht schon wieder. Nur meine Tochter, die Martha, liegt noch. Sie wird aber wohl auch heute aufstehen.«

Sie unterhielten sich nunmehr eine Weile über Schiffsangelegenheiten.

»Sie wollen auf eine Farm gehen in Canada?« fragte ihn Mühlberg dann.

»Ja.«

»Verstehen Sie etwas von Landwirtschaft?«

»Das sollte ich meinen. Ich habe immer auf dem Lande gelebt. Zuletzt hatten wir einen Gasthof in Postwitz bei Bautzen und nebenbei Landwirtschaft. Es bot sich dann aber Gelegenheit, ihn gut zu verkaufen. Immerhin, mit dem Gelde hätte ich in Deutschland nicht allzuviel anfangen können, so gehen wir jetzt nach Canada.«

»Haben Sie schon ein Ziel?«

»Noch nicht. Ich möchte eine Farm haben, wo ich auf die Jagd gehen kann. Ich bin großer Jagdliebhaber und habe eine vollständige Jagdausrüstung mit.«

»Glauben Sie, daß Sie auf der Farm viel Zeit zur Jagd haben werden?«

»So viel Zeit hat man immer. Im Winter ist auf einer Farm nicht viel zu tun. Außerdem ist die Zeit auch nicht verloren; man braucht doch Fleisch.«

»Dann wäre freilich der Osten für Sie das Beste. Dort finden Sie alles jagdbare Wild, vom Moose herab bis zum jämmerlichsten Raubzeug. Und die Flüsse und Seen sind voll von Fischen. Aus Amerika kommen jährlich viele Tausende von Sportsleuten, um in den canadischen Wäldern zu jagen und in den Flüssen zu fischen.«

»Ich habe mir aber sagen lassen, daß die neuen Provinzen, ich meine die im Westen, für den deutschen Ansiedler die besten sind.«

»Das ist unbedingt richtig, wenn Sie die Jagd nicht gerade in den Vordergrund stellen. Der Osten ist altbesiedelt und bietet dem neuen Ansiedler nicht mehr viel. Auch will der Deutsche doch gern Landsleute um sich haben, und das ist in den Farmdistrikten im Osten, die meist von England und Schottland aus besiedelt sind, nur ganz vereinzelt der Fall. Am besten eignen sich die drei Prärieprovinzen, ich meine Manitoba, Saskatchewan und Alberta, für den Deutschen. Und von denen können wir eigentlich Manitoba außer acht lassen. Sie werden gleich hören, warum. Ich will Ihnen nämlich einen Wink geben, der sehr wichtig ist. Sie können ihn mit vollem Recht ›das Geheimnis des Erfolges‹ nennen. Er ist nicht das ganze und auch nicht das einzige Geheimnis des Erfolges, aber die unentbehrliche Grundlage dazu. Und wenn Sie ihn beachten, dann ist nicht einzusehen, warum Sie nicht auf einer Farm in einer Anzahl Jahren zu Wohlstand gelangen sollten. Vorausgesetzt natürlich, daß einer fleißig ist und ordentliche Arbeit leistet, was bei den Deutschen – es freut mich, das sagen zu können – meist der Fall ist.«

»Da bin ich doch gespannt,« meinte Burkhart.

»Hören Sie zu! Das wichtigste ist, daß Sie sich die richtige Gegend aussuchen, in der Sie sich niederlassen. Das wird Ihnen sofort klar sein, wenn ich Ihnen sage, daß es in Canada Gegenden gibt, wie zum Beispiel Manitoba, wo der durchschnittliche Ernteertrag, immer nach Weizen berechnet, denn das ist der Maßstab in Canada, achtzehn Bushel für den Acker beträgt, und andere wieder, wo Sie vierzig und fünfzig ernten. Die Arbeit ist überall dieselbe, aber Sie werden sich leicht ausrechnen können, welchen Unterschied das für den Farmer bedeutet.«

»Woher kommt denn das?« fragte Burkhart.

