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6. Kapitel – Verleumdung

Vielleicht wird jemand sagen: »Worüber beklagen Sie sich denn eigentlich? Wollen Sie etwa, daß Richter und Rechtsanwälte keine ablehnende Haltung gegen jene Laster einnehmen, von denen Sie selber sagen, sie seien verabscheuungswürdig?« Darauf erwidere ich, daß ich mich nicht beklage, daß Richter und Rechtsanwälte eine solche Haltung einnehmen, sondern nur darüber, daß ein Mann, der ein völlig untadelhaftes und einwandfreies Leben mit Weib und Kind führt, der sich nach Überwindung ungeheurer Schwierigkeiten eine hervorragende Stellung unter den Dichtern und Schriftstellern errungen und seit zwölf Jahren sein möglichstes getan hat, um seine Jugendsünden, für die er schon seelisch schwer bestraft worden ist, wieder gutzumachen, daß einem solchen Manne der Schutz des Gesetzes gegen böswillige Verleumdung, welcher das natürliche Recht jeden Bürgers ist, versagt wird.

Dies ist mir im Jahre 1913 widerfahren. Ich hatte schon lange keine Beziehungen zu der Wilde-Gesellschaft oder dem Wilde-Kult mehr. Ich war bereits über elf Jahre verheiratet, ich hatte meine frühere Stellung in der Gesellschaft zurückgewonnen und führte ein vollkommen einwandfreies und ehrenhaftes Leben. Ich hatte seit dreiundeinhalb Jahren eine führende literarische Zeitschrift geleitet und sie zu Erfolg und Ansehen gebracht; Gedichte von mir waren veröffentlicht worden, von denen sogar meine schlimmsten Feinde sagen mußten, daß sie zu den besten Dichtungen der englischen Sprache gehörten. Trotz alledem, als ich an die Gerichtshöfe appellierte um Schutz gegen eine böswillige Verleumdung, die auf Anregung des kürzlich verstorbenen Robert Ross – der mich haßte und geschworen hatte, sich an mir zu rächen, weil ich mich geweigert hatte, weiter mit ihm zu verkehren – in einem Buch veröffentlicht worden war, in dem behauptet wurde, daß ich für den Ruin Oscar Wildes verantwortlich sei, haben diese Gerichtshöfe, statt mich zu schützen, wie sie es hätten tun müssen, gestattet, daß ich den Wölfen ausgeliefert wurde. Briefe von Oscar Wilde an mich, die Robert Ross gestohlen und heimlich aufbewahrt hatte, obgleich er sich zur Zeit, als er sie stahl, meinen Freund nannte, wurden als belastend gegen mich verwertet. In grausamster Weise nahm man die bedeutendsten Anwälte der damaligen Zeit gegen mich. Ich hatte gegen mich Sir James Campbell, den ersten irischen Anwalt, der Arthur Ransome, den Autor des verleumderischen Buches verteidigte, einen jungen aufstrebenden Autor, der ohne den Beistand von Ross und seiner Sippschaft schwerlich hundert Pfund aufgebracht hätte, geschweige denn in der Lage gewesen wäre, sich einen solchen Verteidiger leisten zu können; dann McCardie, jetziger Richter, außerdem F.E. Smith, heute Lord Birkenhead, und andere bedeutende Juristen, während ich als einzigen Verteidiger einen ganz jungen, unerfahrenen Anwalt hatte, der erst zwei Jahre praktizierte. Dieser junge Anwalt, mein langjähriger Freund Cecil Hayes, tat sein möglichstes und kämpfte gleichsam bis zum letzten Atemzug gegen eine ungeheure Übermacht, aber die Haltung des Richters machte seine ohnehin sehr schwierige Aufgabe von vornherein zu einer fast unerfüllbaren. Manche Richter helfen dem Angeklagten, wenn sie sehen, daß er nur mit der Hilfe eines unerfahrenen jungen Anwalts gegen die allerersten Verteidiger des Landes ringt, oder sorgen wenigstens dafür, daß ihm die Möglichkeit geboten wird, seine Sache den Geschworenen richtig zu unterbreiten; aber zu diesen humanen Richtern gehörte Mr. Darling nicht. Einige Briefe Oscar Wildes an mich, die auf irgendeine Weise in meines Vaters Hände gelangt waren – von einem Dienstboten gestohlen und an meinen Vater verkauft –, wurden als Belastungsbeweise gebraucht. Die Anwälte meines Vaters, Charles Russell & Co., benutzten sie gegen mich auf Verlangen – und ohne Zweifel unter Strafandrohung – von Lewis & Lewis, die damals meines Vaters Anwälte gewesen waren, als er seinen Prozeß gegen Oscar Wilde führte. Auf diese Weise kam es, daß diese beiden von meinem Vater bezahlten Rechtsanwaltsfirmen sich zusammentaten, angeblich, um, wie mein Vater durch Sir Edward Carson immer wieder betonen ließ, mich, »den verlorenen Sohn«, zu »retten«, in Wirklichkeit aber, um ihn durch diese Briefe achtzehn Jahre später mit der Zustimmung des Richters Darling zu ruinieren oder es wenigstens zu versuchen.

