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43. Kapitel – Richter

Nachdem ich also Ross endgültig erledigt und den Prozeß gewonnen hatte, folgte eine Reihe von Verhandlungen vor dem Vormundschaftsgericht, die ihren Gipfel in dem schon beschriebenen Vorfall fanden, nach welchem ich die Hand von meinem Sohne abzog. In den nächsten zwei Jahren ereignete sich nichts von Belang. Ich lebte bei meiner Mutter in einem reizenden Haus, das »Shelleys Folly« hieß und Lord Monkbretton gehörte. Ich verbrachte die Tage mit der Lektüre von katholischen Büchern wie dem Leben des heiligen Augustin von Thomas von Aquino, der heiligen Theresa, der heiligen Catherina von Siena und anderer. Mein Leben verlief vollkommen ereignislos. Ich hatte einen zweiten erfolglosen Versuch gemacht, an die Front zu kommen, und zwar gleich, nachdem die Ross-Affäre beendet war. Ich schrieb wieder an Kitchener, sagte ihm, daß ich mich jetzt von allen meinen Schwierigkeiten mit dem Gesetz befreit und meine Beschuldigungen gegen Ross gerechtfertigt hätte, und bat ihn, eine Verwendung für mich als aktiver Soldat oder als Dolmetscher zu finden. Er erwiderte in ungefähr den gleichen Worten wie das erstemal. Als der Krieg ausbrach, stand ich in meinem vierundvierzigsten Jahr. Ich hatte niemals gedient und hatte wohl darum keine besonderen Qualifikationen. Jetzt bin ich sehr froh, daß ich nicht in den Krieg gezogen bin, aber damals war es eine große Enttäuschung für mich. In dieser Zeit schrieb ich »The Rossiad« und »Eve and the Serpent«.

Das einzige ungewöhnliche Ereignis, das mein eintöniges Leben unterbrach, war ein Besuch bei dem irischen Dichter Herbert Moore Pim, der damals eine Zeitschrift »The Irishman« herausgab. Er lud mich in sein reizendes Landhaus bei Dunmurry ein, und ich blieb mehrere Wochen dort. Pim, der später mein Hilfsredakteur wurde, als ich »Plain English« herausgab, eine Zeitschrift, die damals (1920 bis 1922) energischer gegen die Sinnfeiner vorging als irgendeine andere Zeitung in London, war in jener Zeit ein eifriger Anhänger der Sinnfeiner. Er behauptete sogar mit Griffiths zusammen die Sinnfeiner-Bewegung ins Leben gerufen zu haben. Als jedoch die Sinnfeiner Mörder wurden, den Eseln die Schnauzen abschnitten und die katholische Kirche für ihre politischen Zwecke in den Schmutz zogen, wandte sich Pim von ihnen ab und wurde ein wütender Antisinnfeiner. Als ich ihn einige Jahre später telegraphisch bat, mein Mitredakteur am »Plain English« zu werden, war er schon gewarnt worden, daß man nach seinem Leben trachtete; außerdem hatte ihn die Polizei benachrichtigt, daß sie machtlos wäre, ihn zu schützen. Pim ist Katholik, ein Bekehrter, denn er stammte aus einer protestantischen Familie Ulsters.

Während ich bei Pim zu Gast war, las ich das »Jail Journal«, eine Gefängniszeitung, von Mitchell. Sie erweckte meine Sympathie für die Irische Nationalistische Bewegung. Als ich »Plain English« herausgab, war ich ihr noch in der ersten Zeit freundlich gesinnt, aber bald lehnte ich mich gegen die Mord- und Lügenkampagne auf, die von den Sinnfeinern geführt wurde, und da ich alle meine Informationen von Pim erhielt, schloß ich mich bald seiner Auffassung an. Doch dies alles geschah drei oder vier Jahre später. Als ich für den »Irishman« schrieb, war ich ein großer Bewunderer von Pims Gedichten. Das, was er seitdem geschrieben hat, erscheint mir weniger gut. Kurz vor meinem Besuch bei Pim hatte ich meinen jetzigen Freund Brown, den Verleger von »The Border Standard«, Croslands Biographen, kennengelernt. Er war der Gast meiner Mutter in Hove, und wir haben uns seitdem oft gegenseitig in London und Galashiels besucht. Ich kann Mr. Sorley Brown nie genügend für seine ritterliche Verteidigung meiner Ehre in jenem Teile Schottlands, der heute noch zuweilen »das Douglas-Land« genannt wird, danken.