»Well, Canada ist ein großes Land und es ist die Bodenbeschaffenheit. Die ist selbstverständlich nicht überall gleich. Im westlichen Ontario fahren Sie siebenhundert Meilen weit mit der Eisenbahn durch Land, wo Ansiedlungen überhaupt kaum möglich sind, denn alles ist Stein, dürftiger Busch und Seen und Teiche. Wenn Sie es sich von Ihrem Abteilfenster aus beschauen, sieht die Gegend wunderhübsch aus, aber für den Farmbetrieb eignet sie sich nicht. Und dann sollte ein Ansiedler möglichst auf Neuland gehen. Die Provinzen in Canada sind nicht alle gleichzeitig besiedelt worden. Mit Manitoba fing die Geschichte an, damals in den siebziger Jahren, als die deutschen Mennoniten aus Rußland einwanderten. Von dort aus schritt die Besiedlung allmählich nach dem Westen und Norden weiter, und es gibt dort Gegenden, die erst vor verhältnismäßig kurzer Zeit der Besiedlung erschlossen worden sind, weil man erst jetzt Eisenbahnen dahin gebaut hat. Dieses Land ist humusreich und gibt für eine Reihe von Jahren die besten Ernten. Das alte Land in den altbesiedelten Gegenden ist zum größten Teil ausgesogen. Düngung kennt der canadische Farmer nicht, er scheut die Ausgabe dafür. Sie haben Land in Manitoba, das zwanzig und fünfundzwanzig Jahre lang nicht gedüngt ist und jetzt im Unkraut fast erstickt. Die Sommerbrache, mit der sich die Farmer zu helfen suchen, kann die fehlende Düngung nicht ersetzen. Jetzt halten es viele Farmer für vorteilhafter, es im Stich zu lassen und im äußersten Westen oder Norden Neuland aufzunehmen. Also suchen Sie sich zuerst eine Gegend mit hohen Ernteerträgen aus. Das andere kommt dann nicht von selber, denn von selber kommt überhaupt nichts, aber es kommt.«

»Und können Sie uns solche Gegenden nennen?«

»Ja, denn es sind nicht viele. Da ist zuerst die Grand Prärie, dann die Gegend um Battleford in Saskatchewan und die bei Edson in Alberta. Das meiste übrige Land in Canada ist guter Durchschnitt. Aber warum sich damit begnügen, wenn man etwas Besseres haben kann?«

Die Unterhaltung wurde hier unterbrochen, denn Frau Burkhart mit zwei Töchtern erschien eben auf dem Deck und gesellte sich ihnen zu.

Die Mutter war eine resolute Frau von mehr als vierzig Jahren, ganz vom Schlage der Pionierfrauen, die sich durch Schwierigkeiten nicht aus dem Konzept bringen lassen. Sie mußte früher hübsch gewesen sein, denn sie zeigte noch jetzt deutliche Spuren davon. Nur wurde dieser angenehme Eindruck etwas beeinträchtigt durch die lange dünne Mundlinie, die zwischen den Lippen klar und fest geschnitten war und auf einen herrschsüchtigen Charakter deutete, der nicht frei von Selbstsucht war. Sie glich in dieser Beziehung ganz dem Manne, und man konnte, obwohl sonst zwischen ihnen volle Harmonie zu bestehen schien, im stillen doch den Verdacht hegen, daß es Augenblicke gab, wo die beiden Temperamente aufeinanderplatzten.

Die jüngere Tochter mochte achtzehn Jahre zählen. Sie war von kräftiger Gestalt und zeigte, ohne plump zu erscheinen, den etwas gedrungenen, aber gesunden Bauerntypus. Sie schien von heiterem Temperament, wenigstens deutete das die ebenmäßige Fülle und die leichte Aufwärtsbewegung ihrer Lippen an den Winkeln an, und ihre taubengrauen Augen, die für gewöhnlich wie die einer Alice aus dem Wunderland in die Welt blickten, zeigten manchmal einen Ausdruck, der eine unbändige Lust an tollen Streichen verriet.

Ihre Schwester, die zwanzig oder einundzwanzig Jahre zählen mochte, war sehr verschieden von ihr. Sie war größer, ohne daß man sie deshalb hätte als schlank bezeichnen können. Der herbe Mund, die kühlen, brennenden Augen, die starken Backenknochen, der kräftige, bei aller Rundung aber doch feingeformte Körper machten sie zu einer Vertreterin uralten Bauernadels. Auf den ersten Blick war sie kaum mehr als leidlich hübsch, aber in den Fältchen dieser kargen Reizlosigkeit blühte eine üppige, majestätische Schönheit.

Die Kleidung der Mutter wie der Töchter war einfach, aber keineswegs bäuerisch. Dazu sind die Dörfer heute doch schon zu nahe an die Städte gerückt.