Außerdem gestattete der Richter, daß der ganze noch unveröffentlichte Teil jenes von Oscar Wilde geschriebenen und unter dem Titel De Profundis bekannten Briefes (der an mich gerichtet war, den ich aber niemals bekam, weil Robert Ross ihn mir vorenthielt) als schwerste Belastung gegen mich gebraucht wurde. Zwei Stunden lang lauschte ich auf der Zeugenbank jener giftigen Flut grotesker Lügen und Anschuldigungen, die Wilde in seiner Wut und Verzweiflung über sein Unglück in seiner Gefängniszelle aufgeschrieben hatte, obgleich er im letzten Brief, den er vor seiner Verurteilung an mich schrieb, zum hundertstenmal wiederholte, daß nur die Überzeugung, ich würde ihm treu bleiben und er mich eines Tages wiedersehen und meine Hand würde wieder berühren dürfen, ihm die Kraft geben könnte, das Urteil, wie es auch ausfalle, zu ertragen. Ich erinnere mich an eine Stelle in diesem Brief: »Kind meiner Phantasie, kleine zarte Blume, ich will jetzt die Macht der Liebe auf die Probe stellen, ich will sehen, ob ich nicht die bitteren Wasser des Leids durch die Kraft der Liebe, die ich für Dich empfinde, versüßen kann.« In einem anderen Brief aus derselben Epoche schrieb er: »Du bist der Morgenstern des Lebens, und keine von Gottes Schöpfungen ist jemals so leidenschaftlich geliebt, so vergöttert worden wie Du.« In einem anderen Brief nannte er mich: »Mein geliebtes Kind mit dem Herzen Christi.«

Zwischen jener Zeit, in der er diese und wenigstens dreißig andere Briefe in demselben Ton schrieb (die ich aber leider ungefähr ein Jahr vor dem Ransome-Prozeß vernichtete) und der Zeit, als er De Profundis verfaßte, ist nichts zwischen uns vorgefallen. Bis zum letzten Augenblick, ehe er ins Gefängnis kam, schwor er mir ewige Treue und flehte mich in den rührendsten Worten an, ihn nicht zu verlassen, sondern zu ihm zu halten und auf ihn zu warten, bis er herauskäme, was ich auch gewissenhaft tat, und noch viel mehr als das. Kaum ein Jahr später jedoch schrieb er diese grauenhafte Tirade voller Beschimpfungen und Verleumdungen. Seltsames und furchtbares Rätsel! Darauf komme ich aber später zurück.

Martin Secker, der Verleger jenes Buches von Arthur Ransome »Oscar Wilde, eine Studie«, in dem die Verleumdung gegen mich stand, zog das Buch sofort zurück, als ich die Klage gegen ihn und Ransome erhob. Einige Jahre später erzählte er mir, wie es gekommen sei, daß dieses Buch überhaupt geschrieben wurde und die Bemerkung hereinkam, die mich zu jenem Prozeß veranlaßte, der Robert Ross die ersehnte Gelegenheit gab, sich an mir zu rächen.

Martin Secker sagte mir folgendes: »Ich muß gleich vorausschicken, daß Ransome vollkommen unschuldig an der ganzen Angelegenheit war. Er kam zu mir und erzählte, daß er ein Buch über Oscar Wilde schreiben wolle, und nachdem er mir auseinandergesetzt hatte, wie er sich das Buch denke, gab ich ihm den Auftrag, es zu schreiben. Darauf sagte er, es würde ihm die Arbeit sehr erleichtern, wenn er die Bekanntschaft von Robert Ross machen könnte. Kurze Zeit darauf fand die Begegnung statt, und Ross war sehr liebenswürdig zu ihm und schien bereit, ihm jede erdenkliche Hilfe leisten zu wollen. Ross sagte sogar, daß, wenn Ransome sich von ihm leiten ließe und das Buch nach gewissen von ihm gegebenen Richtlinien schreiben würde, er bereit sei, ihm allerlei Dokumente und Auskunftsquellen zur Verfügung zu stellen, die nur ihm zugänglich wären. Natürlich willigte Ransome freudestrahlend ein, und nachher war es ein leichtes für Ross, jenen Angriff gegen Sie, der nur aus ein paar Worten bestand, in das Buch hineinzubringen.«

Secker erzählte mir ferner, daß er sofort einsah, nachdem man ihn auf die Worte aufmerksam gemacht hatte, wie ungerecht und unfair sie seien, und daß sie keineswegs zum Wert des Buches beitrügen. Daraufhin habe er Ransome mitgeteilt, er beabsichtige das Buch zurückzuziehen und eine neue Auflage ohne die verleumderische Äußerung gegen mich herauszubringen. Nun erzählte er mir, daß Ransome zuerst seine Einwilligung zu diesem Vorschlag gegeben hatte. Aber dann – als er sah, daß die Sache eine »cause célèbre« zu werden begann und man ihm die Mittel, die Sache auszukämpfen, zur Verfügung stellte ohne Risiko für ihn – erteilte er Ross bereitwilligst die Erlaubnis, die Angelegenheit auf seine Weise zu führen. Es war typisch für Robert Ross, Ransome zu bewegen, Wahrheitsbeweise anzutreten, und mit den schon von mir beschriebenen Mitteln wurde der Prozeß gegen mich gewonnen.


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