Dann kam der Pemberton-Billing-Prozeß zur Verhandlung, in welchem ich für Mr. Billing auf seine Bitte als Zeuge auftrat. Er war angeklagt worden, Miss Maud Allan verleumdet zu haben. Ich merkte sofort, daß Maud Allan nur eine Strohpuppe war, hinter der sich Ross und seine Bande versteckt hatten. Ich verhalf Billing zu seinem Freispruch.

Durch diesen Prozeß kam ich sehr in den Vordergrund der Öffentlichkeit, und zwar in dem Kampf, den ich als Zeuge gegen Richter Darling ausfocht. Nach der Urteilsverkündung im Ransome-Prozeß hatte ich an diesen Richter geschrieben, daß ich ihm damals nur nicht so geantwortet hätte, wie er es verdiente, weil ich durch ein Versprechen gebunden war, das ich meinem Verteidiger Cecil Hayes gegeben hatte, »den Richter nicht anzugreifen, und wenn ich noch so sehr gereizt würde«. In diesem Brief schrieb ich: »Wenn ich Ihnen jemals wieder vor Gericht begegne – was Gott gebe –, werden Sie sehen, was Ihnen geschieht.«

Ich habe nicht die Absicht, diese ganze Geschichte ausführlich zu erzählen. Sie war seinerzeit in allen Zeitungen zu lesen. Richter Darling versuchte, die Taktik zu wiederholen, die er im Ransome-Fall gegen mich angewandt hatte. Aber diesmal war ich durch kein Versprechen gebunden und konnte mich nicht nur verteidigen, sondern ihn auch angreifen. Meine Methode erwies sich als sehr erfolgreich, denn nach einem Wortduell, das nur fünf Minuten dauerte und bei dem er drohte, mich entfernen zu lassen, gab er den Kampf auf und ließ mich meine Aussagen auf meine Weise vorbringen. Als er während seiner Schlußrede einige Bemerkungen über mich machte, stand ich vor dem versammelten Gerichtshof auf und nannte ihn einen »verdammten Lügner«, eine Äußerung, die mit einem mehrere Minuten anhaltenden donnernden Beifall und Händeklatschen begrüßt wurde. Unter dieser Deckung setzte ich mich bescheiden wieder hin.

(Man hat sich oft darüber gewundert, daß Richter Darling mich nicht wegen Unbotmäßigkeit gegen das Gericht zu einer Gefängnisstrafe verurteilte. Hätte er dies getan, so wäre die Frage erörtert worden, warum ich ihn einen »verdammten Lügner« nannte. Das Stenogramm seiner Rede hätte sofort klar gezeigt, welche Worte ich so bezeichnet hatte, und es hätte entschieden werden müssen, ob ich mit meiner Behauptung recht hatte oder nicht. Nun, ich hatte recht, denn der Richter hatte gelogen und wußte es. Darum also wollte Richter Darling sich nicht mit mir auflegen.)

Als ich das Gericht nach der Urteilsverkündung verließ, wurde ich von einer tausendköpfigen Menschenmenge mit Heilrufen begrüßt.