Mühlberg hatte ihre Bekanntschaft schon am Tage vorher gemacht und stellte jetzt Presser und Schwerla vor. Die jüngere Schwester, Valeska, maß sie ungescheut mit einem Blicke backfischmäßiger Herausforderung, dessen Ergebnis aber zweifelhaft blieb. Die ältere, Mathilde, zeigte sich freundlich, aber zurückhaltend, was bei ihr Gewohnheit schien.

»Wir sprachen eben von der Gegend, wo wir uns niederlassen wollen,« erklärte Burkhart seiner Frau. »Welches ist der Ort, von dem Sie sprachen?«

Die letztere Frage galt Mühlberg.

»Well, ich könnte Ihnen keinen besseren Platz nennen als Edson. Es liegt in Alberta, gegen hundert Meilen westlich von Edmonton. Nicht weit von den Felsengebirgen. Sie können deren Ausläufer von Edson aus sehen. Dort haben Sie alles, was Sie suchen: Wald und Jagd auf Moose, Bären, Wapiti-Kaninchen nicht zu vergessen, die aber eigentlich Hasen sind, denn sie leben nicht in einem Bau, sondern haben ihre Nester über der Erde. Auch der Boden ist gut. Sie finden jedenfalls in Canada keinen besseren, denn vierzig Bushel Weizen auf den Acker sind keine Seltenheit.«

»Wieviel ist ein Bushel?« fragte Burkhart.

»Sechzig Pfund. Auch zwei Flüsse haben Sie dort, den McLeod- und den Muskeg-River, die Ihnen Fische liefern. Dabei ist das Land auch noch billig dort. Zwanzig bis dreißig Dollar der Acker. Im Winter können Sie oder Ihr Sohn auch trappen gehen, wenn Sie Lust dazu haben. Vielleicht gelingt es Ihnen, ein paar Silberfüchse zu fangen, wie Herrn Finsterbusch. Ich denke wirklich, Sie sollten nach Edson gehen. Es gibt natürlich ebenso gute Gegenden auch wo anders, aber die sollen Sie sich erst einmal suchen, und das Herumreisen im Lande kostet Geld.«

»Gibt es dort auch noch Heimstätten?« fragte Saubert, der Buchhalter aus Westfalen, der hinzugetreten war und das Gespräch mit angehört hatte.

»Die sind schließlich auch noch zu finden. Und wenn Ihnen das gelingt, so ist Edson der beste Platz für Sie, denn in der Nähe sind viele Kohlengruben, und wo die sind, gibt es immer gutbezahlte Arbeit. Es ist dabei gar nicht nötig, daß Sie unter der Erde arbeiten. Es gibt eine Menge Hilfsarbeiten, die eine Kohlengrube nötig hat, wie Pfostenschlagen, Kochen, schriftliche Arbeiten und eine ganze Menge mehr. Für einen Heimstätter ist das von großem Wert. Es hilft ihm über die ersten Jahre hinweg.«

»Laß uns nach Edson gehen, Vater!« rief der Junge mit leuchtenden Augen.

»Dir steckt wohl das Trappen im Kopfe?« fragte der Vater lächelnd. »Da sehen Sie, was Sie angerichtet haben, Herr Mühlberg. Ich bin sicher, der Junge läßt uns jetzt keine Ruhe mehr, bis wir nach Edson gehen.«

»Ich könnte etwas Schlimmeres angerichtet haben,« entgegnete Mühlberg mit einem Blicke auf den Jungen, der aber gleich wieder von diesem abwanderte und auf dem Gesichte Mathilde Burkharts ruhen blieb.

»Sind dort auch Deutsche angesiedelt?« fragte Burkhart weiter.

»Deutsche finden Sie überall in Canada. Auch um Edson herum sind mehrere auf Heimstätten und Farmen. Wenn Sie sich wirklich entschließen sollten, dorthin zu gehen, kann ich Ihnen die Adresse eines Deutschen in Edson geben, der Ihnen behilflich sein wird. Lassen Sie sich aber das eine gesagt sein: Wen Sie auch noch fragen werden, er wird Ihnen immer den Platz empfehlen, wo er lebt. Nicht, weil es vielleicht in seinem Interesse liegt, daß dieser besser besiedelt wird, sondern weil er überzeugt ist, daß der Boden dort der beste im Land ist. Je mehr Sie also fragen, um so weniger werden Sie wissen, was Sie tun sollen.«

»Sie waren selbst in Edson?«

»Ja, und ich gehe auch wieder hin. Vorläufig reicht meine Fahrkarte aber nur bis Winnipeg. Dort muß ich mir erst wieder Geld für die Weiterreise verdienen.«


 << zurück weiter >>