Mehrere Jahre später, als mein Prozeß gegen die »Evening News« anberaumt werden sollte, wurde mir von meinem Anwalt mitgeteilt, daß ein Tag der nächsten Woche festgesetzt worden sei, und daß Richter Darling den Fall leiten würde. Ich fuhr sofort nach dem Gericht und bat um eine Unterredung mit dem Beamten, der die Reihenfolge der Prozesse zu bestimmen hatte. Er kam zu mir hinaus in den Gang und fragte mich steif nach meinem Anliegen. Ich sagte ihm, daß ich erfahren hätte, Richter Darling sei dazu bestimmt, meinen Prozeß gegen die »Evening News« zu leiten. »Jawohl, Sie haben recht«, antwortete er. »Ich weigere mich aber,« sagte ich, »von Richter Darling verhört zu werden, und wenn er erscheinen sollte, werde ich einen solchen Skandal machen, wie man ihn noch nie erlebt hat.« »Was haben Sie denn gegen Richter Darling?« fragte er. Ich sagte ihm, daß ich sonst nichts gegen Richter Darling hätte, fügte aber hinzu: »Ist es denn denkbar, daß er nach jenem Vorfall im Billing-Prozeß gerecht gegen mich sein kann? Außerdem wird er, glaube ich, von selbst keinen Prozeß leiten wollen, in den ich verwickelt bin, besonders nicht, wenn er erfährt, daß ich nicht von ihm vernommen zu werden wünsche. »Warum«, fuhr ich fort, »muß unter all den Richtern gerade dieser eine für meinen Prozeß bestimmt werden?« Diese Frage war so einleuchtend, daß sich der Beamte nicht dagegen verschließen konnte, und er sagte: »Es sind augenblicklich nur drei Richter zur Verfügung, und Richter Darling wurde zufällig für diesen Prozeß gewählt, aber in Anbetracht Ihrer Einwände wollen wir Ihnen statt Richter Darling Richter Bray geben.« »Nein, danke, Bray will ich auch nicht haben«, erwiderte ich. Diese Antwort belustigte den Beamten so, daß er lachen mußte. »Was haben Sie denn gegen Richter Bray, wenn ich fragen darf?« meinte er. Da erklärte ich ihm, daß er den Prozeß Crosland-Ross geleitet und sich ohne Grund beleidigende Äußerungen über mich erlaubt hätte. Da ich aber damals nicht anwesend war und mich nicht verteidigen konnte, hätte ich ein Spottsonett über ihn geschrieben und es in Justizkreisen verbreiten lassen.

(Dieses Sonett ist in meinem Gedichtband »Collected Satires« 1926 im Fortuna-Verlag erschienen.)

Der lächelnde Beamte erwiderte: »Das mag sein, Lord Alfred, aber es ist eigentlich nicht Sitte, daß Angeklagte hierherkommen und ihre eigenen Richter wählen; darf ich Sie aber trotzdem fragen, welchen Richter Sie geruhen würden, anzunehmen?« Ich erwiderte: »Ich habe nichts gegen den Lord Chief Justice einzuwenden.« Höchster Richter in England. Anm. d. Übers. (Dieser war der dritte auf der Liste der verfügbaren Richter.) »Gut,« antwortete der Beamte, »wir werden Ihnen den Lord Chief Justice geben.« Ich dankte ihm und ging. Nachher wurde mein Prozeß bis nach den großen Ferien verschoben und von Richter Horridge geleitet. Ich gewann den Prozeß mit Leichtigkeit, wie ich bereits berichtet habe.

Im Jahre 1919 wurden meine »Gesammelten Gedichte« von Martin Secker veröffentlicht. Dieser Band ist jetzt vergriffen, und ein neuer wird in Kürze herauskommen, der mein Gedicht »In Excelsis« enthält. Es sind mehrere tausend Exemplare von diesem und anderen meiner Gedichtbände verkauft worden. Außerdem sind sie in Amerika sehr gut gegangen. In Frankreich wurden tausend Exemplare des Originalbandes »Gedichte« mit einer französischen Prosaübersetzung veröffentlicht. Der neue Band »Gesammelte Gedichte« wird auch meine humoristischen Schöpfungen enthalten, die die ganzen letzten zwanzig bis dreißig Jahre einen guten Erfolg hatten Seitdem ist auch der Band »Complete Poems« erschienen..

Von den fünf Jahren, die ich in Shelleys Folly verbrachte, ist nichts weiter von Wichtigkeit zu berichten, als daß ich im Jahre 1920 Redakteur einer neuen Zeitschrift, »Plain English«, wurde.


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